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262 EN c E L MA N N Auslaufgrenzen unbeschrankt gehaltener Huhner Von CARLHEIKRICH ESGELYANFN Eingegangen am 9. November 1944 Einleitung In einem von der Bevolkerung kurz zuvor geraumten Dorf in Italien fingen wir einen etwa 4 Monate alten Hahn, der sich, als anscheinend einzig zurfickgelassens Tier, in einem Huhnerstall aufhielt. Wir nahmen den Gockel in unsere Stellung mit, die 1 km vom Dorfrand entfernt, auf einem von Espen, Haselnussen und Buchengestrupp dicht bewachsenen Berghang in 950 m Hahe lag. Dort banden wir den Hahn auf dem Dach eines Unter- standes mit einem am Lauf befestigten Faden an; nach zwei Tagen erhielt er die volle Breiheit. Der junge Hahn, der vorher noch nie in dieser bewaldeten Berglandschaft gewesen sein durfte, gewohnte sich schnell an die neue Um- gebung und hielt sich in den ersten Tagen meist in unmittelbarer Niihe des Daches auf. Die Gelegenheit, das Tier taglich zu beobachten und sein all- mahliches Vordringen in die Wildnis ringsum zu verfolgen, gab mir Ver- anlassung, zugleich an Hand eigener iilterer Beobachtungen die Frage zu erartern , welche Auslaufgrenzen Huhner einzuhalten pflegen, wenn sie un- gehindert nach allen Seiten laufen konnen. WEINMILLER, der sich in seiner Habilitationsschrift mit der GroBe der Huhnerweiden befaBte, ging auf diese Zusammenhiinge leider nicht ein ; sie muBten ihm, dem es um den Futterwert der Weiden zu tun war, abaegig erscheinen. Immerhin wies er in der Einleitung auf die bemerkenswerte amerikanische Sitte hin, in den intensiv betriebenen Eiererzeugungsstiitten die Huhner ohne jeden Auslauf zu halten, modurch die Leistung der Tiere nicht herabgedruckt wird, solange sie vollig ausreichend ernahrt werden. Es ist nicht weiter erstaunlich, da13 sich im fachlichen Schrifttum, das fast ausschliefilich auf der futterungswissenschaftlichen Grundlage aufbaut, keine weiteren, hier verwendbaren Angaben finden. Dafur liegen vereinzelt Mitteilungen aus der Praxis vor. So berichtet der Landwirt Dr. I. RUXGE uber seine Erfahrungen bei der Verwendung von Huhnerwagen zur Be- kampfung von Maikaferengerlingen, seine Leghorn-Junghuhner im Alter von 3-4 Monaten hatten sich nie weiter als 150 m von ihrem Wohnwagen ent- fernt, wenn dieser auf weithin ebener, von keinem Merkzeichen (Baum oder Strauch) unterteilter, gleichformiger Flache (gepflugter Acker) stand. Die Strecke, die die Huhner zurucklegten, erhiihte sich. wenn 100 m von den Wagen entfernt Unterschlupfschirme aufgestellt wurden. Die Wagen durften nicht verruckt werden, weil sonst die Tiere den an anderer Stelle stehenden Wagen nicht wiederfanden 1). Auf Grund meiner jahrelangen Er- fahrungen mit Huhnern kann ich diese Angaben nur bestatigen. Im ein- zelnen iindert sich die zuruckgelegte Strecke je nach der Beschaffenheit des ') Vgl. die Stockversetzungen bei der Biene, der Nester bei Ammophila und beim Sandregenpfeifer: der Ort siegt uber das bekannte Bild des Zieles.

Auslaufgrenzen unbeschränkt gehaltener Hühner

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262 E N c E L M A N N

Auslaufgrenzen unbeschrankt gehaltener Huhner Von

C A R L H E I K R I C H ESGELYANFN

Eingegangen am 9. November 1944

Einleitung In einem von der Bevolkerung kurz zuvor geraumten Dorf in Italien

fingen wir einen etwa 4 Monate alten Hahn, der sich, als anscheinend einzig zurfickgelassens Tier, in einem Huhnerstall aufhielt. Wir nahmen den Gockel in unsere Stellung mit, die 1 km vom Dorfrand entfernt, auf einem von Espen, Haselnussen und Buchengestrupp dicht bewachsenen Berghang in 950 m Hahe lag. Dort banden wir den Hahn auf dem Dach eines Unter- standes mit einem am Lauf befestigten Faden an; nach zwei Tagen erhielt e r die volle Breiheit. Der junge Hahn, der vorher noch nie in dieser bewaldeten Berglandschaft gewesen sein durfte, gewohnte sich schnell an die neue Um- gebung und hielt sich in den ersten Tagen meist in unmittelbarer Niihe des Daches auf. Die Gelegenheit, das Tier taglich zu beobachten und sein all- mahliches Vordringen in die Wildnis ringsum zu verfolgen, gab mir Ver- anlassung, zugleich an Hand eigener iilterer Beobachtungen die Frage zu erartern , welche Auslaufgrenzen Huhner einzuhalten pflegen, wenn sie un- gehindert nach allen Seiten laufen konnen.

WEINMILLER, der sich in seiner Habilitationsschrift mit der GroBe der Huhnerweiden befaBte, ging auf diese Zusammenhiinge leider nicht ein ; sie muBten ihm, dem es um den Futterwert der Weiden zu tun war, abaegig erscheinen. Immerhin wies er in der Einleitung auf die bemerkenswerte amerikanische Sitte hin, in den intensiv betriebenen Eiererzeugungsstiitten die Huhner ohne jeden Auslauf zu halten, modurch die Leistung der Tiere nicht herabgedruckt wird, solange sie vollig ausreichend ernahrt werden.

