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Aussagefähigkeit von aufgefundenem Knochenmaterial Hans Christian Küchelmann* Überreste menschlicher Körper, die so lange Verwesungsprozessen aus- gesetzt waren, dass nur noch das Skelett oder Teile davon erhalten sind, kommen im Alltag von Forensikern und Kriminalbeamten zwar nicht allzu häufig vor und betreffen einen Bereich am äußersten Rand der Rechts- medizin. Dennoch gibt es immer wieder Fallgestaltungen, die es im Inte- resse eindeutiger Aufklärung und Zuordnung erforderlich machen, an solch vermeintlich informationsarmen Knochenfunden alle möglichen verwertbaren Daten zu erheben und zu beurteilen. Das Thema wird berufsbedingt aus der Perspektive der Archäozoologie und Taphonomie behandelt, die sich in vielen Teilbereichen, aber nicht überall, mit der forensischen Anthropologie überschneidet, wobei viele Teilaspekte in dem gegebenen Rahmen nur angerissen werden können. Dipl. Biologe Christian Küchelmann, Bremen Artidentifikation Am Anfang jeder Bearbeitung von Kno- chenfunden stehen zwei Fragestellungen: Um welches Skelettelement handelt es sich? und daran anschließend die Frage: Um welche Tierart handelt es sich? Oder, auf die Thematik der forensischen Anthro- pologie umformuliert: Handelt es sich bei dem aufgefundenen Knochenmaterial um menschliche Knochen oder nicht? Das mag zunächst banal klingen, denn Abb. 1: Pflaster des Bremer Marktplatzes aus der Zeit um 1300; Links: Übersicht,. Rechts: Detail (Fotos: Dieter Bischop) beim Fund eines vollständigen mensch- lichen Skelettes im Gelenkverband oder auch nur eines Teilskelettes, ist diese Frage selbst für Laien leicht zu beantworten. Komplizierter wird es jedoch, wenn nur einzelne Knochen aufgefunden werden, Abb. 2: Menschenknochen vom Bremer Marktplatz; von links nach rechts: rechter Oberschenkel (Femur), rechter Oberarm (Hu- merus), Brustwirbel (Vertebra thoracica), ers- tes Zehenglied (Phalanx 1) des linken großen Zehs Kriminalwissenschaften Kriminalistik 10/2005 586

Aussagefähigkeit von aufgefundenem Knochenmaterial

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Page 1: Aussagefähigkeit von aufgefundenem Knochenmaterial

Aussagefähigkeit von aufgefundenem Knochenmaterial Hans Christian Küchelmann*

Überreste menschlicher Körper, die so lange Verwesungsprozessen aus-gesetzt waren, dass nur noch das Skelett oder Teile davon erhalten sind, kommen im Alltag von Forensikern und Kriminalbeamten zwar nicht allzu häufig vor und betreffen einen Bereich am äußersten Rand der Rechts-medizin. Dennoch gibt es immer wieder Fallgestaltungen, die es im Inte-resse eindeutiger Aufklärung und Zuordnung erforderlich machen, an solch vermeintlich informationsarmen Knochenfunden alle möglichen verwertbaren Daten zu erheben und zu beurteilen. Das Thema wird berufsbedingt aus der Perspektive der Archäozoologie und Taphonomie behandelt, die sich in vielen Teilbereichen, aber nicht überall, mit der forensischen Anthropologie überschneidet, wobei viele Teilaspekte in dem gegebenen Rahmen nur angerissen werden können.

Dipl. Biologe Christian Küchelmann, Bremen

Artidentifikation

Am Anfang jeder Bearbeitung von Kno-chenfunden stehen zwei Fragestellungen: Um welches Skelettelement handelt es sich? und daran anschließend die Frage:

Um welche Tierart handelt es sich? Oder, auf die Thematik der forensischen Anthro-pologie umformuliert: Handelt es sich bei dem aufgefundenen Knochenmaterial um menschliche Knochen oder nicht?

Das mag zunächst banal klingen, denn

Abb. 1: Pflaster des Bremer Marktplatzes aus der Zeit um 1300; Links: Übersicht,. Rechts: Detail (Fotos: Dieter Bischop)

beim Fund eines vollständigen mensch-lichen Skelettes im Gelenkverband oder auch nur eines Teilskelettes, ist diese Frage selbst für Laien leicht zu beantworten. Komplizierter wird es jedoch, wenn nur einzelne Knochen aufgefunden werden,

Abb. 2: Menschenknochen vom Bremer Marktplatz; von links nach rechts: rechter Oberschenkel (Femur), rechter Oberarm (Hu-merus), Brustwirbel (Vertebra thoracica), ers-tes Zehenglied (Phalanx 1) des linken großen Zehs

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wenn das Knochenmaterial stark frag-mentiert ist oder wenn menschliche Kno-chen mit Tierknochen vermischt sind. Ein Beispiel: Im Jahre 2002 wurden bei der archäologi-schen Grabung auf dem Bremer Markt-platz Teile des Pflasters aus der Zeit um 1300 freigelegt. Die Pflasterschicht war so stark mit Knochen durchsetzt, dass ange-nommen wird, die Knochen seien mit Ab-sicht als Pflastermaterial in den Straßen-belag eingesetzt worden (s. Abb. 1). Im Bereich der Ausgrabungsfläche wurden

Knochen als Pflastermaterial eingesetzt?

dabei aus dem Pflaster und der darüberlie-genden Schicht 4172 Knochenstücke ge-borgen und untersucht. Überraschender-weise befanden sich darunter 15 Men-schenknochenfragmente (s. Abb. 2) (Kü-chelmann, in Vorbereitung). Nun war in diesem Fall eindeutig dokumentiert, dass es sich um mittelalterliche Funde handelt. Es bestand somit kein Handlungsbedarf für die Kriminalpolizei, und die Frage, was menschliche Knochen auf und im Pflaster des Marktplatzes zu suchen haben, ist nur von archäologischem Interesse. Was je-doch, wenn diese Situation nicht so ein-deutig datierbar gewesen wäre? Wären die menschlichen Knochen inmitten der großen Zahl von Schlachtabfällen schlicht übersehen worden?

Wie lassen sich nun menschliche Kno-chen von Tierknochen differenzieren? Das Skelett des Homo sapiens ist im Prinzip

aufgebaut, wie das aller anderen Säuge-tiere auch: Schädel, Wirbelsäule, Schulter-gürtel, Beckengürtel und vier Extremitä-ten. Die einzelnen Skelettelemente der Säugetiere sind homolog, d. h. sie sind entwicklungsgeschichtlich im Grundbau-plan formgleich – eine Tatsache, die eine Verwechslungsgefahr beinhaltet. Jedoch sind die Knochen in Anpassung an die Le-bensweise der jeweiligen Tiergruppen im Detail verschieden, wobei insbesondere die Gelenkenden artspezifisch unter-schiedlich ausgeprägt sind (s. Abb. 3). Da die Unterschiede zwischen den Individuen einer Art in den meisten Fällen sehr viel geringer sind als die Unterschiede zwi-schen verschiedenen Arten (intraspezi-fische versus interspezifische Variation), lassen sich auch einzelne Knochen mor-phologisch einer Art zuordnen bzw. als

Menschliche oder nichtmenschliche Knochen?

menschlich oder nicht-menschlich identi-fizieren. Menschliche Knochen sind zu-dem in der Regel rauher in ihrer Oberflä-chenstruktur als Tierknochen und haben einen poröseren, weniger dichten Gewe-beaufbau, bedingt durch den größeren Durchmesser mikroskopisch kleiner Ver-sorgungsgefäße, der sogenannten Ha-versschen Kanäle (Hermann et al. 1990, 192). Zusätzlich zu diesen morphologi-schen Kriterien, die in der Regel für eine eindeutige Identifikation ausreichen, gibt es histologische und biomolekulare Me-thoden (z. B. DNS-Analyse) zur Identifika-

Abb. 3: linke Oberarmknochen (Humeri) von Wolf, Bär, Biber, Hase und Mensch (aus Schmid 1972, 109, Tafel XV)

Abb. 4: Epiphysen-fugenschluß an

menschlichen Langknochen (aus

Hermann et al. 1990, 58, Abb. 3.2.1.2.)

