290
G.W. F. HEGEL · VORLESUNGEN · BAND 16

Bd. 16 - Vorlesungen über die Philosophie der Natur.pdf

Embed Size (px)

Citation preview

G. W. F. HEGEL · VORLESUNGEN · BAND 16

GEORG WILHELM FRIEDRICH HEGEL

VORLESUNGENAusgewählte Nachschriften

und Manuskripte

Band 16

FELIX MEINER VERLAGHAMBURG

FELIX MEINER VERLAGHAMBURG

GEORG WILHELM FRIEDRICH HEGEL

Vorlesungenüber die Philosophie

der NaturBerlin 1819/20

Nachgeschrieben vonJohann Rudolf Ringier

Herausgegeben von

MARTIN BONDELI

und

HOO NAM SEELMANN

Die Deutsche Bibliothek – CIP-Einheitsaufnahme

Hegel, Georg Wilhelm Friedrich:Vorlesungen : ausgewählte Nachschriften und Manuskripte /Georg Wilhelm Friedrich Hegel. – Hamburg : Meiner

Bd. 16. Vorlesungen über die Philosophie der Natur :Berlin 1819/20 / nachgeschr. von Johann Rudolf Ringier.Hrsg. von Martin Bondeli und Hoo Nam Seelmann. – 2002

ISBN 3-7873-1612-4

© Felix Meiner Verlag GmbH, Hamburg 2002. Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Über-setzung, vorbehalten. Dies betrifft auch die Vervielfältigung und Übertragung einzelner Textabschnitte, durch alle Verfahren wie Speicherung und Über-tragung auf Papier, Transparente, Filme, Bänder, Platten und andere Medien, soweit es nicht §§ 53 und 54 URG ausdrücklich gestatten. Satz: post scriptum, Emmendingen / Hinterzarten. Druck: Strauss Offsetdruck, Mörlenbach. Ein-band: Keller, Kleinlüder. Werkdruckpapier: holzfrei, alterungsbeständig nach ANSI-Norm und DIN-ISO 9706, hergestellt aus 100 % chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Printed in Germany.

INHALT

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII

Philosophie der Natur

nach der Vorlesung im Wintersemester 1819/20 in Berlin

[Einleitung] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 [Einteilung] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10

[Erste Abteilung]. [ Die Mechanik] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 [A. Raum und Zeit] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 [ B. Materie und Bewegung. Endliche Mechanik] . . . . 26 [C. Absolute Mechanik] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30

[Zweite Abteilung]. [ Die Physik] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 [A. Physik der allgemeinen Individualität] . . . . . . . . . . 52 [ a. Die freien physischen Körper] . . . . . . . . . . . . . 53 [ b. Die Elemente] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 [ c. Der elementarische Prozeß] . . . . . . . . . . . . . . . 73 [ B. Physik der besonderen Individualität] . . . . . . . . . . 78 [ a. Die spezifi sche Schwere] . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 [ b. Kohäsion] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 [ c. Der Klang] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 [d. Die Wärme] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 [C. Physik der totalen Individualität] . . . . . . . . . . . . . . 97 [ a. Die Gestalt] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 [ b. Die Besonderung des individuellen Körpers] . . 106 [ c. Der chemische Prozeß] . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119

VI Inhalt

Dritte [Abteilung]. [Organische Physik] . . . . . . . . . . . . . . . 139 [A. Die geologische Natur] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 [ B. Die vegetabilische Natur] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 [C. Der tierische Organismus] . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 [ a. Die Gestalt] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 [ b. Die Assimilation] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 [ c. Der Gattungsprozeß] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179

AnhangZeichen, Siglen, Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193Editionsbericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195

I. Quelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 II. Editionsprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200

Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203Personenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255

EINLEITUNG

1. Bedeutung und Aktualitätvon Hegels Philo sophie der Natur

Hegels Philo sophie der Natur, die in seinem enzyklopädischen Sy-stem die Mitte zwischen Logik und Geistphilo sophie bildet, zählt zu den großen Würfen des auf eine lange Tradition zurückblickenden kosmologisch-natur philo sophischen Denkens. Abgesehen von ihrer monumentalen Systemarchitektonik beeindruckt sie durch die Syn-thesis- und Refl exionsleistung, die sie unter der Zielsetzung, Geist und Natur als versöhnt zu denken, vollbringt. In Hegels Philosophie der Natur verbindet sich nicht nur eine Naturspekulation in der Linie der neuplatonischen Lehre des Einen mit der Vernunft- und Systemidee kantischer und nachkantischer Herkunft, in ihr ver-schmelzen auch synoptische mit ins Detail diffundierten Betrach-tungsweisen der Natur. Die Naturwelt wird sowohl als Gesamt natur, als aufsteigender Stufenbau, dargestellt als auch als Natur im Kleinen, als Stufengefüge in seinen stoff li chen Verästelungen. Hinzu kommt, daß Hegels Philo sophie der Natur durch eine Zusammenführung von philo sophischem Denken und Erkenntnissen der Naturwissen-schaften besticht. Die dem philo sophischen Denken obliegende Dar-stellung der Natur im Großen und Kleinen steht in einem produk-tiven Wechselverhältnis mit naturwissenschaftlichen Beobachtungen, Hypothesen sowie mathematisch formulierten Gesetzesaus sagen.

Welche ansehnliche Refl exionsleistung zugleich in Hegels natur-philo sophischem Denken steckt, wird besonders aus dieser Zusam-menführung von philo sophi schem und naturwissenschaftlichem Wissen augenfällig. Durch sie kommt es zur Refl exion auf die Grenzen naturwissenschaftlicher Erklärung, zur Frage der möglichen Integration der Naturwissenschaften in die Natur philo sophie sowie zur Klärung des Bedürfnisses und Sinnes natur philo sophischen Den-kens. In dieser Perspektive werden die Erkenntnisse und Methoden der Naturwissenschaften als durch den philo sophischen Standpunkt

VIII Einleitung

der Vernunft noch unrefl ektierte Formen der sinnlichen Gewißheit, der Wahrnehmung und des Verstandes betrachtet, so daß eine der Hauptaufgaben der Natur philo sophie darin besteht, solche Formen durch die Vernunft zu reorganisieren. Die dieser Aufgabe imma-nente Kritik erschöpft sich dabei nicht im Vorwurf, die von den Natur wissenschaften erbrachten Erkenntnisse und Methoden seien ein seitig auf den Bereich einer dem Denken gegenüberstehenden Empirie ausgerichtet. Was den Naturwissenschaften hauptsächlich zur Last gelegt wird, be trifft vielmehr die Seite des Denkens. Anzu-kreiden ist ihnen der Mangel an einer begreifenden und damit an einer der Wirklichkeit, der Ganzheit der Natur gerecht werdenden Denkform. Neben der Kritik an einem Verstand, der sich seiner Herrschaft über die Natur nicht bewußt ist, wird auf dieser Basis ein Denkverhältnis der Naturwissenschaften in den Blick gebracht, das inkonsistent erscheint. Das naturwissenschaftliche Denken be-trachtet auf der einen Seite die Natur als isoliert-einzelne und ab-strakt-allgemeine Gegenstandswelt. Auf der anderen Seite erhebt es den Anspruch, die Natur in ihrer ›wahren‹ Wirklichkeit zu erfassen. Dieser Inkonsistenz entgeht es, so Hegels kritische Pointe, nur dann, wenn es über die – für seine genuinen Zwecke durchaus nötige .– Beschränkung zugleich hinausgeht, wenn es seine partiellen und abstrakten Denkergebnisse in ein Denken ganzheitlichen Zuschnitts einbindet.

Wie die Rezeption von Hegels Natur philo sophie dokumentiert, hat die Vergegenwärtigung ihrer beeindruckenden Synthese- und Refl exionsleistung freilich nicht nur zu Würdigungen und ansatz-weise kongenialen Neuentwürfen wie etwa im Falle von Friedrich Engels’ »Dialektik der Natur« geführt. Sie hat auch, und dies lange Zeit überwiegend, zu Verwerfungen und zahlreichen Einwänden Anlaß gegeben. Zu den bekanntesten kritischen Einlassungen ge-hört: Hegel habe die angestrebte Vermittlung von philo sophischem und empirischem bzw. naturwissenschaftlichem Erkennen wegen der einengenden, auf die Einheit von Darstellung und dargestelltem Gegenstand abzielenden Systemgestalt nicht herzustellen vermocht; er sei aufgrund dieser Einheitsmaxime zwangsläufi g zur Mißachtung der Empirie und des eigenen Ideals einer konkreten Allgemeinheit verleitet worden. Diese kritische Sicht machte sich seit dem Ende

Einleitung IX

der Hegelschen Ära besonders in Geistesströmungen bemerkbar, die ein Aufgehen der Philosophie in den Einzelwissenschaften forder-ten, oder auch in Philosophien, deren Devise in einem ›Zurück zu Kant‹ bestand. Dabei fand sie stets auch eine Stütze im linkshegelia-nischen Porträt eines hybriden, sich die Realität zurechtbiegenden Systemkonservators Hegel. Periodisch kehrt auch der nicht nur von Hegel-Gegnern erhobene Vorwurf wieder, das durchaus sinnvolle Vorhaben der Vermittlung von philo sophischer Systematik und Empirie liege mit Hegels Natur philo sophie in einer obsoleten oder mangelhaft realisierten Gestalt vor. In dieser Richtung wird im Blick auf neuere Ergebnisse und Theorien in den Naturwissenschaften auf die epochenbedingte Antiquiertheit von Hegels Vermittlungs-produkt hingewiesen. Darüber hinaus stößt man auf die These, Hegel sei bereits zu seiner Zeit von einer ungenügenden Faktenlage ausgegangen, hinter dem damals aktuellen Stand der Naturwissen-schaften zurückgeblieben und auch über deren Erkenntnismetho-den nicht ausreichend informiert gewesen. Schließlich wird Hegels Natur philo sophie seit jeher in profi lierter Weise mit Argumenten attackiert, die im Geiste der Hegel-Kritik des späten Schelling ihr Augenmerk auf eine Hegelsche Idee der organisch-ganzheitlichen Natur richten, die als noch allzu begriffs- oder geisteslastig, als alles in allem zuwenig prägnant von der ›kalten‹ Naturwissenschaft ab-gehoben erscheint. Von dieser Seite diagnostiziert man, daß Hegel sich zwar im Einklang mit Herder, Goethe und Schelling zum Paradigma der organischen Gesamtnatur bekannte, sich jedoch im Unterschied zu diesen Vertretern der klassischen Natur philo sophie gegenüber der Annahme einer vom Geist unabhängigen, d. h. selbst in und durch sich geistartig verfaßten Natur ebenso reserviert zeigte wie gegenüber Vorstellungen einer schöpferischen oder göttlichen Natur, als verkappte Naturfeindlichkeit. Im selben Atemzug wird Hegels Defi nition der Natur als »Idee in der Form des Andersseins«1

1 Hegel, Enzyklopädie der philo sophischen Wissenschaften im Grundrisse (1830). Gesammelte Werke (GW), in Verbindung mit der Deutschen For-schungsgemeinschaft hrsg. von der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 20, Hamburg 1992 (im folgenden: Enzyklopädie [1830]), Zweiter Teil, § 247.

X Einleitung

zum Stein des Anstoßes. Hegels Versuch, unter dieser Formel die Natur nicht nur als die ›andere‹ Idee zu fassen, sondern auch und vornehmlich als die Idee in ihrem Außersichsein und Äußerlichsein, erscheint als Indiz, daß es ihm am Ende weniger um eine Befreiung der Natur kraft eines naturfreundlichen Geistes denn um eine Be-freiung des Geistes von der Natur zu tun war.

Erst in jüngerer Zeit ist, auf der Basis eines vertieften und zum Teil auf ökologische Motive zurückgehenden naturwissenschaftlich-phi-losophischen Interesses, mit der Vorherrschaft negativer Urteile über Hegels Philo sophie der Natur gebrochen worden. Dabei geht die Aufwertung der Hegelschen Natur philo sophie mit beachtenswerten Entgegnungen auf die genannten Einwände einher. So wird geltend gemacht, Hegels darstellungsbedingter Antiempirismus dürfe nicht mit Empiriefeindlichkeit verwechselt werden. Außerdem dürfe die Systemforderung einer Einheit von Darstellung und dargestelltem Gegenstand nicht derart mißverstanden werden, daß die Stufenord-nung der Naturdarstellung stets jener der Natur selber entspreche oder daß die dargestellte Stufenfolge der Natur die von der Natur selbst produzierte Stufenfolge sei. Die Tatsache, derzufolge Hegel seine systemorientierte Darstellung der Natur als richtige, ande-ren Methoden überlegene Voraussetzung für die Wiedergabe der wirklichen Natur erachte, schließe die Möglichkeit nicht aus, nach wie vor bestehende Differenzen von dargestellter und wirklicher Natur festzuhalten. In der Tat ist Hegel denn auch der Ansicht, daß die logisch-begreifende Stufenordnung der Natur nur bedingt mit der real vorliegenden übereinstimmt. Und in bezug auf die Frage der Stufenfolge stellt Hegel bekanntlich klar, er hege nicht den Anspruch, realgenetische Zusammenhänge dergestalt aufzuzeigen, daß die Natur sich über die Reproduktion ihrer einzelnen Stufen hinaus selber produziere, daß sie mit anderen Worten von einer bestimmten Stufe aus die jeweils folgende selbst herstelle.2 Offen-kundig hält Hegel eine Annahme dieser Art auch nicht für sinnvoll und verwirft deshalb Naturmodelle, welche die Natur als »System

2 Vgl. D. Wandschneider, Natur und Naturdialektik im objektiven Idea-lismus Hegels, in: Die Natur philo sophie im deutschen Idealismus, hrsg. von K. Gloy und P. Burger, Stuttgart-Bad Cannstatt 1993, S. 274 –278.

Einleitung XI

von Stufen« mit notwendiger Abfolge mit Hilfe der Goetheschen »Metamorphose« des Natürlichen3 oder auch auf der Basis des da-maligen Evolutionsgedankens begreifen wollen.4 Was die genannten Schwächen in der Vermittlung von Theorie und Empirie betrifft, gilt es, wie die Entgegnungen auf die Kritiken weiter darlegen, die bisherigen Ansichten entschieden zu relativieren. Zwar ist Hegel bei der Aufnahme naturwissenschaftlicher Ergebnisse keineswegs vor Irrtümern gefeit. Die generelle Einschätzung, er habe die Wis-senschaften seiner Zeit ungenügend rezipiert, läßt sich aber kaum halten.5 Und selbst an der These der Antiquiertheit von Hegels Natur philo sophie läßt sich rütteln. So kann man etwa Hegels Theo-rie der Raum-Zeit-Einheit und des körperlosen Lichts eine partielle Vorwegnahme von Einsichten, durch welche die Relativitätstheorie die Physik revolutioniert hat, nicht absprechen.6 In Anbetracht der auf den späten Schelling rekurrierenden Kritik an Hegels angeb-lichem Geistzentrismus wird man schließlich einerseits einräumen müssen, daß Hegel, indem er sich im Grunde von naiven Varianten der Idee einer sich selbst produzierenden Natur distanziert, weit-gehend unerörtert läßt, ob und in welcher Form anspruchsvollere Varianten dieser Idee einzubeziehen wären. Andererseits wird man Hegel zugute halten müssen, daß er mit seinem nüchternen Blick auf die Natur und mit seiner auf Integration bedachten Kritik an

3 Vgl. Enzyklopädie (1830), Zweiter Teil, § 249. GW 20. 238 f.4 Siehe W. Bonsiepen, Die Begründung einer Natur philo sophie bei Kant,

Schelling, Fries und Hegel. Mathematische versus spekulative Natur philo sophie, Frankfurt a. M. 1997, S. 489 ff.

5 Dies belegen neben neueren Einzelstudien zu Hegels Natur philo so-phie die philo sophie- und wissenschaftshistorisch ausgerichteten Beiträge in: Hegels Philo sophie der Natur. Beziehungen zwischen empirischer und speku-lativer Naturerkenntnis, hrsg. von R.-P. Horstmann und M. J. Petry, Stuttgart 1986; Hegel und die Naturwissenschaften, hrsg. von M. J. Petry, Stuttgart-Bad Cannstatt 1987. Über den komplexen Zusammenhang zwischen dem For-schungsstand der Naturwissenschaften des 18. und 19. Jahrhunderts und der Natur philo sophie Hegels siehe auch die ausführlichen Kommentare von M. J. Petry in: Hegel’s Philo sophy of Nature, 3 vol., London/New York 1970.

6 Vgl. D. Wandschneider, Relative und absolute Bewegung in der Rela-tivitätstheorie und in der Deutung Hegels, in: Hegels Philo sophie der Natur, hrsg. von R.-P. Horstmann und M. J. Petry, S. 350 –362.

XII Einleitung

den Naturwissenschaften nicht ein verkappt naturfeindliches, son-dern ganz einfach das – verglichen mit Schelling – realistischere und deshalb wohl auch zukunftsträchtigere Projekt einer ›ganzheitlichen‹ Natur verfolgt.

Während die neuerliche Rehabilitierung des Naturdenkers He gel wie auch die Porträtierung eines Hegel, der zukünftigen naturwissenschaftlichen Einsichten vorarbeitet, nur beschränkt für die Aktualität seiner Philo sophie der Natur sprechen, ist dies bei der Anknüpfung an das Ideal der Versöhnung von Geist und Natur und bei der Fortführung der Refl exionen zum Verhältnis von philo-sophischem und naturwissenschaftlichem Erkennen nicht der Fall. Das Bemühen einer Beseitigung sich destruktiv auswirkender Ent-zweiungen von Geist und Natur7 und der Versuch, eine Versöhnung von Geist und Natur, die der Komplexität der Zusammenhänge und Interessenlagen Rechnung trägt, im Denken zu antizipieren, sind spätestens seit dem ökologisch sensibilisierten Blick auf die Natur und die Naturwissenschaften ebenso von ungebrochener Aktuali-tät und Berechtigung wie das Bemühen, die Naturwissenschaften in ihren Erkenntnissen und Methoden derart auf den Standpunkt der Vernunft zu erheben, daß sie zum einen in einen totalisieren-den Kontext gestellt und zum anderen in ihrer Eigenständigkeit anerkannt werden. Und mag Hegel auch in einigen Fällen die Erkenntnismethoden der Naturwissenschaften allzu simplifi zierend wiedergegeben haben,8 so bleibt dennoch seine Methodenkritik, die darauf hinlenkt, die Natur in philo sophischer Hinsicht als die wirkliche Natur zu erfassen, ein unentbehrliches Korrektiv zum Vorgehen der heutigen Naturwissenschaften.

7 Ein Ausdruck dieser Entzweiungen war bereits zur Zeit Hegels der schonungslose Umgang mit tierischen Körpern. Es existierte damals eine Flut von Publikationen, in denen offen und detailliert grausame Experi-mente an Hunden, Pferden, Katzen, Vögeln, Fröschen, Fledermäusen und anderen Tieren geschildert wurden.

8 Zu Hegels unzureichender Unterscheidung von empiristischer und na turwissenschaftlicher Methode sowie von formal- und funktional-ab-straktem Gesetzesbegriff vgl. R. Wahsner: Die Macht des Be griffs als Tätig keit (§ 208). Zu Hegels Bestimmung der Betrachtungsweisen der Natur. Preprint 196. Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte. 2002, S. 8 ff.

