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Anmerkungen zur Musik an den venezianischen Ospedali im 17. und 18. Jahrhundert Author(s): Diana Blichmann Source: Acta Musicologica, Vol. 74, Fasc. 1 (2002), pp. 77-99 Published by: International Musicological Society Stable URL: http://www.jstor.org/stable/932872 . Accessed: 16/06/2014 07:19 Your use of the JSTOR archive indicates your acceptance of the Terms & Conditions of Use, available at . http://www.jstor.org/page/info/about/policies/terms.jsp . JSTOR is a not-for-profit service that helps scholars, researchers, and students discover, use, and build upon a wide range of content in a trusted digital archive. We use information technology and tools to increase productivity and facilitate new forms of scholarship. For more information about JSTOR, please contact [email protected]. . International Musicological Society is collaborating with JSTOR to digitize, preserve and extend access to Acta Musicologica. http://www.jstor.org This content downloaded from 91.229.229.101 on Mon, 16 Jun 2014 07:19:09 AM All use subject to JSTOR Terms and Conditions

Anmerkungen zur Musik an den venezianischen Ospedali im 17. und 18. Jahrhundert

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Anmerkungen zur Musik an den venezianischen Ospedali im 17. und 18. JahrhundertAuthor(s): Diana BlichmannSource: Acta Musicologica, Vol. 74, Fasc. 1 (2002), pp. 77-99Published by: International Musicological SocietyStable URL: http://www.jstor.org/stable/932872 .

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Anmerkungen zur Musik an den venezianischen Ospedali im 17. und 18. Jahrhundert*

Diana BLICHMANN

Universitit Weimar-Jena

N DER ZEIT VOM 4. BIS 7 APRIL 2001 veranstaltete das Deutsche Studienzentrum in Venedig in Zusammenarbeit mit dem Institut foir Musikwissenschaft Weimar-Jena einen seit

langem erw(inschten Kongress zur Geschichte und insbesondere zur Musik an den vene- zianischen Ospedali vom 17. bis zum frOhen 19.Jahrhundert. DieVeranstaftung war in dieser Hinsicht von immenser Bedeutung, da man sich erstmals im Rahmen eines Symposiums zu dem Mythos duBerte, welcher der Lagunenstadt in besonderer Form eigen war. Eine intensive Darstellung der historischen Entwicklung dieser vier Ospedali bzw. veneziani- schen Frauenkonservatorien sowie deren musikgeschichtliche Bedeutung bleibt bis heute ein Desiderat der Forschung, was sich an den zahlreichen und differenzierten Vortrigen und nicht zuletzt an den Schwerpunkten in der Diskussion erwiesen hat. Zwar wurde beginnend mit dem 20. Jahrhundert mehr und mehr vor allem von Seiten der deutschen und amerikanischen Musikwissenschaft auf diesem Gebiet gearbeitet, es kann aber nicht behauptet werden, dass die Thematik bereits ausgeschbpft wire. Ganz im Gegenteil: Der Kongress war der erste zu jenem musikhistorisch-soziologischen Phanomen und bildete eine solide Grundlage der Auseinandersetzung mit den verschiedenartigsten und neu zur Debatte stehenden Problematiken. Das Zusammentreffen bedeutender Wissenschaftler, Historiker und praktizierender Musiker in Venedig war auBerdem insofern von beson- derer Bedeutung, da die Ospedali in ihrem Doppelwesen, das heiBt als karikativ-soziale Einrichtungen und als musikalische Erziehungsinstitute unter neuen Gesichtspunkten erliu- tert und diskutiert wurden. Gerade vor dem Hintergrund der historischen und soziologi- schen sowie musikgeschichtlichen Spezialisierung kam der Konferenz auch mit der Intention einerVermittlung zwischen den einzelnen Themengebieten - diese betrafen sowohl musik- analysierende und gattungsgeschichtliche Problematiken, als auch die gesellschaftlich-histo- rische Anniherung an das Phinomen Ospedali - ein besonderes Gewicht zu.

Die venezianischen Ospedali della Pieta, degli Incurabili, dei Mendicanti und dei Derelitti, auch als Ospedaletto bekannt, sind einmalig in der europaischen Musikgeschichte und kinnen bestenfalls mit den neapolitanischen Knabenkonservatorien verglichen werden.

* Dieser Artikel basiert auf der Konferenz ,,La musica degli ospedali fra Seicento e inizio Ottocento", 4.-7. April 200 1,Venedig, Deutsches Studienzentrum.

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Beide Institutionen, das heiBt sowohl die venezianischen Frauen-, als auch die neapo- litanischen Knabenkonservatorien haben sich aus karikativen Einrichtungen entwickelt, welche in Venedig unter der Aufsicht der Gouverneure und in Neapel unter der Obhut des Vizek6nigs bzw. des Erzbischofs standen. Diese Konservatorien sind in ihrer Form

einzigartig.Als urspriinglich soziale Institutionen bilden sie ein Beispiel, wie es beide Stidte verstanden, dem sich verschirfenden Problem der Waisenkinder abzuhelfen.

Die andauernden Kriege, Hungersn6te und Seuchen entfachten vor allem in Venedig unzihlige Krankheitsfalle und fiuhrten zur Entstehung der ersten Ospedali, die anfanglich als Form der Wohltitigkeit und Nichstenliebe konzipiert waren. Die vier musikalischen

Ospedali, die im Zentrum der venezianischen Tagung standen, hatten im Gegensatz zu den anderen Krankenhiusern der Stadt ihre Wurzeln in der Intention, verwaiste Kinder,

hungernde Pilger und unheilbar kranke Menschen aufzunehmen. So entstand San Lorenzo dei Mendicanti als altestes Ospedale bereits ihm 12. Jahrhundert als Krankenhaus fOr

Leprakranke.' Das zweitilteste Ospedale della Pieta, gegriindet 1336 vom Franziskaner Pietro d'Assisi, lieB man dagegen von Grund auf als Waisen- und Findelhaus errichten, um damit eine Form der Herberge fOir die vielen ausgesetzten Kinder und Waisen zu schaffen3. Das Ospedale degli Derelitti bzw. Ospedaletto und die Incurabili entstanden beide in den

20er-Jahren des 16. Jahrhunderts aus der Privatinitiative der Kaufleute, Kurzwarenhindler und Rechtsanwilte, die dem grausamen Bild der Armut auf den StraBen Venedigs Abhilfe schaffen wollten. Das Ospedaletto und die Mendicanti wurden daher auf Grund der anstei-

genden Epidemien besonders im 16.Jahrhundert zu einem Ort der Krankenpflege, in dem ebenso behinderte und alte Menschen, nicht nur aus der Lagunenstadt selbst, sondern auch aus dem venezianischen Umkreis aufgenommen wurden. Die Incurabili versorgten insbesondere Syphillis-Kranke. Das heiBt, die Ospedali waren als Zufluchtsort und Hospiz anerkannt, deren ursprOngliche Funktion darin bestand, dem sozial-stidtischen Problem mehr oder weniger abzuhelfen.

Die Tatsache, dass aus den rein sozialen Institutionen musikalische Erziehungsstitten von

gr6Bter musikhistorischer Bedeutung hervorgingen, erklirt sich dann folgendermaBen: Spitestens seit der Mitte des 16. Jahrhunderts nahmen alle vier Ospedali Findlinge zur

Pflege auf, die man je nach Geschlecht differenzierte. Die Jungen durften bis zur Pubertit in den Ospedali bleiben und wurden vom Somascherorden - dessen

Grninder Girolamo

Vgl. Bernard AIKEMA und Dulcia MEIJERS,,,Nel regno dei poveri", Arte e storia dei grandi Ospedali veneziani in

eta moderna, 1474-1797, Venezia, Arsenale Editore, 1989; Giovanni MORELLI und Elvidio SURIAN, ,,La musica strumentale e sacra e le sue Istituzioni aVenezia", Storia della cultura veneta. II Settecento, 2 Bde.,Vicenza, Neri Pozza Editore, 1989, I1, S. 40 1-28: 417 ff. und Giuseppe ELLERO, ,,Origini e sviluppo storico della musica nei

quattro grandi ospedali di Venezia", Nuova rivista musicale italiana, 13 (1979), S. 160-67: 161 ff. 2 Vgl. Micky WHITE, ,,Anna Maria del violin 1696-1782", Musica agli Ospedali veneziani fro Seicento e inizio

Ottocento, Symposium Venedig 2001 (Deutsches Studienzentrum), Bericht hrsg. von Diana BLICHMANN, Helen GEYER und Wolfgang OSTHOFF, Venedig 2002.

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Miani initiierte die Pflege der Waisen im Ospedale degli Derelitti und degli Incurabili - erzogen, erhielten eine Ausbildung im Katechismus sowie im Lesen, Schreiben, Rechnen und in zunftgemaBen Berufen, um unmittelbar als Lehrlinge im Metier des Handwerks der Lagunenstadt zum Beispiel im Arsenale von Nutzen zu sein. Nur die begabtesten Midchen bekamen dagegen eine Ausbildung, welche zwar der Erziehung - aber auch dem Lebens- und Tagesrhythmus - in den Nonnenkl6stern nahe kam, aber die musikalische Schulung, das heiBt den Gesang oder das Instrumentalspiel in den Vordergrund stellte.3 Die weni- ger musikalisch begabten Midchen erhielten keinen Musikunterricht, wurden aber in den Handarbeiten, der Heilkunde, der Krankenpflege und im Haushalt unterwiesen.4

Spttestens mit der Ernennung Alvise Granis - eines Gabrieli-Scholers - zum ersten maestro di musica des Ospedale della Pieta zu Beginn des 17. Jahrhunderts begann ein in Europa unvergleichbar aktives Musikleben. Viele Musiker, die bisher an der Kapelle von San Marco arbeiteten, eine Stelle zumeist an der Pieta oder den anderen Ospedali erhielten und Vokal- als auch Instrumentalmusik lehrten, eiferten Grani nach. In den anderen Ospedali lassen sich dhnliche Entwicklungen verfolgen: Uber die Chormidchen des Ospedale dei Mendicanti schrieb der Chronist Giustiniano Martinioni 1663:

,,[...] instrutte nella musica, cantano, con diversi strumenti musicali, nelle solennitA di tutto I'anno, le messe, i vespri, e le compiete, e specialmente nella Quadragesima con gran concorso di popolo, [...]"5

3 ,,Si mantengono 125 Figlie di Padre, e di Madre, dandole al caso di passar in Matrimonio la Dote di duc. 300, ed al caso di Monacato quell'assegnamento ch'e maggiore, o minore secondo la qualitA de' Monasterj. Alcune di queste vengono istruite per servizio del Coro nel Canto, o nel Suono, al qual effetto vengono stipendiati Ii necessarj Maestri; e tutte le altre devono attendere al lavoro, ed al governo del Luogo sotto la disciplina, e custodia d'una Priora, e delle respettive Maestre." Arte e musica all'Ospedaletto. Schede d'archivio sull'attivitc musicale degli ospedali Derelitti e dei Mendicanti di Venezia (sec. XVI-XVIII),Venedig, Stamperia di Venezia Editrice (Istituzioni di Ricovero e di Educazione di Venezia), 1978, S. 95. Die Publikation geh6rt zu einem der ersten Kataloge, welcher zum Thema Ospedali erstellt und alle wichtigen, die Musik an den beiden Ospedali dei Derelitti (Ospedaletto) und Mendicanti betreffenden Dokumente ver6ffentlicht. Die Handschriften werden von den Istituzioni di Ricovero e di Educazione (I.R.E.) in Venedig verwaltet und wurden anldsslich des Vivaldijahres sowie in Zusammenhang mit einer Ausstellung reichlicher Dokumente zur Kunst und Musik am Ospedaletto publiziert.

