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Anästhesiologische Beurteilung des Patienten: Respiratorisches System Dietrich Henzler Einleitung Detaillierte Kenntnisse des respiratorischen Systems sind von grundlegender Bedeutung, um eine maschinelle Beatmung durchführen zu können. Verständnis für die funktionelle und pathologische Anatomie, Lungenmechanik, Gasaustausch und Zirkulation ist zur Narkoseführung notwendig und trägt zur Vermeidung von Komplikationen bei. 1 Klinische Beurteilung des Patienten Eine gründliche Anamnese und die klinische Untersuchung sind die wichtigsten Inhalte der Prämedikationsvisite. Die hieraus gewonnenen Erkenntnisse dienen zur Beurteilung der Narkosefähigkeitund können weitere apparativ- technische Untersuchungen bedingen (Abschn. 5.2). Die Narkosefähigkeit deniert sich weniger als gegeben oder nicht gegeben, sondern ist die Abwägung des Narkoserisikos gegen den operativen Gewinn. Zu berücksichtigen ist dabei, dass das Narkoserisiko nicht unabhängig vom operativen Eingriff beurteilt werden kann, und die Frage, ob die zuneh- mend älteren, multimorbiden Patienten von einem operativen Eingriff protieren, mit dem operativen Partner unter medi- zinischen und ethischen Aspekten (quality of life) diskutiert werden sollte. Die respiratorische Anamnese umfasst Belastbarkeit, Kurzatmigkeit, Orthopnoe (funktio- nelle Klassikation IIV) (Fortsetzung) Erkrankungen der Lunge (z. B. Asthma, COPD, Emphysem, Fibrose, Mukoviszidose, Pneumonie, Tuberkulose, Granulomatose etc.) Erkrankungen des Lungengefäßsystems (Z. n. Embolie, pulmonale arterielle/venöse Hypertonie) Voroperationen (z. B. Tumorresektion, Lungenvolu- menreduktion, Transplantation) Anzeichen für ein Schlaf-Apnoe-Syndrom Verletzungen (z. B. Kontusion, Pneumothorax) Schädigungen (z. B. inhalativ, toxisch, Pneumo- koniose) Dauermedikation (z. B. β-Mimetika, Kortikoide, Theophyllin) Ein deformierter Thorax kann Hinweise auf Beeinträchti- gungen der Atemmechanik geben. Eine Tachypnoe ist zumeist durch eine respiratorische Insufzienz bedingt. Andere Formen von pathologischen Atemmustern (z. B. Kussmaul-Atmung, Cheyne-Stokes- Atmung) weisen auf neurologische Störungen hin. Die meisten anästhesiologisch relevanten Krankheitsbil- der lassen sich so schon frühzeitig anhand von Leitsympto- men feststellen (Tab. 1). Obligat ist die Inspektion der oberen Luftwege bei der Prämedikationsvisite, da sich hierdurch schon wertvolle Hinweise auf evtl. vorliegende Intubationshindernisse und erschwerte Intubationsbedingungen erhalten lassen (Kap. Intubation bei schwierigem Atemweg). Praktisches Vorgehen Die Belastbarkeit bietet die zuverlässigste Einschätzung über zu erwartende Schwierigkeiten, d. h. Anstrengungstoleranz (in metabolischen Äquivalenten), die Fähigkeit zur Verrich- tung alltäglicher Arbeiten oder Frequenz des Gebrauchs inha- lativer Bronchodilatatoren geben Auskunft über die aktuelle Situation. Zur Vorhersagbarkeit pulmonaler Komplikationen (Abschn. 5). Zusätzlich kann eine aktuelle Belastungsprüfung D. Henzler (*) Klinikum Herford, Universitätsklinik für Anästhesiologie, operative Intensivmedizin, Rettungsmedizin, Schmerztherapie der Ruhr- Universität Bochum, Herford, Deutschland E-Mail: [email protected] # Springer-Verlag GmbH Deutschland 2018 R. Rossaint et al. (Hrsg.), Die Anästhesiologie, Springer Reference Medizin, https://doi.org/10.1007/978-3-662-45539-5_5-1 1

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Anästhesiologische Beurteilung des Patienten:Respiratorisches System

Dietrich Henzler

EinleitungDetaillierte Kenntnisse des respiratorischen Systems sind vongrundlegender Bedeutung, um eine maschinelle Beatmungdurchführen zu können. Verständnis für die funktionelle undpathologische Anatomie, Lungenmechanik, Gasaustauschund Zirkulation ist zur Narkoseführung notwendig und trägtzur Vermeidung von Komplikationen bei.

1 Klinische Beurteilung des Patienten

Eine gründliche Anamnese und die klinische Untersuchungsind die wichtigsten Inhalte der Prämedikationsvisite. Diehieraus gewonnenen Erkenntnisse dienen zur Beurteilungder „Narkosefähigkeit“ und können weitere apparativ-technische Untersuchungen bedingen (Abschn. 5.2). DieNarkosefähigkeit definiert sich weniger als gegeben odernicht gegeben, sondern ist die Abwägung des Narkoserisikosgegen den operativen Gewinn. Zu berücksichtigen ist dabei,dass das Narkoserisiko nicht unabhängig vom operativenEingriff beurteilt werden kann, und die Frage, ob die zuneh-mend älteren, multimorbiden Patienten von einem operativenEingriff profitieren, mit dem operativen Partner unter medi-zinischen und ethischen Aspekten (quality of life) diskutiertwerden sollte.

Die respiratorische Anamnese umfasst• Belastbarkeit, Kurzatmigkeit, Orthopnoe (funktio-

nelle Klassifikation I–IV)

(Fortsetzung)

• Erkrankungen der Lunge (z. B. Asthma, COPD,Emphysem, Fibrose, Mukoviszidose, Pneumonie,Tuberkulose, Granulomatose etc.)

• Erkrankungen des Lungengefäßsystems (Z. n.Embolie, pulmonale arterielle/venöse Hypertonie)

• Voroperationen (z. B. Tumorresektion, Lungenvolu-menreduktion, Transplantation)

• Anzeichen für ein Schlaf-Apnoe-Syndrom• Verletzungen (z. B. Kontusion, Pneumothorax)• Schädigungen (z. B. inhalativ, toxisch, Pneumo-

koniose)• Dauermedikation (z. B. β-Mimetika, Kortikoide,

Theophyllin)

Ein deformierter Thorax kann Hinweise auf Beeinträchti-gungen der Atemmechanik geben.

Eine Tachypnoe ist zumeist durch eine respiratorischeInsuffizienz bedingt. Andere Formen von pathologischenAtemmustern (z. B. Kussmaul-Atmung, Cheyne-Stokes-Atmung) weisen auf neurologische Störungen hin.

Die meisten anästhesiologisch relevanten Krankheitsbil-der lassen sich so schon frühzeitig anhand von Leitsympto-men feststellen (Tab. 1).

Obligat ist die Inspektion der oberen Luftwege bei derPrämedikationsvisite, da sich hierdurch schon wertvolleHinweise auf evtl. vorliegende Intubationshindernisse underschwerte Intubationsbedingungen erhalten lassen (Kap.▶ „Intubation bei schwierigem Atemweg“).

Praktisches VorgehenDie Belastbarkeit bietet die zuverlässigste Einschätzung überzu erwartende Schwierigkeiten, d. h. Anstrengungstoleranz(in metabolischen Äquivalenten), die Fähigkeit zur Verrich-tung alltäglicher Arbeiten oder Frequenz des Gebrauchs inha-lativer Bronchodilatatoren geben Auskunft über die aktuelleSituation. Zur Vorhersagbarkeit pulmonaler Komplikationen(Abschn. 5). Zusätzlich kann eine aktuelle Belastungsprüfung

D. Henzler (*)Klinikum Herford, Universitätsklinik für Anästhesiologie, operativeIntensivmedizin, Rettungsmedizin, Schmerztherapie der Ruhr-Universität Bochum, Herford, DeutschlandE-Mail: [email protected]

# Springer-Verlag GmbH Deutschland 2018R. Rossaint et al. (Hrsg.), Die Anästhesiologie, Springer Reference Medizin,https://doi.org/10.1007/978-3-662-45539-5_5-1

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(Treppensteigen, 6-min-walk-Test) hilfreich sein, allerdingsist die Aussagekraft bei kardialer Funktionseinschränkungoder Problemen des Bewegungsapparats nur eingeschränktverwertbar.

Bei der Auskultation der Lunge lassen sich typischeBefunde wie Pneumonie, COPD, Ergussbildung feststellen,die allerdings durch weiterführende Untersuchungen validiertwerden sollten. Pathologische Befunde führen nicht automa-tisch zum Verschieben des Eingriffs, sondern sollten im Hin-blick auf die Dringlichkeit der Operation diskutiert und the-rapiert werden.

2 Funktionelle Anatomie

Anatomisch wird zwischen extrathorakalen und intratho-rakalen, klinisch nach oberen und unteren Luftwegen dif-ferenziert. Funktionell unterscheiden sich die luftleitendenAbschnitte –Nasenhöhlen, Pharynx, Larynx, Trachea, Bron-chien, Bronchiolen und Bronchioli terminales – von dengasaustauschenden Abschnitten – Bronchioli respiratoriiund Alveolen (Abb. 1).

2.1 Oberer Luftweg

Eine Übersicht der anästhesiologisch relevanten Befunde deroberen Luftwege: Tab. 2.

2.1.1 NaseDer obere Luftweg erstreckt sich bis zum Kehlkopf und dientder Reinigung, Anfeuchtung und Erwärmung der Inspirati-onsluft.

NasenhöhlenDie eingeatmete Luft passiert nach Eintritt durch das Vesti-bulum nasi im Cavum die Meatus, welche durch 3 Conchaegebildet werden und die engste Stelle innerhalb der Nasedarstellen. In enger anatomischer Nähe befinden sich die

Nasennebenhöhlen und der Sinus sphenoidalis. Kaudal bil-den harter und weicher Gaumen das Dach des Mundraums.Linke und rechte Seite sind durch die Nasenscheidewandgetrennt (Abb. 1).

" Eine Septumdeviation kann zu Schnarchen, Schlafapnoeund Abflussbehinderung der Nasennebenhöhlen führen,aber auch ein Hindernis bei der Einführung von Beat-mungstubus, Bronchoskop, oder Magensonde darstellen.Vor einer Intervention sollte der Patient daher über Seiten-unterschiede in der Durchgängigkeit und Voroperationenbefragt werden.

Im hinteren Teil münden die Ductus nasolacrimales. JedeNasenhöhle endet mit einem inneren Nasenloch, Choane, dasdie Nasenhöhle mit dem Rachen verbindet.

NasenschleimhautDie Nasenschleimhaut besteht aus Flimmerepithel, dessenZilien koordiniert rachenwärts schlagen, sowie Becherzellenund schleimbildenden Drüsen. Die in der Schleimhaut liegen-den Venen gebenWärme an die Atemluft ab und können durchAnschwellen die Nasenhöhlen verschließen. Zusätzlich wirddie Atemluft mit anderen Substanzen, z. B. Stickstoffmonoxid(NO), einem potenten Vasodilatator, angereichert [9].

" Die Nasenschleimhaut und das weiche Pharynxgewebesind äußerst vulnerabel, bei Irritationen kommt es leichtzu ödematösen Schwellungen und Blutungen.

Vor Manipulationen sollte ein topischer Vasokonstriktor(Nasentropfen, Lokalanästhetikum mit Adrenalinzusatz) ver-abreicht werden und das Instrument gut mit Gleitmittelbenetzt werden. Grundsätzlich besteht die Gefahr, beim Ein-führen von Fremdmaterialien in die Nase in eine via falsa,z. B. Schleimhautfalten oder Einbrüche durch die Schädel-basis bei Verletzungen, zu geraten. Blutungen nach Sondie-rung der Nase sind relativ häufig, weshalb bei Operationenmit Vollheparinisierung (Herz-Lungen-Maschine) eine naso-

Tab. 1 Klinisch-anästhesiologisch relevante Auskultationsbefunde sowie anamnestische Leitsymptome

Leitsymptom Klinisches Korrelat

Ortho-/Ruhe-/Belastungsdyspnoe Pulmonale/kardialeErkrankung

„Happy wheezer“, „pink puffer“, Auswurf COPD

Zyanose Rechts-links-Shunt, schwere Restriktion

Fassthorax, leise Herztöne Emphysem

Verlängertes Exspirium, Giemen, Spastik Asthma, exspiratorische Flussbehinderung bei COPD

Grobblasige Rasselgeräusche Lungenödem, Bronchopneumonie, Sekretretention

Feinblasige Rasselgeräusche, Knisterrasseln Pneumonie, Atelektase

Reibegeräusche Pleuritis

Inspiratorischer Stridor Interstitielles Ödem, Verlegung der oberen Atemwege

Exspiratorischer Stridor COPD, Asthma

Fehlendes Atemgeräusch Pneumothorax, Erguss, Zustand nach Pneumektomie

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gastrale Sonde erst postoperativ eingelegt werden sollte. Istdie Sonde nur perioperativ erforderlich, sollte diese orogas-tral gelegt werden.

Innervation und Gefäßversorgung

Innerviert wird die Nase:• Sensibel durch Fasern aus dem 1. und 2. Ast des

N. trigeminus,• parasympathisch aus dem Ganglion pterygopalatinum,• sympathisch aus dem Karotisgeflecht.

Gefäßversorgung erfolgt durch:• Endäste aus der A. maxillaris,• Aa. ethmoidales aus der A. carotis interna.

2.1.2 Mund- und RachenraumEpipharynxDie Nasenhöhlen münden in den oberen Teil des Rachens,den Epipharynx, der mit dem Flimmerepithel der Nasenhöhleausgekleidet ist. Im Rachendach liegt die Rachenmandel,seitlich mündet beiderseits der Ductus oropharyngealis.

MundhöhleBei der Inspektion der Mundhöhle sind besonders der Zahn-status und die Kieferform (z. B. Prognathie als Intubations-hindernis) zu beachten.

" Einzeln stehende, nicht bissfeste Frontzähne stellen nichtnur ein Intubationshindernis dar, sondern sind durchManipulationen besonders gefährdet. Zahnlücken undgelockerte Zähne müssen deshalb bei der Prämedikationsorgfältig dokumentiert werden.

Oro- und HypopharynxDie Mundhöhle mündet in den mittleren Teil des Rachens,den Oropharynx, der in Höhe des Gaumensegels beginnt undmit der Schleimhaut der Mundhöhle ausgekleidet ist. ImOropharynx kreuzen sich Atem- und Speiseweg.

Der Kehlkopfeingang, Kehlkopf und Recessus piriformisbefinden sich im unteren Teil des Rachens, dem Hypo-pharynx. In Höhe des Ringknorpels geht der Hypopharynxin den Ösophagus über.

2.1.3 LarynxDer Kehlkopf, Larynx, bildet den Eingang in die Trachea, derbeim Schlucken, Würgen und Erbrechen gegen den Rachenverschlossen werden kann. Die inneren Strukturen desLarynx dienen der Lautbildung (Abb. 2).

Beim Schluckakt wird der Kehlkopf reflektorisch nachoben unter die Zunge gezogen, wodurch die Epiglottis aufden Kehlkopfeingang gedrückt wird und diesen ver-schließt [12].

Abb. 1 Schematische Darstellung des Respirationstrakts. (Nach: [27])

Anästhesiologische Beurteilung des Patienten: Respiratorisches System 3

Die Oberseite der Epiglottis und die Stimmlippen sind mitderbem, mehrschichtigem Plattenepithel ausgekleidet, dieUnterseite der Epiglottis mit schwellungsfähigem Flimmer-epithel.

" Beim Neugeborenen überragt die sehr viel weichere undproportional größere Epiglottis noch den Zungengrund,

sodass die Speise seitlich am Kehlkopf vorbei in den Öso-phagus gelangen kann (Trinken und Atmen sind gleichzei-tig möglich). Hierdurch wird u. U. auch die Sicht auf dieGlottis bei der Laryngoskopie behindert (Cave: erschwerteIntubation!).

Tab. 2 Anästhesiologisch relevante Erkrankungen und Befunde der oberen Luftwege

Befund Anästhesiologische Relevanz Diagnostik und Vorgehen

Makroglossie (z. B.Schwellung, Trisomie 21)

Direkte Laryngoskopie häufig schwierig bisunmöglich

Allergieanamnese (Quincke-Ödem?), videoassistierteIntubation bereithalten

Septumdeviation, nasaleTumoren

Erhöhte Verletzungsgefahr bei nasaler Intubation mitBeatmungstubus oder gastrischer Sonde

Anamnese, Durchgängigkeit prüfen, oralen Zugangbevorzugen

Mittelgesichtsfrakturen Perforationsgefahr bei nasaler Intubation Mittelgesichts-CT, Liquorrhö?

SanierungsbedürftigerZahnstatus

Intubationshindernis, Zahnschäden möglich Genaue Dokumentation, ggf. zahnärztliches Konsil undbesonders marode Zähne ziehen lassen

Pharynxtumoren, großeTonsillen (bei Kindern)

Sichtbehinderung und Blutungsgefahr bei derendotrachealen Intubation

HNO-Befund, fiberoptische oder videoassistierteIntubation erwägen

Larynxtumoren Erschwerte Intubation durch Sichtbehinderung undLumeneinengung

HNO-Befund, kleine Tuben bereithalten, ggf.fiberoptische Intubation, Einleitung inTracheotomiebereitschaft

Inspiratorischer Stridor,Heiserkeit

Fremdkörper, partielle Stimmbandparese, evtl.erschwerte Extubation

HNO-Spiegelbefund, postoperative Tracheostomieerwägen

Nachblutung z. B. nachTonsillektomie

Erhebliche Aspirationsgefahr, Blutungsschock Keine Zeit verlieren! Sofortige operative Intervention,Narkoseeinleitung als „rapid sequence induction“ (RSI)

Abb. 2 Larynx. a SchematischeDarstellung. (Nach: [28]), b Blickvon oben auf die Plica vocalis inRespirationsstellung, c beimHustenstoß

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KehlkopfskelettDie einzelnen Teile des Kehlkopfskeletts (Abb. 2) werdendurch die inneren Kehlkopfbänder miteinander verbunden,durch die äußeren Kehlkopfbänder wird der Kehlkopf insge-samt zwischen Zungenbein und Trachea befestigt.

GlottisDie Glottis wird durch die Stimmfalten, die plicae vocales,begrenzt.

Der M. cricothyroideus oder Anticus bewirkt eine Grob-spannung des Stimmbandes und wird als einziger Kehlkopf-muskel vom N. laryngeus superior versorgt.

Als alleiniger Stimmbandöffner wirkt der M. cricoarytae-noideus posterior oder Posticus. Da er, wie die restlichenKehlkopfmuskeln, vom N. laryngeus inferior (aus demN. laryngeus recurrens) versorgt wird, führt eine einseitigeRekurrensparese (z. B. nach Strumaoperation, Tumoren,Bestrahlung) zu Heiserkeit, eine beidseitige zu schwererDyspnoe und fast immer zur Notwendigkeit einer Tracheo-tomie.