Abb. 5: Verwach-sung (Obliteration)

der Nähte des menschlichen Schä-

dels (aus Schmid 1972, 74, Abb. 13)

tion menschlichen Knochenmaterials.

Vollständigkeit des Skelett- inventars

Nach der Artidentifikation und dem Aus-schluss nicht-menschlicher Knochen be-steht der nächstfolgende Arbeitsschritt in der Überprüfung der Vollständigkeit des Skelettinventars (in der Archäozoologie „Ermittlung der Mindestindividuenzahl“ genannt). Dazu wird das vorhandene Knochenmaterial auf einem Tisch aus-gebreitet und nach Skelettelement und Körperseite sortiert. Hierdurch läßt sich er-mitteln, welche Skelettelemente fehlen bzw. mehrfach vorhanden sind. Im letzte-ren Fall ist damit belegt, dass es sich um Körperteile mehrerer Individuen handelt.

Individualaltersbestimmung

Das Alter eines Individuums kann anhand der Gelenkenden (Epiphysen), der Schä-delnähte, des Gebisszustandes und mit-tels histologischer Methoden einge-schätzt werden.

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Bei neugeborenen Individuen bestehen die Knochen noch ausschließlich aus wei-chem Knorpelgewebe. In dieses wird im Laufe des Wachstums die harte Knochen-substanz eingelagert. Bei Langknochen geschieht dies in drei Bereichen unabhän-gig voneinander: Im Schaft (Diaphyse) und an den beiden Epiphysen. Mit Ab-schluss des Wachstums schließen sich die Fugen zwischen diesen drei Teilen. Da der Fugenschluss altersabhängig ist, läßt sich am Gelenkzustand das Individualalter ab-lesen (s. Abb. 4). Ebenso wie die Epiphy-senfugen, verwachsen die Nähte zwi-schen den einzelnen Teilen des Schädels in einem bestimmten Alter (s. Abb. 5). Noch genauer läßt sich das Alter jugendlicher Individuen anhand des Zahnentwick-lungsgrades bestimmen (s. Abb. 6). Bei Er-wachsenen ist die genaue Altersbestim-mung komplizierter, es lassen sich aber

Einschätzungen anhand des Abnutzungs-grades bestimmter Knochenteile (ins-besondere Zähne, Schambeinsymphyse, proximale Humerus- und Femurepiphy-sen) treffen (s. Abb. 7). Auch im Inneren der Knochen lassen sich altersabhängige Veränderungen beobachten: Der Kno-chenmantel (Compacta) wird dünner, die Markhöhle vergrößert sich (s. Abb. 8) und in den Epiphysen bildet sich das Schwammgewebe (Spongiosa) zurück. Schließlich läßt die Beurteilung der Zell-struktur des Knochengewebes an Dünn-schnitten Rückschlüsse auf das Alter zu (s. Abb. 9). Beim Wachstum der Zähne bilden sich konzentrische Ringe um die Wurzel-höhle (Pulpa) ähnlich den Jahrringen bei Bäumen, die eine relativ genaue Alters-angabe ermöglichen (Benniike & Brade 1999, 21; Berg et al. 1981, 26–28; Cox 2000; Hermann et al. 1990, 53–67,

193–196; Hillson 2002, 18–20; Scheuer & Black 2000; Schmid 1972, 74–77, Whitta-ker 2000; Wittwer-Backofen & Buba 2002).

Geschlechtsbestimmung

Zur Unterscheidung der Geschlechter ste-hen morphologische, metrische und ge-netische Methoden zur Verfügung. Eine morphologische Unterscheidung der Ge-schlechter ist nur an einigen Skelettele-menten möglich, am besten eignen sich hierfür Becken, Schädel und Oberschen-kel. Eine detaillierte Beschreibung der Dif-ferentialkriterien setzt eine genaue Kenntnis der Anatomie voraus, die an die-ser Stelle nicht vermittelt werden kann. Zwei Möglichkeiten seien hier exempla-risch vorgestellt (s. Abb. 10 – 11). Vertie-fungen im Bereich der Beckensymphyse von Frauen werden von einigen Autoren

Abb. 7: Abnutzungsgrad der Zähne am Beispiel eines menschlichen Backenzahnes (Molar) (aus Hermann et al.

1990, 67, Abb. 3.2.1.8.)

Abb. 8: Veränderung des Knochenmantels (Com-

pacta) mit zunehmendem Alter, Querschnitt durch

die Mitte des Schienbeines (Tibia) weiblicher Individu-

en (aus Benniike & Brade 1999, 21, Abb. 21)

Abb. 9: Veränderung der Zellstruktur des Knochengewebes mit zunehmendem Alter; Dünnschnitt durch den Knochenmantel (Compacta) eines Langknochens: links ein 13 – 20 Jah-re altes, rechts ein über 60 Jahre altes Individuum (aus Hermann et al. 1990, 195, Abb. 3.3.1.4.)

Abb. 6: Zahnentwicklungsstufen beim Men-schen (aus Schmid 1972, 77, Tab. X)

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als Beleg für Geburten interpretiert (s. Abb. 12), der diagnostische Wert dieses Merkmals ist jedoch umstritten. Zu be-denken ist bei der Geschlechtsbestim-mung, dass die Übergänge zwischen männlichen und weiblichen Merkmalen am Skelett fließend sind. Es kommt nicht selten vor, dass weibliche Individuen in den Bereich der männlichen Bandbreite fallen und umgekehrt. Eine Geschlechts-bestimmung sollte daher nicht aufgrund eines einzigen Merkmales getroffen wer-den und je mehr Merkmale überprüft wer-den können, desto sicherer ist die Ge-schlechtszuordnung (Bennike & Brade 1999, 19; Berg et al. 1981, 25–26, 62; Mays & Cox 2000; Herrmann et al 1990, 74–90; Schmid 1972, 73, 104–105).

Körpergrößeneinschätzung

Die Einschätzung der Körpergröße und

Statur einer Person anhand des Skeletts ist ein weiteres Datum, welches u. a. für die Identifikation bedeutungsvoll ist. Die os-teometrische Methode beruht darauf, dass die Länge der Extremitätenknochen (insbesondere der Beinknochen) propor-tional zur Körpergröße ist. Für die Berech-nung gibt es Formeln, die aus der statisti-schen Auswertung großer Mengen von Skeletten abgeleitet wurden. Trotz der heutzutage vorliegenden guten Datenba-sis muß einschränkend gesagt werden, dass die Größenangabe immer eine be-gründete Schätzung bleiben muß, da Ab-weichungen von der Norm nicht berück-sichtigt werden (Berg et al. 1981, 29; Herrmann et al. 1990, 91–109).