4 Zum musikalischen Leben an den Ospedali vgl. Denis ARNOLD,,,Orphans and Ladies: theVenetian Conserva- tories (1680-1790)", Proceedings of the Royal MusicalAssociation, 89 (1962-63), S. 31-47, ders.,,,Instruments and Instrumental Teaching in the Early Italian Conservatories", The Galpin SocietyJournal, 18 (1965), S. 72-8 1; Denis und Elsie ARNOLD, The Oratorio in Venice, London, Royal Musical Association, 1986; Eleanor SELFRIDGE- FIELD, Venetian Instrumental Music from Gabrieli to Vivaldi, Blackwell, Oxford, 1975; Bernard AIKEMA und Dulcia MEIJERS, Nel regno dei poveri; Marinella LAINI, Vita musicale a Venezia durante la Repubblica. Istituzioni e Mecenatismo,Venezia, Stamperia Veneziana, 1993; Berthold OVER, Per la Gloria di Dio: Solistische Kirchenmusik an den venezianischen Ospedali im 18.jahrhundert, Bonn, Orpheus-Verlag, 1998; Helen GEYER, DOS venezia- nische Oratorium: 1750-1820: Musikdramatisches Experiment und einzigartiges Phdnomen (Analecta Musicologia, 33), Laaber Verlag, Laaber 2002, 2 Bde. (in italienischer Version: L'oratorio veneziano, fenomeno singolare ed esperimento melodrammatico, Studii, Accademia di Santa Cecilia, Rom 2002.); dies.,,,Die venezianischen Konservatorien des 18. Jahrhunderts und Beobachtungen zu ihrer Aufl6sung", Musical Education in Europe (1770-1914): Compositional, and Political Challenges (Musical Life in Europe 1600-1900), Berlin Verlag, Berlin 2003.

5 Francesco SANSOVINO, Venetia cittb nobilissima e singolare descritto dal Sansovino con nove e copiose aggiunte di D. Giustinian[o] Martinioni,Venedig, Curti, 3 1663, S. 90. An anderer Stelle verschafft der Autor dem Leser

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Diese musikalischen Aktivititen wusste man auch in den anderen drei groBen Ospedali zu pflegen. Das bedeutet, dass die Midchen vor allem zu den alljdhrlichen Feierlichkeiten, Messen, Vespern und wahrend der Fastenzeit die Kirchen mit ihrem Gesang und Instru- mentalspiel bereicherten.

De facto basierten die Ospedali primar auf dem Dasein als soziale Instanz, deren kari- tative Funktion sich teilweise in eine zusatzlich kijnstlerische Obliegenheit mit finanziel- lem Nutzen umsetzte. Nur allmahlich bildete sich eine energischere Strukturierung des musikalischen Lebens aus. Bei den musikalisch begabten figlie stand dabei einerseits das Meistern einer Kunst - das Beherrschen des Gesangs und eines Musikinstrumentes - im

Vordergrund.Andererseits war die Gewissheit einer gesicherten Zukunft in den Ospedali von Bedeutung, was nur in Form von Erlernung bestimmter Berufe (z. B. Krankenschwester,

Apothekerin) m6glich wurde und in besonderem MaBe bei den, fuir die Musik unbegabten Waisenmadchen gait. Die musikalische Ausbildung der figlie del coro oder putte, so nannte man die Chormidchen, war ihnen demnach nicht als pers6nliches Privileg zugedacht, son- dern eher als nutzbringende Erziehungsform, das heiBt als Mittel zum Zweck, welcher diesbez0~glich in der finanziellen Aufrechterhaltung der Ospedali bestand.6

Die ausgeprigte Gesangs- und Instrumentalschule Ilsst sich gerade in den vier venezia- nischen Ospedali mit ihren verschiedensten musikalischen Disziplinen und der groBen Anzahl der maestri erkliren. Denn seit ca. 1575 tritt den Intentionen der Ospedali ein

wichtiges Element hinzu, das uns weiterhilft, das Motiv des intensiven musikalischen Lebens an den Ospedali zu begreifen. Die Gelder,

welche wihrend einer jeden musikalischen Akti-

vitit der figlie del coro in die Kassen der Kirchen eingingen - z. B. durch den Verkauf der

gedruckten Libretti, die gleichzeitig als Attraktion dienten, um das Publikum anzulocken -, wurden zur Hilfte den figlie zugesteuert und tells fuir die Rekonstruktion der Kirchen oder der Ospedali verwendet. Der Unterhalt dieser Institutionen wurde daher durch Almosen und zunehmend durch die Einnahmen der SchOilerinnen bei musikalischen Veranstaltun-

gen in Kirchen und Kl6stern fOir den regelmi•ig musikalischen Gottesdienst wihrend der

Messe,Vesper, Konzerte und auch Privatveranstaltungen gewdhrleistet.

ein Bild Ober die Organisation, Funktion und Finanzierung der Ospedali: ,,Gli spedali di questo sestiero sono diversi, cosi di uomini come di donne, i quali governati da i loro Priori, & forniti largamente di tutte le cose necessarie per sostegno dei poveri, hanno cura de gli ammalati. Et fra questi sono oltre al predetto di San Giovanni, & Paolo, & di Mendicanti, vi 6 quello della PietA, nel quale si raccolgono i bambini gettati dalle Madri, dove si nutriscono in gran numero, e con larghissime spese fatte, cosi dal pubblico, come dal

privato, la cui Priora 6 confermata dal Doge.": Ebd., S. 91. Vgl. David BRYANT, ,,La musica nelle istituzioni religiose e profane di Venezia", Storia della cultura veneta. II Seicento, 2 Bde.,Vicenza, Neri Pozza Editore, 1983, 1, S. 433-47.

6 Vgl. Paolo PANCINO,"II problema dei rapporti tra insegnamento e vita musicale aVenezia fino alla caduta della

Repubblica: i quattro conservatori", II Conservatorio di Musica ,,Benedetto Marcello" di Venezia. 1876-1976. Centenario della Fondazione Palazzo Pisani, hrsg. von Guglielmina TIERI und Pietro VERARDO,Venedig, Stamperia di Venezia, 1977, S. 191 ff.

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Dies verlangte eine Oberaus grindliche Musikausbildung, die ab der Mitte des 17. Jahr- hunderts mit den Fdchern Gesang und Instrumentalspiel bis ins friihe 19. Jahrhundert - ab dem Jahr 1777 bahnte sich, aus bkonomischen Grinnden, ein allmdhlicher Niedergang der Institute an, der das Musikleben an der Pieta, den Mendicanti und dem Ospedaletto aber nur vor-Obergehend beeinflusste - in ihren duBeren Strukturen unverindert blieb. Dieser finanzielle Mechanismus hing daher besonders mit den virtuosen Qualifikation der Damen zusammen und zog nicht nur das einheimische Publikum, sondem vor allem auch

auslIndische Reisende an, die mit ihren Spenden die Aufrechterhaltung der Institutionen

m6glich machten.7 Die Sensation und die Besonderheit der Musik war daher,

neben dem

Andrang des Publikums, das durch finanzielle Beihilfen die lange Existenz der Einrichtun-

gen erm6glichte, der entscheidendste Triger der venezianischen Ospedali. Mittels des

Musiklebens wurden die Ospedali daher gleichzeitig zu einem finanziellen Geschift. Dessen

Bedeutsamkeit spiegelt sich auBerdem in der Aufnahme der figlie adulte, den ,,sopranu- merarie", wider, welche bereits eine musikalische Ausbildung anderswo genossen hatten. Sie wurden, auch ohne dass sie verwaist waren - und dies schrieben im Normalfall die Statuten vor -, dem coro als Zusatzkrdfte beigefugt und sollten diesen unterstOitzen. So erhielten beispielsweise auch Pensionsgdiste gegen Bezahlung eine musikalische Ausbildung und noble Familien aus Venedig oder dem Veneto schickten ihre T6chter in die Ospedali, um sie in der Musik zu vervollkommnen.8

Die cori der vier Kirchen konkurrierten demzufolge so stark untereinander, dass jeder ver-

suchte, die gri6te Zuh6rerschaft zu erlangen, welche fir die Messen und Vespern sowie

fuir das Privileg, immer neue Kompositionen beruihmter Komponisten zu h6ren, Stuhlgeld und Libretti bezahlten. Den Gouverneuren und Deputierten der Ospedali war vor allem die Durchschlagskraft der Frauench6re beim Publikum und die Aktualittt der Musik wichtig. Erst nach Beendigung der Ausbildung der figlie del coro, die in der Regel zehn Jahre in

Anspruch nahm und fuir jedes Chormitglied als verpflichtend gait, wurde ihnen gestattet, unter der Bedingung, auf singerische Aktivittten zu verzichten, den coro zu verlassen, zu heiraten oder als Nonne eingekleidet zu werden. Die besten Chormddchen wurden

sptter entweder zur maestra in den Ospedali zur Ausbildung der Nachwuchsmusikerinnen ernannt oder sie blieben figlie. Der coro bestand aus Sdngerinnen, unter denen alle vier

Stimmregister, das heiBt sowohl Sopran- und Altstimmen, als auch Tenor- und Bariton- stimmen anzutreffen waren, sowie Instrumentalistinnen, die Streich-, Blas- und Tasteninstru-

7 Im Band Arte e musica all'Ospedaletto ist beispielsweise ein Dokument mit der Uberschrift ,,Dal testamento del libraio Piero Coletti in favor delle figlie del Coro" abgedruckt, in welchem Coletti den Singerinnen Almosen im Wert von je 200 Dukaten und der ,,Lauretta Cantora" 100 Dukaten hinterlisst ,,ftem lascio alle Cantore dell'Hospedal di san Gio. e Paolo per I'amor di Dio, et per I'affetione che Ii porto per averle sentite A cantar tutte le feste d'anni doi con molto gusto, [...] ducati dusento [...] Item lascio a Lauretta Cantora di detto Loco ducati cento quali li lascio per I'amor di Dio, et per affetione a lei pigliata per ii suo cantar, che tra tutte quelle pio mi piaceva [...],,: Arte e musica all'Ospedaletto, S. 109.

8 Vgl. Helen GEYER, ,,Die venezianischen Konservatorien".

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mente zu spielen verstanden. Die Qualitit undVirtuositit der Musik muss so hervorragend gewesen sein, dass zahlreiche Berichte der Reisenden in Venedig, wie beispielsweise die Jean Jacques Rousseaus, Johann Wolfgang von Goethes, Charles Burneys sowie Charles de Brosses' immer wieder die figlie del coro und die faszinierenden gesanglichen Fihigkeiten priesen und sie damit von der niedrigsten sozialen Rangstufe verarmter Waisenkinder zu europaweit bekannten Musikerinnen machten. Solche Werturteile wurden nur in

vereinzelten Fillen auch Ober Opernsingerinnen abgegeben, so dass man annehmen muss, die virtuosen Kapazitdten der Waisenkinder hitten eine auBergew6hnliche Professionalitit zur Schau getragen. Dagegen glich die intensive musikalische Ausbildung aber keinesfalls der Laufbahn einer Opemsingerin, sondern musste als Dienstpflicht in Anwesenheit der Gouverneure der einzelnen Institutionen verstanden werden. Nur in wenigen Fallen sind

Werdeginge ehemaliger figlie di coro auch auBerhalb der Ospedali, ndmlich im Theater, zu verzeichnen. Demnach stellten die Ospedali ,,anti-professionelle" Einrichtungen in diesem Sinne dar, da sie oft in einem verhiltnismdBig geschlossenen System den Etiketten der zukOnftigen Gattinnen und Nonnen dienten. Kurz: Die professionelle, intensive und strenge MusikausObung innerhalb der Institutionen, endete, laut den Regeln der Gouverneure der Ospedali, mit dem Austreten aus dem Konservatorium.

