Aus den maßstäben Heft 7 „Die Unveränderlichen“ (2006) Ute Kehse Der Strichcode der Quasare 137 für immer und ewig? Die Feinstrukturkonstante Alpha ist der Topkandidat bei der Suche nach veränderlichen Naturkonstanten. Kernphysiker fahnden in einem einst aktiven natürlichen Reaktor, Astronomen im Licht weit entfernter Galaxien nach Belegen dafür, dass sich Alpha geändert hat und somit vor Urzeiten die Atome anders aufgebaut waren. (Stichwort: Naturkonstanten) Mehr entdecken: Der QR-Code führt Sie zur Webseite dieser maßstäbe-Ausgabe. Das wissenschaftsjournalistische Magazin der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt

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Aus den maßstäben Heft 7 „Die Unveränderlichen“ (2006)

Ute Kehse

Der Strichcode der Quasare 137 für immer und ewig?

Die Feinstrukturkonstante Alpha ist der Topkandidat bei der Suche nach veränderlichen Naturkonstanten. Kernphysiker fahnden in einem einst aktiven natürlichen Reaktor, Astronomen im Licht weit entfernter Galaxien nach Belegen dafür, dass sich Alpha geändert hat und somit vor Urzeiten die Atome anders aufgebaut waren.

(Stichwort: Naturkonstanten)Mehr entdecken: Der QR-Code führt Sie zur Webseite dieser maßstäbe-Ausgabe.

Das wissenschaftsjournalistische Magazin der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt

1 Der Strichcode der Quasare Aus den maßstäben Heft 7 „Die Unveränderlichen“ (2006)

Die Feinstrukturkonstante Alpha ist der Topkandidat beider Suche nach veränderlichen Naturkonstanten. Kern-physiker fahnden in einem einst aktiven natürlichen Reak-tor, Astronomen im Licht weit entfernter Galaxien nachBelegen dafür, dass sich Alpha geändert hat und somit vorUrzeiten die Atome anders aufgebaut waren.

Alpha ist keine schöne Zahl: 0,007 297 352 568 oder ungefähr 1/137. Sol-che krummen Werte lassen das Herz eines Physikers nicht gerade höherschlagen. Und doch: Bei den Theoretikern ist die Feinstrukturkonstanteäußerst beliebt: Sie sei eine „magische Zahl“, schrieb zum Beispiel derNobelpreisträger Richard Feynman. Auch für den Kosmologen John Barrowvon der Universität Cambridge hat sie einen „legendären Status“. KeinWunder: Von Alpha – genauer gesagt, von Alphas Unveränderlichkeit –hängt nichts weniger als das Schicksal der Physik ab. Sollte Alpha sich alsveränderlich erweisen, dann wäre das unter anderem ein Hinweis für einePhysik jenseits des Standardmodells, mit einem Universum mit mehr alsvier Dimensionen. Aber es wäre noch viel mehr: Das ganze Weltbild derPhysiker würde ins Wanken geraten. Was bisher als unveränderlich gegoltenhat, ist es vielleicht gar nicht – eine atemberaubende Vorstellung. „Es gehtnur um winzige Abweichungen“, erklärt der Hamburger AstrophysikerDieter Reimers. „Doch jede noch so kleine Veränderung von Alpha wäreeine Sensation.“

nicht irgendeine Zahl, sondern siegibt das Verhältnis zwischen dreiNaturkonstanten an: der Lichtge-schwindigkeit c, der Elementar-ladung e und des PlanckschenWirkungsquantums h. Schwankun-gen von Alpha würden anzeigen,dass sich das Verhältnis dieserGrößen verändert hat, also dassmindestens eine der drei Konstantennicht konstant ist. Welche das ist,müsste man dann noch herausfin-den.

Spuren im Reaktor: Alpha ge-schrumpft?

Der zweite Vorteil der Feinstruktur-konstante ist, dass sie in vielen ver-schiedenen physikalischen Glei-chungen auftaucht. So öffnen sichden physikalischen Detektiven meh-rere Möglichkeiten der Spurensu-che. Die erste führt in den Kerneines Atoms. Weil Alpha als Kopp-lungskonstante die elektromagneti-sche Kraft regelt, die alle Atomeund Moleküle zusammenhält, spieltsie auch bei Kernreaktionen eineRolle. Und die haben an einem Ortder Erde schon vor langer Zeit undohne Zutun des Menschen stattge-funden: In den 1970er Jahren stelltesich heraus, dass eine Uran-Lager-stätte im westafrikanischen Gabunvor rund zwei Milliarden Jahren einnatürlicher Kernreaktor war, derOklo-Reaktor. Er lief etwa eineMillion Jahre lang und verbranntedabei einige Tonnen Uran-235.Dieser Reaktor ist heute so etwaswie ein Archiv, das einen früherenWert von Alpha aufgezeichnet hat:Man kann hier ablesen, ob einesolche Kernreaktion damals genau-so ablief, wie sie heute ablaufen