Die Mm. cricoarytaenoidei laterales, arytaenoidei trans-versus und obliquus sowie tyroarytaenoideus ermöglichenüber Einstellungsänderungen der Aryknorpel Phonation undVerschluss der Stimmfalte, was für einen effektiven Husten-stoß notwendig ist. Fehlt letzterer, z. B. bei neuromuskulärenStörungen oder bei Restrelaxation nach Allgemeinanästhe-sien, kommt es zu Sekretretention und stiller Aspiration inden Atemwegen mit konsekutiver Pneumonie. Eine reflekto-rische Reizung dieser Muskelgruppe resultiert in einem Glot-tiskrampf, dem Laryngospasmus.

Der M. vocalis schließlich regelt die Feineinstellung unddamit die Frequenzmodulation des Stimmbands.

Jede vorbestehende Heiserkeit muss zur Erfassung rele-vanter Pathologien und aus medikolegalen Gründen abge-klärt werden (HNO-Konsil). Mögliche Ursachen für eineanhaltende Heiserkeit nach Intubation können eine direkteTraumatisierung der Stimmfalte oder eine Luxation der Ary-knorpel sein [7]. Über diese Komplikationsmöglichkeit derIntubationsnarkose muss explizit aufgeklärt werden (Kap.▶ „Akute und chronische Schäden nach Intubation“).

Subglottischer BereichVon klinischer Bedeutung ist das Lig. cricothyroideum oderKonus elasticus, das zwischen Ringknorpel und Schildknorpelausgespannt ist. Es liegt kaudal der Glottis. Die Gefäßversor-gung des Larynx über die Aa. laryngea superior et inferior ausden Aa. thyroidea superior et inferior ist außerordentlich gut.Bei Verletzung der Gefäße durch Punktions- oder Tracheoto-mieversuche können lebensgefährliche Blutungen resultieren.

" Im Notfall („can not intubate, can not ventilate“) und beiVersagen anderer Techniken wird durch die Krikothyroido-tomie oder Koniotomie ein künstlicher Luftweg zur Tra-

chea geschaffen! Die Koniotomie ist aufgrund der einfa-cheren Lokalisierung und geringerer Verletzungsgefahrder Nottracheotomie vorzuziehen.

Lage des KehlkopfsDer Oberrand des Schildknorpels steht beim Erwachsenenmit aufrechter Kopfhaltung in Höhe des 4.–6. Halswirbels,der Unterrand des Ringknorpels am Übergang der Hals- zurBrustwirbelsäule. Beim Neugeborenen liegt der Kehlkopfhöher, ca. 3–4. Halswirbel, unmittelbar unter dem Zungen-bein. Die engste Stelle des oberen Luftwegs ist beim Erwach-senen der Larynx in Höhe der Glottis, beim Neugeborenensubglottisch in Höhe des Ringknorpels. Reizung und Trau-matisierung, z. B. bei wiederholten Intubationsversuchen,können zu Schwellung und Laryngospasmus führen.

Tumoren in Larynx und Pharynx können ein erheblichesIntubationshindernis darstellen: Wucherungen ermöglichenkeine oder nur eingeschränkte Sicht auf die Glottis oderVerlegen den Eingang, vulnerables Tumorgewebe führt beileichtester Berührung zu Blutungen und/oder Larynx oderTrachea sind ummauert mit Lumeneinengung (zum VorgehenKap. ▶ „Anästhesie in der Hals-Nasen-Ohrenheilkunde“).

2.2 Unterer Luftweg

Der untere Luftweg besteht aus Trachea, Bronchien undAlveolen. Die Verzweigungen des Tracheobronchialbaumswerden in Generationen eingeteilt (Tab. 3).

" Da der Gesamtdurchmesser der Tochterzweige größer istals der eines Mutterzweigs vor der Aufteilung, nimmt dieGesamtquerschnittsfläche der Atemwege von der Tracheabis zur Peripherie hin zu und der Atemwegswiderstandab. Die geringste Querschnittsfläche besteht bei der3. Generation (Abb. 5).

2.2.1 TracheaDie Trachea verläuft intrathorakal durch das obere Media-stinum bis zur Bifurkation, die sich in Höhe des 4–5. Brust-wirbels befindet. Hier teilt sich die Trachea in den rechtenund linken Hauptbronchus.

Die Trachea besteht aus 16–20 hufeisenförmigen hyalinenKnorpelspangen, die durch Bandstrukturen verbunden sindund in der Hinterwand bindegewebig und muskulär ver-schlossen werden.

Die membranöse Hinterwand, Pars membranacea, liegtdem Ösophagus an und ermöglicht durch ihre leicht zu iden-tifizierende Längsstreifung die Orientierung in ventral unddorsal bei der Bronchoskopie (Abb. 3).

Anästhesiologische Beurteilung des Patienten: Respiratorisches System 5

3-teilige Wandschichtung• Adventitia, ein lockeres Bindegewebe, ermöglicht

die Verschiebung der Luftröhre bei In- und Exspira-tion gegen die umgebenden Organe

• Tunica fibrocartilaginea setzt sich zusammen aus:– Trachealknorpeln– Ligg. anularia– M. trachealis

Die Längsverspannung der kollagenen und elas-tischen Fasern des Bindegewebes hält die Luftröhreoffen.

• Das respiratorische Epithel besteht aus einem2-reihigen, zilientragenden Flimmerepithel mit se-romukösen Zellen (Becherzellen) sowie vereinzel-ten, endokrinen Zellen (Abb. 4).

Die Schleimhaut ist sehr vulnerabel, bereits geringeDruckschädigungen (z. B. durch Tubuscuff, Tracheotomie)

können zu Nekrosen und Tracheomalazie (Aufweichung dermechanischen Stabilität der Trachealwand) führen. ToxischeSchäden (Inhalationstrauma, Aspiration) und Entzündungenkönnen ödematöse Schwellungen bewirken. Atemmecha-nisch relevante Stenosen können bei narbiger Abheilungentstehen, dies erfordert operative Interventionen (plastisch-rekonstruktive Trachealerweiterung, Stenteinlage). Von au-ßen können im Halsbereich Struma, Zysten oder Tumorenund intrathorakal Mediastinal- und Bronchialtumoren dieTrachea komprimieren.

Innervation und GefäßversorgungDie Gefäßversorgung der Trachea erfolgt über Äste aus derA. thyroidea inferior, die Innervation vom N. vagus über Ästedes N. laryngeus recurrens und direkte Äste.

2.2.2 Lungen und BronchialbaumBindegewebssepten unterteilen die Lungen in Lappen,Segmente, Läppchen und Azini (Tab. 3; Abb. 6). Die linkeLunge ist in Ober- und Unterlappen, die rechte in Ober-,Mittel- und Unterlappen unterteilt. Die bindegewebig mitei-nander verbundenen Strukturen der Lunge werden von derPleura visceralis überzogen. Jede Lunge liegt in einer Pleu-rahöhle und füllt ihren Teil des Brustkorbs vollständig aus.Bronchien, Blutgefäße, Lymphgefäße und Nerven treten imLungenhilus ein und aus.

BronchialbaumAn der Trachealbifurkation ragt ein sagittaler Sporn, dieCarina tracheae, nach oben.

Charakteristika der Hauptbronchien• Die Hauptbronchien sind asymmetrisch ausgeführt,

Wand- und Schleimhautaufbau entsprechen dem derTrachea

(Fortsetzung)Abb. 3 Bronchoskopischer Blick durch die Trachea auf dieBifurkation. (Aus: [2])

Tab. 3 Aufteilung und Dimensionen der Atemwege. (Angaben sind Durchschnittswerte. Nach: [26, 44])

Atemwege Generation Durchmesser [mm] Länge [mm] Summe der Querschnittsfläche [cm2] Zahl

Trachea 0 22–15 120–100 3 1

Hauptbronchien 1 15–10 50–30 2

Lappenbronchien 2 8–7 25–15 <3!! 5

Segmentbronchien 3 6–5 15–10 6 8

Subsegmentbronchien 4 5–4 10–8 10 16

Kleine Bronchien 5–11 4–1 6–3 32–2000

Bronchioli 12–13 1–0,7 3–2 75 4 � 104

Terminale Bronchioli 14–14 0,7 2–1,5 85 16 � 104

Respiratorische Bronchioli 15–18 0,4 1,5–0,9 390 0,3–2,6 � 105

Alveolargänge 19–22 0,3 0,9–0,7 3 � 106

Alveolarsack und Alveolen 23 0,4–0,2 0,7–0,5 100–140 m2 8 � 106

6 D. Henzler

• Linker Hauptbronchus: 4,5–5 cm lang, Durchmes-ser ca. 12,5 mm, Abwinkelung zur Trachea mindes-tens 35�

• Rechter Hauptbronchus: 1–2,5 cm lang, Durchmes-ser ca. 14 mm. Der Winkel zwischen Trachea undBronchus beträgt nur ca. 22�

" Inhalierte Fremdkörper oder ein zu tief eingeführter Tubuserreichen eher den rechten Hauptbronchus.

Zentrale Lymphome u. a. Tumoren können durch ihremediastinale Masse zu noch größeren Abwinkelungen undVerziehungen führen und erfordern ein differenziertes Ein-leitungsregime (Kap. ▶ „Anästhesie in der Thoraxchi-rurgie“).

Aufteilung der Hauptbronchien in den Lungenlappen• Rechts in 3 Lappenbronchien, aus denen insgesamt

10 Segmentbronchien hervorgehen, 1–3 im Ober-lappen, 4–5 im Mittellappen und 6–10 m Unterlap-pen

• Links in 2 Lappenbronchien, aus denen ebenfalls10 Segmentbronchien hervorgehen, 1–5 im Ober-lappen, 6 und 8–10 m Unterlappen (7+8 bilden einSegment; Abb. 6)

" Der Abgang des rechten Oberlappenbronchus ist steil undbereits kurz hinter der Bifurkation lokalisiert, wohingegen derlinke Oberlappenbronchus erst nach ca. 2–3 cm im Haupt-bronchus abzweigt. Ein Doppellumentubus zur seitenge-trennten Ventilation wird meist in den linken Bronchuseingelegt, weil dadurch eine unabsichtliche Obstruktion desOberlappenbronchus anatomisch unwahrscheinlicher ist.(Ein kostenloser, webbasierter Bronchoskopiesimulator derUniversität Toronto ist unter www.thoracic-anesthesia.comabrufbar.)

Jeder Segmentbronchus teilt sich in 2 variable Subseg-mentbronchien. In den Subsegmenten erfolgt die weitere

Abb. 4 Respiratorisches Epithel. (Elektronenmikroskopie). (Aus: [26])

Abb. 5 Darstellung derAtemwege nach Generationen.Blaue KurveAtemwegswiderstand,schwarze KurveGesamtquerschnitt. (Nach: [46])

Anästhesiologische Beurteilung des Patienten: Respiratorisches System 7

dichotome Aufteilung in die kleinen Bronchien, auf dieschließlich die Bronchiolen, die Bronchioli terminalesund Bronchioli respiratorii folgen.

Der Wand- und Schleimhautaufbau in den großen Bron-chien entspricht weitgehend dem in der Trachea. Eine Ver-änderung beginnt allmählich in den Subsegmentbronchien.Die Knorpel werden plättchenförmig, die äußere Tunicaadventitia führt zunehmend elastische Fasern. Die Höhe desrespiratorischen Flimmerepithels nimmt ab. Unter derSchleimhaut befindet sich ein Ringmuskelschlauch aus glat-ter Muskulatur, durch dessen Kontraktion das Lumen derkleinen Bronchien und Bronchiolen verkleinert wird. DieWand der Bronchioli terminales und respiratorii ist knorpel-frei und wird durch elastische Fasern offengehalten.

Erkrankungen des BronchialtraktsDie häufigsten Erkrankungen des Bronchialtrakts sind ent-zündlicher Art. Eine Tracheobronchitis ist meist akut und

äußert sich in trockenem, bellendem Husten und hohemFieber. Bei der eitrigen Bronchitis kommt grün-gelb stin-kender Auswurf hinzu. Chronische Verlaufsformen undRau-cherhusten sind durch eher weißlichen Auswurf, ein alveo-läres Ödem durch klares bis lachsfarbenes, schaumigesSekret gekennzeichnet. Beim Emphysem kann es zurschwallartigen Produktion von Sputum kommen („mundvollSputum“).

" Cave Bei allen akuten Entzündungen ist mit einer Hyper-reagibilität des Bronchialsystems und Bronchospasmuswährend der Narkose zu rechnen.

Bedingt durch die anästhesie- und eingriffsbedingteImmunsuppression ist eine pneumonische Exarzerbationmöglich. Elektiveingriffe sollten daher möglichst verscho-ben werden.

Abb. 6 Der Bronchialbaum aus endoskopischer Sicht. (Nach: Kato H und Kobayashi T; reproduziert mit Genehmigung von Pentax)

8 D. Henzler

Bronchiale Fisteln zu Ösophagus, Trachea und Lunge sindseltene Erkrankungen. Sie gehen mit einer erhöhten Pneumo-nierate einher.

Bronchialkarzinome werden meistens entdeckt und ope-rativ versorgt, bevor sie zu Totalobstruktion, Fistelung oderEinbrüchen von Gefäßen ins Bronchialsystem führen. Dasanästhesiologische Vorgehen wird Kap. ▶ „Anästhesie in derThoraxchirurgie“ beschrieben.

Feinbau der LungeBronchioli terminales und AziniAus den Bronchioli terminales gehen die Endaufzweigungender Lunge, Azini, hervor. Ein Azinus umfasst 2 � 103 bis10 � 103 Alveolen. Die weitere Aufteilung führt über dieBronchioli respiratorii zu den Ductus alveolares, deren Wandaus Alveolen besteht und die im Saccus alveolaris enden. Aneinem Bronchiolus terminalis hängen ca. 200 Alveolen. Diegesamte Oberfläche beider Lungen beträgt bei ca. 300 � 106

Alveolen etwa 100–140 m2, abhängig von Körpergröße,Geschlecht, Alter und Trainingszustand. Im Gegensatz dazubesitzt eine einzelne Blase mit dem gleichen Volumen vonca. 4 l eine Oberfläche von nur 0,01 m2.

Zwischen den Alveolen gibt es Fenestrierungen, dieKohn-Poren, die neben der dichotomen eine kollaterale Ven-tilation ermöglichen. Direkte Verbindungen gibt es auch zwi-schen den kleinen Bronchioli und nebeneinander liegendenAcini (Abb. 7).

AlveolenDie Alveolen besitzen eine eher polyedrische als sphärischeForm, die durch die Oberflächenspannungen an der Luft-Flüssigkeits-Grenze und die elastischen Fasern bedingt sind.Die Wände der Alveolen, die Interalveolarsepten, stellen dieBlut-Luft-Schranke dar, sind nur ca. 0,3–2 μm dünn undbestehen aus den Strukturen Alveolarepithel, Bindegewebs-septum und Kapillarendothel (Abb. 8).

AlveolarepithelDas Alveolarepithel kleidet die Alveolen vollständig aus undwird von 2 Epithelzelltypen gebildet.

Alveolarepithelzelltypen• Alveolarepithelzellen Typ I (Pneumozyten Typ I) sind

kleine und stellenweise bis zu weniger als 0,1 μm dünnePlatten, die der Basallamina aufsitzen. Sie bedecken zu90 % die Oberfläche der Alveolarsepten. Ein Teil derZellfortsätze gelangt durch Löcher der Bindegewebs-schicht auf die andere Seite und bildet dort auch eineEpithelschicht. Die Fortsätze dieser Alveolarepithelzellenbilden interzelluläre Verbindungsstellen mit Verschmel-zung der jeweils äußersten Schichten der Zellmembranen(tight junctions) und stellen auf diese Weise eine Permea-

tionsschranke zwischen Alveolarlumen und interstitiellemRaum dar.

• Alveolarepithelzellen Typ II (Pneumozyten Typ II) sindfortsatzlose Zellen, die vereinzelt zwischen den Typ-I-Zellen liegen. Sie produzieren das Protein Surfactant, dasdie Oberflächenspannung der Lunge herabsetzt unddadurch den exspiratorischen Kollaps der Alveolen undterminalen Bronchien verhindert (Abschn. 4.5). Die Sur-factantbildung erfolgt während der fetalen Lungenreifungab der 35. SSW und ermöglicht die Entfaltung der nochvollständig kollabierten Lunge bei der Geburt. Alveolare-pithelzellen Typ II bilden auch neue Typ-I-Zellen, dieselbst nicht teilungsfähig sind.

Alveoläres KapillarnetzDas lückenlose, einschichtige Endothel des alveolären Kapil-larnetzes reiht sich auf einer Basallamina auf, die teilweisemit derjenigen des Alveolarepithels verschmilzt. Das Kapil-larnetz ist so dicht verwoben, dass das Kapillarbett auch alsvon Pfosten durchbrochener Raum, ähnlich einer Tiefgarage,betrachtet werden kann (Abb. 9).

Weil die Kapillaren extrem dünn und gerade so groß sind,dass die Erythrozyten hindurchpassen (10 μm), können sie

Abb. 7 Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme der Lunge mitAlveolen und einem kleinen Bronchus. Schwarze Flecken in der Alve-olarwand: Kohn-Poren. (Aus: [46])

Anästhesiologische Beurteilung des Patienten: Respiratorisches System 9

leicht beschädigt werden, z. B. bei erhöhten vaskulären Drü-cken oder stark gedehnter Lunge („ventilator induced lunginjury“, VILI). Hierbei kommt es zu ultrastrukturellen Schä-digungen der Gefäßwand mit Übertritt von Plasma und Ery-throzyten in das Interstitium und den Alveolarraum.

AlveolarseptenDas Bindegewebsseptum besteht aus kollagenen und retiku-lären Bindegewebsfasern und einem elastischen Fasernetz,das die Fortsetzung des Fasersystems der Bronchiolenwändeist. Dadurch sind die Alveolarsepten zwischen Bronchial-baum und Lungenoberfläche elastisch aufgespannt. DieseFasern liegen in einer dünnen Schicht von Grundsubstanzzusammen mit Fibroblasten, Makrophagen, Mastzellen undLeukozyten und bilden den interstitiellen Raum.

Erkrankungen im alveolären BereichErkrankungen im alveolären Bereich (Abschn. 4.5) sindimmer mit einer respiratorischen Insuffizienz vergesellschaf-

Eingangsring

AlveoleAlveole

SurfactantSurfactant

Epithelzelle(Typ I)

InterstitiumInterstitiumEndothelEndothel

Makrophage

Kollagen

Fibroblast

KapillarenErythrozytBlutplasma

Alveole

Blutplasma

Kapillare

Erythrozyt

Epithel (Typ I)Interstitium

Endothel

Basallamina

Epithelzelle (Typ II)a b

c

Abb. 8 Alveolarepithel, Kapillare mit Erythrozyten. a Alveolarsepten, b Skizze, c transmissionselektronenmikroskopisches Bild. (Aus: [27])

Abb. 9 Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme der Verbindungvon 3 Alveolarsepten mit Kapillaren. Oberflächenansicht und Anschnitt.(Aus: [26])

10 D. Henzler

tet (Abb. 10; [42]). Abhängig vom Schweregrad besteht dieNotwendigkeit zur maschinellen Beatmung.

