Anima Forma Corporis

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    sammenhngen und Naturgesetzen sucht. Er fragt nach dem ersten Grund,dem Prinzip der empirischen Wirklichkeit. Der erste Grund des Phnomensdes Lebens kann nun nicht in der Krperlichkeit selbst liegen, da sonst jederKrper Leben haben oder bewirken knnen msste4. Vielmehr hat die Leben-digkeit ein Prinzip sui generis, das selbst nicht krperlich sein kann. Diesschliet eine Prinzipienfunktion krperlicher Organe, wie etwa des Herzensoder auch des Gehirns, nicht aus, jedoch muss ein grundlegendes, erstes Prin-zip der Lebendigkeit auerhalb der krperlichen Dimension liegen. Plausibelwird dies auch an dem Beispiel des Leichnams, bei dem, obwohl alle Krper-teile noch vorhanden sind, die organische Ganzheit und Verbindung verlorengeht, eben weil das innere Lebenszentrum, die Seele, nicht mehr anwesendist.5

    2.2 Ontologische Erweiterung

    Im Hintergrund der naturphilosophischen Argumentation steht der Theorie-rahmen des Hylemorphismus, wonach alles krperlich Seiende durch die bei-den Seinsprinzipien von Form und Materie konstituiert ist. Die Materie ist da-

    bei wiederum nicht in unserer heutigen alltagssprachlichen Verwendung imSinne des dreidimensional Ausgedehnten und sinnlich Erfahrbaren zu verste-hen: Materie ist vielmehr, genauso wie Form, ein Aspekt, kein quantitativer,sondern ein qualitativer, ein wesenskonstituierender Teil an einer Substanz,einer konkret existierenden Seinseinheit, auf die ich als ein hoc aliquid, eindieses da, zeigen kann.

    Dabei stehen im Verstndnis des Thomas Form und Materie im Verhltnisvon Akt und Potenz zueinander. Das bedeutet: Die Form ist das Prinzip derBestimmung, welches einem nur in Mglichkeit Existierenden Aktualitt oderWirklichkeit verleiht. Entsprechend ist Materie das Prinzip der Bestimmbar-keit oder der Potentialitt. Die Materie stellt das Substrat oder Subjekt, alsodas Darunterliegende des Wandels von Potentialitt zu Aktualitt dar; sie ist

    somit die Voraussetzung dafr, dass es berhaupt Vernderung, Entstehen undVergehen gibt. Die gesamte Welt des Seienden kann nun durch das jeweils un-terschiedliche Mischungsverhltnis von Aktualitt und Potentialitt beschrie-ben werden: Die materia primaist reine Potentialitt und enthlt gar keine Be-stimmung, ist daher auch nicht sinnlich erfahrbar, sondern ein nur gedanklichvorstellbares Prinzip. Bei den Krperdingen steigt mit zunehmender Entwick-lungsstufe der Grad der Aktualitt an. Bei den geistigen Substanzen, denEngeln, ist keine Zusammensetzung aus Form und Materie mehr festzustellen.Sie sind reine Formen. Jedes Individuum in der Gattung der Engel ist daherseine eigene Art. Aber: Es findet sich in ihnen eine Zusammensetzung aus Akt

    4 Vgl. THOMAS VON AQUIN, SThI, q. 75, a. 1 corp.5 Vgl. DERS., ScGII, 65.

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    gegenstndlicher Hinsicht (ratione obiecti), insofern er die fr die Abstraktionder species intelligibiles ntigen Sinnesdaten liefert.7

    2.4 Einfachheit und Inkorruptibilitt der Seele

    Aus der Abstraktionsfhigkeit der anima intellectiva folgt ein Weiteres: Siemuss ontologisch einfach sein, d. h. sie darf nicht aus Form und Materie zu-sammengesetzt sein, so wie die von ihr abstrahierten und rezipierten speciesintelligibiles. Denn nur in dieser ontologischen Einfachheit als reine Form istes mglich, diese immateriellen und allgemeinen Formen berhaupt aufzu-nehmen und sie nicht aufgrund von materiellen und vereinzelnden Bedingun-gen wieder zu verfremden. Wre die intellektive Seele selbst aus Materie undForm zusammengesetzt, knnte sie auch nur solche Dinge erkennen, die eben-so composita aus diesen beiden Prinzipien darstellten.8