Besonders im 18. Jahrhundert galten die figlie del coro, im Gegensatz zu anderen Musikerinnen der Zeit, als duBerst privilegiert, da viele von ihnen beispielsweise die

M6glichkeit des Studiums bei Giuseppe Tartini in Padua sowie eine gesonderte und gesi- cherte Berufsausbildung erhielten. Wenn sie sich nach der zehnjihrigen Ausbildung nicht fur die Heirat entschlossen, standen ihnen die Wege innerhalb der Ospedali offen, das heiBt sie konnten zur maestra di coro und zur priora - der h6chste Dienstgrad an den Ospedali - aufsteigen und sich allenfalls zur Nonneneinkleidung entscheiden. Das Leben aber war in der Regel duBerst reglementiert. Neben Erziehung, Gebet und musikalische Unterweisung traten die langen Vorbereitungen auf liturgische Hochfeste unter derAufsicht der Maestri und Gouverneure. Die anderen Midchen, die ,,figlie operarie", mussten in den Krankenzimmern, in der Wischerei oder Spinnstube arbeiten sowie die tiglichen Reinigungsarbeiten vornehmen. Einmal verheiratet, was frihestens nach zehn Jahren und nach der Ausbildung von zwei neuen Nachwuchssingerinnen m6glich war, verbot man ihnen im Theater oder sonstigen bffentlichen Stitten ihre virtuosen Leistungen darzubieten. Es ist allerdings bekannt, dass derartige Regelungen nicht immer eingehalten wurden.9

9 Belege gibt es beispielsweise fur die Singerin Silvia di Bologna, die 1719 in Livorno die Rolle des Claudio Papirio in Lucio Papirio und die des Leone in II Tamerlano ubernahm. Maria Candida sang in Rio Di Janeiro im II gran califfo di Bagdad den Gesia. Das Jahr der Auff'ihrung ist unbekannt. Eines der Paradebeispiele ist die Sangerin Adriana oder Andrianna, die ab 1785 signifikanterweise in London ihre Opemkarriere begann und bis 1799 in 27 Opern sang. Sie wurde unter dem Namen ,,la Ferrarese" gefeiert. Andere Namen sind Cecilia Giuliani oder Cecilia Gavardini u.s.w. Vgl. Claudio SARTORI, I libretti italiani a stampa dalle origini al 1800, 7 Bde., Cuneo, Bertola & Locatelli Editore, 1990-94,VII.

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In diesem Zusammenhang stellten die venezianischen Ospedali doch einen betracht- lichen Unterschied zu den neapolitanischen Knabenkonservatorien dar, denn die Jungen wurden im Gesang, in der Instrumentalpraxis und im Kontrapunkt unterwiesen, um dann schnellstm6glichst auf dem internationalen Musikmarkt ihre Karriere zu beginnen.Vor allem ab dem Jahre 1740 sollten einige Komponisten, die eben aus der neapolitanischen Schule

hervorgingen, an der musikalischen Ausbildung der figlie del coro in Venedig teilhaben. Die

Anstellung als maestro di coro in diesen Institutionen wurde meist fur eine parallele oder

zukOnftige Karriere im Bereich der Oper genutzt. Es Ilsst sich feststellen, dass alle maestri der Frauenkonservatorien bis ca. 1740 venezianischer Herkunft waren oder zumindest in

Venedig ausgebildet wurden.'0 Hing beispielsweise die vorldufige Ablehnung eines hoch

begabten Nicola Porpora - der dann mehrmals und an verschiedenen Ospedali angestellt wurde - mit dem Skrupel der Lagunenstadt zusammen, die von auswdrts kommenden

Komponisten einzustellen? Denn es wurde, auch im Zusammenhang mit dem veneziani- schen Kongress und besonders von Jolando Scarpa nachgewiesen, dass die Neapolitaner erst mit dem allmahlichenVerfall der,,buona maniera" um sp~testens 1740 ihren Einzug in die venezianischen Ospedali hielten." So 6ffneten sich den hdufig aus Neapel stammenden Komponisten, deren Namen schon oft in der Opernwelt bekannt waren, die Wege in die Frauenkonservatorien: Man denke dabei zum Beispiel an Johann Adolf Hasse, Niccol6 Jom- melli,Tommaso Traetta, Domenico Cimarosa und viele andere. Der Verfall der ,,maniera", das Problem der stilistischen Modernit~t, die Dekadenz des coro sowie die Musik des alten Pollarolo junior, die keinen Gefallen mehr fand,'2 fOhrten zu einer sowohl ideologischen, als auch isthetischen Krise im kLnstlerischen Bereich der Ospedali. Immer mehr tendierte man dazu in RichtungTheater und Oper zu blicken - und auch hier zeichnete sich begin- nend mit den 1720er-Jahren ein Wandel ab."3

So war das Phinomen der Ospedali nicht nur an die sozialen Vorteile, sondern auch an verschiedenartigste Probleme gebunden: einerseits im Bereich der Verwaltung und

10 So wurde 1733 selbst Nicola Porpora - durch seine Gesangsschule erlangte er europaweiten Ruhm - wel- cher sich auf eine Anstellung als maestro di cappella im San Marco beworben hatte, zuriickgewiesen. Statt dessen blieb die Stelle vakant und wurde erst 1736 durch Antonio Lotti neubesetzt.Vgl. Francesco CAFFI, Storia della musica sacra nella gia cappella ducale di San Marco in Venezia dal 1318 al 1797,

2 Bde.,Venedig, G.Antonelli Editore, 1854-1855, 1, S. 346.

II Vgl. Jolando SCARPA,,,Una dinastia di napoletani all'Ospedaletto", Musica agli Ospedali veneziani. 12 Vgl.Arte e musica al'Ospedaletto, S. 114-15. 13 Die Neapolitaner und deren Opernstil breiteten sich zunehmend auf den BOihnen Venedigs aus, um

den nunmehr alten traditionell-venezianischen Geschmack, welcher weder erneuert, noch der neuen ,,maniera", beispielsweise in der Gesangspraxis, angepasst wurde, zu (Oberwinden. Vgl. Reinhard STROHM, ,,The Neapolitans in Venice", ders., Dramma per musica. Italian Opera Seria of the Eighteenth Century, New Haven und London,Yale University Press, 1997, S. 61-80. Nur wenige Jahre spdter (1744) beschlossen die

Deputierten des Ospedaletto die Situation durch die Einstellung des ber(Thmten maestro Porpora, der bereits 1742-44 den musikalischen Stil der Pieta und 1726-33 bzw. 1737-38 den der Incurabili mit Pro- fessionalitdt reformierte, zu verbessern. Der neue maestro wurde von den figlie del coro, welche die Musik des Antonio Pollarolo nicht Ianger akzeptieren wollten, gefordert.Vgl. Arte e musica aol'Ospedaletto, S. 119.

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der Erziehung, andererseits im Bereich der kinstlerischen Ausbildung, was sowohl die Organisation jeglichen Unterrichtes, als auch die Spezifika der mehr oder weniger modernen stilistischen Wahl eines jeden Ospedales betraf. Diese Entscheidung mag, in Anbetracht der stets vorhandenen Konkurrenz unter den vier Ospedali, nicht nur die 1740er-Jahre betrof- fen haben, von denen man sicher sagen kann, die Musik an den musikalischen Institutionen habe sich stilistisch oft stark voneinander abgehoben, was nicht zuletzt am Angebot der Auff'hrungen, ihren Tendenzen und Geschmacksrichtungen abzulesen war

Wie war es aber m6glich, dass Waisenkinder, die von Grund auf keine musikalische Bildung mitbrachten, zu derart begehrten Sangerinnen und Instrumentalistinnen wurden? Inwie- fern waren bestimmte Unterrichtsmethoden der diversen maestri dabei von Bedeutung oder wie konnten die Komponisten, welche eine groBe Anzahl von Motetten, Psalmen, Antifonen oder auch Oratorien zu liefern hatten, die ungeheuerliche Wirksamkeit der Musik beeinflussen? Nahmen die Oratorien-, Motetten- und Psalmvertonungen etwa die Entwicklung der Oper voraus, das heiBt lag deren musikgeschichtliche Bedeutung vor allem im Experimentiercharakter der Vokalmusik?'4 Diesen Fragen wurde unter anderem im Verlauf der venezianischen Tagung unter mehreren Gesichtpunkten besondere Aufmerk- samkeit geschenkt, und es konnte mehrfach wiederholt und speziell im Vergleich sakraler und profaner Kunstformen, wie beispielsweise in der Gegeniberstellung von Oratorium und Oper oder Motetten- und Opernarie, festgestellt werden, dass die Musik an den Ospedali eine kompliziertere Kunstfertigkeit aufwies. Diese Tatsache und die Bedeutung, welche dieser Musik zukam, kann als neues Fundament fir die Musikforschung auf diesem Gebiet gelten.

Die Frauenkonservatorien, die im 16. Jahrhundert als Andachtsform und Zufluchtsort fir Kranke entstanden waren, im 17.Jahrhundert vornehmlich fur die Erziehung derWaisenkin- der genutzt wurden und nach und nach zu einer der grbBten musikalischen Schulformen Europas mit sozialer Rangordnung der figlie del coro und den ersten Anstellungen der Lehrer heranwuchsen, wurden im 18. Jahrhundert zu einem, den Opernbetrieben ver- gleichbaren, Konkurrenzkampf der cori und der renommiertesten Komponisten Italiens. Die Erscheinung der Ospedali und deren Entwicklung gehbrt, wie aus diesem kurzen Einblick deutlich wurde, zu den interessantesten und umfassendsten Themengebieten, maB- geblich der Musikgeschichte und stellt daher die vielfaltigsten Recherchembglichkeiten und Ansatzpunkte zurVerfOgung. Neben dem sozial-historischen Phanomen, besteht vor allem auf dem Gebiet der Musikgeschichte die Notwendigkeit, sich mit der Problematik bestimmter Fragestellungen auseinanderzusetzen, welche einerseits die Biographien der an den Konservatorien titigen Komponisten bzw. maestri und den auszubilden- den SchOlerinnen betreffen. Andererseits wire ein noch verstarktes Interesse und die

14 Helen GEYER, DOS venezionische Oratorium; dies.,,,Die venezianischen Konservatorien".

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Vertiefung der Studien besonders auf dem Gebiet der vokalen Gattungen, das heiBt der vokalen Kirchenmusik, welche an den Konservatorien gepflegt wurden - v. a. Oratorium's, marianische Antiphonen, Psalmvertonungen und Motetten'6 - wOnschenswert.

FOr Fragestellungen dieserArt m~issen hauptsichlich die musikalischen Quellen, die zumeist nur und wenn Oberhaupt - denn viele Ospedali-Partituren gingen groBteils durch die politi- schen Wirren verloren - in handschriftlicher Form zugdnglich sind, herangezogen werden.'7 Jene, die venezianischen Ospedali betreffenden Dokumente sind sehr aufschlussreich und besonders relevant fir die Rekonstruktion des kulturellen und sozialen Lebens. Sie geben allerdings wenig AufschlOsse zu den einzelnen Komponisten und den, fur die Ospedali angefertigten Kompositionen. DiesbezLglich wurden bereits Recherchearbeiten in den Archiven Venedigs und speziell im Archivio di Stato - das Ospedale della Pieta betref- fend - und in den Istituzioni di Ricovero e di Educazione - bez0glich des Ospedaletto und Ospedale dei Mendicanti - in den 70er-Jahren geleistet und stellen gewissermaBen einen Grundstein der Forschung auf diesem Gebiet dar.'8 Die Kataloge ,,Arte e musica

all'Ospedaletto" sowie ,,Vivaldi e I'ambiente musicale veneziano" liefern das Ergebnis intensiver historisch-soziologischer Recherchen, welche die Fakten musikhistorischen Interesses mit den historisch-soziologischen Obliegenheiten verbinden.

