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Analgesie und vegetatives Nervensystem

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Page 1: Analgesie und vegetatives Nervensystem

Analgesie und vegetatives Nervensystem Von

T. Gordonoff, Bern

Mit 9 Textabbildungen

Bekanntlieh s~ceht der Schmerz als Erlebnis mit dem vegetativen Neiven- system in Beziehung. Man weiB, dab der Sehmerz die Magentatigkeit be- einflugt, den Appetit herabsetzt und die Darmperistaltik hemmt. In der Tat konnte Cannon bei Sehmerz~iuBerungen eine Zunahme der Adrenalin- sekretion feststellen. Leriche hat sehon l~ingst den Satz gepr~igt: Le sympa- thique est le grand neff de la douleur.

Leriche unterseheidet zwei Arten von Sehmerzen: Douleur maladie und douleur de laboratoire. Dem Pharmakologen steht zu Untersuehungszwecken nur der experimentelle Sehmerz zur Verfiigung. Wit erzeugen den Sehmerz im Tierversuch wohlwissend, dab die Verh~iltnisse beim Menschen ganz andere sin& Nieht mit Unreeht fiul3erte sieh Starkenstein, dab eine exakte und quantitative Untersuehung der Analgetika im Tierversueh nicht mSglich sei. Wir beurteilen den Sehmerz auf Grund von Abwehrerseheinungen, aber diese sind keineswegs ,,der unmittelbare Ausdmek des Schmerzes, sondern diesem subordinierte Symptome, die kein MaB ffir die Intensit~it der prim~iren subjektiven Sehmerzempfindung darstellen". Ein Kind reagiert auf einea leichten Sehlag mit Sehreien und Weinen, der erwaehsene Mensch hingegen geb~irdet sieh aueh bei intensiven Sehmerzemp~ndungen nieht so. Daraus daft nieht gesehlossen werden, dab der Sehmerz im reifen Alter weniger intensiv empfunden wird. Der erwaehsene Menseh ist im- stande den Sehmerz zu unterdriieken, u n d darauf stiitzte sieh auch die Sehmerzbehandlung bei operativen Eingriffen, indem man den Patienten veranlal3te, mit den Z~ihnen auf eine Bleikugel zu beigen. Die Geb~irende nagt an einem Tasehentueh, wenn die Wehen unertr~iglieh werden.

Dureh die Unterdrfiekung des Sympathieus erzeugt man abet keine An- algesie. Jedoeh kann man dureh Adrenalin, dank seinen iseh~imisehen Eigensehaften, lokal den Sehmerz unterdriieken.

Ieh mSchte deshalb den Versueh unternehmen zu zeigen, dab der Sehmerz, und zwar die Sehmerzunterbrechung, mit dem parasympathisehen System in Beziehung steht.

Sehon im Jahre 1988 konnte Pellanda feststellen, dab die anatgetische Wirkung von Morphin durch Physostigmin verst~irkt wird. Diese Beobach- tung konnte aber erst im Jahre 1989 kliniseh verwertet werden, nachdem es Slaughter und MunseU gelungen war, am Hundedarm und am Blutdruek

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der Katze die gleiehe verstfirkende Wirkung des Physostigmins auf Mor- phium zu beweisen. Dies imponierte ganz besonders dem Chirurgen, denn durch das Prostigmin ist es mSglieh, die unangenehmen Nebenwirkungen der Opiate, wie die Obstipation und die Blasenkr~impfe, zu bek~impfen. In weiteren Versuehen von Slaughter und Munsell, Frank, Abaza und GrOgoire konnte neben der Verringerung der Nebenwirkungen festgestellt werden, dab man, dank dem synergistisehen Effekt von Opiaten mit Prostigmin aueh die Alkaloidmenge stark reduzieren kann. Es ist dadureh mSglieh, bis zu 40% und mehr an zos

Alkaloiden einzusparen (Abb. 1). mg • Eine Erklfirung ffir diesen Synergismus war :so

leieht zu geben. Wirkt doeh aueh Morphin G\\"~ ...... eholinergiseh, und durch die Kombination der 700 ,~\\~ beiden eholinergiseh wirkenden Mittel mit ver- :o sehiedenen Angriffspunkten mul3te ein Syn- ergismus eintreten.

Auf die Beziehungen zwisehen Morphin und dem eholinergisehen System haben sehon Wuth und ganz besonders Griinthal hinge- wiesen. Die Pupillenverengung, die Brady- kardie, der Blasenkrampf und ~ihnliehes sind Ausclruek einer eholinergisehen Wirkung.

H Abb. 1. N a e h Frank, Wien . Klin. Wsehr. (1951), 80. Ben6 t ig t e Men- gen von Alka lo iden . Schrafflert z o h n e Zusatz yon 0,5 m g Prost ig- rain. WeiB z m i t Zusatz yon Pro-

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Abb. 2. Abb. S.