    Ein weiterer Schluss lsst sich wie die ontologische Einfachheit der animaintellectivaanalytisch ziehen, sofern man den hylemorphistischen Ansatz desThomas akzeptiert. Er fhrt zur Inkorruptibilitt, also zur Unvergnglichkeitder Seele. Denn: Das Sein kann nur dadurch von einem Seienden weggenom-

    men werden, indem die Form von ihm getrennt wird. Also kann man das Seinnicht von einem Seienden wegnehmen, wenn es selbst eine subsistierendeForm ist: Eine subsistierende Form kann nicht von sich selbst getrennt wer-den. Da die anima intellectiva ein eigenstndiges, vom Krper unabhngigesSein hat, wie in den vorigen Schritten gezeigt wurde, kann sie folglich ihr Seinnicht verlieren.

    Diese Unzerstrbarkeit der Seele bedeutet jedoch keine absolute Unabhn-gigkeit in ihrem Sein. Dies kommt nur Gott selbst zu. Deshalb ist auch zu un-terscheiden zwischen der incorruptibilitas, die eine Eigenschaft eines Dingesan sich ist, und der vertibilitas in nihilo. Letztere bedeutet die eine nur demSchpfer vorbehaltene Rckfhrung eines Dings ins Nichts.9Auf keinen Fallfhrt also ihre ontologische Einfachheit zu einer Grenzvermischung zwischen

    der menschlichen Seele und Gott. Die menschliche Seele als unterste derGeistwesen stellt sozusagen die Grenze (horizon) zwischen den Krper- undden Geistwesen dar.

    2.5 Einheit von Seele und Leib?

    Die entscheidende Frage zur Beurteilung der Tragfhigkeit der thomanischenTheorie von der Seele ist nun, ob es ihm gelungen ist, die unterschiedlichen

    7 Vgl. DERS., SThI, q. 75, a. 2.8 Vgl. ebd., a. 5.9 Vgl. ebd., a. 6 ad 2.

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    Ausgangspunkte zu einer organischen Einheit zusammenzufgen. Auf den ers-ten Blick scheinen beide Bereiche im Gegensatz zueinander zu stehen, da dieSeele einmal als eine unselbstndige Gre an einem konkreten lebendigenKrper und einmal als eine subsistierende und gegenber dem Krper unab-hngige Gre verstanden wird. Knnen eine inkorruptible und eine vergng-liche Gre berhaupt eine Einheit ausmachen? Und fhrt nicht die Annahmeeiner unvergnglichen Seele wieder zu einem Dualismus, den Thomas docheigentlich vermeiden will, sofern man nicht die Individualitt der Seele preis-geben will? Letzteres tut Thomas in der Auseinandersetzung mit dem Aver-roismus ganz offensichtlich nicht, sondern er bestimmt die relatio ad corpusals Individuationsprinzip der Seele.10

    Tatschlich ist hier der Kernpunkt des Leib-Seele-Problems angesprochen:Wie lassen sich gleichzeitig die leibhafte und die subsistente Dimension derSeele, aber auch des Menschen in eine einheitliche Konzeption fassen? Tho-mas ist sich dieses Problems bewusst; er formuliert es explizit als die ersteseiner quaestiones de anima: Utrum anima humana possit esse forma et hocaliquid.Thomas setzt sich in seiner Lehre deutlich ab von einer in der Rezep-tionsgeschichte Platons stehenden Sicht vom Menschen, die als dualistisch zucharakterisieren ist. In ihr wird eine nur akzidentelle Verbindung von Seele

    und Krper angenommen, und der Krper stellt fr die Seele nur einen Nutz-wert dar. Der Mensch im eigentlichen Sinn ist dann mit der Seele identischund durch den spezifischen Akt des geistigen Erkennens ausgezeichnet. Aufdiese Weise ist die Subsistenz und Unsterblichkeit der Seele gesichert, wo-durch diese Konzeption fr eine christliche Rezeption scheinbar sehr attraktivist. Die noch strkere Ausfaltung dieser pessimistischen Tendenz gegenberder Leiblichkeit fhrt zu der Auffassung des Leibes als dem Gefngnis derSeele11und dem Ursprung der Snde. Der Mensch wre also eigentlich undursprnglich Engel; als Vertreter dieser Position fhrt Thomas vor allem Ori-genes an.12In dieser Position stehen sich Krper und Seele nicht nur gegen-ber, sondern in Feindschaft zueinander.