Die ersten historischen Auskinfte Oiber die Frauenkonservatorien lieferten der Musikhistoriker Francesco Caffi sowie Emmanuele Antonio Cicogna.'9 Beide, Caffi

15 Denis und Elsie ARNOLD, The Oratorio in Venice; Maria GIRARDI,,,Per una definizione delle origini dell'oratorio a Venezia e i libretti per oratorio di Bernardo Sandrinelli", Rivista internazionale di musica sacra, 13 (1992), S. 112-49; Helen GEYER, DOS venezianische Oratorium.

16 Denis ARNOLD,,,Venetian Motets and their Singers", The Musical Times, 119 (1978), S. 319-20; ders.,,,The Solo Motet in Venice (1625-1775)", Proceedings of the Royal Musical Association, 106 (1979-80), S. 56-68; ders.,,Vivaldi's Motets for Solo Voice", Vivaldi Veneziano Europeo (Studi di Musica Veneta. Quaderni vival- diani I), hrsg. von Francesco DEGRADA, Florenz, Olschki, 1780, S. 37-48; Peter CAHN, ,,Zur Tradition der Motette 'a voce sola' im 18. Jahrhundert", Die Motette. Beitraige zu ihrer Gattungsgeschichte (Neue Studien zur Musikwissenschaft 5), hrsg. von Herbert SCHNEIDER und Heinz-JOrgen WINKLER, Mainz und London, Schott, 1991, S. 269-8 1; Bertold OVER, Per la gloria di Dio.

17 Vgl. Joan Margaret WHITTEMORE, Music of the Venetian Ospedali Composers. A Thematic Catalogue, New York, Pendragon Press, 1995.

18 Vgl. Arte e musica all'Ospedaletto; L'archivio IRE. Inventario dei fondi antichi degli ospedali e Luoghi pii di Venezia und Mostra documentaria. Vivaldi e Iambiente musicale veneziano.Terzo centenario della nascita di Antonio Vivaldi (1678-1978), Ministero per i beni culturali e ambientali, Archivio di Stato di Venezia, 1978. Die Dokumente zum Ospedale della PietA wurden im Jahre 1877 unter der Sektion ,Ospedali e Luoghi Pii" in das Archivio di Stato in Venedig verlegt. Der Bestand enthilt unter anderem Notarsakten, KassenbOcher und zahlreiches Material zur Nachfolge der verschiedenen maestri und zum musikalischen Leben des coro der Pieta, der Oberwiegend nur fOr den Zeitraum von Vivaldis Anstellung in diesem Ospedale aufgearbeitet wurde. Die noch existierenden Musikinstrumente des 17. und 18. Jahrhunderts der maestri des Ospedale della Pieta befinden sich noch heute in diesem Gebiude und wurden 1994 bis 1995 in einerAusstellung dem Publikum pr-isentiert: La 50 mostra di strumenti barocchi presenta il violino Petrus Guarerius (1721) di Antonio Vivaldi e gli strumenti della sua orchestra, hrsg. von Mario PITzlANTI,Venedig, Centro di Coordinamento Culturale, 1994.

19 Francesco CAFFI, Storia della musica sacra nella gib Cappella Ducale di San Marco in Venezia dal 1318 al 1797

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mit seinem Buch zur Geschichte der Kapelle zu San Marco, und Cicogna mit den Beschreibungen zum Ospedale degli Incurabili, haben das Schrifttum hinsichtlich der Aktivitaten an den Ospedali und den dort tatigen maestri er6ffnet. Grundsitzliche Darstellungen zu dem venezianischen Phanomen lieferten in den letzten Jahren vor allem Giuseppe Ellero, Leiter der Istituzioni di Ricovero e di Educazione in Venedig, der im Hinblick auf seinen Artikel ,,Origini e sviluppo storico della musica nei quattro grandi ospedali di Venezia" zur Geschichte, zu den sozialen Funktionen der Konservatorien, als auch zur Musik am Ospedaletto arbeitete. Giovanni Morelli und Elvidio Surian gaben einen historischen Uberblick Oiber die wichtigsten musikalischen Institutionen Venedigs, angefangen beim Markusdom bis hin zu den Ospedali, nannten Musiker, die an diese Institutionen gebunden waren und erlauterten die Rolle, welche die geistliche und instrumentale Musik in der venezianischen Gesellschaft spielte?0

Speziell zu den einzelnen Ospedali, den dort tatigen Komponisten und Sangern sowie der musikalischen als auch padagogischen Organisation wurden vor allem in den 80er Jahren wichtige Erkenntnisse gewonnen.2' So wurde beispielsweise die Musik am Ospedale dei Mendicanti bis in die fr(ihen 80er-Jahre und bis zum Artikel von Denis Arnold, der damit entscheidende Neuerungen erzielte, im Gegensatz zur Musik am Ospedale della Pietd,22 wo Antonio Vivaldi titig war, kaum erforscht.23 Dies war teilweise der Tatsache geschul- det, dass die Dokumente hinsichtlich des Ospedale dei Mendicanti, die sich im Archivio di Stato in Venedig befinden, bis dahin unvollstdndig waren und erst mit der Entdeckung der fehlenden Quellen in den Istituzioni di Ricovero e di Educazione eine verstarkte Diskussion und Beurteilung der Musik an den Mendicanti m6glich wurde. Denis Arnold hat damit herausstellen k6nnen, dass die Musik am Ospedale dei Mendicanti standigen Anderungen des musikalischen Stils unterlag, und dass besonders Ferdinando Bertoni an der Entwicklung der klassischen Manier teilhatte. Einen weiteren wichtigen Beitrag leistete der Autor mit ,,Music at the ,Ospedali"', in welchem er die Geschichte der musikalischen

2 Bde.,Venedig, G. Antonelli Editore, 1854-1855; Emmanuele Antonio CICOGNA, Delle inscrizioni veneziane, 6 Bde.,Venedig 1824-1853.

20 Giovanni MORELLI und Elvidio SURIAN,,,La musica strumentale e sacra". 21 Denis ARNOLD, ,,Music at the Mendicanti in the Eighteenth Century", Music & Letters, 65 (1984), S. 345-56;

ders.,,,Musica at the Ospedali",Joumal of the Royal Musical Association, 1 3 (1988), S. 156-67; Claudia VALDER- KNECHTGES, ,,Musiker am Ospedale degl'lncurabili in Venedig 1765-1768", Die Musikforschung, 34 (1981), S. 50-56; Reinmar EMANS, ,,Die Musiker des Markusdoms in Venedig 1650-1708", Kirchenmusikolisches Jahrbuch, 65 (1982), S. 45-81; Denis STEVENS, ,,Musicans in 18th-Century Venice", Early Music, 20 (1992), S. 402-408 und Giancarlo ROSTIROLLA, ,,Lorganizzazione musicale nell'Ospedale Veneziano della Pieta al tempo di Vivaldi", Nuova rivista musicale italiana, 13, I (1979), S. 168-95.

22 Vgl. zum Beispiel Francesco DEGRADA, ,,Un'inedita testimonianza settecentesca sull'Ospedale della Pieta", II convegno musicale, I (1964), S. 237-55.

23 Erst spiter wurde dieses Thema wiederholt aufgegriffen: Gastone Vio, ,,l maestri di coro dei Mendicanti e la Cappella Marciana", Galuppiana 1985: Studi e ricerche.Atti del convegno internazionale, hrsg. von Maria Teresa MURARO und Franco Rossi, Florenz, Olschki, 1986, S. 95-1 I I.

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Erziehung bzw. die padagogischen MaBnahmen sowie die Auffluhrungen der figlie del coro an den Ospedali vom 16. bis zum 18. Jahrhundert nachvollzog und diesbezoglich den Einfluss besonders der Oper und des Oratoriums auf die Musik an den Ospedali bemerkte.Auch zum Ospedale degl'lncurabili wurden bereits interessante Dokumente im Staatsarchiv zu Venedig gefunden. ClaudiaValder-Knechtges arbeitete diesbez0glich zu den

biografischen Daten der in den Quellen genannten Musiker wdhrend der Abwesenheit Baldassare Galuppis - maestro di musica an den Incurabili - in den Jahren 1765-1768. Die Direktorenstelle wurde von Giovanni Francesco Brusa belegt. Nach dessen Tod 1768 war Vincenzo Pallavicini als Komponist an den Incurabili titig und hatte fOr die

Nachfolge Brusas zu sorgen. Andere Musiker, die ebenfalls am Ospedale titig waren und in den Dokumenten genannt werden, sind beispielsweise Andrea Luchesi (Komponist), Antonio Placca (Organist), Matteo Puppi (Violinlehrer) und Domenico Francesco Negri (Gesangslehrer). Ein mhnliches Bild von den Musikern am Markusdom gab Reinmar Emans, welcher die Organisation bzw. die Positionen der verschiedenen maestri an San Marco, die auBerdem externen Aufgaben an den Ospedali oder den Opernhdusern nachkamen, beschrieb. In dem Zusammenhang erscheint die Liste der zweihundert, zwischen 1650 und 1708 am Markusdom titigen Sdnger besonders interessant, da diese auf bestimmte Kriterien hin - zum Beispiel Stimmiagen, Einstellungszeiten, Gehalter und Renommee - untersucht wurden. Giancarlo Rostirolla hat analoge Untersuchungen hinsichtlich des

Ospedale della Pieta in Angriff genommen, indem er besonders auf die Vertr?ge, institu- tionelle Aspekte sowie die Funktionen derVerwalter, Musiker und Lehrer in den Jahren

derT-tigkeit Antonio Vivaldis an der Pieta hinwies, welche ebenfalls dem venezianischen Staatsarchiv angeh6ren und unter dem Stichwort ,,Ospedali e Luoghi Pii" zu finden sind. In einem Anhang werden auBerdem alle Instrumentalistinnen und Sangerinnen mit ihren Aufenthaltszeiten an der Pieta sowie die dazugeh6rigen Lehrer aufgefu•hrt. Ein umfassen- deres Bild gibt Rostirolla vom maestro di violoncello AntonioVandini und liefert auBerdem die Hypothese, dass Vivaldi niemals als Cellolehrer am Ospedale della Pieta angestellt war.24

Zur Thematik des Frauenchorgesangs an den venezianischen Konservatorien sind zwar

unlingst wissenschaftliche Recherchen belegt,25 aber um ein vollstdndiges Bild der Publi-

24 Vgl. zu Antonio Vivaldi: Remo GIAzoTTo, Antonio Vivaldi,Turin, EDT, 1973. Speziell zu Antonio Vandini vgl. ebd., S. 165f und 370f.