Abb. 2. D z Dromoran , M z Mest lnon . A u s g e z o g e n e L in i e : W i r k u n g y o n D r o m o r a n al le in, ges tr iche l te L in ie ~ W i r k u n g von D r o m o r a n und Mes t inon . (Kaninchen. )

Abb. 3. P ~ Pyramidon, M z M e s t i n o n . A u s g e z o g e n e Lin ie : W i r k u n g y o n P y r a m i d o n al lein, ges tr i che l t e L in i e ~ W i r k u n g der g l e i c h e n Dos i s P y r a m i d o n mi t Z u g a b e y o n Mes t inon . B e i d e

V e r s u c h e w u r d e n am g l e i c h e n Tier ausgeff ihrt . (Kaninchen . )

Aeta Neurovege ta t iva , Bd. XVI , H e f t 1--4. 2 5

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Abb. 4. Abb. 5.

Abb. 4. Ausgezogene Linie = Wirkung yon Pyramidon allein, gestrichelte Linie ~ Wirkung von Pyramidoa ~ Mestinon. (Kaninchen.)

Abb. 5. P ~--Pyramidon, M = Mestinon. Oberhalb yon 8 V wird nicht gemessen. Kaninchen.)

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Abb. 6 Abb. 7.

Abb. 6. Ausgezogene Linie ~ Pyramidon allein, gestrichelte Linie ---- Pyramidon ~ Mestinon, gleichzeitig verabTeicht. (Ratte nach Wolf und Hardy).

Abb. 7, Ausgezogene Linie ~ Wirkung von Pyramidon allein, gestrichelte Linie = Wirkung der gleichen Dosis Pyramidon am gleichen Tier nach nachtr~iglicher Zugabe yon Acetylcholin.

(Kaninchen.)

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W~ihrend der Abstinenzsymptome, wie man sie beim Morphinisten sieht, f~illt der erhShte parasympathische Tonus weg, und es tritt ein Umschlag in die Sympathicotonie ein.

Mit dem gleichen Problem der synergistischen Beeinflussung der Opiate durch das Prostigmin hat sich auch Frommel mit seinen Schfilem befaBt. Sic konnten feststellen, dab die Opiate durch Beeinflussung der Cholin- esterase eine vagotone Wirkung baben.

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Abb. 8. Abb. 9.

Abb. 8. Ausgezogene Linie ~ Wirkung yon Salicylamid, gestrichelte Linie ~ Wirkung der gleichen Dosis Salicylarnid nach nachtr~iglicher Zugabe yon Mestinon. (Kaninchen.)

.Abb. 9. Ausgezogene Linie ---~ Wirkung yon Pyramidon allein, gestriehelte Linie ~ Wirkung von Pyramidon, Mestinon und Atropin. (Kanlnchen.)

Berficksichtigt man diese Versuche, die iibrigens aueh schon in der Klinik besffitigt werden konnten, so ist das Verh~iltnis zwischen den Opiaten und dem Prostigmin folgendes: Beide wirken im gleichen Sinne, beide hemmen die Cholinesterase und beide verst~irken sich.

Wir haben Versuche unternommen, festzustellen, wie die nicht aus der Reihe der Opiate stammenden Analgetika wirken, wenn man sie gleich- zeitig mit den cholinergischen Stoffen verabreieht.

Wir ffihrten Versuehe an Kaninehen mit cler yon Gordonoff eingefiihrten Methode zur Untersuehung der Analgetika dureh. Reizt man die freigelegte Zahnpulpa der Sehneidez~thne des Kaninehens, so treten bei einem bestimm- ten Sehwellenwert Kaubewegungen ein. Dieser Sehwellenwert ist beim

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Kaninchen konstant. Fleisch und Dolivo haben versehiedene Methoden zur Untersuehung der Analgetika miteinander vergliehen und gefunden, dab diese Methode die besten Resultate ergibt. Diese Teehnik ermSglieht nieht nur die Opiate, sondern aueh Analgetika, wie Phenacetin und Pyrazolon- derivate, zu untersuehen und gibt sehr genaue Werte.

Wir haben auch Versuehe an Ratten nach der Methode yon Woolfe- Hardy durehgefiihrt.

Untersueht wurden sowohl Opiate, wie Dromoran, als auch die Anal- getika Pyramidon und Salizylamid. Als eholinergisehe Mittel wurden Pro- stigmin, Mestinon und Azetyleholin verwendet. Im Gegensatz zu Slaughter und Munsell haben wir beobaehtet, dab es nieht nStig ist, das Analgetikum mit dem Cholinergikum gleiehzeitig zu verabreiehen, da die Verst~rkung der analgetisehen Wirkung aueh dann auftritt, wenn der eholinergisehe Stoff auf der HShe der analgetisehen Wirkung injiziert wird. Sowohl bei Dromoran als aueh bei Pyramidon und Salizylamid sahen wit eine Ver- starkung und Verl~ingerung des analgetisehen Effekts bei gleiehzeitiger Ver- abreichung, ebenso w i e bei naeheinander durehgefiihrter Injektion. Die Verst~rkung des analgetischen Effekts ist statistiseh mit P = 0,0008 gut gesichert (Abb. 2 bis 8).

Hemmt man die eholinergisehe Wirkung dureh die gleiehzeitige Verah- reichung yon Atropin, so bleibt die synergistisehe Wirkung aus (Abb. 9).