Traumata, Pathologien und Mangelerscheinungen

Körperverletzungen können an Skelett-

material nur dann festgestellt werden, wenn sie mit einer Beschädigung des Kno-chens einhergehen. Hierunter fallen im Wesentlichen mechanische Verletzungen in Form von Knochenbrüchen sowie schwere thermische Verletzungen (s. u.). Frakturen, die nicht zum Tode führen, ver-heilen nach einigen Monaten wieder, je-doch oft nicht in der originalen anato-mischen Position. Dabei wird an der Bruchstelle neues Knochengewebe gebil-det, welches die scharfkantigen Bruch-kanten verrundet (s. Abb. 13 – 14). Diese sogenannte Kallusbildung ist bereits nach wenigen Wochen erkennbar. Verheilte Bruchstellen belegen somit, dass die Per-son die Verletzung mindestens einige Wo-chen überlebt hat.

Wenn eine Fraktur nicht verheilt ist, lässt die Form des Bruches Rückschlüsse auf Art und Richtung der einwirkenden

Abb. 10: Unterscheidung von männlichen und weiblichen Individuen an der Becken-symphyse (aus Schmid 1972, 104, Abb. 33)

Abb. 11: Unterscheidung männlicher und weiblicher Individuen am Winkel des pro-ximalen Femurgelenks (aus Herrmann et al. 1990, 84, Abb. 3.2.2.5.)

Abb. 13: Verheilte Schädelfraktur nach drei Jahren (aus Berg et al. 1981, 49, Abb. 49)

Abb. 12: Geburtsspuren am Becken einer 37jährigen Frau, die sechs Kinder gebar (aus Bennike & Brade 1999, 19, Abb. 16)

Abb. 14: Disloziert verheilte Fraktur des Oberarms (aus Herrmann et al. 1990, 129, Abb. 3.2.5.13.)

Abb. 15: Bruchtypen mit Richtung der ein-wirkenden Kraft (aus Herrmann et al. 1990, 124, Abb. 3.2.5.9.)

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Kraft zu (s. Abb. 15). Aus der Sicht der Rechtsmedizin stellt die exakte Terminie-rung von

Exakte Terminierung von Knochenbrüchen problematisch

Knochenbrüchen ein Problem dar, da das Knochengewebe noch einige Zeit nach dem Tod seine physikalischen und bioche-mischen Eigenschaften behält. So lassen sich Verletzungen, die kurz vor dem Tod entstanden, nicht von Verletzungen kurz nach dem Tod unterscheiden. Es ist jedoch möglich, Brüche an solchen „frischen“ Knochen von postmortalen Brüchen an „alten“ Knochen, deren organische Be-standteile bereits teilweise abgebaut sind, zu unterscheiden. Bruchkanten an fri-schen Knochen besitzen eine unregel-mäßige, wellige oder gezackte Oberflä-che (spiral fracture, green bone fracture, saw tooth fracture, s. Abb. 16), bedingt durch die noch intakte Verbindung von or-ganischem Gewebe (Collagen) und Kris-tallstruktur. Bereits dekompostierte Kno-chen brechen entlang der Kristallgitter-

struktur der anorganischen Bestandteile mit treppenartig abgestufter Bruchkante (columnar fracture, s. Abb. 17). Die Frage, wie lange ein Knochen im „frischen“ Zu-stand verbleibt, hängt von den physika-lischen und chemischen Umgebungs-bedingungen ab und läßt sich bis dato lei-der nicht in konkreten Zahlen angeben. Brüche, die bei der Bergung oder Bearbei-tung alten Knochenmaterials entstanden sind, können anhand ihrer helleren Farbe von Brüchen differenziert werden, die vor der Einbettung und Lagerung erfolgten (s. Abb. 17) (Archer et al. 1980, 122–126; Berg et al. 1981, 44–57; Binford 1981, 148–181; Herrmann et al. 1990, 117–129; Lyman 1994, 315–333; Sadek-Kooros 1972; 1975; Shipman 1981, 105–108; Shipman et al. 1981, 259–260; Wells 1965, 45–49).

Einige Krankheiten verursachen Befun-de am Knochengewebe und sind somit am aufgefundenen Skelettmaterial noch diagnostizierbar. Zu nennen sind hier bei-spielsweise Tuberkulose (s. Abb. 18), Sy-philis (s. Abb. 19), Lepra (s. Abb. 20), eini-ge Formen von Krebs, Arthritis, Gicht, Me-

ningitis, Zahnentzündungen, Osteomyeli-tis, Ankylose oder Leontiasis ossea. Eben-falls in den Bereich pathologischer Ver-änderungen fallen einige Mangelerschei-nungen, deren Krankheitsbild Manifesta-tionen am Knochen hervorruft, wie z. B. Rachitis, Skorbut, Osteoporose, die soge-nannten Harris-Linien (s. Abb. 21) oder Zahnschmelz-Hypoplasie (Bennike & Bra-de 1999, 15, 22, 25–27, 45, 58–68; Berg et al. 1981, 57–61; Brickley 2000; Herr-mann et al. 1990, 132–156; Hillson 2002, 21–23; Lewis 2000; Ortner 2002; Roberts 2000; Rogers 2000; Wells 1965).

Anomalien und anatomische Variationen

Nicht alle an Knochen auftretenden Ab-weichungen von der anatomischen Norm sind pathologisch. Viele gelegentlich vor-kommende Variationen haben keinerlei negative Auswirkungen auf ihren Träger. Für die Kriminalistik sind solche Anoma-lien interessant, weil sie bei der Identifika-tion eine enge Eingrenzung des Personen-kreises erlauben, insbesondere dann, wenn es sich um erbliche Variationen (so-

Abb. 19: Degenerative Veränderungen am Schädel durch Syphilis; 19. Jhdt. (aus Bennike & Brade 1999, 66, Abb. 86)

Abb. 20: Degenerative Veränderungen an Fußknochen durch Lepra; Fundort Naestved, Dänemark, mittelalterlich (aus Bennike & Brade 1999, 61, Abb. 76)

Abb. 18: Durch Tuberkulose verformte Wir-belsäule eines 10jährigen Kindes; Fundort Viborg, Dänemark (aus Bennike & Brade 1999, 63, Abb. 82)

Abb. 16: Bruchkante an frischem Knochen (green bone fracture) (Foto Küchelmann)

Abb. 17: Stufenförmige und helle Bruchkan-te am teilweise dekompostierten Knochen („columnar fracture“); Grabungsartefakt, 6fach vergrößert (aus Küchelmann 1997, 108, Abb. 80)

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genannte epigenetische Merkmale) han-delt. Eine besonders augenfällige Anoma-lie, die zu Fehlinterpretationen geradezu einlädt, ist das Foramen sterni (s. Abb. 22). Dieses selten auftretende Loch im Brustbein wird mitunter als verheilte Schussverletzung oder Verätzung gedeu-tet. Andere bekannte Anomalien um-fassen z. B. Löcher im Gelenk des Ober-armknochens (Foramen supratrochlea-re), zusätzliche Knochenplatten im Schädel

Keine verheilte Schuss- verletzung sondern

anatomische Anomalie

(Schaltknochen, Wormsche Knochen, Ossa suturarum), zusätzliche Finger oder Zehen (Polydactylie) oder gabelförmige Rippen.

Neuere Untersuchungen legen nahe, dass bei vollständig vorhandenen Skelet-ten durch Vergleich der linken und rech-ten Schulter-, Arm- und Handknochen Aussagen über die Links- oder Rechtshän-digkeit einer Person getroffen werden können (Bennike & Brade 1999, 46; Herr-

mann et al. 1990, 109–115; Steele 2000; Wells 1965, 37–41, 135–136).