    Die Antwort des Thomas betont hingegen Leib und Seele als gleichur-

    sprngliche Wesensbestandteile des einen Menschen: Es besteht zwischenLeib und Seele eine Spannungseinheit, ein gegenseitiges Ineinanderverwoben-und Aufeinanderangewiesensein. In dieser Spannungseinheit stehen sich nunnicht der Leib und die Seele wie in der platonisierenden Position als selbstn-dige Wesenseinheiten gegenber. Vielmehr besteht die besagte Spannung be-reits innerhalb der Seele selbst: Zwar ist die Seele selbstndig in ihrem Sein,jedoch nicht in ihrer Wesensvollendung. Sie ist kein selbstndiges Wesen imvollen Sinn einer Person, sondern bedarf des Krpers zur Ausbung der ihrwesentlichen Ttigkeit, des verstandesmigen Erkennens. Thomas fhrt also

    10 Vgl. DERS., QD de anima, q. 6 ad 13.11 Vgl. ebd., q. 2 obj. 14.12 Vgl. ebd., q. 7.

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    die beiden Dimensionen der forma corporis und derforma subsistens zusam-men, indem er die Subsistenz der Seele differenzierend betrachtet: Sie wird in-sofern subsistent genannt, als sie mehr ist als eine korruptible Form eines Kr-perwesens oder eine blo akzidentelle Bestimmung an einem Krper; insofernsie aber Teil (im Sinne eines metaphysischen Bestandteils) an einem composi-tumist, kommt ihr keine Subsistenz im Sinne einer vollselbstndigen Substanzoder Person zu. Die Subsistenz und die Nichtsubsistenz der Seele werden alsonicht unter derselben Hinsicht ausgesagt: Subsistenz hat sie bezglich ihresSeins, insofern dies die Bedingung der Mglichkeit der unabhngigen Denkt-tigkeit ist; Nichtsubsistenz hat sie bezglich ihrer Wesensvervollkommnung,da sie ohne das von den Sinnesdaten bereitgestellte Material diese unabhngi-ge Denkttigkeit, die ihr Wesen ausmacht, nicht ausben kann.

    Das thomanische Modell hebt die Einheit und Ganzheit des Menschen her-vor, indem es gegen die platonisierenden Anstze betont, dass dasselbe Sub-jekt, nmlich der konkrete Mensch (hic homo), sowohl die Ttigkeit der Sin-neswahrnehmung als auch des Denkens und Verstehens vollzieht. Eine solchesinnlich-intellektuelle Einheit entspricht der alltglichen Erfahrung des Men-schen und ist jeder Reflexion ber mentale Aktivitten vorgegeben. Durch dieErgebnisse der modernen Hirnforschung wird diese Einheit des wahrnehmen-

    den und erkennenden Subjekts noch einmal unterstrichen, da beide Ttigkei-ten, Wahrnehmen und Erkennen, ein funktionierendes zentrales Nervensystemvoraussetzen (aber eben nicht einfach Zustnde dieses zentralen Nervensys-tems sind).

    3. Die thomanische Konzeption im Rahmen derphilosophy of mind

    So weit, so gut. Aber wie kann uns die thomanische Konzeption in der aktuel-len Situation weiterhelfen? Ein erster Klrungsversuch besteht in der Frageder Taxonomie: Wie wrde man die Position des Thomas in der heute ge-bruchlichen Terminologie der Philosophie des Geistes benennen? An welcher

    Stelle des zeitgenssischen Spektrums der Theorien zum Leib-Seele-Problemist Thomas zu lokalisieren vorausgesetzt, dass dies berhaupt mglich seinsollte? Dass dies keine triviale Aufgabe ist, lsst schon der historische Ab-stand von beinahe einem dreiviertel Jahrtausend, der uns von Thomas trennt,vermuten. Ohne dass versucht wird, Thomas in die breite und schwer zu ber-schauende Debatte minuzis einzuordnen, soll zumindest die grbste Klassifi-kation an Thomas angelegt und die Frage angegangen werden, ob Thomas alsDualist oder als Physikalist zu klassifizieren ist.