Einleitung XIII

2. Zu Entstehung und Grundkonzeptvon Hegels Natur philo sophie

Hegels Philo sophie der Natur wird auch in Abhandlungen zu seinem System allgemein häufi g stark kritisiert. Vielen Interpreten gilt sie als Schwachpunkt seines philo sophischen Œuvres oder als Nebenprodukt seiner Denkentfaltung. Vielfach herrscht auch die Auffassung vor, Hegel sei innerhalb des deutschen Idealismus der Philo soph der Logik und Geistphilo sophie, während die Natur philo-sophie eindeutig zu den Domänen Schellings gehöre. Zu dieser Ansicht steht in Kontrast, daß Hegel sich seit seinen frühesten Stu-dienjahren regelmäßig mit Mathematik, Physik und Botanik befaßte und beim Exzerpieren einschlägiger wissenschaftlicher Werke von Anbeginn die Naturwissenschaften einbezog.9 Zudem muß sich diese Ansicht mit der Tatsache konfrontieren lassen, daß Hegel spätestens seit den Frankfurter Jahren die Natur zu einem zentralen Thema seines nachkantischen Philo sophierens erhob.

Hegels esoterisches Philo sophiekonzept bis zur frühen Frank-furter Zeit läßt sich als Anwendung von Kants moralisch-ästhe-tischem Subjektivitätsgedanken auf verschiedenste Gegenstände umschreiben. Falls Hegel, wie da und dort angenommen, in der Tat auch der geistige Autor des in seiner Handschrift überlieferten sogenannten Ältesten Systemprogramms des deutschen Idealismus von 1796/97 ist, besteht in dieser Phase bereits der Plan, die Anwendung von Kants Lehre gleichfalls auf die »Felder der Physik« auszudehnen und dadurch dieser Wissenschaft »einmal wieder Flügel« zu verlei-hen.10 Wie das am Ende der Frankfurter Jahre niedergeschriebene Systemprogramm von 1800 11 verrät, entwickelt Hegel dieses Konzept

9 Vgl. den gerafften und informativen Überblick zur Entstehung von Hegels Natur philo sophie in: W. Bonsiepen, Hegels Raum-Zeit-Lehre. Dar-gestellt anhand zweier Vorlesungsnachschriften, in: Hegel-Studien 20 (1985), S. 10 –16.

10 Vgl. Mythologie der Vernunft. Hegels ›ältestes Systemprogramm des deut-schen Idealismus‹, hrsg. von C. Jamme und H. Schneider, Frankfurt a. M. 1984, S. 11, Z. 8, 11.

11 Vgl. Hegels Theologische Jugendschriften, hrsg. von H. Nohl, Tübingen 1907, S. 344 –351.

XIV Einleitung

sodann zu einem – Kants Metaphysikkritik durch einen neuplato-nisch geläuterten Spinozismus unterlaufenden – Systemansatz fort, dessen höchstes philo sophisches Prinzip die absolute Einheit und Vereinigung von Subjektivität und Objektivität ist und der in sei-ner begrifflich-refl exiven Grundstruktur als Herausgehen aus und Rückkehr zu dieser Einheit in Form eines antinomischen Fort-schreitens ausgestaltet wird. Die anzustrebende absolute Einheit oder Vereinigung von Subjektivität und Objektivität wird dabei vorzüglich »Sein«, »Leben« oder auch »Natur« genannt, so daß sich ein spekulatives Naturverständnis nachgerade zum Mittelpunkt von Hegels damaligem Philo sophieren erhoben sieht. Dies wird unter neuen Bedingungen bis in eine erste Phase der Jenaer Zeit hinein unverändert bleiben: Die frühesten Jenaer Systementwürfe zeugen von einem Primat der Natur philo sophie vor allen anderen System-teilen.12 Daß bei diesem Schritt Anregungen durch Schellings frühe, mit Fichtes Wissenschaftslehre konkurrierende natur philo sophische Schriften im Spiel sind, ist unverkennbar. Schelling ist sodann auch derjenige, der in der Aufstellung des für die Etablierung der Natur-philo sophie innerhalb des nachkantischen Systemdenkens richtung-weisenden absoluten Identitätssystems, eines Systems, welches die Transzendental- und Natur philo sophie erklärtermaßen zusammen-schließt, zunächst den führenden Part übernimmt. Dabei kann von einer Inkompetenz oder Unselbständigkeit Hegels in Sachen Natur-philo sophie aber keine Rede sein. Dies um so weniger, als Hegel in der Durchführung des gemeinsamen Systems von Anbeginn eigene Akzente setzt und überdies seinem Mitstreiter in der Fähigkeit, das spekulative Natursystem durch den Einbezug mathematisch-natur-wissenschaftlicher Stoffe zu erhärten oder zu modifi zieren, in nichts nachsteht.

Noch während der Frankfurter Zeit betreibt Hegel, unter Bei-zug zahlreicher natur philo sophischer Werke, darunter jener von Kant, Kepler und Newton, ein intensives Studium der Himmels-mechanik. Ein Teil der Textfragmente, die er zu dieser Thematik anfertigt, geht in seine Habilitationsschrift von 1801 Dissertatio

12 Vgl. H. Kimmerle, Hegels Natur philo sophie in Jena, in: Hegel in Jena, hrsg. von D. Henrich und K. Düsing, Bonn 1980, S. 207–216.

Einleitung XV

Philo sophica de Orbitis Planetarum13 ein. In dieser Schrift, mit der Hegel sich den Zugang zur Jenenser Dozententätigkeit verschafft, legt er auch den Grundstein für seine künftige Gegenposition zu zentralen Thesen Newtons. Wie andernorts in der Frage der Farbenlehre Goethe gegen Newton wird in der Planetenschrift in der Frage der Himmelsmechanik Kepler gegen Newton vehement in Schutz genommen. Kepler, der die Gesetze der Himmelsbewe-gungen noch vorwiegend aus einer neuplatonischen, namentlich durch Proklos inspirierten Auffassung der kosmischen Harmonie heraus erschließt, wird gegen Newton, der diese Gesetze vor allem mathematisch fundiert, verteidigt. Während in der Habilitations-schrift hauptsächlich eine Newtonsche Verdinglichung von geome-trischen Kräftekonstruktionen moniert wird, folgt bald auch eine polemische Bestreitung der Entdeckungsleistung Newtons im Falle des Gravitations gesetzes.14 In eigener Sache vertritt Hegel gegen Newtons Erörterung der Gravitation durch die am Beispiel des Kreises veranschaulichte Beziehung der Trägheitsbewegung eines Körpers an der Peripherie und der Anziehungskraft zum Mittel-punkt die damals auch von Franz von Baader und Schelling hoch-gehaltene These, wonach die Schwere als nicht isolierbares Moment einer Kräftekonstellation, genauer als Gleichgewicht, Mitte, Ruhe-punkt von attrahierender und repulsierender Kraft, zu begreifen ist. Schwere, träge Materie für sich gesehen, ist nach Hegel ein bloßes Gedankending.

Mit der seit der frühen Jenaer Periode manifest werdenden, sich in der thematischen Ausrichtung der Vorlesungen spiegelnden Ein-

13 Hegel, Dissertatio Philo sophica de Orbitis Planetarum. Philo sophische Er-örterung über die Planetenbahnen, übersetzt, eingeleitet und kommentiert von W. Neuser, Weinheim 1986.

14 Zu den gerechtfertigten und ungerechtfertigten Einwänden Hegels gegen Newton siehe: W. Neuser, Einleitung zu G. W. F. Hegel, Dissertatio Philo sophica de Orbitis Planetarum, S. 7 ff; W. R. Shea, Hegel’s Celestial Me-chanics, in: Hegels Philo sophie der Natur, hrsg. von R.-P. Horstmann und M. J. Petry, S. 30 – 44; F. H. van Lunteren, Hegel and Gravitation, in: ebd., S. 45– 53; W. Bonsiepen, Die Aktualität der Hegelschen Natur philo sophie, in: Philo sophische Rundschau 35 (1988), S. 221–224; R. Wahsner, Zur Kritik der Hegelschen Natur philo sophie. Über ihren Sinn im Lichte der heutigen Natur-erkenntnis (Hegeliana Bd. 7), Frankfurt a. M. 1996, S. 153 –165.

XVI Einleitung

teilung des gesamten philo sophischen Systems in eine – zunächst noch als Einleitung in das System der absoluten Philo sophie in Vor schlag gebrachte – »Logik« einerseits und eine in Natur- und Geistphilo sophie aufgeteilte »Metaphysik« andererseits ist die Grundlage für die kommende Eingliederung der Natur philo sophie in das dreiteilige enzyklopädische System geschaffen. Nach einem weiteren Rezeptionsschub naturwissenschaftlicher Schriften15 und unter der Teilnahme an Forschungen und Experimenten kommt es in der mittleren und späten Jenaer Phase zu ausführlichen Entwür-fen eines Systems der gesamten Natur. Davon zeugen die zwischen 1803 und 1806 entstandenen, im Kontext angekündigter Vorlesun-gen zur Natur- und Geistphilo sophie zu situierenden Manuskripte natur philo sophischen Inhalts aus der Jenaer Realphilo sophie.16 Aus ihnen geht hervor, daß der damalige Anfang des Natursystems mit der Vorstellung einer sich zum Dasein bestimmenden »absoluten Materie« eng mit der Ausarbeitung des begrifflich-kategorialen Systems der Seinslogik verwoben war. Besonderes Gewicht legte Hegel außer dem auf den Übergang von einem unendlichen oder »himmlischen« zu einem endlichen oder »irdischen« System der Mechanik. Schließlich wird aus diesen Manuskripten umgehend ersichtlich, daß die spätere Grundeinteilung der Natur philo sophie in Mechanik, Physik und organische Physik der Sache nach bereits vorliegt. Allerdings stehen Teile jener Inhalte, die später unter der Physik abgehandelt werden, noch unter einem zweiten Haupttitel des »Chemismus«. Die damit noch vorherrschende Einteilung der Natur philo sophie in »Mechanismus«, »Chemismus« und »Organis-mus« wird sich bekanntlich in den abschließenden, zu den Begriffen des »Lebens« und der »Idee« überleitenden Teilen von Hegels Wis-senschaft der Logik forterhalten.

Vergleiche von Hegels damaligen Ausarbeitungen des Natursy-stems mit Schellings Systementwürfen nach 1800 lassen signifi kante

15 Zu der in dieser Periode einsetzenden Beschäftigung Hegels mit der quantitativen Chemie und Elektrochemie siehe D. von Engelhardt, Hegel und die Chemie. Studie zur Philo sophie und Wissenschaft der Natur um 1800, Wiesbaden 1976, S. 87 ff.

16 Vgl. Hegel, Jenaer Systementwürfe I–III. GW 6 – 8.

Einleitung XVII

Übereinstimmungen erkennen. Für beide ist die Annahme eines Stufenbaus der – geistgeschöpften oder zumindest geistgeschwän-gerten – Natur vom Unorganischen zum Organischen ebenso ty-pisch wie die Auffassung, daß in diesem Stufenbau die Natur sich zunehmend als mit geistähnlichen Strukturen angereichert darstellt. Der Stufenbau erscheint dadurch bei beiden als Aufstieg von der Schwere zum Licht, als Anreicherung von Strukturen der Totalität und Selbstbeziehung innerhalb des Ansich, der Natur. Sowohl für Hegel als auch für Schelling hat zudem der Organismus eine Son-derstellung: Weil die Natur auf dieser Stufe den Geist am treffendsten antizipiert, fi ndet sie im Organismus zu sich, kehrt sie gleichsam aus ihrer Entäußerung im Mechanismus, in der Physik und im Che-mismus zu sich zurück. Differenzen ergeben sich in der Einteilung des Stufenbaus sowie in den Graden der Herausbildung und logi-schen und naturwissenschaftlichen Durchdringung der jeweiligen Naturstufen. Insgesamt ist bei Schelling die Unter scheidung von Attraktions-, Repulsions- und Schwerkraft, die im Anorganischen als Magnetismus, Elektrizität und chemischer Prozeß, im Organi-schen als Sensibilität, Irritabilität und Reproduktion wiederkehrt, dominanter. Aufgrund der seit der mittleren Jenaer Periode Hegels manifest werdenden divergenten Stellung der beiden Denker zur Idee der Naturproduktivität ergibt sich aber auch eine relevante Differenz in der Grundlegung des Systems. Schellings positive Auf-nahme dieser Idee schlägt sich nicht zuletzt in der Option nieder, die Natur als Urkraft, den Geist als eine höhere Potenz derselben zu begreifen und dementsprechend das gesamte philo sophische System als Natursystem zu errichten. Dagegen haben Hegels stär-ker werdende Vorbehalte dieser Idee gegenüber, die immer auch an der engführenden Gleichsetzung von Subjektivität, Geist und Freiheit ablesbar werden, ihre Entsprechung in einem System der Philo sophie, das in der Sache und im gesamten Systemaufbau die Zäsur von Natur und Geist betont. Zu erwähnen ist schließlich, daß Hegel aufgrund der auf dem Weg zur Phänomenologie des Geistes von 1807 zunehmenden Empfänglichkeit für begründungs- und wahrheitstheoretische Fragen dem Verhältnis von philo sophischem, natürlichem und naturwissenschaftlichem Erkennen interessierter gegenübersteht als Schelling. Mit der Methode eines sich schritt-

XVIII Einleitung

weise korrigierenden Mißverhältnisses von Wahrheitsanspruch und tatsächlichem Resultat, die Hegel anhand des sinnlichen und ver-ständigen Bewußtseins innerhalb der ersten Kapitel seines fi nalen Jenaer Werkes entfaltet, wird ein kritisch-darstellendes Verfahren für die Beurteilung der Naturwissenschaften bereitgestellt.

Nach den Jenaer Jahren, in Hegels Phase als Gymnasialrektor in Nürnberg, setzt bei der Ausarbeitung und Niederschrift des ersten Bandes der Wissenschaft der Logik von 1812 ein erneutes Studium der Mathematik ein. Hegel faßt nebenbei den Plan, ein Lehrbuch der Mathematik für die Gymnasialstufe zu schreiben. Das bishe-rige System der Natur wird dadurch in bestimmten Teilen durch logische und mathematische Erkenntnisse gefestigt. Von zentraler Bedeutung in dieser Phase ist aber die nicht zuletzt für Unterrichts-zwecke wichtige Ausarbeitung des gesamten Systems zu einer enzy klopädischen Form. Diese Ausarbeitung macht es erforderlich, mit dem Gesamtsystem auch die Natur philo sophie übersichtlicher und konzentrierter wiederzugeben. Seit 1808 legt Hegel beim Unterricht am Gymnasium eine Philo sophische Enzyklopädie für die Oberklasse zugrunde, die den Charakter einer vorangehenden Kurzfassung der kommenden Ausgaben der Enzyklopädie hat. Aus der Grundeinteilung dieser Kurzfassung erhellt, daß Hegel inzwi-schen der Mathematik, welche zentral die Erörterungen zu Raum und Zeit umfaßt, ein größeres Gewicht verleiht. Dieser, in der Jenaer Zeit offen kundig in die »Mechanik« fallende Teil 17 macht nun den ersten Hauptabschnitt aus, auf welchen die »Physik des Unorganischen«, die ihrerseits in die »Mechanik« und »Physik des Unorganischen« unterteilt wird, und die »Physik des Organischen« folgen.18 Mit dieser Gliederung steht das Einteilungsgerüst der er-sten Ausgabe der Enzyklopädie.

Mit den drei, während der Heidelberger (1817) und Berliner Zeit (1827, 1830) ver öffentlichten Ausgaben der Enzyklopädie der philo-sophischen Wissenschaften im Grundrisse gelangt Hegels System der

17 Vgl. Hegel, Jenaer Systementwürfe III. GW 8. 3 ff.18 Vgl. Hegel, Philo sophische Enzyklopädie für die Oberklasse, §§ 96 –126,

in: Nürnberger Schriften, hrsg. von J. Hoffmeister, Leipzig 1938 (vgl. MM 4. 33 – 41).

Einleitung XIX

Natur zu einem würdigen Abschluß. Wie in der Nürnberger Philo-sophischen Enzyklopädie für die Oberklasse begegnet dem Leser im natur philo sophischen Teil des Gesamtsystems ein in Paragraphen-form präsentierter Text, den Hegel erklärtermaßen als Leitfaden der Vorlesungen verwendet. Der Umfang des Textes ist nun allerdings von 30 auf über 100 Paragraphen in der ersten bzw. 130 in der zweiten und dritten Ausgabe angewachsen. Im Vergleich zur Natur-philo sophie der Jenaer Jahre ist jene aus der Enzyklopädie nicht nur in ihrer Gliederung verbessert, in ihrem logischen Gedankenbau stringenter und in ihrem naturwissenschaftlichen Wissensstand fortgeschrittener. Sie ist auch in sich gesehen weniger spekulativ. Die in Jena da und dort noch dynamisch-pantheistisch gefärbten Charakterisierungen der Materie sind so gut wie getilgt. Durch die stärkere Eingliederung der Natur philo sophie als Mittelteil zwi-schen Logik und Geistphilo sophie schlägt sich die bisher kenntlich gewordene Zäsur zwischen Geist und Natur nun auch in Form von umbruchartigen, mit theologischen Konnotationen versehenen Übergängen nieder. Die Natur als Anderssein der Idee erhält zu-sätzlich die Bedeutung einer frei beschlossenen Selbstentäußerung aus dem vollendeten logischen Gedanken.19 Diese Bedeutung darf bekanntlich in die Nähe zum gnostischen Bild des Abfallens der Natur von Gott gerückt wie auch mit den – einen emanistischen Pantheismus negierenden – Ideen der freien Schöpfung und der Natur- bzw. Menschwerdung Gottes in Zusammenhang gebracht werden. Die Natur ihrerseits, welche in ihrem Innerlichsein zu ihrer »Wahrheit«, dem Geist, fi ndet, ist im Übergang zur Welt des Geistes als »verschwunden« zu betrachten.20 Damit spiegelt sich am Übergang von der Natur zum Geist das christologische Motiv der im Prozeß der Natur- bzw. Menschwerdung Gottes stattfi ndenden Aufopferung des Einzelnen, Äußerlichen, Abstrakten.

19 Vgl. Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grund-risse und andere Schriften aus der Heidelberger Zeit. Sämtliche Werke. Jubiläums-ausgabe in zwanzig Bänden, hrsg. von H. Glockner, Bd. 6, Stuttgart 41968 (im folgenden: Enzyklopädie [1817]), Erster Teil, § 191, S. 144.