Analyse von Biomolekülen, Spuren-elementen und stabilen Isotopen

Mittels moderner hochspezifischer Ana-lyseverfahren, wie Atomabsorptionsspek-trometrie, Massenspektrometrie, Gas-chromatogaphie, Dünnschichtchromato-graphie u. a. lassen sich Biomoleküle, wie Fette, Proteine, Collagen und DNS auch in geringen Mengen nachweisen. Möglich-keiten der DNS-Analyse an Knochen sind beispielsweise die Geschlechtsbestim-mung, die Zuordnung einzelner Skelett-elemente zu bestimmten Individuen oder die Feststellung von Verwandtschafts-beziehungen. Eine noch im Entwicklungs-stadium begriffene biomolekulare Ana-lysemethode ist die Messung der Amino-säurerazemisation. Sie beruht auf der Tat-sache, dass Aminosäuren, die Bausteine vieler Biomoleküle, in der Natur in einem Gleichgewicht aus zwei unterschiedlichen Formen (Isomeren) vorkommen, in leben-den Körpern jedoch nur in einer Form (linksdrehende Aminosäuren). Mit dem

Tod eines Individuums stellt sich das natür-liche Gleichgewicht langsam wieder ein. Der Grad der Abweichung vom Gleichge-wicht kann zur Datierung genutzt wer-den, aber auch zur Feststellung ther-mischer Beeinflussungen (z. B. durch Ko-chen).

Da es sich bei Biomolekülen um organi-sches Material handelt, unterliegen diese biologischen Abbauprozessen und sind direkt vom Grad des Erhaltungszustandes abhängig. Biomoleküle erhalten sich am besten in kühlem, trockenem und mikro-klimatisch stabilem Milieu. Unter be-stimmten Bedingungen kann das Kristall-gitter der anorganischen Komponente des Knochens die Biomoleküle vor Zerset-zung schützen. So enthielten beispiels-weise 2700 – 3000 Jahre alte Knochen aus der Liechtensteinhöhle im Harz noch analysierbare DNS. Alle biomolekularen Messungen sind stark anfällig für Kon-taminationen, die durch Referenzmessun-

Kontamination durch Referenz-messungen ausschließen

gen des umgebenden Substrates aus ge-schlossen werden müssen (Berg et al. 1981, 97; Hedges & Wallace 1978; Herr-man et al. 1990, 247–255; O’Connell et al. 1997; Poinar et al. 1996; Schultes 1998).

Mit der Nahrung werden Spurenele-mente in den Körper aufgenommen und im Verlauf des Stoffwechsels auch in den Knochen eingebaut. Da Knochen ein Ge-webe ist, das langsam umgebaut wird, spiegeln sich hierbei vor allem langfristige Effekte wider. Die Konzentration be-stimmter Spurenelemente erlaubt Aus-sagen über die Ernährungsgewohnheiten des Individuums, beispielsweise ob vor-wiegend fleischliche oder pflanzliche Nahrung zu sich genommen wurde. Durch die zunehmende Verbreiterung der Datenbasis in diesem Forschungsgebiet dürfte in absehbarer Zeit auch eine Zuord-nung zu regionalen Lebensräumen mög-lich sein (Beyser et al. 2003; Herrman et al. 1990, 231–247; Parker & Toots 1988, 197–207).

Toxikologie

Unter Umständen können an Knochen-funden auch nach Jahrhunderten noch Spuren von Vergiftungen nachgewiesen werden. Möglich ist dies insbesondere bei Schwermetallen, wie Blei, Arsen oder Quecksilber, jedoch muss auch hier durch die parallele Untersuchung des umgeben-den Substrates eine lagerungsbedingte

Abb. 21: Harris-Linien im Rönt-genbild: quer zur Knochenachse verlaufende Bänder sehr dichten Knochengewebes, die durch längere Krankheit oder Unterernährung hervorgerufen werden können (aus Bennike & Brade 1999, 15, Abb. 8)

Abb. 22: Beim Foramen sterni handelt es sich um eine vererbliche, nicht pathologi-sche Anomalie des Brustbeins (aus Bennike & Brade 1999, 46, Abb. 47)

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Kontamination ausgeschlossen werden. Eine Fluoridvergiftung kann eine Defor-mation und Gewichtszunahme der Kno-chen bewirken. Organische Gifte und der Tod durch giftige Gase sind demgegen-über bis dato nicht nachweisbar. Eine Aus-nahme bildet die Vergiftung durch den Mutterkornpilz (Secale cornutum), die im Vergiftungsverlauf (Ergotismus, „St. An-tonius Feuer“) u. a. zum Absterben und der Abstoßung von Knochengewebe (Ne-krosen) führt (Berg et al. 1981, 62–65; Hermann et al. 1990, 159–160; Wells 1965, 111–113).

Werkzeugspuren

Für die Forensik von besonderem Interesse sind Spuren der Einwirkung von Werkzeu-gen und Waffen auf Knochen, da sie mit gewaltsamen Todesursachen oder krimi-nellen Manipulationen an Leichen in Ver-bindung stehen können. Aus funktionaler Sicht können hierbei schneidende Bewe-gungen, Einschläge mit scharfen und stumpfen Gegenständen, Sägebewegun-gen, Projektile und Bohrungen unter-schieden werden.

Schneidebewegungen mit einer Klinge erzeugen lineare V-förmige Scharten in

der Knochenoberfläche, wobei Material aus dem Knochengewebe entfernt wird. Bei Vergrößerung werden feine parallele Linien in Schnittrichtung an den Seiten-wänden der Spur (striations) sichtbar, die durch Unregelmäßigkeiten der Klingen-kante verursacht werden (s. Abb. 23 – 25). Die Mikro-Morphologie der Schnittspur erlaubt Rückschlüsse auf die Art der ver-wendeten Klinge (Material, Dicke, Win-kel, Schartigkeit, etc.). Es ist inzwischen möglich, Schnittspuren von Feuerstein- und Bronzeklingen zu unterscheiden und auch unterschiedliche Arten moderner Messer. Die Seitenwände der Schnittspu-ren können unterschiedlich geneigt sein, woran der Winkel der Klingenführung

Schnittwerkzeug Schnittrichtung und zeitliche

Abfolge erkennbar

abgelesen werden kann. Die Betrach-tung von Anfang und Ende einer Spur kann die Schnittrichtung erkennbar ma-chen, während Überlagerungen mehrerer Spuren eine zeitliche Abfolge belegen. Gelegentlich entstehen am Ende einer Schnittspur sogenannte „Widerhaken”

(barbs) durch gegenläufige Handbewe-gungen beim An- und Absetzen des Werkzeugs (s. Abb. 25). Die Berücksichti-gung der Lokalisation einer Spur am Kno-chen und der Lage des Knochens im Kör-per kann unter Umständen einen Hinweis auf Links- oder Rechtshändigkeit des Aus-führenden geben (Berg et al. 1981, 130; Binford 1981, 105–142; Boylston 2000, 361; Cavallo et al. 1991, 132–145; Green-field 1999; 2000; Hermann et al. 1990, 117–123; Küchelmann 1997, 137–139; Lyman 1994, 303–315; Potts & Shipman 1981; Shipman 1981, 108–109; Shipman et al. 1981; Shipman & Rose 1983; von den Driesch & Boessneck 1975).