25 Gastone Vio,,,Precisazioni sui documenti della PietA in relazione alle figlie del Coro", Vivaldi Veneziano Europeo, hrsg. von Francesco DEGRADA, Florenz, Olschki, 1980, S. 101-22; Madeleine V. CONSTABLE,,,The ,Figlie del Coro': Fiction and Fact", journal of European Studies, 9 (1981), S. 111-39; dies.,,,The Venetian ,Figlie del Coro':Their Environment and Achievement", Music & Letters, 63 (1982), S. 181-212; dies.,,,The Education of the Venetian Orphans from the Sixteenth to the Eighteenth Century.

an Expression of Guillaume Postel's

Judgement of Venice as a Public Welfare State", Postello, Venezia e il suo mondo. Atti del convegno di studi, hrsg. von Marion Leathers KUNTZ, Florenz, Olschki, 1988, S. 179-202; Eleanor SELFRIDGE-FIELD, ,,Music at the PietA before Vivaldi", Early Music, 14 (1986), S. 373-86; Bernard AIKEMA und Dulcia MEIJERS, Nel regno

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kationen zu entwerfen, seien die grundlegenden, wenn auch bereits Oiberholten Ver- 6ffentlichungen, wie beispielsweise die von Sophie Drinker und Kathi Meyer[-Baer],26 genannt. Ab den 70er-Jahren setzte ein relativ kontinuierliches Schreiben Ober Frauen an den venezianischen Konservatorien ein. Manfred Rupert Thackray analysierte das musikalische Erziehungssystem und untersuchte in diesem Zusammenhang die folgenden Aspekte ndher: die Leitung der Ospedali, die Rolle dieser Institutionen in der venezia- nischen Gesellschaft, die Bedeutung der zu praktizierenden bzw. aufzufihrenden Musik sowie die Auswirkungen des intensiven venezianisch-musikalischen Klimas, den Status der Chormadchen und die Standarte des Instrumental- und Vokalunterrichtes.27 Der Autor bezog besonders Nicola Porpora, welcher von 1744 bis 1747 am Ospedaletto als maestro di musica titig war,

in seine Betrachtungen ein. David Larson beruicksichtigte in seinen Darstellungen die musikalische Ausbildung aller vier Ospedali und bot Uber- legungen zu Oratorien- und Psalmvertonungen, die ausschlieBlich fOr Frauenstimmen bzw. fuir die Frauench6re der Konservatorien geschrieben wurden.28 Sehr umfangreiche Ausfthrungen wurden ebenfalls von Jane Berdes zu den zehn Generationen der figlie del coro in der Zeitspanne von 1525 bis 1855 gegeben. Berdes ul3erte sich einerseits zur GrOndung und Entwicklung der venezianischen Ospedali und gibt andererseits ein duBerst detailliertes Bild zur musikalischen Erziehung der Maddalena Laura Lombardini Sirmen (1745-1818),29 woran Elsie Arnold wahrend des venezianischen Kongresses anknOpfte. Au3erdem wurde unlingst belegt, dass diese Frauench6re sowohl Ober Sopran- und Alt- stimmen als auch OberTenor- und Baritonstimmen verfOigten.30 Ein besonderes Interesse der Musikforschung gait bisher den StimmbOchern der Pieta und den Instrumentalistinnen. Die Stimmb0chersammlung, welche sich heute im Conservatorio di musica ,,Benedetto

dei poveri; Helen GEYER-KIEFL, ,,Die venezianischen Frauenkonservatorien und ihre actiones sacres - Ein Spiegel eigenen Selbstverstindnisses im nachmetastasianischen Spannungsfeld", Emanzipiert und doch nicht gleichberechtigt? (Schriftenreihe der Universitit Regensburg 18), Regensburg, Mittelbayerische Druckerei und Verlags-Gesellschaft, 1991, S. 239-54.

26 Kathi MEYER[-BAER], Der chorische Gesang der Frauen mit besonderer Bezugnahme seiner Betdtigung auf geist- lichem Gebiet, Leipzig, Breitkopf und Hdrtel, 1917; Sophie DRINKER, Music and Women. The Story of Women in their Relation to Music, NewYork, Coward-McCann, 1948.

27 Manfred RUPERT THACKRAY,,,Music Education in 18th-Century Italy. the Background to Porpora's Qui habitat",

Studies in Music, 9 (1975), 28 David LARSON,,,Women and Song in Eighteenth-Century Venice: Choral Music at the Four Conservatories

for Girls", The Choral journal, 18 (1977), S. 15-24. 29 Jane L. BERDES, ,,The Women Musicians of Venice", Eighteenth-Century Women and the Arts, hrsg. von Fre-

derick M. KEENER und Susan E. LORSCH, Westport, Greenwood 1988, S. 153-62; dies., Women Musicians of Venice: Musical Foundations, 1525-1855 (Oxford Monographs on Music), Oxford University Press, New York 1993; dies., The Violin Concertos, Opp. 2 and 3, by Maddalena Lombardini Sirmen, Phil. D. diss., University of Maryland 1979; dies.,,,L'ultima allieva diTartini: Maddalena Lomnardini Sirmen", Tartini: il tempo e le opere, hrsg. von Andrea BOMBI und Maria Nevilla MASSARO, Bologna, II Mulino, 1994, S. 213-25; Marion M. SCOTT, ,,Maddalena Lombardini, Madame Sirmen", Music & Letters, 14 (1939), S. 149-63.

30 Joan Margaret WHITTEMORE, Revision of Music Performed at the Venetian Ospedali in the Eighteenth Century, Phil. D. diss., Urbana, University of Illinois, 1986; dies.,,,The Revision Repertoire of the Ospedali Veneziani", The Choral journal, 34 (1994), S. 9-13.

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Marcello" - Fondo Esposti - in Venedig befindet, geh6ren zum Bestand der Musikalien, welche die figlie del coro vor allem im 18.Jahrhundert fOr die Auff'Ohrung der (Solo-)Kon- zerte benutzten. Heute existieren noch die StimmbOcher einiger hundert Werke. Diese sind von den jeweils zwei Kopistinnen eines jeden Ospedale kopiert und namentlichen Instrumentalistinnen zugedacht worden. Michael Talbot gab nicht nur diesbezoglich,' son- dern mit seiner ersch6pfenden Vivaldi-Forschung und Quellenarbeit eine Grundlage fOr weitere Recherchen.32 So hat beispielsweise Faun StacyTanenbaum in den Musikalien des

Ospedale della Pieta weitere neun ,,partbooks" Vivaldis entdeckt, die alle dessen Initialien tragen sowie teils die Instrumentalistin mit ihrem Namen angeben (z. B. Concerto per Sig:r Chiareta D:V:) und teils die Besetzungsangaben liefern (z. B. Concerto in 2 Cori Con 2

Organi obligatti D:V:).AuBerdem hatTanenbaum eine Hornstimme des Konzertes RV 588 identifizieren k6nnen. Da aber die Originalpartitur des Konzertes keine Hornstimme auf- weist, hielt es Tanenbaum fOr m6glich, dass das Konzert nach Vivaldis Tod mit Anderungen in der Instrumentalisierung revidiert wurde.33 Eine besondere Stellung in der Forschung nahm in diesem Zusammenhang die damals europaweit bekannte Violinvirtuosin Anna Maria della Pieta (ca. 1689-1750) ein.34

Die wissenschaftliche Literatur zur Musik an den vier venezianischen Ospedali ist, auBer den hier genannten Arbeiten, in Anbetracht ihrer langen und musikhistorisch bemerkenswerten Tradition gewiss nicht zufriedenstellend. Besonders bei musikhistorischen Betrachtungen wire es zum einen von immenser Bedeutung sich den Charakteristiken des musikalischen Stils der Vertonungen zuzuwenden, welcher durch die konkurrierende Haltung und den

schirfsten Wettstreit der vier cori, au3erst differenziert war. Zum anderen hat es sich auch

wihrend des Symposiums als lohnend erwiesen, vor allem sakrale Vokalkompositionen, wie

31 Michael TALBOT,,,AVivaldi Discovery at the Conservatorio Benedetto Marcello", Informazione e studi vivaldi- ani, 3 (1982), S. 3-1 I.

32 Michael TALBOT,,,Vivaldi'sVenice", The Musical Times, 119 (1978), S. 314-19; ders.,,,The Serenata in Eighteenth- Century Venice", R.M.A. Research Chronicle, 18 (1982) S. 1-50; ders.,,,Vivaldis Sacred Vocal Music:TheThree Periods", Nuovi Studi vivaldiani. Edizione e cronologia critica delle opere (Studi di musica veneta. Quaderni vivaldiani 4), 2 Bde., hrsg. von Antonio Fanna und Giovanni Morelli, Florenz, Olschki, 1988, Bd. II, S. 759-69; ders.,,,Tenors and Basses at the Venetian Ospedali", Acta Musicologica, 66, 1994, S. 123-138, ders.,,,New light on Vivaldi's Stabat Mater", Informazioni e studi vivaldiani, 13 (1992), S. 23-36; ders.,,A New Area for the New Critical Edition ofVivaldi's Works:The Introduzioni and Motets for Solo Voice", Nuovi Studi vivaldiani, I, S. 387-97 u. a.

33 Faun Stacy TANENBAUM, ,,The Pieta Partbooks and More Vivaldi", Informazione e studi vivaldiani, 8 (1987), S. 7-1 I; ders.,,,The PietA Partbooks - Continued", Informazione e studi vivaldiani, 9 (1988), S. 5-12; ders., The Partbook Collection from the Ospedale della Pietb and the Sacred Music of Giovanni Porta, Phil. D. diss., University of NewYork, 1993. Tanenbaum bespricht die reichhaltige Sammlung der sakralen Vokalmusik der Komponisten Giovanni Porta, Andrea Bemasconi, Gaetano Latilla und Bonaventura Furlanetto. Unter den hier

zusammengestellten Werken befinden sich bisher unbekannte oder sogar verloren geglaubte Kompositionen, wie beispielsweise einige Konzerte Vivaldis. Der Autor widmete sich dann vor allem den Werken Portas, welcher von 1726 bis 1737 am Ospedale della Pieta das Amt des maestro di coro innehatte.

34 Jane BALDAUF-BERDES, ,,Anna Maria della PietaThe Women Musician ofVenice Personified", Cecilia Reclaimed: Feminist Perspectives on Gender and Music, Urbana, University of Illinois, 1994, S. 134-55.

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Oratorium und Motette, welche ihr ,,Pendant" in der profanen Musik fanden, etwa Oper und Kantate, miteinander zu vergleichen, um dahingehend gewisse Tendenzen festhalten zu k6nnen, die den Experimentiercharakter der Musik an den Konservatorien erklaren. Diesbez0glich kann nicht nur Antonio Vivaldi, maestro di violino und ein Hauptvertreter der an den Ospedali titigen Komponisten, im Zentrum der wissenschaftlichen Forschung stehen, sondern ebenfalls die zahlreichen bedeutenden Musiker wie Giovanni Legrenzi,35 Francesco Gasparini,36 Johann Adolf Hasse,37 Nicola Porpora,38 Niccol6 Jommelli,39 Baldassarre Galuppi,40 Antonio Sacchini,4' Tommaso Traetta, Pasquale Anfossi,42 Domenico

35 John Alexander MAC DONALD, The Sacred Vocal Music of Giovanni Legrenzi, 2 Bde., Phil. D. diss., University of Michigan, 1964; Reinmar Emans, Die einstimmigen Kantaten, Canzonetten und Serenaden Giovanni Legrenzis, Phil. D. diss., Universitit Bonn, 1984.

36 Francesco Gasparini wurde bis heute allein unter dem Aspekt seines Opemschaffens, nicht aber hinsichtlich der Titigkeit am Ospedale della Pieti,

bernjcktsichtigt. Zu den Gasparini betreffenden und noch vorhandenen

Dokumenten vgl.: Giancarlo ROSTIROLLA,,,II periodo veneziano di Francesco Gasparini (con particolare riguardo alla sua attivitA presso I'Ospedale della Pieta", Francesco Gasparini (1661-1727), Atti del primo convegno intemazionale (Camaiore, 29 settembre - I ottobre 1978), hrsg. von Fabrizio della Seta und Franco Pipemo, Florenz, Olschki, 1981, S. 85-118. Der Artikel basiert vor allem auf Quellenmaterial des Archivio di Stato di Venezia. Die Dokumente reichen von Gasparinis Ankunft in Venedig 1701 bis zu seiner Abreise im Jahre 1713.