20 Vgl. ebd., Dritter Teil, § 299, S. 227.

XX Einleitung

Wirft man einen vergleichenden Blick auf die verschiedenen Ausgaben der Enzyklopädie, sind vor allem zwischen der Heidel-berger und den beiden Berliner Ausgaben größere Unterschiede zu vermerken. Die Gliederung der Heidelberger Enzyklopädie, dieeine verfeinerte Gliederung der Kurzfassung der Nürnberger Philo-sophischen Enzyklopädie für die Oberklasse darstellt, nimmt auf dem Weg zur ersten Berliner Ausgabe eine Grundeinteilung an, die als Neuauflage der genannten Jenaer Einteilung erscheint. Die Mathe-matik wird nicht mehr als erster Teil vorangestellt, vielmehr fallen ihre Hauptinhalte, Raum und Zeit, erneut unter einen ersten Teil der »Mechanik«.21 Der zweite Teil, die Physik, verkleinert sich ei-nerseits durch die Ausgliederung der Mechanik, erfährt andererseits infolge der detaillierteren Darstellung bisheriger physikalischer Phänomene eine erhebliche Ausdehnung und Umgruppierung. Amauffallendsten ist der neu hinzugekommene Abschnitt einer »Physik der besonderen Individualität«, der die physikalischen Phänomene der »spezifi schen Schwere«, der »Kohäsion«, des »Klangs« und der »Wärme« zusammenfaßt. Der dritte, die organische Physik be-treffende Teil wird nur geringfügig verändert. Auf der Stufe des tierischen Organismus fällt die Erörterung seiner dreigeteilten Ge-stalt neu vor die Unterscheidung von Sensibilität, Irritabilität und Reproduktion, so daß diese Unterscheidung ein stärkeres Gewicht für die gesamte triadische Einteilung dieses Bereichs erhält. Unüber-sehbar ist schließlich, daß der Einleitungsteil auf dem Weg von der Heidelberger zur Berliner Enzyklopädie eine neue Gestalt annimmt. Er wird vor allem um die an den Anfang gestellte Thematik des Verhältnisses von praktischem und theoretischem Verhalten des Menschen zur Natur erweitert.22 Dabei kommt in der Ausführung dieses Verhältnisses ein weiterer Aspekt von Hegels realistisch-prag-

21 Der Grund dieser Wandlung liegt offen bar darin, daß Hegel zwi-schen einer gewöhnlichen, auf der Ebene von Raum, Zeit und Verstand anzusiedelnden, und einer philo sophischen Mathematik, die dem Begriff des Maßes zuzuordnen ist, unterscheidet und dabei die letztere als eigent-liche Mathematik allmählich favorisiert. Der Titel »Mathematik« im Zu-sammenhang der Erörterungen zu Raum und Zeit verliert dadurch an Gewicht. Vgl. dazu auch W. Bonsiepen, Hegels Raum-Zeit-Lehre, S. 23

22 Vgl. Enzyklopädie (1830), 2. Teil, § 245. GW 20. 235.

Einleitung XXI

matischer Deutung des Paradigmas einer organisch-ganzheitlichen Natur zum Ausdruck. Daß der Mensch die Natur seinen Zwecken unterwerfen soll, lehnt Hegel ebenso ab wie die Vorstellung, ein schonungsvoller Umgang des Menschen mit der Natur sei dann gewährleistet, wenn die Zwecke der Natur respektiert würden. Die Versöhnung von Mensch und Natur ist demgegenüber als Balanceakt zwischen praktischem und theoretischem Verhalten des Menschen zur Natur zu verstehen: Im praktischen Verhalten hat der Mensch davon auszugehen, daß nicht alle Zwecke der Natur Respekt verdie-nen und daß überdies der Endzweck der Natur die Menschenwelt ist. Dagegen hat der Mensch im theoretischen Verhalten die Zwecke der Natur, soweit diese deren Eigentümlichkeit und Lebendigkeit repräsentieren, zu betrachten und anzuerkennen.

3. Zur Bedeutung von Hegels natur philo sophischen Vorlesungen. Die bisherigen Nachschriften

Unternimmt man den Versuch, mit Hilfe von Hegels Philo sophie der Natur zur Bewältigung aktueller Probleme im Bereich natur-wissenschaftlicher Theorie und Praxis beizutragen, wird man nicht nur mit der Anstrengung selbständiger Aktualisierungsarbeit kon-frontiert. Man sieht sich auch vor elementaren Schwierigkeiten, die das Verständnis von Hegels natur philo sophischen Texten betreffen. Diese Texte sind ein eigenartiges Gefüge aus relativ leicht begreif-baren Fakten und Beispielen und einem zum Teil rätselhaften, weil in seiner logischer Struktur sehr komplexen Gedankenbau. Ein eini-germaßen befriedigendes Verständnis gelingt oft nur, wenn man die zentralen Motive und Einsichten von Hegels Philo sophie allgemein und die Hauptstrukturen seiner logisch-dialektischen Denkweise mitberücksichtigt.

Fraglich ist aber auch und vor allem, was man als gültige, gesi-cherte Textbasis von Hegels natur philo sophischem Denken ansehen darf. Obschon Hegels Philo sophie der Natur mit den drei Ausgaben der Enzyklopädie in Form eines durchgeführten, dem Umfang nach vollständigen Teilsystems und zudem in einer vom Autor gebilligten Fassung vorliegt, ist sie nicht als fertige Gestalt zu verstehen. Was uns

XXII Einleitung

in den Paragraphen des zweiten Teils von Hegels enzyklopädischem System begegnet, ist weder eine konzeptionell abgeschlossene noch die ausführlich explizierte Hegelsche Natur philo sophie. Im Grunde haben wir hier das Resultat eines längeren Erarbeitungsprozesses vor uns, welcher durch Verallgemeinerungen und Konkretisierun-gen, durch Vervollständigungen und Einengungen gekennzeichnet ist, ein Resultat, das man insofern zwar als gefestigt, aber nicht als abgeschlossen bezeichnen kann. Allem voran ist aber zu beachten, daß es sich um ein Resultat handelt, das in extrem komprimierter Diktion wiedergegeben wird. Dadurch daß Hegel die Enzyklo-pädie als Leitfaden für seine Vorlesungen konzipierte, nahm der in den Paragraphen formulierte Text den Charakter einer gedräng-ten Gedankenfolge an, die es beim Vortrag jeweils zu explizieren, konkretisieren und durch Beispiele zu erläutern galt. Mit dem Ziel, diese, den ausführlicheren Vorlesungstexten angemessene Gestalt wiederzugeben, ist im Rahmen der ersten großen – der vom »Ver-ein der Freunde des Verewigten« herausgegebenen – Ausgabe von Hegels Werken denn auch eine von Carl Ludwig Michelet besorgte Fassung der Natur philo sophie 23 ver öffentlicht worden, in welcher die Paragraphen der Berliner Enzyklopädie mit »Zusätzen« versehen sind. Diese Beifügungen, die eine Kompilation von Hegels natur-philo sophischen Vorlesungsmanuskripten aus der Jenaer Zeit 24 und mehreren Nachschriften der Berliner Vorlesungen zur Natur philo-sophie unterschiedlichen Datums darstellen, sind zweifellos sehr wertvoll, denn sie gewähren Einblick in ein natur philo sophisches Denken Hegels, das als ausführlich und konkret bezeichnet werden darf. Quellen und Beispiele, welche die gedrängten Gedanken in den Paragraphen der Enzyklopädie zu erhellen vermögen, aber auch die meisten der Refl exionen über die Aufgabe der Natur philo-sophie und deren Verhältnis zu den Naturwissenschaften werden dem Leser erst durch die »Zusätze« zugänglich. Da diese aber zum

23 Hegel, Werke, vollständige Ausgabe durch einen Verein von Freunden des Verewigten, Berlin, Bd. 7, Abtheilung 1, Vorlesungen über die Natur philo-sophie als der Encyklopädie der philo sophischen Wissenschaften im Grundrisse zweiter Theil, hrsg. von C. L. Michelet, 1842 (im folgenden: Michelet).

24 Michelet verfügte offen bar über das Manuskript zur Natur philo so-phie aus der Realphilo sophie von 1805/06. Vgl. GW 8. 317.

Einleitung XXIII

größten Teil aus zweiter Hand stammen und da sie offen kundig eine Ineinanderschiebung von unterschiedlichen Textarten und von Texten unterschiedlichen Datums und teils ungeklärter Herkunft darstellen,25 sind sie immer auch als zweifelhafter Teil der Textbasis von Hegels natur philo sophischem Denken anzusehen.

Vor diesem Hintergrund wird begreiflich, daß ein großes Inter-esse daran besteht, zum zweiten Hauptabschnitt der Enzyklopädie Nachschriften zu Hegels natur philo sophischen Vorlesungen hin-zuzuziehen. Zudem versteht sich angesichts der kompilatorischen Editionspraxis Michelets, daß dabei in erster Linie einzelne, in ihrem Datum, ihrer Herkunft und Autorschaft geklärte sowie den Hegel-schen Text möglichst vollständig und authentisch wiedergebende Vorlesungsnachschriften gefragt sind. Hegel hat seit den Jenaer Jahren Vorlesungen über die Natur philo sophie gehalten. Seit dem Wintersemester 1805/06 kündigte er die Natur philo sophie in sei-nen Vorlesungsprogrammen wiederholt an. Daß die Vorlesung auch stattgefunden hat, ist aber lediglich für das Sommersemester 1806 belegt.26 In Heidelberg trug Hegel die Natur philo sophie einmal, im Sommer 1818, vor, und zwar im Rahmen einer Vorlesung zum gesamten enzyklopädischen System. In Berlin hielt er Vorlesungen eigens zur Natur philo sophie sechs Mal, nämlich in den Winterseme-stern von 1819/20, 1821/22, 1823/24 und 1825/26 sowie in den Sommersemestern von 1828 und 1830.27 Gewöhnlich hielt Hegel diese Vorlesung viermal in der Woche. Eine Ausnahme bildete das Wintersemester 1819/20, in dem fünfmal gelesen wurde. Zu den Berliner Vorlesungen sowohl zur Rechts- als auch zur Natur philo-sophie fanden überdies Repetitorien statt. Hegels Repetitor war seit 1819 Leopold von Henning, der zunächst private Repetitorien hielt, diese Tätigkeit vom Wintersemester 1820/21 bis zum Sommer 1822 dann öffentlich ausübte. Neben den erwähnten Manuskripten Hegels zur Jenaer Natur philo sophie aus den Jahren 1803 bis 1806

25 Zur Entstehung der Zusätze von Michelet vgl. W. Bonsiepen, Hegels Vorlesungen über Natur philo sophie, in: Hegel-Studien 26 (1991), S. 42 f.

26 Vgl. GW 8. 318.27 Vgl. Briefe von und an Hegel, hrsg. von F. Nicolin, Bd. 4, Teil 1,

S. 114 –125.

XXIV Einleitung

sind bis heute die folgenden Nachschriften zu Hegels Vorlesungen über die Philo sophie der Natur bekannt:28

– Von der Heidelberger Enzyklopädie-Vorlesung vom Sommer 1818 existiert eine von einem unbekannten Mitschreiber angefertigte systematische Übersicht über den natur philo sophischen Teil.29

– Von der Berliner Vorlesung zur Natur philo sophie vom Winter-semester 1819/20 liegt eine vollständige Nachschrift vor, die von Gottfried Bernhardy stammt. Sie wurde 1981 von M. Gies heraus-gegeben.30

– Von der Berliner Vorlesung zur Natur philo sophie vom Winter-semester 1821/22 sind drei Nachschriften erhalten. Die eine ist vollständig und stammt von Boris von Uexküll. Bei den anderen beiden, die Hegels Vorlesung unvollständig bzw. sehr verkürzt wiedergeben, ist der Nachschreiber unbekannt. Die Nachschrift von Uexkülls und eine der anonymen Nachschriften sind in den Teilen, die von Raum und Zeit handeln, von W. Bonsiepen ver-öffentlicht und kommentiert worden.31

– Die Berliner Vorlesung zur Natur philo sophie vom Winterseme-ster 1823/24 ist durch eine vollständige und sehr umfangreiche Nachschrift dokumentiert, die auf Karl Gustav Julius von Gries-heim zurückgeht. Diese Nachschrift, die offen bar zu den Mate-rialien gehörte, welche Michelet bei der Zusammenstellung der »Zusätze« vorgelegen haben, ist kürzlich von G. Marmasse publi-ziert worden.32

– Von der Vorlesung zur Natur philo sophie im Wintersemester 1825/26 sind zwei vollständige Nachschriften bekannt. Als Au-

28 Vgl. W. Bonsiepen, Hegels Vorlesungen über Natur philo sophie, S. 44 – 48.

29 Vgl. F. Nicolin, Unver öffentlichte Diktate aus einer Enzyklopädie-Vorlesung Hegels, in: Hegel-Studien 5 (1969), S. 9 –30.

30 Vgl. Hegel, Natur philo sophie, Bd. 1. Die Vorlesung von 1819/20, in Verb. mit K.-H. Ilting hrsg. von M. Gies, Napoli 1982 (im folgenden: Gies).

31 Vgl. W. Bonsiepen, Hegels Raum-Zeit-Lehre, S. 35 ff, 39 –78. 32 Vgl. Hegel, Vorlesung über Natur philo sophie Berlin 1823/24. Nach-

schrift von K. G. J. v. Griesheim, hrsg. und eingeleitet von G. Marmasse, Frankfurt a. M. 2000 (im folgenden: Marmasse).

Einleitung XXV

tor der einen konnte Moritz Pinder ermittelt werden. Sie ist undatiert. Die zweite stammt von dem Naturforscher Heinrich Wilhelm Dove.33

– Schließlich ist die Natur philo sophie-Vorlesung vom Sommer 1828 durch zwei Nachschriften belegt. Für die eine wird als Nachschreiber Karol Libelt angegeben. Sie ist unvollständig und lückenhaft. Die andere, als deren Nachschreiber Hueck genannt wird, ist vollständig.

Daß man damit heute über mehrere einzelne Nachschriften zu Hegels Natur philo sophie-Vorlesungen, und dabei über Nachschrif-ten, deren Datum, Herkunft und Autorschaft zum Teil geklärt ist, verfügt, ist als bedeutsamer Fortschritt für die Rekonstruktion von Hegels unmittelbarem Vorlesungstext zur Natur philo sophie zu werten. Erfreulich ist auch, daß mit von Griesheims Nachschrift ein sehr ausführlicher, sprachlich verhältnismäßig ausgefeilter und nicht zuletzt von einem erfahrenen Hegel-Hörer stammender Text vor-handen ist. Insgesamt bestehen Unterschiede zwischen diesen Nach-schriften nicht nur in bezug auf Vollständigkeit und Ausführlichkeit. Unterschiede sind auch hinsichtlich der Authentizität festzustellen. Während einiges dafür spricht, daß die Nachschrift von Hueck vom Sommer 1828 eine Mitschrift, d. h. eine unmittelbare Niederschrift von Hegels Vorlesungstext darstellt, handelt es sich bei allen anderen Nachschriften mit großer Wahrscheinlichkeit um Ausarbeitungen. Was diesbezüglich die bisher ver öffentlichten Nachschriften betrifft, ist die Nachschrift von Bernhardy vom Wintersemester 1819/20 dem Urteil des Herausgebers zufolge doch eher als »Reinschrift«, d. h. als nachträglich ausgearbeiteter Text, einzustufen.34 Dabei kann, wie erwähnt worden ist,35 aufgrund der in ihr fehlenden Paragra-phenangaben auch nicht ausgeschlossen werden, daß diese Nach-schrift nicht aus Hegels Vorlesung selbst, sondern aus einem Repeti-

33 Die Angaben zu dieser erst vor kurzem in Liegnica (Polen) aufgefun-denen Nachschrift verdanken wir Klaus Vieweg. Eine Edition durch K. Bal und K. Vieweg ist in Vorbereitung.

34 Vgl. Gies, S. XIV f.35 Vgl. W. Bonsiepen, Hegels Raum-Zeit-Lehre, S. 14.

XXVI Einleitung

torium entstand. Bei den beiden teil ver öffent lich ten Nachschriften vom Wintersemester 1821/22 wird vom Herausgeber ausdrücklich festgehalten, daß es sich sehr wahrscheinlich um »häusliche Ausarbei-tungen« handelt und daß auch hier ein Zusammenhang zu den Re-petitorien in Erwägung zu ziehen ist.36 Die Nachschrift schließlich, welche von Griesheim angefertigt hat, erweckt aufgrund ihrer Aus-führlichkeit und relativ elaborierten sprachlichen Form ebenfalls nicht den Eindruck einer Mitschrift. Wie der Herausgeber anmerkt, enthält der Text auch kaum Abkürzungen und liegt darüber hinaus in einer Handschrift vor, deren herausragende Qualität auf eine Abfassung durch einen »professionellen Schreiber« hindeutet.37 Ob-schon die Nähe zum gesprochenen Wort allein noch nicht die hohe Qualität einer Nachschrift garantiert, ist sie doch verständlicher weise eine wichtige Voraussetzung dafür.

4. Zur vorliegenden Nachschrift

Die im vorliegenden Band ver öffentlichte Nachschrift von Hegels Vorlesung zur Natur philo sophie aus dem Wintersemester 1819/20 stammt von Johann Rudolf Ringier (1797–1879) aus Lenzburg/Schweiz, der von 1816 –1818 in Göttingen, von 1818 –1820 in Ber-lin Rechtswissenschaften studierte, während dieser Zeit auch Vorle-sungen in Philo sophie und Naturwissenschaften besuchte und später in der Schweiz als Jurist, Politiker, Musiker und Gelehrter mit gei-stes- und naturwissenschaftlichen Interessen bekannt wurde. Ringier schrieb im Wintersemester 1819/20 ebenfalls Hegels Vorlesung zur Rechtsphilo sophie mit; die betreffende Nachschrift ist in Band 14 der Reihe »G. W. F. Hegel, Vorlesungen. Ausgewählte Nachschriften und Manuskripte« beim Verlag Felix Meiner publiziert worden.38 Beide Vorlesungsnachschriften wurden 1997 aufgefunden. Sie be-

36 Vgl. ebd., S. 37.37 Vgl. Marmasse, S. 55 f.38 Vgl. Hegel, Vorlesungen über die Philo sophie des Rechts. Berlin 1819/20.

Nachgeschrieben von Johann Rudolf Ringier, hrsg. von E. Angehrn, M. Bondeli und H. N. Seelmann, Hamburg 2000.

Einleitung XXVII

fanden sich in der Privatbibliothek von Hans Ziegler in Binningen/Basel, die einen Großteil der Bibliothek der »Burghalde«, des ehe-maligen Ringierschen Familiensitzes in Lenzburg, enthält. Dank der Vermittlung von Karl Pestalozzi in Basel sind die Nachschriften von Herrn Ziegler den Herausgebern zugänglich gemacht worden.

Der Text der vorliegenden Nachschrift gibt Hegels Natur phi-losophie-Vorlesung von 1819/20 vollständig wieder, weist aller-dings einige Lücken auf, die durch des Fehlen des Mitschreibers an be stimmten Vorlesungstagen erklärbar sind. Im Vergleich zum Text der von M. Gies ver öffentlichten Nachschrift aus der Feder Bern hardys vom selben Semester wirkt er sprachlich unausgefeilt. Dafür besticht er durch größere Ausführlichkeit: Er ist wesentlich länger als die Nachschrift von Bernhardy. Zudem darf man davon ausgehen, daß er eine Mitschrift darstellt. Wie seine Nachschrift zur Rechtsphilo sophie zeichnet sich auch Ringiers Nachschrift zur Natur philo sophie durch eine Reihe von Merkmalen aus, die auf die direkte Niederschrift eines vorgetragenen Textes hindeuten.39 Der als Ausarbeitung oder Produkt eines Repetitoriums einzustufenden Nachschrift von Bernhardy kann somit ein weit ausführlicherer, Hegels Diktat wenn auch nicht in aller Ausführlichkeit und Ge-nauigkeit, so doch unmittelbar wiedergebender Text des gleichen Jahrgangs zur Seite gestellt werden.

Gewöhnlich hat Hegel bei seinen Vorlesungen die Paragraphen diktiert oder auf sie verwiesen und sie daraufhin mehr oder weniger ausführlich kommentiert. Dem entspricht, daß sich in der vorlie-genden Nachschrift in der Regel am Anfang oder Schluß längerer Abschnitte die Paragraphenangaben der Heidelberger Enzyklopädie fi nden. Diese Angaben setzen bei den beiden letzten Paragraphen der Einleitung (»Vorbegriff«) ein und sind in der Reihenfolge nicht lückenlos. Des öfteren werden zu einem thematisch kompakten Abschnitt auch mehrere Paragraphen zusammen angegeben. Da der Text bereits wesentliche, den Wandlungsprozeß von der Heidel-berger zur Berliner Enzyklopädie betreffende Veränderungen enthält, haben die Paragraphenangaben der Heidelberger Enzyklopädie ver-mehrt den Charakter bloßer Verweise.

