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84 U nverhofft fängt das erste grüne Paradies gleich hinter Dudelange an – und stimmt ein auf die versprochenen Naturschutzgebiete mit ihren vielen Wanderwegen. Dudelange, 50 Kilometer südlich von Luxemburg-Stadt, verbreitet zwar den eher spröden Charme alter Industrie- und Bergbauorte, aufpoliert durch quietschbunte Fassaden der alten Arbeiterhäuser. Knapp 20.000 Men- schen leben hier. Verlässt man aber das Stadtzentrum, geht es bald berg- auf. Schroffe Felswände begleiten den frisch geschotterten Wanderweg. Rein in den Wald, der Verkehrslärm ver- stummt, und weiter über einen Wie- senpfad. Bis auf fast 400 Meter geht es hoch. Zarte Grashalme wippen hin Wo die rote Erde lockt Transitland? Oase für Steuerflüchtlinge? Von wegen. Luxemburg hat so viel mehr zu bieten – zum Beispiel stillgelegte Bergbaugebiete, die die Natur eindrucksvoll zurückerobert hat Text: Cornelia Höchstetter, Fotos: Thekla Ehling und her. Und dann, von der nächsten Böschung aus, blickt man auf eine imposante rote Steilwand, die das Naturschutzgebiet Haard zerteilt. Diese Felsen geben dem Südwesten Luxemburgs den Namen: Land der roten Erde. Die aufsehenerregenden Steilhänge sind Überbleibsel des Tagebaus. Unverändert ragen sie auf, seit die Bagger abgebaut wurden, und das ist über 40 Jahre her. Wer genau hin- schaut, entdeckt im roten Stein win- zige glitzernde Punkte: Eisenerz, der Stoff, auf den die Grubenbesitzer scharf waren. Daraus wurde jener Stahl gemacht, der für Luxemburgs Reichtum sorgte. Bis in die Siebziger- jahre war der Süden des kleinen Lan- des mit den gut 500.000 Einwohnern grau und staubig. Dann lohnte sich der Bergbau nicht mehr, der Erzabbau wurde eingestellt – und die Natur durfte ohne Pflanzplan wuchern. Wie zum Beispiel in der Haard. Oder im stillgelegten Tagebau „Giele Botter“ bei Differdange, durch den ein The- menweg führt. Oder im dritten Naturschutzgebiet der Region, im Ellergronn, nahe Esch sur Alzette, Luxemburgs zweitgrößter Stadt. Faszinierend, wie sich das Grün innerhalb von 40 Jahren seinen Raum zurückerobert hat. Aus den geschmol- zenen Steinen der Brennöfen, der Schlackenhalden, wurden ausgewach- sene Biotope. Eidechsen lieben die Bergwerksbahnhof in Fond-de-Gras: wahrgewordener Traum aller Modelleisenbahner

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U nverhofft fängt das erste grüne Paradies gleich hinter

Dudelange an – und stimmt ein auf die versprochenen Naturschutzgebiete mit ihren vielen Wanderwegen. Dudelange, 50 Kilometer südlich von Luxemburg-Stadt, verbreitet zwar den eher spröden Charme alter Industrie- und Bergbauorte, aufpoliert durch quietschbunte Fassaden der alten Arbeiterhäuser. Knapp 20.000 Men-schen leben hier. Verlässt man aber das Stadtzentrum, geht es bald berg-auf. Schroffe Felswände begleiten den frisch geschotterten Wanderweg. Rein in den Wald, der Verkehrslärm ver-stummt, und weiter über einen Wie-senpfad. Bis auf fast 400 Meter geht es hoch. Zarte Grashalme wippen hin

Wo die rote Erde locktTransitland? Oase für Steuerflüchtlinge? Von wegen. Luxemburg hat so viel mehr zu bieten –

zum Beispiel stillgelegte Bergbaugebiete, die die Natur eindrucksvoll zurückerobert hatText: Cornelia Höchstetter, Fotos: Thekla Ehling

und her. Und dann, von der nächsten Böschung aus, blickt man auf eine imposante rote Steilwand, die das Naturschutzgebiet Haard zerteilt. Diese Felsen geben dem Südwesten Luxemburgs den Namen: Land der roten Erde.

