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Art. 41 OR / Widerrechtlichkeit, Sittenwidrigkeit
20. April 2011 / 1Norbert Sennhauser, lic. iur., Fürsprecher
Vorlesung am 20. April 2011 durch:
Art. 41 OR / Widerrechtlichkeit, Sittenwidrigkeit
20. April 2011 / 2Norbert Sennhauser, lic. iur., Fürsprecher
Grundtatbestand der Verschuldenshaftung
(Marginalie: A. Haftung im Allgemeinen, I. Voraussetzungen der Haftung)
Art. 41 OR:
"1 Wer einem andern widerrechtlich Schaden zufügt, sei es mit Absicht, sei es aus Fahrlässigkeit, wird ihm zum Ersatze verpflichtet.
2 Ebenso ist zum Ersatze verpflichtet, wer einem andern in einer gegendie guten Sitten verstossenden Weise absichtlich Schaden zufügt."
Art. 41 OR / Widerrechtlichkeit, Sittenwidrigkeit
20. April 2011 / 3Norbert Sennhauser, lic. iur., Fürsprecher
Übersicht über die vier Tatbestandselement von Art. 41 Abs. 1 OR
- Schaden (unfreiwillige Vermögensverminderung, Differenztheorie);
- Widerrechtlichkeit (vgl. nachfolgende Ausführungen);
- Kausalität (natürliche und adäquate Kausalität; conditio sine qua non sowie geeignet, "nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und der allgemeinen Lebenserfahrung einen Erfolg von der Art des eingetretenen herbeizuführen");
- Verschulden (Vorsatz oder Fahrlässigkeit, objektivierter Sorgfaltsmassstab, Urteilsfähigkeit).
Art. 41 OR / Widerrechtlichkeit, Sittenwidrigkeit
20. April 2011 / 4Norbert Sennhauser, lic. iur., Fürsprecher
Definition und Funktion der Widerrechtlichkeit
- Keine Definition im Gesetz, Auslegung Sache der Gerichte;
- "Der Begriff der Widerrechtlichkeit (Rechtswidrigkeit) hat die Funktion, zum Schadenersatz verpflichtendes Unrecht von hinzunehmenden Nachteilen zu unterscheiden." (Schwenzer, OR AT, 5. Auflage, Bern 2009, S. 355, N 50.04);
- Abgrenzung von Unrecht zu allgemeinem Lebensrisiko;
- Allenfalls Abdeckung nicht widerrechtlicher Schäden, mithin Schäden aus der Verwirklichung des allgemeinen Lebensrisikos, über verschiedene Versicherungen.
Art. 41 OR / Widerrechtlichkeit, Sittenwidrigkeit
20. April 2011 / 5Norbert Sennhauser, lic. iur., Fürsprecher
Theorien zur Widerrechtlichkeit
- Verschiedene Theorien zur Widerrechtlichkeit:
- objektive Widerrechtlichkeitstheorie;
- subjektive Widerrechtlichkeitstheorie ("neminem laedere", jede Schädigung widerrechtlich, ausser Rechtfertigungsgrund liege vor);
- sog. dritte Widerrechtlichkeitstheorie (Verletzung einer Schutz- oder Sorgfaltspflicht),
- in neuerer Zeit gar noch Interessentheorie als vierte Theorie;
- Objektive Widerrechtlichkeitstheorie nach BGer und h. L. massgebende Theorie, aber angesichts Theorienvielfalt nicht unumstritten.
Art. 41 OR / Widerrechtlichkeit, Sittenwidrigkeit
20. April 2011 / 6Norbert Sennhauser, lic. iur., Fürsprecher
Objektive Widerrechtlichkeitstheorie
- Verletzung absoluter Rechtsgüter (Erfolgsunrecht);
- absolute Rechte: Rechte mit Ausschluss- und Abwehrwirkung gegen jedermann (persönliche Rechte, dingliche Rechte, Immaterialgüterrechte);
- Vermögen als solches sowie relative Rechte (insbesondere etwa auch aus Verträgen) keine absolut geschützten Rechtsgüter;
- Bei reinen Vermögensschäden Verletzung einer Schutznorm (Verhaltensunrecht);
- Verletzung einer Verhaltensnorm, die bezweckt, das Vermögen des Geschädigten gegenüber Schädigungen der konkret vorliegenden Art zu schützen.