39 Näheres dazu im Editionsbericht des vorliegenden Bandes, S. 198 f.

XXVIII Einleitung

Was die besagten Veränderungen betrifft, ist es offenliegend, daß die auf dem Weg zur Berliner Enzyklopädie erfolgte Neugliede-rung der Einteilung der Natur philo sophie im wesentlichen bereits1819/20 präsent ist, und zwar nicht nur hinsichtlich der Grundein tei-lung, sondern auch hinsichtlich der hauptsächlichen Untereinteilun-gen. Nach einem Hinweis auf § 196 der Heidelberger Enzyklopädie wird in der vorliegenden Nachschrift eine neue Einteilung skiz-ziert. Anstelle der Grundeinteilung in »Mathematik«, »Physik« und »Physiologie« aus § 196 steht die folgende, mit einer dialektischen Dreistufi gkeit der Materie parallelisierte Gliederung: »1. Mechanik (nicht bloß Mathematik), das 2. Physik und 3. Organik«.40 Unter der Mechanik werden sodann, die entsprechende Untereinteilung der Berliner Enzyklopädie antizipierend, die Stufen »Raum und Zeit«, »Werden der Materie«, »Schwere als Totalität« und Himmelsmecha-nik genannt; 41 in den der Physik zugeordneten Stichworten beginnt sich die Berliner Dreiteilung von Physik der allgemeinen, der beson-deren und der totalen Individualität abzuzeichnen. In der Organik schließlich deutet sich infolge einer Veränderung in der Abfolge der Paragraphen die in der Berliner Enzyklopädie mit größerem Gewicht auftretende Dreiteilung von Sensibilität, Irritabilität und Reproduktion an.42 Damit wird zum einen die These bestätigt, wo-nach sich die neue Grundeinteilung der Natur philo sophie schon kurz nach dem Erscheinen der ersten Ausgabe der Enzyklopädie durchsetzt.43 Zum anderen stellt sich heraus, daß die Vorlesung zur Natur philo sophie von 1819/20 in Gliederung und Aufbau zwar in der Tat, wie in der Edition von Gies festgehalten worden ist, ein »erstes Bindeglied« zwischen Heidelberger und Berliner Enzyklo-pädie darstellt,44 daß jedoch die Vorwegnahme der Berliner Fassung eindeutig weiter reicht als bei Gies angenommen. Ersichtlich ist im

40 Im vorliegenden Band 10,259 – 260.41 Ebd., 10,274 –11,282.42 Vgl. dazu auch den Editionsbericht, S. 199.43 In der systematischen Übersicht zur Enzyklopädie-Vorlesung von

1818 operierte Hegel offen sichtlich bereits mit der neuen Dreiteilung » Me chanik, Physik und Organik oder Physiologie«. Vgl. F. Nicolin, Unver-öffent lichte Diktate aus der Enzyklopädie-Vorlesung Hegels, S. 10 f, 28 f.

44 Vgl. Gies, S. XVI.

Einleitung XXIX

weiteren, daß die mit der Berliner Enzyklopädie manifest werdenden Veränderungen in der Einleitung zur Natur philo sophie 1819/20 .– Michelet sprach von einer neuen Einleitung für die Vorlesungen von 1823 und 182445 – den Hauptinhalten nach vorhanden sind. In der vorliegenden Nachschrift finden sich zu Beginn Überlegun-gen zum Grundproblem und zum Ziel der Natur philo sophie, bei denen das den natur philo sophischen Teil der Berliner Enzyklopädie er öffnende Verhältnis von praktischem und theoretischem Verhalten des Menschen zur Natur im Mittelpunkt steht. Es folgen, vermischt mit Refl exionen zur Beziehung von Naturwissenschaften und Natur philo sophie, die aus der Heidelberger Enzyklopädie bekannten Charakterisierungen der Natur als Gegenstand der Notwendigkeit und Zufälligkeit, als Verhältnis von Insichsein und Außersichsein der Idee, als Stufenbau, der nicht im Sinne einer Realgenese begriffen werden soll. Abschließend wird die genannte Einteilung vorgelegt. Verglichen mit dem ausführlichen Einleitungstext in von Griesheims Nachschrift sind alle diese Punkte zwar recht knapp ausgeführt, ent-sprechen im Aufbau aber genau der neuen Einleitung. Daß in der vorliegenden Nachschrift die Angabe der ersten drei Paragraphen der Heidelberger Enzyklopädie fehlt, könnte ein Indiz dafür sein, daß der Einteilungsabschnitt einer besonders tiefgreifenden Wandlung unterworfen war.

Manche Ausführungen in der vorliegenden Nachschrift, vor allem Erläuterungen und Beispiele zu bestimmten Themen, sind in den bisher ver öffentlichten Texten zu Hegels Natur philo sophie nicht zu fi nden, so daß sich deren Textbasis hiermit erweitert. Viele Sätze und Passagen decken sich verständlicherweise mit entspre-chenden Stellen aus den von Michelet angefertigten »Zusätzen« der Berliner Enzyklopädie. Dabei entdeckt man in den »Zusätzen« zu einzelnen Sätzen oder Passagen aus der vorliegenden Nachschrift häufi g entsprechende Stellen, die über mehrere Paragraphen ver-streut sind und die insgesamt die besprochene Sache in extensiverer Form wiedergeben. Dies ist einerseits sicher darauf zurückzuführen, daß der Mitschreibende Hegels Gedankengänge oft nicht in voller Länge oder nur stichwortartig aufzunehmen vermochte. Anderer-

45 Vgl. Michelet, S. XVIII f.

XXX Einleitung

seits spricht dies auch dafür, daß die Texte der »Zusätze« sowohl in sprachlicher als auch inhaltlicher Hinsicht das Produkt einer erheblichen Bearbeitung darstellen. So ist beispielsweise kaum an-zunehmen, daß Hegel während der Vorlesung andere naturwissen-schaftliche Autoren so ausführlich zitierte und kommentierte, wie dies in den »Zusätzen« über weite Strecken der Fall ist.

5. Zum Inhalt der Nachschrift

Zu den zentralen inhaltlichen Spezifi ka der von Ringier mitgeschrie-benen Natur philo sophie-Vorlesung gehört offen kundig die als glei-chermaßen dringend wie zwiespältig empfundene Forderung nach Versöhnung von Geist, Mensch und Natur. Die Einleitung beginnt mit der Feststellung, die Natur sei dem Menschen als »Problem« aufgegeben,46 zu dessen Lösung die Natur philo sophie, und mit ihr die Naturwissenschaft, ihren Beitrag zu leisten habe. Dieses Problem ist die Entzweiung von Mensch und Natur, die sich in einem dop-pelten, praktischen und theoretischen, Umgang des Menschen mit der Natur spiegelt. Dabei macht Hegel an dieser wie auch an spä-teren Stellen mit besonderem Nachdruck auf eine der Versöhnung selbst innewohnende Dialektik aufmerksam. Die Aufhebung der Entzweiung von Mensch und Natur, von praktischem und theo-retischem Verhalten kann nur in Form einer Versöhnung sinnvoll sein, in welcher gleichzeitig eine Reihe von Scheinversöhnungen, die das »beständige Hinüber- und Herübergehen von Verehrung zu Verachtung«47 der Natur zur Folge haben, überwunden wird. In den Schlußpassagen der Nachschrift steht das in den »Zusätzen« der Berliner Enzyklopädie wie auch in von Griesheims Nachschrift nur nebenbei erwähnte christologische Versöhnungsmotiv im Vorder-grund. Die »Versöhnung des Geistes mit der Natur« wird als »Tod der Natur« und »Erwachen des Geistes« bezeichnet und als Preis-gabe und Neuausbildung der Individualität begriffen.48

46 Vgl. im vorliegenden Band 3,2.47 Ebd., 4,65 – 66.48 Ebd., 189,730 – 731, 188,717.

Einleitung XXXI

In bezug auf die in der Literatur rege diskutierte Hegelsche Ab-lehnung eines evolutionären Naturmodells ist bemerkenswert, daß in der vorliegenden Nachschrift im Kontext des Diktums, wonach es die Stufenfolge der Natur nicht unter realgenetischem Aspekt zu betrachten gelte, nicht, wie ausführlich in von Griesheims Nach-schrift49 und in der Berliner Enzyklopädie,50 eine Kritik an den Vor-stellungen der Metamorphose, Evolution und Emanation folgt. Er-wähnt wird an dieser Stelle vielmehr ein »Hervortreten der Natur« und der Auseinanderentwicklung ihrer »Reiche« aus dem »Chaos«.51 Dabei wird diese Vorstellung aus der Sicht, daß es in der folgenden Natur philo sophie um eine systematische und nicht geschichtliche Betrachtung des Stufenbaus zu gehen hat, zwar verständlicherweise abgelehnt. Doch wird damit nicht schon gesagt, daß jeder Versuch einer geschichtlichen Betrachtung der Stufenfolge der Natur zum Scheitern verurteilt ist. Und es ist dabei gerade nicht ausgeschlossen, daß für Hegel die Idee der Naturentwicklung aus dem Chaos – eine Idee, die sich wesentlich auf orphische, platonische und auch christ-liche Quellen beziehen kann – im Unterschied zu den Vorstellun-gen von Evolution, Metamorphose und Emanation eine positive Bedeutung hat, wenn es darum zu tun sein soll, die Naturstufen unter geschichtlichem Blick zu erörtern. Dem würde jedenfalls entsprechen, daß Hegel in der Wissenschaft der Logik einem abstrakt pantheistischen »ex nihilo nihil fi t« eine produktive, als »Werden« verstandene »creatio ex nihilo« vorzieht.52

Fast noch prägnanter als die bisher ver öffentlichen Nachschriften zu Hegels Natur philo sophie zeichnet sich die vorliegende schließ-lich durch eine konzentrierte und gedanklich dichte Darstellung der Abschnitte zu Raum, Zeit, Bewegung und Materie aus.53 Diese

49 Vgl. Marmasse, S. 93 ff.50 Enzyklopädie (1830), Zweiter Teil, § 249. GW 20. 238 f.51 Im vorliegenden Band 9,222 – 224. – In der Nachschrift Bernhardys

vom selben Semester fehlt nicht nur dieser Hinweis auf das »Chaos«, es ist dort auch vom Fortgang der Natur als Weg vom Abstrakten, Äußeren zum Konkreten, Inneren nur im Zusammenhang unserer Betrachtung derselben die Rede. Vgl. Gies, S. 11.

52 Vgl. Hegel, Wissenschaft der Logik I. GW 21. 71. 53 Vgl. im vorliegenden Band 20,242 – 25,434.

XXXII Einleitung

auch sprachlich verhältnismäßig flüssig wirkenden Abschnitte prä-sentieren eine sich äußerst vielschichtig und perspektivenreich ausnehmende Be griffs folge vom Raum zur Materie, in welcher wiederholt von »Dialektik« die Rede ist. Der Anspruch, mit dieser Be griffs folge nicht die Genese, sondern nur das Begreifen einer Sache wiederzugeben, wird insoweit eingelöst, als der Gedanken-prozeß im Nachweis besteht, daß die Vorstellung des Raums nicht zureichend begreiflich wird ohne jene der Zeit, diese wiederum nicht ohne jene von Bewegung und Materie. Näher besehen wer-den bei diesem Nachweis Raum und Zeit sowohl eigens als wider-sprüchliche als auch in ihrem Verhältnis als ineinander übergehende Phänomene expliziert. Vorausgesetzt wird, daß der Raum in seiner Eigenschaft als Ausdehnung und Teilbarkeit zu einem Widerspruch führt, sobald er als Raumpunkt, als ein Hier, vorgestellt wird. Als Raumpunkt ist er strenggenommen ein abstraktes Hier, ein Ge-dachtes, und somit nicht mehr räumlich: »Insofern man den Raum denkt, so ist man über den Raum hinaus«.54 Zugleich aber kann der Raum als Raumpunkt nicht anders als im Raum und damit selbst nur räumlich vorgestellt werden. Dieser Widerspruch, der auch als Negation des Raums umschrieben wird, kann sich darin auflösen oder negieren, daß der gedankliche Raumpunkt sich als Linie, Flä-che, Körper verräumlicht. Doch bleibt er in dieser Gestalt teilbarer Punkt. Es wird nur um so deutlicher, daß die Vorstellung eines gedachten Punkts verfehlt worden ist. Die Wahrheit des Punkts kann deshalb nur im Übergehen des Raums in die Zeit liegen. Der Punkt ist in Wahrheit Zeitpunkt. Als solcher ist er aber einerseits, als Negation des Raums, ein permanentes Vergehen, ein Nicht-seiendes. Andererseits muß er aber auch etwas sein, was vergehen kann, ein Seiendes, und dadurch den Raum wiederum affi rmieren. Dieser Widerspruch läßt sich erneut in einer Linie auflösen, in der Zeitlinie als »Bewegung«, auf welcher der Zeitpunkt als ein »Ort« erscheint, der in seinen Dimensionen der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft betrachtet werden kann, was insgesamt bedeutet, daß die den Raum negierende Zeit nun ihrerseits in den Raum überge-gangen ist. Ihrem Wesen nach ist die Zeit aber nicht die im Raum

54 Ebd., 20,236 – 237.

Einleitung XXXIII

aufteilbare Zeit, nicht Dauer und Wechsel von Zeitpunkten. Sie ist damit selber auch nicht zeitlich, hat keinen Anfang und kein Ende; sie ist vielmehr Ewigkeit, als Zeitpunkt deshalb ewige Gegenwart. Als ewige Zeit kann sich die Zeit aber wiederholt nur als Seiendes geltend machen, wenn sie eine Entsprechung in der endlichen Zeit und im Raum, d. h. wenn sie ein zeitliches und räumliches Sub-strat hat. Das Resultat dieses Widerspruchs ist die in der endlichen Anschauung dargestellte ewige Zeit, die Materie, was aus anderer Perspektive als Übergehen von Zeit und Raum in die Materie bzw. als Wahrheit von Raum und Zeit in der Materie erscheint. Zu die-sem Fortgang von Widersprüchen und Übergängen kommt hinzu, daß er simultan aus einer Perspektive betrachtet wird, der zufolge er Produkt des »Punkts« der Zeit ist. Die Negation des Raums durch den Punkt als Zeit und die Negation dieses Punkts, die durch seine Verräumlichung geschieht, wird als eine aktive selbstbezügliche Ne-gativität des Punkts bezeichnet. Der Punkt als Zeit ist nichts anderes als Instanz der Selbstnegation oder »die Dialektik seiner selbst«.55 Die Dialektik wird durch ihn in Gang gesetzt und gesteuert. Im Ver-gleich zu entsprechenden Passagen aus den bisher ver öffentlichten Nachschriften zu Hegels Natur philo sophie fällt an dieser Stelle die extreme Bündelung dialektischer Figuren und Termini auf. Zudem stellt sich heraus, daß der Übergang zur Materie aus Raum und Zeit nicht hauptsächlich, wie besonders in den Ausgaben der Enzyklo-pädie,56 gefaßt wird als Bewegung oder Werden, welche gleichsam auf die Stufe des einfachen Daseins zurückfallen. Im Mittelpunkt steht vielmehr die Ansicht, wonach die Materie dasjenige ist, was dem »Begriff« der ewigen Zeit in seiner Struktur eines »Fürsich-seins« (welches noch prinzipiell auf der Stufe des Außersichseins zu situieren ist) in der »Anschauung«, in Zeit und Raum, »entspricht«.57 Das Begreifen der Materie ergibt sich hier mit anderen Worten pri-mär aus dem Verständnis einer Substantialisierung des Fürsichseins und nicht aus dem Gedanken einer sich zum Dasein bescheidenden

55 Ebd., 20,270.56 Vgl. Enzyklopädie (1817), Zweiter Teil, § 203, S. 159 ff; Enzyklopädie

(1830), Zweiter Teil, § 261. GW 20. 252 ff.57 Im vorliegenden Band 23,380 – 382.

XXXIV Einleitung

Bewegung oder aus der Annahme, daß die Bewegung ohne Materie nicht sinnvoll zu denken ist.

Alles in allem wäre es vermessen zu behaupten, daß durch diese eindringliche Darstellung des dialektischen Raum-Zeit-Verhältnis-ses oder durch die zuvor genannten inhaltlichen Besonderheiten das bisherige Bild von Hegels Natur philo sophie eine tiefgreifende Veränderung erfährt. Und ebensowenig wird man davon sprechen dürfen, daß dadurch ein neues Stadium in der Klärung systema-tischer Probleme der Hegelschen Natur philo sophie erreicht wird. Dagegen besteht kein Zweifel, daß die Vergegenwärtigung dieser Besonderheiten dazu beiträgt, das bisherige Bild von Hegels Natur-philo sophie zu vervollständigen. Neue oder zumindest neu gewich-tete Facetten von Hegels natur philo sophischem Denken werden erschließbar.

6. Dank

Die Herausgeber sind zahlreichen Personen und Institutionen zu Dank verpfl ichtet, durch deren Unterstützung die vorliegende Ver-öffentlichung ermöglicht wurde.

Wir danken Herrn Hans Ziegler, Binningen/Basel, für die Über-lassung des Manuskripts zur wissenschaftlichen Bearbeitung und die Einwilligung zur Ver öffentlichung sowie für wichtige Auskünfte zur Herkunft der Nachschrift und zur Person ihres Verfassers. Wichtige Informationen zu Biographie und Umfeld Ringiers vermittelte uns Frau Heidi Neuenschwander-Schindler, Möriken (Schweiz); Anga-ben zu den Studienaufenthalten Ringiers erhielten wir von Herrn Haenel vom Universitätsarchiv der Georg-August-Universität Göt-tingen und von Herrn W. Schulze, Leiter des Universitätsarchivs der Humboldt-Universität zu Berlin. Herrn Manfred Gies und dem Bibliopolis Verlag, Neapel, danken wir für die Genehmigung zum Abdruck von Textpassagen aus der Nachschriftedition von M. Gies. Für Auskünfte zu anderen Hegel-Nachschriften und zu editorischen Fragen danken wir dem Direktor des Hegel-Archivs der Ruhr-Universität Bochum, Herrn Walter Jaeschke, sowie Herrn Klaus Vieweg, Jena.

Einleitung XXXV

Dem Felix Meiner Verlag, Hamburg, danken wir für die Auf-nahme des Bandes in die Reihe »Georg Wilhelm Friedrich Hegel Vorlesungen. Ausgewählte Nachschriften und Manuskripte«.

Ein besonderer Dank gilt Herrn Emil Angehrn, Basel, für die Initiierung des Editionsprojekts »Ringier« und für zahlreiche Hil fe-leistungen bei der Vorbereitung dieser Edition sowie Herrn Stefan Krauss, Hinterzarten/Basel, für vielfältige Unterstützung bei der Überarbeitung der Texte und die sorgfältige Erstellung der Druck-vorlage.

Schließlich gilt unser Dank dem Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung, dessen finanzielle Unterstützung die Arbeit an dieser Edition ermöglicht hat.

