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Andreas Eschbach

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Die Bewohner der Erde leben unter der Herrschaft des angeblichen Gottes Gon-O, deraus der Verbindung eines wahnsinnigen Nocturnenstocks mit einem unsterblichen Kunst-geschöpf entstanden ist. In einer Verzweiflungstat opfern Myles Kantor und sein Wissen-schaftler-Team ihr Leben, um den drohenden Untergang des gesamten Solsystems aufzu-halten.

Tatsächlich verursacht das Opfer eine mehrfache Wirkung. In der Großen Magellan-schen Wolke legt sich völlige Verwirrung über die Streitkräfte der Kybb, der Truppen Gon-Os. Auch auf der Erde kommt es zu Schwierigkeiten rings um den Vesuv: In dem Vulkanbei Neapel in Süditalien ist das so genannte Relais untergebracht, ein zweiter Schwer-punkt von Gon-Os Macht.

Perry Rhodan selbst hat sich mit seiner Flotte zurückgezogen. Es ist damit zu rechnen,daß der Terraner nicht ruhen wird, bis die Heimat der Menschheit wieder frei ist. Also leiteter einen gewagten Plan ein: Es ist DIE RÜCKKEHR …

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Die Rückkehr

Zwischen Wega und Sol – die Terraner riskieren die großeSchlacht

von Andreas Eschbach

Perry Rhodan Heft - Nr. 2295

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Die Hauptpersonen des Romans:

Perry Rhodan - Der Terraner plantseine Aktion nach der Logik der ab-soluten Fesselung.

Derek Pander - Der Servicetechnikersieht sich wider Willen als Soldat ineinem Großeinsatz.

Thort Kelesh - Der junge Herrscherüber die Ferronen gibt den Terranernwertvolle Hilfe.

Joseito Olbanez - Der Oberleutnantbringt Perry Rhodan auf eine interes-sante Idee.

Monkey - Der oxtornische USO-Chefzeigt Emotionen.

1.

Das Landefeld des Stützpunktes Ferrol er-innerte ihn so stark an Terrania City, daß eswehtat.

Es sind dieselben Normen, sagte sich De-rek Pander. Dieselben Vorschriften.

Wahrscheinlich sahen mehr oder wenigeralle Stützpunkte der LFT so ähnlich aus wieder Raumhafen von Terrania City.

Es wurde Mittag, bis die JACQUESCARTIER endlich ordnungsgemäß in denVerankerungen des Reparaturdocks lag, undals es so weit war, wußte Derek Pander, waser tun würde.

Man hörte, wie die Techniker des Stütz-punkts begannen, die ersten Teile der Au-ßenhülle am unteren Pol zu entfernen. Dadas Schiff dadurch bis auf weiteres nichtraumflugtauglich sein würde, nicht einmalim Alarmfall, bekam die Mannschaft dieSondererlaubnis, den Rest des Tages inThorta oder Heiakar zu verbringen. Die üb-rigen Auflagen der Alarmstufe Orange aller-dings, ließ der Kommandant erklären, gältenweiterhin, insbesondere die Pflicht der stän-digen Erreichbarkeit und das Verbot aller

Rauschmittel.»Gilt das auch für Barril-Wein?«, fragte

Sergeant Ross Necker.Leutnant Bersink musterte ihn mit einem

Gesichtsausdruck, in dem sich Nachsichtund Verzweiflung mischten. »Er enthält Al-kohol, nicht wahr? Deswegen die Bezeich-nung ›Wein‹. Und wie würdest du den Zu-stand nennen, in den einen der Genuß vonAlkohol versetzt?«

Necker verzog das Gesicht. »War ja nur'ne Frage.«

Abe Muraida mischte sich ein. »Leutnant,für etliche von den Leuten ist es das ersteMal, daß sie auf Ferrol sind. Und wenn esdumm läuft, könnte es das letzte Mal sein.Meinst du nicht, daß man da das eine oderandere Auge zudrücken sollte?«

Oh, das war das falsche Argument. Mäch-tig falsch. Der Leutnant lief rot an, blies denBrustkorb auf, stemmte die Fäuste in dieHüften und rief die ganze Gruppe noch malzurück.

»Sergeant Muraida hier«, erklärte er dannmit seiner besten Dröhnstimme, »hat geradeetwas von sich gegeben, was mir zeigt, daßer offenbar glaubt, die Vorschriften derAlarmstufe Orange hätten hauptsächlichzum Ziel, den Angehörigen der Raumflotteden Spaß am Leben zu verderben. Und weilSergeant Muraida mit Abstand der Klügstevon euch allen ist, habe ich jetzt den starkenVerdacht, daß diese Vorstellung womöglichweiter verbreitet sein könnte, als ich mirwünsche. Ist das so?«

Er sah in ausdruckslose Gesichter. In Au-gen, die den Jetzt-nur-nichts-Falschessagen-Blick hatten. Eine untersetzte Master-Sergeantin nestelte nervös an ihrem hochge-steckten Haar, alle anderen regten keineWimper.

»Also schön. Dann erkläre ich noch ein-mal, was Sache ist. Sicherheitshalber. Sacheist, daß wir hier einen verdämmten Kriegführen, mit Betonung auf ›wir‹. Mit anderenWorten, es ist nicht so, daß Perry Rhodaneinen Krieg führt und wir ihm hier und daein bißchen zur Hand gehen – nein, wir

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stecken alle mit drin, jeder von uns, undzwar mit Haut und Haaren. Und es ist auchnicht so, daß es nur auf die klugen Entschei-dungen von denen ganz oben ankommt undwir hier unten nur das Kanonenfutter sind.Nein, in einem Krieg kommt es auf jedenEinzelnen an. Auf dich beispielsweise, Ross.Oder auf dich, Ulrica. Auf dich, Abe. Aufdich, Derek.«

Auf mich? Auf mich bestimmt nicht, dach-te Derek Pander, während der Leutnant wei-ter die Namen hersagte derer, die vor ihmstanden und bloß darauf warteten, endlichrunter zum Gleiterbus zu kommen. MeinKrieg ist das nicht.

»Ein Glas Barril-Wein zu viel kann hei-ßen, daß ein Soldat einen Sekundenbruchteilzu langsam reagiert und einen Schuß zu spätkommt. Weil ein Schuß zu spät kommt, gehtein Gefecht verloren. Weil ein Gefecht ver-loren geht, geht eine Schlacht verloren, undweil eine Schlacht verloren geht, geht derKrieg verloren. Ich sag's noch mal: JederEinzelne zählt. Und wer mir das nichtglaubt, darf gern den Rest des Tages in dieBordbibliothek gehen. Die galaktische Ge-schichte ist voll von Beispielen, wie die Hel-dentaten oder Dummheiten Einzelner mäch-tige Reiche gerettet oder in den Unterganggerissen haben.«

Derek Pander sah die Männer und Frauennicken, als sähen sie es ein und bewundertendie Weisheit von Leutnant Bere Bersink.Dabei hätte er jede Wette gehalten, daß siein Gedanken längst in den kühlen Tavernender ferronischen Hauptstadt saßen. Und daßin diesen Gedanken keine Wasserkaraffenund auch kein Bilah-Tee vorkamen, hätte erauch gewettet.

Leutnant Bersink sah noch einmal in dieRunde. Sein Gesicht hatte seine normaleFarbe zurückgewonnen. »Kurz und gut, wasimmer ihr heute noch tut, tut es so, daß ihrmorgen früh in der Form eures Lebens seid.Ab mit euch!«

Allgemeines Aufatmen. Mit einer Art kol-lektivem Riesenseufzer setzten sich die Leu-te in Bewegung, und von draußen vom Gang

hörte man das erleichterte Gemurmel, dassie auf dem Weg zum Antigravschacht be-gleitete.

»Was ist mit dir, Derek?«, fragte derLeutnant, der wie immer darauf wartete, denRaum als Letzter zu verlassen. »Ich glaubenicht, daß noch mehr Gleiterbusse gehen.Der da unten dürfte der letzte sein.«

»Ich gehe nicht mit«, sagte Derek. »Ichhelfe den Technikern bei den Umbauarbei-ten.«

Bersink runzelte besorgt die Stirn. »Hmm.Opferbereitschaft ist ja was Schönes, aberbitte mit Maß und Ziel. Die nächsten Tagewerden wirklich anstrengend, glaub mir.Anstrengender als alles, was du bisher mit-gemacht hast. Ein bißchen Entspannungkönnte dir da gut tun.«

»Es ist mein Fachgebiet, Leutnant. Bela-dungstechnik.«

Bersink hob die Augenbrauen. »Ach ja,richtig.« Er zögerte, nahm seine Schirmmüt-ze aus dem Spindfach und die Tube mit derSonnenschutzcreme, deren Anwendung sichfür Terraner unter der heißen Sonne Ferrolsdringend empfahl. »Na schön. Aber das giltfür dich genauso: Was immer du tust, tu esso, daß du morgen früh in Form bist.«

»Ja, Leutnant«, sagte Derek Pander unddachte: Bleib mir doch vom Leib mit diesenmilitaristischen Parolen.

Mit Opferbereitschaft hatte das nichts zutun. Und es war nicht Entspannung, was ersuchte. Er wollte arbeiten, in dem Beruf, dener erlernt hatte und beherrschte, weil ihmdas besser als alle Weine der Galaxis helfenwürde zu vergessen.

*

Zusätzliche Traktorstrahler, zu installierenan Punkten, die für die Installation vonTraktorstrahlern nicht vorgesehen waren.Auffangkörbe mit Rückschlagdämpfern, diefür die Installation in Großkampfschiffenüberhaupt nicht konstruiert waren und über-dies aus ferronischer Produktion stammten,also auf Übereinstimmung mit den terrani-

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schen Standards überprüft und notfalls ange-paßt werden mußten. Und schließlich Ver-teileinrichtungen, die auf einen absolut un-üblich hohen Takt einzustellen waren. Daswar das Schwierigste.

»Wir könnten von diesen Hebelarmenhier«, schlug Derek Pander vor, »die äuße-ren Verstrebungen abfräsen und dafür ent-lang der Innenseite eine Verstärkung an-schweißen. Das verringert das Drehmomentso weit, daß wir das Lager lassen können,wie es ist.«

Es war heiß. Der Sonnenglast eines nor-malen ferronischen Tages flimmerte überdem weiten, leeren Raumlandefeld, und allewußten, daß es vor dem Abend nicht besserwerden würde. Immerhin gab der riesigeLeib des Schiffes Schatten. Techniker um-wimmelten den freigelegten unteren Pol wieeine Horde Ameisen das Gerippe eines totenTiers, und in den Docks nebenan bot sichgenau das gleiche Bild. Anders, als DerekPander es befürchtet hatte, hatte man seinHilfsangebot bereitwillig angenommen undihn einem Montagetrupp zugeteilt, bei demjemand wegen Krankheit ausgefallen war.

Der schlaksige Techniker von der Stütz-punktbesatzung besah sich die Sache. Ertrug eine grausam ölverschmierte Montur,auf deren Namensschild nur der Vornamelesbar war, Rhico. »Mmmh. Nicht übel, dieIdee.«

Derek deutete mit der Spitze seinesSchraubers auf die Stellen, die ohne die Ver-strebungen bruchgefährdet waren. »Wennman hier und hier verstärkt, siehst du? EinDreier-Terkonitblech müßte reichen.«

»Ja, denke ich auch.« Rhico nickte aner-kennend. »Für einen, ahm …« Er mustertedie zwei silbernen Rauten an Dereks Ober-arm. »… Sergeanten der Flotte verstehst duziemlich viel von Ladetechnik, muß ich sa-gen.«

Derek ließ seinen Schrauber sinken. »Ichbin eigentlich kein Sergeant. Ich bin nichteinmal Angehöriger der Flotte.«

»Sag bloß. Mit anderen Worten, ich müß-te jetzt die Typen von der Sicherheit rufen,

damit sie dich festnehmen?«»Ich bin eigentlich Servicetechniker.

Raumhafendienst. Und normalerweise habeich mit Frachtschiffen zu tun, mit Tendernund den ganzen Einrichtungen für den Zwi-schentransport.«

Der Ferrone, der ebenfalls zu der Monta-gegruppe gehörte, kam mit den beiden Ro-bots zusammen zurück, die einen Auffang-korb montiert hatten.

»Hast du gehört, Hèt-waro?«, meinte Rhi-co. »Unser Kumpel hier behauptet, ein blin-der Passagier zu sein.«

»Habt ihr nichts Besseres zu tun, als euchSchauergeschichten zu erzählen?«, knurrteder blauhäutige Mann, der Derek nicht ein-mal bis zur Schulter reichte. Wie man es denFerronen nachsagte, sprach auch er weitge-hend akzentfreies Interkosmo. »Jetzt dieNummer 17«, sagte er zu den Robotern unddeutete auf die Kisten mit den Bauteilen.

»Ich war zufällig an Bord, als der Befehlzum Alarmstart kam.« Derek fragte sich,wozu er den beiden das erzählte. Wo er docheigentlich vorgehabt hatte, nicht daran zudenken. »Für die routinemäßige Überprü-fung der Waffenzuladeeinrichtungen, wiesie jedes Jahr fällig sind. Zehn Minuten spä-ter, und ich wäre wieder weg gewesen.

Dann wäre ich jetzt nicht hier, sondern inTerrania.«

Bei Lisha und den Kindern. Das sagte ernicht. Es tat zu weh, an sie denken zu müs-sen und daran, daß er keine Ahnung hatte,wie es ihnen ging. Was sie durchmachenmußten in diesen Wochen, in denen sich dasSonnensystem in der Gewalt einer ebensounheimlichen wie unüberwindlichen Gei-stesmacht befand, konnte er sich nicht ein-mal vorstellen.

»Ehrlich?«, staunte Rhico.Hèt-waro machte eine Geste mit der

Hand, die Derek nicht deuten konnte, undmeinte: »Wer weiß, ob das nicht dein Glückwar. Was man so hört von Terra.«

Derek schluckte und fühlte sich auf ein-mal wieder genauso hundeelend wie am An-fang seiner Odyssee. »Ich … ich habe Fami-

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lie«, brachte er mühsam heraus. Verdammt,genau das hatte er vermeiden wollen! »Undich wäre lieber gemeinsam mit ihnen tot alsallein am Leben, glaub mir.«

Die beiden schwiegen betreten. Im Hin-tergrund der Halle kreischten die Schweiß-werkzeuge der Roboter.

»Verdammter Mist«, sagte Rhico.»Ja«, sagte Hèt-waro.Derek sah weg, sah zu den Robots hin-

über, die mit maschinenhaftem Gleichmutdie ihnen zugewiesenen Arbeiten verrichte-ten. Es ging gleich wieder, bestimmt. Wenner sich auf seine Arbeit konzentrierte, war esauszuhalten.

Rhico räusperte sich. »Wißt ihr was? Laßtuns Meira von der Sache mit den Hebelar-men erzählen; sie muß das schließlich ent-scheiden.« Meira war die Leiterin der Repa-ratureinheit. Insgesamt waren heute undmorgen zwölf ENTDECKER gemäß den ab-sonderlichen Anweisungen umzubauen.»Und dann gehen wir rüber in die Kantineund essen was. Spät genug ist es, und mir je-denfalls hängt der Magen in den Kniekeh-len.«

Der Ferrone musterte ihn von unten her.»Ihr Terraner mit eurer seltsamen Anato-mie.«

*

Ein Vorteil des Reparaturdocks war, daßdort die Schwerkraft auf Erdnorm gehaltenwurde; eigentlich sogar noch etwas darunter,weil das die Arbeit erleichterte. Auf demWeg zum Versorgungsbau passierten sie ei-ne jener grün-weiß gestreiften Markierun-gen, mit denen Übergänge zwischen Gebie-ten verschiedener Gravitation gekennzeich-net wurden, und die Schwerkraft Ferrols trafDerek wie ein Hammer.

Puh. Klar, Ferrol war ein großer Planet,weitaus größer als die Erde, der Tag dauertelänger, die Temperaturen waren höher – unddie Schwerkraft auch. Auf dem Papier sahen1,4 Gravos nach wenig aus, doch tatsächlichhieß es, daß Derek Pander statt 80 Kilo

plötzlich 112 wog, was sich anfühlte, als ha-be ihm jemand aus dem Hinterhalt einen mitBlei gefüllten Mantel übergeworfen. Es warnicht so heftig, daß er in die Knie ging, abermerklich tiefer atmen mußte er auf einmaldoch.

Rhico schmunzelte.»Gewöhnungsbedürftig, was?«

»Es geht schon«, ächzte Derek. Und daswar nur zur Hälfte gelogen. Schlimm warendie ersten paar Schritte, dann kam man eini-germaßen zurecht.

»Deine Kameraden sind bestimmt alle-samt ohne Mikro-Antigravgenerator losge-zogen, schätze ich mal«, sagte der schlaksi-ge Techniker und tätschelte das kaum hand-tellergroße, bonbonfarbene Gerät, das er amGürtel trug. »Sind schließlich alles starkeMänner und Frauen, oder?«

Derek nickte. Ja, niemand hatte alsSchwächling gelten wollen.

»Immer dasselbe«, meinte Hèt-waro.»Hab ich auch noch nie anders erlebt.«

Rhico grinste. »Nach spätestens zwei Stun-den sind sie so müde, daß sie in der erstenTaverne, die sie erreichen, einfach sitzenbleiben. Und wenn sie zurückkommen, sindalle völlig erledigt.«

»Es hat auch Vorteile«, sagte Hèt-waromit einem undeutbaren Gesichtsausdruck.»Die höhere Schwerkraft, der höhere Luft-druck … Terraner werden weniger schnellbetrunken.«

»Und der Barril-Wein schmeckt besser.«»Das auch.«Derek hörte kaum hin. Einen Fuß vor den

anderen zu setzen erforderte seine ganzeKonzentration. Das Versorgungsgebäude,ein flacher, lehmfarbener Bau mit getöntenScheiben, lag etwa einen Kilometer entferntam Rand des Werftgeländes, aber irgendwieschien diese Entfernung zuzunehmen, je län-ger sie marschierten. Dazu die drückendeHitze … Er sah zum Himmel hinauf, vondem die Wega weiß glühend und riesenhaftauf sie herunterbrannte, durch ein faserigesGespinst grünlich schimmernder Wolkenhindurch.

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»Mein Bruder lebt seit etlichen Jahren inThorta, arbeitet bei einer Handelsvertretungfür medizinische Güter«, erzählte Rhicomunter weiter. »Er hat sich den Antigravge-nerator nach und nach abgewöhnt, und heutebenutzt er ihn überhaupt nicht mehr. Dafürhat er jetzt Muskeln, mein lieber Mann. Se-henswert.«

»Es ist trotzdem nicht klug von ihm«,brummte Hèt-waro. »Ihr Terraner habt nichtdie Gelenke dafür. In spätestens. zehn Jah-ren kriegt er Probleme.«

Wenigstens hatte Derek die Empfehlungbefolgt, sich einzucremen und die Schirm-mütze aufzubehalten. Die Sonne konnte ei-nem auf Ferrol mächtig zusetzen, wenn mannicht aufpaßte.

Endlich erreichten sie das Gebäude, undDerek war erleichtert, unmittelbar vor demHaupteingang wieder eine grün-weiße Mar-kierung zu sehen. Kühle und Leichtigkeitempfingen sie, als die Türen aus dunklemGlas vor ihnen auffuhren, dazu köstlicheGerüche, die ihm das Wasser im Mund zu-sammenlaufen ließen.

Der Kantinenraum war riesig, ausgelegtfür wenigstens tausend Leute, und es war ei-ne Menge los. Einen Moment lang glaubtePander an einem der Tische Julian Timorsitzen zu sehen, aber dann sagte er sich, daßdas ja wohl kaum sein konnte: Der Resi-denz-Minister führte immerhin gerade denOberbefehl über die Flotte und hatte zwei-fellos anderes zu tun. Wahrscheinlich war esnur jemand, der ihm ähnlich sah.

Sie reihten sich in die Schlange ein. Wäh-rend sie warteten, betrachtete er die gerahm-ten Aquarelle und die bunt bemalten ferroni-schen Holzreliefs, die in gleichmäßigemWechsel alle Wände ringsum zierten. Davonausgenommen war nur die dem Eingang ge-genüberliegende Wand, die zur Gänze mitdicht bedruckten, schwarz umrandeten Foli-en bedeckt war. Was das sollte, erschloßsich ihm nicht, aber sie würden noch daranvorbeikommen.

Es gab zwei lange Warmtheken, die klei-nere davon war in elegant geschwungenem

Ferronisch beschriftet. Auf dem Stützpunktarbeiteten offenbar mehr Ferronen, als De-rek Pander gedacht hätte. Er beugte sichneugierig über die fremdartig aussehendenGerichte.

»Ein grüner Punkt auf dem Schild bedeu-tet, daß es für Terraner problemlos verträg-lich ist«, erläuterte Hèt-waro.

»Probier die marinierten Fische«, empfahlRhico. »Und dazu Kartoffeln. Das ist einegute Kombination.«

Als sie sich mit ihren Tabletts auf demWeg zu einem freien Tisch machten, kam erdazu, sich die Wand mit den Folien aus derNähe anzusehen.

Es waren Namenslisten. Namen von Men-schen und dazwischen Namen von Raum-schiffen. Raumschiffen, die nicht mehr exi-stierten.

»Die Leute, die am 4. April ums Lebengekommen sind«, sagte Rhico leise. »Wirhaben ihre Namen ausgehängt, um ihr An-denken zu ehren.«

»Ah«, brachte Derek Pander nur heraus.Und mit einem Schlag waren die Erinne-

rungen wieder da. Wie er im stählernenBauch des Raumschiffes gesessen hatte, denWerkzeugkasten zwischen den Füßen, sichan den Sitzlehnen festklammernd, mitschweißnassen Händen, während ihm dasHerz gegen den Brustkorb schlug, als wollees ihn sprengen. Das markerschütterndeDröhnen der Triebwerksaggregate, das se-kundenlange Erlöschen der Beleuchtung, dieim Dunkeln geisterhaft nachleuchtete, wäh-rend alles zitterte von Einschlägen in dieSchutzschirme. Die Schläge aus dem Nichts,wenn die Andruckabsorber eine milliardstelSekunde zu spät schalteten. Die gellendenAlarmsignale, die gebrüllten Durchsagen,deren Sinn er nicht verstand. Und wie siehatten losrennen müssen, um die durchge-brannte Versorgereinheit eines Geschützesauszutauschen, während sich das Schiff un-ter ihnen aufbäumte, als würde es jeden Mo-ment in Stücke zerreißen.

Die Schlacht um Ferrol. Worum es gegan-gen war, hatte er erst erfahren, als alles vor-

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bei gewesen war und man sich die Aufzeich-nungen ansehen konnte. Dutzende von ENT-DECKERN waren vernichtet worden, Hun-derte von LFT-BOXEN und die meisten derfremden, rochenartigen Schiffe, die angeb-lich aus einem Sternhaufen namens»Jamondi« stammten, von dem Derek nochnie gehört hatte – im Kampf gegen ein einzi-ges der Raumschiffe, die das Solsystem be-herrschten. Bald acht Wochen war das her,und alles, was sie seither getan hatten, warüberlagert gewesen von einem angsterfülltenWarten darauf, daß die Feinde zurückkehrenmochten, so zahlreich und so gut vorbereitet,daß es keine Rettung mehr geben würde.

Bis jetzt allerdings waren sie nicht wiederaufgetaucht.

Dereks Blick wanderte weiter, weg vonden Listen auf den Folien, hin zu den ande-ren Wänden, zu den Gemälden und den Re-liefpaneelen.

»Es ist noch Platz«, erklärte Rhico ernst.»Und ich fürchte, wir werden ihn noch brau-chen.«

Derek schluckte nur und war froh, als diebeiden weitergingen und er ihnen einfachnur zu folgen brauchte.

Dann saß er da und starrte diese Wand an.Er bekam kaum mit, was er aß und wie esschmeckte; als Rhico ihn fragte, wie ihm diemarinierten Fische schmeckten, sagte er nurgeistesabwesend: »Gut!« und konnte nichtaufhören, auf die Wand zu starren, auf alldiese Blätter, die da hingen, voller Namen,dicht an dicht. Er versuchte, sie zu zählen.Fünf Folien untereinander, auf jeder Folievier eng gedruckte Spalten, und so zog sichdas über die ganze Längswand der Messe,die bestimmt vierzig Meter lang war odernoch länger. Tausende von Namen. Tausen-de von Toten. Die Opfer der Schlacht umFerrol. Der Preis, den es gekostet hatte,einen einzigen Kybb-Titanen zu zerstören.

Er fragte sich, wie diese Leute hier es aus-hielten, sich das alles jeden Tag aufs Neuebewußt zu machen. Daß Krieg war. Daß je-der Tag der letzte sein konnte.

2.

Seit sie Kontakt zu NATHAN hatten undsich die Umrisse eines Planes herausschäl-ten, hatte Perry Rhodan es sich angewöhnt,vierzig und mehr Stunden am Stück zu ar-beiten. Erst wenn nicht einmal mehr der Zel-laktivator gegen die sich aufbauende Müdig-keit ankam, raffte er die wichtigsten Unter-lagen zusammen, ließ den mit Folien undTerminals übersäten Konferenztisch in derObhut eines Wachroboters zurück und zogsich zurück, um ein paar Stunden lang zuschlafen wie betäubt. Dann duschte er, zogfrische Kleidung an und arbeitete weiter.