Es ist nicht weiter erstaunlich, da13 sich im fachlichen Schrifttum, das fast ausschliefilich auf der futterungswissenschaftlichen Grundlage aufbaut, keine weiteren, hier verwendbaren Angaben finden. Dafur liegen vereinzelt Mitteilungen aus der Praxis vor. So berichtet der Landwirt Dr. I. RUXGE uber seine Erfahrungen bei der Verwendung von Huhnerwagen zur Be- kampfung von Maikaferengerlingen, seine Leghorn-Junghuhner im Alter von 3-4 Monaten hatten sich nie weiter als 150 m von ihrem Wohnwagen ent- fernt, wenn dieser auf weithin ebener, von keinem Merkzeichen (Baum oder Strauch) unterteilter, gleichformiger Flache (gepflugter Acker) stand. Die Strecke, die die Huhner zurucklegten, erhiihte sich. wenn 100 m von den Wagen entfernt Unterschlupfschirme aufgestellt wurden. Die Wagen durften nicht verruckt werden, weil sonst die Tiere den an anderer Stelle stehenden Wagen nicht wiederfanden 1). Auf Grund meiner jahrelangen Er- fahrungen mit Huhnern kann ich diese Angaben nur bestatigen. Im ein- zelnen iindert sich die zuruckgelegte Strecke je nach der Beschaffenheit des

') Vgl. die Stockversetzungen bei der Biene, der Nester bei Ammophila und beim Sandregenpfeifer: der Ort siegt uber das bekannte Bild des Zieles.

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Gelandm und - im geringeren Umfang - mit dem Temperament und wohl auch der Haltungsweise der Hiihner. Auf drei Laridschaftsformen sol1 hier naher eingegangen werden, den Garfen, den Wald und das Feld.

1. Auslaufgrenzen im Garten Irn Garten ist der Anslauf zwar nicht mehr unbeschrankt, hier sorgt

der Zaun fur eine Begrenzung des Gelandes. Ich hatte aber J a h r fur Jahr Gelegenheit, das Verhalten von Hiilinern erstens in eineni 1 ha groljen Garten- grundstuck zu beobachten, dessen Ausdehnung im allgenieinen groljer war als der Bewegungsradius der Tiere, zweitens auf dem Gelande der Land- wirtschaftlichen Versuchsstation Rostock, das halb als Garten, halb als Feld anzusprechen war. In dieser Umgebung lieBen sich einige Regeln oder Ge- SetzmaBigkeiten erkennen, die bei Beobachtung der Huhner in den beiden anderen Geliindeformen bestatigt werden konnten.

Im erstgenannten Garten stand der Huhnerstall neben einer das Grund- stiick nach Westen hin abschlieflenden 2 m hohen Zementmauer. Die Tiere konnten unmittelbar durch eine sich nach Norden ijffnende Tiir in den Garten hineingelassen werden, der eigentliche umzaunte Auslauf erstreckte sich nach Siiden und Westen, ein Zipfel reichte 5 m nach Norden iiber den Stall hin- aus. Etwa 40 m vom Huhnerhaus entfernt befand sich ein groljeres Stall-, gebaude, in dessen Erdgescholj eine Futterkiiche mar, in der das Weichfutter fur die Tiere zubereitet wurde. Die Entfernung vom Huhnerstall bis zu den Grundstucksgrenzen betrug nach K 90 rn, nach S 30 m, nach 0 300 n1, nach W 2 m. Im Osteu angrenzend an den Auslauf war eine Hinibeer- plantage angelegt, an die sich, in Richtung auf den grol3en Stall, Obstbaume mit geringfiigiger Unterliultur und ein breiter Weg anschlossen. Im iibrigen wechselten in den1 Garten Gemiisebeete mit Rasenflachen, Kartoffelackern und Straucherzeilen ab, Baume standen in regelmabigen Abstlinden auf der ganzen Fliiche. Etwa 200 m voni Hiihnerstall entfernt durchzog eine 1 m hohe Mauer yon N nach S das Grundstiick und trennte den (um 1 m) hoher gelegenen nahen vom entfernteren tiefer gelegenen Teil, in dessen Mitte, von Rasenflachen und Lebensbaumgruppeu umsaumt, ein Teich lag.

Die Huhner - es waren zu den ,schweren Rassen' zahlende Weille Wyandottes - blieben wahrend des Smmers gewohnlich in ihrern Auslauf eingesperrt. Yorn Herbst bis zum Friihjahr hatten sie dagegen ungehinderten Zutritt zu dem dann weitgehend abgeernteten Garten. Die Tiere betraten am ersten Tag ihrer ,Freiheit" den Garten zogernd. Sie hielten sich in un- mittelbarer Nahe des Stalles auf und drangen am ersten Tag nicht uber die 50 m-Zone hinaus. In den darauffolgenden Tagen, an denen sie sich langsam weiter vorwarts bewegten, konnte man bereits deutlich beliebtere Platae erkennen. An erster Stelle stand das Himbeergebiisch neben dem Auslauf. Hier war sozusagen der Ruheplatz, zu dem die Hiihner nach ihren Streifziigen immer wieder zuriickkehrten. Mit zunehmender Gewohnung an die neue Umgebung durchliefen die Hiihner die ersten 50 m in immer kurzerer Zeit und suchten die Futterkiiche auf, in der ein Trog mit Weich- futter stand, ferner einzelne Gartenflachen, vor allem ein Weizenstoppelfeld in 150 m Entfernung sowie einen Rasenplatz, der in anderer Richtung eben- soweit abseits lag. Erst nach einem Monat freien Auslaufs erreichten die Hiihner die das Grundstuck zerteilende Mauer, gingen iiber eine breite Frei- treppe bzw. einen 40 ni seitlich verlaufenden, allmahlich abfallenden Weg hinab und hielten sich in diesem Gartenteil ebenso gern auf dem Rasen unterhalb der Rfauer auf wie an der Lebensbaumgruppe und einem Erdbeer-