PHILOSOPHIE DER NATUR

vorgetragen von G. W. F. Hegel im Wintersemester 1819/20

nachgeschrieben von Johann Rudolf Ringier

[EINLEITUNG]

Die Natur ist dem Menschen als ein Problem gegeben, zu dessen Auflösung er sich unüberwindlich hingezogen und zugleich hart abgestoßen fühlt. Die Auflösung ist zum Beispiel die Naturphilo-sophie. Dies Problem erscheint, daß wir zunächst als ein Selbst-bewußtsein [sind ], draußen eine Natur [ist]. Diese Entzweiung ist als die erste Erscheinung anzunehmen. Sie ist ein Widerspruch gegen den Geist, der Geist, Ich, ist einfache Einheit. Indem ich mich zur Natur verhalte, so ist es mir, der Einheit meines Wesens widersprechend; und ich strebe, diesen Gegensatz aufzuheben, zur Einheit zurückzubringen, die ich selbst bin. Die Trennung und Einheit, könnte man fragen, können ja nebeneinander bestehen? Was hat dieses für Ansprüche, jenes zu überwinden? [ Das] Ich weiß sich als das Unendliche, Absolute, dem also die Entzweiung ein Nichtiges ist, so daß es sich notwendig meiner Einheit unterwerfen muß. Diese Entzweiung hat auch eine andere Form mit größerer Bestimmtheit der Momente, auf deren Lösung es ankommt. Wir fi nden eine Beziehung auf die Natur – es ist nicht nur ein Verhal-ten, ein Gegenüberstehen, sondern wir fi nden uns auf die Natur angewiesen mit unserem Bedürfnis. Sie ist ein Gütiges, das sich hergibt zu unseren Beziehungen auf sie. Dieses Verhalten ist ein Zwiespältiges, sich Entgegengesetztes. | Der Zwist, welcher zu lösen ist, fi ndet eben in diesem Verhalten selbst statt. Es ist gedoppelt, das Theoretische und Praktische.

Wir wissen zuerst durch den Sinn von der Natur. Wir schauen die Naturgegenstände an. Davon geht unser formelles Denken zu-nächst aus. In diesem Wissen von der Natur haben die Gegenstände die Bestimmung für uns: daß sie sind. Wir empfi nden sie als eine Unabhängigkeit von uns. Wir fi nden sie vor als selbständig, unüber-windlich, [als] das, [was] in seinen bunten Formen und Wechsel sein eigenes Spiel nach eigenen Gesetzen treibt. Ein Gang, welcher nicht zu unseren Zwecken und Interessen paßt. Es ist substantielles Sein, für sich, starr, an dem wir uns herumbemühen können, aber

5

10

15

20

25

30

1– 2 3

nur auf dessen Oberfl äche, es bleibt da draußen für sich. Die zweite Bestimmung ist nach der praktischen Seite gerade entgegengesetzt. Da brauchen wir die Natur als uns nützlich, unterwerfen sie uns und unserem Interesse, opfern sie uns auf, d. h. wir nehmen sie als etwas, das seine Bedeutung, seinen Zweck nicht in sich selbst hat, sondern seine Bestimmung durch uns erhält, nur Mittel ist. So hat sie die Bestimmung eines an sich Nichtigen. Ihr Sein ist ein Seelenloses – Zweck und Seele sind wir. | Sie ist nur ein Dienendes. Die letzte Seite geht immer auf Zerstören und Zertrümmern des Gegenstandes aus, indem der Mensch seine Begierden befriedigt.

Die theoretische Seite anerkennt die Natur als das Seiende, Sub-stantielle. Dies ist der bewußtlose Zwiespalt, in dem wir uns un-mittelbar zur Natur befi nden. Wir bewundern also die Natur. Die Betrachtung derselben führt uns zu ihrer Unermeßlichkeit [ hin]aus-wärts und der zahllosen Menge ihrer toten und lebendigen Gebilde, die allenthalben vorhandene Fruchtbarkeit und hineinwärts die Glie-derung der Organe, die immer noch diese wunderbaren Gebilde in sich sind. Die Werke des Menschen sind dagegen ganz oberfl ächlich, und seine Macht verschwindet gegen diese Unendlichkeit. Ebenso schauen wir in ihr an: ihre Ruhe, den unwandelbaren Gang ihrer Gesetze, die Gleichmäßigkeit, den inneren Frieden verglichen mit unseren Einfällen und Absichten, die eine Ohnmacht, Schwäche und Unruhe zeigen [und ] welche ihr Ziel doch nimmer erreichen. Wir sagen dann: es sind nur menschliche Werke, jene Werke Gottes. An-dererseits weiß der Mensch sich in sich unendlich, unbezwinglich in seinem Willen. Diesen setzt er der ganzen Natur entgegen, vernichtet sie als eine Ohnmacht | und verhöhnt alle Kräfte, welche sie gegen ihn losläßt. Indem er sich mit diesen einläßt, setzt er ihnen Mittel entgegen, und zwar aus ihr selbst gegen sie selbst. Das ist die List sei-ner Vernunft, daß er ihre Gewalt an sich selbst abreiben läßt und sich dahinter unangetastet verhält und so die natürlichen Dinge zu seinen willkürlichsten Einfällen braucht. Dies beständige Hinüber- und Her-übergehen von Verehrung zu Verachtung ist das Verhalten zur Natur. Wir sehen es zum Teil in der Verehrung der Ceres und [des] Bacchus, die als Gottheit verehrt und verzehrt wurden (die Ironie).

Das Problem der Naturphilosophie ist also, diese Entgegensetzung zu lösen. Die Auflösung besteht da in der Vereinigung der Gegen-

35

40

45

50

55

60

65

70

4 Einleitung 2 – 4

sätze, daß das, was als schlechthin getrennt erscheint, an und für sich in Harmonie steht. Das Bewußtsein hat selbst diese Vereinigung in sich, indem es jede der beiden Bestimmungen aufhebt (das Theo-retische und Praktische). Das gewöhnliche Bewußtsein bringt diese Gedanken nur nicht zusammen, wohl aber das philosophische. Die Vereinigung der Gegensätze besteht näher also darin, | daß ich die Natur nicht nur betrachte als ein Substantielles gegen mich, sondern ebenso als die meine und umgekehrt, daß die Natur nicht nur das Selbstlose, sondern auch das für sich Seiende ist. Sie ist ebensowohl Sache des Geistes als Ungeistiges, dem Geist entgegen, aber nicht ihm fremd, sondern in diesem anderen besitzt er sich selbst. Dies ist nur abstrakt ausgedrückt. Um aber die Vereinigung noch bestimm-ter einzusehen, hier noch näher die Form des Theoretischen und Praktischen.

Was das Theoretische betrifft, die Seite des Erkennens überhaupt, so erscheint uns im Bewußtsein zunächst die Natur als Objekt. Das Erkennen geht aber darauf aus, ihr diese Bestimmung zu nehmen, denn das Erkennen hat zunächst diese Bestimmung, den Gegen-stand dem Geist eigen zu machen, zu durchdringen, [so] daß er nicht mehr sein Eigenes, sondern das Unsere sei, so daß also sein Inhalt und Wesen auch unserer Vorstellung angehören. Der Trieb des Erkennens ist nichts als diesen Zwiespalt aufzuheben. Schon das erste, das Gefühl, Anschauen, und dann die Vorstellung des Angeschauten | bringen nichts zustande, als daß der Inhalt des Gegenstandes auch der unsere werde. Der Gegenstand hat diese Gestalt, diesen Geschmack, diese Farbe etc. Dieser Inhalt ist dann ebenso der unsrige, und zweitens: indem der Geist zum Refl ektie-ren übergeht, lernen wir die Gesetze des Natürlichen kennen. Diese Gesetze, Naturgesetze, heißen nichts als die allgemeine Weise des Naturverhaltens. Die Äußerungen sind die Einzelnen. Die Kraft ist diese einzelnen Äußerungen zusammengefaßt. Wir gehen vom Besonderen zum Allgemeinen fort. Das Allgemeine ist aber ebenso die Natur des Denkens. Das Denken ist dies, für was das Allgemeine ist: es faßt es auf oder produziert es. Die Kräfte der Natur, indem wir sie uns zu eigen machen, werden unsere Kenntnisse. Wir erblicken

76 ich ] sich

75

80

85

90

95

100

105

4 – 6 Einleitung 5

darin die Form unserer selbst. Ich bin darin das Einfache, Denkende. Wir erhalten sie von außen, aber wir erhalten darin das Unsere. Die Form der Allgemeinheit ist das Unsere. Daß der Inhalt dem Gesetze nach ein anderer sei, dies bleibt allerdings noch stehen.

Was die praktische Seite betrifft, die Seite des Selbstbewußtseins – die erste ist die des Bewußtseins –, hier beziehe ich mich bloß auf mich. Die erste Äußerung desselben ist, mich zu sichern durch die Vernichtung des anderen, diese Begierde. Indem der praktische Geist nicht stehen bleibt bei dieser Form des Erkennens, daß der Gegen-stand unser sei, so geht er darüber hinaus, | fühlt nicht nur sich selbst, sondern hat so zugleich ein Mitgefühl mit dem, was in der Natur ist. Dies ist nicht mehr das bloße Gefühl der beschränkten Begierden. Er ist darüber hinaus. Er betrachtet sie als lebendig, frei. Er ist so in ihr und mit ihr frei, und seine Begierde hört auf, indem er die Natur als Leben anschaut. Dies so zu betrachten hat einen höheren Grund im Menschen. Er scheint in der Form des Gefühls; der Mensch fi ndet um sich herum dies Pulsieren, daß Gegenstände ein ebenso berechtigtes und genießendes Dasein haben wie er. Er betrachtet die Natur als einen Zweck in sich. Das macht die Grundlage der Naturphilosophie in Form des Gefühls [aus]. Sie hat die Ansicht, die Natur lebendig zu erkennen, und damit ist die Betrachtung der Metaphysik beiseite gesetzt als der Standpunkt der Refl exion: das formelle Denken überhaupt.

Die Alten, sich mehr an [die] Idee haltend, haben die Natur le-bendig aufgefaßt. Und so standen sie höher als die Refl exion, indem sie die Natur [nicht] als ein Totes ansahen, [sondern als] in sich un-endlich und Eines, nicht bloß Getrenntes, wie sie dem nicht zur Idee gereiften Bewußtsein erschien und was das abstrakte Allgemeine als Wesen festhält, so daß es der konkreten Natur nicht immanent ist. Es trennt das Lebendige, Seele und Leib, und tötet es. Daher ge-hört die Form von Gesetzen, die gewissen Gegenständen wie den Him melskörpern eingepfl anzt sind, nicht ihrer immanenten Natur, sondern sie sind ein ihnen Auferlegtes, wie den Menschen ein feind-

130 die Refl exion ] diese131 die Natur ] diese138 sie sind ] als

110

115

120

125

130

135

6 Einleitung 6 –7

licher, äußerer Wille – der Wille (das Wesentliche) ist außer ihm, nicht seine Natur selbst. So sind die natürlichen Dinge das Beson-dere, dem das Allgemeine nur eingepfl anzt [ist] und ohne welches sie auch sonst bestehen können. Dasselbe gilt von | Naturkräften: Die Körper sind getrieben von Naturkräften, die die Natur derselben nicht ausmachen, sondern es sei ein Verhältnis, das durch äußerliche Wirkung auf den Körper hervorgebracht werde. Unter Kraft, wenn man von einem Lebenden spricht, versteht man etwas Ursprüng-liches. An sich, seinem Wesen nach wäre dann ein Drang, ein Man-nigfaltiges von Äußerlichem, nicht ein Ursprüngliches, nur ein Band der vielen Kräfte, nur Zweck, ein Äußerliches der Körper, also sind die Selbständigen. Ebenso verhält es sich bei der Betrachtungsform der äußerlichen Zweckmäßigkeit, durch die man der Natur Ehre antun will. Nach ihr sind alle Dinge nützlich füreinander: eine Seite ist an ihnen brauchbar, die ihre Endlichkeit angeht, nicht ihr Wesen; das Wesen hat seine Bestimmung nur relativ in einem anderen. Eine solche lebendige Existenz hat ihre Seele, bestimmten Zweck außer sich. Es ist also nicht ein an sich wahrhaft Reales. Diese sind uns gang und gäbe Vorstellungen, welche dann in der Wissenschaft zuerst die Metaphysik ausmachen, etwas bloß abstrakt Allgemeines. Das Kon-krete fällt ganz außerhalb. Alles Leben, alle Einheit geht verloren. In diese Teilung gehört auch die Form, daß in der Naturbetrach-tung [davon] ausgegangen wird, unendlich viele Besonderheiten zu fi nden, so daß die Vielheit Hauptsache sein soll. Der Hauptzweck ist: das Vervielfältigen ins Unendliche. Die lebendige Betrachtung ist diese Vielheit, diese Breite des Stoffes, zurückgerufen in die Einheit, in dieser Trennung die Subjektivität des Lebens, so daß das Zerfallen ins Besondere und Allgemeine aufgehoben wird.

Die Lebendigkeit ist also Totalität, Selbstzweck für sich, in sich zurückkehrend. Indem wir diese Totalität zunächst als Leben aus-sprechen, so ist es bloß Anschein, bloß allgemeines Gefühl. Der Geist geht aber weiter und denkt das Leben vernünftig, nicht verständig durch abstrakte Bestimmung, sondern denkt es lebendig. Das sich in sich Zusammenfassende, sich in sich Schließende ist die Vernunft und das Leben. Das Leben ist nur eine Weise des Vernünftigen, nur

155 ihre ] seine

140

145

150

155

160

165

170

7–8 Einleitung 7

die unmittelbare Vernunft. Die Philosophie ist das vernünftige Den-ken der Natur als Natur, als lebendig. Der Geist weiß. Der Geist weiß sich als Totalität in diesem Allgemeinen. In diesem allgemei-nen Wissen zunächst, sofern es noch allgemein und unbestimmt ist, liegt, daß es Glaube ist an die Lebendigkeit. |

Die Notwendigkeit ist an sich der Begriff, aber es ist noch nicht gesetzt, daß sie der Begriff ist. Deswegen ist das Werden in der Natur ein Übergehen. Zufälligkeit ist der Notwendigkeit entge-gengesetzt oder sie scheint es wenigstens. Die Notwendigkeit ist schlechthin wesentlich, weil sie Grundlage, der Begriff ist. Zufällig-keit hingegen heißt die Wirklichkeit überhaupt, als solche, aber zweitens [als] solche, die nur die Bedeutung von einer Möglichkeit hat. Genauer betrachtet ist es eine Wirklichkeit, deren Wert nur eine Möglichkeit, deswegen ebensogut ist als auch nicht sein kann. Der Gegensatz von positiv und negativ ist hier noch nicht in dieser Refl exion zum Bewußtsein gebracht. Die Zufälligkeit, nach ihrem Begriff gesetzt, ist nichts anderes als Notwendigkeit. Die philoso-phische Betrachtung erfaßt das Zufällige als ein Notwendiges. Die Zufälligkeit ist noch ganz oberfl ächliches Verhältnis, das noch nicht bestimmt und also noch nicht Notwendigkeit ist. Es ist das Abstrakte, was als Notwendigkeit konkret ist.

Die Dinge sind zum Beispiel Materie, außer dieser sind sie noch organische. Insofern etwas bloß materiell ist, so ist es auch überhaupt dieses abstrakte Verhältnis. Insofern es noch etwas Weiteres ist, so ist es dieses beides miteinander. In dem Natürlichen überhaupt ist ein Ding | sowohl von der Seite seines Zufalls anzugreifen [als] auch von der Seite seines konkreten Zustandes. Und indem dies Allgemeine zugleich seine substantielle Grundlage ist, so kann es an dieser ergriffen werden, und dadurch ist es auch in der ande-ren Seite etwas und als solches kann es wegfallen. Durch einen Stein wird das organische Leben eines Menschen zerstört. Es kann geschehen. Zufällig heißt: die lebendigen Dinge, insofern auch sie in ihren oberfl ächlichen Bestimmungen sich zu anderen Dingen verhalten und nach diesen greifen. Auf dieser Oberfl äche fi ndet

194 als ] die207 greifen ] ergreifen

175

180

185

190

195

200

205

8 Einleitung 8 –10

das statt, was Zufall überhaupt heißt. Und indem wir den Zufall ergreifen, so haben wir diesen überwunden. Diese Äußerlichkeit gehört zur Natur des einzelnen Dinges, denn eben das natürliche Ding ist in dieser hohen Stufe zwar ein Natürliches, aber zugleich bleibt es auch das Oberfl ächliche. Daß zum Beispiel der Mensch [dem] Zufall unterworfen ist, dies liegt zunächst in ihm selbst; aber es bleibt diesem doch, daß er auch dieser Oberfl äche unterworfen ist. Eine absolute Säure drängt auch wesentlich nach ihrem anderen, aber diese | Neutralität liegt in der Säure selbst. Sie kommt zur Er-scheinung durch die Neutralisation.

Ad. Anmerkung: Die meisten menschlichen Werke sind bedingt, aber zum Beispiel der Staat und die Wissenschaft etc. sind die wah-ren sittlichen Werke, und hier nimmt der Mensch das Material auch nicht von außen her.

Wenn man das Hervortreten der Natur betrachtet, so nimmt man an, daß ein Chaos gewesen sei und dann ein Reich nach dem anderen aus sich entwickle. Doch die Geschichte des Chaos ist ein Geschichtliches und geht die Philosophie nichts an. Aber indem sie den Stufengang betrachtet, so ist dies als solches nichts Geschicht-liches. Die Natur ist ein Ansichsein, ist dieses zunächst abstrakt – auf eine Weise also, daß die Gegensätze nicht in ihr entwickelt sind, d. h., daß der Unterschied [nicht] zu seinem Recht kommt. Alles ist in der ursprünglichen Idee, im Keim enthalten, und es ist ein Widerspruch der Idee und sie ist an ihr selbst die Dialektik, welche ihren Gegensatz, der in ihr liegt, hervorruft und an das Licht bringt. Diese Manifestation ist dann eine höhere Existenz. Insofern die Natur einfach gesetzt ist, so ist dies ihr widersprechend und der Unterschied tritt hervor. Aber dadurch ist sie auch Widerspruch, deswegen läßt sie die Unterschiede auch, so daß sie nur Momente der Idee sind. | Diese zweite Einheit ist dann eine konkrete gegen die erste Einheit. Die erste Einheit ist bereichert um den gesetzten Unterschied. Das Dritte ist also die Wahrheit. Zuerst: das ganze System der Natur ist der Fortgang der Totalität dieses Prinzips. Die Naturwissenschaft ist insofern eine schwere Wissenschaft, denn es ist ihr Geschäft, das Außersichsein zu überwinden (der alte Proteus

220 der Mensch ] er

210

215

220

225

230

235

240

10 –12 Einleitung 9

enthält schon dies – unter 100 Gestalten entwand er sich jedes Mal und erst am Ende konnte er besiegt werden).

§ 195. Die Natur ist, nicht Wesen (das Abstrakte) bloß zu sein, sondern etwas Gesetztes zu sein. Das Werk der Natur ist: das Innere zu enthüllen, und umgekehrt muß sie aus ihrer Äußerlichkeit in sich gehen. Nicht ein Reales bloß zu sein ist nun das allgemeine Ziel.

Der Anfang ist, daß die Natur die Idee nur an sich ist. Das Erste, was zu betrachten ist, ist die leere Äußerlichkeit. Das Ziel ist: daß diese Äußerlichkeit ideell gesetzt wird. Die Lebendigkeit ist die höchste Stufe, welche die Natur erreicht. Das Leben ist ein Wesent-liches, Lebendiges. Darum sind die Unterschiede bloß einzelne Mo-mente. Die Idee des Lebens ist das Hervortreten des Geistes – bis zu diesem Punkte | haben wir die Natur überhaupt zu betrachten. Das Nähere ist nun die Übersicht des Ganzen oder die Einteilung (cf. § 196).

[Einteilung ]

Die drei Teile überhaupt sind: 1. Mechanik (nicht bloß Mathema-tik), das 2. Physik und 3. Organik. Das Erste macht die Sphäre der Schwere aus. Die zweite Sphäre enthält die individuelle Körperlich-keit, [die] dritte die aus ihren Unterschieden zurückgekommene Natur.