Innervation der Lunge Die Lunge ist über efferente Ner-venfasern aus dem sympathischen Grenzstrang, 2., 3. und4. Ganglion des Truncus sympathicus und aus dem parasym-pathischen N. vagus innerviert. Sie bilden zusammen denPlexus pulmonalis. Die Äste des N. vagus führen auch affe-rente Fasern, über die Reize von den Dehnungsrezeptorenaus Trachea, Bronchien, Bronchiolen und Pleura zu denAtemzentren in der Medulla oblongata gelangen [22, 27].

Gefäßversorgung der Lunge Das Gefäßsystem der Lungeund des Bronchialbaums besteht aus den Vasa publica undden Vasa privata (Abschn. 2.2).

Die Vasa publica werden als Lungenkreislauf oder klei-ner Kreislauf bezeichnet und teilen sich in die Pulmonalarte-rien mit ihren Ästen, das alveoläre Kapillarnetz und dieVv. pulmonales.

Die Vasa privata versorgen den überwiegenden Anteildes Bronchialbaums und der Lunge mit den Rr. bronchialesund Vv. bronchiales.

3 Physiologie

3.1 Ventilation

3.1.1 AtemmuskulaturDas Diaphragma ist ein Muskel mit einer Oberfläche bis zu900 cm2 bei Erwachsenen. Seine Fasern können sich bis zu40 % verkürzen. Es leistet mit 75 % den Hauptanteil an derAtemarbeit. Zur Inspiration kontrahiert sich das Diaphragmaund generiert einen Unterdruck durch Tiefertreten umca. 10–12 cm und durch eine Abflachung der Zwerchfelldome.Das Diaphragma wird vom N. phrenicus (C3–5; Merke: „Cthree-four-five, keeps diaphragma alive“) innerviert. Weitereinspiratorische Atemmuskeln sind die M. intercostalesexterni.

" Die Exspiration ist grundsätzlich passiv, unterstützend wir-ken die M. intercostales interni und die Bauchmuskeln.

Als akzessorische Atemhilfsmuskeln fungieren die Mm.scaleni, die Mm. sternocleidomastoidei und Mm. pectoralesmajor et minor. Bei respiratorischer Insuffizienz und COPDist die Funktionalität der Atemhilfsmuskulatur beeinträchtigt,es kommt zu einer Tonisierung der Halsmuskulatur und

Abb. 10 Alveolus. Links Normalzustand, rechts beim akuten Lungenversagen

Anästhesiologische Beurteilung des Patienten: Respiratorisches System 11

„Nasenflügeln“. Die Effektivität der Atemhilfsmuskulaturkann (meist unbewusst) durch ein Aufstützen der Händeverbessert werden, was eine funktionelle Umkehr von Mus-kelursprung und -ansatz bewirkt.

3.1.2 AtemregulationGesteuert wird die Atmung durch das Atemzentrum. Weildieses sehr komplexe System über Informationen von Che-morezeptoren, Mechanorezeptoren und Neurotransmitternmindestens 6 respiratorische Neuronengruppen für In- undExspiration steuert, spricht man auch vom Rhythmusgenera-tor oder „central pattern generator“ (CPG) .

" Die entscheidenden Regelgrößen der Atmung sind diearteriellen Partialdrücke von Kohlensäure (pCO2) und Sau-erstoff (pO2).

Chemorezeptoren in der Medulla oblongata bewirken beieinem Anstieg der Wasserstoffionenkonzentration (metaboli-sche Azidose) oder des pCO2 (respiratorische Azidose) imLiquor eine Steigerung der Ventilation. Ihre Empfindlichkeitist interindividuell unterschiedlich. Die sog. CO2-Antwort-kurve verläuft im Mittelbereich überwiegend linear und kanndurch Medikamente, hormonale Veränderungen und Erkran-kungen verändert sein. Die Steigung der CO2-Antwortkurvehängt dabei von der Sauerstoffspannung ab – je niedrigerder pO2, desto ausgeprägter die Atemantriebsteigerung beiHyperkapnie (Hypoxämie-Booster). Bei chronischer Hyper-kapnie (COPD) ist die CO2-Antwortkurve häufig verscho-ben, so ass die Atemregulation überwiegend über den arteri-ellen pO2 geregelt wird.

Zusätzlich stimulieren periphere Chemorezeptoren,hauptsächlich im Karotissinus befindliche GlomuszellenTyp I, bei CO2-Anstieg und Hypoxämie das Atemzentrum(Abb. 11; [45]).

" Cave Bei Patienten mit COPD kann eine überhöhteO2-Zufuhr (mit entsprechendem Anstieg des paO2) zurAbschwächung des Atemantriebs führen.

Dehnungsrezeptoren in der Lunge und der Atemmusku-latur steuern die Atmungstiefe. Durch negative Rückkopp-lung wird bei übergroßer oder überlanger Einatmung dieAusatmung eingeleitet (Hering-Breuer-Reflex).

3.2 Lungenvolumina

Als Ventilation bezeichnet man das Volumen, welches proZeiteinheit in die Lunge hinein bzw. heraus bewegt wird.

Die folgenden Lungenvolumina sind von klinischerBedeutung: (Abb. 12).

AtemminutenvolumenDas Atemminutenvolumen (MV) ist das pro Minute venti-lierte Volumen und ergibt sich aus Atemzug- oder Tidalvolu-men (VT) und Atemfrequenz (f):

AMV ¼ VT � f

Das Tidalvolumen wird als Integral (oder die Fläche unterder Kurve) der Flusskurve (Flow V) berechnet.

TotalkapazitätDie totale Lungenkapazität (TLC) ist das gesamte Luftvolu-men, welches sich nach einer maximalen Inspiration in derLunge befindet (beim Erwachsenen ca. 6000 ml). Die TLCsetzt sich aus der Vitalkapazität (VC) und dem Residualvo-lumen (RV) zusammen.

Residualvolumen und VitalkapazitätDas Residualvolumen ist die Luftmenge, die auch nach maxi-maler Exspiration in der Lunge verbleibt und nicht abgeatmetwerden kann (ca. 26 % der TLC). Das Residualvolumenverhindert den totalen Lungenkollaps in der Exspiration.Die Vitalkapazität ist die Luftmenge, die durch aktiveAnstrengung maximal bewegt (maximale Exspiration zumaximaler Inspiration) werden kann.

" Im Liegen nimmt die Vitalkapazität im Vergleich zum Ste-hen um etwa 300 ml ab.

Abb. 11 Die Ventilation wird abhängig vom pO2 mit steigendem pCO2

aktiviert

12 D. Henzler

Funktionelle ResidualkapazitätDie funktionelle Residualkapazität (FRC) ist das Volumen,welches bei Atemruhelage (normale Exspiration) in derLunge verbleibt, also die Summe aus Residualvolumen undexspiratorischem Reservevolumen (ERV). Beim gesunden,spontan atmenden Individuum entspricht die FRC etwa50 % der totalen Lungenkapazität und ergibt sich aus dengegensätzlich wirkenden elastischen Rückstellkräften vonLunge und Thoraxwand.

Die FRC wirkt als Puffer und vermindert Schwankungender alveolären und arteriellen O2- und CO2-Partialdrückewährend des Atmungszyklus (Sprechen, Luftanhalten). Eineverminderte FRC bedeutet daher immer eine verminderteToleranz gegenüber verlängerten Atempausen, wie etwa vorder endotrachealen Intubation.

Unter Normalbedingungen beim gesunden Erwachsenenbeträgt die FRC ca. 3000 ml. Bei vollständiger Denitrogeni-sierung durch adäquate Präoxygenierung und einem O2-Ver-brauch von ca. 300 ml/min werden daher etwa 10 min Apnoeohne Sättigungsabfall vom Patienten toleriert.

" In Rückenlage kommt es zu einer Verminderung der FRCum etwa 20 % im Vergleich zur stehenden oder sitzendenPosition.

" Obstruktive Lungenerkrankungen erhöhen, restriktiveLungenerkrankungen verkleinern das Residualvolumen(und damit die FRC). Die verminderte FRC bei Säuglingenund Schwangeren bedingt den raschen Sättigungsabfallbei Hypoventilation.

Das Residualvolumen (und damit FRC und TLC) kannnicht mittels Spirometrie, sondern nur mit Körperplethysmo-graphie oder mit Fremdgasverdünnungsmethoden (z. B.Stickstoff, Helium, SF 6) bestimmt werden.

Closing CapacityDie Verschlusskapazität („closing capacity“, CC) entsprichtdem Lungenvolumen, bei welchem es während der Exspira-

tion zu beginnendem Alveolarkollaps und Atelektasenbil-dung kommt.

" Die CC steigt mit dem Alter an und übersteigt in liegenderPosition mit ca. 44 Jahren, in aufrechter mit ca. 66 Jahren,die FRC. Das bedeutet, dass es bei normaler Atmung inAtemmittellage mit zunehmenden Alter vermehrt zumendexspiratorischen Alveolarkollaps und damit zu einerErniedrigung des arteriellen pO2 kommt (erhöhter Shunt,Abschn. 3.3).

Messung der GasvoluminaEntsprechend der Gasgesetze ist das Volumen eines Gasesvon den Umgebungsbedingungen abhängig, die daher bei derMessung angegeben und berücksichtigt werden müssen:

• ATPS= „ambient temperature pressure saturated“: Übli-che Messbedingungen im Beatmungsgerät mit Umge-bungsluftdruck, -temperatur und -feuchtigkeit.

• BTPS= „body temperature ambients pressure saturated“:Messbedingungen in den Luftwegen unter Körpertemperaturund -feuchtigkeit (d. h. größeres Volumen als bei ATPS).

• STPD= „standard temperature pressure dry“: Gasvolu-mina im Blut werden in Standardbedingungen (0 �C, tro-ckenes Gas) ausgedrückt (z. B. O2-Aufnahme _VO2).

Zur Umrechnung siehe z. B. [38], vereinfacht gilt zurUmrechnung eines beliebigen Volumens V [18]:

ATPS zu BTPS : V � 1,09

ATPS zu STPD : V � 0,89

BTPS zu STPD : V � 0,81

Beispiel 1 Ein über 1 min aufgefangenes Exspirationsvolu-men AMV von 5 l (ATPS) entspricht einem AMVBTPS von5,45 l.

3.2.1 VentilationAlveoläre VentilationAls alveoläre Ventilation wird der Teil des Minutenvolumensbezeichnet, der am Gasaustausch teilnimmt und keine Tot-raumventilation darstellt:

AMVA ¼ f � VT � VDð ÞTotraumventilationDie Totraumventilation (VD) stellt den Anteil der Ventilationdar, der nicht am Gasaustausch teilnimmt. Hierzu gehörender anatomische Totraum (ca. 2 ml/kgKG) in den luftleiten-den Atemwegen, und der alvoläre Totraum, der durch dieVentilation nichtperfundierter Gebiete entsteht (Abschn. 3.4).

Abb. 12 Statische Lungenvolumina. Normalwerte Erwachsene

Anästhesiologische Beurteilung des Patienten: Respiratorisches System 13

Der anatomische Totraum ist überwiegend konstant und vari-iert lediglich gering mit Veränderungen im Bronchialmuskel-tonus und der Kopfposition.

Der physiologische Totraum als Summe von alveoläremund anatomischem Totraum ist ein funktionelles Maß. Erkann mit der nach Enghoff modifizierten Bohr-Gleichungbestimmt werden:

VD

VT

¼ pACO2 � pECO2

paCO2

VD

VTAnteil der Totraumventilation an der Gesamtventilation

paCO2 alveolärer CO2-Partialdruck

PECO2 gemischt-exspiratorischer CO2-Partialdruck, wobei bei zu100 % befeuchteter Atemluft gilt:

PECO2 ¼ pB � pH2O

� �� FECO2

(Dalton-Gesetz, Abschn. 3.3).

pB Barometerdruck (= Umgebungsluft)

pH2OWassserdampfdruck (47 mmHg bei 37 �C)

FECO2 CO2-Fraktion in der Exspirationsluft (= CO2-Konzentration)

Unter Normalbedingungen sind alveolärer und arteriellerCO2-Partialdruck gleich, dann gilt:

" Dieses bezeichnet man als den physiologischen Totraum-anteil am Atemvolumen. Er beträgt beim Gesunden20–35 %.

Für die Berechnung des pECO2 wird der mittlere (ge-mischt-exspiratorische) CO2-Partialdruck verwendet, undnicht der endexspiratorische pCO2, wie er von Kapnometernangegeben wird.

Beispiel 2 Ein gesunder Proband atmet bei Umgebungsluftca. 4,5 % CO2 ab und hat einen paCO2 von 41 mmHg.Der pECO2 errechnet sich aus (760 mmHg – 47 mmHg)� 0,045 = 32 mmHg,

somit ist

VD

VT

¼ 41� 32 mmHG

41 mmHg¼ 0,22 oder 22%:

Bei einem Patienten mit akuter Lungenembolie erklärensich ein paCO2 von 60 mmHg und 4,0 % CO2 in der Expira-tionsluft durch den Totraum von:

60� 713� 0,04ð Þ60

¼ 0,53 ¼ 53%!

Verteilung der VentilationDie Ventilation verteilt sich in der Lunge in Abhängigkeitvon Körperlage, Dehnbarkeit der Kompartimente und demInspirationsfluss.

" Beim spontanatmenden Gesunden besteht ein vertikalerGradient zu Gunsten der abhängigen (d. h. unten liegen-den) Kompartimente [44]. In aufrechter Position bedeutetdas, dass mehr Ventilation in die unteren Lungenab-schnitte gelangt (Abb. 13).

Bei höherem Inspirationsfluss (>1,5 l/s) kommt es zueiner Umverteilung der Ventilation mit Bevorzugung deroben liegenden Abschnitte [26]. In aufrechter Position undin Rückenlage erhält die rechte Lunge (53 %) etwas mehr alsdie linke Lunge.

In Seitenlage, insbesondere bei anästhesierten und beat-meten Patienten, wird die oben liegende Lunge deutlich mehrventiliert (bis zu 80 % der Ventilation bei thorakotomiertenPatienten; [26, 34]). Ursache sind regionale Unterschiede inder Compliance des respiratorischen Systems (Abschn. 3.5),welche durch Beeinflussung des Ventilations-Perfusions-Ver-hältnisses erhebliche Auswirkungen auf den Gasaustausch(Abschn. 3.3) haben.

Abb. 13 Verteilung der Ventilation pro Einheit Lungenvolumen inAbhängigkeit von Körperposition und Inspirationsfluss

14 D. Henzler

3.3 Gasaustausch

3.3.1 GrundlagenIn den Alveolen mischt sich die eingeatmete Luft mit demdort verbliebenen Restgas der vorherigen Atmungszyklen.O2 wird aufgenommen und CO2 abgegeben.

DiffusionDas pro Zeiteinheit durch ein Gewebe diffundierte Volumeneines Gases ΔVGas wird durch das Fick-Diffusionsgesetzbeschrieben:

ΔVGas ¼ A

d� D� p1 � p2ð Þ

A Fläche des Gewebestücks

d Dicke des Gewebestücks

D Diffusionskonstante

p1–p2 Partialdruckdifferenz

Die Diffusionskonstante ist spezifisch für jedes Gas undGewebe und direkt proportional zur Löslichkeit des Gases.

" Da CO2 bei etwa gleichem Molekulargewicht ca. 24-mallöslicher als O2 ist, diffundiert es ca. 20-mal schneller durchdie Alveolarwand.

Diffusion ist ein passiver Vorgang entlang eines Konzen-trations- oder Partialdruckgradienten.

PartialdruckNach dem Gesetz von Dalton richtet sich der Partialdruckeines Gases in einem Gasgemisch nach seinem fraktionellenAnteil am Gasgemisch und dem Gesamtdruck des Gasgemi-sches, in dem es sich befindet:

px ¼ p� Fx trockene Gaseð Þ,wobei px der Partialdruck eines Gases und Fx der fraktionelleAnteil am Gesamtvolumen (= Konzentration) ist. Unter phy-siologischen Bedingungen (wasserdampfgesättigt) gilt:

px ¼ pB � pH2O

� �� Fx

pB Umgebungsdruck (760 mmHg auf Meereshöhe)

pH2O Wasserdampfdruck (47 mmHg bei 37 �C)

Beispiel 3 In Berlin beträgt unter Normalbedingungen derO2-Partialdruck in der Inspirationsluft in den Atemwegen(BTPS) piO2= (760 mmHg –47mmHg)� 0,209= 149 mmHg

Näherungsformel für den klinischen Gebrauch:

piO2 ¼ FiO2 %ð Þ � 7

GasaustauschrateDie Gasaustauschrate ist also proportional zu der Partial-druckdifferenz und umgekehrt proportional zur Gewebedick-de zwischen Alveolarluft und den Kapillaren. Wenn Gas undPlasma im Gleichgewicht miteinander stehen, dann müssteder Partialdruck eines Gases in der endkapillären Lungen-strombahn dem in der Alveole gleich sein. Idealerweise wäredamit der alveoläre gleich dem arteriellen pO2.

" Unter Raumluft besteht auch bei Lungengesunden eineDifferenz von etwa 5–10 mmHg, bei Älteren bis zu30 mmHg zwischen dem alveolären und arteriellen pO2.

" Die als pA-aO2 oder Aa_DO2 bezeichnete alveolo-arterielle

pO2-Differenz dient zur Abschätzung der Leistungsfähig-keit des Gasaustauschapparats und wird daher häufig fürklinische Morbiditätsscoringsysteme verwendet (z. B.SAPS, APACHE II).

pA�aO2 ¼ pAO2 � paO2

Zur Berechnung benötigt man den alveolären O2-Partial-druck pAO2, der mittels der alveolären Gasgleichung be-stimmt werden kann:

pAO2 ¼ piO2 � pACO2

Rþ pACO2 � FiO2 � 1� R

R

� �

DerAusdruck [ ]

ist ein vernachlässigbar kleiner Korrekturfaktor(ca. 2 mmHg), der für den klinischen Gebrauchunerheblich ist.

R oder RQ =VCO2

VO2

bezeichnet den respiratorischen Quotienten, der dasVerhältnis zwischen CO2-Abgabe und O2-Aufnahmedarstellt.

Bezogen auf Standardbedingungen STPD beträgt dieO2-Aufnahme (VO2) eines Erwachsenen in Ruhe 250–300 mlO2/min, die CO2-Abgabe (VCO2) ca. 230 ml/min. Hierausergibt sich ein RQ von ca. 0,85, d. h. es wird mehr Sauerstoffins Blut aufgenommen als CO2 abgeatmet wird.

Der RQ ist 1 bei reiner Kohlenhydratverbrennung, 0,8 beiProteinverbrennung und 0,7 bei Fettverbrennung.

Als weitere Näherung kann aufgrund der schnellen Equi-librierung der pACO2 dem paCO2 gleichgesetzt werden:

Anästhesiologische Beurteilung des Patienten: Respiratorisches System 15

pAO2 ¼ piO2 � paCO2

0,85

und somit:

pA�aO2 ¼ piO2 � pACO2

0,85

� �� paO2

¼ pB � pH2O

� �� FiO2 � paCO2

0,85

� �� paO2

Beispiel 4 Der Proband aus Beispiel 3 mit paCO2= 40 mmHgund paO2= 95 mmHg hätte demnach einen pAO2 von149 mmHg–40 mmHg/0,85 = 102 mmHg und eine pA-aO2= 7 mmHg.