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beet an der audersten ostlichen Grenze des Grundstiicks. Diese weitesten Ausfliige dauerten 3-4 Stunden, meist waren die Huhner in den Kachmittags- stunden aufeinanderfolgender Tage hier zu finden. Das Benehmen der Tiere anderte sich, je weiter sie sich von ihrem Stalle entfernten. Die sonst zahmen und tragen Huhner waren unruhiger als sonst, sozusagen schreckhaft und jederzeit tluchtbereit, wenn sie sich in dieser 300 m entlernten Ncke des Grundstiicks aufhielten, von der sie ihren Stall nicht mehr seben konnten. Hier geniigte ein geringfiigiger AnlaB, z. B. ein auf die Hubner langsam zuschreitender Mensch, urn sie zur Flucht zu veranlassen. Die Flucht er- folgte schnell und gleichsam angsterfiillt; die Tiere eilten ohne Aufenthalt in Richtung auf den Stall und verhielten erst, wenn sie in der Nahe (10 bis 50 m) des groBen Stalles mit der Fntterkuche (2) angekommen waren. Im einzelnen richtete sich das Verhalten nach der Starke des auslosenden Reizes. Folgte der betreffende Mensch den gradlinig fliehenden Tieren weiterhin, so flohen sie bis in die Nahe ihres eigenen Stalles (1). Nach einem derartigen Zwischenfall horten die Ausfliige in diesen weitesten Bezirk mehr oder weniger lange auf, im auBersten Falle fur mehrere Wochen. Ahnlich war das Benehmen der Hiihner auf dem Rasenplatz unter der Nauer.

Befanden sich die Hiihner aber auf der Rasenflache oder dem Stoppel- feld, also 150 m vom Stalle fort, und begegnete ihnen dort eine ahnliche Storung, dann fliichteten sie zwar ebenfalls, aber meniger aufgeregt. Sie gingen langsam in Richtung auf Stall 2 euriick und verhielten, von neuem Futter suchend, sohald auf dem Wege dorthin eine geeignete Stelle dazu verlockte. Das brauchte nicht erst in der Nahe des Stalles zu sein; es kam vor, da13 sie schon nach wenigen Metern Weges von neuem zu picken und zu scharren begannen. Die Fluchtbereitschaft war hier bereits wesentlich geringer als an der 200-300 m-Grenze, das Verhalten i m ganzen ruhig und ohne Scheu. Bei fortgesetzter Verfolgung liefen die Tiere an Stall 2 vorbei auf Stall 1 zu, wobei sie ebensooft im Himbeergebiisch wie im Aus- lauf (dem umzaunten) wie im Stall selbst Schutz suchten und sich verbargen. Wurden die Hiihner in der Nahe von Stall 2 zur Xlucht veranlaBt, liefen sie in entsprechender Weise zum Stall 1 bzw. Orten seiner nachsten Um- gebung. Bei aul3erster Bedrohung war Stall 1 die letzte Zuflucht.

Von Stall 1 ausgehend lassen sich mithin einzelne ,,Sicherheitszonenu in Form konzentrischer Kreise mit den Radien 25, 50, 100, 200 und 300 m abtragen. Der 25-50 m-Kreis ist die Stal lzone; hier sind die Hiihner mit allen Einzelheiten des Gelandes am grundlichsten vertraut, hier fiihlen sie sich sicher. Wenn auch vom Mittelpunkt des Kreises aus - dem Stall - nach der Peripherie hin eine geringfiigige Abnahnie der Vertrautheit zu spiiren ist, konnen praktisch noch alle Orte als gleichwertige Zufluchtsstritten oder Fhchtziele bezeichnet werden, sofern sie die naturliche Eignung dazu besiben (Gebiisch, hoher Krautbewuchs usw.). Erst wenn die Tiere inner- halb dieser Zone bedroht werden, d. h. wenn sie gejagt oder erschreckt worden sind, werden Unterschiede in der Bewertung der einzelnen Orte be- merkbar: jetzt versuchen die Hiihner in den Stall oder dessen nachste Kahe zu fluchten.

In der 100 m-Zone sind die einzelnen Platze ungleich beliebt. Vor der Futterkiiche, auf einem sich verbreiternden Wege, waren die Hiihner ge- legentlich gefuttert worden, auBerdem hatten sie haufiger in der Kiiche aus dem Weichfuttertrog genascht. Beides genugte, um die Umgebung der Kuche fur die Tiere besonders anziehend zu machen: diese Gegend war damit fur die fliehenden Hiihiier zum Zwischenziel geworden, die Kiiche bzw. der Platz davor hatten Heim- oder S ta l lcharakter angenommen. Deshalb

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hielten sich die Tiere hier gern auf und zogen die Orte im Umkreis von 30 m allen anderen dieser Zone vor, wie sich an der Haufigkeit ihres Aufenthaltes und am Aufhoren der Fluchtbewegung in diesem Raum er- kennen lieB. Fur Stall 2 gilt demnach das gleiche wie fiir Stall 1: itn Halbkreis von 30 m hatten alle Orte den gleichen Wert ills Fluchtziel, erst bei starkerer Bedrohung wurde offensichtlich, daB es sich bei Stall 2 uni ein Nebenziel handelte, denn dann liefen die Hdhner in den 50 m-Kreis bzw. zu Stall 1 hin.