Die aufsehenerregenden Steilhänge sind Überbleibsel des Tagebaus. Unverändert ragen sie auf, seit die Bagger abgebaut wurden, und das ist über 40 Jahre her. Wer genau hin-schaut, entdeckt im roten Stein win-zige glitzernde Punkte: Eisenerz, der Stoff, auf den die Grubenbesitzer scharf waren. Daraus wurde jener Stahl gemacht, der für Luxemburgs Reichtum sorgte. Bis in die Siebziger-

jahre war der Süden des kleinen Lan-des mit den gut 500.000 Einwohnern grau und staubig. Dann lohnte sich der Bergbau nicht mehr, der Erzabbau wurde eingestellt – und die Natur durfte ohne Pflanzplan wuchern. Wie zum Beispiel in der Haard. Oder im stillgelegten Tagebau „Giele Botter“ bei Differdange, durch den ein The-menweg führt. Oder im dritten Naturschutzgebiet der Region, im Ellergronn, nahe Esch sur Alzette, Luxemburgs zweitgrößter Stadt. Faszinierend, wie sich das Grün innerhalb von 40 Jahren seinen Raum zurückerobert hat. Aus den geschmol-zenen Steinen der Brennöfen, der Schlackenhalden, wurden ausgewach-sene Biotope. Eidechsen lieben die

Bergwerksbahnhof in Fond-de-Gras: wahrgewordener Traum aller Modelleisenbahner

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Hitze zwischen den langsam verwit-ternden schwarzen Steinritzen. Diese frische, junge Natur zu erleben, eine im Werden begriffene Wildnis, oder – umgekehrt betrachtet – diese lang-sam verschwindende Kulturland-schaft zu erkunden, das macht den Weg ins Land der roten Erde so reiz-voll. Zumal darüber hinaus Bergbau-museen, Naturzentren, Kultur und die Städte Abwechslung versprechen.

Dieser Meinung ist – von Berufs wegen ebenso wie aus Überzeugung – auch die Luxemburgerin Caroline Cantanhede, 31. Sie ist zuständig für das vor eineinhalb Jahren neu geschaffene Tourismusbüro im Süden Luxemburgs: „Red Rock Region“. Ihre Familiengeschichte ist typisch für die-

sen Winkel von Luxemburg: Ihr Großvater stammt aus Italien, ihr Vater ist Portugiese – beide kamen einst wegen der Arbeit unter Tage. „Mein Großvater war immer stolz auf seine Arbeit, auch wenn er von der Hitze und der unvorstellbaren Anstrengung erzählte“, sagt Cantan-hede. Luxemburg hat heute einen Ausländerteil von etwa 45 Prozent, die Menschen stammen aus mehr als 90 Ländern. Wegen der Lage zwi-schen Belgien, Frankreich und Deutschland gibt es drei offizielle Amtssprachen: Französisch, Deutsch und „Lëtzebuergesch“ (Luxembur-gisch). Deshalb heißt Dudelange auch Düdelingen oder Diddeléng. Cantan-hede, in Luxemburg-Stadt geboren, spricht so ziemlich alle Sprachen. Sie hat in Deutschland studiert, lebt in Kayl – und regt sich temperamentvoll auf, wenn der Süden unterschätzt wird. Denn was fällt einem beim Namen Luxemburg gewöhnlich ein? Banken. Die Hauptstadt selbst. Dass es sich um das weltweit einzige Groß-

herzogtum handelt. Zuckersüße Teil-chen aus der Konditorei. Billiges Tan-ken, etwa in Wasserbillig, wo sich an einer Spritmeile 20 Tankstellen anein-anderdrängeln. Luxemburg als Grün-dungsmitglied der Europäischen Union. In Sachen Urlaub hingegen fallen allenfalls die Mosel oder die Ardennen ein. Gewiss, dies ist viel für ein Land, das gerade 50 mal 80 Kilo-meter groß ist. Aber ehemalige Berg-baugebiete als Natur- und Kulturpa-radies? „Die meisten Leute wissen gar nicht, wie schön es hier ist!“, sagt Caroline Cantanhede lachend.

Deshalb zeigt sie den Besuchern gerne Fond-de-Gras. Der ehemalige Bergwerksbahnhof wandelte sich zum Freilichtmuseum mit Industrie- und Eisenbahnpark. In den Siebzigerjah-ren taten sich Modelleisenbahner zusammen und kümmerten sich um die Dampfeisenbahn. Jeden Sonntag raucht die alte Lok. Romain Wirtz ist einer der Gästeführer hier: weißer, kurz geschnittener Vollbart, die Base-

Caroline Cantanhede sitzt schwindel-frei auf den roten Felsen, übrig aus der Zeit des Bergbaus und heute ein Wanderparadies.