Der Strichcode der Quasare

Alpha ist aus zwei Gründen prädestiniert, um Veränderungen der Natur-konstanten auf die Spur zu kommen: Erstens muss man sich nicht mitEinheiten abmühen, denn die Feinstrukturkonstante ist eine einfache Zahl.„Misst man dagegen die Lichtgeschwindigkeit c zweimal hintereinanderund erhält verschiedenen Werte,“ sagt der Astrophysiker Michael Murphyaus Cambridge, „dann könnte man daraus schließen, dass sich c wirklichgeändert hat. Genauso gut könnte sich aber auch die Zeit verlangsamt oderbeschleunigt oder der Metermaßstab verändert haben.“ Alpha ist natürlich

Uranmine bei Oklo im afrikanischen Gabun

Foto: François Gauthier-Lafaye/Centre de Géochimie de la Surface, Strasbourg

2 Der Strichcode der Quasare Aus den maßstäben Heft 7 „Die Unveränderlichen“ (2006)

mit ihren besten Teleskopen auffangen. Quasare sind Schwarze Löcher miteiner Masse von Milliarden Sonnen. Sie befinden sich bis zu zwölf Milliar-den Lichtjahre von der Erde entfernt im Zentrum einer Galaxie und ver-schlingen große Mengen Staub und Gas. Weil sich die angesaugte Materieextrem aufheizt, strahlen Quasare heller als die umgebende Galaxie. Siegeben Licht in vielen Wellenlängen des elektromagnetischen Spektrums ab.Das Quasar-Licht, das heute auf der Erde ankommt, stammt aus einer Zeit,in der das Universum noch in den Kinderschuhen steckte. Dieses Lichtspalten die Forscher mit einem Spektrographen in seine Wellenlängen auf.Ein Spektrograph funktioniert ähnlich wie ein Prisma, das sichtbares Lichtin die Farben des Regenbogens zerlegt. Und dieses Licht erzählt eine Ge-schichte: Hat das Quasarlicht auf seinem Weg zur Erde eine galaktischeStaubwolke durchquert, dann haben die darin enthaltenen Atome (zumBeispiel Magnesium, Aluminium oder Silizium) einige Wellenlängen ausdem Spektrum des Quasars absorbiert und so das Quasarlicht verändert –sie prägten dem Licht quasi einen Strichcode auf. Dieser Strichcode ist sehrcharakteristisch für die einzelnen Elemente. Er zeigt ihre Energieniveaus,wie sie damals aussahen, als das Quasarlicht die Atome getroffen hat. Ver-gleicht man diesen Strichcode mit einem aus heutiger Zeit (bei denselbenElementen im Labor gemessen), kann man direkt erkennen, ob sich dieStruktur der Atome – und damit auch Alpha – geändert hat.

würde. Wenn nicht, wäre das einHinweis auf Veränderungen vonAlpha.

Schon 1976 wies der russische Phy-siker Alexander Shlyakhter vomInstitut für Kernphysik in Leningraddarauf hin, dass der Oklo-Reaktorsich gut eignet, um eine Verände-rung von Alpha zu testen. Anhandeiner Elementanalyse in der Umge-bung des Reaktors wies er nach,dass Alpha sich in den vergangenenzwei Milliarden Jahren höchstensum zwei Hundertmillionstel verän-dert haben kann. Der Physiker SteveLamoreaux vom Los AlamosNational Laboratory analysierte dieOklo-Daten 2004 zusammen mitKollegen neu und kam zu dem Er-gebnis, dass Alpha seit der Aktivi-tätsphase des Reaktors um bis zu4,5 Hundertmillionstel kleinergeworden sei.

Spuren im All: Alpha gewachsen?

Eine andere Spur führt weg vomAtomkern zur Atomhülle. Denn dieFeinstrukturkonstante bestimmtauch die Lage der Energieniveaus inden Atomen. Springt ein Elektronvon einem Energieniveau in einanderes, dann sendet es entwederein Lichtteilchen aus oder absorbierteins. Die Wellenlänge dieser Pho-tonen hängt direkt von Alpha ab.Also lohnt es sich, Wellenlängen zubeobachten, denn sie führen dieForscher direkt zu kleinsten Verän-derungen in der Struktur derAtomhülle.