Die Mahlzeiten, die ihm ein kleiner Robo-ter aus der Bordmesse servierte, nahm er ne-benbei ein, während er Listen durchging,Notizen machte, Besprechungen abhielt oderschlicht und einfach nachdachte. Was denOberbefehl über die nervös wartende Flotteund die dicht gestaffelten Wachpatrouillenim Wegasystem anbelangte, wechselten sicheinstweilen Julian Tifflor und Monkey ab.

»Du bist ja immer noch da«, sagte Timor,als er wieder mal den Kopf hereinstreckte.

»So ist das nun mal«; murmelte Rhodangeistesabwesend, völlig auf den Bericht kon-zentriert, den er gerade las. »Die Zeit ver-geht und vergeht, und ich bin immer nochda.« Er hob den Blick, schnupperte. »Wasist das? Ich kenne den Geruch. Krol Öl!Warst du auf Ferrol?«

Tifflor nickte. »Auf dem Stützpunkt.Kleiner Imbiß mit der Kommandantin undihrem Stab.«

»Schön. Was machen die Umbauarbei-ten?«

»Alles im Plan.« Tifflor zögerte. »Sagmal, wußtest du, daß dort im Speisesaal Li-sten aushängen mit den Namen aller, die imKampf gegen den Kybb-Titanen ums Lebengekommen sind?«

Rhodan legte den Bericht beiseite undgriff nach dem nächstliegenden Handtermi-nal.

»Ich habe davon gehört, ja.«

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»Und?«»Und was?«»Findest du das in Ordnung?«»Was soll daran nicht in Ordnung sein?

Sie trauern um die Gefallenen.«»Machst du dir keine Sorgen, daß sich das

negativ auf die allgemeine Moral auswirkenkönnte?«

Rhodan ließ das Terminal sinken, lehntesich nach hinten und bewegte die verspann-ten Schultern. »Um die Moral würde ich mirSorgen machen, wenn die Leute ohne weite-re Reaktion darüber hinweggehen würden,daß Tausende gestorben sind in einem einzi-gen Gefecht.« Er sah den Mann an, der ihmseit Jahrtausenden ein treuer Weggefährtewar. »Tiff, die Leute schauen nur der Wahr-heit ins Gesicht. Und die Wahrheit überRaumschlachten ist, daß es dabei verdammtwenig Verwundete und verdammt viele Totegibt. Und daß ein explodierendes Raum-schiff in der Mehrzahl der Fälle nichts übrigläßt, was man in Särge legen könnte. Eszeugt von Mut, sich einer solchen Wahrheitzu stellen.«

Julian Tifflor nickte ernst. »Mag sein.Aber du weißt es nicht. Es könnte genausogut sein, daß derjenige, der diese Listen auf-hängt, damit seine Hoffnungslosigkeit zumAusdruck bringen will.«

Ein Moment nachdenklicher Stille tratein, vor deren Hintergrund die Geräusche,die aus der Kommandozentrale hereindran-gen, umso lauter und lebhafter wirkten: Ge-sprächsfetzen, die Tonsignale der Orter, dasSurren bodengebundener Robots. PerryRhodan blickte eine Weile versonnen insLeere, fürchte schließlich die Augenbrauenund schüttelte den Kopf. »Nein. Tiff, dieZeiten haben sich geändert. Die Menschenheutzutage brauchen von uns nicht mehr die-se Art Fürsorge. Falls sie sie je gebrauchthaben, wer weiß. Auf jeden Fall wollen siesie nicht mehr. Sie brauchen unsere Erfah-rung, das ist alles.«

Tifflor wirkte nicht restlos überzeugt.»Wahrscheinlich hast du Recht«, sagte erauf eine Art, die erkennen ließ, daß er sich

dessen nicht wirklich sicher war. Er strafftesich. »Wie auch immer, ich muß weiter,Monkey wartet auf die Ablösung. Du weißtja, wie er Unpünktlichkeit haßt. Und, Perrydu solltest ins Bett. Du siehst grauenhaftaus.«

Perry Rhodan sah über den chaotischenKonferenztisch, konsultierte die Uhr undnickte. »Du hast Recht.« Er grinste matt.»Diese Art Fürsorge werden wir wahr-scheinlich brauchen, solange wir leben.«

*

Doch so leicht war Gon-O nicht abzu-schütteln.

Rhodans Kabine war vergleichsweiseklein. Zwar herrschte an Bord von PRAE-TORIA in der Regel kein Platzmangel, in je-ner räumlichen Nähe zur Kommandozentra-le, die einen Wohntrakt für Führungsoffizie-re geeignet machte, allerdings schon. Hierdurchzogen allerhand voluminöse Verstre-bungen und Schutzeinrichtungen dieSchiffszelle, und das hatte es erforderlichgemacht, die Kabinen, so gut es ging, dazwi-schen zu quetschen und ihnen eine gewöh-nungsbedürftige Innenarchitektur vollerschräger Wände und abgeschnittener Eckenzu verpassen.

Zum Ausgleich verfügte jede Räumlich-keit über ein großes Holofenster, das die Il-lusion schuf, direkt hinaus ins All sehen zukönnen. Die zugehörige Kamera befand sichauf der Außenseite eines Elements im Bug-modul, also in rund elf Kilometern Entfer-nung. Zufällig war sie so ausgerichtet, daßRhodan das im Kampf gegen den Kybb-Titanen verstümmelte Modul Ost sehenkonnte.

Gon-0 war sozusagen allgegenwärtig.Durchaus ein Problem, wenn man beinahe

zwei Tage fast ohne Pause an Kriegsplänengegen ebendiese Wesenheit gearbeitet hatteund endlich schlafen wollte.

Perry Rhodans geheime Gegenmaßnahmewar ein kleines Symbol, das immer, wenn erseine Kabine betrat, auf dem Schirm seines

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Interkoms blinkte: ein kleines gelbes Qua-drat, das eine stilisierte Königskrone zeigte.

Was es damit auf sich hatte, wußte außerihm nur noch ein einziger Mensch. Damitwar ein Grad an Geheimhaltung erreicht, derden der Vorbereitungen für den Gegen-schlag noch übertraf.

*

Monkey führte das Kommando für ge-wöhnlich von der TRAJAN aus, doch abund zu kam er an Bord der PRAETORIA-Kern-zelle. Dann schlossen sich die drei Zellakti-vatorträger im Konferenzraum ein, um dieLage zu besprechen und das weitere Vorge-hen zu planen. Ihre Diskussionen fraßen sichregelmäßig nach kurzer Zeit an dem Punktfest, daß im Solsystem insgesamt 54 Kybb-Titanen stationiert waren und daß sie diesennichts entgegenzusetzen hatten. In derSchlacht um Ferrol waren sie mit Mühe unddank des Überraschungseffekts mit einemeinzigen Titanen fertig geworden, und wiees Überraschungseffekte nun einmal so ansich haben, würde das so kein zweites Malfunktionieren.

Trotzdem hatten sie inzwischen einenPlan. Zumindest Ansätze dazu. Ein paar ent-scheidende Ideen fehlten noch, und es waran ihnen, diese auszubrüten. Denn obwohles keine nachprüfbaren Hinweise daraufgab, mußten sie weiterhin davon ausgehen,daß sich unter den Besatzungsmitgliedernder Flotte noch unentdeckte Jünger des an-geblichen Gottes Gon-Orbhon befanden –mit anderen Worten: Menschen, die in gei-stigem Kontakt mit der Macht standen, diedas Sonnensystem in ihrer Gewalt hatte.Menschen, über deren Bewußtsein Gon-0 siebelauschen und ihre Pläne in Erfahrung brin-gen konnte.

Es konnte beinahe jeden treffen. Selbst ei-ne Mentalstabilisierung war kein Schutz da-gegen. Lediglich Zellaktivatorträger schie-nen nach den bisherigen Erfahrungen im-mun zu sein. Deshalb durften nur Aktivator-träger den gesamten Plan kennen. Alle ande-

ren erfuhren nur Teile davon.Und damit sich niemand den Plan aus

mehreren solcher Teile zusammenreimenkonnte, nicht einmal eine Gottheit Gon-Orbhon, folgten Rhodan, Tifflor und Mon-key einer einfachen Strategie, die dem altenSprichwort entsprang: Eine Nadel verstecktman am besten in einem Nadelhaufen.

Mit anderen Worten: Mehr als die Hälfteder Anweisungen, die an die Flotte ergingen,waren völliger Humbug.

3.

»Also, Leute«, verkündete Bersink überdas Wummern der Triebwerke hinweg, daseinem hier unten in den neu ausgebauten La-deräumen in den Ohren dröhnte, »wir habenAnweisung, ein Manöver einzuüben, das,gelinde gesagt, ziemlich kurios klingt. Aberihr wißt ja, wie die Lage ist. Es wird unsnichts anderes übrig bleiben, als auf dieWeisheit unserer Führungskräfte zu vertrau-en und uns damit zu begnügen, unser Besteszu geben. So weit verstanden?«

Ross war immer noch aufgekratzt. »Duhättest mitkommen sollen, Derek«, wisperteer. »Thorta ist der Hammer. So eine riesigeStadt hast du noch nicht gesehen, glaub mir.Die Prachtstraßen, die Stammesviertel, dieMärkte … Und die Tavernen natürlich …Dagegen ist Terrania City ein Kaff.«

»Bah«, winkte Abe ab. »Ein Häusermeer,so weit das Auge reicht. Weiter nichts.«

»Na gut, das stimmt«, räumte Ross ein.»So was, wie 'ne Skyline hat Thorta nicht zubieten. Aber ansonsten … holla!«

Derek Pander hörte nur mit halbem Ohrhin, wie Abe gewichtig erklärte: »Weil näm-lich kein Gebäude in der Hauptstadt höhersein darf als die Kuppel des Roten Palastes.Das ist Vorschrift.«

Wie ein Blitz kam die Erinnerung an sei-ne Kindheit. Wie er, neun Jahre alt, am Fen-ster seines Zimmers stand und stundenlangdieses unglaubliche Bauwerk anschauenmußte, die Solare Residenz, die wie einschimmernder Traum am Himmel über Ter-

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rania hing und im Licht der untergehendenSonne erstrahlte, sogar dann noch, wenn dieStadt selbst schon im Dunkeln versank unddie Lichterketten auf den Hochstraßen an-gingen. Wenn Tante Maya zum dritten Malgemahnt hatte, ans Schlafen zu denken. KeinBauwerk Terranias hätte höher sein könnenals die Residenz.

Damals. Als Energie einfach da gewesenwar.

Schwer zu begreifen, daß diese Zeit nie-mals wiederkehren würde.

»Ich höre euch nicht«, dröhnte Bersink.»Habt ihr verstanden, was ich gesagt habe?«

»Ja, Leutnant«, riefen die Männer undFrauen um Derek Pander herum im Chor. Erverzog das Gesicht. Schon allein dieser blö-den militärischen Umgangsformen wegenwar er froh, nicht zu den Raumstreitkräftengegangen zu sein.

»Die JACQUES CARTIER«, fuhr derLeutnant fort, »befindet sich im Augenblickim Anflug auf Tholus. Das ist einer der bei-den Monde von Groll, dem dreizehnten Pla-neten des Wegasystems. Tholus ist atmo-sphärelos, reich an schweren mineralischenBodenschätzen und wird deshalb von denFerronen stark industriell genutzt. Trotzdemwerden wir, übrigens mit der persönlichenSondererlaubnis Thort Keleshs, hier unsereÜbung abhalten, die, wie schon erwähnt,ziemlich merkwürdig ist.« Er hüstelte, wasin der Lautsprecheranlage ein verzerrtesKrachen auslöste. »Eine Sondererlaubnis,erteilt innerhalb von nur wenigen Tagen –das sei übrigens ein Verwaltungsakt ohneBeispiel in der ferronischen Geschichte, hatman mir glaubhaft versichert. Also, fühlteuch entsprechend geehrt.«

Derek Pander sah sich um. Niemand schi-en zu wissen, wie man das machte: sich ge-ehrt zu fühlen, nur weil eine Horde von Pa-pierkriegern über ihren Schatten gesprungenwar.

»Wir werden aus einer Ausgangsdistanzvon sieben Millionen Kilometern mitHöchstgeschwindigkeit anfliegen. Es folgtein Bremsmanöver mit Maximalverzöge-

rung, das uns in Rekordzeit punktgenau überdem Einsatzort auf Tholus zum Stillstandbringt. Dabei handelt es sich um einen etwafünfzehn Kilometer durchmessenden Krater,der als Lagerplatz dient. Dort liegen an diefünfhundert Standardcontainer, mehr oderweniger wild in der Gegend verteilt. UnsereAufgabe ist, so viele wie möglich davon anBord zu nehmen, und zwar in möglichst kur-zer Zeit. Für die eigentliche Verladung ha-ben wir das Traktorsystem, das allerdingsjetzt auf eine derart extreme Geschwindig-keit eingestellt ist, daß praktisch sämtlicheSicherheitsvorschriften, die für solche Anla-gen je existiert haben, verletzt werden. Eskann also zu Ausfällen, Störungen und soweiter kommen. Aufgabe der Gruppe 1 wirdsein, bereitzustehen, diese in rekordverdäch-tig kurzer Zeit wegzuzaubern. Ist das so weitklar?«

»Ja, Leutnant!«, brüllten die Männer undFrauen von Gruppe 1.

»Gruppe 2 hat die Aufgabe, die Ladear-beiten gegen eventuelle Feindeinwirkung zusichern«, fuhr Bersink fort. »In dem Augen-blick, in dem Die Hangartore aufgehen,stürmt ihr hinaus, baut leichte Prallfeldwän-de auf und ballert auf alles, was sich amKraterrand bewegt. Ist das so weit auchklar?«

»Was könnte sich denn da bewegen?«,fragte eine burschikose Frau von Gruppe 2,einen klobigen Impulsstrahler lässig in derHand.

»Was unsere Übung anbelangt, Kampfro-boter im Manövermodus«, antwortete Ber-sink. »Ich bitte übrigens darum, daran zudenken, auch die Strahler im Manövermoduszu betreiben. So ein Kampfroboter ist ziem-lich teuer, und es ist häßlich, wenn man dieKosten für einen davon vom Sold abgezogenbekommt.« Verhaltenes Gelächter. Es klangetwas gezwungen, genau wie die Witzeleiendes Leutnants.

»Und im Einsatzfall?«Bersink hob die Hände. »Alles Mögliche.

Wie das eben so ist, wenn keine Spielregelnmehr gelten.« Er sah in die Runde und rief,

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als keine weiteren Fragen kamen: »Ist das soweit klar, Gruppe 2?«

»Ja, Leutnant!«, dröhnte es.»Gut. Bleibt Gruppe 3.« Alle Augen rich-

teten sich auf die Techniker, zu denen auchDerek Pander zählte. »Die Kollegen von derÜbungsvorbereitung werden sich allerhandSchweinereien ausdenken, um uns das Le-ben schwer zu machen. Teile der Ladungwerden unter energetischen Sicherungen lie-gen, unter Prallfeldern oder ganz banal hin-ter Gittern. Euer Job wird sein, sämtlichederartigen Hindernisse zu beseitigen, damitdas Traktorsystem zugreifen kann. So weitklar, Gruppe 3?«

»Ja, Leutnant!«, riefen alle Männer undFrauen von Gruppe 3.

Fast alle. Derek Pander brüllte nicht, son-dern stellte sich nur zum tausendsten Maldie Frage, was um alles in der Welt er hiereigentlich tat.

»Für euren Einsatz«, fuhr Bersink fort,»gelten genau drei Regeln. Erste Regel: Soschnell wie möglich! Zweite Regel: Nochschneller! Dritte Regel: Jede Sekunde ist ei-ne Sekunde zu viel.«

Nicht auszuhalten, dieses militaristischeGeschwätz. Warum konnten die einem nichteinfach ein Stück Folie in die Hand drücken,auf dem stand, was man zu tun hatte? Dasfunktionierte doch sonst überall in der Weltauch.

4.

Es hatte bei einem kleinen Essen begon-nen, das der Thort vor ein paar Wochen fürdie Mitglieder der Technikgruppe gegebenhatte. Damals hatten sie noch gehofft, dasProblem der Herstellung weiterer Disso-nanzgeschütze mit Hilfe menschlichen Er-findergeistes lösen zu können.

Zum ersten Mal, seit Perry Rhodan imRoten Palast verkehrte, war es wirklich einkleines Essen gewesen. Ein Büffet in einemkleinen, holzgetäfelten Nebenraum, dazu ei-ne ausreichende Anzahl kleiner Tische, andenen man sich zwanglos zusammensetzte,

um – natürlich weiter über technische Fra-gen zu debattieren.

Die Ferronen waren technisch hoch ent-wickelt, die Produktionskapazitäten ihrer in-dustriellen Anlagen beeindruckend und ihreBeherrschung der Nanotechnologie legen-där. Das hieß, daß sie in der Lage gewesenwären, alle notwendigen Teile mit beliebighoher Genauigkeit zu fertigen. »Notfalls aufeine Atomschicht genau«, hatte Rastualekerklärt, der greise Leiter des Thort-Tekumsfür Technik, einer Art Akademie, die demHerrscher der Ferronen persönlich unterstelltwar. Sie war im Palast untergebracht, der dieAusmaße einer Kleinstadt hatte und zahlloseRäumlichkeiten umfaßte, die zweifellosselbst ein Thort nie im Leben zu Gesicht be-kam.

Doch das Problem waren nicht die Ferti-gungstoleranzen, das Problem waren dieBauteile, die hyperdimensional aufgeladenwerden mußten. Die Ferronen zählten zuden wenigen Völkern, die aufgrund ihrermentalen Konstitution nicht dazu in der La-ge waren, hyperdimensionale Zusammen-hänge zu verstehen. Entsprechend waren ih-re Fertigungsanlagen nicht darauf eingerich-tet, derartige Geräte herzustellen. Natürlichbedienten sich die Ferronen durchaus hyper-dimensionaler Technik, doch was immer siedazu brauchten, kauften sie ein. Nur wenigevergleichsweise einfache Dinge stellten sieselbst her, allerdings auch das nur schlechtund in einer Art blinden, verständnislosenNachahmens. Der Anblick der entsprechen-den Werkzeugmaschinen hatte den Inge-nieuren von der USO und PRAETORIA nurbedauerndes Kopfschütteln entlockt.

Es war ausgesprochen paradox, daß aus-gerechnet die Ferronen, die dazu neigten,ausgesprochene Komplexe wegen ihrer Un-fähigkeit auf dem Gebiet der fünfdimensio-nalen Physik zu entwickeln, seit dem An-stieg der Hyperimpedanz das stabilsteTransmitternetz weit und breit besaßen; imGrunde das einzige, das noch funktionierte.Denn die alten Käfigtransmitter, die ihnendas Geistwesen ES vor undenklichen Zeiten

Die Rückkehr 13

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geschenkt hatte und die seit Jahrtausendenfür den Transport von Personen und Güternzwischen den besiedelten Planeten des We-gasystems benutzt wurden, arbeiteten er-staunlicherweise nach wie vor und mit der-selben hundertprozentigen Zuverlässigkeitwie eh und je.

Noch so ein Phänomen, um das man sichbei Gelegenheit kümmern mußte, dachteRhodan.

»Mir scheint, du bist nicht zufrieden, Re-sident«, sagte der Thort.

Rhodan war durchaus zufrieden, wennauch eher damit, endlich zu sitzen, einenTeller ferronischer Köstlichkeiten vor sichzu haben und den sich immer mehr im Kreisdrehenden technischen Diskussionen nurnoch mit halbem Ohr folgen zu müssen.»Wie man es nimmt«, erwiderte er.»Natürlich hätte ich mir ein anderes Ergeb-nis gewünscht, aber immerhin haben wir all-mählich Klarheit über unsere Optionen. Dieleider so aussehen, daß alle Einrichtungen,die imstande wären, die benötigten Waffenzu bauen, entweder in der Hand des Feindesoder unerreichbar weit entfernt sind.«

»Was heißt unerreichbar weit?«Thort Kelesh war ein Hüne von Mann,

selbst nach terranischen Maßstäben undnach ferronischen erst recht. Es irritierteRhodan ein wenig, daß er zu einem Ferronenaufsehen mußte, selbst im Sitzen. Und dieseIrritation irritierte ihn ebenfalls. Vielleichtkam es daher, daß Ferrol für ihn nicht ir-gendein Planet war. Ferrol hier hatte seiner-zeit alles angefangen. Hier im Roten Palastwar das Galaktische Rätsel verborgen gewe-sen, dem er seine relative Unsterblichkeitverdankte. Hierher zu kommen war für Per-ry Rhodan immer mit nostalgischen Gefüh-len verbunden.

»Es heißt,« erklärte er dem jungen Thort,»daß wir von Planeten reden, zu denen wirim Augenblick nicht einmal Funkkontakthaben. Olymp etwa. Dort ließe sich natürlichalles herstellen. Aber im Moment zögereich, eine Expedition dorthin loszuschicken.«

Kelesh schüttelte verstehend den Kopf,

die ferronische Geste der Zustimmung. »Siekäme unter Umständen zu spät zurück. Au-ßerdem wäre es eine Schwächung der hierstationierten Kräfte.«

»Genau«, sagte Rhodan. Wobei es eherdie Frage ist, ob das angesichts der Kampf-kraft der Kybb-Titanen überhaupt eine Rollespielt, dachte er. Natürlich hatte der Thortvor allem das Wohl seines eigenen Volkesim Blick, wie es auch seine Pflicht war. Erwar beunruhigt und zu Recht: Gegen einenmassiven Angriff der Streitkräfte Gon-Orbhons würde sich der legendäre haluti-sche Überfall vor fünfundfünfzigtausendJahren, der die Welten des Wegasystems inapokalyptischen Dimensionen verheert hatteund bis auf den heutigen Tag fester Bestand-teil der Überlieferungen und der ferroni-schen Mentalität war, ausmachen wie eineLappalie.

Im Grunde war Rhodan seinetwegen ge-kommen. Von den technischen Einzelheiten,die die Spezialisten für Fertigungstechnikbeider Seiten diskutierten, verstand er ohne-hin fast nichts. Aber es war wichtig, demThort gegenüber keinen Zweifel daran zulassen, daß die Terraner sich bewußt waren,was für eine Last sie den Ferronen mit ihrerGegenwart aufbürdeten.

Im nächsten Moment tauchte wieder ein-mal eine Palastordonnanz in schneeweißerPrachtuniform auf, worauf sich der Thortwieder einmal eilig entschuldigte. Es wardas zehnte oder elfte Mal, seit das Essen be-gonnen hatte: der normale Arbeitsalltag desobersten Repräsentanten eines politischenSystems, das für seine überbordende Büro-kratie in der halben Galaxis berüchtigt war.

Rhodan bemerkte, daß der junge Pilot,dessen Aufgabe es war, ihn im Falle einesAlarms mit seiner draußen im Hof bereitste-henden Space-Jet umgehend zurück an Bordder PRAETORIA-Kernzelle zu fliegen, im-mer noch neben der Tür stand, steif wie einStück Holz und mit einem unbehaglichenAusdruck im Gesicht.

Er winkte ihn zu sich her.»Resident?«

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»Oberleutnant Olbanez«, sagte Rhodan,»wir sind hier bei Freunden. Unnötig, sichzu benehmen wie bei einer Audienz am ar-konidischen Hof.«

Der Pilot beugte sich leicht vor, die Kom-Einheit, die er im rechten Ohr trug, mit derHand festhaltend. »Ich fürchte, ich verstehenicht ganz, was du meinst, Resident.«

»Es war nie die Rede davon, daß du hun-gern mußt. Im Gegenteil, die Ferronen könn-ten … nun ja, nicht direkt beleidigt, aberdoch etwas pikiert sein, wenn ein Terranerneben einem gut gedeckten Büffet steht undnichts davon ißt.«

»Ach so!« Ein Leuchten glitt über das Ge-sicht des jungen Mannes. »Unter diesenUmständen bin ich natürlich gern bereit,meinen diplomatischen Beitrag zu leisten.«

Rhodan mußte grinsen. Der Mann gefielihm. »Tu das.«

Auf dem Rückflug kamen sie ins Ge-spräch. Joseito Olbanez war bis jetzt aufPRAETORIA stationiert gewesen, sah abermit merklicher Begeisterung einer Verset-zung zu einem Schiff der ENTDECKER-Flot-te entgegen. »Nichts gegen PRAETORIA«,meinte er fast entschuldigend, »aber es isteben doch ein großer, häßlicher Klotz.«

»Du sprichst von der bedeutendsten Waf-fe der LFT«, stellte Rhodan amüsiert fest.

»Ich spreche von der bedeutendsten Waf-fe der LFT, ganz genau«, grinste Olbanez,während er die Space-Jet in eine kühne An-flugkurve auf den »häßlichen Klotz« legte.

Rhodan musterte ihn von der Seite. Überder linken Hemdtasche trug der Pilot einengoldenen Anstecker, der ihn an eine stilisier-te Schachfigur erinnerte. Jedenfalls sah esziemlich unmilitärisch aus.