37 Sven HANSELL, The Solo Cantatas, Motets andAntiphons ofJ.A. Hasse, Phil. diss., University of Illinois, 1966; ders., ,,Sacred Music at the 'Incurabili' in Venice at the Time of J. A. Hasse", oumal of the American Musicological Society, 23/2,3 (1970), S. 282-301,505-21.

38 Ebd.; Robert LAWTON HARRIS, Music for Womens Chorus From the Venetian Ospedali by Nicola Porpora: The British Museum Manuscripts, Phil. D. diss., University of Washington, 1979;William Michael HIENZ, The Psalm Settings of Nicola Porpora (1686-1768), Phil. D. diss., University of Illinois, 1980; Everett LAVERN SUTTON, The Solo Vocal Works of Nicola Porpora: an Annotated Thematic Index, Phil. D. diss., University of Minnesota, 1974; Frank WALKER,,,A Chronology of the Life and Works of Nicola Porpora", Italian Studies, 6 (1951), S. 29-62.

39 Wolfgang HOCHSTEIN, Die Kirchenmusik von Niccol6 jommelli (1714-1774) unter besonderer BerOcksichtigung der liturgisch gebundenen Kompositionen (Studie zur Musikwissenschaft 1), 2 Bde., Hildesheim und Z(Orich, Olms, 1984.

40 Helen GEYER-KIEFL,,,Le opere sacre di Baldassarre Galuppi nel tempo del suo servizio agli Incurabili", Galuppiana 1985: Studi e ricerche. Atti del convegno internazionale, hrsg. von MariaTeresa Muraro und Franco Rossi, Florenz, Olschki, 1986, S. 203-23.

41 Sacchini geh6rt zu den gefeiertsten Opernkomponisten besonders in den Jahren 1760 bis 1780. AuBer der weltlichen Gattung hinterlieB er ein umfangreiches Corpus sakraler Kompositionen, welche ver- schiedene Genres (Oratorium, Solomotette und Antiphonen) einschlieBen und bisher kaum untersucht wurden. Wichtige Beitrige zu Sacchini hat Wolfgang Hochstein geleistet: Wolfgang HOCHSTEIN, ,,Musik am Ospedaletto zu Venedig zur Zeit von Antonio Sacchini: Ein Beitrag zum 200.Todesjahr des Komponisten", Die Musikforschung, 40 (1987), S. 320-37; ders.,,,Antonio Sacchini als Kirchenkomponist", Musica sacra, 107 (1987), S. 90-98. Der Autor schilderte das musikalische Leben am Ospedale dei Derelitti und machte anhand der noch existierenden musikalischen Quellen die Rekonstruktion der Auff6hrungspraxis um 1770 im Ospedaletto m6glich. AuBerdem wurde festgestellt, dass einige der Kompositionen Sacchinis Beispiele ausgereifter Klassizitit sind und dem Stil Mozarts sehr nahe stehen.

42 Denis ARNOLD, ,,Pasquale Anfossi's Motets for the Ospedaletto in Venice", Ars musica, musica scientia: Festschrift Heinrich Hischen zum 60. Geburtstag (Beitrige zur rheinischen Musikgeschichte 126), hrsg. von DetlefAltenburg, K61ln, Verlag der Arbeitsgemeinschaft fdr rheinische Musikgeschichte, 1980, S. 17-21; Helen GEYER, ,,Osservazioni sulla Betulia di Pasquale Anfossi", Mozart, Padova e la Betulia liberata. Committenza, interpretazione e fortuna delle azioni sacre metastasiane nel '700, hrsg. von Paolo Pinamonti, Florenz, Olschki, 1991, S. 123-44;Wolfgang OSTHOFF,,,Pasquale Anfossi maestro d'oratorio nello spirito del dramma metasta- siano", Metastasio e il mondo musicale, hrsg. von Maria Teresa Muraro, Florenz, Olschki, 1985, S. 275-313.

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Page 17: Anmerkungen zur Musik an den venezianischen Ospedali im 17. und 18. Jahrhundert

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Cimarosa, Simon Mayr43, Ferdinando Bertoni44 u. a. Die hier genannten Komponisten sind, neben den zahlreichen anderen, fuir spezielle Ausbildungsbereiche verpflichtete maestri, nur

einige, denen in der Musikforschung bisher wenig Beachtung geschenkt wurde.Aber gerade hier k6nnten neue Erkenntnisse gewonnen werden:Viele dieser maestri versprechen einer- seits mit ihren fir die Ospedali geschaffenen Werken den modemsten Kompositionsstil sowie interessante Neuerungen und beschrinkten andererseits ihre Karriere nicht nur auf die Anstellung in den Ospedali, sondern nutzten diese vielmehr als Start bzw. Chance fir eine parallele, zukOnftige und fir die damalige Zeit bedeutendere Opemkarriere. Und das hieBe m6glicherweise, dass sie ihre Kompositionen fir die Ospedali tatsichlich als Werke mit einem gewissen Experimentiercharakter betrachteten.

Die in den letzten Jahren komplexeste Arbeit zur solistischen Kirchenmusik wurde von Berthold Over vorgelegt.45 In seinem Buch auBerte er sich umfassend zu den Ospedali auch hinsichtlich der Kirchenfeste und des Kirchenschmuckes. Historische Daten, organi- satorische Strukturen sowie die

Ursprinnge und die Entwicklung der Musik werden mit

Archivmaterial belegt. In erster Linie behandelt Over aber die umstrittene Terminologie der Solomotette und der marianischen Antiphon, deren liturgische Verwendungsm6g- lichkeiten sowie das entsprechende Repertoire der Ospedali. Er erliutert zunichst die Form der handschriftlichen und gedruckten Libretti, Druckkosten und -auflagen, greift dann die Motettentexte und ihre Bildlichkeit als ,,Theatrum mundi" auf und untersucht diese auf Unterschiede und Gemeinsamkeiten mit den Oratorientexten.Trotz der zahl- reichen Libretto- und Kompositionsverzeichnisse, vermisst der Leser Notenbeispiele, die den Gegenstand der Arbeit, ndmlich die ,,solistischen Vertonungen" von Motetten und

Antiphonen, niher bringen wirden.

Ansatzpunkte fOr eine stilistische Analyse der Kompositionen lieferten im Hinblick auf die Solomotette, als eine der Hauptgattungen der Musik an den Ospedali, unlingst Laura

Rushing-Raynes, Denis Arnold und Pier Giuseppe Gillio.46 Einerseits stellte Laura Rushing-

43 11 fondo musicale Mayr della Biblioteca Civica di Bergamo nel secondo centenario della nascita di Giovanni Simon Mayr (1763-1963) (Monumenta Bergomensia II), hrsg. von Arrigo Gazzaniga, Bergamo, Edizioni Monumenta Bergomensia, 1963.

44 Sven HANSELL, ,,Sacred Music at the 'Incurabili' in Venice at the Time of J. A. Hasse". 45 Berthold OVER, Per la Gloria di Dio. Solistische Kirchenmusik an den venezianischen Ospedali im 18.Jahrhundert 46 Denis ARNOLD,,,Vivaldi's Motets for Solo Voice", Vivaldi veneziano europeo (Studi di musica veneta. Quaderni

vivaldiani I), hrsg. von Francesco DEGRADA, Florenz, Olschki, 1980, S. 37-48; Laura RUSHING-RAYNES, A History of the Venetioan sacred solo motet (c. 1610-1720), Phil. D. diss., University of Arizona, 1991; Pier Giuseppe GILLIO,,,Saggio bibliografico sui libretti di mottetti pubblicati dagli ospedali di Venezia (1746-1792)", Rivista internazionale di musica sacra, 14 (1993), S. 1 18-91; ders., ,,II mottetto per voce sola nella produzione di Antonio Vivaldi", Rivista internazionale di musica sacra, 6 (1985), S. 137-96; ders.,,,ll motetto a voce sola: un Oratorio in miniatura", Nuovi studi vivaldiani. Edizioni e cronologia critica delle opere (Studi di musica veneta. Quaderni vivaldiani 4), 2 Bde., hrsg. von Antonio FANNA und Giovanni MORELLI, I, S. 501-10; Helmut HUCKE, ,,Vivaldi und die vokale Kirchenmusik des Settecento", Antonio Vivaldi. Teatro musicale, cultura e societb (Studi di musica veneta. Quaderni vivaldiani 2), 2 Bde., hrsg. von Lorenzo BIANCONI und Giovanni MORELLI, I, Florenz, Olschki, 1982, S. 191-206.

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Anmerkungen zur Musik an den venezianischen Ospedali 93

RaynesTendenzen in der Kirchenmusik und speziell in der sakralen Solovokalmusik im 17. Jahrhundert heraus, welche den stile concertato in den Vordergrund rijckten. Die vene- zianischen Komponisten applizierten diese Form des Konzertierens49 besonders auf die Solomotette und stellten zunehmend die Virtuositit der Gesangsstimme, welche in den Solomotetten Vivaldis kulminierte, in das Zentrum der Komposition. Die Autorin zeigt auBerdem eine Entwicklung der Solomotette in Venedig von Francesco Grandi bis hin zu Antonio Vivaldi auf. Pier Giuseppe Gillio untersucht dagegen die verschiedensten Libret- tosammlungen, die meist den Titel Modulamina, Carmina oder Rhythmi sacri tragen und ab 1746 in Venedig publiziert wurden. Die Sammlungen enthalten die Texte der Solomotet- ten, welche komponiert wurden, um in die Messe oder die Vesper eingefugt zu werden. AuBerdem analysierte Gillio in seinem Artikel ,,II mottetto per voce sola" zw6lf Motetten AntonioVivaldis (RV 423-634) bez0glich desTextes. Einige von den Solomotetten schrieb Vivaldi in der Interregnum-Phase der maestri di coro Francesco Gasparini (1713) und der Wahl dessen Nachfolgers Carlo Pietro Grua (1715), bevor er selbst zum maestro dei concerti des Ospedale della Pieta ernannt wurde. Magda Marx-Weber untersuchte die vielen Miserere-Vertonungen und deren Kompositionsprinzipien, die von Komponisten wie Hasse, Bertoni, Furlanetto und anderen fOr die Ospedali geschrieben wurden.48 Sie vergleicht deren Kompositionsmethode mit der der im Norden ansissigen Komponi- sten Giovanni Battista Martin und Stanislao Mattei und der deutscher Meister Wichtige Arbeiten zu dramaturgischen Gesichtspunkten des Oratoriums an den venezianischen Frauenkonservatorien lieferte Helen Geyer.49 Einerseits hat die Autorin herausgestellt, dass die Rollenfacher der weiblichen Charaktere in den Oratorien oft der ,,Spiegel des

Selbstverstindnisses" eines jeden Ospedale waren. Andererseits haben sich die Analysen der Sterbeszene im Oratorium des 18.Jahrhunderts insofern als auBerst lohnend erwiesen, als die allmihliche Disposition dieser Szene am Ende des Oratoriums bewiesen werden konnte. Das Trauerspiel Der Tod Adams (1757) von Friedrich Gottlieb Klopstock bildete den Ausgangspunkt fOr eine realistische Todesdarstellung und deren Rezeption durch die Librettisten Gasparo Gozzi und Pietro Chiari.