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    3.1 Dualismus?

    Eleonore Stump13diskutiert verschiedene Einordnungsmglichkeiten in Bezugauf das vertrackte Problem der Taxonomie.14 Eindeutig ist, dass Thomaseinen Substanz-Dualismus klar ablehnt, wie er ihn als den platonischen rekon-struiert und wie er spter prototypisch von Descartes vertreten wird. Denn da-nach wre das Wesen des Menschen dadurch bestimmt, dass er eine res cogi-tans bzw. eine anima intellectiva besitzt bzw. noch deutlicher: dass derMensch eigentlich eine solche immaterielle, zu Bewusstseins- und intellektu-ellen Akten fhige Entitt ist, whrend die Verbindung dieser immateriellenEntitt mit dem Krper ein nur akzidentell Seiendes, ein lose zusammengefg-tes Konglomerat ist mit der Konsequenz, dass die Interaktion dieser beidenTeile nur schwerlich erklrt werden kann.

    Obwohl die Ablehnung eines solchen Substanz-Dualismus bei Thomas vl-lig unstrittig ist, scheint er aber dennoch ins dualistische Lager zu gehren,weil er von einem immateriellen und subsistenten Bestandteil des Menschenausgeht, eben der anima intellectiva, die als Form des Krpers die hherenkognitiven Funktionen des Menschen ermglicht. Knnte Thomas daher alsein Eigenschafts-Dualist bezeichnet werden, dessen Dualismus weniger weit

    reicht, weil er keine immateriellen Substanzen, sondern nur Eigenschaften an-nimmt, die nicht auf physische Eigenschaften zurckfhrbar sind? Dafr spr-che, dass die anima intellectivakeine vollstndige Substanz ist, denn ohne denKrper kann sie ihre wesenhafte Ttigkeit des Erkennens nicht in Vollformausben. Jedoch kann sie als anima separatanach dem Tod und vor der Wie-dervereinigung mit dem Krper auch ohne ihn existieren und erkennen (auchwenn der befristete leibfreie Zustand contra naturam animaeist); dies abergeht ber die gewhnlichen Annahmen eines Eigenschafts-Dualismus hinaus.Eine weitere Mglichkeit bestnde in der Einfhrung eines neuen Oberbeg-riffs ,Subsistenz-Dualismus, mit den beiden Unterarten des Substanz-Dua-lismus und des noch nher zu bezeichnenden Ansatzes des Thomas.

    3.2 Physikalismus?

    Nun sprechen aber freilich auf der anderen Seite auch Argumente dagegen,Thomas als einen (zwar nichtkartesischen) Dualisten und Gegner des Physika-lismus zu bezeichnen: Versteht man unter ,Dualismus diejenige Position, dieeine menschliche Person als unabhngig von ihrem Krper ansieht und des-halb auch nur in mittelbarer Weise als Trgerin physischer Zustnde, so kannman die thomanische Position schwerlich darunter fassen: Denn fr Thomasist der Mensch und damit ineins auch die menschliche Person eine hyle-

    13 STUMP1995, S. 520523.14 Ebd., S. 506.

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    morphistisch beschreibbare Einheit aus Materie und Form. Man knnte auchsagen, er ist ein lebendiger Krper, den die Seele als seine Form zu demmacht, was er ist, ihn sozusagen konfiguriert, ihm seine Gestalt verleiht. Derganze Mensch als beseelter Krper ist Trger mentaler Zustnde, sodass eszwar nicht vllig falsch ist zu sagen, dass die Seele denkt, so wie das Augesieht, aber es ist sachgemer zu sagen, dass der Mensch durch die Seeledenkt und durch das Auge sieht.15