»Ohne behaupten zu wollen, ein Expertefür Orden und Ehrenzeichen zu sein«, sagteRhodan und deutete auf den Anstecker,»habe ich das Gefühl, daß ich das da nichtkenne.«

Der Oberleutnant grinste wie ein ertappterSchüler. »Ja, das sollte ich eigentlich nichtan dieser Stelle tragen. Es ist bloß das Mei-sterschaftsabzeichen im Schach.«

»Im Schach?«»Ja, das ist ein altes terranisches Spiel,

das man auf einem Feld mit acht mal achtFeldern …«

»Ich weiß, was Schach ist, Oberleutnant.«Olbanez lachte auf. »Ja, natürlich. Ent-

schuldige. Ich bin es so gewohnt, daß manes den Leuten erklären muß. Die meistenverwechseln es mit dem arkonidischen Gar-rabo.«

»Ein Meisterschaftsabzeichen läßt daraufschließen, daß es dazu auch Meisterschaftengegeben haben muß.«

»Oh ja, sicher, die Flotte veranstaltet je-des Jahr eine Schachmeisterschaft«, beeiltesich Olbanez zu versichern und fügte hinzu:»In friedlichen Jahren jedenfalls.«

»Das will ich hoffen«, schmunzelte Rho-dan. »Und du hast gewonnen, heißt das?«

Der Oberleutnant nickte strahlend.»Zweimal sogar.«

PRAETORIA Hangarkontrolle meldetesich und bat um Geduld. »Leute«, funkte Ol-banez zurück, »ich habe den Residenten anBord. Ließe sich da eventuell über eine Vor-ranggenehmigung reden?«

Die Stimme klang unbeeindruckt. »Wirsind gleich so weit. Eine Sekunde, dann be-kommt ihr Durchflug bis zur Kernzelle.«

»Sag mal, Oberleutnant Olbanez«, meinteRhodan, während sie darauf warteten, daßdie »Sekunde« endlich vorüber war,»könntest du dir vorstellen, eine Partie Fern-schach gegen mich zu spielen?« Es war nurso eine Idee gewesen. Ein Impuls von derSorte, auf die zu hören Perry Rhodan imLauf seines langen Lebens gelernt hatte.

Der Pilot sah ihn überrascht an. »Ja. Klar.Wird mir eine Ehre sein.«

»Um ganz ehrlich zu sein, ich habe esschon ewig nicht mehr gespielt, und ich warauch nie übermäßig gut, aber ich würde esgerne mal wieder versuchen. Und vielleichtwird es mir gut tun, wenigstens vor demSchlafengehen ein paar Minuten über etwasanderes nachzudenken als über Waffen undKrieg.«

»Na ja, Schach ist im Grunde auch ein

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Kriegsspiel … Aber ja, gern.«Die Stimme aus dem Interkom schnarrte

dazwischen: »PRAETORIA Hangarkontrol-le, ihr habt jetzt Einflug auf Vorrangschnei-se Blau-eins! Bitte bestätigen.«

Olbanez rückte seine Kom-Einheit zu-recht. »Bestätige Blau-eins. Ende.« Wäh-rend er die Space-Jet mit einer lässigen Be-wegung des Steuerknüppels vorwärtsschnellen ließ, meinte er: »Der Anstand ge-bietet mir in dem Fall allerdings, freiwilligSchwarz zu nehmen. Wir können auch gernein zusätzliches Handicap ausmachen …«

Rhodan schmunzelte. »So schlecht spieleich nun auch wieder nicht.«

Sie tauchten in den Innenschacht Nordein. An zweien der Innenwände waren Re-paraturen an mittelgroßen Beibooten in vol-lem Gang.

»Dann hast du den ersten Zug«, sagte Ol-banez. »Ich erreiche dich über Interkom?«

»Ich instruiere meinen Anschluß, sowieich zurück bin«, nickte Rhodan. »Und ichfange mal ganz konventionell an. Bauere2-e4.«

Der Hangar der Kernzelle war heran, dasLicht der Einflugbeleuchtung umflutete sie.

»Bauer e2-e4«, wiederholte OberleutnantOlbanez, während er die Space-Jet auf demVorrang-Landeplatz absetzte. »Ja, warumnicht? Einige der besten Partien fangen soan.«

*

Seither lief das Spiel. Rhodan hatte imMagazin angefragt, und man hatte ihm kurzdarauf tatsächlich ein richtiges Schachspielgeschickt, das er auf dem niedrigen Tischunterhalb seines Holofensters aufgebaut hat-te. Zwar merkte man den Figuren und demBrett an, daß sie aus einer Schnellfertigungs-anlage kamen und bis kurz zuvor nur als Da-tensatz in den Speichern existiert hatten –sie waren sozusagen noch warm –, aber siewaren brauchbar. Und es war Rhodan lieber,richtige Spielsteine in die Hand nehmen zukönnen, als nur über einer holografischen

Darstellung zu brüten.Allerdings half ihm das auch nicht sehr.

Er war definitiv aus der Übung. Olbanezspielte elegant und sicher, während Rhodandie eigenen Züge schwerfällig und wir-kungslos vorkamen. Nachdem sie über dierasch abgehandelte Eröffnung hinaus waren,gewöhnte es sich der Oberleutnant an, kleinegesprochene Kommentare mitzuschicken,die, während er Rhodan mit raschen, kraft-vollen Zügen immer mehr wichtige Figurenabnahm, fast den Charakter eines Schach-kurses annahmen.

Trotzdem gefiel Rhodan die Partie. Überdas Alter, in dem er es als Gesichtsverlustempfunden hätte, eine Schachpartie gegeneinen jungen Offizier des Pilotenkorps zuverlieren, war er nun wirklich hinaus. Undes half ihm tatsächlich abzuschalten. Zehnoder fünfzehn Minuten über dem Schach-brett zu grübeln, ehe er seinen Gegenzug perInterkom abschickte, genügten, um Gon-Orbhon völlig aus seinen Gedanken zu ver-drängen.

Bis Olbanez eines Abends einen unerwar-teten Zug machte. Und so leichtsinnig! Rho-dan starrte das Spielbrett und die Figurendarauf an. Was war das denn?

Der unangenehme Verdacht beschlichihn, der Oberleutnant könnte plötzlich Muf-fensausen bekommen haben bei dem Gedan-ken, ihn, Perry Rhodan, den Zellaktivatorträ-ger, die lebende Legende, in einem Brett-spiel zu schlagen. Daß er versuchte, ihn ge-winnen zu lassen.

Aber selbst dann war es plump. Erbrauchte doch jetzt nur mit seiner Dame …

Halt!Halt, halt, halt!Da war ja noch dieser Läufer. Am ande-

ren Ende des Spielbretts, genau auf die Da-me und den dahinter stehenden König zie-lend. Das hieß, er konnte eben nicht … Oh,das war raffiniert.

Rhodan tippte auf die Sprachmitteilung.Das leise Lachen von Oberleutnant JoseitoOlbanez erfüllte die Kabine. »Diese Art vonZug nennt man eine absolute Fesselung. Ich

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wette, das hast du nicht kommen sehen. Wo-bei die Partie noch nicht entschieden ist,aber es kann nicht mehr lange dauern.«

Rhodan mußte unwillkürlich grinsen. Ab-solute Fesselung. Egal, wie alt man würde,man lernte doch nie aus.

Er betrachtete das Schachbrett, dachteschlaftrunken über Steine und Schiffe undZüge und Waffen nach, über Gon-Orbhonund seine Truppen …

… und war auf einmal wieder hellwach.Seine Hand zuckte zum Interkom. »Monkey,Tiff«, sagte er drängend. »Ich muß euch bei-de sofort sprechen. So schnell wie möglich.Unter vier Augen.«

5.

»Tja«, mußten sich die keuchenden, naßgeschwitzten Männer und Frauen von Leut-nant Bersink anhören, »das war ja wohlnichts. Von fünfhundert Containern nur vier-hundertzwölf geborgen. Und einundzwanzigMinuten, Leute, ist inakzeptabel. So Leid esmir tut. Also: Beim nächsten Mal will ich al-le Container an Bord haben, und das in we-niger als sechzehn Minuten.«

»Beim nächsten Mal?«, ächzte jemand.Bersink bleckte die Zähne. »Wir sind

schon im Anflug fürs Ausladen, und danachmachen wir das Ganze gleich noch mal vonvorn.« Über das unwillige Raunen derMannschaft hinweg dröhnte er: »Und dannnoch einmal und noch einmal und noch ein-mal … So lange, bis ihr davon träumt.«

*

Die drei Positronikspezialisten sahen Per-ry Rhodan mit großen Augen an, nachdemer ihnen in Kurzform erklärt hatte, was erwollte.

Also erklärte er es noch einmal. Langsamund ausführlich.

»Wir werden in naher Zukunft eine Ope-ration im Solsystem durchführen. Das be-deutet, daß wir nicht die normale Kommuni-kationstechnik verwenden können, da sonst

die Gegenseite alle Befehle mithören würde.So weit logisch?«

Der Mittlere der drei, ein Mann mittlerenAlters mit einem kahlen und so spitz zulau-fenden Schädel, daß er vermutlich minde-stens einen Ära zu seinen Vorfahren zählte,nickte verstehend. »Logisch, ja. Gon-Orbhons Jünger haben alles unter Kontrolle– das Interkomnetz, das Grid, NATHANund so weiter.«

»Und damit kennen sie auch sämtlicheKodeschlüssel«, fügte die Frau zu seinerLinken hinzu. Sie trug ihr violett schim-merndes Haar kurz geschoren und sammelteoffensichtlich leidenschaftlich Ohrschmuckaller Art.

»Genau«, nickte der Dritte, ein bleicherJüngling, der in einem fort seine Hände kne-tete.

Rhodan räusperte sich. »Schön, daß soweit Einigkeit besteht. Wir werden es alsoanders …«

»Wir könnten die Schlüssel austauschen«,schlug der Jüngling hastig vor. Dann zog erden Kopf ein, als erwarte er, einer Kopfnußausweichen zu müssen.

Die Frau warf ihm einen verweisendenBlick zu. »Wenn sie NATHAN haben, wielange, glaubst du, dauert es, bis sie einenausgetauschten Schlüssel geknackt haben?«

»Fünfzehn Minuten«, erklärte der mit derspitzen Glatze. »Maximal.«

Rhodan hieb mit der flachen Hand auf dieTischplatte. Alle drei zuckten zusammen, ih-re Köpfe ruckten erschrocken herum.

»Ich wollte nur sicherstellen, daß ich euregeschätzte Aufmerksamkeit wiederhabe«,sagte Rhodan honigsüß und fuhr dann rasch– ehe einer der drei womöglich auch daraufetwas erwiderte – fort: »Da wir nicht wissen,in welchen Köpfen Gon-Orbhon mithörenkann, darf niemand außer uns Aktivatorträ-gern den gesamten Operationsplan kennen.Um das zu gewährleisten, werden wir jedenVerbandskommandanten mit einem Satzvorbereiteter Befehle ausrüsten, von denenjedoch nur einer oder zwei wirklich gültigsind – der Rest dient der Verwirrung eventu-

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eller Spione Gon-Orbhons. Während derOperation will ich die jeweiligen Befehleüber Kodeworte aufrufen. Und natürlichmüssen alle Anordnungen verschlüsseltsein.«

»Kodeworte, die man per Sprechfunkdurchgibt, eignen sich aber nicht als Schlüs-sel«, mahnte die Frau, an einem türkisblauenStein nestelnd, der am höchsten Punkt ihrerrechten Ohrmuschel befestigt war.

»Zu geringe Schlüssellänge«, meinte derJüngling.

»Ganz zu schweigen von der Fehlergefahrdurch uneindeutige Schreibweise«, fügte dermit der Glatze hinzu.

»Das«, sagte Rhodan bestimmt und erhobsich, als Zeichen, daß die Unterredung langegenug gedauert hatte, »ist euer Fachgebiet.Hat man mir jedenfalls versichert. Alsodenkt euch etwas aus. Ich brauche es auf alleFälle bis in zwölf Stunden.« Als die dreidaraufhin schon wieder die Augen aufrissenund einer etwas entgegnen wollte, hob errasch die Hand und bekräftigte: »Zehn Stun-den wären noch besser. Also, an die Arbeitbitte!«

Während des Gesprächs war Julian Tifflorin den Konferenzraum gekommen. Nach-dem die drei Positronikspezialisten abgezo-gen waren – man hörte sie draußen auf demGang noch heftig debattieren –, meinte ergrinsend: »Das sind so Typen, was? AberTocco Savalle hält große Stücke auf sie.Wenn die etwas nicht hinkriegen, ist es un-möglich, meint sie.«

Rhodan fuhr sich mit den Händen übersGesicht. »Hoffen wir, daß sie Recht hat.«Die Leiterin der Abteilung Positroniken warselbst nicht gerade ein Mensch, auf den dieBezeichnung »durchschnittlich« gepaßt hät-te. Andererseits hatte sie ihren Posten zwei-fellos nicht in der Lotterie gewonnen. »Wasgibt es Neues bei dir?«

»Ich habe Monkey gerade das Kommandoübergeben; er will später noch herüberkom-men. Ansonsten keine besonderen Vor-kommnisse. Die Wacheinheiten fliegen Pa-trouille, die Umbauarbeiten gehen wie ge-

plant voran … Ein ruhiger Tag. Beruhigendereignislos.«

Rhodan hob die Augenbrauen. »Ehrlichgesagt zerrt gerade nichts so sehr an meinenNerven wie diese Ereignislosigkeit.«

Tifflor lehnte sich mit verschränkten Ar-men und höchst verwundertem Gesichtsaus-druck gegen das Schott. »Für so heißblütighätte ich dich jetzt nicht gehalten.«

»Das hat mit Heißblütigkeit nichts zu tun.Überleg doch mal: Inzwischen hat Gon-0uns fast zwei Monate lang in Ruhe gelassen.Obwohl er weiß, daß wir hier sind. Obwohles nur siebenundzwanzig Lichtjahre sind.Obwohl er eine Streitmacht im Sonnensy-stem zusammengezogen hat, der wir so gutwie nichts entgegenzusetzen haben. Es wärefür ihn nur ein Abstecher, eine Beschäfti-gung von ein paar Stunden, uns restlos ausdem Universum zu tilgen. Er könnte es quasinebenbei erledigen – aber er tut es nicht. Erignoriert uns.«

»Und anstatt froh darüber zu sein, fühlstdu dich mißachtet, oder was?«

Rhodan schüttelte den Kopf. »Für michheißt das, daß er sich absolut sicher ist, daßwir keine Gefahr für ihn darstellen. Nichteinmal mit unserem Dissonanzgeschütz.Und daß er etwas Wichtigeres zu tun hat, alsuns auszuschalten.« Er musterte Tifflor, oh-ne sich zu bemühen, das Maß seiner Beunru-higung zu verbergen. »Mir graut, wenn ichmir zu überlegen versuche, was das seinkönnte.«

*

Der Dringlichkeitston ließ Rhodan ausdem Schlaf hochfahren. Mit einem Satz warer aus dem Bett und am Interkom.

Monkeys Kennung. »Was gibt es?« Erhatte gar kein gutes Gefühl.

»Eben ist eine Nachricht von NATHANeingetroffen«, sagte der USO-Chef.

»Und?«»Komm am besten so schnell wie möglich

in die Zentrale.«Rhodan griff schon nach seiner Hose.

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»Ich bin in einer Minute da.«»Das empfiehlt sich. Von jetzt an zählt

nämlich jede einzelne davon.« Damit schal-tete der Oxtorner ab.

6.

Man schrieb den 15. Mai 1333 NGZ, unddie Uhren zeigten 15.30 Uhr Standardzeit,als die Trivid-Schaltung zu allen Schiffender Flotte aufgebaut wurde. Perry Rhodanstraffte sich, als das rote Licht anging, blick-te in die Objektive der Kameras und dachtean die Männer und Frauen, die in diesemMoment zweifellos alles liegen und stehenließen, um ihn zu sehen oder zumindest zuhören. Ansprachen an die gesamte Besat-zung waren selten; in dieser Situation hattedie bloße Ankündigung den Charakter einesGroßalarms.

Nicht zu Unrecht.»Wir haben heute beunruhigende Nach-

richten aus dem Solsystem erhalten«, be-gann Rhodan nach einer denkbar knappenBegrüßung. »Nachrichten, die es erforder-lich machen, umgehend zu handeln. Nach-richten, die auf schreckliche Weise eine Fra-ge beantworten, die uns alle seit Wochen be-schäftigt – die Frage nämlich, warum Gon-0und die Kybb uns in Ruhe lassen, anstatt unsmit aller Macht anzugreifen.«

Rhodan zwang sich zu einem tiefen, ruhi-gen Atemzug. Er hatte mehr solcher Anspra-chen in seinem Leben gehalten, als er oderirgendjemand hätte zählen können, dochdies war kein Anlaß, den er mit professio-neller Kühle durchzustehen imstande gewe-sen wäre. Es brodelte in ihm. Angst undZorn fraßen an den Fundamenten seinerSelbstbeherrschung.

»Homer G. Adams und Mondra Diamondist es gelungen, Kontakt zu Reginald Bull,Icho Tolot und Gucky aufzunehmen, diesich seit geraumer Zeit in der Gefangen-schaft der Gottheit Gon-Orbhon befinden.«Im Inneren eines Nocturnenstocks, gefesseltvon Kräften, denen weder der körperlich na-hezu unbesiegbare Haluter noch der mit

schier unermeßlichen Psi-Fähigkeiten be-gabte Mausbiber etwas entgegenzusetzenhatten. »Bull, Tolot und Gucky haben in Er-fahrung gebracht, daß Gon-0 in diesem Mo-ment Sol, die Sonne unserer Heimat, zurNova aufheizen läßt.«

Rhodan sah die Techniker hinter der Tri-vid-Anlage blaß werden. Irgendwo stieß je-mand einen höchst unprofessionellen Entset-zensschrei aus, der in diesem Moment zwei-fellos ebenfalls auf allen Schiffen der Flottezu hören war.

»Ich denke, ich brauche nicht zu erklären,was das bedeutet. Wenn Sol zur Nova wird,überlebt kein Lebewesen im gesamten Son-nensystem. Allein die Wucht der explodie-renden Sonne würde die meisten Planetenschlicht zerfetzen, von der Strahlung ganzzu schweigen, die noch in weitem Abstandtödlich wäre. Und ich denke, ich braucheauch niemandem von euch zu sagen, daß wiralles in unserer Macht Stehende tun müssen,um das zu verhindern.«

Rhodan hatte kein Konzept, keine Listemit Stichworten. Er wußte, daß ihm dieWorte nicht versagen würden, und auch, daßsie nicht so wichtig waren wie das, was erfühlte und was er in die Herzen derer über-mitteln wollte, die von ihm Führung erwar-teten. Aber in diesem Moment sah er in dieKameras und wünschte sich, er hätte dieMenschen sehen können, zu denen ersprach.

»Wir wissen nicht genau, auf welcherphysikalischen Grundlage die Waffe beruht,die Gon-0 gegen Sol zum Einsatz bringt.Was wir jedoch wissen, ist, daß es in demProzeß der Aufheizung einen point of no re-turn gibt, einen Zeitpunkt, ab dem die Ex-plosion der Sonne nicht mehr aufzuhaltensein wird. Dieser Zeitpunkt ist bereits be-sorgniserregend nahe. Genauer gesagt, wirder im Verlauf des 27. Mai, in nur etwa zwölfTagen also, überschritten werden.«

Er spürte grimmige Entschlossenheit injeder Faser seines Körpers, und er hoffte in-ständig, daß es ihm gelingen mochte, dieseEntschlossenheit nur mit seinen Worten auf

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alle Angehörigen der Flotte zu übertragen,als er hinzufügte: »Wenn es uns nicht ge-lingt, Gon-0 daran zu hindern …«

*

Derek Pander hatte nicht gewußt, daß sichEntsetzen so anfühlen konnte. So groß. Sofurchtbar. So … körperlich. Es war, als füh-re mit den Worten Rhodans eine Waffe inseinen Leib, die ihn inwendig zerfetzte. Solwürde zur Nova werden? So also sollten dieProphezeiungen der Jünger Gon-Orbhons inErfüllung gehen? Er tastete nach einem Halt,mußte sich setzen, sah umher und sah nurGesichter, in denen blankes Grauen stand.

Lisha!, konnte er nur denken, währendPerry Rhodan weiterredete. Catlaina! Him-mel, seine Tochter hatte am 27. Mai Ge-burtstag, würde zwölf Jahre alt werden andem Tag, an dem das Sonnensystem unter-ging. Torin! Sein Sohn war erst sieben …

Sieben. So alt wie er, Derek, gewesenwar, als Ramihyn, der Diener der Materie,über die Erde wandelte. Derek Panders El-tern waren unter denen gewesen, die tot zuBoden gesunken waren, einfach so, weil derAnzug des Todes ihnen ihre Lebensenergieentzogen hatte. Derek war nur am Leben ge-blieben, weil er in diesen Wochen in einerSpezialklinik auf Mimas gewesen war, umeine kleine, belanglose, angeborene Stoff-wechselstörung beseitigen zu lassen.

Geh nicht fort von der Erde, sonst ster-ben die, die du liebst …

Das schwang immer noch in ihm nach.Diese Schlußfolgerung, die ein verstörter,siebenjähriger Derek Pander gezogen hatte,als Onkel Ferdrik und Tante Maya ihn späterabgeholt hatten. Als sie aus dem Transmit-terterminal Terrania-West getreten warenund auf eine Stadt in Trümmern geblickthatten.

Lisha! Achtzehn Jahre war es nun her,daß sie verheiratet waren. Sie hatten nichtnur den unbefristeten Ehevertrag unterzeich-net, sie hatten ihre Verbindung außerdemmit einem alten Ritus besiegelt, in dem die

Worte »einander beistehen, in guten wie inschlechten Zeiten, bis daß der Tod unsscheidet« eine Rolle gespielt hatten.

Damals war ihm das amüsant vorgekom-men und ein bißchen romantisch; freilich, erwar verliebt gewesen, und die alten Ritenwiederzuentdecken war gerade in Mode ge-kommen … Aber irgendwie war es dochmehr als eine Mode, als ein Spiel gewesen,die Worte mehr als nur Worte. Jetzt, im An-gesicht des drohenden Untergangs, nicht beiLisha zu sein, kam Derek vor wie Verrat.Wie gemeiner, feiger Verrat.

»Aus Gründen, die ihr alle inzwischen nurzu gut kennt«, sah er Perry Rhodan ernst,beinahe grimmig erklären, »kann ich nurwenig über die Strategie oder die taktischenZiele der bevorstehenden Operation verra-ten. Nach wie vor müssen wir davon ausge-hen, daß es unerkannte Jünger und damit In-formanten Gon-Os in der Flotte gibt. Des-halb nur so viel: Wir werden in Kürze imSonnensystem angreifen. Die seit einigerZeit geplante Operation Kristallsturm IIwird vorverlegt. Damit dies gelingen kann,ist der volle Einsatz jedes Einzelnen erfor-derlich. Ich zähle darauf, daß euch allen klarist, was auf dem Spiel steht, und daß jederund jede von euch alles geben wird, was eroder sie hat.« Er hielt einen Moment inne,dann sagte er: »Ich ordne hiermit volle Ein-satzbereitschaft der Flotte bis in zwanzigStunden an. Ich wiederhole: in zwanzigStunden.«

Derek hatte keine Ahnung, wovon Rho-dan da sprach oder was das bedeutete. Er re-gistrierte nur erschrockenes Einatmen rings-umher, so als habe jemand gefordert, die Ar-beit eines Jahres an einem Tag zu erledigen.

»Ich weiß, daß ich euch viel abverlange«,fuhr Rhodan fort. »Aber man sagt uns Terra-nern nach, daß wir niemals aufgeben, egal,wie aussichtslos die Situation auch seinmag. Glaubt mir: Man sagt uns das zu Rechtnach. Es ist diese Eigenschaft, der wir esverdanken, die zu sein, die wir sind. Und wirwerden auch diesmal nicht aufgeben.Gleichgültig, wie aussichtslos unsere Lage

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aussehen mag. Wir werden niemals, niemalsaufgeben.«

Pathos!, dachte Derek Pander verärgert.Aber um ihn herum strafften sich Körper,hoben sich Köpfe, wurde genickt und»Genau!« gesagt. Niemand beachtete ihn.Noch nie hatte er sich so allein gefühlt.Nicht nur, daß er Lisha und die Kinder imStich gelassen hatte, er war zudem allein,und er würde es bleiben, wenn die Erde unddas Sonnensystem erst zerstört waren.

*

Nach dem Ende der Ansprache blickteRhodan in entsetzte Gesichter.

»Resident«, meinte eine Geschwaderkom-mandantin, »zwanzig Stunden sind extremknapp.«

Rhodan nickte. »Das ist mir klar.«Ein Oberstleutnant hob die Hand. »Die

notwendigen Startvorbereitungen sind indieser Zeit unmöglich zu schaffen. Oder nurunter äußerstem Einsatz und wenn nichtsschief geht.«

Rhodan lächelte verbindlich. »Dann wür-de ich vorschlagen, daß alle genau das tun –äußersten Einsatz bringen und dafür sorgen,daß nichts schief geht. Es bleibt dabei: Wirstarten in zwanzig Stunden.« Er sah auf dieUhr. »Besser gesagt, in neunzehn Stundenund achtundfünfzig Minuten.«

»Resident, mit allem nötigen Respekt«,wandte ein Major vom technischen Stab ein,»du riskierst, daß Einheiten unvollständigvorbereitet in die Schlacht ziehen.«

Gespannte Stille trat ein.Der Unsterbliche sah kurz zu Boden, dann

in die Runde. »Das muß ich riskieren«, sagteer. »Es darf auf keinen Fall länger dauern,denn in der Schlacht, die uns bevorsteht,werden die Positionen der Gestirne eine ent-scheidende Rolle spielen. Und Gestirne war-ten bekanntlich nicht. Also sorgt bitte dafür,daß wir zu dem angegebenen Zeitpunkt star-ten können, so vorbereitet wie nur irgendmöglich.«

Damit verließ er den Funkraum, hinter

sich eine Gruppe von Leuten, die einanderverwundert ansahen.