Dieses breite und unersch6pfliche Themenspektrum der Musik an den Ospedali lieferte der venezianischen Tagung Problematisierungen hinsichtlich der bisher unvollstindigen Biographien einzelner an den Ospedali titigen Lehrer und SchOlerinnen, den figlie del

47 Vgl. Ginther MASSENKEIL, ,,Die konzertierende Kirchenmusik", Geschichte der katholischen Kirchenmusik, 2 Bde., hrsg. von Karl Gustav FELLERER, Kassel und Basel, Birenreiter, 1976, 11, S. 92-107.

48 Magda MARX-WEBER, ,,Neapolitanische und venezianische Miserere-Vertonungen des 18. und fr~ihen 19. Jahrhunderts", Archiv fir Musikwissenschaft, 43/ 1; 2 (1986), S. 17-45; 136-63.

49 Helen GEYER-KIEFL,,,Die venezianischen Frauenkonservatorien und ihre actiones sacrae"; dies.,,,Die Sterbeszene im Oratorium des I 8.Jahrhunderts", Opernheld und Opernheldin im 18.jahrhundertcAspekte der Librettoforschung - Ein Tagungsbericht (Schriften zur Musikwissenschaft aus MOnster I), hrsg. von Klaus HORTSCHANSKY, Hamburg, Wagner, 1991, S. 195-23 1; dies., Aspetti dell'Oratorio veneziono nel tardo Settecento, (Centro Tedesco di Studi Veneziani. Quaderni 33),Venedig, 1985; dies., Das venezianische Oratorium.

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coro, sowie der Darstellung fachspezifischer Einzelfragen.AuBerdem wurde die Frage nach den Grenzen des Begriffs Kirchenmusik und in wie weit dieser Oiberhaupt auf die an den

Ospedali gepflegte Musik anwendbar ist, zur Diskussion gestellt. In diesem Zusammenhang spielte die Terminologie bestimmter Gattungen eine wichtige Rolle.

Giuseppe Ellero (Venedig) hat in seinem Begr31Bungsvortrag ,,La ricoperta della musica

degli Ospedali veneziani nel ventesimo secolo" auf das groBe Interesse am Thema, welches bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts einsetzte, hingewiesen. Er wirdigte alle wichtigen Studien auf diesem Gebiet und wies dabei in besonderem MaBe auf die Initiatoren Kathy Meyer[-Baer], Denis Arnold und Sven H. Hansell hin. Ellero betonte den auBerordentli- chen Stellenwert dieser Tagung, auch in Anbetracht seiner langen Titigkeit am Istituto di

Ricupero e Educazione (I.R.E.) und dem daraus entstehenden Interesse, die Studien der Musik und Kunst an den Ospedali anzuregen. Helen Geyer akzentuierte in ihrer EinfOhrung in die Thematik die Bedeutung der Auseinandersetzung mit diesem Thema und setzte

gleichzeitig Schwerpunkte fir die sich anschlieBende Tagung.

Die dreitigige Konferenz begann mit einer ersten Sektion, in welcher das Ospedale della Pieta im spiten 17. und friihen 18. Jahrhundert im Mittelpunkt der Betrachtungen stand. Dass trotz der intensiven Recherchen auf dem Gebiet der Stimmboicher Antonio Vivaldis noch LOicken in der Forschung vorhanden sind, hat ein weiteres Mal derVortrag Michael Talbots (Liverpool) bewiesen. Er lieferte zunichst unter dem Titel ,,Anna Maria's part- book" die neusten Erkenntnisse hinsichtlich der Biographie Anna Marias, die von den

Zeitgenossen als fihrendeViolinistinVenedigs bezeichnet wurde. Sie nahm eine besondere

Stellung auf Grund der gleichzeitigen Verpflichtungen als maestra di violino und maestra di coro in der Pieta ein.Talbot beschrieb ausfijhrlich Anna Marias Stimmbuch, das zu den

elegantesten und intaktesten geh6rt. AuBerdem erklirte er anhand zahlreicher Beispiele die Anlage dieser, Anna Maria gewidmeten, Violinkonzerte und Kadenzen, die in den meisten Fallen als Kompositionen Antonio Vivaldis identifiziert wurden. Hinsichtlich der Konzerte fOirVioline und Orgel wurde in der Diskussion von Bernhard Janz erginzt, dass die Auff0hrung in der Kirche nicht bindend war: Er wies auf die kleine tragbare Orgel hin, die den Vortrag auch auBerhalb der Kirche implizierte.Talbot erklirte weiterhin, dass die Konzerte nicht nur als musica ordinaria, sondern auch als musica straordinaria nach der Messe aufgefuhrt werden konnten und in Verbindung mit den Motetten standen.

An diese AuBerungen knOpfte der reich dokumentierte Vortrag ,,Anna Maria del violin 1696-1782" Micky Whites (Venedig) an. Die Referentin bot einen soziologisch gewichte- ten Vortrag. Als besonders interessant hat sich die anonyme Abgabe der Mddchen - oft unterschiedlichster sozialer Herkunft - im Alter von nur wenigen Tagen in der sogenannten ,,scaffetta" der PietA herausgestellt. Diese erlernten spiter nicht nur die verschiedensten

Instrumente oder den Gesang, sondern ebenso andere Gewerbe, wie beispielsweise

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Anmerkungen zur Musik an den venezianischen Ospedali 95

Krankenschwester oder Apothekerin. Die Arbeitsaufteilung der figlie am Ospedale fuhrte dazu, dass sie je nach Bedeutung differenziert wurden.

Unter dem Titel ,,Antonio Vivaldis Mottetti a voce solo: Sakrale Kantaten mit gattungsoiber- greifender Charakteristik?" verursachte Diana Blichmann (Weimar-Jena) eine Kontroverse

beztiglich der Terminologie der Solomotette Antonio Vivaldis. Einerseits wurde deutlich, dass die Feierlichkeit derVesper und der Messe in den venezianischen Ospedali zu einem ,,religi6sen VergnOigen" geworden war Andererseits wurde die Definition der Solomotette im

frnihen 18. Jahrhundert pr~izisiert und mit der Solokantate verglichen, wobei sich der Begriff der italienischen geistlichen Solokantate ergab. Deutlich wurde auch, dass nicht nur seitens der Terminologie, sondern ebenfalls in stilistischer und metaphorischer Hinsicht zwischen Motetten-, Kantaten- und Opernarie keine betr-chtlichen Unterschiede beste- hen. Weiterhin erwies sich in einer Analyse des tempesta-Arientyps eine sich erstaunlich angleichende klangsymbolische Vertonung aller drei Gattungen bei Vivaldi.

Den zweiten Themenschwerpunkt bildete das Oratorium und die Psalmvertonungen am Ospedale dei Mendicanti. Bernhard Janz (WOirzburg) lieferte mit seinem Beitrag ,,Niemand dachte damols on Geschmacksverirrung - Baldassare Galuppis Oratorium jahel" wichtige Erkenntnisse zu Galuppis altestem lateinischen Oratorium fir das Ospedale dei Mendicanti. Der Referent niherte sich methodisch von der dsthetischen Seite, besprach das Qualititsniveau, die ,,Mode" und das ,,ZeitgemiBe" in der Musik um ca. 1750 und ging dann zur Uberlieferungslage des Oratoriumsjahel (Ober. Auch an dieser Stelle ergab sich ein terminologisches Problem, da verschiedene Quellen unterschiedliche Gattungsbegriffe nutzen: Dramma sacro und Oratorio sacro. Im Folgenden analysierte Janz die musikalische Form des Oratoriums und der Da-capo-Arien. Das profane Pendant, die

Oper, wurde

immer im Blickfeld behalten, denke man beispielsweise an die in der opera seria und im Oratorium gleichen Arientypen, von denen sich Janz der Schlummer- und Rachearie Jahels Sum desperatur widmete. Die Beobachtung musikdramatischer Berechnung, die zur Erklirung der Hintergrundsituation genutzt wird, f~ihrte zum Fazit der Ernsthaftigkeit und der hohen asthetischen Qualitit in Galuppis Oratorium. Michael Talbot wies darauf hin, dass der Begriff Dramma sacro sich besonders auf den literarischen Text, der des Oratorio sacro auf die musikalische Form bezieht.

Der Vortrag zu den ,,Psalmvertonungen im Vergleich: Galuppi-Anfossi, ecc." von Helen Geyer (Weimar-Jena) lieferte auBerst interessante Ergebnisse hinsichtlich der verschieden- artigen Vertonungen des 112. Psalms Loudote pueri Dominum durch Bernasconi, Cocchi, Galuppi, Anfossi und Bertoni. Die Grundlage bildete die um 1746 einsetzenden Debatte zwischen Padre Martini - der sich gegen die Angleichung der Kirchenmusik an den Theaterstil aussprach - und Antonio Eximeno - welcher die Affektbezogenheit auch in der Kirche befirwortete - um eine angemessene Kirchenmusik und den ,buon gusto' als neue

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und geschmackvolle Art zu komponieren. In einem demonstrativen und zugleich heraus- fordernden Vergleich wurden Psalmvertonungen der genannten Autoren er6rtert. Speziell der dramatisch geartete fOinfte Vers des 1I 12 Psalms stellte sich als groBe Anforderung fior die Komponisten heraus und bot diverse kompositorische M6glichkeiten, die

rnickgreifend auf die Frage nach Kirchen- oderTheaterstil analysiert wurden. Die Referentin kam zum Ergebnis, dass ein Gleichgewicht zwischen kontrapunktischen und theatralischen Techniken nachweisbar ist.

Franco Rossi (Venedig) schenkte in seinem Beitrag ,,In margine agli Ospedali: I versetti per la vestizione" den Nonnen und der Feierlichkeit der Nonneneinkleidung, zu der speziell diesem Ereignis gewidmete Motetten gesungen und Gedichte gelesen wurden, besondere

Beachtung. Die Entscheidung der Familien die Tochter zur Heirat oder zum Eintritt in das Kloster zu bewegen, schien zu einer Lebensaufgabe der Eltern geworden zu sein, hdlt man sich vor Augen, dass in 34 Kirchen Venedigs die Nonneneinkleidung stattfinden konnte. MariaTeresa Memmo spielte in diesem Zusammenhang eine besondere Rolle.

Ein aufschlussreiches und neues Bild zur bis dato umstrittenen Biographie und Lehrtitigkeit CarloTessarinis vermittelte Paola Besutti (Lecce-Rom) in ihremVortrag ,,La didattica stru- mentale negli Ospedali veneziani: il ruolo di Carlo Tessarini". Es wurden neue biographi- sche Kenntnisse gewonnen, die Tessarinis Bestreben, eine Anstellung am Dom zu Urbino zu erlangen, widerspiegeln, wie unter anderem aus der Widmung des op. I an Kardinal Annibale Albani hervorgeht. Nicht zuletzt gab Besutti Prizisierungen zu den verschiedenen Stationen der Europareisen Tessarinis und seiner Titigkeit in den verschiedenen europa- ischen Stadten. Dessen Bedeutung im Verlagswesen und die Lehrtitigkeit an den venezia- nischen Ospedali bildeten einen zweiten Abschnitt desVortrags. Hier wurde hauptsichlich auf die didaktischen Duette des op. 2, die Gramatica di musica und das Trattenimento musicale hingewiesen und der Aufbau der Werke, der Schwierigkeitsgrad der Techniken und die Art der Didaktik erklirt.