Art. 41 OR / Widerrechtlichkeit, Sittenwidrigkeit
20. April 2011 / 7Norbert Sennhauser, lic. iur., Fürsprecher
Absolute Rechtsgüter
- Persönliche Rechtsgüter: Leib und Leben, psychische und physische Integrität, persönliche Freiheit; Definition und Umfang nach Art. 28 ZGB;
- Dingliche Rechte: Eigentum, beschränkte dingliche Rechte; Definition und Umfang nach Sachenrecht;
- Immaterialgüterrechte: Urheber-, Patent-, Marken- und Designrechte, etc.; Definition und Umfang nach entsprechenden Spezialgesetzen.
Keine zusätzliche Schutznorm erforderlich, um Widerrechtlichkeit des aus einer Verletzung eines absoluten Rechtsguts resultierenden reinen Vermögensschadens zu begründen (wirtschaftliche Folge der Rechtsgutverletzung).
Art. 41 OR / Widerrechtlichkeit, Sittenwidrigkeit
20. April 2011 / 8Norbert Sennhauser, lic. iur., Fürsprecher
Schutznormen
- Norm muss insbesondere auch Schutz individueller Vermögensinteressen bezwecken (Auslegungsfrage);
- Schutznorm möglich aus Gesamtheit der schweizerischen Rechtsordnung (Zivil-, Verwaltungs- oder Strafrecht, geschriebenes oder
ungeschriebenes Recht);
- Beispiele:
- Normen betreffend strafbare Handlungen gegen das Vermögen (Art. 137 ff. StGB), insbesondere etwa Art. 146 StGB (Betrug);
- Schutznormen im UWG, namentlich Art. 2, 3 und 4 UWG, gemäss Art. 4 Bst. a UWG etwa Verleitung zum Vertragsbruch unter gewissen Voraussetzungen unlauter;
Art. 41 OR / Widerrechtlichkeit, Sittenwidrigkeit
20. April 2011 / 9Norbert Sennhauser, lic. iur., Fürsprecher
Kabelbruch-Fall (BGE 102 II 85)
Energieversorger
Papierfabrik
Zinkfabrik
Bauunternehmung
Baggerführer
Art. 41 OR / Widerrechtlichkeit, Sittenwidrigkeit
20. April 2011 / 10Norbert Sennhauser, lic. iur., Fürsprecher
Kabelbruch-Fall (BGE 102 II 85)
Art. 239 StGB (Störung von Betrieben, die der Allgemeinheit dienen):
"1. Wer vorsätzlich den Betrieb einer öffentlichen Verkehrsanstalt, namentlich den Eisenbahn-, Post-, Telegrafen- oder Telefonbetrieb hindert, stört oder gefährdet,
wer vorsätzlich den Betrieb einer zur allgemeinen Versorgung mit Wasser, Licht, Kraft oder Wärme dienenden Anstalt oder Anlage hindert, stört oder gefährdet,
wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
2. Handelt der Täter fahrlässig, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe."
Art. 41 OR / Widerrechtlichkeit, Sittenwidrigkeit
20. April 2011 / 11Norbert Sennhauser, lic. iur., Fürsprecher
Falsches Arbeitszeugnis (BGE 101 II 69)
A. S.A.Y. S.A. (X., VRP)
C., Vizedirektor / Controller
C., Geschäftsführer
• C. veruntreut CHF 25'000• keine Strafanzeige• Auflösung Arbeitsverhältnis• monatliche Rückzahlungs-
verpflichtung über CHF 500• tadelloses Arbeitszeugnis
• C. veruntreut über CHF 500'000 • Strafverfahren gegen C., 4 Jahre
Gefängnis, C. verstirbt später • Strafanzeige gegen X. wegen
Urkundenfälschung, Verurteilung• A. S.A. Klage gegen Y. S.A. und X.