" Der absolute Wert der pA-aO2 hängt von der inspiratori-schen O2-Konzentration ab.

Der normale Gradient von 5–10 mmHg unter Raumluftsteigt mit der FiO2 aufgrund zunehmender Resorptionsate-lektasen auf 50–70 mmHg beim Lungengesunden an. Beikonstantem Metabolismus, respiratorischer Austauschrateund vorgegebener inspiratorischer O2-Konzentration be-stimmt die alveoläre Ventilation den pAO2. Umgekehrt lässtsich bei bekannter pA-aO2 der zu erwartende paO2 berechnennach paO2 = pAO2 � pA-aO2.

" Ein durch Hypoventilation bedingter Anstieg des paCO2

(>75 mmHg), z. B. im Aufwachraum, bewirkt eine Hypoxie(paO2 <60 mmHg) unter Atmung von Raumluft, aber nichtbei erhöhter inspiratorischer O2-Konzentration.

Beispiel 5 Berechnung A) bei Raumluft: FiO2 = 0,21,paCO2 = 80 mmHg, pA-aO2 = 5 mmHg: Es ergibt sichpiO2 = 713 � 0,209 = 149 mmHg, pAO2 = 149–80/0,85 = 55 mmHg, damit ist der zu erwartendepaO2 = 55–5 = 50 mmHg.

Berechnung B) unter O2-Gabe und FiO2= 0,5 ergibt einenpiO2 = 713 � 0,5 = 356 mmHg, pAO2 = 356–80/0,85 = 262 mmHg, damit wäre der zu erwartendepaO2 = 262–50 = 212 mmHg.

3.3.2 Klinische AnwendungAtmung in großen HöhenDer Luftdruck hat direkten Einfluss auf den pAO2. So beträgtz. B. in Denver (ca. 1600 m üNN) wegen des erniedrigten ba-rometrischen Drucks der piO2 (650–47 mmHg)� 0,209= 126mmHg, bei den höchsten permanenten menschlichen Siedlun-gen in ca. 6000 m Höhe (pB = 370 mmHg) 67 mmHg und aufdem Mt. Everest (Höhe 8848 m, pB = 250 mmHg) nur43 mmHg. Das bedeutet, dass ca. 80 % Sauerstoff nötig sind,

um auf dem Mt. Everest einen piO2 wie auf Meereshöhesicherzustellen (Abb. 14; [16]).

Beispiel 6 Passagierflugzeuge fliegen üblicherweise in35.000 Fuß (= 10.700 m) Höhe. Bei einem atmosphärischenDruck von 178 mmHg betrüge der piO2 für die Passagiere nur(178–47) � 0,209 = 27 mmHg, entsprechend einer inspira-torischen O2-Konzentration von 3,8 % auf Meereshöhe – einehypoxische Mischung. Daher wird der Kabinendruck erhöht,bei einem A 320 z. B. auf 607 mmHg entsprechend einer sog.„Kabinenhöhe“ von 1830 m, was den piO2 auf 117 mmHganhebt und einer FiO2 von 16,5 % auf Meereshöhe gleichkommt.

Die Adaptation in großen Höhen erfolgt hauptsächlichdurch Hyperventilation, was eine Absenkung des pACO2

und dadurch Steigerung des paCO2 bewirkt. Darüber hinaussteigt der Hämatokrit, wodurch die O2-Transportkapazitätansteigt – ein von Sportlern gern genutztes, legales Mittelzur Leistungssteigerung (sog. Höhentraining).

Hyperbare OxygenierungAus der alveolären Gasgleichung ergibt sich ebenfalls dermaximal erreichbare paO2 im Blut, bei 100 % Sauerstoffat-mung, nämlich:

Eine weitere Steigerung zu therapeutischen Zwecken istnur möglich durch Erhöhung des atmosphärischen Drucks,was in speziellen Druckkammern erreicht werden kann(hyperbare Oxygenierung). Bei 3 atm Druck (entsprechend20m Tauchtiefe) werden so O2-Partialdrücke bis 2025 mmHgerreicht.

3.3.3 BlutgasanalyseDie O2-Aufnahme wird überwiegend durch den pulmonalenBlutfluss und weniger durch die O2-Diffusion bestimmt.

Abb. 14 Einfluss des Luftdrucks auf den O2-Partialdruck in Inspirati-ons- und Alveolarluft bei verschiedenen Höhen. O2-Konzentration ent-spricht derjenigen auf Meereshöhe

16 D. Henzler

" Die O2-Diffussionskapazität DLO2kann durch Ventilations-Perfusions-Störungen, eine ausgeprägte Beschädigungder alveolokapillären Membran oder eine sehr kurze kapil-läre Verweildauer beeinträchtigt werden. Daraus ergibtsich, dass körperliche Belastung, die mit einer Steigerungdes Herzzeitvolumens einhergeht, insbesondere bei Beein-trächtigung der DLO2 zur Störung der O2-Aufnahme undZyanose führt.

Physikalisch gelöster SauerstoffNach dem Gasgesetz von Henry ist die Menge eines ge-lösten Gases proportional zu seinem Partialdruck. Für Sauer-stoff sind 0,003 ml O2/100 ml Blut pro mmHg pO2 gelöst, beieinem paO2 von 100 mmHg entsprechend 3 ml O2/l Blut. Beieinem Herzzeitvolumen von 6 l/min ergeben sich 6 � 3 = 18ml O2, die pro Minute ins Gewebe transportiert würden. Daallerdings schon in Ruhe ca. 200–300 ml O2, währendAnstrengung bis zum 10-fachen, benötigt werden, ist klar,dass es noch einen anderen Mechanismus zum O2-Transportgeben muss.

Gebundener SauerstoffDer Sauerstoff wird im Blut überwiegend an Hämoglobin(Hb) gebunden transportiert. Ein g Hb kann theoretisch1,39 ml O2 binden (Hüfner-Zahl, andere Angaben mit1,34–1,36 berücksichtigen das Vorhandensein von Met-Hbund CO-Hb).

" Der O2-Gehalt des Bluts ist hauptsächlich von der Mengeund dem Anteil oxygenierten Hämoglobins (Oxyhämoglo-bin, HB-O2) abhängig.

Die Menge des gebundenen Sauerstoffs berechnet sichnach Hb � SO2 � 1,39, die Konzentration im Blut (cO2)aus gebundenem plus gelöstem Sauerstoff, mithin

cO2 ¼ Hb� SO2 � 1,39ð Þþ pO2 � 0,003ð Þ ml O2 pro 100 ml Blut:

SauerstoffbindungskurveDie charakteristische, sigmoide O2-Bindungskurve zeigt dieAbhängigkeit der O2-Sättigung (SaO2) vom paO2.

Der flache Kurvenverlauf im Bereich arterieller pO2-Werte von 70–100 mmHg bewirkt, dass die Sättigung auchbei einem Abfall des pO2 um 20–30 mmHg nur geringfügigabnimmt.

Trotz geringer arteriovenöser O2-Gehaltsdifferenz (avDO2

ca. 5 ml O2/100 ml Blut) besteht eine große Differenzzwischen gemischt-venösen und alvelären O2-Partialdrücke.Dies fördert die schnelle pulmonale Aufnahme von Sauer-stoff.

Durch den steilen Verlauf im mittleren Teil der O2-Bin-dungskurve wird in den Geweben die O2-Abgabe durchAbnahme der O2-Sättigung erleichtert, ohne dass der paO2

gleichermaßen stark sinkt. Ein relativ hoher paO2 im Bereichder Kapillaren ist günstig, da dadurch die O2-Partial-druckdifferenz (pO2 Kapillare-Gewebezelle-Mitochondrien:40–20–2 mmHg) aufrechterhalten wird. Diese erleichtert dieDiffusion von Sauerstoff in die Zellen.

Eine Rechtsverschiebung der O2-Bindungskurve bedeu-tet, dass die Affinität des Sauerstoffs für Hämoglobin redu-ziert ist, d. h. Sauerstoff kann leichter abgegeben werden.Eine Linksverschiebung hingegen erhöht die O2-Affinität.Sauerstoff kann im Gewebe schlechter abgegeben werden.

" Als Maß für eine Lageveränderung der O2-Bindungskurvedient der p50- oder Halbsättigungswert. Der p50 ist derPartialdruck, bei dem das Hb zu 50 % gesättigt ist. Erbeträgt bei adultem Hb ca. 26,6 mmHg.

Modifikatoren der O2-Bindungskurve• Rechtsverschiebung der O2-Bindungskurve durch

pCO2-Anstieg und/oder pH-Abfall über einen ver-mehrten intraerythrozytären H+-Ionen-Anfall

• Die Reduktion des Hämoglobins durch die Bindungder Wasserstoffionen setzt die O2-Affinität des Hbherab (Bohr-Effekt)

• Metabolische Alkalose und erniedrigter pCO2 (Hy-perventilation) führen zu einer Linksverschiebung(erhöhte O2-Affinität)

• 2,3-Diphosphoglycerat (2,3-DPG) fällt bei der an-aeroben Glykolyse im Erythrozytenstoffwechselan. Es setzt die Affinität des Hämoglobins für Sau-erstoff besonders stark herab, indem es sich an dieβ-Ketten anlagert und den Sauerstoff verdrängt. Die2,3-DPG-Produktion ist bei chronischer Hypoxie,z. B. bei Aufenthalten in großer Höhe, und beichronischen Lungenkrankheiten gesteigert. Die al-kalosebedingte Linksverschiebung der O2-Bin-dungskurve kann durch den nachfolgenden Anstiegder 2,3-DPG-Konzentration und die damit verbun-dene Rechtsverschiebung ausgeglichen werden. Fürdiese Kompensation sind ca. 24 h nötig. Die klini-sche Bedeutung dieses Phänomens ist bislangunklar

• Temperaturerhöhung bewirkt eine Rechtsverschie-bung

Anästhesiologische Beurteilung des Patienten: Respiratorisches System 17

" Ein arbeitender Muskel ist sauer, hyperkapnisch und heißund profitiert von einer verbesserten O2-Abgabe (Rechts-verschiebung).

3.4 Perfusion

3.4.1 Pulmonaler BlutflussDas Gefäßsystem der Lunge und des Bronchialbaums bestehtaus den Vasa publica und den Vasa privata (Abschn. 2.2).

" Die zwischen A. pulmonalis (Vasa publica) und Rr. bron-chiales (Vasa privata) bestehen Anastomosen bilden einenanatomischen Rechts-links-Shunt. Das sog. Shuntvolumenist der Anteil am Herzzeitvolumen (HZV), der nicht amGasaustausch teilnimmt.

Der Gefäßwiderstand in der Lungenstrombahn ist wesent-lich niedriger als im systemischen Kreislauf, daher beträgt beigleichem Blutfluss (HZV) der mittlere pulmonale Druck nurca. 1/10 des mittleren systemischen Drucks. Geregelt wirdder Blutfluss durch den vaskulären Widerstand, der sichgenerell nach ΔP/Q berechnet.

Für den Lungenkreislauf wird berechnet:

PVR ¼ MPAP� PCWP

CO� 80 dyn s� cm�5

� �

PVR pulmonary vascular resistance

MPAP mean pulmonary artery pressure

PCWP pulmonary capillary wedge pressure

CO cardiac output

80 Umrechnungsfaktor von der SI-Einheit [mmHg/min]

3.4.2 Regelung der LungendurchblutungPulmonaler BlutflussDer pulmonalvaskuläre Widerstand (PVR) gibt nur eineglobale Auskunft über das gesamte Gefäßbett der Lunge.Tatsächlich existieren regional verschiedene Widerständenebeneinander, die mit unterschiedlichen Füllungszuständender Gefäße korrelieren. Es bestehen daher auch immer nichtperfundierte, d. h. verschlossene Gefäße. Bei erhaltenerAutoregulation ist der pulmonale Gefäßwiderstand konstant,d. h. kardial bedingte Druck- und Volumenschwankungen inder pulmonalen Strombahn werden sowohl durch Eröffnungdieser Abschnitte (Rekrutierung) als auch durch Aufwei-tung bereits offener Abschnitte (Distension) aufgefangen.

LungenvolumenDer PVR wird durch das Gasvolumen der Lunge beeinflusstund ist am niedrigsten, wenn das Lungenvolumen der FRC

entspricht. Durch weitere Volumenzunahme (Inspiration)kommt es zu einer Dehnung der Alveolen, einer Verringe-rung der Kapillardurchmesser und damit zu einem exponen-tiellen Anstieg des PVR. Dieser Mechanismus führt beiErkrankungen mit chronisch erhöhtem Alveolardruck, z. B.Überblähung bei COPD, zu einer chronischen Erhöhung desPVR und pulmonaler Hypertonie.

Regionale VerteilungAbhängig vom hydrostatischen Druck gibt es in aufrechterPosition einen Druckgradienten von apikal nach basal [46, 47].

" Nach dem klassischen Model von West wird die Lunge in3 Zonen eingeteilt (Abb. 15). Von besonderer klinischerBedeutung ist dieser Mechanismus beim Auftreten vonVentilations-Perfusions-Störungen (s. unten).

Neuere Konzepte auf der Basis hochauflösender Perfusi-onsmessungen legen die Annahme einer fraktalen Durchblu-tung der Lunge zugrunde. Die von Mandelbrot 1983 einge-führte fraktale Geometrie der Natur, also selbstwiederholendeStruktur in immer kleineren Dimensionen, lässt sich auch aufdas Geäst der pulmonalen Gefäße anwenden – mit Variatio-nen der Perfusion an jeder Bifurkation und damit jederDimension [16]. Ein so hochkomplexes Modell der Hetero-genität der Durchblutung hat eine weniger lineare Korrelationzwischen Schwerkraftgradient und Perfusion dargestellt [24].

So konnte auch in Zone 1 nach West eine Durchblutunggemessen werden, und teilweise stellte sich eine vermindertePerfusion in den abhängigen Partien der Lunge dar. DieserEffekt war nach experimenteller Induktion eines Lungenver-sagens reversibel und die Verteilung der Perfusion entsprachden vorhergesagten Werten anhand des West-Modells [23].

Physiologische ReflexeDer Euler-Liljestrand-Reflex (hypoxische pulmonale Vaso-konstriktion = HPV) bewirkt eine Drosselung der Durchblu-tung in hypoxischen, d. h. schlecht oder nicht ventiliertenBereichen, wodurch der Blutfluss in besser ventilierte Berei-che umverteilt wird.

Die HPV ist ein protektiver Mechanismus beim Ausfallgroßer, nichtventilierter Bereiche, z. B. bei pneumonischerKonsolidierung, Atelektasen oder der Ein-Lungen-Ventilation.

Pharmakochemische RegulationDer pulmonale Gefäßtonus unterliegt einer Reihe von körper-eigenen Hormonen (Tab. 4). Die Wirkung wird über Endo-thel oder Gefäßmuskeln vermittelt. Therapeutisch lassen sicheinige dieser Substanzen zur Senkung des PVR einsetzen.Besonders geeignet sind inhalierbare Substanzen, die pulmo-nalvaskulär wirken aber nur eine geringe systemische Wir-kung besitzen (z. B. NO, Prostazyklin; Kap. ▶ „KardiogeneKreislaufinsuffizienz“; [11]).

18 D. Henzler

3.5 Ventilations-Perfusions-Verhältnis

3.5.1 GrundlagenDie Verweildauer eines Erythrozyten im alveolären Kapillar-bett (kapilläre Transitzeit) beträgt normalerweise ca. 0,75 s.Wird das HZV gesteigert, verkürzt sich die Transitzeit auf biszu 300 ms. Ist die Diffusionskapazität der alveokapillärenMembran normal, reicht das für eine vollständige Äquilibrie-rung zwischen alveolärem und endkapillärem pO2. Im idea-len Lungenmodell müsste daher der arterielle dem alveolärenpO2 entsprechen. Allerdings ist ein Teil des HZV, die Shunt-fraktion, nicht am Gasaustausch beteiligt, und die Beimi-schung von gemischt-venösem Blut senkt den arteriellenpO2 ab. Das Ausmaß des Shunts ist für die Schwere derOxygenierungsstörung verantwortlich.

Die venöse Beimischung ist Ausdruck des physiologi-schen Shunts, der sich aus einem anatomischen und einemfunktionellen Shuntanteil zusammensetzt. Der anatomischeShunt entsteht durch direkte Recht-links-Verbindungen unterUmgehung des Lungenkreislaufs (s. o.). Dazu zählen physio-logischerweise die Vv. bronchiales und Vv. thebesii, die dasBlut aus den Koronargefäßen direkt in den linken Vorhofdrainieren. Pathophysiologisch führen intrapulmonale arte-riovenöse Fisteln und intrakardiale Septumdefekte ebenfalls

zu einer Erhöhung des Shunts und damit zu einer Oxyge-nierungsstörung (zyanotisches Herzvitium).

" Der funktionelle Shunt bezeichnet den Anteil des HZV, derauf kapillärer Ebene durch nichtventilierte Lungenarealefließt. Je höher der Shunt, desto ausgeprägter das Ventila-tions-Perfusions-(V A/Q )-Missverhältnis.

Berechnung des Shunts

Wenn _Qt der Gesamtblutfluss (= HZV), _Qc der kapilläre und_Qs der Shuntfluss ist, dann gilt:

_Qc þ _Qs ¼ _Qt

Analog zur Bohr-Gleichung (Berechnung des Totraums,s. o.) legt die Shunt-Gleichung zugrunde, dass die transpor-tierte Menge Sauerstoff pro Minute im arteriellen Blut gleichder Summe der transportierten Mengen an Sauerstoff inKapillarblut und Shunt ist (Abb. 16). Da die transportierteMenge Sauerstoff pro Minute das Produkt aus O2-Gehalt undBlutfluss ist, gilt

Abb. 15 Aufteilung der Lungein 3 Zonen nach West. Zone 1:pA > pa > pv, kein Fluss. Zone 2:pa > pA > pv, flussabhängig vonarterioalveoläremDruckunterschied. Zone 3:pa > pv > pA größter Fluss,abhängig von pa – pv

Tab. 4 Effekte verschiedener Substanzen auf den pulmonalen Gefässtonus. (Nach: [10, 26])

Vasodilatation Variabel Vasokonstriktion

Adrenalin Noradrenalin Dopamin

Acetylcholin Endothelin Angiotensin

Histamin Adenosin Thromboxan

Bradykinin ATP

Vasopressin

Prostazyklin

Stickstoffmonoxid (= EDRF)

Anästhesiologische Beurteilung des Patienten: Respiratorisches System 19

CcO2 � _Qc þ CvO2 � _Qs ¼ CaO2 � _Qt

oder durch Umformen:

_Qs

_Qt

¼ CcO2 � CaO2

CcO2 � CvO2

_Qs/ _Qt bezeichnet den Anteil des Shuntvolumens am HZV,welcher beim Gesunden ca. 3–5 % beträgt. (C bezeichnet denO2-Gehalt, zur Berechnung Abschn. 3.3). Da der kapillärepcO2 klinisch nicht leicht gemessen werden kann, wird deralveoläre pAO2 in die Formel zur Berechnung des CcO2

eingesetzt und die ScO2 100 % gleichgesetzt. Das Ergebnis

wird um so genauer, desto höher die inspiratorische O2-Kon-zentration ist. Daher gilt als Näherung für den klinischenGebrauch bei einer FiO2 von 1,0 oder paO2 >150 mmHgdie Formel:

_Qs

_Qt

¼ Hb� 1,39þ paO2 � 0,003ð Þ � Hb� 1,39� SaO2 þ paO2 � 0, 003ð ÞHb� 1,39þ paO2 � 0,003ð Þ � Hb� 1,39� SvO2 þ pvO2 � 0, 003ð Þ

Zur klinischen Abschätzung des Shunts eignen sich Nor-mogramme (z. B. nach Nunn [26]; Abb. 17), oder als Nähe-rungsformel:

_Qs

_Qt

%ð Þ ¼ pA�aO2

20

Die Zunahme des pA-aO2 mit steigender inspiratorischerO2-Konzentration beruht auf der Bildung von Resorptions-

atelektasen und dadurch Zunahme des _Qs/ _Qt.