Die erste Stufe ist die Stufe der Materie – das Insichsein, noch verschlossen – die allgemeine durchdringende Identität. Das Zweite ist, wo das Materielle spezifi ziert ist, wo es auseinandergeht. Die zweite Stufe ist also die Relativität überhaupt. Das Dritte ist die Stufe der Lebendigkeit oder die Stufe des Idealismus. Die dritte Stufe ist die Einheit der ersten und zweiten. Der Unterschied ist hier zu seinem Recht gekommen. Die Äußerlichkeit bekommt hier ihre Bedeutung. Sie ist nur ein Auseinander. Der Prozeß, in dem das Übergehen aufgehoben [ist].

In dem ersten der Mechanik macht die Materie den Mittelpunkt. Hier ist die ganz abstrakte Äußerlichkeit. Diese ist Raum und Zeit.

248 ist … Ziel ] das allgemeine Ziel nun ist249 die Natur die Idee ] die Idee die Natur

*245

250

255

260

265

270

10 Einleitung 12 –13

Ihre Dialektik ist, in ihre Wahrheit zurückzugehen. Raum und Zeit ist das Werden der Materie. Materie ist schwer. Schwere macht ihren Begriff aus – | Materie ist insofern das Qualitative. Das Dritte ist hier die Schwere als Totalität. Die Schwere ist hier entwickelt; das Zweite ist die sich bewegende Materie. Hierher gehört das System der himmlischen Körper. Das Dritte ist, daß die Unterschiede der Formen sich der Schwere entreißen – das Freiwerden der Form des Unterschiedes: Sphäre [der absoluten Mechanik].

Die Besonderung der Körperlichkeit fängt da an, daß selbstän-dige Momente herabgesetzt werden zu Momenten, und so sind sie nur Momente eines Prozesses. Das ist die Stufe des Prozesses der Elemente. Was früher Himmelskörper war, wird hier Moment. Das Zweite ist der individuell gewordene Körper. Der Körper ist so eine Totalität von Unterschieden. Diese Formen sind die Eigenschaften des Körpers, Bestimmungen der Kohäsion – der mechanischen Eigenschaften. Das Dritte ist die totale Individualität. Die Eigen-schaften und Bestimmungen, sich darstellend als Momente eines Objektes, [sind ] freie Gestaltung des Körpers überhaupt – dies ist die Stelle des Magnetismus. Das Weitere ist, daß die Individualität wieder in Besonderungen übergeht. Die Himmelskörper haben wir heruntergesetzt als Momente. Das Dritte | ist dann der chemische Prozeß.

Das Dritte ist, was organisch ist. Dieses hat den Organismus als solchen zum Gegenstande. Das Erste ist der Erdkristall überhaupt. Das Zweite ist der in sich gehende Organismus: Pfl anzen. Das Dritte erst ist das Lebendige. Die Subjektivität, die auch nach außen ge-rissen [wird ], welche aber in dieser Äußerlichkeit sich selbst erhält.

275

280

285

290

295

300

13 –15 Einleitung 11

[ERSTE ABTEILUNG][DIE MECHANIK]

Natur als die außer sich seiende Idee (Seele und Leib nur eine Identität). Die Idee ist nun noch nicht das Konkrete. Der Anfang ist eben das Abstrakte – das Unwahrste –, er ist noch nicht das aus seinem Anderssein zu sich selbst Zurückgekommene. Das Erste ist also die Innerlichkeit des Begriffes – das ganz Losgelassene, Form-lose, Unmittelbare (cf. § 194).

[A. Raum und Zeit ]

Der Raum ist das Begriffslose überhaupt. Aber indem der Begriff das nur ist, wodurch er ist, so ist es zugleich das Außersichsein des Begriffes. Das Gleichgültige, nicht Bewegte, nicht anders Gewor-dene. Zeit ist das Negative des Außersichseins – das Außersichsein des Außersichseins. Die Zeit ist die Negation – das Bewegliche –, der Raum das Ruhige. In der Materie fällt beides zusammen. Raum und Zeit haben sie produziert.

Das erste ist das ganz abstrakte Außersichsein. Dies ist unsere Bestimmung. Der Raum ist das, was in unserer Vorstellung die-sen Begriff ausdrückt. | Das Erste ist also das absolute Auseinander. Wenn wir sagen, ein anderes und wieder anderes, ist es gleich wie wenn wir sagen, vieles, eines außer dem anderen. Es ist das vollkom-mene Außersichsein gesetzt. Dieses viele Auseinander ist zugleich unmittelbare Idee. Dies ist, was wir Raum nennen. Raum i s t und ist auseinander. Ihre Identität ist eben dann seine Kontinuität. Der Raum wird nicht durch die Unterschiede unterbrochen, er ist ganz nur das absolute Außersichsein. Es wird oft gefragt: Ist der Raum etwas Reales oder etwas nicht Reales ? Was ich zeigen kann, ist der

11 er ] es16 sie ] es

5

10

15

20

25

15 –16 13

erfüllte Raum. Man hat den Raum für etwas so Wirkliches nicht zu halten wie Materie, aber auch nicht als etwas bloß Subjektives. Es ist ein Mittelding. Kant hat den Raum und die Zeit als eine Form der sinnlichen Anschauung bestimmt. Allerdings ist es Form der Anschauung. Rein formell ist Raum allerdings, und das Formelle besteht darin, daß er noch etwas ganz Abstraktes ist, wo die Unter-schiede noch nicht hervorgetreten sind. Der Raum ist eine Form der Anschauung. Kant sagt dies in dem Sinn: der Raum gehört bloß dem Subjekte an. Es ist ganz richtig, nur nicht in dem Sinn, als ob der Raum sonst noch was sei.

In der absoluten Idee ist eben dies Moment, sich als anderes [zu haben]. | Das Wissen bringt diesen Glauben nachher zur Form der Wahrheit. Der Geist weiß sich als Vernünftiges, dem innersten Wesen nach nicht von der Natur Verschiedenes, er weiß diese sub-stantielle Einheit als sein Wesen und das der Natur. Indem er ver-nünftig denkt, denkt er subjektiv se in Denken, damit ist auch sein Gegenstand ein Vernünftiges, ein Lebendiges. Wenn man Leben und Denken der Theorie entgegensetzt, so ist diese Theorie die ab-strakte Metaphysik des Lebens, die grau ist. Das vernünftige Denken [ist] aber das grüne lebendige Wesen in sich, wie Goethes Faust sagt. Zunächst fühlt, glaubt der Geist, [er] sei ein und dasselbe Wesen mit der Natur. Die Natur ist ihm die verkörperte äußerliche Vernunft. Dieser allgemeine Gedanke liegt der Naturphilosophie zugrunde und enthält die Auflösung seines Zwiespaltes. Denn damit hört die Natur auf, ein Starres, Fremdes zu sein, bloß Jenseitsobjekte. Denn ihr Wesen ist die Vernunft, an sich seiend, noch nicht für sich und noch unbewußt. Und indem wir sie als vernünftig fassen, so sind wir darin bei uns selbst. Nicht so in einem gewöhnlichen Bewußt-sein, hier sind wir bei einem anderen. Bei mir nur im vernünftigen Denken. […] |

In seinem Gesetz ist das Ganze unmittelbar gegenwärtig. Nur das Jetzt hat diese Wirklichkeit, aber in der konkreten Totalität ist die

33 er ] sie57 Im Manuskript Ringier sind die anschließenden Blätter bis Pag. 32 unbe-

schrieben. Vgl. die entsprechende Textpassage aus der Edition von Manfred Gies in den Sachanmerkungen im Anhang des vorliegenden Bandes, S. 203 –206.

30

*

35

40

45

*

50

55

*

14 Die Mechanik 16 –17; 33

Vergangenheit ebenso enthalten als die Zukunft (der lebendige Hase ist besser als ein toter Löwe – dies ist ein gemeines Sprichwort – sie sind vielmehr dasselbige, denn der Hase wird auch einmal eine Zeit erleben, wo er nicht mehr ist).

Man sagt, die Zeit besteht aus Zeitpunkten, aber sie ist immer kontinuierlich. Allerdings können Grenzen gemacht werden, aber diese sind keine wahrhaften Grenzen (Hierher gehört der berühmte Satz von Zeno – von Achilles und der Schnecke). Das Räsonne-ment beruht darauf, daß die Zeit ins Unendliche teilbar [ist]. Aber wir sagen, die Zeit, die er voraus hat, wird am Ende so klein werden, daß sie am Ende nicht mehr bestimmbar ist. Sie fallen zuletzt des-wegen zusammen. Aber wir müssen nicht sagen, für uns sei die Zeit zu gering, sonst bleibt das Räsonnement immer in der Stärke.

Anmerkung: Raum und Zeit können für sich zum Gegen-stand einer Wissenschaft gemacht werden – Geometrie. Eine Wis-senschaft ist nichts anderes als ein Auffassen von dem Allgemeinen. Der Raum ist für sich also das Unbestimmte; also sagt man absoluter Raum, d. h. abstrakter Raum. | Die Geometrie hat die bestimmten Beziehungen des Raums zu betrachten. Figuren, die die Geome-trie betrachtet, können nur solche sein, welche auf eine gewisse [Weise] regelmäßig sind – i. e., welche eine gewisse Regel – Gleich-heit – enthalten. Diese wesentlichen Beziehungen zu fi nden und zu berechnen, dies ist die Sache der Wissenschaft überhaupt.

Es gibt keine Wissenschaft der Zeit für sich, sondern nur die Zeit als Moment der Bewegung. Chronologie ist allerdings eine Wissen-schaft der Zeit, aber nicht der Zeit an und für sich, es sind eigentlich nur die Begebenheiten, welche betrachtet werden. Es fi ndet keine solche Figuration statt wie bei dem Raume, d. h. keine Begrenzung, die ein Ganzes ausmacht. Dadurch, daß das Negative der Zeit als abstrakt Negatives aufgefaßt wird, [fällt es in Eins zusammen und macht das Prinzip des Diskreten aus.] Raum und Eins sind nicht abstrakt kontinuierlich. Der Raum ist die Möglichkeit, begrenzt zu werden; die Zeit ist das Grenzlose. Das tote Eins kann kombi-niert werden und begrenzt. Dies gibt Figuren, welche wir Zahlen nennen. Die Zahl enthält ebenso die Kontinuität in sich, alle Eins darin sind identisch. Insofern dies ist, so ist das Eins das abstrakte Eins, die Einheit.

60

65

*

70

75

80

85

90

95

33 –34 Raum und Zeit 15

Man könnte den Gedanken einer philosophischen Mathematik haben: d. h. daß man die Sätze der Mathematik aus dem Begriffe ableitet. Die Mathematik verfährt nicht so. | Sie betrachtet Figuren und geht von diesen Voraussetzungen aus. Sie ist insofern eine Ver-standeswissenschaft. Das Endliche ist bestimmt, und das, wodurch es bestimmt ist, ist ein anderes als es selbst. Man kann sich deswegen vorstellen, daß es auch eine Wissenschaft der Mathematik gebe. Dies würde etwas Überfl üssiges im Ganzen sein. Sie ist eine Wissenschaft des Verstandes, und um der Einfachheit ihrer Elemente willen kann sie es auch bleiben. Sie kann diese strenge Verstandeswissenschaft sein, weil sie es mit abstrakten Figuren zu tun hat. Geometrie kommt am Ende zu ihrer Grenze, wo sie transzendent wird, wo sie Analyse des Unendlichen wird. Der Verstand weiß das Hinausgehen aus sich selbst zu behandeln und es zu kalkulieren. Weil diese Wissen-schaften so mit Abstraktem zu tun haben, so ist es allein möglich, daß sie so aus dem Verstand hervorgehen können. Aber es gibt Sätze, welche von höherer Würde sind als andere, [so] der Pythagoreische Lehrsatz. Dies ist ein Satz, welcher die vollkommene Besonderheit des Dreiecks in sich enthält. Deswegen ist dieser Satz ein Hauptsatz. Der Pythagoreische Lehrsatz ist auch aus dem Begriff erweisbar: z. B. das rechtwinklige Dreieck ist das Regelmäßigste, ebenso muß die Bestimmtheit der anderen Dreiecke ebenfalls zurückgeführt wer-den. Es sind die Winkel immer gleich, nämlich der Rechtwinkel gleich den beiden | anderen Winkeln. Die Winkel bestimmen auch die Linien, also müssen diese auch etwas Gleiches haben. Aber die Linien können es nicht sein, denn der Winkel ist das Breitwerden der Linien und so muß man Flächen nehmen, und am besten nimmt man die Flächen, welche durch die Linien selbst bestimmt werden: die Quadrate.

Jede Wissenschaft ist Ausdruck der Idee. In der Arithmetik müs-sen wir eine Folge der Rechnungsarten machen. Ob zuerst Ad-dieren oder Subtraktion, darauf merken wir nicht. Das Einfache ist dasselbe. Das Eins liegt zu Grunde, die Bestimmungen, Figurationen kommen von außen zu dem Eins. Es ist diese Wissenschaft analytisch.

110 aus ] außer113 andere ] an sich

100

105

110

*115

120

125

130

16 Die Mechanik 34 –36

Was geschehen soll, liegt in der Aufgabe selbst, und es ist überfl üssig, wenn man einen Beweis nachschickt. Denn eben was geschehen ist, ist der Beweis, daß es geschehen ist. Der Fortgang der Operation ist ein Fortgang nach der Gleichheit. Man muß also mit dem Un-gleichen anfangen. Addieren heißt Zahlen zusammenfassen. Zahlen sind zusammengefaßte Eins – immer hat man vieles auswendig, was einem zur Geschwindigkeit hilft. Die Subtraktion ist eine negative Rechnungsart, überhaupt entspricht einer positiven Rechnungsart eine negative. Sind die Zusammenzuaddierenden gleich, so haben diese Verschiedenen eine Einheit, diese Einheit habe ich zum Bei-spiel drei Mal, also tritt hier die Trennung des Begriffs ein. Multi-plikation ist: eine Anzahl und eine Einheit, welche selbst aus Zahlen besteht, | zusammenfassen als eine Zahl. Die dritte Rechnungsart ist, wo Anzahl und Einheit gleich ist, dies ist das Erheben in die Potenzen. Das Erheben ins Quadrat. Das Quadrat ist die erste Po-tenz, der Begriff der Potenz. Dies macht also das Leitende in dieser Wissenschaft aus. Dann wird zu Verhältnissen fortgegangen. In den Rechnungsarten gilt die Zahl unmittelbar. Aber es ist die höchste Wahrheit: Beziehung zu sein auf anderes und nicht Isoliertes für sich zu sein. Dies sind die Hauptkapitel in der Arithmetik. In einem solchen Verhältnis 2 zu 3 gilt 2 nicht mehr als 2 und 3 nicht als 3. Man kann ebenso setzen 4 zu 6 oder 8 zu 12 – es ist immer dasselbe. Im Verhältnis verliert sich die Unmittelbarkeit vollkommen. Daß der Begriff sich darin sucht und findet, dies ist das notwendige Verlieren.

Ebenso kann man in der Geometrie diesen Fortgang beobachten. So wie Euklid, was als ein wahrhaft plastisches Kunstwerk anzu-sehen ist. Die erste Lehre, womit er anfängt, ist das Bestimmtsein von Dreiecken. Es werden von zwei Dreiecken [zwei Winkel] ge-braucht, um zu bestimmen, daß zwei Dreiecke einander gleich sind. Aber man braucht hernach nur eins, was zum Beispiel durch einen Winkel und zwei anliegende Seiten bestimmt [ist]. Das Übrige ist bloß ein Sinnliches. | Von dieser Bestimmtheit fängt er an. Mit dem Bestimmtsein ihrer Größe: mit der bestimmten Bestimmtheit

144 in ] auf145 ins ] auf

135

140

145

150

155

*

160

36 –38 Raum und Zeit 17

schließt er das erste Buch, d. h. mit dem Pythagoreischen Lehrsatz. Es ist nicht zufälliger Weise, daß er schließt – es ist hierin das an und für sich Bestimmtsein. Der Pythagoreische Lehrsatz spricht ein und dasselbe doppelt aus. Der ganze Pythagoreische Lehrsatz tut nichts anderes als etwas zu betrachten in der Form des Begriffs und einmal in der Form der Realität. Im zweiten Teil reduziert er jede geradlinige Figur auf ein Dreieck – das Unbestimmte auf das Bestimmte. Im dritten zeigt er am Kreise, daß eine Linie (Tangente) als Quadrat genau gleich einem Rechteck zwischen dem Rad und dem Stück außerhalb des Kreises [ist]. Dies macht die Grundlage der konischen Sektionen aus. Dies sind immer nur Gleichungen, wo dies ausgesprochen ist. So ist es dies Bewußtlose, was als ein schönes plastisches Kunstwerk dasteht.

(Cf. Anm. [zu § 202]) Es kann einem einfallen, daß, wenn von Raumfi guren gesprochen wird, diese ein wichtiges Mittel seien, philosophische Gedanken auszudrücken und darzustellen. (Symbole und Dreieck der Freimaurer). Es scheint nahe zu liegen, da diese Fi-gur etwas Abstraktes ist und der Gedanke auch. | Das Denken würde so erleichtert oder erspart. Aber das Wahre ist nur Gedanke. Er läßt sich auf keine Weise fassen, er will selbst durch sich selbst erfaßt sein. Diese Zeichen spielen nun an – ihnen liegen die abstrakten Wahr-heiten zugrunde. Das Dreieck ist die erste, die allgemeine Figur, auf welche die anderen zurückgeführt werden müssen. Aber was sich dadurch darstellen läßt, ist nur die abstrakte Leere. Insofern konkrete Ideen vor uns getreten sind, so würde nichts als Verwirrung entste-hen. Und man müßte die Figur erklären und dadurch wäre nichts gespart. Raum und Zeit ist gerade dem Gedanken entgegengesetzt, und das ist gerade das unschicklichste Zeichen. Man muß sich vor den Zahlen in acht nehmen, sie können einen Menschen unglück-lich machen, überall lassen sie einen weit sehen, überall spielen sie an. Dieser kindliche Versuch des Denkens ist Armut. Aristoteles hat sie, dies Mittelding, das den Charakter der Sinnlichkeit hat, gewählt, bis dies den Gedanken aufgegeben hat. Die Freimaurer zeigen da-durch gerade an, daß keine große Weisheit dahinterstecke. Aber eben dahinterstecken soll die Weisheit nicht. Es ist falsch gewesen, in die Philosophie die Formen der Potenzen und andere Formen der | Mathematik herüberzuziehen.