Art. 41 OR / Widerrechtlichkeit, Sittenwidrigkeit
20. April 2011 / 12Norbert Sennhauser, lic. iur., Fürsprecher
Falsches Arbeitszeugnis (BGE 101 II 69)
Art. 251 StGB (Urkundenfälschung):
1. Wer in der Absicht, jemanden am Vermögen oder an andern Rechten zu schädigen oder sich oder einem andern einen unrechtmässigen Vorteil zu verschaffen,
eine Urkunde fälscht oder verfälscht, die echte Unterschrift oder das echte Handzeichen eines andern zur Herstellung einer unechten Urkunde benützt oder eine rechtlich erhebliche Tatsache unrichtig beurkundet oder beurkunden lässt,
eine Urkunde dieser Art zur Täuschung gebraucht,
wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.
2. In besonders leichten Fällen kann auf Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe erkannt werden.
Art. 41 OR / Widerrechtlichkeit, Sittenwidrigkeit
20. April 2011 / 13Norbert Sennhauser, lic. iur., Fürsprecher
Vorsätzliche Geldwäscherei (BGE 129 IV 322)
Camfin s.p.a.
Banca Popolare di Milano
Z., Betrüger
X., GeldwäscherGeld, über 2 Mio. Geld
Geld
ScheinunternehmenBankkundin
Art. 41 OR / Widerrechtlichkeit, Sittenwidrigkeit
20. April 2011 / 14Norbert Sennhauser, lic. iur., Fürsprecher
Vorsätzliche Geldwäscherei (BGE 129 IV 322)
Art. 305bis StGB (Geldwäscherei):
1. Wer eine Handlung vornimmt, die geeignet ist, die Ermittlung der Herkunft, die Auffindung oder die Einziehung von Vermögenswerten zu vereiteln, die, wie er weiss oder annehmen muss, aus einem Verbrechen herrühren,
wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
2. In schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe. Mit der Freiheitsstrafe wird eine Geldstrafe bis zu 500 Tagessätzen verbunden.
Ein schwerer Fall liegt insbesondere vor, wenn der Täter …"
Art. 41 OR / Widerrechtlichkeit, Sittenwidrigkeit
20. April 2011 / 15Norbert Sennhauser, lic. iur., Fürsprecher
Schutznormen (Fortsetzung)
- Haftung für unrichtige Rat- oder Auskunftserteilung:
Angefragte Person mit besonderem Fachwissen erteilt Gefälligkeitsauskunft (kein Bindungswillen, ausservertraglich).
"Der Befragte übernimmt dabei eine Garantenstellung, die eine ausservertragliche Sorgfaltspflicht und bei deren schuldhafter Verletzung
eine Schadenersatzpflicht begründet." (BGE 116 II 695 Erw. 4 S. 699)
- Vom Bundesgericht wohl aus Berufspflichten oder besonderer Stellung abgeleitete Schutznorm.
Art. 41 OR / Widerrechtlichkeit, Sittenwidrigkeit
20. April 2011 / 16Norbert Sennhauser, lic. iur., Fürsprecher
Kreditauskunft einer Bank (BGE 111 II 471): Fallskizze
Bank C., München
A. GmbH, München B. AG, Zürich
Bank D., ZürichKreditauskunft
Kaufvertrag über Textilien
Art. 41 OR / Widerrechtlichkeit, Sittenwidrigkeit
20. April 2011 / 17Norbert Sennhauser, lic. iur., Fürsprecher
Kreditauskunft einer Bank (BGE 111 II 471)
- Anfrage der Bank C. über die allgemeinen Verhältnisse der B. AG und darüber, ob diese für Warenverbindlichkeiten von DM 300'000 bis
500'000 gut sei;
- Auskunft der Bank D. (zusätzlich mit Handelsregisterangaben):
"Mit der angefragten Gesellschaft stehen wir seit einigen Jahren in Geschäftsverbindung. Das Konto wurde bisher nur auf Guthabenbasis geführt, so dass wir keine Veranlassung hatten, näheren Einblick in die Vermögensverhältnisse zu nehmen. Unseres Wissens soll in Deutschland Immobilienbesitz vorhanden sein, der nur teilweise belastet
sein soll. Etwas Nachteiliges ist uns nicht bekannt. Eine Geschäftsverbindung kann empfohlen werden."
- B. AG nach Erhalt der Waren später in Konkurs, Gesellschaft für grössere betrügerische Machenschaften missbraucht.