Die wissen gar nicht, wie schön es hier ist

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ballkappe tief im Gesicht. „Was ich den Leuten erzähle, kenne ich noch aus meiner Kindheit“, sagt der ehe-malige Werkmeister aus Pétange. Er weiß, wie die Gegend zu ihrer grauen Zeit aussah, und er genießt heute die roten Felsen und die grünen Hügel.

„Die Natur ist stärker als der Mensch. Wer das nicht glaubt, kann ins Eller-gronn kommen“, sagt Pol Zimmer-mann, 27, dichte dunkle Haare und eine markante Brille. Er ist mit Leib und Seele Förster und Naturführer im Naturschutzgebiet Ellergronn. Seit 1988 hatte die Natur hier Zeit, die Industriebrache zu verwandeln. Es hat geklappt. Die Artenvielfalt hat alle Chancen bekommen. Jetzt flattern Schmetterlinge umher. Der Mutter-boden auf dem kalkig-rotsandigen Grund ist jung, Pol Zimmermann nennt es „Pionierrasen oder Trocken-rasen“, eine Heimat auch für Orchi-deen. Zimmermanns grünes Reich ist 110 Hektar groß, das entspricht 153 Fußballfeldern. „Alles Schweizer Käse.“ Pol Zimmermann deutet auf die eingesunkenen Mulden und Löcher im Waldboden. Die alten Gänge des Bergbaus, genannt „Gale-rien“, wurden gesprengt oder fielen ein. Dort sammelte sich Wasser, und das Ellergronn hat jetzt viele Teiche. Mit Schilf, quakenden Fröschen sowie umgestürzten Baumstämmen – ein Zuhause für Pilze und Flechten.

Pol Zimmermann passt in die Luxem-burger Tausendsassa-Art: Einerseits Naturbursche, andrerseits liebt er die Stadt. Seine Stammkneipe ist das „Pit-cher“ am Rande der Altstadt von Esch. „Die Leute von hier wissen, was Schwerstarbeit ist“, sagt der Mann, der die Einheimischen „Minetter“ nennt, ähnlich dem französischen „mineur“, Bergarbeiter. Diesen auf Luxemburgisch „Biergaarbechter“ genannten Menschen ist die Bronze-

figur gewidmet, die in Esch auf dem Markt steht. Ein schmales muskelbe-setztes drahtiges Bürschlein. Die Schinderei von damals hat geprägt. „Wir Südluxemburger haben einen komischen Charakter: stur, aber gleichzeitig freundlich. Von der Lunge auf die Zunge“, grinst Pol Zim-mermann. Deshalb gibt es kaum eine Wanderung, bei der man nicht einen Einheimischen trifft – und Geschich-ten aus der alten Bergbauzeit hört.

Café „Bei der Giedel“ (o.) in Fond-de-Gras. Platz an der Sonne vor den ehemaligen Arbeiterhäusern (u.).

land & sEE

WanderungenSentier des Mineurs: Bergarbeiterpfad von Pétange-Rodange-Differdange, 29 Kilometer, Schilder: gelber Punkt im blauen Pfeil.Naturschutzgebiet Haard: auf ehemaligen Tagebauflächen zwei ausgeschilderte Lehrpfade ab Dudelange und ab Rumelange.Giele Botter: Naturschutzgebiet, sehr gut ausgeschildert ab Friedhof in Pétange (Parken am Bahnhof). Etwa sieben Kilometer.Naturreservat Ellergronn bei Esch sur Alzette: ab Besucher-zentrum verschiedene ausgeschilderte Rundwege von drei bis zehn Kilometern. Karten: www.tourisme.geoportail.luInfos: Tourismusbüro Luxemburg Süd, 28b rue Dicks, L–4082 Esch sur Alzette, Tel.: +352 54 73835991, www.redrock.lu

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anreise Mit dem Auto zum Beispiel von Köln nach Esch sur Alzette: 230 Kilometer, zweieinhalb Stunden.

Sonntags mit der Dampflok „Train 1900“ von Pétange nach Fond-de-Gras fahren. Erwachsene zahlen neun Euro, Kinder sechs. Zum Beispiel am:• 7. September: Tag der Offenen Tür• 27. September: Aktionstag „Anno 1900“Infos: www.fond-de-gras.lu

ÜbernachtenDudelange: Hotel Restaurant Cottage. Kleine, moderne Zimmer, DZ ab 60 Euro. Tel.: +352 52 0591, www.cottageluxembourg.comEsch sur Alzette: The Seven Hotel, schick, ab 120 Euro. Tel.: +352 54 0228, www.thesevenhotel.luLasauvage: Le Presbytère, ruhig und idyllisch, ab 95 Euro. Tel.: +352 26 5862, www.presbytere.lu

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