    Fr Thomas ist der Trger mentaler Akte, wie eben gesehen, eine materielleSubstanz, nmlich der individuelle, beseelte menschliche Krper; daherspricht das thomanische Konzept nicht gegen die naturwissenschaftliche Er-forschung des Geistes, welche auf materiell-quantitative Zusammenhnge be-zogen und auerdem kompatibel ist mit der Annahme einer (schwachen)Supervenienz mentaler auf physischen Zustnden. Dies wrde einen zuverls-sigen, gesetzeshaften Zusammenhang von Bewusstseinszustnden mit Gehirn-zustnden zumindest fr unsere Welt garantieren. Auch fr die Konzeptiondes Aquinaten gilt also wegen der Abhngigkeit der Ttigkeit der intellekti-ven Seele von der Bereitstellung von Sinnesdaten durch die Sinnesvermgen das Supervenienzprinzip, wonach Vernderungen im mentalen Bereich Ver-nderungen im physischen Bereich voraussetzen, aber nicht umgekehrt Ver-

    nderungen im physischen Bereich zu Vernderungen im mentalen Bereichfhren mssen. Denn der Intellekt kann nach Thomas nicht arbeiten ohne dieHinwendung zu denphantasmata, aus denen er die geistigen Erkenntnisbilder(species intelligibiles) abstrahiert,16 sodass ohne Vernderung bei den phan-tasmata keine anderen species intelligibilesabstrahiert werden knnen. Wohlaber ist es mglich, dass unterschiedlichephantasmataim Laufe des Abstrak-tionsprozesses zu denselben species intelligibiles fhren, z. B. kann aus demVorstellungsbild zweier verschiedener Katzen das allgemeine Erkenntnisbildbzw. der Begriff Katze generiert werden. Dass der Supervenienzgedanke mitder Intellektlehre des Thomas vereinbar ist, ist zwar einerseits keine vllig tri-viale Feststellung, andererseits jedoch auch kein berraschendes Ergebnis,weil der Supervenienzbegriff keine eigenstndige Position in der Philosophie

    des Geistes begrndet, sondern eher als der kleinste gemeinsame Nenner dermeisten nicht substanz-dualistischen Positionen gilt.Nun vertritt Thomas allerdings keinen Physikalismus in dem Sinne, dass es

    keine immateriellen, nicht-physischen Substanzen gebe; denn er geht als mit-telalterlicher Theologe und Philosoph selbstverstndlich von der Existenzgeistiger Substanzen, den Engeln, aus, und auch die menschliche Seele subsis-tiert fr Thomas, wenn auch nicht als vollselbstndige Substanz, und gehrtdamit ebenfalls zum Bereich der geistigen Substanzen (als dessen untersteStufe). An dieser Stelle muss jedoch noch einmal das Problem der Vergleich-barkeit der thomanischen Seelenlehre mit der modernen Philosophie des Geis-

    15 Vgl. THOMAS VON AQUIN, SThI, q. 75, a. 2 ad 2.16 Vgl. ebd., q. 84, a. 6 und 7.

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    tes angesprochen werden: Wenn man zwei Diskussionslagen aus gnzlich un-terschiedlichen Kontexten, die durch einen breiten historischen Graben von-einander getrennt sind, zumindest versuchsweise vergleichen will, muss mandie Geltungsbereiche der jeweiligen Aussagemengen beachten:

    Das weitestgehende Aussparen von religis konnotierten Themen in deranalytischen Philosophie des Geistes hat Konsequenzen fr den Dialog mit derSeelenlehre des Thomas: Ohne die mit der Konzeption des Aquinaten verbun-dene theologische Perspektive zu verleugnen, soll hier vorrangig die Schnitt-menge von Annahmen der beiden Dialogpartner in den Blick genommen wer-den, die sich auf denselben Gegenstandsbereich beziehen. Dies sind vor allemsolche Annahmen, die den Menschen als Trger mentaler Zustnde betreffen.Damit soll vermieden werden, dass man sich auf unterschiedlichen Ebenen derBetrachtung aufhlt und daher mglicherweise vllig aneinander vorbeiredet.