Rhodan wäre vielleicht nicht so rasch ge-gangen, wenn er geahnt hätte, was für eineUnterhaltung sich danach entwickeln sollte.

»Die Positionen der Gestirne …?«, wie-derholte jemand konsterniert, worauf eineder Funkerinnen, eine kleine Frau mit rot-blonden Haaren, sagte: »Das ist Astrologie.Das war zu der Zeit, als Rhodan geborenwurde, ein weit verbreiteter Aberglaube.Man war überzeugt, daß die Positionen derPlaneten in den Sternbildern Glück oder Un-glück vorhersagen können.« Als die anwe-senden Führungsoffiziere sie entgeistert an-sahen, zog sie den Kopf ein und fügteschüchtern hinzu: »Habe ich mal irgendwogelesen.«

Die Offiziere gingen auseinander mit demmulmigen Gefühl, daß es schlechter um siestehen mußte als befürchtet, wenn der Ober-kommandierende nun schon Zuflucht bei ei-nem alten Aberglauben suchte.

7.

In den frühen Stunden des 16. Mai desJahres 1333 Neuer Galaktischer Zeitrech-nung setzten sich die Flottenverbände in Be-wegung, die an dem Einsatz im Solsystemteilnehmen würden.

Die Befehle kamen in rascher Folge, undsie waren unmißverständlich. Perry Rhodanwürde den Einsatz von PRAETORIA ausleiten. Der Oberkommandierende der USO,Monkey, kehrte auf die TRAJAN zurück; erwürde als Stellvertretender Kommandant dieOperation fortführen, falls Rhodan ausfallensollte.

Julian Tifflor schließlich begab sich anBord der GERHARD ROHLFS, eines Schif-fes der ENTDECKER-Klasse, das zusam-men mit den 10.000 Einheiten der Stütz-punktflotte Rumal im Wegasystem zurück-bleiben und im Fall eines Gegenangriffs alsFlaggschiff der Verteidigung Ferrols fungie-ren würde.

Bei den Verbänden, die im Rahmen der

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Operation Kristallsturm II ins Sol-Systemaufbrachen, handelte es sich zunächst umpraktisch alle ENTDECKER vom Typ IISATURN-Klasse, die die Heimatflotte Solund die Einsatzflotte Hayok gemeinsamnoch aufzubieten hatten: abzüglich derGERHARD ROHLFS insgesamt genau 800Schiffe, von denen jedes 1800 Meter durch-maß, sich durch enorme Wendigkeit aus-zeichnete und außerdem 60 Kreuzer als Bei-boote an Bord trug, allesamt schlagkräftigund voll einsatzbereit.

Ferner beschleunigten Verbände aus ins-gesamt 12.500 LFT-BOXEN der QUASAR-Klasse, gewaltigen, würfelförmigen Kolos-sen von annähernd dreitausend Metern Kan-tenlänge, von denen die meisten der Einsatz-flotte Hayok angehört und selbst die arkoni-dische Flotte das Fürchten gelehrt hatten.Sie waren weitgehend nach Prinzipien»alter« Technik konstruiert und galten seitdem Anstieg der Hyperimpedanz als denneuen physikalischen Bedingungen optimalangepaßt und von überragender Kampfkraft.

Die Kampfverbände wurden gefolgt vonneunzig PONTON-Tendern für mobilenNachschub, Ausrüstung und Reparatur. Siebildeten einen eigenen Verband und würden,da sie über weniger leistungsfähige Linea-rantriebe verfügten, mit einigen MinutenVerspätung im Solsystem ankommen. IhreAufgabe würde nicht die Reparatur beschä-digter Raumschiffe sein – zu derlei Aktionenblieb bei Gefechten wie dem bevorstehen-den keine Zeit. Die Tender würden vielmehrhinter den Fronten bleiben und versuchen,so viele abgeschossene Kampfjäger, Ret-tungskapseln, Überlebenseinheiten und an-dere beschädigte Einheiten jedweder Art zubergen wie möglich. Auch wenn es sich wis-senschaftlich nicht restlos erklären ließ, lehr-te die Erfahrung, daß immer wieder Men-schen in simplen Raumanzügen selbst Total-zerstörungen großer Raumschiffe überleb-ten.

In einem Manöver von bemerkenswerterPräzision trat dieses Flottenaufgebot um ex-akt 11 Uhr 39 Minuten und 28 Sekunden mit

Bewegungsvektor Sol in den Linearraumüber.

*

Obwohl es vom Energieaufwand herWahnsinn war und von der Belastung derMaschinen her riskant, bestand Perry Rho-dan darauf, die gesamte Strecke mit sämtli-chen Einheiten in Höchstgeschwindigkeitund in einer einzigen Etappe zurückzulegen.

»Ich will den Überraschungseffekt nut-zen«, erklärte er nur und fügte hinzu: »NachMöglichkeit.«

Er war sich also selbst nicht sicher, ob esfunktionieren würde. Die Offiziere warfeneinander beklommene Blicke zu.

»Ich gehe davon aus, daß der Feind dasWegasystem auf irgendeine Weise beobach-tet«, fuhr Rhodan fort. »Wir wissen nicht,wie. Allerdings sind wir uns ziemlich sicher,daß die Kybb keine Funkrelais-Strecke zwi-schen Terra und Wega besitzen. Die Nach-richt 'von unserem Aufbruch müßte also voneinem Kurier überbracht werden, und denkönnen wir vielleicht überholen. Und wennnicht, wird es gut sein, dem Feind so wenigVorwarnzeit wie möglich zu lassen.«

»Und wenn Gon-O. über einen Informan-ten in unseren Reihen verfügt?«, fragte derKommandant von PRAETO-RIA, OberstVaccon.

»Dann weiß er jetzt schon, daß wir kom-men.«

Eine Weile sagte niemand etwas. Das ver-haltene Donnern der mächtigen Aggregate,die den Koloß PRAETO-RIA durch den Li-nearraum trieben, erfüllte die Kommando-zentrale. Skalen auf Anzeigen bewegtensich, Augen behielten die großen Ziffernrückwärts zählender Uhren im Blick.

Der Flug dauerte achtundzwanzig Minu-ten und einunddreißig Sekunden. Um exakt12.08 Uhr Standardzeit materialisierte dieKampfflotte in bemerkenswert stabil geblie-bener Formation 5,9 astronomische Einhei-ten von Sol entfernt, in einem Abstand also,zu dem man im legeren Sprachgebrauch der

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Raumfahrer »jenseits der Jupiterbahn« zusagen pflegte.

Tatsächlich aber waren sie von der Bahndes Planeten Jupiter mehrere hundert Millio-nen Kilometer entfernt. Raumfahrt war einedreidimensionale, Angelegenheit, undRaumschiffe, die aus Richtung der im Stern-bild der Leier gelegenen Wega kamen undin angemessenem Sonnenabstand in denEinsteinraum zurückkehrten, befanden sichhoch über der ekliptikalen Ebene, jener ge-dachten Fläche also, in der die Bahnen derPlaneten verliefen und die ihrerseits leichtschief zur galaktischen Ebene lag.

Mit anderen Worten: Das Sonnensystemmit den inneren Planeten lag vor ihnen wieauf dem Präsentierteller. Für den Beginn ei-ner Raumschlacht keine schlechte Aus-gangsposition.

8.

»Ortung?«, bellte Vaccon.»Ortung der Titanen«, verkündete eine

helle Frauenstimme. »Einer über TerraniaCity. Einer über Luna. Ein weiterer in Erd-nähe, am Librationspunkt. Ein weiterer überder Erde … über Europa. Präzisiere: direktüber Süditalien, genauer gesagt: über demVesuv.«

Rhodan beugte sich zum Kommandantenhinüber. »Dieser Titan bewacht das Stock-Relais«, sagte er. »Er wird an Ort und Stellebleiben. Das Stockrelais ist für Gon-O derwichtigste strategische Punkt im Sonnensy-stem. Die Frage ist, was mit den übrigen …«

»Fünfzig Titanen in der Sonnenkoronageortet!«, meldete die Frau von der Ortungin diesem Moment. »Wiederhole: fünfzig.Gleichmäßig verteilt. Mache Flugmanöveraus. Drei Titanen setzen sich in Bewegung.Terrania Luna – Erdnähe – der Titan überdem Vesuv bleibt in Position. Drei Titanenauf Angriffskurs!«

Oberst Vaccon nickte Rhodan zu undfragte, an die Ortung gerichtet: »Was ist mitden Titanen in der Sonnenkorona?«

»Nichts«, kam sofort die Antwort. »Keine

Bewegung. Nicht die geringste.«Rhodan beugte sich zum Sprechgerät vor.

»Damit ist klar, daß die Sonne der für Gon-O zweite strategisch wichtige Punkt im Son-nensystem ist. Daß sich die Titanen nichtrühren, kann bedeuten, daß die Aufheizungder Sonne ein schwieriges Manöver ist undnicht unterbrochen werden darf. Ist klar, wasdas heißt?«

Der Erste Offizier nickte. »Daß wir genaudas mit allen Mitteln versuchen müssen. Siezu unterbrechen.«

Nein, dachte Rhodan. Es ist ihnen nichtklar, was das heißt.

Und das war gut so. Denn was er. so lan-ge wie möglich für sich behalten wollte,war, daß es noch einen dritten strategischwichtigen Punkt im Sonnensystem gab.

Er schaltete auf Befehlslinie. »Rhodan anFlotte! Trennung der Verbände nach PlanSigma – jetzt!«

*

Die Aufteilung der Flotte war von dendrei Aktivatorträgern detailliert geplant undvorbereitet worden und hatte die Gestaltungder Angriffsformation entscheidend be-stimmt. Auf Rhodans Befehl hin wurden dieentsprechenden Einsatzbefehle entschlüsseltund aktiviert, und schon wenige Augen-blicke später schlossen sich die außen lie-genden Einheiten zu insgesamt dreißig Ver-bänden zusammen, die sich mit maximalenBeschleunigungswerten in verschiedeneRichtungen absetzten. Sie bildeten ab sofortden defensiven Kristallsturm-Flottenver-band, und ihr ausdrücklicher Auftrag lautete,sich weiträumig über das Sonnensystem zuverteilen.

Der verbleibende Kern der Formation, be-stehend aus den kampfstärksten Einheiten,stellte den Offensiv-Flottenverband dar. So-bald sich die Defensiv-Verbände in Bewe-gung gesetzt hatten, koppelte PRAETORIAdie sechs Seitenblöcke ab und bildete zu-sammen mit dem Kernblock sowie weiterenLFT-BOXEN und ENTDECKERN insge-

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samt sieben Offensivgeschwader, die sich zueiner weiträumigen Abfangkonfigurationverteilten.

Auf diesen Offensiv-Verband hielten diedrei Kybb-Titanen mit Höchstbeschleuni-gung und in mehreren kurzen Linearetappenzu, unbeirrt von den Manövern der ausein-ander strebenden Defensiv-Verbände.

Der Grund dafür war leicht zu erraten: Eswar das Ultraschlachtschiff TRAJAN, dasFlaggschiff der USO. Aufgrund seiner Grö-ße und Gestalt war es mühelos zu identifi-zieren, und ganz offensichtlich wußten dieKybb, daß von diesem Schiff eine gewisseGefahr für sie ausging. Die TRAJAN war esgewesen, die dem Titanen in der Schlachtum Ferrol mit ihrem Dissonanzgeschütz denTodesstoß versetzt hatte. Falls noch Zweifeldaran bestanden haben sollten, daß diese In-formation bis zu Gon-O durchgedrungenwar, so wurden sie in diesem Augenblickdurch das eindeutig auf die TRAJAN zielen-de Angriffsmanöver beseitigt.

Die Kybb wußten von dem Dissonanzge-schütz, das die TRAJAN trug.

Und sie waren offensichtlich entschlos-sen, diese Gefahr vor allem anderen zu be-seitigen.

*

»Sie kommen«, sagte Oberst Vaccon ver-halten, einen Sekundenbruchteil bevor dieTitanen aus dem Linearraum traten und diesynthetischen, aus den Daten der Hyperta-ster errechneten Bilder auf den Schirmenechten Aufnahmen wichen. Vergrößert undaufbereitet zeigten sie drei riesige, vage ku-gelförmige Gebilde, die auf die Flotte zuge-schossen kamen. Mit ihrer faserig struktu-rierten Oberfläche und ihrer zerknautschtenGestalt sahen die Kybb-Titanen aus wieschwarze Schneebälle – nur daß jeder vonihnen einen Durchmesser von siebzehn Ki-lometer besaß und Waffen, die jede Vorstel-lungskraft sprengten.

»Distanz neunzehn Millionen Kilometer«,kam es von der Ortung. Einige Sekunden

später: »Achtzehn.« Sie mußten sich mit an-nähernd halber Lichtgeschwindigkeit bewe-gen; der reine Wahnsinn.

Der PRAETORIA-Kommandant sah Rho-dan fragend an. Der nickte nur.Gegenschlag.

»Paratronwerfer, Achtung!«, rief derOberst, dessen Zwillingsbruder im Sitz ne-ben ihm den Kopf senkte und die Augenhinter beiden Händen verbarg. »Feuer freibei Unterschreitung der Mindestdistanz!«

Die etwas mehr als sechshundert verblie-benen Paratronwerfer der PRAETORIA-Blöcke mit ihrer Kernschußweite des Ablei-tungsaufrisses von neun Millionen Kilome-tern hatten sich in der Schlacht um Ferrol alseinigermaßen wirksame Waffe erwiesen. ImGegensatz zu den Transformkanonen, dienicht das Geringste ausgerichtet hatten, hat-ten sie die Schutzschirme der Titanen we-nigstens zum Aufglühen gebracht.

Rhodan beugte sich vor. »Achtung, dieäußeren Einheiten bitte auf Formation ach-ten!«, rief er in das Sprechfeld vor sich,drängend, denn ein paar Schiffe beschleu-nigten stärker als abgesprochen, schienensich den Angreifern auf eigene Faust entge-genwerfen zu wollen.

»Dreizehn Millionen!«»Seitwärtsbewegung eines Titanen!«,

schrie jemand anders in diesem Moment.Alle Köpfe ruckten herum, sahen auf demBildschirm, wie eines der dunklen, gefurch-ten Monstren seitwärts davonzuckte, auf denRand des Offensiv-Verbandes 6 zu, und da,die ersten Strahlen, unsichtbar, nur über dieHypertastung auszumachen, fluteten den ter-ranischen Raumschiffen entgegen …

Ein kollektiver Aufschrei hallte durch dieZentrale, als die ersten terranischen Schiffeexplodierten, zu grausigen, bunten Flam-menblüten zerplatzten und dann erloschen,genau wie Tausende von Leben mit ihnen.

»Offensiv-Verband 6, trennen!«, donnerteRhodan. »Flucht in alle Richtungen!«

Es half nichts. Die nächsten Treffer,' bei-nahe im Sekundentakt. Immerhin, einigeSchiffe schienen weit genug entfernt zu sein,

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schienen zu entkommen …»Zehn Millionen Kilometer!«»TRAJAN geht auf Fluchtkurs«, hallte

die wie immer emotionslos klingende Stim-me des USO-Chefs durch die Zentrale.

Rhodan nickte unwillkürlich. Genau wieabgesprochen. Wenigstens einer, der sich andie Pläne hielt.

»Neun Millionen! Kernschußweite er-reicht!«

»Paratronwerfer!«, befahl Oberst Vaccon.»Volle Energie!«

Im gleichen Augenblick erfüllte dasmächtige, singende, unangenehme Geräuschdie gesamte Kernzelle, schien sie zu durch-dringen bis ins letzte Atom. Eine Breitseiteder Paratronwerfer klang, als kratze ein Gi-gant mit hundert Händen und tausend stäh-lernen Fingernägeln zugleich über nie en-dende Eisenplatten. Es war nicht laut, keinVergleich mit dem donnernden Salventaktder Transformkanonen. Aber es war einLaut, der einem die Zahnwurzeln im Gebißzerbröseln zu wollen schien.

Die Waffen zeitigten Wirkung, zumindestoptisch. Die Schutzfelder der Titanenflammten auf, ein fahles, seltsam wächsernwirkendes Irrlichtern, das im nächsten Mo-ment auf den Bildschirmen von einerFalschfarbendarstellung der Hypertastungüberlagert wurde, die die vermutete Ausla-stung anzeigte: ein entmutigendes, umfas-sendes Grün.

»Die haben irgendwas an ihren Schutz-schirmen gedreht«, hörte Rhodan jemandvon der Technik sagen, als die Werfer füreinen Moment innehielten. »Das ist andersals das letzte Mal …«

Konnte das sein? War es möglich, daß dieTruppen Gon-Orbhons derart schnell dazu-lernten, ihre Technik derart schnell anzupas-sen imstande waren? Diese Fragen zucktenRhodan durch den Kopf, doch praktisch imgleichen Moment erkannte er, daß sie derleiGesichtspunkte im Augenblick unmöglichberücksichtigen konnten, und schob sie bei-seite. Die Psychologen nannten das Sofor-tumschaltung; er nannte es einfach gesunden

Menschenverstand.Auf den Bildschirmen herrschte die Hölle.

Anders als die meisten Strahlwaffen, derenBahnen man im Vakuum des Weltalls nurschwach oder überhaupt nicht sah – selbstkampferprobte Raumfahrer vergaßen dasbisweilen, so sehr gewöhnte man sich an diemit Ortungsdaten hinterfütterten Bilddarstel-lungen –, waren die hyperdimensionalenAufrißlinien von Paratronwerfern das reinsteFeuerwerk und ein wahrhaft furchteinflö-ßender Anblick.

Doch die Kybb-Titanen ließen sich da-durch praktisch überhaupt nicht aufhalten.Ohne die übrige Flotte weiter zu beachten,jagten jetzt alle drei hinter der TRAJAN her.

Die flüchtete mit Vollschub. Trotzdemwar sie zu langsam, hatte keine Chance ge-gen das unfaßbare Beschleunigungsvermö-gen der Titanen.

Man konnte sich ausrechnen, daß sie esnicht schaffen würde.

*

Die defensiven Verbände verteilten sichmit kurzen Linearetappen über das Solsy-stem. Ein Verband tauchte kurz darauf überdem Mars auf, ein zweiter über der Venus,und sie begannen sofort, enorme Mengenverschlüsselter Daten per Hyperfunk-Richt-strahl auszutauschen. Es war ein wahresFunkgewitter, das zwischen Mars und Venushin und her tobte. Da die Konstellation derinneren Planeten an diesem 16. Mai 1333NGZ so aussah, daß Mars, Erde und Venusungefähr auf einer gedachten Linie lagen,konnte es nicht ausbleiben, daß die sich aufTerra befindlichen Jünger Gon-Orbhons die-se Aktivitäten kurz darauf mitbekamen. Dieangebliche Gottheit nahm sie nicht wichtiggenug, um einen Angriff auf die beiden Ver-bände zu befehlen, ordnete jedoch an, dieaufgefangenen Daten umgehend zu analysie-ren. Doch obwohl den entsprechenden Spe-zialisten die Hochleistungspositroniken desTLD zur Verfügung standen, gelang es ih-nen nicht, die Daten zu entschlüsseln.

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Sie ahnten nicht, daß es sich bei dem, wasdie beiden Verbände da so wichtigtuerischaustauschten, um reine Zufallsdaten handel-te: mehrtägige Rundummeßungen der kos-mischen Hintergrundstrahlung, nach einemausgesprochen sinnlosen Rechenverfahrenverwürfelt mit dem Interkomverzeichnis vonTerrania City, Stand August 1285.

Zugleich tauchten die ersten Defensiv-Verbände über der Sonne auf. Sorgsam dar-auf bedacht, sich keinem der in der Gluthöl-le der Korona schwebenden Titanen aufmehr als drei Millionen Kilometer zu nä-hern, donnerten die Schiffe heran, feuertenein paar Transformschüsse ab – was ange-sichts der Energieausbrüche in diesemRaumgebiet ungefähr so war, als würfe je-mand brennende Streichhölzer in einen to-benden Waldbrand – und drehten wieder ab.

Die Kybb-Titanen rührten sich nicht.Zweiter Anlauf, dichter diesmal, ver-

lockender.Wieder nichts. Die Hypertaster registrier-

ten nur, daß irgendetwas von den fünfzigriesigen Raumschiffen ausgestrahlt wurde,etwas, das auf das Zentrum Sols gerichtetwar. »Hyperfrequente Stoßfronten«, sagtendie Wissenschaftler, aber im Grunde ver-standen sie auch nicht, was genau da vorsich ging. Nur, daß sie offensichtlich genauden Vorgang beobachteten, von dem Rho-dan ihnen berichtet hatte: die Aufheizungder Sonne zur Nova.

Bei einem dritten Versuch,, die Titanenvon ihrem Tun abzulenken, unterschritt eineder LFT-BOXEN die Sicherheitsdistanz.Nur um wenige Kilometer und nur für weni-ge Sekunden, doch das reichte. Der Titanfeuerte, und die BOX zerbarst in Tausendewohnblockgroßer Brocken, die ohne denSchutz der Schirme binnen Sekunden ver-glühten.

Niemand konnte das überlebt haben.

*

Ein weiterer Verband, der Terra-Konvoi,hatte gemäß den anfänglichen Befehlen auf

die Erde zugehalten, ebenfalls auf Wahrungdes Sicherheitsabstandes bedacht, da nachwie vor ein Titan über Terra stationiert war.

Unmittelbar nach der letzten Linearetappeerhielt der Kommandant des Konvois einenFunkspruch von Perry Rhodan persönlich,auf Direktverbindung.

Es war ein sehr kurzer Funkspruch. Erlautete: »Einsatzkode Läufer.«

Der Kommandant bestätigte und ließ un-verzüglich den zugehörigen Einsatzplan ent-schlüsseln aus dem Satz an Befehlen, dieman ihm zugeteilt hatte.

*

Die Kybb wußten von dem Dissonanzge-schütz an Bord der TRAJAN, das dem Tita-nen, der am 4. April im Wegasystem aufge-taucht war, den Garaus gemacht hatte.

Was sie nicht wußten, war, daß das Flagg-schiff der USO damals außerdem insgesamtvierundzwanzig weitere Dissonanzgeschützein Form vormontierter Baugruppen vonQuinto-Center an Bord gehabt hatte – eineZahl, mit der die Ressourcen des geheimenUSO-Hauptquartiers allerdings erschöpft ge-wesen waren. Diese Geschütze waren in denvergangenen Wochen unter größtmöglicherGeheimhaltung verbaut worden, und zwarzwölf von ihnen in ENTDECKER TYP IIund zwölf weitere in PRAETORIA-BO-XEN.

Diese vierundzwanzig Schiffe bildeten imAugenblick den Kern des Offensiv-Ver-bandes. Als die drei Titanen die panisch wir-kende, tatsächlich aber minuziös ausgeklü-gelte und präzise vorprogrammierte Flucht-bewegung des Ultraschlachtschiffes mit-machten, gerieten sie ihnen genau vor dieGeschützmündungen.

»Feuer!«, schrie Oberst Vaccon überflüs-sigerweise, denn es waren die Geschützpo-sitroniken, die das Feuer auf die Mikrose-kunde simultan und im optimalen Momenteröffneten.

Rhodan hielt den Atem an. Die Planungdieser Phase der Operation Kristallsturm II

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hatte sich auf die riskante Annahme gestützt,daß der Feind von der Umrüstung tatsäch-lich nichts mitbekommen hatte. Und wie esaussah, ging diese Rechnung in diesem Au-genblick auf.

Zwei Dutzend Dissonanzgeschütze feuer-ten auf einen einzigen Gegner. In quasiNullzeit bauten sich vierundzwanzig über-lichtschnelle Röhrenfelder auf, die jeden an-deren Schutzschirm als den eines Kybb-Titanen sofort durchstoßen oder zumindestwesentlich geschwächt hätten. Die Röhren-felder fokussierten die sie durchlaufendenSchockfronten des überdimensionalen Inter-vallgeschützes, das die Dissonanzwaffe imGrunde darstellte, so daß diese ohne Streu-verlust nahezu punktförmig ihr Ziel erreich-ten. In diesem so genannten Konstantriß-Na-delpunkt-Modus wurde die Wirkung der in-termittierenden überlichtschnellen Abstoß-felder noch verstärkt, die nahezu jedes be-kannte Material hypermechanisch zu zer-trümmern imstande waren, unabhängig vondessen Festigkeit oder sonstigen Eigenschaf-ten.

Und das Beste war, daß die Kernschuß-weite bis zu fünf Millionen Kilometer be-trug, was deutlich über der Reichweite allerWaffen lag, über die ein Kybb-Titan verfüg-te.

Wenige Sekunden Trommelfeuer genüg-ten. Dann explodierte der erste der Titanen,die hinter der TRAJAN herjagten.

*

Rhodan ignorierte den Jubel ringsumher.Er behielt den Operationsmonitor unver-wandt im Blick, wobei seine Aufmerksam-keit vor allem zwei Dingen galt: erstens demSymbol, das den Terra-Konvoi darstellte,und zweitens der Uhr.