In der 200 m - Zone hatten die Tiere keine Zufluchtsorte mehr, obwohl genug Deckuligsmoglichkeiten vorhanden waren. \Venn auch das Stoppel- feld und der Rasenplatz die Tiere zu zum Teil stundenlangen Aufenthalten verlockten, wie iiberhaupt jede frische Bodenbearbeitung in diesem Gebiet, hielten sich die Huhner hier bereits seltener und kurzfristiger auf ; ihre Fluchtbereitscliaft war grol3. So verliel3en sie sclion ihre Aufenthaltsplatze, wenn ini Haum von Stall 1 oder 2 eine Henne aufgeregt gackerte! Hei Storungen liefen sie ohne jeden Aufenthalt in die Sahe von Stall 2 (schwache Storung) oder Stall 1 (starke Storung).

Am wenigsten sicher fuhlten sich die Huhner in der 300 m-Zone, wo sie ebenfalls keine Zufluchtsorte mehr hatten. Ihr Aufenthalt stand vollig im Zeichen jederzeitiger FluchtbereitschaR.. die Tiere suchten hier wohl Futter, ruhten sich aber niemals aus. Die Fluchtdistanz, d. h. die Ent- fernung, auf welche die Huhner eine Gefahrenquelle auf sich zukommen lielSen, betrug hier 20 m, in der 50 m-%one dagegen 5 m! -

Auf dem zweitgenannten Grundstlick, dem Gelande der Land wirtschaft- lichen Versuchsstation Rostock, stand ein Hiihnerstall etwa 50 ni von einem Wohnhaus entfernt, das von hohen Baumen und einem dichten, von ver- schiedenen Gartengeholzen gebildeten Gebiisch unigeben war. Die Umgebung des Stalles war deckungsarm; nach drei Seiten dehnten sich Wiesen oder Grasflachen aus, an die sich Versuchsparzellen niit niedrigem Bewuchs an- schlossen. Auf der vierten Seite befand sich ein groBer Hofplatz mit offenem Schauer vor dem Hiihnerstall; eine Baumguppe zog sich von hier bis zum Hiihnerauslauf hin. Im Stall wurden Huhner einer leichten Rasse gehalten (rebhuhnfarbige Italiener und Leghorn): sowie - von diesen getrennt -- Zwergkoschins, die irn Gegensatz zu den temperamentvollen, leicht schreck- haften Italienern ungewfihnlich zahm und zutraulich waren. Letztere dienten zu meinen zahlreichen Versuchen iiber den Geschmackssinn und die Futter- wahl bei-Hiihnern. Die Tiere, die durch eine grol3e Stalltur direkt oder durch eine Klappe iiber einen drahtumzaunten Auslauf (10 x 10 m) ins Freie gelangen konnten, unterschieden sich deutlich voneinander.

Die Zwergkoschins entfernten sich im Htjchstfalle 30-50 m vom Stallgebaude. Sie hielten sich vorzugsweise auf den1 Hofplatz auf oder unter der hohen, am Stall stehenden Baumgruppe. Auf die Wiese drangen sie selten vor, das hohe Gras mochte ihnen die Sicht nehmen; denn meist waren sie am Rande und gingen nur meiter vor, wenn die Wiese gemiiht war. Bei ,,Gefahr" fluchteten sie gewohnlich in den Stall, bei gcringeren Anlassen in den Auslauf. Die Tiere kanien taglich nach driluBen.

D ie grol3en Hi ihner hielten sich entweder in oder neben ihrem Aus- lanf auf (dort standen aufierhalb der Umzaunung eimelne Straucher), in dem Schuppen vor dem Stall oder iu der Busch- und Baumgruppe zmischen Wohnhaus und Stall, die von allen Pliitzen der beliebteste war, Hier, in Sehweite von ihrem Stall (30 in), scharrten die Hiihner lebhaft umher iind

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ruhten sich auch aus. Angelehnt an dieses schutzbietende Geliinde ent- fernten sie sich im Hiichstfall bis zu 200 m von ihrem Stall, um die an- grenzenden Versuchsflachen aufzusuchen. Erschreckt oder aufgescheucht, liefen die Hiihner meist zuerst in das GehBlz beim Wohnhaus, ihrem bevor- zugten Aufenthaltsort; erst wenn sie hier gestort wurden, liefen sie zum Stall und seiner Umpebung hin.