3.5.2 Ventilations-Perfusions-StörungenIn einem idealen Lungenmodell wäre das Verhältnis zwi-schen Ventilation und Perfusion ( _VA= _Q) 1,0. Aufgrund deroben beschriebenen Mechanismen ist das Gesamtverhältnisauch beim Gesunden nur ca. 0,93.

Ventilations-Perfusions-Gleichung:

Abb. 16 Schematische Darstellung der pulmonalen Ventilation undPerfusion. VA alveoläre Ventilation, VD Totraumventilation, Qt Herz-Zeit-Volumen, Qc kapillärer Blutfluss, Qs Shunt

Abb. 17 Shuntnormogramm.(Nach: [3])

20 D. Henzler

_Va_Q¼ 8, 63RCaO2 � CvO2

pACO2

R respiratorischer Quotient

" Es gibt regional stark unterschiedliche Werte, die von_VA= _Q= 0 (Shunt) bis _VA= _Q= unendlich (Totraum) reichen.Die Verteilung entspricht bei Gesunden einer Normalver-teilung (Abb. 18).

Der Hauptanteil von Ventilation und Perfusion befindetsich rund um 1, d. h. überwiegend bei einem ausgeglichenen_VA= _Q-Verhältnis. Die Abweichungen ergeben sich durch dieunterschiedlichen Gradienten bei der Verteilung der Ventila-tion und Perfusion von apikal nach basal.

Besonders ausgeprägt ist das _VA= _Q-Mißverhältnis beimARDS. Dabei kommt es in den untenliegenden, den sog.abhängigen Lungenabschnitten mit Zunahme des hydro-statischen Drucks zu einer Minderbelüftung bis hin zu Ate-lektasen. Die obenliegenden, nichtabhängigen Abschnittewerden stärker ventiliert, es kommt also zu einer Umvertei-lung der Ventilation von unten nach oben [33]. Die weiterhinvermehrt durch die abhängigen Abschnitte geleitete Durch-blutung bewirkt einen erhöhten Shuntanteil (Abb. 19). Inden nichtabhängigen Abschnitten hingegen werden die gut-ventilierten Alveolen kaum oder gar nicht perfundiert (Tot-raumventilation). Im Extremfall haben Ventilation und Per-fusion ihre Maxima bei unterschiedlichen Werten, sodasseine 2-gipfelige Kurve entsteht (Abb. 18; [33]).

" Das Ventilations-Perfusions-Missverhältnis ist der Haupt-mechanismus für die schwere Oxygenierungsstörungbeim ARDS, die daher auch durch Erhöhung der FiO2 nurkaum verbessert werden kann.

3.6 Atemmechanik

3.6.1 Lungendehnbarkeit und elastischeRetraktionskräfte

ElastanceUnter Spontanatmung wird bei der Inspiration durch die Ver-größerung des Thoraxraumes eine Druckdifferenz (ΔP) zwi-schen Alveolarraum und Umgebungsluft erzeugt. UnterBeatmung wird dieses ΔP, klinisch auch als „driving pres-sure“ bezeichnet, durch positiven Beatmungsdruck erzeugt.Die Exspiration hingegen erfolgt passiv durch die elastischenRetraktionskräfte von Lunge und Thorax (Abb. 20). DieElastance bezeichnet den Druckunterschied, der notwendigist, eine bestimmte Volumenänderung zu bewirken, also:

E ¼ ΔPΔV

Aufgeteilt für die elastischen Kräfte von Lunge (EL) undThoraxwand (EW) ergibt sich für die Elastance des respirato-rischen Systems (ERS):

ERS ¼ EL þ EW

Abb. 18 Verteilung von Ventilation V und Perfusion Q. a Messungmittels multipler inerter Gaseliminationstechnik (MIGET) bei einemgesunden Probanden, schwarz Ventilation, blau Perfusion, b Abhängig-keit der VA= Q von der Lungenregion. (Nach: [46]). c Wie a bei einemPatienten mit ARDS. Shunt = 35 %, Totraumventilation 45 %. Beachtedie Doppelgipfel mit Verlagerung der Ventilation in schlechter perfun-dierte Bereiche und Verlagerung der Perfusion in schlechter ventilierteBereiche

Anästhesiologische Beurteilung des Patienten: Respiratorisches System 21

Transpulmonaler und transmuraler DruckBei der Spontanatmung generieren Zwerchfell und Thorax-wand einen subatmosphärischen Druck im Pleuraspalt ppl, deraufgrund des Gewichts der Lunge basal weniger negativ ist alsapikal. Da ppl klinisch nicht gemessen werden kann, wirdstattdessen der Ösophagusdruck poes ermittelt, der im unterenDrittel dem Druck im Pleuraspalt entspricht. Der Atem-wegsdruck paw ist der Druck in der Trachea. Er entspricht beiSpontanatmung und offener Glottis dem Atmosphärendruck,bei Beatmung dem inspiratorischen Plateaudruck (Kap.▶ „Lungenphysiologie und Beatmung in Narkose“).

" Der transpulmonale Druck pTP stellt die Druckdifferenzzwischen Trachea und Pleura dar und ist der effektiv trei-bende Druck bei der Atmung. Neuere Studien legen nahe,

dass bei der Beatmung von Patienten mit ARDS der pTP zurOptimierung der Beatmungsparameter hilfreich ist. Es gilt:

pTP ¼ paw � ppl

Beispiel 7 Spontanatmung ptp = 0 – (–5) = 5 cmH2O. Über-druckbeatmung (IPPV) ptp = 25 – 0 = 25 cmH2O.

Der transmurale Druck ptm ist die Druckdifferenz zwi-schen dem Druck im Pleuraspalt und dem Atmosphärendruckund spiegelt die Retraktionskraft des Thorax wider.

In Atemruhelage ist die Summe aus transpulmonalem undtransmuralem Druck 0, d. h. die Retraktionskraft der Lunge

Abb. 19 Theoretisches Modelleiner Lunge mit 3 repräsentativenVA= Q-Verhältnissen und dendaraus resultierendenPartialdrücken. Blau: Beispiel füreinen Patienten mit einemShuntanteil von 35 % (ohneBerücksichtigung der gestörtenCO2-Elimination)

Abb. 20 Druckdifferenzen undKräfte (Pfeile) am Thorax. pBUmgebungsdruck, pplPleuradruck, poesÖsophagusdruck, pawAtemwegsdruck

22 D. Henzler

wird durch die Retraktionskraft des Thorax kompensiert(Abb. 20).

Compliance

" Klinisch wird häufig der reziproke Wert der Elastance, dieDehnbarkeit oder Compliance: C = 1/E angegeben. Jebesser die Dehnbarkeit des respiratorischen Systems,desto leichter, d. h. mit weniger Druckaufwand, lässt sicheine Volumenänderung erreichen.

Analog gilt:

C ¼ ΔVΔP

und1

CRS¼ 1

CLþ 1

CW

Die in der Physiologie gebräuchliche SI-Einheit l/kPa hatsich in der Klinik nicht durchgesetzt, stattdessen werdenml/cmH2O verwendet, wobei 1 cmH2O � 1 mbar. Umrech-nungsfaktor: 1 l/kPa � 100 ml/mbar.

Die Compliance des respiratorischen Systems (CRS)beträgt bei Erwachsenen normalerweise 85–100 ml/cmH2O;die Thoraxwandcompliance CW (Norm: 200–250 ml/cmH2O)ist dabei wesentlich höher als die Lungencompliance CL

(Norm: 150–200 ml/cmH2O). Das heißt, bestimmend für dieDehnbarkeit des respiratorischen Systems und damit für dennotwendigen Kraftaufwand bei der Inspiration ist hauptsäch-lich die Lunge; die Compliance der Thoraxwand ist vernach-lässigbar, es sei denn, dass sie durch pathologische Verände-rungen stark abnimmt.

Sowohl Veränderungen der Lungendehnbarkeit (Pneu-monie, ARDS, Fibrose, Erguss), als auch der Thoraxwandcom-pliance (Sepsis, erhöhter intraperitonealer Druck, Skoliose)führen zu Veränderungen der Lungenmechanik mit unter-schiedlichen therapeutischen Konsequenzen [32].

Oberflächenspannung

" Die elastischen Retraktionskräfte der Lunge beruhen nichtprimär auf der Kraft der gedehnten elastischen Fasern,sondern auf der Oberflächenspannung an der Grenz-schicht Gas–Flüssigkeit.

Die Grenzfläche hat das Bestreben, sich zu verkleinern(energetisch günstigster Zustand). Der Druck ist daher inner-halb der Gasblase größer als außerhalb. Alveolen verhaltensich in dieser Hinsicht ähnlich wie Bläschen. Die Druckver-hältnisse in einer Gasblase werden durch das Laplace-Gesetz beschrieben:

p ¼ 2σr

p Druck in kPa

σ Oberflächenspannung in dyn�cm–1

r Radius in cm

Demnach ist der Druck in einer Gasblase direkt proporti-onal zur Oberflächenspannung und umgekehrt proportionalzu seinem Radius. Bei 2 verschieden großen, nebeneinanderliegenden Alveolen, wird sich die kleinere in die größereentleeren und somit zum Totalkollaps der kleineren Alveoleführen (Abb. 21).

Der Kollaps wird nur durch Surfactant verhindert, einekomplexe Mischung aus Lipiden und Proteinen (Abschn. 3.7).Bei Abnahme des Durchmessers steigt reduziert die Zahl derSurfactantmoleküle pro Flächeneinheit und die Oberflächen-spannung sinkt. Wie effektiv Surfactant wirkt, wird an 2 Bei-spielen deutlich:

a

b

Abb. 21 Abhängigkeit des interalveolären Druckausgleichs von derOberflächenspannung. a ohne Anwesenheit von Surfactant, b mit Sur-factant, die Oberflächenspannung sinkt mit abnehmendem Radius (Pfeil):Richtung des Druckausgleichs = Luftfluss (Erläuterung Beispiel 9)

Anästhesiologische Beurteilung des Patienten: Respiratorisches System 23

Beispiel 8 Um einem Luftballon mit 500 ml Luft aufzubla-sen, benötigt man einen Druck von ca. 30 mbar. Es sindjedoch nur ca. 2–3 mbar nötig, um das gleiche Volumen ineine isolierte Lunge zu applizieren.

Beispiel 9 Abb. 21, [26]) In 2 nebeneinanderliegenden Alve-olen x und y, und dem Radius rx = 0,1 und ry = 0,05 undeiner σ = 20 dyn/cm würde nach dem Gesetz von LaPlaceder Druck px = 2 � 20/0,1 = 0,4 kPa = 4 mbar, undpy = 2 � 20/0,05 = 0,8 kPa = 8 mbar betragen. Es kämealso zu einer Entleerung der kleinen in die große Alveole.Durch Surfactant wird die Oberflächenspannung s auf einViertel reduziert, der py fällt auf 2�5/0,05=0,2kPa=2mbar.Damit findet ein Fluss von der größeren zur kleinerenAlveole statt.

Die Oberflächenspannung ändert sich mit dem Lungenvo-lumen. Bei Inspiration nimmt mit zunehmender Oberflächedie Dichte der Surfactantmoleküle ab und die Oberflächen-spannung steigt. Bei Exspiration sinkt die Oberflächenspan-nung, da die Surfactantmoleküle dichter zusammenrücken.Bei Verkleinerung der Oberfläche wird Surfactant unter dieOberfläche gebracht und bildet kleine Mizellen. Bei spätererInspiration ermöglicht die Vergrößerung der Oberfläche, dassdie Mizellen an die Oberfläche gelangen.

3.6.2 GasflussAtemwegswiderstand/ResistanceWenn Gas durch eine Röhre fließt, entsteht eine Druckdiffe-renz zwischen den Enden, die von Flussmuster und -geschwin-digkeit abhängig ist.

" Den Widerstand, der dem Fluss damit entgegenwirkt,bezeichnet man als Resistance.

Der Widerstand wird für laminare Strömungen nach demHagen-Poiseuille-Gesetz bestimmt:

Fluss V ¼ Δpπr4

8η� L

η dynamische Viskosität

L Länge der Röhre

Analog zum Ohm-Gesetz bei elektrischen Widerständen(U = R � I $ R = U/I) gilt für die Resistance R:

R ¼ Δp

V

$ R ¼ 8η� L

πr4mbar=l� s�1

" Eine Halbierung des Durchmessers hat daher eine 16-fache Er-höhung der Resistance zur Folge.

Je geringer die Viskosität eines Gases, desto geringer dieResistance.

Laminare und turbulente StrömungIst der Fluss laminar, steigt der Widerstand linear mit demFluss. Bei turbulentem Fluss steigt der Widerstand exponen-tiell. Die gasspezifische Reynolds-Zahl beschreibt das Ver-hältnis von Durchmesser und Gasfluss und beziffert, ob derFluss überwiegend laminar oder turbulent ist.

Re ¼ DVp

μ

D Durchmesser

V Velocity

p Dichte

μ Viskosität

Bei Re <2.000 ist der Fluss überwiegend laminar.Therapeutisch wird dies durch die Anwendung von

Heliox genutzt, einem Helium-Sauerstoff-Gemisch mit einerniedrigen Dichte im Vergleich zu Luft-Sauerstoff. Der Flussist dadurch überwiegend laminar, wodurch einerseits dieResistance gesenkt, und andererseits Partikel (z. B. verne-belte Mikrotropfen bronchospasmolytisch wirksamer Sub-stanzen) besser transportiert werden.

Verteilung des AtemwegswiderstandsDer größte Teil des Atemwegswiderstands fällt in den oberenLuftwegen und in den ersten 6 Generationen des Tra-cheobronchialbaums mit einem Durchmesser von >2 mman (überwiegend turbulenter Fluss), bei Nasenatmung verur-sacht der Nasen-/Epipharynxbereich den größten Wider-stand. Bei Luftatmung wird mit der weiteren Aufzweigungder Fluss zunehmend laminar, wodurch der Wiederstandgesenkt und die Ventilation bis in die Alveolaren erleichtertwird (Abb. 5).

" Der Atemwegswiderstand der Lunge ist vom Lungenvolu-men abhängig und nimmt mit zunehmendem Volumen ab.

Zur Inspiration muss also noch ein zusätzlicher, dieResistance überwindender Druck aufgebracht werden. Vonklinischer Bedeutung ist das bei der Bestimmung von Druck-Volumen-Beziehungen und bei der Beatmungstherapie.

FlusslimitierungDurch die anatomischen Eigenschaften der Atemwegswider-stände ergibt sich auch beim Gesunden eine exspiratorischeFlusslimitierung, d. h., auch eine Erhöhung des exspiratori-schen Drucks führt nicht zu einer weiteren Steigerung des

24 D. Henzler

Ausatemflusses. Sobald ein kritischer Wert erreicht wird, istder resultierende Atemwegswiderstand so hoch, dass derintrathorakale Druck zur Überwindung des Widerstandszum Kollaps des Atemwegs führt. Dies ist ein exspiratori-sches Phänomen, welches durch Kompression der Bronchiolivon außen hervorgerufen wird.

Demgegenüber besteht in der Regel kein Problem wäh-rend der Inspiration, da dann der Druck innerhalb der Atem-wege erhöht ist und diese dadurch aufhält.

Diese Flusslimitierung wird klinisch insbesondere beiVerengung der kleinen Atemwege (Bronchokonstriktion beiCOPD) relevant. Klinisch imponiert die Bronchokonstriktionmit verlängertem Exspirium, um bei verringertem Exspira-tionsfluss die vollständige Ausatmung zu ermöglichen.

3.6.3 Druck-Volumen-BeziehungenSpontanatmungIn Atemruhelage wirken die Retraktionskraft der Lunge unddes Thorax entgegengesetzt, wodurch ein Unterdruck imPleuraspalt entsteht.

Zum Blähen der Lunge ist eine Druckdifferenz zwischenAlveolar- und Pleuradruck nötig. Aktive Muskelkraft wirktauf das entspannte respiratorische System. Die auswärtsgerichtete Kraft der Inspirationsmuskeln auf der einen unddie Retraktionskraft der Lunge auf der andern Seite bewirkeneinen verstärkt negativen Pleuradruck und verursachen einennegativen alveolären Druck. Dadurch strömt Luft entlang desDruckgradienten in die Lunge bis die Retraktionskräfte vonLunge und Thorax die Muskelkraft aufwiegen. Der Alveo-lardruck ist zu diesem Zeitpunkt 0.

Die normale Exspiration beginnt durch Relaxation derInspirationsmuskeln. Die positive Retraktionskraft des respi-ratorischen Systems führt dazu, dass der Alveolardruck denAtmosphärendruck übersteigt. Daraus resultiert solange einexspiratorischer Gasfluss, bis der Alveolardruck gleich demAtmosphärendruck ist ([19]; Abb. 22).

BeatmungUnter Beatmung kehrt sich der Kurvenverlauf um, mit zu-nächst positivem Druckanstieg.

" Die Steigung des Anstiegs (Dp/DV) repräsentiert bei nied-rigem Gasfluss (<9 /min) die statische Compliance Cstat. ImGegensatz zur dynamischen Compliance Cdyn spielt hier-bei die Resistance als Einflussgröße keine Rolle.

Messmethoden und Interpretation: Kap. ▶ „Kardiozirku-latorisches und respiratorisches Monitoring“.

3.6.4 Mechanische Störungen der AtmungJede Veränderung der mechanischen Eigenschaften der Tho-rakoabdominalwand hat durch Veränderung der Thorax-

wandcompliance (CW) Einfluss auf die Atemmechanik undden Gasaustausch.

Instabiler ThoraxEin instabiler Thorax kann nach Rippenserienfrakturen („flailchest“), Sternektomie oder bei Rachitis auftreten. Einer In-spirationsbemühung der Atmungsmuskulatur kann die Tho-raxwand dabei nur ungenügend Druck entgegensetzen. Wäh-rend der Inspiration kommt es zu thorakalen Einziehungen,während der Exspiration zu Vorwölbungen des Abdomens.Dieses Phänomen wird als paradoxe oder Schaukelatmungbezeichnet (Atembewegung „schaukelt“ zwischen Thoraxund Abdomen) und geht mit respiratorischer Insuffizienzeinher.