Endlich. Der Terra-Konvoi hatte seine Po-sition eingenommen: eine extrem weiteKreisbahn um die Erde, auf der sich dieSchiffe mit konstantem Gegenschub stabili-sieren mußten, um bei der notwendigenBahngeschwindigkeit von fünfhunderttau-

send Metern je Sekunde nicht tangential da-vongetragen zu werden. In einer Distanz vonetwas mehr als drei Millionen Kilometernwar dieses Manöver erforderlich, um denVerband konstant über demselben Punkt derErdoberfläche zu halten.

Absolut im Plan. Es waren immer nocheinige Minuten bis zum Beginn des errech-neten Zeitfensters.

Er beugte sich über sein Interkomgerätund stellte eine Direktverbindung zum Lu-na- Konvoi her.

»Rhodan an Luna-Konvoi«, sagte er.»Einsatzkode Raphael. Beginn um dreizehn,null vier, null eins. Bitte bestätigen.«

Die Antwort kam sofort. »Luna-Konvoibestätigt Einsatzkode Raphael. Beginn drei-zehn, null vier, null eins.«

»Danke, Luna-Konvoi.«Er lehnte sich zurück. Das war also in die

Wege geleitet. Zeit, sich wieder dem Ge-schehen da draußen zuzuwenden. Sie hatteneinen Titanen zerstört -aber das hieß nur,daß immer noch zwei Titanen übrig waren.

Zwei Titanen, deren Besatzungen nun ge-nau wußten, welche Schiffe über Dissonan-zwaffen verfügten.

Und die immer noch in Feuerreichweitewaren.

9.

Der Klumpen Angst in seiner Magengru-be, der sich seit dem Aufbruch von Wegawie massives Terkonit angefühlt hatte, schi-en seine Konsistenz verändert zu haben, seitklar war, daß die JACQUES CARTIER zukeinem der Verbände gehörte, die die inSonnennähe stationierten Titanen angreifenmußten. Sie gehörten zum Luna-Konvoi, derirgendwelche Ablenkungsmanöver fliegenwürde. Doch, da fühlte sich die Angst gleichganz anders an . Nur noch ungefähr wie ein-satzgehärteter Chrom- Vanadium-Stahl.

Nur nicht daran denken. Nur nicht dar-über nachdenken, wie es sein mochte, wenndas Schiff, in dem man unterwegs war, voneiner Waffe getroffen und zerstört wurde.

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Nur nicht versuchen, sich vorzustellen, wiesie sein mochten, diese letzten Sekundenmitten in einem Höllenfeuer, mitten in ei-nem Zerbersten und Zersplittern und Zerrei-ßen, wenn einem das Vakuum die Atemluftaus den Lungen riß und das Blut zum Ko-chen brachte und die Augäpfel zerplatzenließ, wenn sonnenheißes Plasma einen ver-brannte …

Nur nicht daran denken!Das Warten war das Schlimmste. Die

Triebwerke der CARTIER donnerten, abund zu kam das Signal, das einen bevorste-henden Linearraumübergang ankündigte, an-sonsten blieben die Lautsprecher stumm.Über die Kommandofrequenz kam zweimalder Befehl an die Wartung, ein schadhaft ge-wordenes Aggregat auszutauschen, doch dasgalt immer den normalen Technikern, nichtdenen der Einsatzgruppe.

Die lungerte vollzählig auf dem unterstenQuartierdeck herum, das seit dem Umbaunur noch so hieß. Hier gab es keine Quartie-re mehr, nur Lagerräume für Ausrüstungund endlose Reihen von Sitzbänken undSpinden. Und da hockten sie und warteten.Einige schrieben Briefe, andere spieltenKarten, wieder andere checkten wieder undwieder ihre Strahler durch.

Ross kaute irgendein braunes Zeug undstarrte Löcher in die Wände.

Abe feilte seine Fingernägel mit einerHingabe, als stünde ihm ein Schönheitswett-bewerb bevor. Bei jeder Erschütterungfluchte er, immer den gleichen, derb klin-genden Kraftausdruck in einer Sprache, dieDerek Pander nicht kannte. Aber es konntenur ein Fluch sein, das stand fest.

Derek Pander ging alle fünf Minuten aufsKlo.

»Hast du Probleme?«, fragte LeutnantBersink irgendwann.

Derek zuckte nur mit den Schultern. »Wirhaben doch alle dasselbe Problem, oder?«

Er hatte erwartet, daß Bersink ihn für die-se flapsige Erwiderung anschnauzen würde,aber zu seiner Verblüffung nickte der Leut-nant nur und meinte: »Da hast du verdammt

noch mal Recht.«Er hatte – Vorrecht seiner Position -einen

Gefechtsmonitor vor sich, ein klobiges,schlagfest verpacktes Terminal, auf dem inkonstantem Strom Meldungen, Flottenkon-stellationen und dergleichen abliefen. Manbrauchte einen Lehrgang, um zu kapieren,was all die Symbole und Diagramme zu be-deuten hatten; Derek hatte ihm anfangs eineWeile über die Schulter geschaut, es aberschließlich aufgegeben.

»He, Leutnant!«, rief jemand von derKampfgruppe. »Gibt's was Neues?«

Bersink ließ den Blick nicht von dem Mo-nitor. »Das wird nichts«, meinte er nach ei-ner Weile, als Derek schon zu dem Schlußgekommen war, daß er die Frage überhörthatte. »Scheiße noch mal. Die Verbände, dieüber Sol angreifen, haben schon fünfzehnSchiffe verloren, und die Titanen rühren sichnicht einmal von der Stelle. Knallen unsereSchiffe bloß ab wie auf dem Schießstand.«

Abe hörte auf, seine Fingernägel in dieForm ihres Lebens zu feilen. »Ich verstehnicht, warum Rhodan nicht alle Kräfte aufeinen Punkt konzentriert«, ließ er sich ver-nehmen. »Ist doch klar, daß die einzelnenVerbände zu schwach sind, zu klein … Dieerreichen nichts. Die ganze Flotte auf einender Titanen über Sol und die TRAJAN mitdem Dissonanzgeschütz vorneweg – sowürd' ich das machen.«

Aus dem Hintergrund kam Gelächter.»Wählt Abe! Wählt Abe! Wählt Abe zumResidenten!«, skandierten ein paar Leute,die sich köstlich zu amüsieren schienen.

»Idioten«, meinte Abe Muraida nur ver-ächtlich und steckte seine Nagelfeile weg.

In diesem Augenblick heulte LeutnantBersink auf. »Ja!«, schrie er. »Ja! Leute, wirhaben den ersten Titanen geknackt! Da!Weggeputzt, die haben ihn weggeputzt …!«

Im Nu war er von Männern und Frauender Einsatzgruppe umringt, die alle einenBlick auf den Monitor werfen wollten. De-rek Pander blieb, wo er war, erstarrt vor …Ja, was? Unglauben? Ja. Es kam ihm absolutunfaßbar vor, daß dieser Wahnsinn, dieses

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gigantische Sterben am Ende doch einenSinn, einen Nutzen haben sollte.

Natürlich hatte er im Geschichtsunterrichtin der Schule gelernt, mit welch waghalsi-gen Manövern Rhodan die Menschheit bis-weilen gerettet hatte und was für irrsinnigeGlücksfälle immer wieder eine entscheiden-de Rolle gespielt hatten. Die Hypnokursehatten ihm die Jahreszahlen ins Hirn gehäm-mert, und über die Blueskriege hatte er sogarein Referat gehalten, sein erstes, mit zwölfJahren. Und trotzdem … trotzdem war etwasin ihm, was nicht glauben konnte, daß esdiesmal, da er selbst mitten dabei war, wie-der einmal gut ausgehen würde. Nein. EinenGegner wie diesen hatte die Menschheitnoch nie gehabt. An Gon-Orbhon würdeRhodan scheitern.

Derek Pander holte tief Luft, gegen einenWiderstand, der sich wie ein stählerner Reifum seinen Brustkorb zu schließen schien.Daß er in dieser Situation nicht bei Lishawar, zerriß ihm fast das Herz1.

»Das war überhaupt nicht die TRAJAN«,hörte er jemanden rufen. »Hey, seht ihr das?Vierundzwanzig Dissonanzwaffen! Wir ha-ben vierundzwanzig von diesen verfluchtenDingern, Leute!«

»Zeigt es ihnen!«, schrie jemand anders.»Gleich noch mal!«

*

Doch Rhodan erwog nicht eine Sekundelang, den Beschuß fortzusetzen. Er befahlFluchtkurs für alle Einheiten, und im selbenMoment erbebte die Zentrale schon unterdem fernen Donner der Triebwerke PRAE-TORIAS.

In den Augen des Ersten Offiziers glühteKampffieber. »Resident … sie sind noch inFeuerreichweite! Eine Minute, und wir kön-nen vielleicht noch einen erledigen …«

»Nein, Oberstleutnant«, schüttelte Rho-dan den Kopf. »Wir werden uns nicht inVersuchung führen lassen.«

Die TRAJAN verschwand gerade im Li-nearraum. Sie hatte kein einziges Mal ins

Gefecht eingegriffen, hatte nur als Lockvo-gel fungiert – eine gefährliche Rolle, die siejedoch kein zweites Mal würde spielen kön-nen. Sie hatten erreicht, was sie hatten errei-chen können.

Die übrigen beiden Titanen brachen mitatemberaubenden Beschleunigungswertenaus ihren bisherigen Kursen aus und stürm-ten auf die Offensiv-Verbände zu, die be-reits mit Vollschub davonrasten, jedes Schiffin eine andere Richtung. Viele waren nichtschnell genug. Rhodans Augen verengtensich unwillkürlich, als er terranische Schiffereihenweise im Feuer der monströsen An-greifer detonieren sah. Die Zähler des Ge-fechtsmonitors zählten die Verluste mitleid-los hoch; über fünfzig Schiffe waren schonverloren, weit, weit über hunderttausend To-te auf ihrer Seite …

Wenigstens noch keine der Einheiten, dieDissonanzwaffen trugen. Andere Schiffewarfen sich den Titanen in den Weg mit al-lem, was sie hatten; ein heldenhafter Mut,den viele mit ihrem Leben bezahlten.

Nur noch Sekunden. Und immer noch wa-ren die Bewegungen synchron, verlief allesnach Plan; es grenzte an ein Wunder.

Und endlich, endlich Übertrittsgeschwin-digkeit. Nahezu auf einen Schlag ver-schwand die gesamte Flotte im Linearraum,jedes Schiff auf einem anderen Kurs, aufdem es wenige Augenblicke später wiederzum Vorschein kam. Nichts davon war zu-fällig, jeder einzelne Kurs war sorgsam vor-ausberechnet worden. Mehr oder wenigerauf einen Schlag hatte sich die Offensiv-Flot-te weiträumig über den gesamten Raum desSolsystems verteilt, fanden sich die verblie-benen Schiffe neu gemischt zu fünfzig klei-neren Verbänden zusammen.

Die Kybb wußten nun zwar, daß die Flot-te über vierundzwanzig Dissonanzgeschützeverfügte, und auch, welche Raumschiffsty-pen damit ausgestattet waren. Doch da jedeTrägereinheit einem anderen Fluchtkurs ge-folgt war, hatten sie logischerweise nurhöchstens zwei davon verfolgen können.Und nach diesem rasanten Manöver war es

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für sie unmöglich geworden, festzustellen,welche der Schiffe mit den gefährlichenWaffen ausgerüstet waren.

Jeder Kommandant der Operationsflottehatte nur seine das eigene Schiff betreffen-den Befehle erhalten und außerdem die Wei-sung, nicht zu versuchen, irgendetwas dar-über hinaus in Erfahrung zu bringen. Dochals die routinierten Männer und Frauen nundas Resultat ihrer Flugmanöver sahen, be-griffen sie natürlich sofort, welche Optionsich durch dieses»Bäumchen-wechsle-dich«-Spiel eröffnete:Mit etwas Glück würden sie das Manövernoch einmal durchführen, die Kybb-Titanenein zweites Mal in die Falle locken können!

Die Besatzungen der Titanen verstandendas ganz offensichtlich ebenfalls, denn sieverzichteten darauf, den entflohenen terrani-schen Raumschiffsverbänden unverzüglichnachzusetzen. Stattdessen trennten, sie sichund tauchten nach zwei kurzen Linearetap-pen im Raum zwischen Erd- und Venusbahnwieder auf, in klug gewählten Positionen,von denen aus sie in optimaler Zeit würdeneingreifen können, egal was die Angreiferals Nächstes unternahmen.

Dumm waren sie nicht, das mußte man ih-nen zugestehen.

»Rhodan an alle Offensiv-Verbände«,kam der Rundspruch, kaum daß die Einhei-ten zueinander gefunden hatten. »Wir neh-men Kurs auf die Sonne.«

Verhaltener Jubel in der Kommandozen-trale von PRAETORIA. »Positionen der Ti-tanen um Sol unverändert!«, meldete die Or-tung unaufgefordert.

Rhodan nickte dankend. Sie dachten mit.Gut. Umso wichtiger, daß sie nicht zu früherkannten, was wirklich gespielt wurde.Denn irgendwann mochte ein unerkannterJünger Gon-Orbhons unter denen sein, diedas Spiel durchschauten, und ab diesem »Augenblick würde das, was er vorhatte –wovon vermutlich die Zukunft der Mensch-heit abhing –, nicht mehr funktionieren.

»Jeder Verband konzentriert sich aufeinen der Titanen, die über Sol stationiert

sind«, fuhr Rhodan fort. »Wir wissen nichtgenau, wie der Aufheizvorgang der Sonnefunktioniert, aber die Tatsache, daß die geg-nerischen Raumschiffe trotz unserer massi-ven Intervention und sogar der Zerstörungeines Titanen ihre Tätigkeit nicht unterbre-chen, erhärtet den Verdacht, daß sich derZerstörungsprozeß entscheidend verzögernwürde, wenn es uns gelingt, ihn zu stören.Weil wir zu wenig wissen, um hier eine op-timale Vorgehensweise wählen zu können,hat jeder Verband freie Hand. Laßt uns allesdaransetzen, einen oder mehrere Titanen ausihrer Position zu bringen – egal ob wir sielocken, drängen oder sonst wie beeinflussen.Versucht, was ihr könnt. Und versucht, amLeben zu bleiben.«

Er schaltete die Verbindung weiter an dieOrterzentrale von PRAETORIA, die die Zie-le auf die Verbände verteilen würde, lehntesich zurück, sah auf den großen Bildschirmund versuchte, so zu tun, als bemerke er diebeklommenen Blicke der Zentralebesatzungnicht.

Möglich, daß es die Sonne rettete oder ihrzumindest einen Aufschub verschaffte,wenn es glückte, die Titanen in ihrer Tätig-keit zu stören.

Aber in Wirklichkeit glaubte Perry Rho-dan nicht daran, daß ihnen das gelingen wür-de.

Es kam auch nicht darauf an. Das primäreZiel der Operation Kristallsturm II war einvöllig anderes.

10.

»Kommandant an alle«, kam endlich eineDurchsage. »Wir haben jetzt unseren Ein-satzbefehl. Wir werden Luna anfliegen unddas Manöver durchführen, das wir über Tho-lus eingeübt haben, diesmal allerdings syn-chron mit allen zwölf Schiffen unseres Ver-bandes. Zielpunkt ist der Zwiebus-Krater aufder Mondrückseite. Alle Einsatzgruppen bit-te bereitmachen. Anflug beginnt in neunzigSekunden.«

Leutnant Bersink stand auf, reckte den

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stiernackigen Hals und sah prüfend in dieRunde. »Ihr habt es gehört, Leute. Also, indie Raumanzüge mit euch! Und dann runterin den Hangar, in Ausgangsposition.« Erhob den Gefechtsmonitor. »Übrigens greiftRhodan in diesem Moment mit allen Offen-siv-Verbänden die Titanen in der Sonne an!Mit vierundzwanzig Dissonanzkanonen! Ichwürde sagen, das sieht gut aus.«

Die meisten nickten bloß skeptisch undgriffen einfach nur nach ihren Raumanzü-gen, aber einige stießen auch regelrechteRufe der Begeisterung aus. Unter anderemAbe Muraida. »Endlich!«, meinte er zufrie-den. »Jetzt geht's zur Sache!«

Derek Pander sah ihn verständnislos an.»Aber was soll dann das, was wir machen?«

»Ein Ablenkungsmanöver«, erwiderteAbe kurz angebunden, während er in dasHosenteil des Anzugs stieg. »Es sind immernoch zwei Titanen frei beweglich, das hastdu ja gesehen. Und wenn wir dicht amMond operieren, bindet sie das ziemlich,weil sie uns nicht einfach so aus dem All pu-sten können. Sie brauchen NATHAN näm-lich noch ein paar Tage lang.«

Ross hatte seinen Anzug schon an, zoggerade den Vorderverschluß zu. »Tja«, stießer zwischen zusammengebissenen Zähnenhervor. »Jetzt heißt es tapfer sein.«

Mit einem Gefühl, als öffne sich in sei-nem Inneren ein bodenloser Abgrund, be-griff Derek, was das bedeutete: daß sie ster-ben würden. Daß ihr Tod einkalkuliert war.

*

So war das also, dachte Derek Pander, 49Jahre alt, verheiratet, zwei Kinder, Service-techniker der Besoldungsgruppe 3 im Raum-hafendienst Terrania City, während er densilbrig weißen, weichen Stoff eines Rauman-zugs überstreifte, auf dessen Brust sein Na-me stand und an dessen Oberarmen das un-verdiente Rangabzeichen, eines Sergeantender LFT-Flotte prangte. So fühlte sich dasan, wenn man dem Ende seines Lebens ent-gegenging. Dem vorzeitigen Ende, dem un-

geahnt frühen. Alle Träume, Wünsche undHoffnungen, die er einst für seine Zukunftgehabt hatte, würden Träume, Wünsche undHoffnungen bleiben.

Es waren ohnehin keine weltbewegendenDinge gewesen – er hatte seine Kinder auf-wachsen sehen wollen, hatte gehofft, einstEnkel und später einmal Urenkel auf demSchoß sitzen zu haben; lauter schlichte Be-strebungen, wie sie mehr oder weniger alleMenschen seit Anbeginn der Zeiten verfolgthatten. Er hatte mit Lisha alt werden wollen,natürlich. Und daß er sie nicht mehr sehen,nicht mehr sprechen sollte vor seinem Ende,das schmerzte ihn am meisten.

Die Triebwerke donnerten los. Die Türseines Spindes zitterte, spürbar durch dieHandschuhe hindurch. Derek nahm denRaumhelm aus dem Fach, schloß die Tür inder elenden Gewißheit, daß er nicht mehrzurückkehren würde, um ihn wieder zu öff-nen, und wandte sich ab. Er sah LeutnantBersink mit den Armen fuchteln, um dieNachzügler anzutreiben, sah jemanden nochhastig einen Brief in einen Umschlagstecken, einen dieser altmodischen, handge-schriebenen Briefe, die noch immer nichtaus der Mode gekommen waren, wenn esdarum ging, jemandem seine Gefühle darzu-legen.

Aber war das nicht sinnlos? Was würdeübrig bleiben von diesen Briefen, wenn dieJACQUES CARTIER in ihre Atome zerbla-sen wurde?

Er hatte Lisha eine Interkomnachricht ge-schickt, gleich nachdem das mit dem Alarm-start passiert war. Um sie wissen zu lassen,wo er abgeblieben war. Aber natürlichherrschte seither Nachrichtensperre, washieß, daß diese Nachricht immer noch inzehntausendfacher Vervielfältigung in denpositronischen Postspeichern ruhte, von de-nen jedes Raumschiff der Flotte einen anBord trug. Wenn nicht ein Wunder geschah,würde sie trotzdem nie mehr in das Inter-komnetz eingespeist werden. Weil es baldkeines mehr geben würde.

Während er hinabging in den Polhangar,

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an dem er mitgebaut hatte, wünschte er sichtrotz allem, er hätte Lisha in dieser Nach-richt mehr gesagt als nur, daß er noch lebteund wo er abgeblieben war. Hätte ihr gesagt,daß er sie liebte, daß sie die große und einzi-ge Liebe seines Lebens war. Das war dasWichtigste von allem, oder?

Daß sie womöglich glaubte, er hätte dieWirren der Invasion genutzt, um abzuhauenund sie und die Kinder im Stich zu lassen,trieb ihn fast in den Wahnsinn.

Nicht darüber nachdenken, sagte er sich,als er seinen Platz zwischen den andereneinnahm. Einfach die nächste halbe Stundenicht darüber nachdenken.

Gleich darauf erschütterte ein Schlag denRumpf der CARTIER. Es war die Art Er-schütterung, die Derek Pander inzwischeneindeutig zu erkennen – und zu fürchten –gelernt hatte: Nur ein schwerer Treffer inden Schutzschirmen hörte und fühlte sich soan.

Irgendwo weit weg heulten Aggregateauf, hochtourig, Energiewandler wahr-scheinlich. Das klang überhaupt nicht gut.Derek sah in die Runde, in die Gesichter deranderen, die bleich aussahen und ange-spannt. Sogar Ross Necker schluckte beun-ruhigt.

Noch ein Schlag, heftiger diesmal. Als sä-ßen sie im Inneren eines riesigen Kessels, andem sich ein Riese mit einem Vorschlag-hammer austobte. Einem Vorschlaghammer,so groß wie ein Haus.

Jetzt richteten sich alle Augen auf Leut-nant Bersink, der am Kom saß und denÜberblick hatte.

»Das ist kein Titan. Es sind die Mond-forts«, erläuterte er grimmig, als das Dröh-nen nachließ. »Die lunare Bodenverteidi-gung. Transformkanonen mit einer Feuer-kraft in Größenordnungen, für die ich nichtmal mehr die Bezeichnungen weiß.« Er hiebmit der behandschuhten Faust gegen dienächste Strebe. »Wenn die nicht innerhalbder nächsten fünf Minuten Kleinholz aus unsmachen, könnt ihr später mal mit allemRecht erzählen, daß ihr ein richtiges, echtes

Wunder erlebt habt.«

11.

Rund um Sol führten die Offensiv-Ver-bände einen Kampf, der sich mehr und mehrals vergeblich entpuppte. Was auch immersie versuchten, es schien unmöglich, einender tief in der Korona stationierten Titanendazu zu bewegen, sich auch nur einen Metervon der Stelle zu rühren.

Die fünfzig mächtigen Gebilde feuertenohne Verzögerung, sobald ein Schiff in Ge-schützreichweite geriet, ansonsten ignorier-ten sie die Raumschlacht rund um das Zen-tralgestirn vollständig. Da diese Reichweitedrei Millionen Kilometer betrug, mithin fastdas Dreifache des Durchmessers der Sonne,war es den Einheiten Rhodans praktisch un-möglich, sich Sol nennenswert zu nähern.

Daß die Transformbomben und Paratron-werfer an den Schutzschirmen der Titanenscheiterten, war von vornherein klar gewe-sen. Doch zur Enttäuschung der Männer undFrauen gelang es nicht einmal, die mit Dis-sonanzgeschützen bestückten Einheiten zueinem konzentrierten Angriff auf eines derRaumschiffsmonstren über Sol zu koordinie-ren, denn die zwei letzten frei operierendenKybb-Titanen ließen sich offensichtlichnicht im mindesten von dem Treiben derDefensiv-Verbände über Mars, Venus undLuna ablenken, sondern machten unermüd-lich Jagd auf die terranischen Einheiten.

Da Rhodan die Devise »Im ZweifelsfallFlucht« ausgegeben hatte, war das für beideSeiten ziemlich aussichtslos. Die Einheitender Offensiv-Flotte versuchten blitzartigeAttacken im Vorbeiflug und verschwandensofort wieder im Linearraum, sobald sich ei-ner der beiden Titanen näherte.

Weil diese ihre ganze, schier unglaublicheBeweglichkeit ausspielten, ließ das meistnur wenige Sekunden Feuer zu, zu wenig,um die Schirme eines Titanen zu überladen.Andererseits hielten sich auf diese Weise dieeigenen Verluste in Grenzen.

»Ich fürchte, wir müssen mehr riskieren,

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wenn wir etwas erreichen wollen«, gabOberst Vaccon irgendwann zu bedenken.

Doch Rhodan schüttelte nur den Kopf.»Nein. Wir machen genau so weiter.«

»Aber das führt nirgendwo hin«, gab Ri-bald Mankor, der Zweite Offizier, zu beden-ken. »Dieses Katz-und-Maus-Spiel kannewig so weitergehen.«

»Keine Sorge«, beharrte Rhodan. »Daswird es nicht.«

Er sagte es in einem Tonfall, der »Endeder Diskussion« hieß, so gut kannten sie ihninzwischen. Also wandten sich die Männerund Frauen achselzuckend wieder ihrenAufgaben zu und warfen nur noch ab und zueinen skeptischen Blick auf den Unsterbli-chen.

Es war seltsam. Man konnte den Eindruckbekommen, daß Rhodan nur Augen für denLuna-Konvoi hatte.

*

Rhodan hatte tatsächlich nur Augen fürden Luna-Konvoi. Während er die entspre-chenden Symbole auf dem Gefechtsmonitorin die Zielpositionen wandern sah, mußte erunwillkürlich an das Gespräch denken, daser damals, nachdem er die entscheidendeIdee gehabt hatte, mit Julian Tifflor undMonkey geführt hatte.