Die Ge- buschgruppe am Wohnhaus entspricht dem Stall 2 dort, die Aufenthaltsorte um den Stall zeigen, da13 auch bier wiederum alle Orte im 25-50 m-um- kreis gleichwertig sind, soferu sie sich uberhaupt als Deckung oder zum Schutz eignen und auBer eineni Versteck noch fur die Nahrungssuche gunstige Verhaltnisse bieten. Schon 100 ni vom Stall entfernt kannten die Huhner keine Zufluchtsstiitten mehr; dasselbe traf in verstarktem MaBe fur die 200 m-Zone zu. Dementsprechend sucliten die Hiihner nur selten die so weit entfernten Orte auf. Auffallig ist, daB die von den Huhnern zuruck- gelegten Strecken im zweiten Beispiele kurzer als im ersten waren. Dahir lassen sich niehrere Griinde anfuhren. In erster Lillie durfte es eine Folge der ungleichen Haufigkeit von Merkzeichen im Gelande sein; der erste Garten mit seinen rielen Baeten mit rnannigfaltigem Bewuchs, den Strauchern, Wegen, Kasentlachen und Buschgruppen bot mehr einpragsame Wegemerk- inale als der zweite mit seinen grohraumigen, meist einheitlich bestellten FIfchen. dls weiterer Grund komnit hinzu, da13 der zutrauiichen schweren h s s e (den Wyandottes) kauin Gefahren drohten, weil nur wenige Personen den Garten betraten und keine fremden Huhnerstamme ihnen begegnen konnten, wahrend die zudem schreckhaften Italiener vielen Storungen Bus- gesetzt waren; denn dort arbeiteten erhehlich niehr Menschen, auch gab es noch andere Hiihnervolker, so da13 die Tiere ihre Ausfliige oft nicht un- gehindert beenden konnten. Ob im umgekehrten Falle die beweglicheren, such bei der Nahrungssuche rsscher vorwartsdringenden Italiener sich weiter von ihreni Stalle entfernt hatten als die im ganzen tragen Wyandottes, ist fraglich. Im ganzen scheint die dauernde Haltung in umhegten, kleinen Ausliufen den Huhnern ein groBeres ,,Sicherheitsgefiihl" zu geben als es Tiere besitzen, die unter freien, naturlichen Verbahissen auf Rauernh6fen usw. leben. Vermutlich verlernen die Volierentiere in ihrem geschutzten, um- hegten Dasein, mit Gefahren zu rechnen, wahrend die frei lehenden stiindlich Gefahren und Storungen aller Art ausgesetzt sind, wirklichen wie schein- baren. Das Temperament spielt dabei ebenfalls eine gro13e Rolle: die schweren Hiitnerrassen mit ihrem ruhigen Temperament unterliegen dieser ,,sorglos' machenden Wirkung der Haustierhaltung nachhaltiger und schneller als die unruhigen leichten Rassen, die von sich aus schreckbereit sind. Es ist deshalb moglich, da13 die urn auBere Einfliisse weitgehend unbekuminerten schweren Rassen tatsachlich aus dieseni Mange1 an Sinn fur Gefahr im ganzen weitere Strecken zurucklegen, obwohl sie im einzelnen langsamer vorwartsdringen.

Die Zwergkoschins wagten sich an1 wenigsten weit uber die Stall- grenzen hinaus. Diese au13erste freiwillige Auslaufbesrhrankung war wohl auBer durcli die geringe Ubersicht auf Grund der liorperlichen Kleinheit in der Hauptsache dadurch bedingt, da13 die erst nach den Geschrnacksversuchen herausgelassenen Tiere vbllig gesattigt waren. Bei ihnen fie1 demnach ein wichtiger Snreiz zu jedem ,,Ausflug" weg, nanilich die Futtersuche. Uem- entsprechend nahmen die Koschins wahrend ihres Aufenthaltes im Freien vor allem Staubbader oder putzten sich in der Sonne. AuSerdeni war bei ihnen die Gefahr, bei weiterem Vordringcn niit fremden, gronen Hiihnern in Streit zu kommen, besonders gro13.

Die Ahnlichkeit mit dem ersten Beispiel ist unverkennbar.

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2. duslaafgrenzen im Wslde Im Wald findet das Huhn im Vergleich mit dem Garten schwierigere

Lebensverhaltnisse vor. Die Storungen sind zahlreicher und die Sicherheit ist geringer.

In meiner Heimat, einem Ostseebad, ist es bei den am Waldrand ge- legenen Hotels und Hausern ublich, die Huhnerstalle derart anzulegen, dafl die Tiere oft ohne jede Zwischenschaltung eines Hofes, Gartens oder Aus- laufs vom Stall in den Wald hinauslaufen miissen. Dieser ist ein durcti stellenweise wachsendes Unterholz miil3ig deckungsreicher Kiefernwald, der an] Ubergang zur Diine von Strandweiden, Espen und Ginster abgeltist wird. Das Unterholz gedeiht besonders hinter den Hlusern, hier zum Teil beider- seits eines znm Strande fuhrenden Weges, sowie am Waldrand. Dazwischen liegen weite, unterholzfreie Fllchen.

Man findet die Hiihner gewohnlich in nachster Kahe der Hauser, nie weit voin Gebusch oder ihren Putterplatzen entfernt. Auffallend ist, daB die Tiere selten und allein zu bestimmten Stunden tiefer in den Wald ein- dringen. lhre ,,Unternehmungslust" ist sehr gering, obwohl die insekten- reiche Waldspreu die Tiere zum Scharren und Puttersuchen anregen sollte. Beliebte Ausflugszeiten waren die fruhen Morgenstunden - im AnschluB an das Herauslassen der Huhner aus deni Stall - mittags zwischen 14 und 15 Uhr, sowie die abendlichen Stunden gegen 18 Uhr. In der ubrigen Zeit hielten sich die Tiere auf ihren Ruheplatzen am Stalle anf. Was die Ausflugsziele anbelangt, so gingen die Hiihner ani haufigsten in die Gebiisch- gruppen oder die deckungsfreien Waldstellen, bis zu 50 m von ihrem Stalle entfernt. Schon bei geringster Storung kehrten sie von den kahlen Platzen zuriick, die stets in Sichtweite ihrer Putter- und Ruheplgtze waren. Im Gebiisch waren die Tiere weniger fluchtbereit. S u r gelegentlich - und d a m handelte es sich meist um die ruhigen Morgenstunden - traf nian die Hiihner am Ubergang zur Dune, 100, in1 Hochstfalle 150 ni weit von ihreni Stalle weg. Bereits 50 m weit im U'ald erschienen die durch das freie Leben scheuen Huhner erstaunlich unsicher; der geringste Zmischenfall fuhrte zur Flucht.