Unter dem Titel ,,Antonio Sacchini als Oratorien- und Opernkomponist" entwickelte

Wolfgang Osthoff einen analytischen hervorragenden Vergleich zwischen der 1770 in Wien inszenierten Oper Leroe cinese und dem nur vier Monate spiter in Venedig auf-

gefuhrten Oratorium Machabaeorum Mater. Die Untersuchung basierte substanziell auf

der Frage nach der Harmonik. Herangezogen wurde jeweils ein Duett und eine Arie mit

Obereinstimmendem Tempo, Ton- und Taktart. Bei der Gegeniberstellung der Einzelsitze

zeigten sich weder Unterschiede im Stimmumfang, in derVirtuosit~t oder im Orchester, noch bei der Behandlung der Affekte. Im Detail fielen Nuancierungen auf, die eine kompli- ziertere Kunstfertigkeit im Oratorium schlussfolgern lieBen. In der Diskussion wurde darauf

hingewiesen, dass dies auch deshalb m6glich warn weil das Oratorium nicht vom Schauspiel, wie dies in der Oper unvermeidbar warn gestbrt bzw. beeinflusst wurde. Der Komponist

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Anmerkungen zur Musik an den venezianischen Ospedali 97

konnte daher seine Aufmerksamkeit auf die detaillierte Arbeit sowie die Sensibilitat der harmonischen FOhrung richten.

Jolando Scarpa (Bologna) prasentierte mit dem Thema ,,Una dinastia di napoletani all'Ospedaletto" einen an Fakten reichhaltigen Vortrag zu den Komponisten, die aus den neapolitanischen Konservatorien hervorgingen und spiter an den venezianischen Ospedali eine wichtige Stellung einnahmen. Die Invasion der Neapolitaner setzte kurz nach 1739 ein: In diesem Jahr bemerkte man eine markante Dekadenz des coro in den Ospedali, was dazu f~hrte, dass der Besuch der Konzerte zurickging. Dies mochte auch damit zusam- menhangen, dass laut der Quellen, die ,,maniera" der figlie del coro ~berholt war. Als 1744 Nicola Porpora, allerdings inoffiziell, zum maestro di coro am Ospedaletto gewahlt wurde, erfuhr der coro eine Aufwertung seiner Qualitit. Scarpa gab umfangreiche Erkldrungen zu den Hintergronden dieses Phdnomens und setzte die Liste der Neapolitaner in Venedig mit Pampani,Traetta, Anfossi und Cimarosa fort. Als einen Schwerpunkt stellte er das Jahr 1765 heraus, in dem man auf Grund der Finanzkrise in Erw~gung zog, zum canto fermo zurickzukehren, was in derTat aber nie geschah.

Die Darstellungen Anna Maria Giannuzzi Miraglias (Venedig) zum ,,Lantico ospitale della Pieta", waren auBerst informativ. Sie gaben nicht nur einen Uberblick zur Geschichte dieser Institution, sondern ebenso zur derzeitigen Situation, Funktion und zu den zahlreichen Aktivitaten der Pieta. Das groBe Interesse Miraglias, zur Zeit Direktorin der Pieta, zeigt sich in der Sanierung des Gebaudes, der Organisation von Ausstellungen oder in der Konzeption eines die glorreiche Tradition widerspiegelnden Institutes. Ihr Anliegen ist es, die Institution zu ihrem urspr?nglichen Sinne zurickzufihren.

Wolfgang Hochstein (Geesthacht) knipfte mit ,,Solomotetten an den Incurabili unter besonderer Ber?icksichtigung der Kompositionen Jommellis" an die verschiede- nen Untersuchungen zu den Mottetti a voce solo an. Auf Grund der Problematik der Zuschreibung der Motette Fuge, o misera columba, schlieBt Hochstein eine stilistisch ver- gleichende Analyse anderer Motetten Jommellis an, bei der sich der Komponist als tatsdch- licher Autor herausstellte. Auch hier klang, durch die allegorischen Inhalte, die Dramatik und Expressivitat in den da capo Arien, den Trommelbissen, Kontrastgliedem oder die Verwendung des fOr Jommelli signifikanten lombardischen Rhythmus' die Ndhe zur Oper an. In der Diskussion wies Helen Geyer auf die verlorengegangenen Werke hin, die m6gli- cherweise der Planderung durch Napoleon zum Opfer fielen und wdhrend desTransportes nach Paris abhanden kamen.

Mit auBerst aufschlussreichen biografischen Darstellungen zu Maddalena Laura Lombardini Sirmen trug Elsie Arnold (London) in ihrem Referat ,,Maddalena Lombardini Sirmen, her time at the Mendicanti and her compositions" bei. Im Mittelpunkt der Ausfihrungen

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stand das bewegte Leben der Sdngerin, Violinistin und Komponistin: Im Ospedale dei Mendicanti ausgebildet, perfektionierte Lombardini ihre Studien bei Giuseppe Tartini.Von besonderem Interesse stellten sich die Hintergriande ihrer Heirat mit Lodovico di Sirmen im Jahr 1767, die gemeinsamen erfolgreichen Konzerte in Paris und London und die spite Sangerkarriere in Dresden heraus. Arnold verwies weiterhin auf die hervorragenden Kompositionen, wie Trios, Duette, Konzerte der Maddalena Lombardini Sirmen und ins- besondere auf die Streichquartette, in denen stilistisch die Quartette Mozarts anklingen, und welche einen wichtigen Beitrag zur Musikgeschichte lieferten.

Iris Winkler stellte Simon Mayrs Wirken am Ospedale dei Mendicanti vor dem Hintergrund zeitgen6ssischer Quellen dan Anhand dreier in Venedig entstandener, ~hnlich strukturierter Solomotetten Mayrs warf sie die Frage der Zuordnung auf. Pier Giuseppe Gillio (Ivrea) schloB den Kongress mit einer Abhandlung zu den figlie del coro unter dem Titel ,,[...] alquanto adulte, ma capacissime al canto: le figlie del coro non provenienti dal ruolo delle orfane negli ospedali dei Derelitti, degli Incurabili e dei Mendicanti (1730-1778)" ab. Als

Schwerpunkt der Betrachtungen erwiesen sich die figlie, welche nicht unter der Kategorie Waisenmddchen gef0hrt wurden, sondern ebenso anderer Herkunft sein konnten. In besonderem MaBe gait diese Etikette ab ca. 1733, um eine neue Gesangspraxis einzufih- ren. Manche figlie entstammten KOnstler- oder Musikerfamilien, als ,,figlie d'arte", auch aus anderen Stadten wie Ferrara oder Mantua, und wurden im Alter von ca. 14 bis 19 Jahren den Ospedali anvertraut. Die einzige Ausnahme bildete das Ospedale della Pieta, in dem ausschlieBlich Waisenmadchen ausgebildet wurden.

Abgesehen von den intensiven Studien dieser drei Tage, wurde zusitzlich der Besuch der noch existierenden Ospedali Ospedaletto, Mendicanti und Pieta angeboten. Unter der

Fohrung von Giuseppe Ellero, Helen Geyer und Anna Maria Giannuzzi Miraglia wurde den Teilnehmem die Institutionen vor Ort vorgestellt. Besonders im Ospedaletto - dieses Ospedale ist noch heute als Casa di riposo (Altenheim) funktionstichtig - und in der Pieta war es m6glich, die architektonische Aufteilung des Gebaudes, die sozialen Einrichtungen sowie das Phanomen der bis ins spate 18. Jahrhundert gefeierten Frauenchbre zu rekonstruieren.50 Das Ospedale della Pieta verfigt Ober einen architektonisch optimal konzipierten, ovalen Kircheninnenraum, mit auf den gegeniberliegenden Seiten angefer- tigten Balkonen, so dass die Tradition der Mehrchbrigkeit hier bestens zu Geltung kam. Im

Ospedaletto wird dem Besucher durch das Nebeneinander der Kirche, des kleinen Hofes, der sala della congregazione und besonders des ebenfalls ovalen Musiksaals, 1776 mit Fresken von Agostino Mengozzi Colonna und Jacopo Guarana ausgestattet, die Mbglichkeit geboten, sich ein beinahe vollstindiges Bild einer derartigen Institution im 18.Jahrhundert

50 Ospedaletto. La solo della musica. 1776-1991,Venedig, Istituzioni di Ricovero e di Educazione, 1991.

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Anmerkungen zur Musik an den venezianischen Ospedali 99

zu machen. Der Musiksaal, welcher fiur Proben und private Konzerte bestimmt war, verf~gt Ober ein eindrucksvolles Fresko Jacopo Guaranas, welches die Allegorie der Musik zeigt. Der damalige Maestro des Ospedaletto, Pasquale Anfossi, wird inmitten seiner figlie und dem mit einem Lorbeerkranz geschmOckten Apollo auf dem Parnass dargestellt. Weder in den kunsthistorischen Untersuchungen zum Ospedaletto wurde der Ikonografie des Freskos Beachtung geschenkt, noch in denen der Musikwissenschaft ernstgenommen. Erst Wolfgang Osthoff beschiftigte sich intensiv mit der musikalischen Ikonografie dieses Freskos und berichtigte die bisher wenig exakten Beschreibungen. Er identifizierte anhand des Notenblattes, welches eines der Chormddchen in den Handen halt, dass es sich nicht um die bisher vermutete Arie Combatteremo insieme aus der Oper II Demetrio Anfossis - dieser hatte nie das dramma per musica Pietro Metastasios vertont - handelt, sondern vielmehr um die Arie Contro il destin che freme aus Anfossis Oper Antigono.5' Damit hat sich ein letztes Mal bewiesen, dass das Phanomen der Ospedali auBerst vielfaltig ist und in der Forschung nicht nur auf die Musikgeschichte beschrinkt werden kann. Im Gegenteil ware es erstrebenswert, die musikwissenschaftlichen Erkenntnisse mit anderen Fachrichtungen - beispielsweise Kunstgeschichte bzw. musikalische Ikonografie,52 Theologie, Architektur oder Soziologie - noch anschaulicher zu verbinden, um auch die Vielgestaltigkeit der Ospedali zu verdeutlichen.53

Besonders vor dem Hintergrund der venezianischen Erscheinung der Frauenkonservatorien, kam derTagung, sich mit dieser vielschichtigen Instanz auseinanderzusetzen, ein besonderes Gewicht zu. Es stellte sich heraus, dass gerade dieses Sto(ck venezianischer Musikgeschichte umfangreiche M6glichkeiten bietet, noch ausgiebig erforscht und studiert zu werden.

51 Wolfgang OsMToFF,,,Pasquale Anfossi maestro d'oratorio nello spirito del dramma metastasiano", S. 277. 52 Vgl. zum Beispiel Denis STEVENS, ,,Musicians in 18th-Century Venice", Early Music, 20 (1992), S. 402-408.

Stevens beschreibt diverse Gemilde, welche im Zusammenhang mit den Ospedali stehen.Vgl. auch Ugo STEFANUTTI,,,Gli Ospedali di Venezia nella storia e nell'arte", Atti del primo congresso italiano di storia Ospital- liera, Reggio Emilia, 14-17 giugno 1956, Reggio Emilia, Arcispedale di S. Maria Nuova, 1957, S. 702 ff.

53 Auch wenn die Musik nati(rlich im Vordergrund des Interesses steht, so ist die Komplexitit des kulturellen Phdnomens nicht zu unterschitzen, was bereits von Giuseppe Ellero und Virginio Fagotto in Zusammenhang mit dem Katalog Arte e musica all'Ospedoletto angesprochen wurde:,,Ci e dato di assistere allo svolgimento di una suggestiva teoria di Governatori benemeriti e di Deputati sopra le Figlie dell'Ospedaletto e dei Mendicanti, di architetti e pittori famosi, di compositori celebri in tutta I'Europa e di altri meno noti ma pur degni di attenzione, di maestri di coro coi loro sostituti, di maestri di maniera, di solfeggio e di suono e di Figlie del Coro virtuose di canto e di strumenti vari. Entriamo in un piccolo cosmo musicale dove operano i migliori specialisti di tutte quelle arti che concorrono alla buona riuscita di quell'invidiabile far musica" Arte e musica all'Ospedaletto, S. 18.

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