    Betrachtet man unter diesem Gesichtspunkt noch einmal die Frage, obThomas in naturphilosophischer Hinsicht, oder noch genauer: im Hinblick aufden Menschen als Physikalist bezeichnet werden kann, wenn doch die Einord-nung als Dualist offensichtlich nicht eindeutig mglich ist, so spricht Folgen-des dafr: Thomas versteht die eine menschliche Seele als einziges Prinzipsowohl physischer, nmlich vegetativer und sensitiver, als auch mentaler

    (kognitiver) Fhigkeiten, sodass der individuelle Mensch Trger aller dieserEigenschaften ist. Fr die Existenz des Mentalen postuliert Thomas also keinezustzliche Entitt, die als immaterielle Substanz Trgerin mentaler Eigen-schaften wre, sondern ein bestimmter physischer Gegenstand (hic homo) istTrger dieser mentalen Eigenschaften. Gleichwohl betont Thomas, dass diemenschliche Seele als erstes Lebensprinzip selbst keine krperliche (physi-sche) Entitt oder ein Teil einer solchen sein kann. Denn es gibt nichtlebendi-ge Krper, und folglich kommt die Lebendigkeit einem Krper als Krpernicht wesentlich zu; ein erstes Lebensprinzip aber muss wesentlich Leben ha-ben, wie zu Beginn dargelegt wurde. Insofern sich Thomas gegen die antikenMaterialisten wendet, deren Ontologie nur krperliche Entitten kennt, wider-spricht er einem reduktiven Physikalismus, der die vollstndige Reduzierbar-

    keit mentaler Entitten auf physische Entitten vertritt und behauptet, dass ma-terielle Gegenstnde und damit auch Lebewesen, der Mensch eingeschlossen,schlicht identisch mit ihren materiellen Komponenten seien.

    Thomas ist somit kein Eigenschafts-Physikalist oder Physikalist im engerenSinn, sofern diese Position durch die Behauptung charakterisiert ist, dass (alle)mentalen Eigenschaften in irgendeiner Weise ontologisch auf physischeEigenschaften zurckfhrbar sind. Denn Thomas macht zumindest eine Ttig-keit der Seele aus, die zwar auf das Vorhandensein von Sinnesdaten angewie-sen ist, aber an sich ein immaterieller Vorgang ist: das intellektive Erkennen.Trotzdem aber knnte man versuchen, Thomas als Physikalisten in derschwchsten Version, d. h. im Sinne der Realisierungstheorie zu verstehen,wonach alle mentalen Zustnde in physischen, nmlich neuronalen Zustndenrealisiert oder implementiert sind: Denn fr Thomas ist die intellektive Seele

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    als ganze die Form des Krpers und informiert als solche sowohl den ganzenKrper als auch jeden Teil des Krpers.17Freilich msste hier der Begriff derRealisierung sehr weit ausgelegt werden, da Thomas nicht nur eine von einemkrperlichen Organ unabhngige (und blo ratione obiectiauf den Krper an-gewiesene) Ttigkeit der Verstandesseele annimmt, sondern daraus auch aufihre ontologische Eigenstndigkeit schliet (welche, um es noch einmal zu sa-gen, aber nicht im starken Sinne einer vollstndigen Substanz zu verstehenist). Von daher kann man daran zweifeln, ob von physikalistischer Seite dieserAspekt der thomanischen Intellektlehre noch als kompatibel mit einer Reali-sierungstheorie angesehen werden wrde. Unbeschadet dessen knnte eine hy-lemorphistische Theorie des Geistes als solche mutmalich als physikalistischakzeptiert werden, weil sie die Seele als Form des Krpers nicht als einenquantitativen Teil, sondern als ein Prinzip versteht, das mit dem Ko-Prinzipder Materie den real existierenden Menschen konstituiert und somit nicht alseigenstndige Substanz gegeben, sondern nur der ontologisch-begrifflichenAnalyse zugnglich ist.