Wenn Alpha früher einmal andersaussah, dann sahen auch Atomefrüher etwas anders aus. Also mussman Nachrichten von Atomen ausder Vergangenheit suchen. DieForscher finden sie im All: verschie-denste Elemente in galaktischenStaubwolken, die sie mit dem Lichtvon riesigen natürlichen „Glühbir-nen“ sichtbar machen: dem Lichtvon Quasaren, das die Astronomen Die Observatorien Keck I und Keck II mit dem Kometen Hale-Bopp

Erde

Foto: David Nunuk/SBL/Agentur Focus

3 Der Strichcode der Quasare Aus den maßstäben Heft 7 „Die Unveränderlichen“ (2006)

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QuasarGaswolke

3500 4000 4500 5000 5500 6000

Wellenlängen in 10–10 m

Absorption durch schwere ElementeEmissionslinien des QuasarsInterstellare Wasserstoff-Absorption

Alles noch unklar

Die bisherigen Ergebnisse der Quasarstudien sindwidersprüchlich: Ein Team um John Webb von derUniversity of New South Wales in Sydney, darunterauch John Barrow und Michael Murphy, verkündete imAugust 2001 in den Physical Review Letters die Sen-sation: Laut ihren Ergebnissen haben sich die Strich-codes im Laufe der Zeit verändert – und Alpha sei vor12 Milliarden Jahren um etwa ein hunderttausendstelkleiner gewesen als heute. Die Forscher nahmen sichfür diese und andere Studien insgesamt 128 Absorp-tionslinien von 75 Quasaren vor, die sie mit demgrößten optischen Teleskop der Welt, dem Keck-Teleskop auf Hawaii, untersuchten. Niemand fandbisher einen systematischen Fehler. Trotzdem konnteseitdem keine weitere Gruppe von Astrophysikern dasAnwachsen von Alpha bestätigen. Ein Team um PatrickPetitjean vom Observatoire de Paris benutzte denUVES-Spektrographen am Very Large Telescope derEuropäischen Südsternwarte in Chile und stellte fest,dass Alpha sich, wenn überhaupt, in den letzten zehnMilliarden Jahren um höchstens 0,6 Teile von einerMillion verändert haben kann – also deutlich weniger,als das Team um Webb es behauptet. Ein anderes Teamum Jeffrey Newman vom Lawrence Berkeley NationalLaboratory untersuchte Emissionslinien von 300 Ga-laxien in einer Entfernung von vier bis sieben Milliar-den Lichtjahren – ebenfalls ohne Ergebnis. Dieter Rei-mers nahm sich den hellsten Quasar am Südhimmel

ebenfalls mit dem Very Large Telescope vor unduntersuchte speziell die Absorptionslinien von Eisen-Ionen. „Die Qualität der Daten ist sehr gut, aber imRahmen der Messunsicherheit ist keine Änderung vonAlpha zu sehen“, resümiert der Leiter der HamburgerSternwarte.

Angesichts der widersprüchlichen Messungen sieht esso aus, als würde die Feinstrukturkonstante ihre mysti-sche Stellung noch eine Weile behalten. „In der nächstenZeit wird es bei den Quasar-Messungen keine entschei-denden Fortschritte geben, die Instrumente sind jetztausgereizt“, prognostiziert Dieter Reimers. Doch nochlassen sich die Verfechter einer neuen Physik nicht soleicht entmutigen. John Barrow vertritt die Theorie, dassAlpha nach der Entstehung des Universums zuerstlangsam anwuchs, seit sechs Milliarden Jahren aberwohl konstant bleibt. So will er die Oklo- und dieQuasar-Ergebnisse vereinbar machen. Andere gehendavon aus, dass Alpha oszilliert. Aber etwas unsichersind sie alle. Der 2005 verstorbene Physiker JohnBahcall vom Institute for Advanced Studies in Princetonsagte just in dem Moment, nachdem er anhand einerStudie mit 165 Quasaren Änderungen von Alpha für dieletzten drei Milliarden Jahre ausgeschlossen hatte, dembritischen Magazin New Scientist: „Ich habe denVerdacht, dass Alpha sich tatsächlich mit der Zeitändert“. Der Strohhalm, an den er sich klammerte: „DasAusmaß der Variationen dürfte jenseits der derzeitmöglichen Messmöglichkeiten liegen.

UTE KEHSE

Von fernen Quasaren ist das Licht Milliarden Jahre bis zu unsunterwegs. Alle „Hindernisse“, wie interstellare Gaswolken,hinterlassen in diesem Licht ihren Fingerabdruck – einen

Strichcode aus Absorptionslinien. Das Bild zeigt die Simulationeines solchen Spektrums. Die rotgestrichelte Linie entsprichtdem Lichtkontinuum, das der Quasar aussendet.