So brachte icli eines Tages einen besonders zahmen Hahn einer schweren Rasse (Gelbe Orpington) auf 25 m an eine irn Walde Futter suchende Hiihnerschar heran, die sich 50 m weit von ihrem Stalle entfernt hatte, und setzte ihn so zu Boden, daW er aus der Richtung kam, in der die Hiihner sich rorwarts bemegten. Der Orpingtnnhahn ging sofort in kampfbereiter Hal tung (gestrau b t e Hals federn, h era b h angen de Flu gel , geduck te Halt ung, Kopf den] Boden genlhert nnd ,,nerros" pickend) auf die frenide Huhner- gruppe zu, wahrend sich deren Hahn zur Flucht wandte und niit seinen Hennen auf den eigenen Stall zulief, wo er, eben a.igekommen, ,,heram- forderndLL krahte.

Setzte ich jedoch den Orpingtonhahn im Riicken der sich von ihreni Stall entfernenden Hiihnerschar anf den Hoden, so daB er den wieder heim- wiirts strebenden Tieren begegnete, dann versuchten diese wiederum, zuerst einer Begegnung auszuweichen. Gelang dies nicht, so nahm der ortzustandige Halin den Kampf an, suchte aber bei der ersten sich bietenden Gelegenheit, sich zuriickzuziehen. liejst genugte das aufgeregte Gegacker der Hennen nach den] ersten Zusammenprall der Hahne, um diese stutzen zu lassen. Unmittelbar im AnschluB an diese Unterbrechung folgte der Hahn dann seinen eilig den] Stall zustrebenden Hennen. Mehrere Hiihnervolker rea- gierten grundsatzlich gleich.

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Diese niangelnde Kampfbereitschaft, die ja ein Ausdruck ungeniigender Vertrautheit mit dem Gelande ist, habe ich im Garten selbst in doppelter Entfernung (100 m) vom Stall nicht beobachten konnen.

SchlieWlich sei hier noch des in der Einleitung (S. 263) erwiihnten Hahnes gedacht, dessen Verhalten vie1 Ahnlichkeit mit jenem der Zwergkoschins auf- meist. In dem aufierst unwegsamen, uniibersichtlichen Gelande, einem weg- losen, dichten Gebiisch von Haselstrauchern, Espen, Holunder und Rosen an steilem Berghang, drang der Hahn in den ersten 14 Tagen nur 10 m westlich, ostlich und nordlich des Daches For; nach Norden verhinderte der steil an- steigende Berg jeden Ausflug. Etwa 8 m ostwiirts vom Dach hefand sich eine kleine Abfallgrube, in der es von Fliegenniaden mimmelte. Zwischen Dach und Abfallgrube hatten wir eine 11/* qm grofie kiinstliche Lichtung geschaffen, auf der wir Tisch und Stuhle aufstellten. Von hier aus fiitterten wir zu- weilen den Hahn, der dabei an den Rand des Gebiisches trat. IN uhrigen ernahrte er sich selbst, entweder an der Abfallgrube oder von Weizenksrnern, die er in den Ahren ungedroschenen Getreides fand, das wir als Hegenschutz auf das Dach gelegt hatten.

Tagsiiber hielt sich der Hahn 1-2 m oberhalb bzw. neben jeneru E'riihstiicksplatze auf. Ton diesem Ruheplatz auf leicht schriigem Boden ging er im Verlauf der nachsten vier Wochen nur 5-10 m weiter ins Dickicht hinein (vor allem nach VF und 0), scharrte in dem weichen, von Blattern bedeckten Boden oder kratzte und pickte am Fufi des steil an- steigenden Berghanges. 2-3 ma1 am Tage suchte der Hahn die Abfallgrube auf und blieb hier durchschnittlich 30 Minuten. Danach zog er sich auf seinen Ruheplatz zuriick, wo er sich putzte oder flach auf den Boden setzte. Hier schlief er auch, unter einem Strauch sitzend; das von dieser Stello 3 m entfernte Dach, das er an den beiden ersten Tagen nicht verlassen hatte, gab er zugunsten dieses Platzes im Strauchwerk auf, es sank zum gelegentlichen Futterplatz herab.

Als wir den Ort verlassen mufiten, wollte ich mit einem Helfer den Hahn einfangen. Das Tier, das an seinem Ruheplatze stand, lief sobald ich auf 6 ni herangekommen war, blindlings ins Gebiisch (nach Osten) und, einigen weniger dicht bewachsenen Stellen folgend, hangauf. Als der Hahn in dem diirch gestiirzte Baume vollig unzuganglicheu Dickicht nicht weiter- kam, drehte er sich um und flog die bis dahin aufwarts gelaufene Strecke von 20 in zuriick, landete an einer bisher noch nicht betretenen Stelle 25 m ostwarts vom Dach, versteckte sich hier zehn Minuten und lief daraufhin zu seinem Huheplatz zuriick, wo ich ihn endlich erwischte.

Der auflerlich nicht weiter hervortretende Schlaf- und Ruheplatz ver- trat den Stall in den anderen Beispielen. Uer Be- wegungsradius war wohl aus drei Griinden besonders klein :

1. wegen des Widerstandes, den das Dickicht jedem Eindringen ent- gegeusetzte;

2. wegen der ausreichenden Erpahrung des Hahnes in dem kleinen, von ihm begangenen Raum von 30 qm;

3. wegen der Zahmheit des Tieres, die zwar nicht an jene der Zwerg- koschins heranreichte, aber geniigte, uni den Hahn sich in unserer Nahe sicher fiihleu zu lassen. Dabei spielte ohne Zweifel sein ruhiges Temperament ebenfalls eine Rolle; decn der junge, rasselose Hahn ge- horte dem schweren Korpertyp an. Obendrein lie8 vielleicht eine gewisse Furchtsamkeit dec Junghahn auf

dem Platze bleiben, dessen Ungefahrlichkeit und Nahrhaftigkeit er an den

Er war das Pluchtziel.