    4. Der thomanische Ansatz als Katalysator fr die heutige Debatte

    Ich breche die Errterung der taxonomischen Einordnung der thomanischenLehre hier ab; sie knnte noch anhand weiterer Positionen fortgefhrt werden.Aufgrund der errterten Probleme knnte sich der Eindruck aufdrngen, alswrde hier doch etwas eigentlich Unmgliches versucht, nmlich einen in dermittelalterlichen Diskussion beheimateten Entwurf in die heutige, von ganzanderen Fragestellungen und Hintergrnden geprgte Zeit zu bertragen. Die-se Klassifikationsschwierigkeiten wren einfach Ausdruck der Tatsache, dassman mit der thomanischen Theorie wegen fundamentaler Unterschiede zur ak-tuellen Situation und ihrer Zugehrigkeit zu einer veralteten scholastischenTradition heute nicht mehr in Dialog treten knne.

    Diesen Standpunkt halte ich jedoch fr unangemessen, weil die Vermitt-

    lungsleistung und intellektuelle Kraft der thomanischen Theorie nicht durchden naturwissenschaftlichen oder naturphilosophischen Fortschritt desavouiertworden ist. Denn das hylemorphistische Zentrum der Seelenlehre des Thomasbetrifft den harten Kern, den ontologisch-begrifflichen Aspekt des Leib-Seele-Problems. Sie bietet als eine mgliche Sichtweise des Leib-Seele-Verhltnisses eine Metaperspektive, die von empirischen Daten prinzipiell un-abhngig ist. Es soll hier aber mehr behauptet werden als die nach wie vor gl-tige Berechtigung des thomanischen Ansatzes: Die hylemorphistische Theoriedes Thomas kann eine nicht zu unterschtzende Bereicherung der mind-brain-Debatte darstellen. Aus der Skizzierung der Positionen zum Leib-Seele-Problem zu Beginn dieses Vortrags kann festgehalten werden, dass die aktuel-17 Vgl. DERS., SThI, q. 76, a. 8.

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    le Debatte durch eine Dichotomie charakterisierbar ist zwischen einem dualis-tischen Lager, das die Existenz von mentalen Entitten annimmt, die von phy-sischen Entitten unabhngig sind, und einem materialistischen oder physika-listischen Lager, das mentalen Entitten keine unabhngige Existenz zuer-kennt, sondern sie als auf physische Entitten reduzierbar ansieht (sofern esberhaupt noch von einer sinnvollen Rede ber mentale Entitten ausgeht).Wenn dieses Fazit stimmt, so lsst sich die Schwierigkeit, den thomanischenAnsatz in der Dichotomie ,dualistisch physikalistisch zu lokalisieren, auchals Hinweis auf die Problematik und Unangemessenheit dieser Dichotomieverstehen. Statt also von der mangelnden Passgenauigkeit des thomanischenAnsatzes darauf zu schlieen, dass er berholt und fr die heutige Situationirrelevant sei, pldiere ich dafr, die Perspektive umzukehren und zu fragen,welche grundstzliche Problematik durch die hylemorphistische Perspektivedes thomanischen Standpunktes aufgedeckt und mglicherweise auch ber-wunden werden kann.

    4.1. Eine begriffliche Sackgasse der kartesischen Dichotomie

    Nach der hylemorphistischen Sichtweise stehen Seele und Krper im Verhlt-nis von Form und Materie zueinander und sind somit keine dinghaften, quanti-tativ zu bestimmenden Teile, sondern auf nur begriffliche Weise zu unter-scheidende Konstitutionsprinzipien des einen Menschen. Wenn diese Sicht-weise adquat ist, dann ist eine den meisten Positionen zum Leib-Seele-Problem zugrunde liegende Annahme grundstzlich zu hinterfragen. Denn dieMehrzahl der Analysen zum Leib-Seele-Problem geht bewusst oder unbe-wusst von einer Dualitt zwischen Physischem und Mentalem aus, von der dasAlltagsbewusstsein des neuzeitlichen Menschen des westlichen Kulturkreisesin der Regel tief geprgt ist. Jede auch nur deskriptive Annherung an dasProblemfeld enthlt bereits theoriegeladene Implikationen, ist also nicht inneutraler Weise mglich. Vielmehr hat gerade die Semantik des entsprechen-

    den mentalen Vokabulars der europischen Sprachen trotz aller Unter-schiede im Einzelnen eine Tendenz zu einer dualistischen Theorie des Geis-tes; damit spiegelt sie auf der einen Seite das Alltagsbewusstsein wider undprgt es auf der anderen Seite bestndig mit.