VernarbungenDurch Rippenserienfrakturen, Osteomalazien, Verknöche-rungen der Rippengelenke und großflächiger Narbenbildungder Haut, z. B. nach Verbrennungen, kann die Thoraxrigiditäterhöht und die Compliance vermindert sein.

Skoliose und KyphoseBei der Skoliose ist die Wirbelsäule zumeist nach rechtslateral mit begleitender Rotation der Wirbelkörper ver-krümmt. Sie kann idiopathisch (Inzidenz 4/1000) oder durch

a

b

Abb. 22 Druck-Volumen-Beziehung unter a Spontanatmung (im Uhr-zeigersinn) b mechanischer Ventilation (gegen den Uhrzeigersinn) Cdyn

dynamische Compliance

Anästhesiologische Beurteilung des Patienten: Respiratorisches System 25

neuromuskuläre Erkrankungen (Meningomyelozele, Polio-myelitis, zentrale Lähmungen oder muskuläre Dystrophie,multiple Sklerose) bedingt sein.

Osteoporotisch bedingte Wirbelfrakturen und Sinterungenkönnen die thorakale Kyphose grotesk verstärken (Rippen-buckel), wodurch die Rippenbewegung eingeschränkt wird.Es entsteht eine relative Fixation des Thorax in Inspirations-stellung. Das Zwerchfell steht hoch und seine Beweglichkeitist eingeschränkt. Restriktive Lungenerkrankungen und pul-monalarterielle Hypertension bis hin zum Cor pulmonalesind unbehandelt die häufigste Todesursache von Patientenmit schwerer Kyphoskoliose.

Erhöhung des intraabdominellen DruckesAdipositas, Schwangerschaft und andere Erhöhungen desintraabdominellen Drucks (laparoskopische Operationen,abdominelles Kompartmentsyndrom) behindern die Zwerch-fellexkursion, führen zu einer Versteifung der Thoraxwand,zu einer Abnahme aller Lungenvolumina, zu einer erhöhtenResitance und zu einer Verminderung der totalen Com-pliance. Entsprechend ist die mechanische Atemarbeit umein Mehrfaches (3- bis 5-fach) erhöht [20].

3.6.5 Muskuläre und neurogene AtemstörungenMyasthenia gravisObwohl bei der Myasthenia gravis primär nur die durchHirnnerven innervierte Muskulatur betroffen ist (Faciesmyasthenica, Ptosis), kann es bei weiterer Ausdehnung aufrespiratorische Muskelgruppen zu einer respiratorischenInsuffizienz kommen (Kap. ▶ „Anästhesie bei Patienten mitMyasthenia gravis“). Wichtigster Parameter für die präopera-tive Einschätzung ist die Erschöpfungszeit bei körperlicherAnstrengung.

MyopathienViele verschiedene Myopathien, z. B. Muskeldystrophie,Kearns-Sayre-Syndrom, „central core disease“, ATP-Defizit-Syndrom u. a. gehen mit einer muskulären Schwächeeinher. Während der Durchführung der Anästhesie stehen inder Regel Komplikationen des Herz-Kreislauf-Systems odereine Neigung zur malignen Hyperthermie im Vordergrund.

Neurogene StörungenVerschiedenste neurogene Störungen können Partiallähmun-gen bis hin zur kompletten Parese der Atemmuskulatur ver-ursachen.

Inflammatorisch-immunologische Prozesse, z. B.Guillain-Barre-Syndrom (GBS), amyotrophe Lateralsklerose (ALS)oder multiple Sklerose, verursachen eine aufsteigende Atem-

lähmung, die sich innerhalb von Stunden (GBS) oder Jahren(ALS) entwickeln kann.

Ein akuter hoher Querschnitt ist durch HWS-Trauma,degenerative HWS-Erkrankungen oder den Spinalkanal kom-primierende Tumoren möglich.

BeimM. Parkinson liegen degenerative Veränderungen imBereich der Basalganglien mit einer Reduktion von dopami-nergen Neuronen vor, welches zum Überwiegen der zentralencholinergen Aktivität führt (Akinesie, Rigor und Tremor beimextrapyramidal-motorischem Syndrom und motorische Funk-tionsstörungen).

Bei allen akuten Ereignissen ist die künstliche Beatmungangezeigt, bei chronischen Verlaufsformen sind häufig dieAnlage eines Tracheostomas und intermittierende Über-druckbeatmung (CPAP) erforderlich. Grund hierfür sind dieSchleimretention bei mangelndem Hustenstoß, die Atelekta-senbildung mit erhöhtem Shunt und die Pneumoniegefahr beichronischer Hypoventilation.

Einen Sonderfall stellt die „critical illness polyneuropa-thie“ (CIP) dar, die bei langzeitbeatmeten Patienten – insbe-sondere nach schweren septischen Verläufen – auftretenkann. Sie geht mit einer globalen muskulären Schwächeeinher. Es handelt sich hierbei nicht um ein einheitlichesKrankheitsbild. Als Ursachen werden u. a. eine chronischeErschöpfung der Muskeln („fatigue“), eine Verminderung dermotorischen Endplatten in der quergestreiften Muskulatur,axonale Schädigung der Nerven und eine generelle Muskel-atrophie diskutiert [21].

PoliomyelitisAufgrund der breiten Impfprophylaxe ist die Poliomyelitisheutzutage in den Industrieländern eine Rarität. Die Poliovi-ren wirken zytotoxisch auf die motorischen Vorderhornneu-rone und verursachen eine schlaffe Lähmung.

" Mechanische, muskuläre und neurologische Beeinträchti-gungen der Atemmechanik stellen keine Kontraindikationzur Durchführung einer Narkose dar. Durch den Einsatzvon modernen, kurzwirksamen Anästhetika und den Ver-zicht auf Muskelrelaxanzien können die meisten Eingriffeohne größere Beeinträchtigung der postoperativen Atem-funktion durchgeführt werden. Bei Eingriffen mit erhöh-tem Risiko für pulmonale Komplikationen (Abschn. 5.1) istdie Indikation zur postoperativen Intensivtherapie groß-zügig zu stellen. Limitierend wirkt nicht nur verminderteMuskelkraft der Atempumpe, sondern auch die gestörteHustenmechanik und Schleimretention mit erhöhtemAspirations- und Pneumonierisiko.

26 D. Henzler

3.7 Nichtventilatorische Eigenschaften derLunge

3.7.1 SurfactantsystemSurfactant ist eine komplexe Mischung aus Phospholipidenund Proteinen und wird in den Typ-II-Alveolarzellen gebil-det. Palmitoyl-Phosphatidylcholine bilden den Großteil derLipidfraktion. Es gibt 4 surfactantassoziierte Proteine (SP),SP-A, B, C, D.

" Während die Lipide hauptsächlich für die oben besproche-nen mechanischen Eigenschaften des Surfactants verant-wortlich sind, vermitteln die Proteine zusätzlich stabilisie-rende, antiinfektive und antiinflammatorische Wirkungen(Tab. 5).

Unspezifisch wirkt Surfactant antimikrobiell, antiviral(SP-A) und auch antioxidativ gegen das Lungengewebeschädigende Sauerstoffradikale (ROS). Bei der spezifischenAbwehr wirken SP-A und SP-D chemotaktisch auf Alveolar-makrophagen und stimulieren die Produktion inflammatori-scher Mediatoren. Noch nicht geklärt ist, ob SP-A durchspezifische Rezeptoren direkt eine Komplementaktivierungverursachen kann [14].

SubstitutionstherapieDie Substitutionstherapie ist mit synthetischem und natür-lichem Surfactant möglich. Nachteil der bislang verfügbarensynthetischen Surfactantpräparationen ist, dass diese nichtoder mit nur einem der SP angereichert sind und dadurchschlechtere biophysikalische Eigenschaften haben.

Während beim neonatalen ARDS (acute respiratorydistress syndrome) des unreifen Frühgeborenen eine eindeu-tige Indikation zur prophylaktischen und therapeutischen Gabevon Surfactant besteht [36], sind Indikation, Dosierung undApplikationsweg für andere pulmonale Erkrankungen strittig.Beim ARDS kommt es nicht nur zu einer Verminderung desalveolären Surfactantgehalts, sondern auch zu einer Alterationder Surfactantstruktur, mit Beeinträchtigung der mechanischenWirkung und reduziertem Proteingehalt. Obwohl die Substitu-tionsbehandlung in kleineren Studien zu einer signifikantenVerbesserung der Oxygenierung geführt hat, konnte in multi-zentrischen Studien jedoch bislang keine Verbesserung derÜberlebenswahrscheinlichkeit gezeigt werden [6].

3.7.2 Reinigende und zytochemischeEigenschaften

Die Lunge ist kontinuierlich Kleinstfremdkörpern und infek-tiösem Material ausgesetzt, sodass sie über eine Reihe vonAbwehrmechanismen verfügt.

Abwehrmechanismen der Lunge• Filtration: Große Partikel werden physikalisch

durch die Härchen und Mukosaauskleidung derNase filtriert

• Nies- und Hustenreflexe, welche Fremdpartikeldurch explosionsartig ansteigende Atemwegsdrückesowie die resultierende Luftströmung herausbeför-dern

• Mukoziliäre Reinigung: Kleinere inhalierte Parti-kel werden von einer dünnen, mukösen Schichtumschlossen. Rhythmische Flimmerbewegung derepithelialen Ziliarkörper entfernen sie aus demrespiratorischen Trakt. Inhalierte Toxine (Zigaret-tenrauch) oder Anästhetika können die Zilien para-lysieren

• T-Zellen produzieren proinflammatorische Peptide(Interleukine, γ-Interferon und den Tumornekrose-faktor TNFα), die zu einer Vermehrung zytotoxi-scher Lymphozyten und Rekrutierung zytotoxischerLymphozyten führen

• B-Lymphozyten sezernieren IgG und IgA in denLuftwegen

• Makrophagen und polymorphkernige Neutro-phile (PMN‘s) phagozytieren Partikel und Mikroor-ganismen in den terminalen Luftwegen und Alveoli.Für die pulmonale Abwehr wichtige zytotoxischeSubstanzen werden sezerniert, besonders Proteasen(sog. ROS „reactive oxygen species“; „respiratoryburst“)

3.7.3 Enzymatische FunktionenZahlreiche Substanzen werden bei Passage durch die Lungeaktiviert oder in der Lunge gespeichert und bei Bedarf frei-gesetzt (Tab. 6).

Tab. 5 Eigenschaften des Surfactant

Mechanische Eigenschaften Sonstige Eigenschaften

Herabsetzung der Oberflächenspannung in den Alveolen Unspezifische Abwehr

Verhinderung von Kollaps und Atelektase Antioxidative Funktion

Stabilisierung des Lungenvolumens Antibakterielle und Antivirale Wirkung

Reduktion des pulmonalen Shunts Barriere für Pathogene

Intraalveoläre Flüssigkeitsclearance Chemotaxis, Opsonierung

Anästhesiologische Beurteilung des Patienten: Respiratorisches System 27

Enzymsysteme• Gerinnungssystem: Reichlich Plasminaktivator im

pulmonalen Gefäßendothel und Heparin bewirkenrasche Fibrinolyse und Antikoagulation (wichtigerMechanismus bei der Auflösung ständig auftreten-der Mikrothrombembolien)

• Angiotensin-Converting-Enzyme, ACE: ObwohlACE frei im Plasma vorhanden ist, erfolgt ein Groß-teil der Konversion des Angiotensins in der Lunge

• Arachidonsäuremetabolismus: Die Lunge ist einwichtiger Ort für Synthese, Metabolisierung undUmsatz von Arachidonsäuremetaboliten im Cyclo-oxygenaseweg (Prostaglandine, Thromboxan) undLipooxygenaseweg (Leukotriene).

3.7.4 BlutfiltrationDie pulmonalen Gefäße verhalten sich in der Blutzirkulationals Filter. Der Durchmesser der Pulmonalkapillaren beträgtca. 8 μm. Sie filtern größere Partikel bzw. verlangsamenderen Passage durch die Lunge. Kleinere Koagel werdendurch das fibrinolytische System aufgelöst.

" Cave Die genaue Filtergröße ist nicht bekannt, es könnenaber auch größere Blasen bei Fett- oder Luftembolie inden systemischen Kreislauf gelangen, ohne dass ein intra-kardialer Shunt besteht.

4 Respiratorische Erkrankungen

Der folgende Absatz befasst sich pathophysiologisch mit nar-koserelevanten Problemen der häufigsten Atemwegserkran-kungen. Für das Vorgehen bei Allgemeinanästhesien Kap.▶ „Anästhesie bei Patienten mit Lungenerkrankungen: Grund-lagen“, Kap. ▶ „Anästhesie bei Patienten mit COPD“,Kap. ▶ „Anästhesie bei Patienten mit restriktiven Lungener-krankungen“, Kap. ▶ „Anästhesie bei Patienten mit Cor pul-monale““, Kap. ▶ „Anästhesie bei Patienten mit Asthmabronchiale“, Kap. ▶ „Anästhesie bei Patienten mit Schlaf-apnoesyndrom“, Kap.▶ „Anästhesie bei Patienten mit allergi-scher Diathese sowie zur Intensivbehandlung“, Kap.▶ „Respiratorische Insuffizienz“ und Kap.▶ „Maschinelle Be-atmung und Weaning“.

4.1 Obstruktive Erkrankungen

4.1.1 Asthma bronchialeHistorisch wurde dieser Begriff mit allen Arten von rezidi-vierender Atemnot assoziiert. Heute bezeichnet er eine gene-tisch bedingte entzündliche Erkrankung des Bronchialbaums,die mit Hyperreagibilität und Bronchialobstruktion einher-geht. Die Inzidenz ist nach neuesten Erhebungen weltweitsteigend, bei regional unterschiedlicher Prävalenz. Die Erst-manifestation ist überwiegend vor dem 10. Lebensjahr undbetrifft derzeit zwischen 10–20 % der Gesamtbevölke-rung [31].

Anfälle können durch Allergene, Medikamente (nichtste-roidale Antiphlogistika) oder körperliche Anstrengung aus-gelöst werden. Auf zellulärer Ebene kommt es nach Trig-gerung zu einer Aktivierung von T-Lymphozyten, die zuDegranulation von Mastzellen und Eosinophilen mit derFreisetzung der bronchokonstriktorischen Substanzen Hista-min und Leukotrienen führt. Die genaue Anamnese zu abge-laufenen Exarzerbationen und Anfallshäufigkeit ist beson-ders wichtig, da im symptomfreien Intervall eine normaleLungenfunktion besteht. Im Anfall sind die Patientenschwerst beeinträchtigt, neben in- und v. a. exspiratorischemStridor bestehen häufig bis zur Panik reichende Angstzustände.

Kap. ▶ „Anästhesie bei Patienten mit Asthma bron-chiale“.

4.1.2 Chronisch obstruktive Lungenerkrankung(COPD)

Im Gegensatz zum Asthma ist die COPD eine chronischprogressive Erkrankung mit persistierender Flusslimitierungund intermittierenden, meist infektbedingten, Exarzerbationen.

Zu den Hauptursachen der COPD zählen:

• Nikotinabusus,• langjährige Inhalation von Stäuben und Gasen,• rezidivierende Atemwegsinfekte,• endogene Ursachen wie z. B. α1-Antitrypsinmangel.

Tab. 6 Wichtige in der Lunge vorhandene oder synthetisierte Substan-zen

Substanzgruppe Substanz

Enzyme Elastase

Hydrolasen

Sauerstoffradikale(ROS)

Wasserstoffperoxid

Superoxidradikal

Hydroxylradikal

Enzyminhibitoren α1-AntitrypsinZytokine Proinflammatorisch: IL-1b, IL-6, IL-8,

TNF-α, PAFAntiinflammatorisch: IL-1-RA, Anti-IL8,IL-10

28 D. Henzler

" Zwei morphologische Varianten werden unterschieden:der bronchitische Typ mit Entzündung der kleinen Atem-wege („blue bloater“) und der emphysematische Typ mitpermanenter Erweiterung und Überblähung der Atem-wege („pink puffer“).

Eine obstruktive Ventilationsstörung ist durch Ein-engungen der luftführenden Atemwege verursacht. Bereitskleine Abnahmen des Radius erhöhen nach dem Hagen-Poiseuille-Gesetz den Strömungswiderstand beträchtlich,wobei insbesondere der exspiratorische Widerstand beson-ders betroffen ist. Durch den erhöhten intramuralen Druckbei forcierter Ausatmung kollabieren die kleinen Atemwege.Dementsprechend ist die FRC chronisch erhöht und der Flussreduziert.

" Zur Überwindung des exspiratorischen Widerstands isteine Erhöhung des Atemwegsdrucks erforderlich. Dieswird durch eine aktive Ausatmung gegen einen Wider-stand (Lippenbremse) erreicht. Bei unvollständiger Kom-pensation oder Beatmung mit zu kurzer Exspirationszeitverbleibt bei jedem Atemzug Restluft in den Alveolen („air-trapping“), und es kommt zur dynamischen Überblähungund Ausbildung eines sog. intrinsischen PEEP. Bei jederInspiration muss dieser zusätzliche Druck überwundenwerden, wodurch sich die Atemarbeit erhöht. Diese kanndurch die Applikation eines externen PEEP bei nichtinva-siver Beatmung mit Masken-CPAP effektiv gesenkt werden(Kap. ▶ „Respiratorische Insuffizienz“ und Kap. ▶ „Maschi-nelle Beatmung und Weaning“).

Sekundär kommt es zu strukturellen Veränderungen mitdem Abbau elastischer Fasern, Schwund der Alveolarseptenund der Kapillaren, im fortgeschrittenen Stadium zur Ausbil-dung eines Emphysems. Das Emphysem ist durch morpholo-gische Veränderungen mit einer irreversiblen Erweiterung derlufthaltigen Räume distal der Bronchioli terminales und demUntergang von Alveolarsepten gekennzeichnet. Dadurchverringert sich die Alveolaroberfläche erheblich. Auskul-tatorisch hört man ein durch den turbulenten Luftfluss be-dingtes, exspiratorisches Giemen, das bei progredienterObstruktion auch inspiratorisch auftritt.

" Cave Bei schwerster Obstruktion kann auskultatorischkein Giemen zu hören sein, da der Luftfluss sistiert.

Infolge dieser strukturellen Veränderungen kommt es zueinem ausgeprägten Ungleichgewicht der Ventilations-Perfu-sions-Verteilungen. Einer erhöhten alveolären Totraumventi-lation (der paCO2 ist chronisch erhöht) steht ein gesteigerterBlutfluss durch niedrige VA= Q -Areale gegenüber. Diesechronische Hypoxie führt nach jahrelangem Bestehen zu

einer fixierten hypoxisch pulmonalen Vasokonstriktion(HPV) mit einer Erhöhung der pulmonalen Drücke. Einehäufige Folge ist dann die Entwicklung eines Cor pulmo-nale.