Art. 41 OR / Widerrechtlichkeit, Sittenwidrigkeit
20. April 2011 / 18Norbert Sennhauser, lic. iur., Fürsprecher
Schutznormen (Fortsetzung)
- Art. 2 Abs. 1 ZGB (Treu und Glauben) nach h.L. und Praxis grundsätzlich keine Schutznorm;
- Weitere Beispiele, bei denen Schutznormcharakter verneint wird:
- Art. 58 SVG: Haftpflicht des Motorfahrzeughalters für Personen- und Sachschäden, nicht aber für reine Vermögensschäden allein (vgl. BGE 106 II 75);
- Art. 229 StGB (Gefährdung durch Verletzung der Regeln der Baukunde): Vermögensschäden allein von Schutzzweck nicht erfasst (vgl. BGE 119 II 127, Einsturz Zwischengeschoss);
Art. 41 OR / Widerrechtlichkeit, Sittenwidrigkeit
20. April 2011 / 19Norbert Sennhauser, lic. iur., Fürsprecher
Fahrlässige Geldwäscherei (BGE 134 III 529): Fallskizze
X. SA, Montevideo (Uruguay)
Bank C., Montevideo (Uruguay)
B., Veruntreuer
Geld, USD 4 Mio.Geld
Geld
Bankkundin
Bank Y. AG, Zürich
Vollmacht
Art. 41 OR / Widerrechtlichkeit, Sittenwidrigkeit
20. April 2011 / 20Norbert Sennhauser, lic. iur., Fürsprecher
Fahrlässige Geldwäscherei (BGE 134 III 529)
- Vorwurf an Bank Y. AG, Sorgfalts- und Verhaltenspflichten nach Art. 3 - 10 GwG verletzt zu haben; vgl. etwa Art. 6 GwG (Abklärungspflichten):
"1 Der Finanzintermediär ist verpflichtet, Art und Zweck der vom Vertragspartner gewünschten Geschäftsbeziehung zu identifizieren. Der Umfang der
einzuholenden Informationen richtet sich nach dem Risiko, das der Vertragspartner darstellt.
2 Der Finanzintermediär muss die wirtschaftlichen Hintergründe und den Zweck einer Transaktion oder einer Geschäftsbeziehung abklären, wenn:
a. sie ungewöhnlich erscheinen, es sei denn, ihre Rechtmässigkeit sei erkennbar;
b. Anhaltspunkte vorliegen, dass Vermögenswerte aus einem Verbrechen herrühren, der Verfügungsmacht einer kriminellen Organisation (Art. 260ter Ziff. 1 StGB) unterliegen oder der Terrorismusfinanzierung (Art. 260quinquies Abs. 1 StGB) dienen."
Art. 41 OR / Widerrechtlichkeit, Sittenwidrigkeit
20. April 2011 / 21Norbert Sennhauser, lic. iur., Fürsprecher
Widerrechtlichkeit beim Reflexschaden
- Definition des Reflexschadens (auch als indirekter Schaden oder als Drittschaden bezeichnet):
Drittperson, die zu direkt geschädigter Person in besonderer Beziehung steht, erleidet durch Schädigung eine eigene Vermögenseinbusse;
- Reflexschäden immer reine Vermögensschäden (bei Verletzung absoluten Rechtsgutes nicht Reflex-, sondern Direktschaden);
- Ersatzfähig nur bei Schutznorm, die auch oder insbesondere Drittperson erfasst, Beispiel Ersatz des Versorgerschaden Art. 45 Abs. 3 OR:
"Haben andere Personen durch die Tötung ihren Versorger verloren, so ist auch für diesen Schaden Ersatz zu leisten."
Art. 41 OR / Widerrechtlichkeit, Sittenwidrigkeit
20. April 2011 / 22Norbert Sennhauser, lic. iur., Fürsprecher
Widerrechtlichkeit durch Unterlassung
- Garantenstellung aus geschriebenem oder ungeschriebenem Recht vorausgesetzt, die konkrete Handlungspflicht begründet;
- Garantenstellung aus Gefahrensatz: Wer einen gefährlichen Zustand schafft oder aufrechterhält, muss die zur Vermeidung eines Schadens erforderlichen Schutzmassnahmen treffen. Beispiel Pistensicherungspflicht für Bergbahnunternehmungen mit Skipistenbetrieb (vgl. BGE 113 II 246);
- Widerrechtliche Unterlassung sowohl bei Verletzung absoluter Rechtsgüter als auch bei Verletzung einer Schutznorm möglich; Gefahrensatz selber aber keine Schutznorm (BGE 119 II 127 Erw. 3