Tiff hatte mit zunehmend skeptischeremBlick zugehört, Monkey dagegen unbeweg-ten Gesichtes, mit verschränkten Armen.Mit seinen stählernen Augen und seinerglänzenden, olivfarbenen Haut wirkte derOxtorner in solchen Momenten wie eine Sta-tue seiner selbst.

»Das ist naiv gedacht, Perry«, sagte erschließlich. »Bei allem nötigen Respekt. Ichstimme dir zu – der Titan, der den Vesuv be-wacht, wird sich von dort nicht fortbewegen.Aber er wird trotzdem seine Orter einsatzbe-reit haben und seine Waffen auch. Orter, fürdie Luna kein Hindernis ist, und Waffen, dieeine Reichweite von drei Millionen Kilome-tern haben, also fast das Zehnfache der Ent-fernung bis zum Mond. Und du glaubst doch

nicht im Ernst, daß die Kybb auch nur einenHerzschlag lang zögern werden, notfallsmitten durch Luna hindurchzuschießen?Mitten durch NATHAN hindurch, mittendurch die Mondkolonien, mitten durch denLebensraum von Millionen von Menschen?«

Rhodan schüttelte den Kopf, während ernach einem Stift und einem Stück Foliegriff. »Sie würden nicht zögern, stimmt. Siewürden nicht einmal davor zurückschrecken,direkt durch die Erde hindurchzuschießen.Aber«, fuhr er fort und begann, ein grobesSchema aufzukritzeln, das die Erde und dieBahn ihres Mondes darstellen sollte,»einmal in vierundzwanzig Stunden stehtder Mond genau auf der anderen Seite derErde und einmal pro Mondumlauf sogar ineiner Himmelsposition auf der anderen Seitedes Stock-Relais …«

Jetzt nahm Monkey die Arme auseinanderund beugte sich vor.

Rhodan wußte, daß er begriffen hatte,worauf der Plan beruhte, aber er sagte estrotzdem, einfach, weil es gesagt werdenmußte: »Es handelt sich um eine Zeitspannevon mindestens zwanzig und höchstensfünfunddreißig Minuten, in der der Titanden Verband nicht angreifen kann, ohne dasStock-Relais selbst zu gefährden.«

Monkey starrte auf das Stück Folie undrieb dann die Stelle, an der die Haut seinesGesichts seine künstlichen Augen berührte.Nach den emotionalen Maßstäben des Ox-torners war das eine geradezu nervöse Ge-ste. »Gut überlegt«, gab er schließlich zu.»Aber es wird trotzdem nicht so funktionie-ren. Der Titan braucht nur ein kurzes Manö-ver zur Seite zu machen, um freies Schuß-feld zu haben. Bei seinem Beschleunigungs-vermögen eine Sache von ein paar Sekun-den.«

Rhodan nickte und griff wieder nach derFolie und dem Stift. »Aber nicht, wenn wireinen Verband hier positionieren.« Er zeich-nete einen dicken Punkt ein, der den Titanendarstellen sollte, und zog eine gestrichelteLinie von da aus senkrecht von der Erdeweg. »Hier. Direkt über dem Vesuv, außer-

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halb der Schußreichweite. In dem Moment,in dem sich der Titan von seiner Positionwegbewegt, vernichten die Schiffe dasStock-Relais. Das ist auch nur eine Sachevon ein paar Sekunden.«

Monkey überlegte. Regungslos.Tiff sagte: »Dabei würde ganz Italien zer-

stört werden. Wahrscheinlich sogar der ge-samte Mittelmeerraum.«

Rhodan schüttelte den Kopf. »So weitwird es nicht kommen. Das Stock-Relais istGon-O wichtiger als alles andere. Der Titanwird sich nicht von der Stelle rühren.«

»Richtig.« Der Oxtorner lehnte sich wie-der zurück. »Guter Zug.«

Rhodan nickte lächelnd. »Im Schach, ha-be ich mir sagen lassen, nennt man so etwaseine absolute Fesselung.«

12.

Derek Pander zuckte zusammen, als ur-plötzlich eine Durchsage losdröhnte, sowohlin den Hallenlautsprechern als auch in sei-nem Helm.

»Kommandant an Einsatzgruppen«, belltedie Stimme heiser. »Wir sind im Zielanflug.Alles bereitmachen für Beginn des Einsatzesin zwei Minuten! Zur Information: Nach un-seren Informationen sind die lunaren boden-gestützten Verteidigungsanlagen nicht fürdie Erfordernisse der gestiegenen Hyperim-pedanz umgerüstet worden und werden of-fenbar von Hand bedient. Die Wahrschein-lichkeit eines Treffers liegt bei unter fünfProzent, außerdem ist mit baldigem Ausfallder Transformgeschütze zu rechnen. Und diebeiden freien Kybb-Titanen kümmern sicheinen Scheißdreck um uns; die umkreisendie Sonne und machen unseren Offensiv-Verbänden das Leben schwer.«

Erleichtertes Gelächter brandete um ihnherum auf. »Da hast du dein Wunder, Leut-nant!«, rief jemand.

Bersink grinste verkniffen. »Ja, ist das Le-ben nicht wundervoll?«, dröhnte er und hobden Kopf. »Also, Jungs, Mädels, in genau«– ein rascher Blick auf den Monitor –

»sechsundneunzig Sekunden will ich volleLeistung sehen. Helme auf! Kampfgruppenin Position! Techniker einsatzbereit! Undpaßt bloß auf, daß ihr nicht in die Traktor-strahlen geratet.«

Dann war es also so weit. Nicht nachden-ken. Einfach nur tun, was zu tun war. Dereksetzte den Helm auf, prüfte die volle Funkti-onsbereitschaft des Anzugs und die Voll-ständigkeit des Werkzeugs, das er in denGürtelschlaufen stecken hatte, zum hundert-sten Mal wahrscheinlich.

»Noch sechzig Sekunden.«Die Kontrollen der automatischen Lade-

steuerung gingen auf Grün. Auf den entspre-chenden Befehl hin würden die Luken auf-schnellen, die Zielobjekte blitzschnell geor-tet und von Traktorstrahlen an Bord geholtwerden, so schnell, wie noch nie Ladungeingeschifft worden war.

»Noch dreißig Sekunden.«Doch ehe der Befehl erteilt werden konn-

te, würden erst Hindernisse beseitigt werdenmüssen.

»Noch zwanzig.«Derek gehörte zu denen, deren Aufgabe

es war, sie aus dem Weg zu räumen.»Zehn.«Hindernisse, von denen sie noch nicht

wußten, wie sie aussahen.»Und los!«

13.

Die Hangartore schnappten auf. Die Män-ner und Frauen des Bodeneinsatzkomman-dos stürmten los, Waffen im Anschlag,sprangen über die Kante und fegten mit auf-flammenden Anzugstriebwerken davon.Schnell, schnell, schnell … Die Technikerfolgten, nicht ganz so schnell, nicht ganz sounerschrocken, aber auch sie sprangen, undsie rissen Derek einfach mit sich.

Er kämpfte mit dem Anzugstriebwerk.Immer noch, obwohl sie das Manöver überTholus bis zur Erschöpfung wiederholt hat-ten. Obwohl er einmal Lunarinspektor gewe-sen war und die entsprechenden Kurse ge-

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macht hatte, auch Umgang mit Raumanzü-gen …

Ewigkeiten her. Und er hatte das nie ge-braucht, kaum, daß er überhaupt je ein paarSchritte auf die Oberfläche hinaus getan hat-te …

Der Boden kam immer näher, bedenklichschnell. Über ihnen der riesige stählerneLeib der CARTIER. Da, die anderen Schif-fe, groß und gewaltig am nachtschwarzenFirmament. Grau schimmernde Kugelleibermit hell erleuchteten Schlitzen an den unte-ren Polen, aus denen winzige Gestalten hin-abrieselten auf die mattgraue Fläche unterihnen, die von schroffen Kraterwällen um-schlossen lag.

»Achtung, Lagebeurteilung!«, gellte eineFrauenstimme in Dereks Helm. Die Einsatz-zentrale. »Wir haben in unserem Abschnitt… energetische Sicherungen auf fünf Uhr,Distanz viertausend. Hangartore auf neun

Uhr, Distanz siebentausend. Ein Abraumla-ger auf elf Uhr, Distanz dreitausend, istnicht, wiederhole: nicht Ziel!«

»Team Villar kümmert sich um die Siche-rungen.« Das war jetzt Bersink. »Team Mu-raida um die Hangartore. Und Tempo, Leu-te!«

Team Muraida, das waren Abe, Ross under. Endlich bekam Derek die Triebwerks-steuerung in den Griff, oder vielleicht war esauch die Automatik, die ihn in den Griff be-kam, jedenfalls sank er die letzten Meterdeutlich langsamer und kam sanft auf, kurznach Ross und ein paar Sekunden vor Abe.Die Helme dunkelten ab, wenn das scharfeLicht der tief stehenden Sonne auf sie fiel;die Gesichter waren nur zu erahnen.

»Also los«, meinte Abe, packte denSteuerungshebel und hob wieder ab, zog indie angegebene Richtung davon. Von denHangartoren war aus dieser Distanz natür-lich noch nichts zu sehen.

Wieder Bersink. »Vorsicht, Ladung derContainer aus dem Hauptgebiet beginnt inzehn Sekunden. Team Jorge, ihr seid nochzu nah dran! Bewegt eure Ärsche minde-stens zweihundert Meter Richtung drei Uhr,und zwar sofort!«

Derek Pander sah eine sechsköpfigeGruppe vom Mondboden aufsteigen und da-vonschießen wie von einem Katapult ge-schnellt.

Da! Ein Lichtblitz. Was war …? .Himmel, da wurde geschossen!Von den Kraterwällen herab zuckten blas-

se Strahlenfinger, die an Schutzschirmen zugrellen Kaskaden zerstoben. Irgendwo ex-plodierte etwas, und ein Regen nachleuch-tender Trümmerteile sank träumerisch lang-sam auf die Mondoberfläche herab.

Im nächsten Moment eröffneten dieTeams der Sicherungsgruppe das Gegenfeu-er. Mit gespenstischer Lautlosigkeit presch-ten flammend helle Garben aus Impulsstrah-lern zum Kraterrand hinauf, hochbeschleu-nigtes Plasma, so heiß wie die Sonne, dasdie Schutzschirme der Angreifer auflodernließ und ihnen so die Sicht nahm.

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»Wo bleiben die Prallfelder in Sektorfünf? Und die Paralysatoren?«, war eine be-häbige Stimme zu vernehmen, die gleichdarauf »Oh, ich geh schon raus« sagte, alsder Betreffende merkte, daß er versehentlichauf Rundspruch geschaltet hatte.

Auch wenn die Gegenseite unter dem Ein-fluß Gon-Orbhons stand, waren es dochMenschen, und man wollte nach Möglich-keit vermeiden, sie zu töten.

»Wir sind gleich da!«, rief Abe. »Da vor-ne, seht ihr?«

Derek hatte nur Augen für die Space-Jet,die über sie hinwegschoß, auf die Gruppeder Angreifer zu. Offenbar war sie es, dieParalysatoren einsetzte, denn im nächstenMoment erstarb das Feuer.

Die Hangertore lagen unter überhängen-den Felsen verborgen, düstere Stahltore ausschwarzem, geriffeltem Stahl. Das Ganzewar breit wie ein Fußballfeld und sah fastaus wie das bartige Maul eines Wals.

Und die Zeit lief. »Eine Minute um!«,hatte Leutnant Bersink gerade eben auf derGeneralfrequenz durchgegeben.

»Sag mal, wo ist denn der verdammteSchaltkasten?«, bellte Abe und flitzte mitirrlichterndem Antrieb von der rechten zurlinken Seite. »Der muß doch hier irgendwosein, oder?«

»Rechts«, sagte Derek. »Und wahrschein-lich ist er getarnt. Das ist seit rund dreißigJahren Vorschrift für lunare Außenanlagen.«Er tastete über die felsige Wand rechts vomTor, erspürte den Drehgriff, der wie eineFelsnase aussah, in Wirklichkeit aber aus ir-gendeinem mäßig echt aussehenden Plast-material bestand. »Da!«

Die Türschaltungen lagen vor ihnen, klo-big und massiv, gebaut, um Jahrtausende zuüberstehen.

Allerdings keine Sonne, die zur Novawurde.

»Zweite Minute ist um!« rief Bersink.Abe war schon am Aufschrauben der Ab-

deckung. »Woher weißt du so was eigent-lich?«

»Ich habe eine Zeit lang als lunarer In-

spektor gearbeitet«, erzählte Derek, währender und Ross die notwendigen Werkzeuge an-reichten, um die Zugangssicherung zu über-brücken. Das war vor den Kindern gewesen.Damals hatte Lisha auch einen Job auf demMond gehabt, und sie waren jeden Morgenzusammen losgegangen. Eine Selbstver-ständlichkeit seinerzeit, ein simpler Schrittdurch einen Transmitterbogen. »Ich habe so-gar den Ausweis von damals noch in der Ta-sche stecken.«

»Ein Segen, daß du dabei bist«, meinteAbe, voll konzentriert darauf, die Adapter andie richtigen Stellen zu setzen. »Ich habeschon an Außenanlagen gearbeitet und dach-te, ich kenne mich aus, aber offenbar warendie alle älter als … So, das müßte funktio-nieren.« Er trat mit einem unter Mond-schwerkraft federleichten, hüpfenden Schrittzurück. »Drück auf den Knopf, Ross!«

Die Sicherung erwartete entweder einenSchlüssel oder einen Kode. Weder das einenoch das andere besaßen sie, aber sie hattendie Zugangssperre mit der Schiffspositronikkurzgeschaltet. Was die genau tat, wußteDerek auch nicht. Ob die alle in Frage kom-menden Kodes besaß? Möglich. Auf jedenFall funktionierte es. Er spürte den Bodenunter seinen Füßen beben, als sich der gerif-felte Stahl mit überraschender Geschwindig-keit aufschob.

Im Inneren der Hangarhalle ging eineNotbeleuchtung an, kärgliche Lichtelemen-te, in deren Schein man praktisch nichts sah,außer daß die Halle voll stand mit irgend-welchen riesigen Maschinen.

»Zentrale!«, rief Abe. »Wir haben die To-re offen.«

»Danke, Team Muraida«, kam die Ant-wort wie aus der Pistole geschossen. »Wir,ahm … wir brauchen aber noch Markierun-gen für den Traktor-Leitstrahl. Nicht, daßwir die Hangardecke einreißen oder sowas.«

»Für euch tun wir doch alles. Was brauchtihr? Torinnenkante, oben, unten, die Sei-ten?«

»Ja, genau, und hintere Hangarwand bit-

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te.«»Alles klar«, flötete Abe. »Dauert nur

zwei Minuten.«»Wir nehmen es gerne auch schneller,

Schätzchen«, flötete die Frau aus der Ein-satzzentrale zurück.

Derek war schon in die Halle hineinge-gangen und nahm das erste Aggregat in nä-heren Augenschein. Es stand auf einer Groß-palette festgezurrt, gute alte Olymp- Norm,und hatte die Ausmaße eines mittlerenWohnblocks. Derek leuchtete daran hoch,erkannte kugelförmige Speichereinheiten,massive Verbindungselemente … Ein Hoch-energiekonverter. Die Art, wie man sie fürGeschütze verwendete. Bloß, daß diesesBauteil absolut irreale Ausmaße hatte. Wasum alles in der Welt sollte das sein?

In diesem Augenblick spürte er wieder dieFaszination für große Maschinen, die ihn da-zu gebracht hatte, seinen Beruf zu wählen.Seit er denken konnte – genauer gesagt, seitihn Onkel Ferdrik einmal auf eine Besichti-gungstour durch eine der lunaren Werftenmitgenommen hatte –, faszinierten ihn dieschweren, riesenhaften Aggregate, wie mansie in Großraumschiffe einbaute. Triebwer-ke, die imstande waren, wahre Stahlgebirgezu den Sternen zu tragen. Konverter, dieEnergien bändigten, die denen einer Sonnegleichkamen. Er wurde es nie müde, mehrüber diese Maschinen zu erfahren, sie ver-stehen zu lernen, sie in optimale Funktions-bereitschaft zu versetzen …

»Wir haben noch elf Minuten!«, rief Leut-nant Bersink mit einer Anspannung in derStimme, die die Lautsprecher zum Klirrenzu bringen schien.

Dies war der Moment, in dem alles zu-sammenkam. Die Erinnerung an Lisha unddie Kinder. Die Erinnerung an seinen Beruf.Die Erinnerung an Onkel Ferdrik, der ihmwie ein Vater geworden war. Die Erinnerun-gen an Terrania City, die Stadt, die so großund vielfältig war, daß ein Leben nicht aus-reichte, um sie jemals ganz kennen zu ler-nen.

Und all das war in diesem Augenblick, er-

kannte Derek Pander, nur einen Katzen-sprung entfernt! In Reichweite!

Wieso war ihm das nicht schon eher ein-gefallen? Hier und jetzt, an diesem Ort, indiesem Moment, war er so gut wie zu Hau-se. Alles, was er zu tun brauchte, war, sichhier irgendwo zu verstecken und abzuwar-ten, bis die Schiffe wieder starteten, was siespätestens in elf Minuten tun würden, not-falls auch ohne ihn.

Danach mußte er nur irgendwie Zugangzu den lunaren Anlagen finden, was von ei-nem Ladehangar aus kein Problem sein wür-de, und sich unter die normale BesatzungLunas mischen. Sein Raumanzug würde ihnnicht verdächtig machen, nicht einmal seineUniform: Aufgrund der überstürzten Fluchtder Heimatflotte mußten zahllose Soldatenzurückgeblieben sein, weil sie Landgang,Heimaturlaub oder dergleichen gehabt hat-ten.

Derek Pander setzte sich in Bewegung,ging tiefer hinein in den Hangar, entferntesich von den anderen. Es geschah wie vonselbst, als hätten ihm seine Beine die Ent-scheidung abgenommen.

Sein Inspektorenausweis war immer nochgültig, und er gestattete ihm freie Benutzungaller Transportmittel im Großraum Erde. Erbrauchte bloß eine Erdfähre zu besteigen,und keine zwei Stunden später würde er beiLisha und den Kindern sein. Heute noch!Nachher!

Er ging weiter, immer weiter. Abe warbeschäftigt, Ross auch. Da, das sah gut aus.Das übliche Tohuwabohu an Röhren, Zulei-tungen, robotgesteuerten Verbindungska-beln; alles, was man so brauchte, wenn manRaumschiffe in Hangars betankte, wartete,auf Vordermann brachte. Kein Hangar, dernicht über solche Einrichtungen verfügt hät-te. Auch Vorschrift, seit Jahrhunderten.

»Achtung, Team Muraida! Verladevor-gang beginnt!«

»Moment – Derek, wo steckst du?«»Alles klar«, hörte Derek Pander sich sa-

gen. »Ihr könnt loslegen.«Nur ein paar Schritte, den Kopf einziehen,

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sich unter einem schweren Stutzen weg-ducken und über Rohrleitungen steigen. Ersah noch, wie hinter ihm die ersten Aggrega-te hochgerissen wurden wie von Geister-hand, dann war er drin in einem Labyrinthaus Metall und Energie, in dem ihn niemandfinden würde, wenn er es darauf anlegte,und in dem er auch nicht zu orten war.

Er fand einen Sitzplatz auf einem Plastbe-tonblock, auf dem ein Sauerstoff-Verteilerverschraubt war, lehnte sich gegen eine ab-geschirmte Rohrleitung und sah auf die Uhr.Noch neun Minuten. Noch neun Minuten,bis er sich auf den Heimweg machen konnte.

*

Rhodans Gesicht blieb steinern, aber seineAugen brannten verdächtig, als er mit anse-hen mußte, wie erneut eine LFT-BOX imFeuer der Kybb zerbarst. Immer noch rührtesich keiner der fünfzig Titanen, die die Son-ne aufheizten, doch die beiden freien Raum-schiffe machten den Terranern das Lebenschwer, mit immer neuen, überraschendenManövern.

Es war zweifellos keine geringe Leistung,derart riesige Flugkörper derart geschickt zumanövrieren, doch Rhodan war außerstande,den feindlichen Kommandanten dafür Re-spekt zu zollen. Was das anbelangte, war erbefangen.

Dies war kein Spiel und kein fairer Wett-kampf, dies war Krieg, und sein Herz warschwer von den Toten auf ihrer eigenen Sei-te. Der Zähler zeigte den Verlust von inzwi-schen 127 LFT-BOXEN und 75 ENT-DECKERN an, von den zahlreichen zerstör-ten Kreuzern ganz zu schweigen. Immerhinhatten sie noch keinen der PONTON-Tenderverloren, diese dafür ganze 42 Schiffbrüchi-ge geborgen, mehr oder minder schwer ver-letzt vermutlich.

Und noch neun Minuten, die dem Luna-Konvoi blieben. Rhodan hätte gern mehr ge-wußt, aber sie hatten keine Verbindung zuden zwölf Schiffen. Er wollte nicht durchungewöhnlich intensive Kommunikation die

Aufmerksamkeit des Feindes darauf lenken,daß es sich bei dem, was die ENTDECKERauf der Mondrückseite taten, um mehr han-delte als nur um ein fehlgeschlagenes Ablen-kungsmanöver.

Also hieß es, noch zu warten. Warten aufdie Vollzugsmeldung. Warten, während jedeMinute, die verstrich, vielen tausend Terra-nern das Leben kosten konnte. Warten undhoffen.

Hoffen, ja. Die Hoffnung brannte in ihm,erfüllte seine Brust, ließ ihn wieder einmalverstehen, warum Menschen Daumen drück-ten und Stoßgebete sprachen. Er hoffte, daßder Konvoi heil zurückkam.

Und mehr noch hoffte er, daß es der Ge-genseite nicht gelingen würde, Gefangene zumachen. Das war die Schwachstelle desPlans, doch sie war nicht zu vermeiden ge-wesen. Ein einziger Gefangener, den dieJünger Gon-Os dem mörderischen geistigenDruck des Nocturnenstocks aussetzen konn-ten, um seinem Bewußtsein alle Informatio-nen über den Einsatz auf Luna zu entreißen,würde schon einer zu viel sein.

Wenn es Gon-Orbhon gelang, durch dieAugen eines Menschen zu sehen, der gese-hen hatte, was die Schiffe aus dem Zwiebus-Krater an Bord luden, war alles verloren.Dann war die gesamte Operation Kristall-sturm II vergebens gewesen, und alle, die ihrLeben gelassen hatten, waren umsonst ge-storben.

Und das Sonnensystem würde nicht mehrzu retten sein.

14.

Derek Pander ließ die blaßgelben Ziffernder Uhr, Bestandteil der Multifunktionsan-zeige im Verschlußteil seines rechten Hand-schuhs, nicht aus dem Blick. Ob das Gerätwohl in Ordnung war? Die Sekunden schie-nen so langsam zu zählen, wie er das nochnie erlebt hatte. Und er mußte sich geradezudazu zwingen, zu atmen. Die Aussicht, Lis-ha und die Kinder wiederzusehen, erdrückteihn förmlich. Wenn nur jetzt nichts schief

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ging. Wenn nur jetzt nichts mehr schiefging.

Der Plastbetonblock unter seinem Hinternerbebte in rascher Folge unter winzigen Er-schütterungen. Es war ihm klar, was sie ver-ursachte. Die gewaltigen Aggregate, diedraußen in der Halle in rascher Folge vonhochpräzisen Traktorstrahlen angehobenund in Richtung der JACQUES CARTIERdavongerissen wurden, wogen selbst unterMondschwerkraft Hunderte von Tonnen.

Jede einzelne Maschine hatte schwer aufdem Hangarboden gelastet, und gleichgültigwie widerstandsfähig dieser war – zweifel-los handelte es sich mindestens um hochfe-sten Plastbeton, der dem schwersten Raum-schiff, das in diesen Hangar paßte, mit Si-cherheitsfaktor einhundert standhielt –, erwurde dadurch doch minimal eingedrückt.Diese winzigen Druckverformungen, diesich nun ausglichen und sich wie Wellenfortpflanzten, waren es, was er spürte.

Problematisch würde es erst werden,wenn die Erschütterungen aufhörten. Denndas hieß, daß die Halle leer war, und dannwürde Abe und Ross auffallen, daß er nichtda war.

Würden sie nach ihm suchen? Natürlichwürden sie das. Man ließ keine Kameradenim Stich, das war ehernes Gesetz der Raum-flotte. Sein Verschwinden mochte heißen,daß er in Schwierigkeiten war: Dann würdendie Leute von der CARTIER alles tun, umihn herauszuhauen. Es mochte heißen, daßer tot war: Dann würden sie versuchen, sei-nen Leichnam zu bergen. Und selbst wennman sonst nichts auszurichten vermochte,würden sie alles Erdenkliche unternehmen,um zumindest Klarheit über sein Schicksalzu erlangen. So war es immer gehandhabtworden, unzählige Berichte und Geschichtenerzählten davon.

Doch sie würden die Mission daran nichtscheitern lassen. Sie würden alles tun, wasMenschen möglich war, doch sie würdenstarten, wenn es Zeit dazu war.

Und sie hatten nur noch sieben Minuten.

*

»Abe! Sag mal, wo steckt Derek eigent-lich?«

»Auf der anderen Seite des Tors doch,oder? Dachte ich.«

»Ich seh ihn nicht.«»Ich auch nicht. Derek? Hallo?« Räus-

pern. »Abe Muraida an Derek Pander – bittemelden!«

Er konnte sie hören. Es rauschte ein biß-chen, was kein Wunder war, wenn man be-dachte, was um ihn herum an Energien undSignalströmen verlief, aber ansonsten hörteer sie klar und deutlich. Die Uhr zeigte nochfünf Minuten. Eine davon brauchten sie, umnoch einigermaßen sicher an Bord zurückzu-kommen. Blieben vier.