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ersten beiden Tagen erfahren hatte, denn es ist nicht ausgeschlossen, daB das meist dunkle, wirre Gestrauch dem jungen Tier ,,gefahrdrohendu und ,,furchteinfloBend' erschien.

Das waren im Grunde die gleichen Umstande, die auch die Zwerg- huhner von weiteren Ausflugen ferngehalten hatten, nur daB bei ihnen die Umgebung nicht wegen mechanischen Widerstandes bewegungshemmend wirkte (das traf allenfalls auf die Wiese mit hohem Grasbewuchs zu), son- dern megen der in ihr lauernden Gefahren (fremde Huhnerstiimme).

3. Auslanfgrenzen anf Feldern Der Grenzfall des Verhaltens auf freiem, an Kennzeichen armen Felde

ist in der Einleitung bereits erwahnt worden. Ein meiner Beobachtung zu- ganglicher Fall sei im folgenden mitgeteilt.

Auf einem Bauernhof war der Hiihnerstall das letzte mehrerer, in einer Reihe angelegter Stallgebaude. Die Auslaufklappe gab den Weg iiber einen Misthaufen auf einen Hofplatz frei, der auf die StraBe miindete. Nach drei Seiten schlossen sich an die Stallungen Koppeln an, die ohne Bauni- und Strauchbewuchs nach 200 bsw. 300 m an Acker angrenzten. An der anderen Seite, nahe der StraBe, zog sich eine Wiese hin, durch die in viele Windungen ein Bach floB, an dessen Ufern ein allmahlich breiter werdendes Erlen- und Weidengebusch staud.

Die Huhner sah man am haufigsten auf dem Hofplatz und in den an- grenzenden Scheunen, in 50 m Umkreis des Stalles. Auf gelegentlichen, kurzfristigen Ausflugen in die Koppeln (die zeitlich gut mit denen der Hiihner im Walde iibereinstimmten) entfernten sich die Huhner bis zu 100 m vom Stallgebaude. Beliebter war bei den Tieren der Bachlauf und der Erlenbusch, wo sie oft stundenlang verweilten, 100 m, zuweilen bis zu 180 m vom Stall fort, indem sie lebhaft Futter suchten oder sich ausruhten. Bei Storungen flohen die Huhner von der Koppel sofort zum Hofraum zuruck. Im Erlen- gebusch begegneten die Tiere mitunter femden Huhnerstamnien. In derartigen Fallen kam es ab und an zu Kampfen. Diese waren immer kurz und fuhrten nie bis zur Entscheidung, weil jeder beteiligte Hahn mogtichst schnell seinen Hennen zu folgen trachtete, die nach dem ersten Zusammenprall der Kampfer ihren heimatlichen Bezirken zustrebten. Nach einem derartigen Zwischenfall blieben die mitunter zusamniengestoBenen Huhnervolker mehrere Tage, ja Wochen diesem Orte fern.

Auch hier ergibt sich wieder dasselbe Bild wie in den roraufgegangenen Beispielen. Der beliebteste und ,,sichersteU Ort ist der Stall und seine nachste Umgebung. Die VorstoBe in die merkzeichenarmen, deckungsfreien Koppeln sind zeitlich und streckenmallig kurzer als jene in das Schutz und Futter bietende Erlengebusch, das dank seiner abwechslungsreichen Anlage viele einpriigsame Merkmale aufwies und damit weitgehend der Gartenlandschaft (2. Beispiel) ahnelte. Die Vertrautheit der Huhner rnit diesem oft auf- gesuchten Platz steht jedoch hinter jener mit der Stallumgebung weit zuruck; das geht offensichtlich aus der Pluchtbereitschaft und dem geringen Ver- teidigungswillen hervor.

Im einzelnen stehen die zuriickgelegten Strecken in klarer Beziehung zur Beschaffenheit des Gelandes, dern Temperament und der Haltungsweise der Hiihner. Geht man davon aus, daB im Garten (1. Beispiel) ausschliefilich solche Verhaltnisse zusammentrafen, die das Vordringen der Hiihner in die weitere Staliumgebung begunstigten, so lafit sich fur jedes Beispiel die Anzahl forderlicher und hemmender Merkmale angeben und ihr EinfluB auf die frei-

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willig innegehal tenen Auslaufgrenzen nachweisen. Auf Grund der Beobachtnng, dafl g u t e Wegsamkeit, auf fa l l ige Wegemarken, zah l r e i che Deckungs- moglichkeiten, g e r i ng e Gefahrlichkeit, r u h i ge s Temperament und V o 1 i e r e n- haltung in dieser Hinsicht pos i t ive Merkmale sind, egibt sich folgendes Schema: -

~

. . . . . . . . Wegsamkeit + Wegemarken . . . . . . . + Gefahrlosigkeit. . . . . . . + Temperament . . . . . . . + Haltung . . . . . . . . + qb positive ~lerkmale . . . . 100

Zuruckgelegte Wegstrecke in m . I 300

Dectungsreicbtum. . . . . . +

+ I --

+ +

50 ! 20

180 1 150

30

20

Wie die beiden letzten Saulen der Zusammenstellung zeigen, sind die verschiedenen Merkmale nicht gleichwertig. Schlechte Wegsamkeit kann durch gute Deckungsmoglichkeiten und ruhiges Temperament nicht aus- geglichen werden, die zuruckgelegte Wegstrecke weist den absolut ge- ringsten Wert auf.

Zusrmmenfassung Es wurden einige Beobachtungen iiber die ron Huhnern bei vollig

freiem Auslauf zuriickgelegten Entfernungen mitgeteilt. Unter giinstigen Verhaltnissen lassen sich vom Stall als Mittelpunkt

Zonen - in Form konzentrischer Kreise - feststellen, in denen sich die Hiihner ungleichmaflig sicher fiihlen. Die jeweilige Vertrautheit 1aBt sich an der Plucht- und Kampfbereitschaft erkennen.