S. 129 f.).
Art. 41 OR / Widerrechtlichkeit, Sittenwidrigkeit
20. April 2011 / 23Norbert Sennhauser, lic. iur., Fürsprecher
Ausschluss der Widerrechtlichkeit
- Rechtsfertigungsgründe für Schädigung schliessen Widerrechtlichkeit aus;
- Rechtfertigungsgründe:
- Einwilligung;
- überwiegende private Interessen wie erlaubte Notwehr, Notstand und Selbsthilfe (Art. 52 OR);
- überwiegende öffentliche Interessen wie rechtmässige Ausübung öffentlicher Gewalt.
Art. 41 OR / Widerrechtlichkeit, Sittenwidrigkeit
20. April 2011 / 24Norbert Sennhauser, lic. iur., Fürsprecher
Ausschluss der Widerrechtlichkeit (Fortsetzung)
- Einwilligung:
- "Volenti non fit iniuria.";
- in der Praxis wichtigster Rechtfertigungsgrund;
- Einwilligung als einseitiges Rechtsgeschäft, stets widerruflich;
- Schranken der Einwilligung nach Art. 20 OR und Art. 27 ZGB (Einwilligung in Tötung nicht möglich, in schwere Körperverletzung nur bei vernünftigem Zweck).
Art. 41 OR / Widerrechtlichkeit, Sittenwidrigkeit
20. April 2011 / 25Norbert Sennhauser, lic. iur., Fürsprecher
Ausschluss der Widerrechtlichkeit (Fortsetzung)
- Einwilligung (Fortsetzung):
- wichtigster Anwendungsfall Einwilligung für ärztliche Eingriffe, gültige Einwilligung grundsätzlich nur bei Aufklärung über Risiken;
- Teilnahme an Sportveranstaltung oder Spiel: stillschweigende Einwilligung in Verletzungsrisiko (acceptation tacite des risques), aber ohne Einschluss von grobem oder vorsätzlichem Fehlverhalten (vgl. BGE 109 IV 102: Freundschaftsfussballturnier, doppelter Beinbruch als Folge eines Fouls, nicht mehr von Einwilligung gedeckt).
Art. 41 OR / Widerrechtlichkeit, Sittenwidrigkeit
20. April 2011 / 26Norbert Sennhauser, lic. iur., Fürsprecher
Ausschluss der Widerrechtlichkeit (Fortsetzung)
- Haftung bei Notwehr, Notstand und Selbsthilfe (Art. 52 OR):
"1 Wer in berechtigter Notwehr einen Angriff abwehrt, hat den Schaden, den er dabei dem Angreifer in seiner Person oder in seinem Vermögen zufügt, nicht zu ersetzen.
2 Wer in fremdes Vermögen eingreift, um drohenden Schaden oder Gefahr von sich oder einem andern abzuwenden, hat nach Ermessen
des Richters Schadenersatz zu leisten.
3 Wer zum Zwecke der Sicherung eines berechtigten Anspruches sich selbst Schutz verschafft, ist dann nicht ersatzpflichtig, wenn nach den gegebenen Umständen amtliche Hilfe nicht rechtzeitig erlangt und nur durch Selbsthilfe eine Vereitelung des Anspruches oder eine wesentliche Erschwerung seiner Geltendmachung verhindert werden konnte."
Art. 41 OR / Widerrechtlichkeit, Sittenwidrigkeit
20. April 2011 / 27Norbert Sennhauser, lic. iur., Fürsprecher
Sittenwidrigkeit
- Art. 41 Abs. 2 OR:
"2 Ebenso ist zum Ersatze verpflichtet, wer einem andern in einer gegendie guten Sitten verstossenden Weise absichtlich Schaden zufügt."