Diese Patienten sind im Akutstadium aschfahl, häufigkaltschweißig, und es besteht Hypoxiegefahr. Schlimmsten-falls kann die Obstruktion bis zur Asphyxie mit nachfolgen-dem Kreislaufstillstand führen.

Eine Übersicht über Symptome und differenzialdiagnosti-sche Befunde Tab. 7, zur präoperativen RisikoeinschätzungAbschn. 5.

BehandlungKap. ▶ „Anästhesie bei Patienten mit COPD“.

4.2 Restriktive Erkrankungen

Bei restriktiven Ventilationsstörungen ist die Dehnbarkeit derLunge bzw. des Thorax reduziert. Primär ist die Inspirationbetroffen.

Restriktive Lungenerkrankungen treten als Folge vonFibrosen, Pneumokoniosen, Skoliosen oder raumforderndenTumoren auf. Viele interstitielle und immunologische Lungen-erkrankungen verursachen restriktive Störungen. Eine inter-stitielle Fibrose, z. B. als Spätform der Sarkoidose, erhöht dieelastischen Rückstellkräfte und senkt so die Compliance derLunge. Als extrapulmonale Faktoren können ausgeprägte Adi-positas, eine Phrenikusparese oder Pleuraschwarten einerestriktive Ventilationsstörung verursachen.

Kennzeichnend sind die verminderte Vitalkapazität,Totalkapazität und funktionelle Residualkapazität sowiedas erhöhte Residualvolumen. Die Compliance des gesam-ten respiratorischen Systems ist vermindert. Häufig liegtjedoch keine exspiratorische Flussbehinderung vor, so dassder FEV1/FVC-Quotient (Abschn. 5.2) normal ist.

" Bei restriktiven Lungenerkrankungen erhöht sich die elas-tische Arbeit. Patienten atmen deshalb bei geringerer FRC,um die elastische Arbeit und damit die Gesamtarbeit zureduzieren.

Kap.▶ „Anästhesie bei Patienten mit restriktiven Lungen-erkrankungen“.

4.3 Zystische Fibrose

Die zystische Fibrose (syn. Mukoviszidose) stellt eine Beson-derheit dar, da es sowohl zu obstruktiven als auch zu restrik-tiven Veränderungen kommt.

Anästhesiologische Beurteilung des Patienten: Respiratorisches System 29

Ursache ist eine Störung der mukosalen Clearance, die aufeinem Gendefekt des Chromosoms 7 beruht. Aufgrund einerFehlfunktion des Chloridkanals ist die Viskosität des Mu-kos erhöht. Betroffen sind alle Organe.

In der Lunge kommt es zu Schleimretention und bakteri-eller Kolonialisation (>80 % Pseudomonas aeroginosa) bzw.Infektion. Schleim in den Atemwegen verursacht eine Ob-struktion und der zunehmend fibrotische Umbau der Lungebedingt eine zunehmende Restriktion.

Langfristig gesehen bietet die Lungentransplantation dieeinzige Behandlungsmöglichkeit, die mittlere Lebenserwar-tung nach Transplantation liegt bei ca. 10 Jahren [29].

" Cave Mukoviszidosepatienten sind im Endstadium derErkrankung respiratorisch schwerst beeinträchtigt (paO2

<50 mmHg) und aufgrund der verminderten FRC währendder Narkoseeinleitung extrem hypoxiegefährdet. Eine Mas-kenbeatmung ist aufgrund der ausgeprägten Restriktion oft-mals nicht möglich.

4.4 Obstruktives Schlaf-Apnoe-Syndrom(OSAS)

Die Inzidenz obstruktiver Schlafapnoe (OSAS) hat in denletzten Jahren beständig zugenommen, wobei neben demAnstieg zivilisatorischer Erkrankungen sicher auch diezunehmende Bewusstwerdung der Symptome und Konse-

quenzen dieses Syndroms bei der Diagnosestellung eineRolle spielt.

Pathophysiologisch liegt der OSAS eine neurogene Stö-rung oder eine Fehlstellung der oberen Atemwege in Rück-lage zugrunde, oft gekoppelt mit Adipositas. Die Diagnosewird im Schlaflabor verifiziert und ist durch Atempausen undden Abfall der O2-Sättigung, teilweise auf Werte unter 80 %,gekennzeichnet. Chronische Hypoxämie, Hyperkapnie, Corpulmonale, Polyzythämie und Bluthochdruck sind häufigeBegleiterkrankungen (Übersicht; nach: [18]).

Klinische Symptome, die das Vorliegen eines OSASnahelegen (ASA Practice Guideline)1. Prädisponierende Physis

– Body Mass Index >35 kg/m2

– Halsumfang >43 cm (Männer) bzw. >40 cm(Frauen)

– Kraniofazaile Deformitäten– Anatomische Obstruktion der Nasengänge– Sich in der Mitte berührende Tonsillen

2. Anamnestisch (1 Kriterium bei alleine lebendenPatienten, ansonsten 2 Kriterien erforderlich)– Lautes Schnarchen– Häufiges Schnarchen– Beobachtete Atempausen im Schlaf– Erstickungssensationen beim Aufwachen– Häufiges Aufwachen

(Fortsetzung)

Tab. 7 Differenzialdiagnostische Symptome und Befunde der obstruktiven Lungenerkrankungen

Asthma bronchialeBronchitische COPD („bluebloater“) Emphysematische COPD („pink puffer“)

Krankheitsbeginn 70 % <30 Jahre >50 Jahre >60 Jahre

Zigarettenrauchen / ++++ ++++

Verlauf Anfälle Chronisch-progressiv Chronisch-progressiv

Dyspnoe / bis ++++ / bis + ++ bis ++++

Habitus Asthenisch Pyknisch

Kolorit Normal Zyanotisch Aschfahl

Nebengeräusche Giemen, Spastik Feuchte + trockene Nur trockene

Infektionen derAtemwege

Akute Exazerbation Schwere akute Exazerbation Akute Exazerbation

Röntgen Thorax Meist unauffällig Häufig Peribronchitis Überblähung

paCO2 Normal oder # (beiAnfall)

", respiratorischeGlobalinsuffizienz

Normal oder ", respiratorischePartialinsuffizienz

paO2 Normal oder # (beiAnfall)

# #

DLCO Normal Normal oder leicht # #FEV1 (% der VC) # bei Anfall, sonst normal Stark # Stark #TLC Normal, bei Anfall " Normal oder leicht " Immer stark "RV Normal (bei Anfall ") Normal oder leicht " Stark "Cor pulmonale Selten! Häufig Selten

Hämatokrit Normal Meist normal Meist erhöht

30 D. Henzler

– Eltern berichten unruhigen Schlaf, Schwierig-keiten beim Atmen, Atemanstrengungen beimSchlafen

3. Somnolenz (ein oder mehrere Kriterien vorhanden)– Ständige Müdigkeit trotz „ausreichend“ Schlaf– Einschlafen bei nichtstimulierender Umgebung

(Fernsehen, Lesen, Autofahren)

Einteilung nach SchweregradIm Schlaflabor wird der Schweregrad nach der AnzahlSchlafstörungen pro Stunde in mild, moderat oder ausgeprägteingestuft. Liegt kein Befund vom Schlaflabor vor, solltenalle symptomatischen Patienten als „moderat“ eingestuft wer-den, es sei denn, ein gänzlich abnormaler Wert (z. B. extremhoher BMI oder ausgeprägte Atempausen) legen eine höhereEingruppierung nahe.

Kap. ▶ „Anästhesie bei Patienten mit Schlafapnoesyn-drom“.

4.5 Akutes Lungenversagen

Im Gegensatz zu chronischen Erkrankungen können ver-schiedene Noxen (Pneumonie, Trauma, Sepsis, Aspiration,neurogenes Trauma, Transfusion, Ertrinkungsunfall, maschi-nelle Beatmung) ein akutes Lungenversagen mit Verlust dergasaustauschenden Funktion der Lunge unterschiedlicherSchweregrade auslösen. Hauptmechanismus der Oxygenie-rungsstörung ist der erhöhte Shuntanteil (Abschn. 3.5).

Beim akuten Lungenversagen („acute respiratory distresssyndrome“, ARDS) kommt es zu strukturellen Veränderun-gen und Schädigungen von Endothel und Alveolarepithel.

Pathophysiologische Veränderungen beim ARDS• Eine erhöhte Permeabilität der alveolokapillären

Schranke führt zum Übertritt proteinreicher Ödem-flüssigkeit nach intraalveolär mit Bildung hyalinerMembranen sowie zur Beeinträchtigung der Surfac-tantfunktion.

• Die alveoläre Flüssigkeitsclearance ist gestört undder Verlust der bakteriellen Barriere kann bei Pneu-monie zum septischen Schock führen.

• Neutrophile wandern durch das beschädigte Endo-thel nach alveolär und sezernieren Oxidanzien, Pro-teasen (sog. ROS, „reactive oxygen species“), Leu-kotriene und andere proinflammatorische Moleküle.

• Aktivierte Alveolarmakrophagen sezernieren dieproinflammatorischen Zytokine TNF-α, IL-1, IL-6,IL-8 und bewirken nicht nur Chemotaxis, sondern

(Fortsetzung)

auch über die Stimulation der Matrixmetallopro-teinasen und Kollagenasen eine Aktivierung derFibroblasten und somit eine interstitielle Fibrose.

• Typ-I-Zellen gehen zugrunde (Apoptose) und ge-schdigte Typ-II-Zellen produzieren weniger undabnormalen Surfactant ([42]; Abb. 10).

Bei ausgeprägter Lungenschädigung ist ein konventionel-les Narkosebeatmungsgerät während einer Operation oderauf dem Transport zur suffizienten Ventilation und Oxy-genierung u. U. nicht ausreichend.

" Folgendes Vorgehen hat sich bewährt: Auf der Intensiv-station die Beatmungsparameter möglichst identisch aufdas Transportbeatmungsgerät übertragen, dann Patientenkonnektieren und Kreislauffunktion und O2-Sättigungbeobachten. Nach 5–10 min BGA abnehmen, wenn dieBlutgase akzeptabel sind, ist ein Transport möglich.Andernfalls ist auch unterwegs und im OP die Beatmungmit besonders ausgerüsteten Intensivbeatmungsgerätenerforderlich.

Diagnostisch werden konventionelle und computerisierteRöntgenogramme eingesetzt. Zu weiteren Details und zurTherapie Kap. ▶ „Respiratorische Insuffizienz“.

5 Präoperative Risikoeinschätzung

5.1 Vorhersage postoperativerKomplikationen

Postoperative pulmonale Komplikationen sind mindestensgenauso häufig wie kardiale [25]. Von Bedeutung sind abernur klinisch relevante Komplikationen, die entweder zueinem verlängerten Krankenhausaufenthalt oder zu erhöhterMorbidität und Letalität führen. Pneumonie, akutes Lun-genversagen mit verlängerter Beatmungsdauer, Broncho-spasmus, Atelektasen, Exarzerbation einer vorbestehen-den Lungenerkrankung und Schlafapnoe (Abschn. 4.4) sinddie wichtigsten Komplikationen (Tab. 8).

Der stärkste Prädiktor pulmonaler Komplikationen sindOperationen in der Nähe des Zwerchfells, mit 10–40 % Kom-plikationsrate.

Rauchen ist seit 1944 in vielen Studien als Risikofaktorabgesichert, auch für Patienten ohne chronische Lungener-krankung. Das pulmonale Risiko vermindert sich erst8 Wochen nach Beendigung des Nikotinabusus, paradoxer-weise erhöht es sich bei einem kürzeren Zeitintervall derNikotinkarenz.

Anästhesiologische Beurteilung des Patienten: Respiratorisches System 31

Perioperative MedizinSpezifische Scores zur präoperativen Risikoeinschätzungsind v. a. für kardiale und lungenchirurgische Eingriffe ent-wickelt worden. Der traditionelle Ansatz, bei dem Chirurgen,Internisten oder Kardiologen über die „Narkosefähigkeit“eines Patienten entscheiden, greift jedoch eindeutig zu kurzmit der Konsequenz, dass ein wahres interdisziplinäres Vor-gehen erforderlich ist. Die Kombination von operativen undpatientenseitigen Risikofaktoren sollte eine Optimierung despräoperativen Zustands und eine auf die individuellen Patien-tenbedürfnisse zugeschnittene postoperative Versorgung(Intensivtherapie, Schmerztherapie, Pharmakotherapie zurVermeidung thromboembolischer Ereignisse) zum Zielhaben [4]. Die Rolle des Anästhesisten ist daher, im Teammit den anderen perioperativen Partnern eine interdiszipli-näre Abwägung des Risikos gegen den Operationsgewinnvorzunehmen [38].

" Eine COPD stellt nur bei klinisch manifester Einschränkungeinen Risikofaktor dar. Daraus wird ersichtlich, dass der prä-operativen medikamentösen Therapieoptimierung höchstePriorität eingeräumt werden sollte, auch wenn sich dadurchder Operationstermin verschiebt.

Für Patienten mit obstruktiven Lungenerkrankungenerhöht sich das Komplikationsrisiko, wenn ein pathologi-sches Röntgenbild (Überblähung, interstitielle Veränderun-gen) und/oder kurzfristig angesetzte Bronchodilatatoren hin-zukommen [8]. Dies macht deutlich, dass v. a. schlecht- odernichttherapierte Patienten besonders gefährdet sind.

" Eine Optimierung der antiobstruktiven Therapie ist vorelektiven Eingriffen obligat, der Therapieerfolg kann mitHilfe der Spirometrie überprüft werden.

Den besten Vorhersagewert bietet nach wie vor die Klassi-fikation der American Society of Anesthesiologists (sog.ASA-Klassifikation; [30]) dar. Der respiratorische Statuswirkt sich nur bei einer Beeinträchtigung der klinischenSituation aus. Ein hoher ASA-Status ist ein Prädiktor post-operativer pulmonaler Komplikationen, unabhängig ob dieklinische Beeinträchtigung durch pulmonale oder andereRisikofaktoren bedingt ist.

Lungenprotektive BeatmungWährend es in der Intensivmedizin unstrittig ist, dass sicheine lungenprotektive Beatmung bei Patienten mit akutemLungenschaden positiv auf das Überleben auswirkt, ist derEffekt beim Lungengesunden noch nicht geklärt. EinigeUntersuchungen haben gezeigt, dass auch eine konventio-nelle Beatmung ohne PEEP mit moderat hohem Tidalvolu-men keine besondere proinflammatorische Antwort hervor-ruft [49]. Demgegenüber hat bei thoraxchirurgischen und beiintraabdominellen Eingriffen eine Beatmung mit PEEP undniedrigem Tidalvolumen und limitiertem Beatmungsdruck zueiner geringeren Rate an postoperativem Lungenversagengeführt [13, 15].

5.2 Spezielle Diagnostik

Bildgebende Verfahren und Funktionstests sollten nur nacheingehender klinischer Untersuchung und keinesfalls alspräoperative Routineuntersuchung angewendet werden(Kap. ▶ „Anästhesiologische Visite“).

" Wichtigster Indikator für die Notwendigkeit weiterführenderUntersuchungen ist eine Einschränkung der klinischenBelastbarkeit des Patienten („exercise tolerance“). Ana-mnestisch sprecheneineBelastbarkeit von<4metabolischerÄquivalente (MET) oder eine Strecke von <350 m beim „6-minute-walk-test“ (SMWT) für eine eingeschränkte Belas-tungstoleranz.

Anmerkung 1 MET ist definiert als der O2-Verbrauch eines70 kg schweren 40-jährigen Mannes in Ruhe und entspricht3,5 ml Sauerstoff pro Kilogramm Körpergewicht pro Minutebeim Mann bzw. 3,15 ml/kg/min bei Frauen. Der SMWTwurde für die Pulmonologie entwickelt und dient insbeson-dere der Messung behandlungsbedingter Leistungsverbesse-rung. Auch dem hohen Aufwand geschuldet hat sich derSMWT in der anästhesiologischen Voruntersuchung nichtdurchgesetzt und es fehlen Evaluationen zur klinischen Rele-vanz in der Anästhesie.

Tab. 8 Risikofaktoren für postoperative pulmonale Komplikationen

Patientenbedingte Faktoren Operationsbedingte Faktoren

Rauchen [43] Operationen im Oberbauch (offen > laparoskopisch)

Genereller Gesundheitszustand (ASA >II; [37]) Thoraxchirurgische Operationen

Alter (>70 Jahre, nur in Kombination mit COPD) Langdauernde Eingriffe >3 h

COPD (mit Belastungsinsuffizienz) [48] Allgemeinanästhesie (im Gegensatz zu Regionalanästhesie)

Schlafapnoesyndrom (OSAS) [18]

Faktoren mit unbestimmten Risiko

Nichtlungenprotektive Beatmung

32 D. Henzler

5.2.1 Spirometrie und BodyplethysmographieRespiratorische Erkrankungen können durch Lungenfunk-tionsprüfungen evaluiert werden. Es gibt allerdings eineerhebliche anwendungsbedingte und interindividuelle Varia-bilität, die die Vorhersagekraft deutlich einschränkt. DieSpirometrie eignet sich jedoch gut zur Verlaufsbeurteilungeiner Therapie (Abb. 23; [10]; Normwerte Tab. 9).

Ein-Sekunden-KapazitätEine FEV1 unter 40 % der VC (= Tiffeneau-Index) oder<0,8 l galt früher als Kontraindikation für Allgemeinanästhe-sien.

Heute wird die FEV1 überwiegend zur Beurteilung desTherapieerfolgs und Operabilität bei Lungenresektion einge-setzt.

" Cave Eine FEV1 <2,5 ist bei Pneumonektomien, ein FEV1<1,0 bzw. 1,5 (Alter>70 Jahre) für Lobektomien mit einemstark erhöhten Risiko behaftet (Abb. 25; Empfehlungen derDeutschen Gesellschaft für Pneumologie, 1994).

Zur weiteren Risikostratifizierung sind weitere Tests erfor-derlich (Szintigraphie; [5]). Zur Berechnung der prädiktivenpostoperativen Lungenfunktion Kap. ▶ „Anästhesie in derThoraxchirurgie“.

Fluss-Volumen-BestimmungZur graphischen Darstellung wird ein vollständiges Atem-manöver auf dem Niveau der totalen Lungenkapazität durch-geführt, mit vollständiger Exspiration, anschließender Inspi-ration und Beginn des Messmanövers nach maximalerInspiration.

Anhand der erhaltenen Fluss-Volumen-Kurven werdendie verschiedenen Ventilationsstörungen unterschieden.

Der MEF50 (Maximalfluss nach Exspiration von 50 % derFVC) ist ein weiterer Parameter für obstruktive Ventilations-störungen (Abb. 24).

Es gibt keine Daten, welche, ohne Vorliegen sonstigerRisikofaktoren oder anderer pulmonaler Erkrankungen, dieSpirometrie als Indikator für Hochrisikopatienten validieren.Als präoperativer Test ist sie daher nur bei Patienten vorabdominellen oder thorakalen Eingriffen angebracht, wennHusten, Dyspnoe oder eine ungeklärte Belastungsinsuffizi-enz vorliegen. Bei Patienten mit obstruktiver Lungenerkran-kung kann sie zur präoperativen Therapieoptimierung hilf-reich sein. Die Ergebnisse der Spirometrie sollten nicht alsalleinige Begründung zur Ablehnung einer Operation bzw.Narkose dienen.