Auch die würden vergehen.»Vielleicht hat ihn jemand von da oben

erwischt«, mutmaßte Abe. »Einer der Schüt-zen.«

»Die sind doch alle paralysiert, dachteich.«

»Es gibt Leute, die sich von einer Paraly-se ziemlich schnell erholen. Vor allem,wenn es sie nicht voll erwischt hat.«

»Okay. Aber dann müßte er doch irgend-wo herumliegen, oder?«

»Ja, verdammt. Oder er spielt blöde Spiel-chen mit uns. Hey, Derek, es reicht! Kommraus, wir müssen zurück an Bord!«

Richtig, dachte Derek Pander. Noch vierMinuten und sechsunddreißig Sekunden biszum Start.

Schon erstaunlich: Die Verladeeinrich-tung, an der er mitgearbeitet hatte, hatte dengesamten Hangar innerhalb von sechs Minu-ten geleert. Das war ziemlich sicher Rekord-zeit. Derek Pander spürte einen Stolz, derihm selbst reichlich unangemessen vorkam.Aber warum nicht? Immerhin hatte er einigeentscheidende Ideen beigesteuert. Ohne ihnhätten sie es zumindest schwerer gehabt.

Oder jemand anders hätte schließlich dieentscheidenden Ideen gehabt. Das wußteman nie so genau. Wenn man es recht be-

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dachte, kam es heutzutage auf den Einzelnenja eigentlich nicht mehr an.

»Team Muraida an Zentrale.« Das klangjetzt amtlich. Und nervös.»Vorrangmeldung. Wir haben einen Mannverloren.«

»Hier Zentrale. Bitte spezifizieren: Han-delt es sich um einen Todesfall? Was ist dieTodesursache?«

»Negativ, Zentrale. Ein Mann ist abgän-gig. Es handelt sich um Sergeant Derek Pan-der. Wir wissen nicht, wo er ist.«

Sekundenlange Pause. Bei der fiebrigenHektik, die in der Einsatzkommunikationherrschte, geradezu das Äquivalent einerKaffeepause mit anschließender Mitarbeiter-konferenz. Dann meldete sich eine andereStimme, die Stimme eines Mannes: »Hallo,Team Muraida. Frage: Kann der Vermißte inden Traktionsbereich geraten sein?«

Jetzt klang Abe ungehalten. »Himmel,wie soll ich das wissen?«

»Stimmt. Moment …« Eine weitere Se-kunde, dann: »Die Traktionssteuerung mel-det keine Unfälle. Der einzige Unfall desEinsatzes ist ein Leichtverletzter an Bord derSEMJON DESCHNJEW.«

Abe stieß einen unwilligen Laut aus.»Dann bin ich mit meinem Arkonidisch amEnde.«

Mit einem vernehmlichen Krachen schal-tete sich eine andere Stimme dazwischen. Eswar Leutnant Bersink. »Abe? Ross?«, bellteer. »Laßt gut sein. Zurück an Bord mit euch.Die Ladearbeiten sind so gut wie beendet;wir starten jeden Moment.«

Ja, dachte Derek und atmete aus. Ge-schafft. Er ließ den Kopf nach hinten sinken,bis der Helm die Rohrleitung berührte undein sanftes Summen zu hören war, verur-sacht zweifellos durch was auch immer sichin der Leitung abspielte. Es klang beinahe,als sängen irgendwo ganz weit weg die En-gel.

Im nächsten Augenblick hörte er das Si-gnal, das eine Direktverbindung ankündigte,und gleich darauf wieder die Stimme Ber-sinks, so nah und plastisch, als stünde der

Leutnant direkt hinter ihm.»Sergeant Derek Pander, ich glaube, wir

müssen miteinander reden.«

15.

»Schalt nicht ab! Das ist eine Direktver-bindung; niemand hört uns zu. Du brauchstauch nicht zu antworten. Hör mir einfachnur zu.«

Dereks Hand lag am Ausschalter, aber ir-gendetwas ließ ihn zögern. Was war schondabei, wenn er dem Leutnant zuhörte? Erbrauchte ihm ja nicht zu gehorchen. Er wür-de sowieso niemandem mehr gehorchen, nurnoch der Stimme seines Herzens.

»Weißt du«, fuhr Bersink fort, so gelas-sen, als hätten sie alle Zeit der Welt, »ichbin bloß einer von diesen sprichwörtlichenalten Haudegen. Auf der Akademie war ichnie besonders gut; ich hatte immer das Ge-fühl, daß sogar die Hypnokurse an meinemHirn abtröpfeln. Sei's drum. Es kann schließ-lich nicht jeder die große Karriere machen,und mein Job gefällt mir, also was soll's?Doch, wirklich. Mir gefällt es, mit Men-schen zu tun zu haben. Und mit dem, wassonst so kreucht und fleucht in unserer schö-nen Flotte. Ich könnte dir da Geschichten er-zählen … Einmal hatte ich einen Unither un-ter mir – du weißt schon, die Typen mit denRüsseln. Stammte aus einer berühmten, alt-ehrwürdigen Unitherfamilie, terranischeBürger seit den Zeiten der Linguiden, und… Na ja, aber das muß ich dir ein andermalerzählen; dafür ist gerade wirklich keineZeit. Jedenfalls, worauf ich hinaus will :Man gewinnt Menschenkenntnis in meinemJob. Wenn ich auch sonst nichts gelernt ha-be, den Umgang mit Menschen habe ich ge-lernt. Ich würde so weit gehen zu behaupten,daß ich eine Nase dafür entwickelt habe,was mit den Leuten um mich herum los ist.«

Ein unwilliger Seufz laut. »Und diese Na-se sagt mir, daß du gerade dabei bist, einegroße Dummheit zu begehen.«

Derek konnte einfach ausschalten. Nochzwei Minuten und sechsunddreißig Sekun-

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den; was sollte das? Würde Bersink ihm alsNächstes mit einer Anklage wegen Deserti-on drohen, ihm die Strafen dafür vorlesen?Drauf geschissen.

In zwölf Tagen verging das Sonnensy-stem in einer Nova-Explosion, mitsamt allenMilitärgerichten, und dann würde es nurwichtig sein, daß er mit seiner Familie zu-sammen war.

»Weißt du, es war kein Zufall, daß du denganzen Einsatz über immer in meiner Nähewarst. Oder ich in deiner. Ich hatte das Ge-fühl, ich passe besser ein bißchen auf dichauf. Nach unserem Gespräch auf der Ferrol-basis habe ich mir deine Akte noch mal an-geschaut. Die Aufnahme, wo du erzählst,wie du an Bord geraten bist, und von deinerFrau und deinen Kindern. Die hast du sonstnie erwähnt, aber ich habe das Gefühl, duvermißt sie derart, daß du wahnsinnig wer-den könntest. Soll ich dir sagen, was ichglaube? Ich glaube, du sitzt gerade in einemsicheren Versteck und wartest einfach ab. Soein Hangar sieht auf den ersten Blick großund leer aus, aber wir wissen beide, was esda an Einbauten, Zugängen, Zuleitungenund so weiter gibt. Und du bist Servicetech-niker von Beruf, du kennst das alles nochviel besser. Du denkst, laß sie starten, da-nach schlage ich mich zur Erde durch. Undbin heute abend zu Hause bei meiner Fami-lie.«

Derek hielt den Blick starr auf die Uhr ge-richtet. Noch eine Minute und fünfzig Se-kunden. Bestürzend, wie ihn der Leutnantdurchschaute. Dabei hatte er immer so ge-wirkt, als habe er nur seine Befehle undVorschriften im Kopf und mache sich nichtfür einen halben Galax Gedanken um irgen-detwas, das in anderen Leuten vorging.

Na ja. Das war jetzt auch egal.»Du denkst sicher, alles kein Problem,

schließlich warst du mal Lunarinspektor undkennst dich aus. Brauchst nur nachher hintendurch die Hangar-Mannschleuse zu gehenund dich unauffällig unter die Lunies zu mi-schen.«

Genau. Ganz genau so würde er es ma-

chen.»Aber da denkst du ein bißchen kurz«,

fuhr Bersink fort. »Glaubst du im Ernst, dieLeute, die Gon-O dazu gebracht hat, auf unszu schießen, lassen es damit gut sein? UnterGarantie sind die schon dabei, den Kraterund seine diversen Hangars, Fabrikations-endpunkte und Wartungseinheiten von untenher zu stürmen. Kann sich nur noch um Mi-nuten handeln. Abgeriegelt ist das Gebietmit absoluter Sicherheit längst. Ganzschlechte Karten, um als harmloser Passantdurchzugehen, würde ich sagen.«

Noch eine Minute und vierzehn Sekun-den. Derek verzog das Gesicht. Gut mög-lich, daß der Leutnant Recht hatte. Aber an-dererseits, was sollte ihm schon groß passie-ren? Im schlimmsten Fall würden ihn dieJünger Gon-Orbhons schnappen und ein biß-chen verhören; na und?

»Vielleicht sagst du dir, sollen sie. Aberdie werden dich zur Erde bringen, Derek,und nicht nach Terrania, sondern nach Nea-pel, direkt zu Gon-Orbhon ins Stock-Relais.Und der wird dir alles, was du weißt, ausdem Hirn saugen.«

»Na und?«, murmelte Derek. Der Knopfvorn an seinem Helm blinkte immer nochhellblau, und solange er ihn nicht drückte,um die Direktverbindung zu bestätigen,konnte Bersink ihn nicht hören.

»Leider bist du als Mitglied der Heimat-flotte inzwischen Geheimnisträger. Und dasist ernster, als du denkst. Der Kommandanthat mir gesagt, im vertraulichen Teil seinesEinsatzbefehls stand, daß wir unter allenUmständen vermeiden sollen, Gefangene indie Hände der Gegenseite fallen zu lassen.Was denkst du, was das heißt? Ich denke, esheißt, daß das hier nicht bloß ein Ablen-kungsmanöver gewesen ist. Zum Beispielhast du gesehen, was wir für Waren an Bordgenommen haben. Ich fürchte, das sind In-formationen, die Gon-0 niemals bekommendarf, wenn wir noch eine Chance haben sol-len! Und diese Entscheidung liegt jetzt indeiner Hand, Derek Pander, ob dir das ge-fällt oder nicht. Du entscheidest zwischen

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dem sicheren Untergang und einer letztenChance.«

Das war doch Gerede. Nichts als Gerede.Irgend so eine Psychostrategie, ausgetüfteltvon Militärpsychologen, um Deserteure zurUmkehr zu bewegen. Am Ende hatte Ber-sink gerade irgendwelche Handbuchtextevor sich auf dem Monitor, die er einfachbloß ablas!

Er würde nicht zurückgehen, unter keinenUmständen. Lisha!, dachte er. Ich komme!Ganz bestimmt komme ich; ich versprechees!

Außerdem war es ohnehin schon zu spät.Noch dreizehn Sekunden bis zum Start, dasreichte sowieso nicht mehr, um zurück zumSchiff zu gelangen.

Bersink räusperte sich. »Nach unseremEinsatzplan wäre jetzt die Zeit zu starten,aber wir haben noch einen Puffer von zweiMinuten, sagt mir der Kommandant gerade.Zwei Minuten, dann müssen wir los, unwi-derruflich. Zwei Minuten, in denen du dichentscheiden mußt, Derek. Und du kannstdem nicht ausweichen. Selbst wenn du sit-zen bleibst, triffst du eine Entscheidung.«

Derek merkte, wie heftig sein Brustkorbauf einmal ging. Das war unfair! Das war …

Es kam doch auf ihn überhaupt nicht an.Wer war er denn schon? Und wozu erzählteihm Bersink das alles? Was hatte er groß ge-sehen? Aggregate, aufgeblasene Energie-konverter, weiter nichts. Was sollte es Gon-0 nutzen, das zu wissen?

Und was war das in seinem Gesicht? Trä-nen?

»Versau es jetzt nicht, Derek. Weißt du,man glaubt immer, daß es nur auf die daoben ankommt, auf die Aktivatorträger, dieSuperintelligenzen, die Kosmokraten und soweiter – aber das stimmt nicht. Es kommtauf jeden an, Derek, auf jeden Einzelnen. Indiesem Augenblick ist es scheißegal, wasPerry Rhodan denkt oder entscheidet oderES oder irgendein Kosmokrat. In diesemAugenblick kommt es einzig und allein dar-auf an, was Derek Pander entscheidet.«

Nein. Das war gelogen. Er war unwichtig.

War es immer gewesen, also warum jetztnicht auch?

»Weißt du, Derek, ich kann nachvollzie-hen, daß du nach Hause willst. Aber wenn esnur ist, weil du denkst, daß alles keinenZweck mehr hat, verrätst du nicht nur unsalle, du verrätst auch dich selbst. Weil dudich aufgibst. Und indem du dich aufgibst,verrätst du, was es heißt, ein Terraner zusein.«

Ein Moment Stille, dann seufzte Bersinkabgrundtief. »Scheiße, ich wollte doch nichtpathetisch werden. Genug geredet. Ich glau-be, ich geh jetzt einfach mal vor an die letzteoffene Rampe und halte nach dir Ausschau.Niemand wird dir einen Vorwurf machen,Sergeant, ich verspreche es dir. Du hast dichverfranzt beim Fliegen, okay? Schließlichbist du nicht so geübt mit dem Ding, das ha-ben, wir auf Tholus ja gesehen. Da kann dasschon mal vorkommen.«

Derek sprang auf. Er hieb auf den blin-kenden Knopf, rief: »Wartet auf mich! Ichkomme!« und zwängte sich hastig durch dieLeitungen, Geräte und Reservoire.

Kaum war er stolpernd wieder draußen,packte er den Griff der Anzugsteuerung undflog los, so schnell es ging, schoß hinauf anden Sternenhimmel, an dem die riesigen,grauschwarzen Stahlkugeln hingen, auf dieeine zuhaltend, an deren unterem Pol nochein schmales Hangarschott offen stand undgelblich leuchtete in der Nacht.

Bersink, Abe und Ross nahmen ihn mitfinsteren Blicken in Empfang. Seine Füßehatten kaum den Boden berührt, da knalltedas Schott hinter ihm zu, und die Triebwer-ke heulten im Alarmstart auf.

»Wo warst du denn, Mann?«, fauchteAbe, sobald sie durch die Schleuse waren.

»Ich hab mich verfranzt beim Fliegen«,sagte Derek beklommen, als er den Helmabnahm. »Die Aufregung. Und ich bin nichtso geübt mit der Anzugsteuerung.«

Bersink nickte mit ausdruckslosem Ge-sicht. »Das kann schon mal vorkommen.« Ersah ihn ernst an, und für einen Moment hatteDerek das Gefühl, als sähe ihm der Leutnant

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durch die Augen bis auf den Grund seinerSeele. »Ich bin jedenfalls froh, daß du esnoch geschafft hast«, setzte er hinzu, dannwandte er sich ohne ein weiteres Wort abund ging.

Abe und Ross musterten Derek zweifelnd.»Verfranzt beim Fliegen? Wieso bist dunicht einfach geblieben, wo du warst, ver-dammt noch mal?«

Derek blinzelte nur, einen gewaltigenKloß im Hals. »Ich weiß auch nicht«, mur-melte er hilflos.

Die Ereignisse enthoben ihn der Notwen-digkeit, sich weiter zu verteidigen. EinSchlag ging durch das Schiff, so hart wienoch keiner je zuvor, und im nächsten Au-genblick heulte der Alarm los.

Die JACQUES CARTIER stand untermassivem Beschuß! .

*

Schreie, das Rennen von tausend Stiefelnund immer wieder diese erbarmungslosenSchläge, die einem den Boden unter den Fü-ßen wegzureißen drohten. Die Zelle bebte,und man wußte nicht, wovon, ob von denauf Überlast tosenden Triebwerken oder vonden Einschlägen der Transformbomben indie Schirme. Einen schrecklichen Augen-blick lang erlosch die gesamte Beleuchtung,war es stockdunkel in den Hangars, und vonirgendwoher gellte ein ohrenbetäubenderLaut, der das Stöhnen eines verwundetenGottes sein mochte oder das Bersten vonMetall.

Dann war es auf einmal vorbei. Das Lichtwar wieder da, der Alarm ging, und jemandratterte schier unverständliche Schadensmel-dungen und Befehle an die Technik über dieLautsprecheranlage. Endlich verstummte derakustische Alarm, nur die Lichtsignale blie-ben, und man hörte: »Wir haben Rückzugs-befehl! Rhodan hat Rückzugsbefehl erteilt!Die Flotte verläßt das Solsystem!«

Dann wurden die Schadensmeldungenund Abweisungen wiederholt, alles rannte,schrie nach den Robots, riß Werkzeuge aus

Halterungen. Derek machte, daß er aus demAnzug kam, und rannte hinterher.

»Hast du gehört? Die DESCHNJEW hat'serwischt«, meinte ein vierschrötiger Techni-ker von einer der anderen Gruppen. Derekkannte ihn nicht, der Mann hatte ihn aufdem Gang abgefangen, weil er einen vonschmierigem Löschmittel bedeckten, ausge-brannten Energieverteiler nicht alleine los-geschraubt bekam.

Derek erschrak so sehr, daß er den Kom-bischrauber fallen ließ. »Was?«

»Die Mondforts. Haben sie ins Kreuzfeu-er genommen. Paß auf, die Schelle da unten,daß die nicht bricht! Ich halt das hier so lan-ge …«

Derek löste die entsprechenden Schrau-ben, dann konnten sie den Verteiler gemein-sam aus der Halterung wuchten. »Was heißterwischt?«

»Volltreffer. Totalverlust.« Der anderehob sein Sprechgerät an die Lippen.»Verdammt, wo bleiben die Blechmännermit dem Ersatzteil? Und wieso haben wirhier eigentlich immer noch volle Schwer-kraft?« Er schüttelte den Kopf, während eres wieder wegsteckte. »Eine Katastrophe,wie das alles läuft.«

Derek hatte das Gefühl, zu erstarren. Warer schuld am Untergang der SEMJON DE-SCHNJEW? Weil er den Abflug um zweiMinuten oder noch mehr verzögert hatte?

Er begriff mit einem jähen Gefühl desEntsetzens, daß er das niemals erfahren wür-de. Daß ihn diese Frage verfolgen würde bisan sein Lebensende.

16.

Das war es also gewesen. Ein Kampf aufLeben und Tod, völlig vergebens.

Sie saßen in der Messe des Technikberei-ches, man hörte die Linearkonverter singen,und auf dem Bildschirm zählte eine Uhr dieZeit rückwärts bis zum Erreichen des Wega-systems. Derek Pander verfolgte mit stump-fem Blick die Mitteilungen des Bordinfor-mationsdienstes, die Verlustzahlen, die stati-

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stischen Auswertungen. Unglaubliche 76ENTDECKER hatten sie verloren, dazu 127LFT-BOXEN, bei den Verlusten unter denKreuzern stand nur lapidar »über 1000" –und wofür?

Die Zahlen bestätigten, was er die ganzeZeit geahnt hatte: Die gesamte Operationwar ein glatter Fehlschlag gewesen. Es warihnen nicht gelungen, auch nur einen einzi-gen der Kybb-Titanen, die die Sonne auf-heizten, bei seiner Tätigkeit zu stören. Nichteinmal eine einzige Sekunde lang.

»Verdammt«, sagte Ross Necker immerwieder. »Null Sekunden? Das ist nicht fair.Das ist verdammt noch mal nicht fair.«

»Der Plan war falsch«, meinte Abe Mu-raida. »An Rhodans Stelle hätte ich die Flot-te in unmittelbarer Sonnennähe aus demHyperraum gehen lassen und dann alle Kräf-te auf einen einzigen Titanen konzentriert.Volles Überraschungsmoment. Wenn wireinen der Sonnen-Titanen ausgeknipst hät-ten, das hätte vielleicht schon gereicht …«

Eine stämmige Frau mit dem Abzeichender Bodentruppen am Revers sah ihn zwei-felnd von der Seite an. »In Sonnennähe ausdem Hyperraum? Mit einer ganzen Flotte?Willst du Gon-0 die Arbeit erleichtern oderwas?«

»Außerdem hat Gon-0 immer noch zweiTitanen in Reserve, du großer Stratege«,spottete ein anderer, ein Hüne mit einemausladenden Schnurrbart und enormen Mus-keln.

»He, he«, verteidigte sich Abe aufge-bracht. »Kannst du mir mal sagen, wiesokeines von den Schiffen mit Dissonanzge-schützen etwas gegen die Titanen über Solausgerichtet hat? Alle waren sie nur damitbeschäftigt, Katz und Maus mit zwei Tita-nen zu spielen. Also ehrlich, ich an RhodansStelle hätte wirklich …«

Leutnant Bersink hatte unbemerkt denRaum betreten. Nun legte er Abe besänfti-gend die Hand auf die Schulter und brachteihn damit zum Schweigen.

»Sei froh, daß du nicht an Rhodans Stellebist, Abe. Sonst müßtest du nämlich jetzt ei-

ne Rede an die Flotte halten und die ganzeScheiße erklären.« Er nickte in RichtungBildschirm. »Fängt jeden Moment an. Ichschätze, sobald wir aus dem Linearraumdraußen sind.«

*

Die Uhr zählte auf null. Draußen auf denGängen hörte man den sanften Ton, der dasEnde der Linearetappe anzeigte, und demOhr eines Technikers entging natürlich auchdie Veränderung im Geräusch des Antriebsnicht. Auf dem Bildschirm erschienen Ster-ne. Im nächsten Moment schaltete er in Ho-lodarstellung um, und Rhodans Gesicht er-schien.

Der Unsterbliche blickte ernst drein, aberkeineswegs niedergeschlagen. Etwas blaßwar er, blasser, als man ihn kannte. Wie je-mand, der dringend wieder einmal ausschla-fen und dann einen langen, einsamen Spa-ziergang unternehmen sollte.

»Ich will es kurz machen«, begann er,»denn ich weiß, daß viele jetzt denken, wirhätten im Sonnensystem nichts erreicht.Laßt mich euch also versichern: Dem istnicht so.«

Ringsum reckten sich Köpfe, bekamenAugen hoffnungsvollen Glanz. Derek spürtezu seiner eigenen Überraschung, wie etwasin ihm nach Worten hungerte, die hoffen lie-ßen.

»Wir haben hohe Verluste erlitten,schreckliche Verluste. Da gibt es nichts zubeschönigen. Und ja, es ist uns nicht gelun-gen, die Kybb-Titanen davon abzubringen,die Sonne aufzuheizen.« Rhodan hob dieAugenbrauen. »Allerdings war uns bei derPlanung der Operation Kristallsturm II klar,daß wir damit auch nicht ernsthaft rechnendurften. Ich würde jetzt gern mehr verraten,doch ihr wißt alle zur Genüge, warum dasnicht geht. Deshalb nur so viel: Die heutigeOperation hatte in Wirklichkeit ein anderesZiel. Und ich bin glücklich, euch zumindestsagen zu können, daß wir dieses Ziel in vol-lem Umfang erreicht haben. Ich wiederhole:

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in vollem Umfang.«Für einen winzigen Moment lang huschte

so etwas wie ein Lächeln über das GesichtRhodans. Für einen sehr winzigen Moment.

»Wir werden natürlich ins Solsystem zu-rückkehren, und das schon sehr bald. Dochwenn wir das nächste Mal aufbrechen, wer-den wir es aus einer unvergleichlich besse-ren Position heraus tun können, als wir esheute konnten. Und das verdanken wir demheutigen Einsatz.« Er nickte abschließend.»Ich wollte, daß ihr das wißt. Danke für eureAufmerksamkeit.« Das Bild erlosch.

Im nächsten Augenblick war die Messeerfüllt vom Gewirr diskutierender Stimmen.

»Meinst du, das stimmt?«, wandte sichRoss an Abe. »Oder hat Rhodan das nur sogesagt? Damit wir aufhören, mit Gesichternbis zum Fußboden herumzulaufen?«

Abe Muraida, Sergeant der Wartungs-mannschaft der JACQUES CARTIER, ge-boren in New Sydney auf Terra, rieb sichnachdenklich die ausgeprägte Hakennase.»Nein«, verkündete er schließlich. »Ichglaube ihm. Wenn er das sagt, dann ist dasso.«

Glaube ich ihm?, fragte sich Derek Pan-der. Ja. Allmählich glaubte er sogar, dasRichtige getan zu haben, als er zurück anBord gekommen war.

Aber daß alles letztlich gut ausgehen under Lisha und die Kinder gesund wiedersehenwürde, das konnte er noch nicht glauben.

Das konnte er bloß hoffen …

17.

»Eine reichlich rätselhafte Ansprache,wenn du mir die Bemerkung gestattest, Re-sident«, sagte Oberst Vaccon, als er amKonferenztisch Platz genommen hatte. Wieimmer saß sein Zwillingsbruder Siamoghneben ihm, in einer Uniform ohne jedesRangabzeichen, den Blick verträumt in un-nennbare Fernen gerichtet. »Ich möchtenicht wissen, was jetzt an Rätselraten auf al-len Mannschaftsdecks stattfindet.«

Rhodan lächelte mühsam. »Das werden

wir ohnehin nie erfahren, glaub mir.«»Ja, ich brauche nur an meine eigene Ka-

dettenzeit zurückzudenken.« Der Komman-dant PRAETORIAS nickte nachdenklich.»Vermutlich hat sich da nicht viel geän-dert.«

»Vermutlich nicht«, gab ihm Julian Tif-flor Recht, der vor unausdenklich langerZeit bereits als Kadett in seinen ersten Ein-satz für Terra geschickt worden war.