165

170

*175

180

185

190

195

*

200

18 Die Mechanik 38 – 40

Mater ie. Gewöhnlich sagen wir, die Materie erfüllt den Raum, und man faßt die Materie von außen her. Sie werden als gleich-gültig gegeneinander angenommen, die Materie als eine Sache für sich. Die innere Dialektik des Raumes ist das Übergehen in die Zeit. Er ist noch nicht die wahre Form. Er ist an sich selbst ein Übergehendes – es ist damit sein immanenter Begriff. Die Zeit ist ebenso ein Übergehendes. Die Zeit ist umgekehrt auch ein Über-gehen in den Raum. Die Zeit ist die in sich seiende Idealität, die sich auf sich beziehende Negativität. Aber dies in aller Abstraktion. Die Zeit hebt sich selbst auf. Sie ist das Dialektische ihrer selbst: das sich selbst Negieren, das Unterscheiden ihrer selbst, sie ist das Sein mit dem Nichtsein. Sie ist nur in dieser Entgegensetzung. Als dieses unmittelbar Schwindende hat weder das eine noch das andere ein Bestehen. Ihr Begriff ist, das unmittelbar nicht zu sein, was sie sein sollen. Begriff der Zeit ist: unmittelbar Aufgehobensein des Unter-schiedes. Sie fällt unmittelbar in Indifferenz zusammen. So geht Zeit in Raum, Raum in Zeit über. Der Raum macht sich zur Zeit. |

Setzen ist ebenso wesentlich Moment der Idee. Es ist etwas sehr Leeres, wenn man fragt, ob der Raum außer uns sei oder nicht. Der Raum ist die Äußerlichkeit selbst, das Außersichsein selbst. Leibniz hat von dem Raum gesagt, es sei die Ordnung der Dinge, d. h., daß er den Dingen nicht selbst zukomme, sondern daß er in dem äußer-lichen Verhalten der Dinge ist. Damit ist aber auch wieder zuviel gesagt. In der Anmerkung [zu § 197 ] ist vom Raumpunkt gesagt: Man nimmt gewöhnlich diesen als etwas Positives an. Aber man braucht in der Mathematik den Ausdruck Punkt bloß zur Erleich-terung der Berechnung und zur Behandlung. Was räumlich ist, ist nicht ein Punkt. Der Raum ist die Möglichkeit des Unterscheidens, aber darin ist nicht der Unterschied selbst. Daß der Raum als sol-cher ist, ist die Kontinuität desselben. Es ist auch damit gesagt: man kann fragen, ist der Raum außer sich auch unendlich oder ist der Raum ins Unendliche teilbar? Die erste Frage reduziert sich darauf, ob er eine Grenze habe. Grenze heißt eben das Unterscheiden, und

202 den Raum ] die Materie217 Indifferenz ] Differenz219 ist … Idee ] ebenso wesentlich Moment der Idee ist

205

210

215

220

*225

230

40 – 41 Raum und Zeit 19

dies liegt nicht im Begriff des Raumes. Es ist der Raum das Unend-liche. Insofern man den Raum denkt, so ist man über den Raum hinaus. Denken ist eben die Äußerlichkeit aufheben. Hier ist dann die Grenze des Raumes. Im Raum ist eben das vorhanden, daß seine Grenze etwas Äußerliches ist. Die Zeit ist insofern die Grenze des Raumes. Ebenso mit der Zeit, wenn man fragt, ob sie aus Atomen besteht, oder ebenso | mit der Materie.

§ 198. Der Raum enthält Unterschiede. Der Raum ist der Be-griff, er ist die Totalität in sich, Begriff in sich. Der Begriff hat in ihm seine Darstellung. Nun ist der Begriff das Konkrete überhaupt, das Lebendige. In dem Raum erscheint der Begriff nicht auf seine Weise. Wie der Begriff im Raum erscheint, so geschieht dadurch nur, daß Unterschiede sind. Es ist das Außereinander überhaupt. Dimensionen spricht man dem Raum zu, und zwar drei. Mehr gibt es nicht. Jede Dimension für sich ist Abstraktion. Wo Raum ist, da sind diese drei Dimensionen. Es ist dies notwendig. Es fi ndet sich so. Die Dimensionen sind unbestimmbar. Höhen, Längen und Breiten. Es gibt keinen Unterschied zwischen Höhe, Länge und Breite. Man könnte nicht sagen, was Höhe, Länge und Breite ist. Oft meint man ja die Länge, Breite und umgekehrt. Es ist deswegen bloß ein gemeinter Unterschied. Er ist nicht wahrhaft als Unterschied [vor-handen]. Höhe z. B. verwechselt man nicht mit Länge und Breite, aber dies ist nur ein Gemeintes, denn es ist nur der Mittelpunkt der Erde, welcher dies bestimmt; und der Raum selbst hat diese Unterschiede nicht.

§ 199. Das Negative als solches muß gleichfalls im Raum gesetzt sein. Er ist der | vollkommene Widerspruch. Die Verschiedenheit ist das Negative der Identität etc. Der Widerspruch, der darin ist, ist eben seine Dialektik. So die Zeit: sie erzeugt aus sich selbst [ein] anderes. Man kann sagen, es erzeugt sich unmittelbar aus der Idee, aber um hinwegzugehen aus sich selbst. Der Raum ist abstrakt das Negative seiner selbst. Dies Negative ist zuerst das abstrakt Nega-tive. Es ist das, was man Punkt nennt; die Grenze des Raumes, das Negative des Raumes. Der Punkt ist das ganz Abstrakte des Rau-mes. Der Punkt ist seine Negation, aber zweitens die Negation des Raumes. Er ist die Dialektik seiner selbst. Der Punkt ist wesentlich auf den Raum bezogen. Es liegt in seiner Bestimmung unmittelbar

235

240

245

250

255

260

265

270

20 Die Mechanik 41– 43

der Raum selbst. Also ist der Punkt räumlich und ist also nicht, was er sein soll. Aber das Anderswerden des Punktes gibt eben die Linie, es ist die Bewegung des Punktes. Der Punkt ist das Anderswerden seiner selbst überhaupt. Dies, wie er in Wahrheit ist, das ist Linie. Die Notwendigkeit der Linie ist die Dialektik des Punktes. Der Punkt ist unser erstes, er macht die Grenze des Raumes; aber er ist das Positive, indem er der Anfang des Raumes ist. Dem Begriff nach ist das An-derssein überhaupt des Punktes das Bestimmende der Grenze seiner selbst. Man kann es auch so nehmen. Die Linie ist das Negative | des Punktes, d. h. das Negative des Negativen. Ihre Wahrheit ist: daß sie selbst das Anderswerden ihrer selbst [ist]. Das Anderswerden der Linie ist eben die Fläche selbst. Man sagt eben darum, die Fläche entsteht durch die Bewegung der Linie. Hier enthält also die Fläche zwei Dimensionen; sie ist das zweite Anderswerden. In der Fläche sind zwei Bestimmungen, deswegen zwei Dimensionen. Dies ist die eine Seite der Fläche. Aber andererseits ist sie die Negation des Raumes. In ihr ist die Grenze des Raumes aufgehoben. Wenn wir darauf setzen, daß das Aufgehobene Negation ist, [ist] Negation also etwas Positives. Es ist nun eine Unmittelbarkeit durch Aufhebung der Negation. So ist die Fläche Herstellung des ganzen Raumes. Aber sofern sie selbst Grenze ist, ist sie also Oberfl äche.

Dies ist also die Natur des Raumes überhaupt. Der Unterschied des Unterschiedes als Unterschied verursacht die eben gemachten Bestimmungen. Da die Linie das Anderswerden des Punktes ist, so besteht sie nicht aus Punkten, sondern aus anderem des Punktes. Es ist die Aufhebung des Punktes (aufheben = negieren und = aufbe-wahren). |

§ [200.] Wir haben den Raum und auch die Zeit, wo das andere aufhört. Aber das eine ist das Erzeugnis des anderen. Der Raum ist sein Negatives, seine Dialektik. Er ist ein Außersichsein mit voll-kommener Gleichgültigkeit, er ist das Negative seiner selbst. Die Negativität ist nicht nur das ruhige Entfalten (der Dimensionen). Sie sind verschieden (die Dimensionen), aber unmittelbar ineinan-der. Deswegen, daß ein Unterschiedenes in dem anderen ist, ist das andere nicht. Diese Negativitäten sind wesentlich nicht gleichgültig gegeneinander. Negativ heißt eben dies: in seinen Bestimmungen liegt das andere – es enthält in seinem eigenen Begriffe das andere.

275

280

285

290

295

300

305

43 – 45 Raum und Zeit 21

Eines kann nicht sein ohne das andere. Die Wahrheit dieses Negati-ven ist ebenso dieser Prozeß; es ist unmittelbar das Gegenteil seiner selbst. Dies ist die Zeit. Der Raum, in seiner nächsten Wahrheit gesetzt, ist die Zeit, aber eben in der Sphäre des Außersichseins.

Die Zeit enthält nichts anderes als die eine Idealität überhaupt: dies Außersichsein als sich Negieren und dieses Negieren ebenso [als] Außersichsein – dieses außersichseiende Negative. Die Zeit ist also in der Natur das Ideelle. Die Zeit ist das Sein, das nicht ist, in-dem es [ist] – das sich stets zerstreuende Spiel. Das Werden selbst als Außersichsein, das reine Außersichgehen. | Vor der Veränderung der Dinge, das Ganze abstrakt aufgefaßt, ist eben die Zeit. Die Zeit ist ebenfalls für sich dieser rein abstrakte Wechsel, ist ohne Unterschied. Wir schauen die reine Veränderung an. Langeweile haben wir, wenn die Zeit nicht erfüllt [ist]. Die abstrakte Anschauung der Zeit macht uns Langeweile. In Geschäften vergessen wir die Zeit, da sind wir in Interessen versenkt. Die Zeit ist eine reine Form der Anschauung. Sie ist das Außersichsein, das vollkommen Unerfüllte.

Ich bin ebenso die unendlich auf sich beziehende Negativität. Die Zeit ist derselbe reine Begriff nur in der Äußerlichkeit. Ich ist ruhig in sich, aber in dieser Äußerlichkeit ist der Wechsel gesetzt. Es macht die Sinnlichkeit aus. Indem die Zeit kontinuierlich ist, so fi guriert sie sich. In der Zeit entsteht und vergeht alles, dies sind die zwei Seiten des Werdens – dies ist das Sein mit dem Nichtsein. Ent-stehen ist das Werden, welches vom Nichtsein anfängt, Vergehen ist der Übergang von dem Sein in das Nichtsein. Die endlichen Dinge sind überhaupt zeitlich. Eben die Zeit ist ihre abstrakte Seite, ihre abstrakte | Dialektik. Die endlichen Dinge sind, was sie sind, immer durch ihre Grenze. Darum sind diese in der Zeit. Die Zeit selbst aber vergeht nicht, sondern die Zeit ist selbst das Vergehen. Die Zeit ist ewig – das Vergehen angeschaut in der Äußerlichkeit – d. h. ihr Begriff selbst ist ewig. Das Jetzt ist auch ewig jetzt, alle Jetzt zusammen sind nicht verschieden, sondern alle eins. Man stellt sich die Ewigkeit auch vor, daß sie nach der Zeit kommt, aber die Ewigkeit ist gegenwärtig. Der Geist ist wesentlich ewig, schlechter-dings gegenwärtig. Das Leben nach dem Tode gehört nicht hierher. Die Dauer ist von Ewigkeit überhaupt unterschieden. Dauer ist ein relatives Nichterscheinen der Zeit. Das Dauernde halten wir höher

310

315

320

325

330

335

340

345

22 Die Mechanik 45 – 47

als das Vergängliche. Aber diese macht keine Bestimmung von Ver-gänglichkeit. Die Dauer ist unlebendig. Dauer kommt auch dem zu, was in seinem Prozeß sich für sich selbst erhält. Er ist im Wechsel, aber doch darum etwas Dauerndes. Die Wahrheit dieses Wechsels ist, in die Einheit überzugehen. Ganz abstrakt kommt die Dauer ebenso dem Toten zu (Stein etc.). Daß das Lebendige als solches nicht dauert, ist eben der Vorzug, daß es ein Lebendiges ist, daß es weiter geht, seinen Begriff entfaltet. |

§ 202. Dimensionen der Zeit. Die Zeit ist das außersichkom-mende Außersichsein, also das Insichgehen, der unmittelbar sich auflösende Unterschied. Die Zeit hat keine Dimensionen, in der Zeit ist nicht das gleichgültige sich Entfalten wie im Raum. Was Dimensionen der Zeit genannt werden kann, Gegenwart, Zukunft und Vergangenheit, dies sind Einteilungen der Zeit. Die Gegenwart ist das Jetzt, Zukunft ist in der Vorstellung abgesondert festgehalten. Vergangenheit ist ein Sein, das gesetzt ist als nicht seiend, Zukunft ist ein Nichtsein, das gesetzt ist zu sein. Dies sind diese Unterschiede, aber sie sind keine wahrhaften Unterschiede; es ist Willkür, daß wir vom Sein anfangen, es sind nur gemeinte Unterschiede. Das Jetzt ist bestimmt überzugehen aus dem Sein in das Nichtsein und ebenso umgekehrt. Das Jetzt ist die Totalität, diese Wahrheit, die anderen sind bloß gemeinte Unterschiede. Wenn wir Vergangenheit sagen, so ist eine Grundlage die Zeit. Die Zukunft und Vergangenheit i s t nicht, sondern ist nur in unserer Vorstellung. Das Jetzt, wie es an und für sich ist, ist zeitlos. Der Planet ist jetzt hier und jetzt da, aber sein Gesetz ist das wesentliche Jetzt. |

Die Zeit fällt in sich zusammen, und das Zusammengefallensein ist der Raum. Bewegung ist dies, daß sich der Raum zur Zeit setzt. Der Raum macht sich zum Negativen seiner, zum Punkt, und dies ist der Ort. Das Aufheben seiner selbst ist eben das Negieren, das Zeit ist. Zunächst ist die Bewegung die Beziehung des Raumes und [der] Zei t , diese lebendige Beziehung. Die Zeit ist räumlich im Or t . Die nächste Indifferenz, die verhältnislose Einheit ist dies, daß es ein Außersichsein ist, aber ebenso in sich ist, ein sich unter-scheidendes Außersichsein, das Fürsichsein des Außersichseins. Dies ist die Wahrheit von Raum und Zeit. Jetzt haben wir in der Vor-stellung, was diesem Begriff entspricht in der Anschauung. Sehen

350

355

360

365

370

375

380

47– 49 Raum und Zeit 23

wir, was es ist, so sehen wir, daß es die Materie ist, worin Raum und Zeit übergeht. Sie setzen die Materie. Sie heben sich auf, indem sie die Materie setzen. Die Vorstellung ist es, die dies auseinander hält. Was die Realität der Materie betrifft, so ist ganz richtig: Realität ist ein unbestimmtes Wort, bald dies, bald jenes. Realität heißt dann eben, daß die Materie das Konkrete ist: die Einheit dieser Momente. Materie ist allerdings die Wahrheit dieser beiden. |

Die Materie ist ein Zusammengesetztes. Zusammengesetzt ist einer der schlechtesten Verstandesbegriffe. Zusammengesetzt ist: daß etwas eine Vielheit ist. Es gibt allerdings Dinge, welche zusam-mengesetzt sind, d. h. Dinge, welche vollkommen äußerlich sind. Zusammengesetztsein ist das gleichgültige Außereinandersein. Das Zusammen ist nur ein äußerliches Band. Das Zusammengesetztsein der Materie heißt soviel als die Materie ist räumlich. Das zweite Moment ist: eben deswegen gibt es keinen leeren Raum, weil Raum und Zeit nichts für sich sind, sondern sich reduzieren auf die Materie, nur in der Materie ihre Wahrheit haben. Die Materie ist undurchdringlich. Was uns Widerstand leistet, dies ist nichts an-deres als, daß die Materie für sich ist. Sie ist in sich refl ektiert; die Materie ist undurchdringlich, d. h. sie ist das Außereinander, sie ist allenthalben, sie ist für sich. Aber auf dem höheren Standpunkt ist sie doch durchdringlich für das Leben. Dieses Fürsichsein ist eben die sich auf sich beziehende Negativität – sonst ist nichts in der Materie. Diese abstrakten Momente sind diese: die Einheit der Zeit und des Raumes. Materie ist die Einheit der Zeit und [des] Raumes, aber in der Form des Raumes. Zeit als Zeit | tritt bei der Materie nur in der Bewegung hervor. Die höhere Wahrheit ist eben dies, indifferent in sich zu sein. Materie bewegt sich wesentlich. Zunächst haben wir sie nur als das erste Indifferente. In Ansehung der Materie kann wieder die Verstandesbestimmung betrachtet werden, ob sie teilbar oder unteilbar sei. Durch die Materie ist erst eine Begrenzung im Raum; die Materie ist das Fürsichsein, also Begrenzung überhaupt, als Negativität, die mit dem Raum identisch ist.

In der Anmerkung [zu § 203] heißt es: daß dieser Übergang in der Mechanik vorkommt. [ Der] Hebel ist gleichgültig, wenn die beiden

401 Sie ] Es

385

390

395

400

405

410

415

24 Die Mechanik 49 – 51

Seiten so beschaffen sind, daß das statische Moment gleich ist. Ändert man das Gewicht, d. h. vermehrt man es, so kann [das] Gleichgewicht gehalten werden, wenn man die Entfernung klein macht. Hier ist dies vorhanden, daß man an die Stelle der schweren Materie das Ideelle im Raum setzen kann. Das ideelle Räumliche vertritt also ganz die Materie. Das eine hat soviel Kraft als das andere. Ebenso bei größerer Bewegung, wenn das Maß vertreten werden kann durch das Quantitätsverhältnis von Zeit und Raum. Ziegelsteine können wir auf den Kopf kriegen. Fällt einer vom Dach herunter, so kann er uns totschlagen, und bloß das Verhältnis von Zeit und Raum ist dazugekommen. | Dies ist das anschauliche Beispiel, daß Raum und Zeit ebenfalls Realität haben und uns totschlagen können. Der Ziegelstein tut es nicht für sich, denn wir können ihn leicht tragen. Die Bewegung des Raumes ist die Entwicklung der inneren Mo-mente der Materie. Das Verhältnis macht die Bestimmtheit dessen aus, wie jetzt die Realität erscheint. Diese Bestimmtheit ist identisch mit der ersten Bestimmtheit, die nur Bestimmtheit des Gewichts ist.

Kraf t – man unterscheidet verschiedene Kräfte, z. B. magneti-sche Kraft, elektrische Kraft, Schwerkraft etc. Die Kraft ist ein und dasselbe, was in der Erscheinung ist. Das Wesentliche ist, daß ein Unterschied in der Form ist. Der Inhalt ist derselbe. Die Kraft ist deswegen nicht etwas Sinnliches, [sondern] etwas Innerliches. Die Kraft soll sich äußern. Es ist Bedürfnis der Refl exion, daß man das ausgedacht. Gesetz ebenso, es enthält auch das Allgemeine. Aber wenn man nach dem Inhalt der Kraft fragt, so ist die Antwort: es ist dies, sich so und so zu äußern. Die Erscheinung der magnetischen Kraft hat eine bestimmte Erscheinung. Magnetische Kraft ist das, was einen Stab Eisen etc. so stellt, daß er nach Norden und Süden steht. Das Wort Kraft ist also etwas ganz Überfl üssiges – so die attrak-tive Kraft; die Erde bleibt in einer gewissen Entfernung von der Sonne, die Kraft ist nichts als die Erscheinung. |

Wenn jemand reitet und man fragt, warum? und die Antwort ist, es ist die attraktive Kraft, so ist dies eine läppische Antwort. Ebenso

419 vermehrt man es ] wenn man es vermehrt426 einer ] er430 denn ] sondern

420

425

430

435

440

445

450

51– 53 Raum und Zeit 25

kann jemand meinen, gar nicht unter Kraft etwas anderes zu haben. Die attraktive Kraft ist weiter nichts, [als] daß Körper schwer sind: d. h., daß sie wesentlich bestimmt sind, Eins zu sein, was Getrenntes, Einzelnes ist. Was weiter in der Kraft Nachteiliges liegt, ist, daß es nur Verstandesbestimmung ist, nur etwas Endliches. Es kommt nicht zur Betrachtung des Unendlichen des Begriffs. In dem Begriff muß das Moment als Moment des Ganzen selbst betrachtet werden. Die Kraft ist etwas Bestimmtes, d. h. es kommt ihr nur eine Bestimmung zu, sie ist blind. Entgegengesetzte Kräfte sollen sich begegnen, ent-gegenwirken, und dies soll ein Resultat haben. Aber so kommen wir nicht auf den Begriff. Kraft macht alles zu etwas Absolutem und soll doch etwas Relatives nur sein. Man sagt dann, Kraft sei der Natur eingepfl anzt, so ist dies etwas ganz Äußerliches. Der Verstand macht diese so, er isoliert alles, was doch Moment ist. Es scheint zuerst der Vorstellung nicht gemäß zu sein, daß ein Verhältnis von Raum und Zeit die Bewegung eines Steins zum Beispiel verursachen [kann], und man erfi ndet dann eine Kraft. Das ist doch nur ein Moment der Materie. Diese hat Gewicht, was man unmittelbar bestimmen kann. Daß diese Bestimmtheit Verhältnis zugleich in sich ist, Vermittlung, dies ist eben das Verhältnis von Zeit und Raum. | Und dies ist nicht eine bloß schlechte Bestimmtheit, sondern absolute Bestimmtheit ihrem Begriff und ihrer Natur nach. Bestimmtheit an sich ist ein Verhältnis an sich selbst. In der Pythagoreischen Astronomie wird nur von Kräften [gesprochen], und man sagt, was die Kraft sei, kenne man nicht, sondern man kenne nur die Erscheinung. Daß man das Innere der Kraft nicht kenne, scheint anzudeuten, es hänge dies von einem anderen ab. Es ist die Materie nun näher zu betrachten.