    Die Annahme eines Dualismus zwischen physischen und mentalen Entit-ten bestimmt nun nicht nur die explizit unter der Bezeichnung ,Dualismusfirmierenden Positionen, sondern die gesamte Diskussionslage. Denn dieVerwendung des aus der kartesischen Tradition stammenden Vokabularsschliet auch die in ihr mitgedachte Kategorieneinteilung ,geistig versus kr-perlich oder ,mental versus physisch ein.18Sowohl dualistische als auch phy-sikalistische Positionen setzen eine dualistische Analyse des Menschen im

    18 Vgl. SEARLE 1992, S. 14.

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    Dies lsst sich sowohl von der Materie als auch von der Form her begrn-den: Denn auch wenn die Materie immer auf die Aktualisierung durch eineForm angewiesen ist, so ist sie doch nur potentiell zu bestimmten Lebensttig-keiten fhig. Demnach hat sie keine zwingende Verbindung zu einer bestimm-ten Form, noch nicht einmal eine zwingende Verbindung zu einer Form ber-haupt: Sie kann entweder durch diese bestimmte Form oder eine andere Formoder auch gar nicht formal aktualisiert werden. Auch von der Form kann nichtbehauptet werden, dass ihre Verbindung zur Materie als strikt notwendige zucharakterisieren wre, weil sie im Fall der menschlichen Seele aufgrundihrer qualifiziert behaupteten Subsistenz eine gewisse Unabhngigkeit von derMaterie geniet.

    Statt als ein Verhltnis der strikten Identitt kann die von der hyle-morphistischen Perspektive beschriebene Relation von Krper und Seele an-gemessener als ein Aktualisierungs- oder Realisierungverhltnis beschriebenwerden. Beide sind also nicht wie bei einer Identittsrelation wechselseitignotwendige und hinreichende Bedingungen. Vielmehr stellt das Mentale alsdas Verwirklichungsprinzip eine ber die materielle Basis hinausgehendeWirklichkeit dar; gleichzeitig impliziert der Begriff der Verwirklichung aberauch, dass das Mentale von der zu verwirklichenden Materie abhngig ist: Als

    Potenz ist die Materie die notwendige Voraussetzung fr die Verwirklichungder spezifischen Lebensttigkeit.

    Somit kann auch noch einmal aus logischem Blickwinkel untermauert wer-den, inwiefern der Hylemorphismus eine Alternativposition darstellt, die inder Mitte zwischen Physikalismus und Dualismus liegt: Der Physikalismusgeht davon aus, dass bestimmte materiell bzw. physikalistisch beschreibbareund erklrbare Zustnde hinreichend (und notwendig) fr bestimmte mentaleZustnde sind; mentale Zustnde sind also vollstndig durch die ihnenzugrunde liegenden physischen Zustnde bestimmt und besitzen ber ihrephysische Basis hinaus keine ontologische Realitt. Sie besitzen maximal eineepistemische Eigenstndigkeit, falls es prinzipiell nicht gelingen sollte, dieBeschreibung der mentalen Zustnde aus den physischen Tatsachen abzulei-

    ten. Der Dualismus hingegen versteht das Mentale als in dem Sinne eigen-stndig, dass er noch nicht einmal notwendige physische Bedingungen fr dasAuftreten mentaler Zustnde annimmt weder setzen bestimmte mentale Zu-stnde bestimmte physische Zustnde als ihre Basis voraus, noch schlieenbestimmte physische Zustnde bestimmte mentale Zustnde als deren notwen-dige Folge ein. Der Hylemorphismus nun steht logisch zwischen diesen beidenMglichkeiten: Er bestimmt in dem soeben erluterten Sinn physische Zustn-de als notwendige, jedoch nicht hinreichende Bedingung fr mentale Zustn-de.

    Diese logische Zwischenstellung des Hylemorphismus soll nun aber nichtverdecken, dass der Hylemorphismus gerade keine mittlere Position zwischenDualismus und Physikalismus in dem Sinne ist, dass er als inhaltlicher Mit-telwert zwischen den beiden Positionen extrapoliert werden knnte. Vielmehr

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