Monkey tauchte in der Tür des Konfe-renzraumes auf, einen Adjutanten nebensich, dem er bis kurz vor der Schwelle An-weisungen gab. »… und den Bericht erstat-ten Sie mir persönlich, klar?«

»Jawohl, Sir«, gab der Mann zurück, derebenso kahlköpfig war wie der USO-Chef,aber deutlich schlanker. Dann salutierte erzackig und machte sich wieder auf denRückweg, während der Oxtorner den Konfe-renzraum betrat und sich mit einem knappenGruß an die anderen an seinen Platz setzte.Damit waren sie vollzählig. Rhodan bedeu-tete den Wachrobotern, die Türen zu schlie-ßen und den Raum zu sichern.

»Nach wie vor«, begann er ohne Um-schweife, »müssen wir uns der Gefahr be-wußt sein, daß Gon-0 eventuell mithört;auch für diesen Kreis ist das nicht mit letzt-endlicher Sicherheit auszuschließen. Trotz-dem ist es natürlich unumgänglich, daß derFührungskreis weiß, was tatsächlich gespieltwird. Es ist ein Risiko, das wir eingehenmüssen.«

Er sah in die Runde und in ernst nickendeGesichter.

»Das eigentliche Ziel der Operation Kri-stallsturm II«, fuhr er fort, »waren nicht dieum Sol stationierten Kybb-Titanen. Bei un-seren Angriffsversuchen dort handelte essich, genau wie bei allen übrigen Kämpfen,nur um Ablenkungsmanöver. Das eigentli-che Ziel der Operation war die Bergung vonrund sechstausend Lastcontainern und vor-montierten Baugruppen aus dem Zwiebus-Kra-ter auf der Rückseite des Erdmondes.«

Rhodan sah, wie der Leiter des Flottenbe-reichs Nachschub, Ausrüstung und Repara-

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tur, Oberst Hillard Lombardi, die Augenaufriß. Der Oberkommandierende allerPONTON-Tender hatte sich vermutlichschon die ganze Zeit gefragt, was zum Teu-fel er in dieser Sitzung des Führungsstabesverloren hatte. Nun begann er es zu ahnen.

Auch in den Gesichter der anderen, so-weit sie nicht eingeweiht gewesen waren,zeichnete sich Überraschung ab – und Ver-ärgerung. Immerhin gehörten sie alle zurkämpfenden Flotte; es mißfiel ihnen instink-tiv, nur eine Nebenrolle gespielt zu haben.

»Daß Luna im Lauf der Zeit weitgehendausgehöhlt und quasi bis auf den letzten Ku-bikmeter mit Produktionstechnik voll ge-stopft wurde, weiß jedes Kind«, fuhr Rho-dan fort. »Doch was das für die Komplexitätder Abläufe dort bedeutet, begreifen die we-nigsten Menschen, und extraterrestrische In-vasoren in der Regel erst recht nicht. Tatsa-che ist, daß niemand alle Wege auf Lunakennt, niemand je alle Räume betreten hat,niemand alle Fertigungsprozesse auch nurannähernd durchschaut – niemand außerNATHAN. Nachdem wir über ein Re-laisnetz Kontakt zur lunaren Großpositronikbekommen hatten, konnten wir dank dieserTatsache und der Mithilfe eines Technikersnamens Jack Reuter die heimliche Produkti-on von Bauteilen anstoßen, die wir dringendbenötigen und die, wie wir wissen, nirgend-wo anders im erreichbaren Teil der Galaxishergestellt werden konnten – Dissonanzge-schütze.«

Ungläubiges, kollektives Einatmen.»Unter den Augen des Feindes!«, entfuhr

es Major Cele Ingunna, der Kommandantindes Zweiten Geschwaders.

»Wie viele?«, wollte Oberst Vaccon wis-sen.

Rhodan nahm ein Blatt mit Zahlen zurHand. »Wir haben den Verlust der SEMJONDESCHNJEW zu beklagen; ihre Ladung istnatürlich verloren. Außerdem mußten ausverschiedenen Gründen 86 Container zu-rückgelassen werden, weitere 17 sind durchFehler in den Beladungseinrichtungen zer-stört worden oder nicht bis an Bord gelangt.

Trotzdem müßten die geborgenen Beständeausreichen, um insgesamt 1220 Dissonanz-kanonen zu montieren.«

Der Erste Offizier der PRAETORIA,Oberstleutnant Forrest Pasteur, stieß einenunterdrückten Jubelschrei aus. »Eintausend…?«

Die Augen der anderen leuchteten.»Mit der Endmontage der geborgenen

Baugruppen und ihrem Einbau in PRAETO-RIA-Einheiten und ENTDECKER wird so-fort begonnen«, fügte Monkey hinzu.

Oberst Vaccon nickte sichtlich zufrieden.»Dann hat es sich doch gelohnt«, sagte er.Sein stummer Zwillingsbruder hatte denkahlen Kopf in den Nacken gelegt, starrte andie Decke und grinste übers ganze Gesicht.

Rhodan fühlte sich auf einmal müde, un-sagbar müde. Und er spürte den Zellaktiva-tor in seiner Schulter pochen, also war es ei-ne wirklich körperliche Erschöpfung.

»Ja«, sagte er leise. »So muß man daswahrscheinlich sehen.«

*

Leutnant Bersink war so unauffällig wie-der aus der Messe verschwunden, wie er ge-kommen war. Er schien unsichtbar gewor-den zu sein, als Derek nach ihm suchte. Erstim Flur zu den Quartieren der Offiziere er-wischte er ihn, wie er sich gerade in seineKabine zurückziehen wollte.

»Leutnant Bersink!«Bersink verharrte vor der Tür, seine Hand

schwebte über dem Schloß. »Ja?« Es klangabweisend. Es klang wie: Was störst dumich?«

»Ich wollte nur … ich …« Derek Panderhatte ihm so viel sagen wollen, hatte sich dieSätze in Gedanken zurechtgelegt gehabt,aber aus irgendeinem Grund wollte ihm jetztkein einziger davon einfallen. Also sagte ernur: »Danke.«

Der Leutnant rührte sich nicht, sah ihn nuran. Er schien gedankenverloren an seinerUnterlippe zu kauen, soweit man das in demschummrigen Licht sehen konnte.

46 Andreas Eschbach

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»Schon gut«, sagte er schließlich und legtedie Handfläche auf das Kontaktschloß. DieTür ging leise auf, Bersink ging ohne einweiteres Wort hinein und zog sie hinter sichzu.

Derek blieb eine Weile ratlos stehen, dannmachte er sich auf den Rückweg. Unterwegsfiel ihm alles wieder ein, was er dem Leut-nant hatte sagen wollen. Er hatte ihm sagenwollen, daß es seine Worte gewesen waren,die ihn davor bewahrt hatten, sich selbst auf-zugeben. Nicht nur das, seit dem Vorfall aufLuna sah er seine eigene Position im Gewe-be der Dinge in einem ganz neuen Licht; eswar ihm fast, als habe er diesen Ausbruchs-versuch machen und als habe er damit schei-tern müssen, um sich mit seinem Schicksalauszusöhnen.

Vielleicht würde er seine Frau wiederse-hen, vielleicht auch nicht, aber das entwerte-te schließlich nicht die vielen guten Jahre,die sie gemeinsam gehabt hatten. Und es be-deutete nicht, daß er versagt hatte als Ehe-mann und Familienvater. Es war unnötig,verzweifelte Dinge zu tun; ja, es war sogarvöllig unnötig, selbst verzweifelt zu sein.Das war es, was er erkannt hatte, und dafürhatte er Bersink danken wollen.

Später erzählte ihm jemand, daß BereBersinks Bruder Waffenleitoffizier auf derSEMJON DESCHNJEW gewesen war.

*

Als Rhodan später endlich die Tür seinerKabine hinter sich schließen konnte, öffneteer den Verschluß seiner Kombination, streif-te die Jacke ab und ließ sie auf einen der bei-den Sessel fallen.

Der Bildschirm des Interkoms warschwarz. Heute blinkte kein Schachsymbol.Es würde nie wieder eines blinken, zumin-

dest nicht, was das Spiel mit OberleutnantOlbanez betraf. Olbanez war an Bord derWILLIAM BAFFIN gewesen, die in der er-sten Angriffswelle des Titanen untergegan-gen war.

Rhodan trat an das Holofenster, sah hin-aus auf die Sterne und dachte an die vielenMenschen, die er heute in den Tod geschickthatte. So viele. Vermutlich waren sie untenauf Ferrol schon dabei, weitere Namensli-sten auszuhängen, und ohne Zweifel würdensie eine weitere Wand damit bedecken kön-nen.

Und doch war es notwendig gewesen. DieMenschen wußten das. Er hatte das allge-genwärtige Entsetzen gespürt und die Trau-er, hatte gemerkt, wie die Leute gegen dieVerzweiflung ankämpften – aber er hattekeinen Vorwurf gespürt. Weil sie ihm ver-trauten.

Sein Blick verfing sich an einem kleinenStern, irgendeinem, und er dachte zurück andas unfaßbar lange Leben, das hinter ihmlag. So oft waren Menschen auf sein Worthin in einen Kampf gezogen und gestorben.Unsagbar viele. Mehr, als man sich vorstel-len konnte. Mehr, als er sich vorstellen woll-te.

»Laß mich niemals glauben, ich sei Herrüber Leben und Tod«, sagte er leise, an nie-mand Bestimmten gerichtet. Er sah hinabauf das Brett, auf dem es immer nochschlecht stand für die weiße Dame. »laßmich niemals denken, das Leben sei einSchachspiel und die Menschen, die mir ver-trauen, nur Figuren darin.«

Damit bückte er sich hinab und räumtedas Schachbrett mit einer einzigen Bewe-gung ab.

E N D E

Der gewagte Einsatz der Terraner im heimatlichen Solsystem kann – trotz aller Verluste –als ein Erfolg gewertet werden. Doch bis zur endgültigen Befreiung der Menschheitsplanetenwird noch einige Zeit vergehen …

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Mit dem PERRY RHODAN-Roman der folgenden Woche blendet die Handlung wieder umin die Magellanschen Wolken. Dort beginnt eine höchst merkwürdige Einsatzgruppe mit ei-nem extrem gefährlichen Einsatz.

Der PERRY RHODAN-Roman der nächsten Woche wurde von Leo Lukas geschrieben underscheint unter folgendem Titel:

IN DER HÖLLE VON WHOCAIN

PERRY RHODAN – Erbe des Universums – erscheint wöchentlich in der Pabel-Moewig Verlag KG, 76437 Rastatt. Internet:www.vpm-online.de. Chefredaktion: Klaus N. Frick, Postfach 2352, 76413 Rastatt. Titelillustration: Alfred Kelsner. Innenillustration:Michael Wittmann. Druck: VPM Druck KG, 76437 Rastatt, www.vpm-druck.de. Vertrieb: VU Verlagsunion KG, 65396 Walluf, Post-fach 5707, 65047 Wiesbaden, Tel.: 06123/620-0. Marketing: Klaus Bollhöfener. Anzeigenleitung: Pabel-Moewig Verlag KG, 76437Rastatt. Anzeigenleiter und verantwortlich: Rainer Groß. Zurzeit gilt Anzeigenpreisliste Nr 29. Unsere Romanserien dürfen in Leih-büchereien nicht verliehen und nicht zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden; der Wiederverkauf ist verboten. Allein-vertrieb und Auslieferung in Österreich: Pressegroßvertrieb Salzburg Gesellschaft m.b.H., Niederalm 300, A-5081 Anif. Nach-druck, auch auszugsweise, sowie gewerbsmäßige Weiterverbreitung in Lesezirkeln nur mit vorheriger Zustimmung des Verlages.Für unverlangte Manuskriptsendungen wird keine Gewähr übernommen.

Printed in Germany. Juli 2005Internet: http://www.Perry-Rhodan.net und E-Mail: [email protected]

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NOCHMALS: NOCTURNEN … (II)

Wir wissen weder, wie die seinerzeitige Metamor-phose der Vojariden zu Nocturnen nun genau vonstat-ten ging, noch besteht derzeit die Möglichkeit, die zuihrem Lebenszyklus gehörende Materialisation vonHyperenergie künstlich nachzubilden. Darüber hinausstellen sich beim Blick auf die Details weitere Fragen.Abgesehen von der nicht näher erklärten Rolle der beider Metamorphose beteiligten psionisch geladenenBotenstoffe des Moralischen Kodes verdient ein wei-terer Aspekt unsere Aufmerksamkeit, verbindet sichdamit doch jene »Achillesferse«, die dem Noctumen-stock Satrugar zum Verhängnis wurde: die Anfälligkeitgegen ultrahochfrequente Hyperstrahlung.

Immerhin wissen wir vom Eingreifen der Nocturnen-stöcke Antallin und Satrugar im Kampf von ES gegendie negative Superintelligenz STROWWAN von sie-ben Millionen Jahren und ihrem weiteren tragischenSchicksal: Satrugar verfiel trotz der Hilfe Gon-Orbhons in Wahnsinn, aus Antallins Psi-Komponenteentstand der Graue Autonom Ka Than.

Als Perry Rhodan 429 NGZ bei der Suche nachEDEN II erstmals auf die Nocturnen traf, stammtendie vorab erhaltenen Informationen aus über zwei Mil-lionen Jahre alten porleytischen Wissensspeichern,die von Lafsater-Koro-Soth und Qumran-Fayed-Poghzur Verfügung gestellt worden waren. Aus diesen Da-ten ging hervor, daß die von den Schwarm-Nocturnenebenfalls aufgenommene ultrahochfrequente Hyper-energie von ihnen nicht genutzt werden konnte, son-dern ausgeschieden wurde. Dieses Ausscheidungs-produkt war in den porleytischen Wissensspeichernmit dem Namen Paratau belegt. Dementsprechendhießen die Raumsektoren, in denen es sich anhäufle,Tauregionen. (PR-Roman 1259)

Nach der Begegnung mit dem Weisen von Fornaxergänzte dieser die Informationen: Das Hauptproblemvon uns Nocturnen ist der Paratau, in den die Schwär-me die für sie unverdauliche ultrahochfrequente Hy-perstrahlung verwandeln und abstoßen. Er bestehtaus halbstofflicher Psi-Materie in Form farbloser,leuchtender Tropfen, die sich entlang der Flugschnei-sen in den Tauregionen sammeln. Bei zu großer Kon-zentration wird eine kritische Grenze überschrittenund der Anstoß zu einer psionischen Kettenreaktiongegeben, die zu heftigen Psi-Stürmen führt. Dieschlimmsten Psi-Stürme dauern Tage und wüten imUmkreis von vielen Lichtjahren. Sie stürzen die in ih-rem Wirkungskreis befindlichen Stöcke in geistigeVerwirrung und können sie sogar für immer in den

Wahnsinn treiben. (PR 1259) Was der Weise vonFornax zunächst noch nicht mitteilte, war die Tatsa-che, daß die von dem Paratau ausgehende Gefahr indieser Form erst seit der Zeit der Erhöhung der Psi-Konstanten durch das Kosmonukleotid DORIFER vorrund 50.000 Jahren bestand (PR 1290) – und nachderen Absenkung auf den alten Wert nicht mehr ge-geben war.

Die pseudostabile materielle Form des Parataus –bei den Kartanin Tränen der N'jala genannt – hatteein Volumen von etwa einem Kubikzentimeter bei ei-ner Dichte, die der von Wasser unter Normalbedin-gungen entsprach. Die gespeicherte psionische Ener-gie verflüchtigte sich normalerweise allmählich, konn-te allerdings von latent oder aktiv paranormal Begab-ten zur Aktivierung und Verstärkung ihrer Parafähig-keiten verwendet werden. In größeren Mengen dichtgepackt gelagert, neigte Paratau schließlich zur spon-tanen Deflagration, bei der die gesamte Menge aufeinen Schlag »verdampfte« und die Psi-Energie kom-plett freigesetzt wurde. Dabei entstanden die erwähn-ten gefährlichen, mitunter sogar katastrophalen Ne-beneffekte.

Fellmer Lloyd verglich seinerzeit die Eigenschaftenvon »normaler« Psi-Materie und Paratau wie folgt: Esist wie der Unterschied zwischen Nitroglyzerin undDynamit. Nitro kann bei der geringsten Erschütterungoder Temperaturerhöhung in die Luft gehen – Dyna-mit glost nur müde vor sich hin, falls es dir überhauptgelingt, es anzuzünden. (PR 1259) Und das, obwohlauch »normale« Psi-Materie schon ein gewaltigesEnergiepotential birgt, wie die von Ribald Corello er-zeugten geringen Mengen von bis zu »zehn Gramm«bewiesen hatten (PR-Kommentar 2292).

Seit der Absenkung der Psi-Konstanten produzie-ren die Nocturnen in ihrer Schwarmphase zwar wei-terhin Paratau als »unverdauliches Ausscheidungs-produkt« der ultrahochfrequenten Hyperenergie, doches gibt deutlich weniger. Die bei Berührung einsetzen-de Verflüchtigung erfolgt zudem ohne jegliche»Nebenwirkung« – es gibt also weder eine Nutzungdurch Parabegabte noch eine spontane Deflagrationmit der Gefahr von Psi-Stürmen oder vergleichbarenkatastrophalen Kettenreaktionen.

Rainer Castor

Die Rückkehr 49

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GERHARD ROHLFSDer deutsche Abenteurer und Forscher Gerhard

Rohlfs (1831 bis 189G) war Namengeber für denENTDECKER-Raumer GERHARD ROHLFS.

Rohlfs erkundete die Wüsten Nordafrikas, sammel-te auf zahlreichen, teilweise dramatischen Reisendurch Afrika wertvolle geographische Informationenund war der erste Europäer, der Afrika vom Mittel-meer bis zum Golf von Guinea auf dem Landwegdurchquerte.

JACQUES CARTIERNamengeber für den ENTDECKER-Raumer JAC-

QUES CARTIER war der französische Forscher undSeefahrer gleichen Namens. Der 1491 geborene und1557 gestorbene Entdecker erforschte Neufundlandund gründete die erste französische Siedlung im heu-tigen Kanada.

KeleshDer zur Handlungszeit herrschende Thort der Fer-

ronen wurde am 24. September 1300 NGZ auf seinerHeimatwelt Ferrol im Wegasystem geboren. Als seinVater in den Wirren des Hyperimpedanz-Schocksums Leben kam, war der junge Sohn des Herrschersgezwungen, sein Leben »unter dem Volk« aufzuge-ben, um die Thronfolge im Roten Palast von Thortaanzutreten.

Er ist mit 1,89 Metern sehr groß. Unter Artgenossengilt Kelesh deshalb fast als »Monster«. Seine hagereErscheinung, sein oft fröhliches, aber zuweilen auchrätselhaft düsteres Wesen gelten als undurchschau-bar. Seine blaßblaue Haut und das dichte kupferfar-bene Haar machen ihn aber zu einem typischen Fer-ronen.

Es gibt dennoch Ferronen und Terraner, die dar-über spekulieren, er könnte ein Mischling sein, in dieBlutslinie der Thorts könnte sich womöglich terrani-sches Blut eingeschlichen haben. Aus diesem Grundwird er von manchen auch als »der Terraner« be-zeichnet.

LinearantriebDas Prinzip für diese überlichtschnelle Antriebsart,

die es in verschiedenen Bereichen des Universumsgibt, entdeckten die Terraner schon im Jahr 2044,doch erst im Jahr 2102 konnte diese Technik selbsteingesetzt werden. Beim Linearantrieb wird einRaumschiff in den so genannten Linearraum ge-bracht, eine Zwischenzone zwischen »unserem« Ein-steinraum sowie dem übergeordneten fünfdimensio-nalen Hyperraum.

Pasteur, ForrestDer Terraner bekleidet an Bord von PRAETORIA

das Amt des Stellvertretenden Kommandanten undstellt dabei das Verbindungsglied zu den geheimnis-vollen Kommandanten-Zwillingen dar. Der am 14. Au-gust 1281 NGZ geborene Terraner ist 1,87 Metergroß und wirkt sehr schlank und zugleich durchtrai-niert.

Lange Jahre diente er als Zweiter Offizier an Borddes ENTDECKER-Riesen JAMES COOK – bis ernach Rumal versetzt wurde. Hier bekam er seit Mitte1325 NGZ in erster Linie nicht nur die modernste Hy-pertechnik, sondern auch »alte« Technologie perHypnoschulung und in der Praxis eingebleut.

SEMJON DESCHNJEWDas ENTDECKER-Raumschiff SEMJON DE-

SCHNJEW ist nach dem Kosaken Semjon IwanowDeschnjew benannt. Dieser umsegelte im Jahr 1648alter Zeitrechnung mit 90 Mann in offenen Booten denOstteil Asiens, um die Wasserläufe Sibiriens nachNorden in die Arktis zu erkunden, und entdeckte da-bei die Bering- Straße.

WegaDie weiße Riesensonne befindet sich 27 Lichtjahre

von Sol entfernt und wird von 42 Planeten umkreist.Die wichtigste Welt ist die achte, Ferrol, die Hauptweltder Ferronen. Weitere wichtige Welten sind Nummerneun, Rofus, ebenfalls von Ferronen besiedelt, PlanetNummer 14, der Überriese Gol, sowie Hoodhire, derfünfzehnte Planet, auf dem entfernte Verwandte derMaahks siedeln. Auf der sechsten Welt, Pigell, exi-stierte früher eine Zeitstation der Meister der Insel.

Das Wega-System ist für den Handel hochinteres-sant; viele Handelsrouten führen nicht direkt ins Sol-system und nach Terra, sondern zuerst ins Wegasy-stem, so daß Rohstoffe und Waren zuerst hierher unddann weitertransportiert werden. Dieser Umstand be-ruht nicht nur darauf, daß die Ferronen der erste au-ßerirdische Handelspartner der Menschheit waren,sondern inzwischen auch darauf, daß der Mars als ei-gentlicher Handelsplanet im Solsystem nicht mehrexistiert.

WILLIAM BAFFINDas ENTDECKER-Raumschiff WILLIAM BAFFIN

ist nach dem englischen Forscher William Baffin be-nannt, der von 1584 bis 1622 alter Zeitrechnung lebte.Er drang im Jahr 1615 bis auf 1300 Kilometer an denNordpol vor und entdeckte 1616 die Baffin-Bai. Erst

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250 Jahre später näherte sich jemand dem Nordpolweiter.

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Intraterrestrische Sonde

Diese mannshohen Sonden dienen zur Erforschung vulkanischer Aktivitäten und können bis tief ins Erdinnereeingesetzt werden. Je nach Aufgabenbereich variiert die äußere Grundform, die auf eine Entwicklung des Geolo-gischen Instituts von Terrania zurückgeht.

Der Hyperimpedanz-Schock hat die staatliche Forschung in diesem Bereich vorerst lahm gelegt, da schlichtwichtigere Dinge der Erledigung harren. Zudem ist es auch bei diesen Sonden erforderlich, ursprünglich verwen-dete High-Tech-Bauteile zu ersetzen.

Terkonithülle und Prallschirm widerstehen Temperaturen von mehreren tausend Grad Celsius, was die Erfor-schung verflüssigter Tiefengesteine ermöglicht. Schon in der Vergangenheit wurde weitgehend auf den Einsatzhochgezüchteter Schutzschirme verzichtet, da deren Streustrahlung Meßergebnisse verfälschen konnte. Desinte-grator-Bohrköpfe und der Antrieb auf Gravopuls- oder auch auf Impuls-Basis erlauben eine aufwendige Fortbewe-gung durch Tiefenmaterie jeder Konsistenz. Die erzielbare Geschwindigkeit ist jedoch in jedem Fall sehr gering.

Sensorpacks und Steuerpositronik sind ringförmig im Sondenkopf um den Fusionsreaktor herum angeordnet.Die Systeme sind sehr kompakt und modular aufgebaut. Dies erleichtert den Austausch der Komponenten und ei-ne individuelle Konfiguration jeder Sonde.

Eine generelle Aussage über Reichweite und Einsatzdauer ist nur sehr bedingt möglich, da dafür in erster Liniedie jeweiligen Umgebungsparameter ausschlaggebend sind. Grundsätzlich sind diese Sonden jedoch für die Auf-nahme von Materieproben ausgestattet; Mikroroboter [siehe Bild) übernehmen diese Tätigkeit.

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Legende:01. Triebwerksdüse02. Kühlring03. Verdichterkammer04. Turbopumpe05. Magnetfelderzeuger06. Prallfeldaggregat in Kompaktbauweise07. Kühlring08. Energieerzeuger (Fusionsreaktor)09. Sensoren und Steuerpositronik10. Sensor-Ring für Funksteuerung und Datenübermittlung11. Rotierende Desintegratoren (fünf)12. Ultraschallsensor-Ring13. Kühllamellen zur Wärmeableitung (bauartbedingt)14. Je zwei Druckbehälter für Treibstoff und Kühlmittel15. Sensorplatten für Massetaster16. Sensorköpfe für Gravitationswellen17. Desintegrator-BohrkopfText und Zeichnung: © Lars Bublitz 2005

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