5.2.2 ThoraxröntgenDer Wert präoperativer Thoraxröntgenaufnahmen ist zurBeurteilung des Risikos pulmonaler Komplikationen ausge-sprochen limitiert. Als Routinemaßnahme wird gemäß denEmpfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Anästhesieund Intensivmedizin (DGAI) eine Aufnahme bei ASA-III-und -IV-Patienten, bei klinischem Verdacht auf Vorliegeneiner kardiopulmonalen Pathologie (s. Leitlinie anästhesio-logische Voruntersuchung der DGAI, http://www.dgai.de/)oder bei geplanter postoperativer Intensivbehandlung emp-fohlen. Über die Frage, wie aktuell eine solche Aufnahmesein sollte, gibt es keine einheitliche Meinung. Zumeist gibtes keinen Grund, eine 6–12 Monate alte Aufnahme zu wie-derholen, wenn sich der klinische Zustand des Patienten indieser Zeit nicht verändert hat. Die Task Force on Pre-anesthesia Evaluation der American Society of Anesthesio-logists [1] empfiehlt eine Thoraxröntgenaufnahme lediglichbei klinischem Verdacht auf eine neue oder fortgeschrittenekardiopulmonale Pathologie und stellt der Wert einer routine-mäßigen Aufnahme grundsätzlich in Frage.

Abb. 23 Spirometriebefunde. a normal, b Obstruktion, c Restriktion. VC Vitalkapazität; FEV1 forciert ausgeatmetes Volumen in 1 s; FEV1/VCTiffeneau-Index

Anästhesiologische Beurteilung des Patienten: Respiratorisches System 33

Eine Röntgenaufnahme wird nach Bildqualität, Abbil-dungsgeometrie und vorhandenen Pathologien beurteilt (zurTechnik und Interpretation von ThoraxröntgenaufnahmenKap. ▶ „Anästhesiologische Beurteilung des Patienten:Röntgendiagnostik der Thoraxorgane“).

Bei einer Reihe von Erkrankungen, z. B. akuter Bron-chitis, minderschwerer COPD ohne Lungenemphysem oderakuter Lungenembolie ohne Infarkt, sind Röntgenbilderrelativ unspezifisch und wenig hilfreich. Zu röntgenologischsichtbaren Lungenpathologien mit anästhesiologischer Rele-vanz Tab. 10.

5.2.3 Messung des GasaustauschesPulsoxymetrieDie Messung der partiellen O2-Sättigung (SpO2) ist gemäßASA seit 1990 Standard für intraoperatives Monitoring undermöglicht eine kontinuierliche und nichtinvasive Messung(zu Prinzip und Limitierungen Kap. ▶ „AnästhesiologischeBeurteilung des Patienten: Respiratorisches System“ undKap.▶ „Kardiozirkulatorisches und respiratorisches Monito-ring“).

Die Pulsoxymetrie ermöglicht eine Quantifizierung zyano-tischer Zustände. Ein Abfall der SpO2 während Hypoven-tilation (Narkoseeinleitung, Intubationsprobleme, Herz-Kreis-lauf-Stillstand) korreliert gut mit der arteriellen Sättigung undsollte zu Sofortmaßnahmen führen (Kap. ▶ „Häufige periope-rative kardiovaskuläre und respiratorische Komplikationen“).Der Absolutwert (Norm: >96 % unter Raumluft) kann mess-technisch (Tab. 11) oder patientenbedingt stark erniedrigt sein,

Tab. 9 Spirometrie: Variablen und Normwerte unter BTPS. (Nach: [40])

VariableNormalwertErwachsener Einheit Sollwertformel (H = Größe in [m]; A = Alter)

Spirometrie

Atemzugvolumen Vt 0,4–0,6 l ca. 6–8 ml/kgKG

Vitalkapazität VC 4,8 l M: 6,103 � H � 0,028 � A � 4,654

F: 4,664 � H � 0,026 � A � 3,28

Ein-Sekunden-Kapazität, Tiffeneau-Index FEV1 3,8 l M: 4,301 � H � 0,029 � A � 2,492

>70 % VC F: 3,95 � H � 0,025 � A � 2,6

Maximaler exspiratorischer Fluss („peakflow“)

PEF 8 l/s M: 6,14 � H � 0,043 � A � 0,15

F: 5,5 � H � 0,03 � A � 1,1

Maximalfluss nach 50 % VC MEF50 6 l/s M: 3,79 � H � 0,031 � A � 0,35

F: 2,45 � H � 0,025 � A + 1,16

Exspiratorisches Reservevolumen ERV 1,3 l M: 1,31 � H + 0,022 � A � 1,23

F: 1,81 � H + 0,016 � A � 2

Bodyplethysmographie

Intrathorakales Gasvolumen IGV 2,4 l M: �7,511 + 0,017 � A + 6,98 � H �1,73 � BI

F: �1,4 + 0,0034 � A + 3,456 � H �1,404 � BI

Totale Lungenkapazität TLC 6,5 l M: 7,99 � H � 7,08

F: 6,6 � H � 5,79

Atemwegswiderstand RAW 2,2 mbar/l/s

BI: Broca-Index: kgKG/H [cm] �100IGV entspricht unter Normalbedingungen der FRC, die unterschiedliche Bezeichnung trägt der unterschiedlichen Messmethode Rechnung(plethysmographisch vs. Heliumverdünnung)

9

7

5

3

1

Abb. 24 Fluss-Volumen-Kurve beim Gesunden (schwarz) und einemPatienten mit COPD (blau) vor (durchgezogen) und nach Bronchodi-latation (gestrichelt). PEF Spitzenfluss,MEF50 Maximalfluss nach 50 %der Vitalkapazität

34 D. Henzler

ohne dass eine klinische Beeinträchtigung vorliegt. Eine SpO2

von 80 % kann bei Kindern mit zyanotischem Herzvitiumdurchaus normal sein. Häufigste Ursache für Fehlmessungensind Kopplungsprobleme des Sensors und periphere Vasokon-striktion bei Kreislaufzentralisation und Hypothermie.

" Die Messung der SpO2 bei der Prämedikationsuntersu-chung ermöglicht frühzeitig eine Abschätzung der Leis-tungsfähigkeit des pulmonalen Gasaustauschapparates.Vor Einleitung der Narkose sollte die SpO2 bestimmt wer-den, um einen Richtwert für die intraoperativ und post-operativ anzustrebende O2-Sättigung zu bekommen.

Als zusätzliches diagnostisches Mittel kann die SpO2 unterBelastung, z. B. beim Treppensteigen, als Maß für die Leis-tungsfähigkeit des kardiorespiratorischen Systems gelten.

Blutgasanalyse (BGA)Die Blutgasanalyse kann das Ausmaß einer präoperativenOxygenierungs- oder Ventilationsstörung quantifizieren undist bei Patienten angezeigt, die stark erniedrigte Werte derSpO2 aufweisen oder einer geplanten postoperativen Inten-

sivtherapie zugeführt werden. Zu Einzelheiten Kap. ▶ „An-ästhesiologische Beurteilung des Patienten: Blutgasanalyseund Säure-Basen-Haushalt“.

" Erhöhte paCO2-Werte sind in kleineren Studien als Risiko-faktor für das Auftreten postoperativer pulmonaler Kom-plikationen identifiziert worden, waren aber immer mitCOPD und signifikanter Obstruktion vergesellschaftet. DieBGA allein ist daher ungeeignet, besonders komplikations-gefährdete Patienten zu identifizieren.

5.2.4 ComputertomographieEin Thorax-CT ist bei Verdacht auf intrapulmonale Prozesse(Abszess, Tumor, interstitielle Lungenerkrankungen, ARDS)indiziert. Direkte Konsequenzen ergeben sich daraus in derRegel nur für das weitere therapeutische Vorgehen. Häufigliegt allerdings gerade bei Hochrisikoeingriffen aus operati-onstaktischen Gründen ein CT vor, das zusätzlich zur Beur-teilung der Lungenfunktion herangezogen werden kann.Ein ausgeprägtes Emphysem, Pneumokoniosen oder anderestrukturelle Veränderungen der Lunge legen eine erhöhteKomplikationsgefahr nahe und sollten die großzügige Indi-

Tab. 10 Für die anästhesiologische Betreuung relevante Befunde im Thoraxröntgen a.-p.

Röntgenbefund Anästhesiologische Relevanz Konsequenz

Pneumothorax Erhebliche Gefahr der Entwicklung einesSpannungspneumothorax unter Überdruckbeatmung

Besondere Beachtung der Beatmungsdrücke, ggf.Thoraxdrainage präoperativ

Emphysem Überblähung, „air-trapping“, Gefahr des Pneumothoraxbei rupturierter Bulla

Beatmung mit niedrigem I:E-Verhältnis (z. B. 1:3),Beobachtung der exspiratorischen Flusskurve

Infiltrate Oxygenierungsstörung, Pneumonie, Sepsis Postoperative Intensivtherapie, intraoperative BGA. Wennmöglich OP verschieben

Erguss Einschränkung der Compliance, Atelektasenbildung underhöhter Shunt

ggf. Thoraxdrainage

Lungenstauung,Lungenödem

Schwere Oxygenierungsstörung Präoperative Optimierung, ggf. Diuretika, Dialyse, kardialeRekompensation. Intraoperative BGA

Fibrosierung Beatmung erschwert, verlängertes Weaning Intraoperative BGA, postoperative Intensivtherapie

Lungentuberkulose Aerogene Übertragungsgefahr bei offener TB Spezielle Hygienemaßnahmen bei Personal und im OP

Tab. 11 Äußere Einflüsse auf die pulsoxymetrische Messung

KeineBeeinflussung derSpO2 Falsch-hohe SpO2-Werte Falsch-niedrige SpO2-Werte

Roter Nagellack HbF, Sichelzell-Anämie Farbiger Nagellack (blau/grün/schwarz)

Hautpigmentation CO-Hb-Vergiftung Methylenblau, Indocyaningrün

COHb bis 14,5 % Met-Hb bei Hypoxie: Bei Zunahme der MetHb-Konzentration sinkt die SpO2 um etwadie Hälfte des Anstiegs des MetHb, daher falsch-hoher SpO2. Bei MetHb>20 % bleibtdie SpO2 80–85 %

Kreislaufzentralisation mitperipherer Vasokonstriktion

Hyperbilirubinämie Xenon- und Fluoreszenzlicht UnabgeschirmteInfrarotwärmelampen

Anästhesiologische Beurteilung des Patienten: Respiratorisches System 35

kation zu invasivem Monitoring und postoperativer Intensiv-therapie triggern.

" Für das anästhesiologische Vorgehen relevante (Überra-schungs)befunde im Thorax-CT• Pneumothorax: Ventrale und intrapulmonale Pneumo-

thoraces sind im konventionellen a.-p.-Röntgenbildmeistens nicht zu erkennen

• Lungenembolie: Vor allem in Verbindung mit i.v.-Kontrastmittel und Spiral-CT lässt sich eine klinisch rele-vante Lungenembolie nachweisen bzw. ausschließen(„Angio-CT“).

5.2.5 Ventilations-Perfusions-SzintigraphieDie konventionelle Lungenfunktionsuntersuchung erlaubteine globale Bestimmung der Ventilationsparameter. Mitnuklearmedizinischen Methoden hingegen können weniginvasiv Funktionsabläufe wie Ventilation und Perfusion ge-messen werden.

Funktionsprinzip

Perfusionsszintigraphie Mit 99mTechnetium markierteMakroaggregate oder Mikrosphären aus Humanalbumin wer-den i.v. injiziert. Da ihr Durchmesser größer ist als die derpulmonalen Präkapillaren, wird vorübergehend etwa jede10.000ste Kapillare verschlossen. Mit einer Gammakamerawird die Verteilung der Aktivität repräsentativ für die regio-nale Perfusion registriert.

Ventilationsszintigraphie Eine Gammakamera registriertbei Inhalation die Aktivität von mit radioaktivem Edelgaskontaminierter Luft. Nach Erreichen eines konstanten alveo-lären Aktivitätsgrades wird die Edelgaszufuhr abgeschaltet.Beobachtet wird außer der lokalen Anreicherung die Ge-schwindigkeit des Abtransports der Radioaktivität aus denLungenregionen. Erfolgt der Abtransport lokal verzögert, soist auf eine Behinderung des Gasaustausches z. B. durch eineObstruktion zu schließen.

Klinische AnwendungBestimmung der relativen Seitenanteiligkeit der Lungenfunk-tion. Im Rahmen der präoperativen Vorbereitung kann dienach einer evtl. Pneumonektomie noch verbleibende Lungen-funktion aus der Kenntnis der Gesamtfunktion und der rela-tiven Seitenanteiligkeit vorausgesagt werden ([23]; Abb. 25).

Traditionell ist bei Verdacht auf Lungenembolie dieIndikation zur Ventilations-Perfusions-Szintigraphie gege-ben. Im Zuge der Entwicklung hochauflösender und leis-tungsschneller Computertomographen (Spiral-CT, Angio-CT, s. o.) ist allerdings die Anwendung für diese Indikationdeutlich zurückgegangen und ist im Akutfall aufgrund derlangen Untersuchungszeit wenig hilfreich.

" Zur Narkosevorbereitung und Abschätzung des pulmona-len Risikos sind szintigraphische Untersuchungen unge-eignet. Bei spezieller Indikation (Vorhersage der Lungen-funktion nach Lungenresektion) kann die Szintigraphiehilfreich sein. Indikationsstellung und Befundinterpreta-tion obliegen aber nicht dem Anästhesisten.

Abb. 25 Flussdiagramm zurLungenfunktionsdiagnostik vorLungenresektionen. (Nach: [26])

36 D. Henzler

5.3 Maßnahmen bei OSAS

Mittels eines einfachen Punktesystems kann das periopera-tive Risiko abgeschätzt werden (Tab. 12), ein Wert>5 gilt alssignifikantes Risiko. Obwohl für diesen Fall eine postopera-tive Intensivbehandlung oder -überwachung absolut sinnvollerscheint, wird die Frage, ob der Eingriff verschoben werdenmuss, wenn ein Überwachungsbett nicht zur Verfügung steht,von den Fachgesellschaften nicht eindeutig bejaht [18].

Neben der kontinuierlichen, pulsoximetrischen Überwa-chung für 24 h hat sich auch die Verwendung von Masken-CPAP bewährt, praktischerweise sollten die Patienten ihreigenes Heimgerät mitbringen oder präoperativ in denGebrauch eingewiesen werden.

Alle Maßnahmen betreffen die postoperative Versorgung,z. B. Entlassfähigkeit bei ambulant geplanten Eingriffen,Intensivüberwachung, und sollten anhand der lokalen Gege-benheiten mit den operativen Partnern festgelegt und in Formeiner SOP ausformuliert werden [34].

5.4 Strategien zur Risikominimierung

Nur für wenige Maßnahmen ist eine Reduktion der Kompli-kationsrate bei gefährdeten Patienten nachgewiesen worden[35, 38].

5.4.1 Manöver zur LungenentfaltungStandard ist die prä- und postoperative Physiotherapie mitAtemtraining und dadurch Eröffnung von Atelektasen. Außer-dem wird die Atemmuskulatur effektiv trainiert. Die Kompli-kationsrate kann dadurch bis zu 50 % gesenkt werden.

Personell aufwändiger und kostenintensiver ist CPAP-Training („continuous positive airway pressure“). Dabeiatmet der Patient über eine Maske oder ein Mundstück mitNasenklammer gegen ein Ventil. Der intrapulmonale Druckwird hierdurch über null gehalten (in der Regel 5–8 mbar).Die Methode ist nicht von der Patientenmitarbeit abhängig.CPAP zur Narkoseeinleitung ist ebenfalls zur Verminderungder Atelektasenbildung effektiv.

5.4.2 SchmerztherapieEine suffiziente Schmerztherapie verhindert flache Schonat-mung und beugt somit Atelektasen vor. Sie wirkt supportivfür eine effektive Physiotherapie bzw. kann diese erst ermög-lichen. Regionalanästhesiologische Verfahren haben denbesonderen Vorteil, nicht vigilanzmindernd zu wirken. Wasdie geschilderten Risikoeingriffe an Thorax und Abdomenanbelangt, so kommt hier eine Periduralanästhesie, vorzugs-weise thorakal angelegt, in Betracht (Kap. ▶ „Rückenmark-nahe Regionalanästhesie: Periduralanästhesie“ und Kap.▶ „Respiratorische Insuffizienz“).

Einen Überblick weiterer risikoreduzierender Strategien:Tab. 13.

Tab. 12 Beispiel für ein Schlaf-Apnoe-Risikoscoring. (Nach: [18])

Punkte

Schweregrad der Schlafapnoe (lt. Schlafstudie oder klinisch)

- Mild 1

- Moderat 2

- Ausgeprägt 3

Invasivität des Eingriffs

- Oberflächlicher Eingriff unter Lokalanästhesie oder Regionalanästhesie ohne Sedierung 0

- Oberflächlicher Eingriff mit moderater Sedierung oder Allgemeinanästhesie 1

- Peripherer Eingriff mit Neuroaxialanästhesie (nur leichte Sedierung) 1

- Peripherer Eingriff mit Allgemeinanästhesie 2

- Eingriff an den Atemwegen mit moderater Sedierung 2

- Großer Eingriff unter Allgemeinanästhesie 3

- Eingriff an den Atemwegen mit Allgemeinanästhesie 3

Erfordernis postoperativer Opiate zur Schmerztherapie

- Keine 0

- Niedrig dosiert, nur orale Verabreichung 1

- Parenterale oder neuroaxiale Verabreichung 3

Summe

Anästhesiologische Beurteilung des Patienten: Respiratorisches System 37

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Tab. 13 Evidenzbasierte Strategien zur Minimierung postoperativer pulmonaler Komplikationen. (Nach: [25])

Nutzen

Präoperative Maßnahmen

- Nikotinkarenz>8 Wochen

Unklar

- Optimierung der antiobstruktiven Therapie Gesichert

- Atemübungen, Physiotherapie Unklar

Intraoperative Maßnahmen

- Laparoskopische vs. offene Technik Möglich

- Regional- vs. Allgemeinanästhesie Wahrscheinlich

- Zusätzliche Epiduralanästhesie Unklar

- Verzicht auf langwirksame Muskelrelaxanzien Wahrscheinlich

- Verwendung eines Pulmonaliskatheters Kein

Postoperative Maßnahmen

- Suffiziente Analgesie Wahrscheinlich

- Kontinuierliche epidurale Analgesie Unklar

- Atemübungen, Physiotherapie, ggf. CPAP bei abdominellen Eingriffen Gesichert

- Parenterale Ernährung Kein

- Enterale Hyperalimentierung Kein

- Immunonutrition Unklar

- Gastrale Dekompression bei selektierten abdominellen Eingriffen Wahrscheinlich

38 D. Henzler

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Anästhesiologische Beurteilung des Patienten: Respiratorisches System 39