Einschläge mit scharfen Gegenständen erzeugen ebenfalls Kerben mit oberfläch-lich V-förmigem Querschnitt in der Kno-chenoberfläche, jedoch ist die mikrosko-pische Struktur von Hiebspuren von derje-nigen von Schnittspuren deutlich zu un-terscheiden: Hiebspuren sind in der Regel gröber und unregelmäßiger in ihrer Struk-tur und besitzen keine parallelen Längsrie-fen. Häufig sind Bruchschollen in die Ker-be eingedrückt (s. Abb. 26). Oft ist eine Seitenwand der Schlagmarke glatt, wäh-rend die andere unregelmäßig ist und

Abb. 26: Schlagspuren: oben: Einschlag von links; 12fach vergrößert; unten: zwei parallele Einschläge, links mit wulst-artig aufgeworfener Seitenkante; 12fach vergrö-ßert (aus Küchelmann 1997, 140, Abb. 93b, d)

Abb. 23: Schematische Darstellung einer Schnittspur (aus Küchelmann 1997, 25, Abb. 13)

Abb. 25: Schnittspur mit „Widerhaken“, 12fach vergrößert (aus Küchelmann 1997, 138, Abb. 91d)

Abb. 24: Schnittspur, 12fach vergrößert (aus Küchelmann 1997, 138, Abb. 91a)

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Kriminalistik 10/2005 593Kriminalwissenschaften

wulstartige Aufwerfungen zeigen kann (s. Abb. 26b). Dies zeigt, dass die Kraftein-wirkung von der glatten Seite aus erfolgt sein muss. Ein weiteres Indiz für einen Ein-schlag sind vom Zentrum der Spur aus-strahlende Fissuren. Wenn der Knochen durch den Einschlag nicht nur oberfläch-lich beschädigt, sondern durchtrennt wur-de, ist dies an einer charakteristischen pla-nen Trennfläche erkennbar. Auch bei Schlagmarken kann die Ausrichtung und die anatomische Lage Rückschlüsse auf die Werkzeugführung ermöglichen (Ben-nike & Brade 1999, 51–52; Berg et al. 1981, 44–57; Binford 1981, 142–147; Boylston 2000, 361; Hermann et al. 1990, 121–122; Lyman 1994, 303–315; Potts & Shipman 1981, 577; Shipman 1981, 110, 173–174, 199). Zwei Fallbeispiele für Hiebverletzungen und deren Interpretationen: In einem alamannischen Gräberfeld bei Herrenberg, Kreis Böblingen, Baden-Württemberg, wurde 1995 das Grab ei-nes männlichen jungen Erwachsenen ent-deckt, dessen linke Elle (Ulna) und Speiche (Radius) am unteren Ende verheilte Am-putationsstümpfe aufwiesen. Außerdem

fanden sich im Grab das fehlende Ende des linken Radius mit einer unverheilten Hiebspur sowie Teile der linken Hand (s. Abb. 27). Der Person wurde demzufolge die Hand abgetrennt, möglicherweise im Kampf mit einem Schwert. Daß der junge Mann noch Monate, wenn nicht Jahre da-nach gelebt hat, belegt die verheilte Wun-de (Wahl et al. 2004).

Bei Baumaßnahmen in der Bremer Vio-lenstraße wurde 1983 ein mittelalterlicher Kugeltopf gefunden, der die Knochen der rechten Hand eines erwachsenen Man-nes, sowie Hühner- und Schweinekno-chen enthielt. Mehrere Handwurzelkno-chen (Carpalia) wiesen Hiebspuren auf, die belegen, dass die Hand mit einem scharfen Werkzeug abgetrennt wurde (s. Abb. 28). Als Interpretation wird hier ent-weder eine Gerichtsstrafe oder ein soge-nanntes „Leibzeichen” – eine „pars pro toto”-Vertretung eines Opfers in einem Mordprozess angenommen.

Eine plane Trennfläche wird auch durch Sägen erzeugt, allerdings sind Sägeflä-chen von Trennflächen durch Hieb ein-deutig durch die auf der Fläche erkennba-ren subparallelen Riefen zu unterschei-den, die durch die Sägebewegung hervor-

gerufen werden (s. Abb. 29). Stumpfe Ge-genstände hinterlassen großflächige Zer-störungen am Knochen (s. Abb. 30), die häufig durch radiär von der Einschlagstel-le fortlaufende Fissuren gekennzeichnet sind. Die Form des Einschlags ermöglicht Aussagen über die Art des verwendeten Objektes. Verletzungen durch Projektile (Kugeln, Pfeile, etc.) zeichnen sich durch eine gleichmäßige Eintrittsöffnung und eine unregelmäßig splittrige Austrittsöff-nung aus (s. Abb. 31) (Bennike & Brade 1999, 49; Berg et al. 1981, 44–56, 130–131; Herrmann et al. 1990, 120–127; Noe-Nygaard 1975; Wells 1965, 45–59).

Zu den Werkzeugspuren sind auch die Spuren chirurgischer Eingriffe am Kno-chen zu zählen. Hierzu gehören u. a. Am-putationen (s. Abb. 32), Eingriffe am Ge-biß, die bereits seit dem Neolithikum be-kannten Trepanationen (Schädelöffnun-gen zu therapeutischen Zwecken) und Schädeldeformationen aus Schönheits-gründen (Bennike & Brade 1999, 45–48; Berg et al. 1981, 60–62; Herrmann et al. 1990, 120–122; Ullrich 1964; Wells 1965, 141–148, 161–173, 264, 277–278, Abb. 18–20, 80–83)

Abb. 27: Linke Speiche eines jungen Er-wachsenen, oben verheilter Amputations-stumpf, unten unverheilte Hiebspur; Fundort Herrenberg, Kreis Böblingen, Ba-den-Württemberg, alamannisch, um 700 n. Chr. (aus Wahl et al. 2004)

Abb. 28: Rechte Hand eines erwach-senen Mannes mit durchschlagenen Handwurzelknochen (Carpalia); Fundort Bremen, Violenstr., mittelalterlich, 13. Jhdt. (Foto Landesarchäologie Bremen)

Abb. 29: Sägeschnitt; Knochenhandwerksabfall, Mittelfußknochen (Metacarpus) eines Rin-des, Fundort Bremen, Böttcherstr., mittelalterlich (Foto Küchelmann)

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Kriminalwissenschaften Kriminalistik 10/2005594

Hitzeeinwirkung

Spuren thermischer Einwirkung auf Kno-chen lassen sich in mehrere Stufen unter-teilen, die von der Temperatur und der Dauer der Einwirkung abhängen. Bei Tem-peraturen bis ca. 400 °C findet eine un-vollständige Verbrennung der organi-schen Knochensubstanz statt, die mit ei-ner Farbveränderung von elfenbein über braun bis schwarz (Verkohlung) einher-geht. Höhere Temperaturen in Verbin-dung mit längerer Verbrennungszeit füh-ren zur vollständigen Verbrennung der or-ganischen Bestandteile (Kalzinierung). Die Farbe verändert sich dabei über hellgrau bis weiß und der Knochen bekommt eine brüchige, kreidige Struktur. Durch die Hit-zespannung entstehen charakteristische Rissmuster (s. Abb. 33–34). Bei sehr ho-hen Temperaturen (ab ca. 800 °C) schmel-zen und verglasen die kristallinen anorga-nischen Bestandteile. Der Knochen wird hart und spröde und ist in diesem Zustand sehr widerstandsfähig gegen Zerstörung.

Anhand des Verbrennungsgrades kann somit auf den Verbrennungsvorgang rückgeschlossen werden. Im Verlaufe der Verbrennung schrumpfen, fragmentieren und verdrehen sich Knochen, aber die Ein-zelteile behalten im Wesentlichen ihre anatomische Form. Es ist daher auch an verkohlten und kalzinierten Fragmenten möglich, Alters-, Geschlechts- und Grö-ßenbestimmungen vorzunehmen. Auf Leichenbrand spezialisierte Anthropolo-gen können an verbrannten Knochen eine erstaunliche Vielfalt von Daten ablesen. Heutzutage wird Leichenbrand nach der Kremation in der Regel mechanisch zerklei-nert, was die Bestimmung erschwert, aber selbst hierbei lassen sich anhand von Volu-men und Gewicht noch Einschätzungen vornehmen. Die verbrannten Überreste von Männern sind beispielsweise statis-tisch betrachtet schwerer als die von Frau-en (Berg et al. 1981, 78–80; Caselitz 2002; Costamagno et al. 1999; Coy 1975; Lyman 1994, 384–392, McKinley 2000; Shipman 1981, 177–179, 200; Wahl 1982).