Die erste Sicherheitszone ist der Stall und seine Urngebung in 25-50 m Umkreis. Hier sind alle Orte gleichwertige Fluchtziele, erst bei PuSerster Bedrohung fliehen die Tiere in den Stall bzw. seine nachste Umgebung.

Die zweite Zone umfalit den 50-100 m-Kreis. Die Orte sind nicht mehr gleichwertig, die Hiihner konnen mehrere Zufluchtsorte haben. Im auBersten Falle suchen sie in Zone 1 Schutz.

AuBerhalb der 100 m-Zone kennen die Tiere keine Zufluchtziele mehr. Be- unruhigt, fliehen sie - je nach dem Grade der Storung - in Zone 2 oder 1.

Das Schema ist nicht immer klar verwirklicht. Die Lange der zuriick- gelegten Wegstrecke hangt ab:

1. Von der Wegsamkeit des Gelandes. Unwegsamkeit (Dickicht) beschriinkt den Bewegungsradius auf wenige Meter.

2. Von cler Anzahl einpragsamer Wegemarken; niit deren zunehmender ZahI vergroBert sich die zuriickgelegte Strecke.

3. Von den Schutz- und Deckungsmoglichkeiten des Gelandes. 4. V O ~ den Sttirungen und Gefahren, die den Hiihnern auf ihrem Wege

begegnen. 5. Von dem Temperament der Hiihner. Schwere, temperamentlose Rassen

sind gegen auflere Einflusse weniger empfindlich als die temperament- vollen leichten Rassen.

6. Von dem Sattigungsgrad der Hiihner. Reichlich gefiittert, dringen diese kaum uber ihren Stallbereich hinaus.

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Die storungsfreieste, deckungs- und merkrnalsreichste Umwelt ist der Garten. In ihm legen die Hiihner die weitesten Strecken zuriick (200-300 m). 1)er W ald ist, bei sonst giinstigen Bedingungen, zu storungs- und gefahren- reich. In ihm eotfernen sich die Huhner bis zu 150 m ron ihrem Stall. I)as Fe ld ist irn allgenieinen zu rnerkmalsarni, die freiwilligen Auslaufgrenzen liegen zwischen 80 und 160 m.

Schrifttum ESGELMANN, C. , c b e r den Geschmackssinn des Hulins VII. Der Geschmack der Bitter-

stoffe und Zucker. Ztschr. f. Tierpsychol. Bd. 5? H 2, 1943. WEINMILLER, Untersuchuogen iiber Futterwert und Nahrstoffbedarf von Aiihnenveiden. Foischiingsdienst 1940, 8.5, Bd. 10, S. 455-461. RUNCE, Dr. I.? Erfahrungen iiber die Bekampfung von Maikaferengerlingen mit Hiihnern. Nachrichtenblatt fiir den Pflanzenschutzdienst. 1939, 19. Jahrg., $. 31-37.

Abnornies Umweltbild eines Grunfinks Von

Dr.Dr. H U G O G E O R ~ S C I I M I T T - ~ ~ )

Hit 2 Abbildungen

Eingegangen am 21. Juni 1914

Vor etwa fiinf Jahren wurde das in Rede stehende' Griinfinkweibchen als noch nicht fliigges Junges aufgefunden und vom Verfasser in eineni Kafig aufgezogen. Als es selbstandig fressen konnte und fliigge zu sein schien, sollte es wieder in Freiheit gesetzt werden und wurde zu dieseni Zwecke im Garten auf einen Baurnast gesetzt. Dort blieb es sitzen und schrie un- ablassig, so daB schlieBlich nichts anderes ubrig blieb, als es wieder ins Haus zu holen. Es stellte sich dann heraus, daB ein Fliigel verkiirzt und das Tierchen flugunfahig war. Es wurde also in seinem Kafig belassen, dessen Tiire aber - so oft Aufsicht in der Nahe war - offen blieb. Das Vogelchen niachte aber niernals auch nur den Versuch, die Umwelt seiner Jugend - namlich den Kafig - eu verlassen. TVurde es aus ihm herausgeholt und etwa auf einen Tisch gesetzt, so zeigte es grol3e Angst uud berubigte sich erst wieder, wenn es erneut in seinen Kafig verbracht worden war.

Dieses Umweltbild des Kafigs ist aber nicht ein starres Ganzes, soiidern wird augenscheinlich auch durch einzelne Teile des Kafigs dar- gestellt. Baut man etwa die Rodenplatte des Kafigs iiiit Futterniipfchen und Badehauschen auf einern Tische auf und setzt man das Tierchen an eine Stelle des Zimmers, von der aus es diesen Aufbau erblicken kann, so strebt es eilig zu diesern bin, bemegt sich dort vollig niunter und vertraut und zeigt keine Angst (Abb. 1). Das Gefuhl des Geborgenseins, das es i n seinem Kafige hat. erfiillt es augenscheinlich auch dann, wenn es die gewohnten Haupt- bestandteile seiner Welt ohne die Vergitterung urn sich sieht.

') Der Autor hat 1944 noch Korrelitur dieser und der folgenden Arbeit gelesen. Nach Mitteilung seines alten Lehrers und Frenndes hat er .das, was e r auf Marlien erhielt, mit seinen geliebten Tieren geteiltu und ist im Friihjabr 1948 den Folgen der Nachkriegsent- behrungen orlegen. Drei Monate zuvor lernte ich ihn kennen; e r umriD Arbeitsplane. lch sah nichf, daa ein Verhungernder vor mir stand. 0. K.