Hat man aueh eine Erkliimng fiir den Synergismus der Opiate mit den eholinergisehen Stoffen, die ja beide das parasympathisehe Nervensystem gleiehsinnig beeinflussen, so fehlt diese fiir Pyramidon und Salizylamid. Diese Analgetika haben namlieh keine Beziehung zum parasympathisehen Nelwensystem und wirken aueh nieht vagotrop.

Diese komplizierten, his jetzt nieht geklarten Ph~nomene bediirfen einer weiteren ausgiebigen Bearbeitung, um einer entspreehenden Deutung zu- gefiihrt zu werden.

Zusammenfassung

Entgegen der Ansicht yon Leriche, der sich ~iuBerte, dab ,,le sympathique est le grand neff de la douleur", konnten wir an Ratten und Kaninchen den Beweis ftihren, dab die Analgetika sowohl aus der Gruppe der Opiate, als auch solche ans der Gruppe der Pyrazolone und Salizylate in ihrer Wirkung verst~irkt werden, wenn sie mit einem vaguserregenden Mittel verabreieht werden.

Summary Contrary to the idea of Leriche, that "le sympathique est le grand neff de la

douleur", we eould show in experiments with rats and rabbits, that the analgesic effect not only of opium alkaloids, but also of the pyrazolon derivatives and sali- cylates have a most pronounced analgesic action, in association with vagotropic substances.

R4sum4 Contrairement 5 ce que Lorlche a suppos6, clue de sympathique est le grand

neff de la do.uleur~, nous avons d6montr6 dans no.s exp6riments sur des rats et des lapins, que les analg6siques non seulement du groupe de ropium, mais aussi les pyrazoloniques et les salieyl6s out une aetiol~ analg6sique plus forte et plus 6tendue, quand on les administre en association avee des substances vagotropes.

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Literatur

Abaza und Gr~goire, Presse m6d. (1952), 38I. - - Cannon, Amer. J. Physiol. 89 (1929), 84; 96 (1981), 892. - - Fleisch und Dolivo, Helvet. physiol, pharmacol. acta 11 (1958), 305. - - Frank, Wien. klin. Wsehr. (1951), 80. - - Frommel, Actual. pharmaeol., 3i6me Serie (1951), 157. - - Gordonoff und Ehrlich, Helvet. physiol. pharmaeol, aeta 14 (1955), C 22. - - Griinthal, Msehr. Psyehiatr. 126 (1953), 284. - - Leriehe, La chirurgie de la douleur. Masson & Cie., Paris, 1940. - - Pellanda, Lyon m6d. 151 (1988), 658. - - Slaughter ur~d Munsell, J. Pharmaeol. 66 (1989), 88; 68 (1940), 104. - - Starkenstein, Schmiedeberg's Arch. 165 (1982), 826. - - Wuth, Miinch. reed. Wschr. (1928), 1266.

Anschrift des Verfassers: Prof. Dr. T. Gordonoff, Bern, Ankerstr. 28, Sehweiz.

Diskus~on

O. Hauswirth (Wien): Leriche sagte, dab der Sympathicus der Nerv des Schmerzes sei. Die Ausffihrungen von Gordonoff zeigen, dab auch der Vagus damit zu tun hat. Ob das eine oder das andere Mittel wirksam ist, richter sich ansschIieJJlich nach der vegetativen Konstitution des Patienten, der lediglich dann sehmerz[rei wird, wenn er zur Normotonie gelangen kann. Denn: Scbanerz zeigt nur an, dab an der betreffenden Stelle stoffliche Dysharmonie herrscht. Man wird also ehamal mehr ans/iuern miissen, um den Sympathicus anzuregen (bei Vagotonie), und einmal mehr alkalisieren, um den Vagus anzuregen (bei Sym- pathicotonie). Ist die vegetative Harmonie (Normotonie) erreicht, gibt es keinen Schmerz mehr.

1. H. Scharf (Jena): Ohne Zweifel kommt dem X. Hirnnerven grofJe Bedeutung ffir die Schmerzleitung zu, jedoch auch dem System des Grenzstranges. Es sei an die paradoxen ,,efferenten Sehmerzfasern" des Sympathieus von Foerster und Gagel erinnert, die zur ErhShung der Sensibilitfitsleitung der Sehmerzneurone dienen. Elektrophysiologischer Naehweis wurde dureh v. Briicke und Schiller ge- fiihrt. Deeapitierte FrSsehe und Katzen weisen erhShte Chronaxie der sensiblen Neurone auf, werm der Sympathieus elektrisch gereizt wird (Literatur siehe Scharf, MSllendorffs Handb. d. mikr. Anat. d. Mensehen, Bd. IV/8. Springer-Verlag, Berlin-Heidelberg).

T. Gordonoff (Bern): Ich kann mich den Ansiehten meiner Diskussionsredner nicht ansehlieBen, da wir den Synergismus mit den eholinergisehen Stoffen sehen. Ich mSehte im Sinne von Mosinger der These von Leriche entgegenstellen, daft beim Sehmerz auch das cholinergische System eine Rolle spielt.