Raubtierverbiss

Raubtiere können sowohl für den Tod von Menschen verantwortlich, als auch als Aasfresser an der Zerstückelung und Ver-schleppung von Leichenteilen beteiligt sein. Dabei entstehen in der Regel charak-teristische Spuren am Skelettmaterial in Form von Bissspuren, Kaumarken und Korrosion durch Magensäure oder Urin.

Raubtiere (Carnivora) benutzen ihre ke-gelförmigen Eckzähne (Canini) als Fang-zähne zum Halten und Töten ihrer Beute. Zum Zerkleinern werden die Backenzähne verwendet, genauer gesagt, der vierte Prämolar des Oberkiefers und der erste Molar des Unterkiefers. Mit dieser soge-nannten Brechschere werden auch Kno-chen zerbissen (s. Abb. 35). Dabei entste-hen Perforationen (punctures), wobei oft die zerstörte Knochenoberfläche in die Löcher eingedrückt ist (s. Abb. 36). Wenn die Zähne auf der Knochenoberfläche entlang gleiten, bilden sich flache, unre-gelmäßig verlaufende Riefen mit U-förmi-

Abb. 32: Amputation im Mittelalter (aus Ben-nicke & Brade 1999, 46; Quelle: von Gersdorf 1517)

Abb. 34: kalzinierter Knochen mit charakte-ristischem Rißmuster; Fundort Hirbet-ez Zeraquon, Jordanien, Frühbronzezeit, 20fach vergrößert (aus Küchelmann 1997, 144, Abb. 95a)

Abb. 33: Urne mit Leichenbrand; Fundort Daverden, Kreis Verden, bronzezeitlich (Foto Steffens) Abb. 30: Schädelbruch (Depressionsfraktur)

durch Hammereinschlag (aus Berg et al. 1981, 48, Abb. 45)

Abb. 31: Schädelverlet-zung durch Pistolenschuß, oben Eintrittsöffnung (E), unten Austrittsöffnung (A) (aus Berg et al. 1981, 56, Abb. 64)

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gem Querschnitt (gnawing marks; s. Abb. 37). Raubtiere bevorzugen als Nahrung die weniger kompakten, spongiösen Kno-chenteile, Beschädigungen treten daher vorwiegend an Wirbelsäule, Rippen, Un-terkiefer, Schulterblatt, Becken und an den Gelenkenden von Röhrenknochen auf (s. Abb. 38). Berücksichtigt werden muss bei der Beurteilung, dass die ver-schiedenen Raubtierfamilien unterschied-liche Verhaltensweisen haben. Katzen (Fa-milie Felidae) fressen beispielsweise kaum Aas oder größere Knochen. Für Raubtier-verbiss sind in Mitteleuropa vor allem die Hundeartigen (Familie Canidae: Hunde, Füchse, Wölfe) verantwortlich. Während dies im urbanen Bereich zumeist Haus-hunde sind, kommen auf dem Land auch Füchse in Frage. Caniden verschaffen sich auch Zugang zu vergrabenen Leichen.

Spuren anderer Tiere

Mäuse, Ratten und einige andere Nage-tierarten benagen regelmäßig Knochen. Sie bevorzugen dabei altes und verwitter-

tes Knochenmaterial, fressen aber mitun-ter auch Aas und frische Knochen. Auf-grund ihrer unterirdischen Lebensweise können Nager auch an bereits im Boden eingebettetes Knochenmaterial gelan-gen. Nagespuren sind als charakteristi-sche U-förmige, breite Furchen mit fla-chem oder leicht gewölbtem Boden leicht erkennbar (s. Abb. 39 – 41) (Andrews 1990, 6–7; Bang & Dahlström 1981, 162–163; Berg et al. 1981, 129; Brain 1975, 113, 163; Brothwell 1976, 179; Shipman 1981, 95–96, 108, 111, 133). Nicht nur Geier ernähren sich von Aas, auch die meisten anderen Greifvögel (Ordnung Falconiformes) würden eine of-fen zugängliche Leiche nicht verschmä-hen, nicht zu vergessen die Krähenvögel (Familie Corvidae). Hierbei können durch den Schnabel erzeugte Hack- und Biss-marken an Knochen entstehen (s. Abb. 42) (Andrews 1990, 40; Bang & Dahl-ström 1981, 153–157).

Mit zunehmender Vergrößerung des Fachwissens über Leichen besiedelnde In-

sekten und der Verfeinerung der analyti-schen Methoden hat die forensische Ento-mologie in der Kriminalistik in den vergan-genen Jahrzehnten steigende Bedeutung erlangt. Bei der Beurteilung vollständig skelettierter Knochen sind Insekten je-doch kaum von Interesse, denn Knochen werden von Insekten in der Regel nicht

Auch entomologische Auswertungsmöglichkeiten

berücksichtigen

angegriffen. Lediglich einige wenige Kä-ferarten (Familien Dermestidae, Cleridae, Ptinidae, s. Abb. 43), eine Motte (Tinea deperdella) und einige Termitenarten fres-sen gelegentlich an Knochen oder bohren sich zur Verpuppung hinein (Behrensmey-er 1978, 154, 156; Herrman et al. 1990, 5; Kruuk 1975, 17; Shipman 1981, 111–112; Tobien 1965, 444–445).

Bei der Bergung und Bearbeitung von Knochenmaterial sollte auf Puppenhüllen

Abb. 35: Brechscherengebiß einer Tüpfel-hyäne (Crocuta crocuta); der Knochen markiert die Zähne des Gebisses mit denen Raubtiere Knochen zerkleinern (aus Kruuk 1975, 16, Abb. 4)

Abb. 36: Raubtierbißspur (puncture); Fundort Hirbet-ez Zeraquon, Jordanien, Frühbronzezeit, 12fach vergrößert (aus Küchelmann 1997, 113, Abb. 82d)

Abb. 37: Kaumarken eines Raubtieres (gna-wing marks); Fundort Hirbet-ez Zeraquon, Jordanien, Frühbronzezeit, 10fach vergrö-ßert (aus Küchelmann 1997, 115, Abb. 83e)

Abb. 39: Nagezähne eines Bibers (Castor fiber) (aus Schmid 1972, 79, Tafel III)

Abb. 40: Schematische Darstellung der Form von Nagespuren (aus Küchelmann 1997, 27, Abb. 16)

Abb. 38: Typische splittrige Bißkante an einer Rinderrippe, hervorgerufen durch einen Haushund (Canis lupus f. familiaris) (aus Küchelmann 1997, 120, Abb. 85)

Page 11: Aussagefähigkeit von aufgefundenem Knochenmaterial

geschlüpfter Insekten geachtet werden, die sich in Knochenhöhlungen oder in der Nähe des Skelettes erhalten haben kön-nen und sich zu Untersuchungen im Be-reich der forensischen Entomologie he-ranziehen lassen.

Für die Forensik nur nebensächlich und daher hier nur der Vollständigkeit halber erwähnt sei die Tatsache, dass auch ande-re Tierarten, wie z. B. Paarhufer (Schafe, Ziegen, Rinder) oder Insektenfresser (Igel, Maulwürfe, Spitzmäuse) identifizierbare Spuren an Knochen erzeugen (Andrews 1990, 4–7; Brothwell 1976; Furness 1988; Sutcliffe 1973).