- Verstoss gegen die guten Sitten, somit keine Widerrechtlichkeit verlangt;
- Als Notlösung bei reinen Vermögensschäden, wenn Schutznorm fehlt, Rechtsgefühl aber dennoch Ersatzpflicht verlangt;
- Geringe Relevanz; Anwendung durch BGer nur ausnahmsweise und mit grösster Zurückhaltung, Gewährleistung lediglich des ethischen
Minimums (BGE 124 III 297).
Art. 41 OR / Widerrechtlichkeit, Sittenwidrigkeit
20. April 2011 / 28Norbert Sennhauser, lic. iur., Fürsprecher
Vertrauenshaftung
- Haftung infolge Verletzung begründeten Vertrauens, keine Widerrechtlichkeit und keine Sittenwidrigkeit vorausgesetzt;
- Keine vertragliche Verbindung, aber dennoch rechtliche Sonderverbindung (subsidiär gegenüber Vertragshaftung);
- Sonderverbindung begründet gestützt auf Art. 2 ZGB eine besondere Vertrauens- und Treuebeziehung;
- Beispiel Haftung für erwecktes Konzernvertrauen:
- Swissair-Fall (BGE 120 II 331), Haftung bejaht;
- Motor-Columbus-Fall (BGE 124 III 297) Haftung verneint;
Art. 41 OR / Widerrechtlichkeit, Sittenwidrigkeit
20. April 2011 / 29Norbert Sennhauser, lic. iur., Fürsprecher
Swissair-Fall (BGE 120 II 331): Fallskizze
IGR Holding Golf and Country
Residences AG
Swissair Beteiligungen AG
Euroactividade AG
Wibru Holding AGVertrag über Nutzung von Luxusunterkünften
Kaufvertrag über Aktien der IGR Holding AG
100 %100 %
Art. 41 OR / Widerrechtlichkeit, Sittenwidrigkeit
20. April 2011 / 30Norbert Sennhauser, lic. iur., Fürsprecher
Swissair-Fall (BGE 120 II 331)
- Mietvorauszahlung über CHF 90'000 der Wibru Holding AG an die IGR Holding AG für Nutzung von luxuriösen Unterkünften;
- Werbung der IGR Holding AG mit Konzernzugehörigkeit zu Swissair, etwa:
"Überall wo International Golf and Country Residences steht, steht Swissair darunter. Und selbstverständlich auch dahinter. Denn die IGR ist zwar ein selbständiges Unternehmen der Swissair Beteiligungen AG,
arbeitet aber nach den gleichen unternehmerischen Maximen wie ihre Mutter. Dass sich das von Anfang an auf die Internationalität, die Gastfreundschaft, die Betreuung und die Zuverlässigkeit von IGR auswirkt, liegt auf der Hand."
- Verkauf der IGR Holding AG an die Euroactividade AG; wenig später Konkurs der IGR Holding AG.
Art. 41 OR / Widerrechtlichkeit, Sittenwidrigkeit
20. April 2011 / 31Norbert Sennhauser, lic. iur., Fürsprecher
Übersicht über verwendete BGE
- BGE 102 II 85: Kabelbruch-Fall;
- BGE 101 II 69: falsches Arbeitszeugnis;
- BGE 129 IV 322: vorsätzliche Geldwäscherei;
- BGE 116 II 695: Haftung für Gefälligkeitshandlung;
- BGE 111 II 471: Kreditauskunft einer Bank;
- BGE 106 II 75: Haftpflicht des Motorfahrzeughalters;
- BGE 119 II 127: Einsturz Zwischengeschoss;
- BGE 134 III 529: fahrlässige Geldwäscherei;
Art. 41 OR / Widerrechtlichkeit, Sittenwidrigkeit
20. April 2011 / 32Norbert Sennhauser, lic. iur., Fürsprecher
Übersicht über verwendete BGE (Fortsetzung)
- BGE 113 II 246: Pistensicherungspflicht;
- BGE 109 IV 102: Fussballfoul mit doppeltem Beinbruch;
- BGE 124 III 297: Motorcolumbus-Fall;
- BGE 120 II 331: Swissair-Fall.
Art. 41 OR / Widerrechtlichkeit, Sittenwidrigkeit
20. April 2011 / 33Norbert Sennhauser, lic. iur., Fürsprecher
Besten Dank für Ihre geschätzte Aufmerksamkeit
und ein erholsames Osterwochenende!