Verwitterung

Unter Verwitterung wird definitions-gemäß die Veränderung von Knochen durch physikalische Wetter- und Klimaein-

flüsse an der Erdoberfläche verstanden. Der Wechsel zwischen Hitze, Kälte, Feuchtigkeit und Trockenheit führt zur mechanischen Zerstörung der Knochen-struktur. Verwitterung beginnt also erst nach der vollständigen Zersetzung der Weichteile und endet mit der Einbettung

Forschung noch im Anfangsstadium

in den schützenden Boden. Typische An-zeichen für Verwitterung sind feine Risse in der Knochenoberfläche parallel zur Hauptrichtung der Collagenfasern und daran anschließend das sukzessive Ab-blättern von Oberflächenschichten bis zum vollständigen Zerfall des Knochens (s. Abb. 44). Verwitterungsspuren weisen hohe Einheitlichkeit auf und betreffen zu-

meist größere Oberflächenbereiche des Knochens. Anhand des Verwitterungssta-diums ist es möglich die Liegezeit an der Erdoberfläche grob einzuschätzen. Die Forschungen in dieser Richtung befinden sich jedoch noch im Anfangsstadium (An-drews 1990, 10; Behrensmeyer 1978; Gif-ford & Behrensmeyer 1977, 259; Herrman et al. 1990, 8; Shipman 1981, 115–119, 177–178, 200; Tappen 1994).

Transportspuren

Wasserströmungen und Wind verursa-chen Erosionsspuren, die an Knochen in Form von Rundungen oder Abschliff er-kennbar sind. Diese Rundungen entste-hen, indem Knochen über einen Unter-grund bewegt werden oder indem be-wegte Teilchen (z. B. Flugsand) den Kno-chen abschleifen. Bruchkanten und her-

Abb. 43: Insekten-Fraßspuren an einem fos-silen Schulterblatt eines Elefantenverwand-ten; Fundort Westhofen bei Worms, Pliozän, Länge der Bohrgänge 11 – 20 mm (aus To-bien 1965, Tafel 35)

Abb. 44: Verwitterungsstadien nach Beh-rensmeyer (1978): oben: Stadium 1 = 0 bis 3 Jahre Verwitterung; unten: Stadium 5 = 6 bis über 15 Jahre Verwitterung

Abb. 45: Verschiedene Abrundungsgrade (aus Shipman 1981, 114)

Abb. 41: Nagespuren an Knochen; Fundort Hirbet-ez Zeraquon, Jordanien, Frühbronze-zeit, 12fach vergrößert (aus Küchelmann 1997, 126, Abb. 87a)

Abb. 42: Bißspuren eines Greifvogels (Falconiformes) am Brustbein eines Vogels (aus Bang & Dahlström 1981, 153)

Kriminalwissenschaften Kriminalistik 10/2005596

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vorstehende Knochenpartien, wie Fort-sätze, Kämme, Leisten, Gelenkrollen, etc. können dadurch bis zum völligen Ver-schwinden abgetragen werden (s. Abb. 45) (Andrews 1990, 16–20; Berg et al. 1981, 52–53; Boaz & Behrensmeyer 1976; Müller 1992, 63–69, 102–110; Shipman 1981, 28–41). Da die Bedingun-gen für Winderosion in Mitteleuropa eher selten gegeben sind, legt das Auftreten von Abrollungsspuren den Schluss nahe, dass die Funde in fließenden Gewässern transportiert wurden oder in Uferzonen Wellenbewegungen ausgesetzt waren. Ein zusätzlicher Hinweis hierauf kann z. B. starke Bleichung durch Sonneneinstrah-lung sein.

Weitere Oberflächenspuren

Bestimmte Pflanzenarten scheiden an ih-

ren Wurzeln Säuren aus, mit denen sie in ihrer Umgebung befindliche Nährstoffe anlösen. Auf Knochenoberflächen wird durch solche Wurzelätzungen ein charak-teristisches netzartiges Muster erzeugt (s. Abb. 46) (Andrews 1990, 19–22; An-drews & Cook 1985; Berg et al. 1981, 129; von den Driesch & Boessneck 1975, 17, Tafel 7).

Liegen Knochen an verkehrsreichen Or-ten, wie Wegen, Straßen, Wildwechseln, Wasserstellen, etc., offen an der Erdober-fläche, so führt die häufige Belastung durch Betreten oder befahren („tramp-ling“) je nach Beschaffenheit des Unter-grundes zu unspezifischen Beschädigun-gen der Oberfläche in Form von Brüchen, Kratzern, Schrammen oder Politur. Der-artige Spuren betreffen eher flache oder hervortretende und kaum ausgehöhlte Bereiche des Knochens (Andrews 1990, 7, 18–20; Brain 1967, 15–19; Bromage 1984; Herrman et al. 1990, 8; Haynes 1983; Schmid 1965; Shipman 1981, 95–97)

Erhaltungsfähigkeit und Liegezeitbestimmung

Im Gegensatz zu den heutzutage weit entwickelten Möglichkeiten der Bestim-mung des Todeszeitpunktes im Zeitraum von Stunden bis Wochen nach Eintritt des Todes (Post Mortem Intervall), bereitet die Einschätzung der Liegezeit vollständig skelettierter Knochen Probleme. Die In-tensität und Dauer der Zersetzungsvor-gänge an Knochen hängt von den Umge-bungsbedingungen ab, und die mögliche Variationsbreite ist so groß, dass generali-sierende Aussagen nicht zulässig sind.

Vollständige Zersetzung nach 30 bis 50 Jahren oder erst nach

Jahrtausenden

Während ein Körper einschließlich des Skeletts unter optimalen Bedingungen nach 30 – 50 Jahren vollständig zersetzt sein kann, erhalten sich Knochen unter speziellen Gegebenheiten über Jahrtau-sende. Zu unterscheiden ist zunächst zwi-schen ober- und unterirdischer Lagerung. Bei ersterer sind die Mechanismen der Verwitterung (s. o.) vorwiegend bestim-mend, wohingegen bei unterirdischer La-gerung vor allem biologische und che-mische Faktoren wirksam werden. Ein we-sentlicher Teil der Knochenzersetzung wird durch Mikroorganismen (Bakterien, Pilze, Algen) bewerkstelligt, die für einen effektiven Abbau Sauerstoff, Wasser und

eine ausreichende Umgebungstempera-tur benötigen. Sind diese Faktoren nicht gegeben, findet die Zersetzung nicht oder nur sehr langsam statt. Da die genannten Faktoren stark von der Art des umgeben-den Bodens beeinflusst werden, lassen sich die unterschiedlichen Bodenarten nach guten und schlechten Erhaltungs-bedingungen klassifizieren. Vereinfacht ausgedrückt erhalten sich Knochen in grobkörnigen, sauerstoffdurchlässigen Böden (Sand, Kies) schlecht, in feinkörni-gen, undurchlässigen Böden (Ton, Lehm) gut. Ein weiterer wesentlicher Faktor ist die bodenchemische Reaktion: Alkalische Böden bieten vergleichsweise gute Erhal-tungsbedingungen, während saure Bö-den eine schnelle Zersetzung bewirken. Unter Berücksichtigung solcher klimati-schen und bodenkundlichen Faktoren (Korngröße, Wasser- und Sauerstoffhaus-halt, pH-Wert, etc.), ist eine grobe Ein-schätzung der Liegezeit möglich, die sich aber eher im Zeitraum von Jahrzehnten bewegt (Berg et al. 1981, 94–97; Herr-mann et al. 1990, 8–14; Shipman 1981, 41–42). Erfolgversprechende Forschun-gen zur genaueren Messung der Liegezeit werden derzeit mit verschiedenen radio-aktiven Isotopen durchgeführt, allerdings ist die Datenbasis bis dato noch nicht breit genug, um allgemeingültige Aussagen zu treffen. Die inzwischen gut funktionieren-de Radiokarbonmethode ist für forensi-sche Zwecke kaum geeignet, da sie erst ab einer Liegezeit von mehreren hundert Jahren gute Ergebnisse liefert.

Fundlage und Spurensicherung

Abschließend sei noch einmal eindringlich auf die Bedeutung der Fundlage hinge-wiesen. Jede Untersuchung von auf-gefundenem Knochenmaterial muss mit der genauen Dokumentation des Fund-zustandes beginnen, da bereits die Fund-lage Informationen über die Todes-umstände oder über Manipulationen an der Leiche beinhalten kann, die nach der Asservierung des Materials und der an-schließenden Untersuchung im Labor nicht mehr erkennbar sind. Es ist weiter-hin empfehlenswert, am Fundort eine Bo-denprobe zu nehmen (ohne Berührung der Probe und mit sauberen Werkzeu-gen!) und diese für möglicherweise not-wendige spätere Untersuchungen zu as-servieren. Es versteht sich von selbst, dass es hierzu keine Regeln oder Gesetzmäßig-keiten gibt, sondern dass jeder Fall indivi-duell betrachtet werden muss. Die beiden folgenden Beispiele sollen deutlich ma-

Abb. 46: Wurzelätzungen (aus Küchelmann 1997, 105, Abb. 79a)

Abb. 47: Skelett eines 16jährigen Mädchens mit Zysten in der Unterleibsregion; Fundort Naestved, Dänemark, mittelalterlich (aus Bennike & Brade 1999, 28, Abb. 30)

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chen, dass wertvolle Informationen verlo-ren gehen können, wenn die Knochen le-diglich eingesammelt und zur Unter-suchung ins Labor gebracht werden.

Jeder Fall muss individuell betrachtet werden

Abbildung 47 zeigt den Skelettfund eines 16-jährigen Mädchens aus Dänemark, bei dessen Ausgrabung im Unterleibsbereich kalkhaltige Gebilde entdeckt wurden, die sich bei der späteren Untersuchung als Zysten eines Bandwurmes herausstellten. Der starke Bandwurmbefall dürfte den Gesundheitszustand deutlich verschlech-tert und somit zumindest mittelbar zum frühen Tod des Mädchens beigetragen haben (Bennike & Brade 1999, 28–29).

In Abbildung 48 ist beispielhaft anhand eines Rinderkadavers eine typische Fund-lage dargestellt. Es handelt sich hierbei um eine Wasserleiche, die nach dem Stranden auf einer Sandbank starker Son-neneinstrahlung ausgesetzt war. Hierbei verkürzen sich infolge der schnellen Aus-trocknung die kräftigen Muskeln und Sehnen der Nackenmuskulatur und füh-ren zu einer unnatürlichen Überstreckung von Kopf und Hals. Eine derartige Fundla-ge erlaubt auch nach der vollständigen Skelettierung Rückschlüsse auf z. B. kli-matische Bedingungen zum Todeszeit-punkt, Transportvorgänge, Verwesungs-prozesse, etc. Bei Nichtberücksichtigung derartiger taphonomischer Prozesse be-steht die Gefahr von Fehlinterpretationen (Weigelt 1999, 124–131, Tafel XIII).

web: www.knochenarbeit.de

Danksagung Ich möchte mich herzlich bei Manfred Krupski für die Einladung zum Vortrag bei der Arbeitstagung der Kriminalistischen Studiengemeinschaft bedan-ken, die mir eine spannende Recherche in einem Arbeitsfeld ermöglicht hat, das ein wenig abseits

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Abb. 48: Rinderleiche mit scharf zurückgebo-genem Hals; Fundort Brazos-River, USA, 1925 (aus Weigelt 1999, Tafel XIII, Fig. 1)

meiner alltäglichen Arbeit liegt. Pia Bennike, Joa-chim Wahl, Renate Rolle, Steffen Berg und dem Springer Verlag, Heidelberg, danke ich für die Er-laubnis, ihre Abbildungen verwenden zu dürfen. Britta Gorontzy und Daniela Nordholz sei für das Lektorieren gedankt.

*Vortrag gehalten am 28.10.2004 auf der Arbeits-tagung der Kriminalistischen Studiengemeinschaft Bremen

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RECHT AKTUELL

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Kriminalistik 10/2005 599Kriminalwissenschaften

1. Der Begriff der „Vernehmung“ ist in einem weiten Umfang zu verstehen und umfasst unabhängig davon ob, die Angaben förmlich protokolliert werden, alle Bekundungen über wahrgenommene Tatsachen auf Grund einer amtlichen, von einem Staatsorgan durchgeführten Befragung, bei der der Beweiserhebungswille des Amtsträgers nach außen erkennbar geworden ist. 2. Auch die Befragung eines Angehörigen des Beschuldigten durch einen Vertreter der Jugendgerichtshilfe ist eine Vernehmung in diesem Sinne und löst gegebenen-falls die Pflicht zur Belehrung über ein Zeugnisverweigerungsrecht aus. 3. Verweigert eine zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigte Person die Aus-sage (erstmalig) in der Hauptverhandlung, so ist es unzulässig, die Aussage durch Anhörung einer nichtrichterlichen Verhörsperson (hier: Vertreter der Jugend-gerichtshilfe) in die Hauptverhandlung einzuführen und zu verwerten. (Nichtamtl. Leitsätze)

Anmerkung: Die Ehefrau des Angeklagten (A) hatte in der Hauptverhandlung von ihrem Aus-sageverweigerungsrecht (§ 52 Abs. 1 Nr. 2 StPO) Gebrauch gemacht. In der Entschei-dung, dass auf die Straftaten des A nicht Jugendstrafrecht, sondern Erwachsenen-strafrecht anzuwenden war, hat sich die

Jugendkammer unter anderem auch mit den Äußerungen der Ehefrau des A und seiner Eltern – letztere waren nicht gela-den worden – gegenüber der Jugend-gerichtshilfe auseinandergesetzt. Der Se-nat hat zwar im Ergebnis das Rechtsmittel des A verworfen, jedoch deutlich ge-macht, dass die Jugendkammer die Anga-

ben der Ehefrau des A und seiner Eltern nicht habe verwerten dürfen. Die Vorschrift des § 252 StPO verbiete nicht nur entsprechend ih-rem Wortlaut die Verlesung der früheren Aussage eines Zeugen, der erst in der Haupt-verhandlung von seinem Zeugnisverweige-rungsrecht Gebrauch mache, sondern unter-sage auch (s. Leits. 3) die Verwertung der Aussage durch Vernehmung der früheren Verhörspersonen. Das gelte auch für die Be-fragung durch Vertreter der Jugendgerichts-hilfe, weil es sich hierbei um eine gezielte Da-tenerhebung im Sinne des – umfassend zu verstehenden – Begriffs der Vernehmung i. S. des § 52 StPO handele.

In concreto beruhe das angefochtene Ur-teil indessen nicht auf der unzulässigen Ver-wertung der Angaben der Ehefrau des A und seiner Eltern.

BGH, Beschl. v 21. September 2004 – 3 StR 185/04 – NStZ 2005, S. 219 jv

Befragung eines Angehörigen durch Jugendgerichtshilfe

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