[B. Materie und Bewegung. Endliche Mechanik ]

§ 204. Mater ie ist das Fürsichsein, das ausschließende Fürsichsein, und die Kontinuität des Aufgehobenseins dieses Ausschließens. Das Wahrhafte ist ihre unmittelbare Einheit: verschlossen zu sein gegen

451 jemand ] anderer Mann452 Körper ] sie

455

460

465

470

475

480

26 Die Mechanik 53 – 54

das andere und daß diese für sich Seienden identisch seien. Dieses ist gesetzt in der Materie, und Raum und Zeit sind nur der Begriff. Dies ist der Begriff der Materie; und Materie als dieser Begriff, als diese Beziehung auf sich selbst ist darin die Schwere. Die Materie im allgemeinen können wir nicht sehen, nicht fühlen, sondern was wir sehen, ist nur in den Formen des Besonderen. Materie ist das Allgemeine in der Vorstellung – aber sie ist wesentlich auch Verhält-nis in sich selbst, und dies ist eben dann die Schwere. Also, Materie ist wesentlich schwer, dies ist ein identischer Satz. |

Dies enthält zweierlei. Das Fürsichsein, dies ist die repulsive Kraft. Das andere ist das Aufgehobensein dieses [ Fürsichseins] und ist dann die attraktive Kraft. Die Schwere ist zunächst die Stufe der Differenz überhaupt, und zugleich aber die Stufe des Sollens; es kommt zu keinem Fürsich derselben. Es kommt nicht zu absoluter Repulsion, ebenso wenig zu der reinen Attraktion. Es müßte dann alles in einen Punkt zusammenfallen. Die Schwere ist in sich verschlossen, weil sie den Unterschied der Form nicht in sich hat. Das Aufschließen ist, daß diese Unterschiede zum selbständigen Bestehen gegeneinander kommen ( Newton hat gemeint, daß die Schwere mit der Form und Dichtigkeit nichts zu tun hat – er hätte dazu keiner Kügelchen bedurft). Die Schwere enthält dies alles in untrennbarer Einheit. Schelling steht in seinen Anfängen auf dem kantischen Standpunkt. Kant sagt, man müsse diese zwei Momente nicht als etwas Selbstän-diges erachten, beide sind schlechthin Momente einer Totalität. Das, was der Sitz der Attraktivität sein soll, stellen wir uns gewöhnlich vor als einen Körper, aber eben dies wäre schon Repulsion, schon ein Auseinander. Auch in der Vorstellung kommen sie also beide miteinander vor. |

§ 206. In der Materie geht zuerst ihre Form hervor. Sie enthält die Unterschiede von Repulsion und Attraktion als Einheit, d. h. das Setzen des Vielen ins Eine und Setzen des Einen als Vieles. Die Materie enthält wesentlich den Unterschied in sich, d. h. die Ma-terie ist absolute Form. Es gibt einen Standpunkt, wo die Körper und überhaupt die Materien in ihrer Unwahrheit bestehen: Dieser

495 Fürsich derselben ] derselben Fürsich497 sie ] es

485

490

495

500

*

*

510

515

54 – 56 Materie und Bewegung. Endliche Mechanik 27

Unterschied tritt in besondere Existenz. Aber dies ist nicht ihre wahrhafte Existenz. Nur nach der Seite ihrer Wahrheit, in ihrer Wahrheit sind sie ungetrennt. Weil in die Form aller Wechsel fällt, so setzt man diesen Wechsel auf die Seite der Form, und insofern sagte man, die Materie ist ewig. Indem man die Form außer der Materie setzt, so sagt man, die Materie ist nicht gesetzt durch ein Anderes, d. h. sie ist nicht erschaffen, ist unveränderlich – ewig. Dies hat in dieser Abstraktion seinen Grund. Eben die Menschen sind gewöhnt, das Abstrakte für das Wahre, das an und für sich Seiende zu halten.

Die Form ist wesentlich eine Seite der Idee, sowohl die Form für sich als die Materie für sich sind leere Abstraktionen. Es gibt keine formlose Materie, dies zeigt schon der Augenschein. Sie hat not-wendig eine Form – formlose Materie [ist] leere Abstraktion. Es ist unterschieden, aber ein bloßer ideeller Unterschied. | Die Form ist ebenso ewig wie die Materie, aber nur mit ihr zusammen. Materie hat wesentlich die Form in sich, und was in ihr ist, muß auch zu seinem Rechte kommen. Die erste oberfl ächliche Weise des Unter-schiedes ist die Form überhaupt – der unmittelbare Unterschied. Es sind unmittelbar verschiedene Massen. Massen sind bloß Verschie-dene, die Schwere haben, sie haben verschiedene Schwere. Körper heißen diese Massen. Körper ist ein sehr oberfl ächlicher Ausdruck, hier tritt das Merkmal der Individualität hervor. Es ist eine bloß äußerliche Bestimmtheit, keine innere; individueller Körper, d. h. organischer Körper ist etwas ganz anderes.

§§ 207 und 208. [ Der] Körper ist überhaupt schwer und zweitens ist er auch verschieden von seiner Abstraktion. Und wir sagen, der Körper ist im Raum und in der Zeit. Er ist nicht an diesen Raum und diese Zei t gebunden. Der Körper ist ein Besonderes, Endliches. Er hat das Endliche in sich. Er ist vergänglich. Die we-sentliche Bestimmung liegt in dem Satz, daß der Körper wesentlich Bewegung hat, d. h. die Zeit setzt sich räumlich und der Raum zeit-lich. Die Materie ist Einheit des Raumes und der Zeit, aber so, daß die Unterschiede | noch nicht an ihr gesetzt sind. Das Dasein dieses Widerspruchs des Raumes und der Zeit, dies ist eben die Bewegung. Der Raum macht sich zu einem Punkt, zu einem Ort, dies wider-spricht ihm. Darum macht er sich zu einem anderen Ort. Dadurch

520

525

530

535

540

545

550

28 Die Mechanik 56 – 58

erscheint die Zeit. Er hebt diese Bestimmungen auf und setzt sich als anderes, aber dies ist eben wieder dasselbe. Es ist die Wahrheit dieses Verhältnisses, daß er sich aufhebt und zugleich setzt, und dies ist die Bewegung; er fällt von einem Ort in den anderen. Die Materie hat diese zwei Weisen: sie ist [erstens] schwer, i. e. die nur strebende, innerlich seiende Form; zweitens diese innerliche, ent-wickelte, und dies ist die Bewegung. Die Erscheinung der Schwere, d. h. das nächste, erste Dasein der Schwere, dies ist die Bewegung. Derselbe Begriff ist einmal in der Einheit, das andere Mal in dem Setzen des Unterschiedes.

Anmerkung [zu § 208]: Der Materie ist gewöhnlich [die Kraft] als eingepfl anzt vorgestellt. Auf der Erde ruht der Körper, es kommt nur zum Streben. Was von diesem endlichen Körper gilt, das gilt nicht von der Materie an sich selbst. Dies auch nicht im System der himmlischen Körper, hier sind sie | freier. Indem sie [der] der Erde eigenen Bewegung entbehren, so haben sie die Form, individualisierter Körper zu sein. Die Bewegung ist also in die Materie nicht erst eingepfl anzt. Man sagt gewöhnlich, die Körper haben ursprünglich einen Stoß bekommen; aber der Stoß ist etwas nicht Ursprüngliches. In der Mechanik ist es Axiom, daß der Körper immer durch äußerliche Einwirkung in Beziehungen gesetzt wird. Diese Bestimmung (cf. Anm. [zu §] 215) kommt in der Mechanik vor unter dem Namen des Gesetzes der Trägheit. Wenn Körper ruhen, so beharren sie in der Ruhe, wenn sie sich bewegen, so beharren sie in der Bewegung. Dies ist aber nur eine Bestimmung des Verstandes. Es ist eine leere Tautologie und weiter nichts.

566 auch nicht ] ist567– 568 Indem … entbehren ] Indem sie sich der Erde, der eigenen

Bewegung entbehrt571 ursprünglich … bekommen ] einen Stoß bekommen, ursprünglich576 Körper ] sie

555

560

565

570

575

58 – 59 Materie und Bewegung. Endliche Mechanik 29

[C. Absolute Mechanik ]

§§ 209 und 210. Gravitation heißt nicht anderes als die Form der absoluten Bewegung, die freie Bewegung. Die Materie überhaupt, die nächste Form ihres Zeigens ist Bewegung. Daß die Bewegung sei, dazu gehört die Besonderung der Masse. Diese Bestimmung fällt auch in die abstrakte Vorstellung, man kann ja sagen, die Körper bewegen sich im leeren Raum. | Gegen dies geht ein dialektischer Satz des Zeno. Er sagt, es sei die Bewegung ein Widerspruch, also sie sei nicht. Aber wir wissen, daß der Widerspruch eben das Leben begründet. Er sagt, der fl iegende Pfeil ruht, denn der Pfeil soll, in-sofern er fl iegt, in einem anderen Hier sein; allein diese Hier sind gar nicht unterschieden, die verschiedenen Jetzt ebenfalls. Im leeren Raum ist kein Unterschied und im selben zu sein heißt eben Ruhen, und insofern hat Zeno recht. Newton sagt, man soll sich die Zentrifugalkraft vorstellen; aber man braucht dies nicht, man kann es sich besser vorstellen: ein Körper, der ohne Beziehung auf ein anderes fortgeht in gerader Linie.

Wir, um eine Bewegung zu unterscheiden, müssen mehrere Kör-per haben. Wie groß sie sei, heißt nichts anderes als: die Entfernung von einem Punkt [angeben], so auch [die] Richtung. Hier beziehen wir uns auch immer auf einen Punkt. Ob ein Körper sich bewegt und mit welcher Geschwindigkeit, können wir erst bestimmen, wenn wir | einen Punkt außer ihm haben. Ebenso auch, wenn sich der Körper um seine Achse dreht. Wenn er ganz gleich wäre, so würden wir nicht einmal sehen, daß er sich bewegt; in Beziehung auf sich ist keine Bewegung da.

Das Dasein der Bewegung ist also gesetzt und die Besonderung der Körper. Indem sie besondere sind, so verhalten sie sich zu-einander, und zwar wesentlich. Ihre Verschiedenheit ist nicht ein Gleichgültiges, sie beziehen sich selbst aufeinander. Das heißt das Moment der Attraktion, d. h. das sich Setzen in Eins. Ebenso we-sentlich ist das Moment der Repulsion. Die Materie eliminiert sich

595 der ] wenn er601 mit welcher ] die601 bestimmen ] unterscheiden

580

585

*

590

*595

600

605

610

30 Die Mechanik 59 – 61

aus sich selbst. Es ist ebenso gesetzt die Forderung ihrer Einheit. Das Setzen ihrer Besonderheit ist zunächst das Setzen im Raum. Diese Besonderung des Körpers [ist] also ihre Unterschiede vom Raum, aber im Raum. Ebenso ist gesetzt das Negieren ihrer Besonderheit, sie sind Negationen gegeneinander, und das Negieren dieser Nega-tion ist die Negation der Negation, und dies ist eben das Setzen der Zeit – Bewegung. Dies ist für das erste das Allgemeine. Diese bei-den Momente sind [es], was als Zentripetal- und Zentrifugal[kraft] hervortritt. Beides ist untrennbar, sie sind nicht selbständige Kräf-te | gegeneinander. Es ist wichtig, daß diese Unterschiede gemacht sind, aber der Verstand reiht dies so aneinander. Bei Newton hat dies noch eine einfache Gestalt, aber seine Nachbeter haben viel Verwirrung hereingebracht, die Franzosen und die Deutschen. Man muß das Mathematische ehren, aber nicht zu viel darauf geben, was als Kraft vorkommt. Die attraktive Kraft drückt das Ganze aus. Aber dann wird weiter gesprochen, als ob dies die Zentripetalkraft wäre. Es bleibt von der Zentrifugalkraft nichts übrig, man fi ndet darüber auch Bestimmungen, und die Verschiedenheit der Richtung ist be-merklich. Wir bemerken zwei Richtungen. Aber wenn man bei der freien Bewegung von der Zentrifugalkraft absieht, so bleibt nichts davon übrig. Die Hauptsache ist: der Mathematiker hat [es] nötig, an den Kurven Linien zu ziehen. Er hat das Parallelogramm der Kräfte zu betrachten. Wo etwas bestimmt werden soll, dort muß [es] als Moment eines Ganzen betrachtet werden. Solche Linien, Richtungen der Bewegung müssen vorgestellt werden als Seiten des Dreiecks, und daraus ist das Parallelogramm der Kräfte entstanden. Diese Linien werden dann zu was Physikalischem – zu Kräften. |

Newton denkt sich oft aus, daß er diese Zentripetalkraft etc. nicht als Kraft betrachtet, sondern nur als etwas Mathematisches. Wie es häufi g vorkommt, werden diese Kräfte angewendet. Wir wis-sen, daß die Erde in einer Ellipse um die Sonne sich dreht, daß in Perihelium die Bewegung größer ist als in Aphelium. Darum sagt man, die Zentripetalkraft nehme dann zu und die Zentrifugalkraft ab. Angenommen, dies sei so: wenn die eine Kraft das Übergewicht bekommt, so muß sich diese Kraft immer vergrößern und dieser

632 davon ] dafür

615

620

625

630

635

640

645

61– 63 Absolute Mechanik 31

Körper muß in einer Spirallinie auf die Sonne fallen – woher soll die andere Kraft wieder die Zukräfte bekommen? Für das Um-schlagen dieser Kraft müßte eigentlich ein Grund angenommen werden; und dies ist etwas Grundloses, und es muß für die Kraft ein besserer Grund ausgesucht werden, denn man kann sonst häufi g das Gegenteil behaupten.

§ [224]. Himmelskörper sind selbständige, freie Individuen, wel-che nur das Verhältnis der Schwere zueinander haben. Das System ihrer Bewegung ist die Schwere in ihrer Totalität. Dieses System ist der Ausdruck der Vernünftigkeit. Die Sterne erscheinen | ruhig, es ist eine unendliche Menge von Sternen sichtbar. Diese bloße Vielheit ist für sich ganz und gar nichts Vernünftiges. Der Mensch staunt über diese unzählige Menge. Das Vernünftige allein ist, daß es ein System von Bewegung sei. Ob diese Sterne in einem solchen System sind, ist sehr wichtig. Es ist aber ebenso denkbar, daß es eine leere Vielheit sei, daß diese hier zu ihrem Rechte komme. Und diese leere Vielheit ist nicht zu bewundern; daß z. B. viele Heringe sind, ist nichts zu Bewunderndes, und dies ist doch ein Organisches. Dort hat die Vielheit noch mehr ihr Recht . Und insofern Ver-nunft darin ist, so ist es allein zu bewundern. Das Sonnensystem al-lein ist das Vernünftige. Erst der Gegensatz von einem leuchtenden und nicht leuchtenden Körper ist das Vernünftige. Oder es könnte irgendeine Figuration dann sein, aber dies ist nicht möglich. Sind sie Sonnensysteme, so ist es das Vernünftige, was darin ist. Ist es eine bloße Vielheit, | so wäre es bloße Wiederholung.

§ [210]. Sieht man Gegenstände nur in Rücksicht ihrer Bewe-gung an, so ist es unbestimmt, ob beide sich bewegen. So auch bei der Bewegung um einen Körper. Es ist gleichgültig, ob ich mich bewege oder ob der Gegenstand sich bewegt. Dies kommt zunächst so vor: Wir betrachten z. B. unsere Sonne und die Erde und neh-men es für eine große Weisheit an, daß wir sagen, die Erde bewege sich und die Sonne stehe still. Man muß es sonst wissen, was das Ruhende ist und was das Bewegende. Die Erscheinung ist dieselbe, bewege sich die Sonne oder die Erde. Wir können uns die Erde als ruhend vorstellen und die Sonne mit den Planeten [als] um die

651 denn ] und

650

655

660

665

670

675

680

32 Die Mechanik 63 – 65

Erde sich bewegend. Die Astronomen sagen, es sei respektwidrig, daß die Sonne sich bewege. Auch sagt man, die Masse der Sonne sei größer, aber die Größe des Volumens macht noch nichts aus. Die Sonne kann leichter sein als die Erde; sie braucht nur nicht so dicht zu sein. Daß die Sonne größer ist als die Erde, ist kein Grund dafür, daß sich die Erde oder die Sonne bewege. Der Unterschied aber ist notwendig ein anderer. Er ist ein Begriff. Es sind diese zwei Bestimmungen: | Erde und Sonne sind zwei Massen, welche sich bewegen. Es gibt Bewegung, welche sich auf sich selbst bezieht (rotierend), Bewegung in Hinsicht auf anderes und dann drittens beides zusammen. Die Unterschiede der Bewegung sind durch die Idee bestimmt.

Das erste Moment ist die Bewegung an sich, das zweite Moment ist das Auseinander der Bewegung, das dritte ist die Totalität. Die Bewegung, welche zentral ist und die zugleich auch relative Bewe-gung, ist refl exiv gegen ein anderes und in sich selbst. Diese sind die drei Hauptpunkte. Die dritte Bewegung ist die Bewegung des Planeten – die vollkommenste, sofern er auch Körper der Totalität in Hinsicht auf Physik ist. Die anderen sind nur abstrakte Momente. Was wir unser Sonnensystem nennen, ist dies. Ob es noch andere Sonnensysteme gebe, ist gleichgültig, denn es wäre bloß Wieder-holung. Das Periodische des Sternenlichts deutet auf eine Bewe-gung. Es sind Sterne verschwunden, andere sind nicht beobachtet worden. Aber genaue Sternverzeichnisse hat man noch nicht lange. Und Unterschiede, welche auf Ordnung der Sterne deuten, hat Herschel bemerkt. Die Nebelfl ecken hat er bemerkt [und die Tat-sache], daß sie ein Haufen Sterne sind. Besonders hat er viele solche Sterne beobachtet, welche | kugelig sind, andere, welche elliptisch sind. Alles dieses sind Sterne von einer regelmäßigen Kristallisation oder von Kreisprozessen. Man meint in Hinsicht der Milchstrasse, indem sie [als] ein dichtes Zusammensein von Sternen erscheint, daß die dunklen Flecken immer weiter werden, daß die sternlosen Räume immer sich ausdehnen und die Sterne nach [dem] Mittel-

687 dafür, daß ] dazu, ob699 sofern ] sowie702 denn ] aber

685

690

695

700

*

**

*

65 – 67 Absolute Mechanik 33

punkt sich zusammendrängen. Die ganze Gestalt der Milchstraße (Linse) und die Behauptung, daß auch das Sonnensystem sich nach einem Stern im Herkules [richtet], dies sind alles Andeutungen. Aber diese Andeutungen gehen uns nicht weiter an. Man kann Gedanken darüber haben. – Das Vernünftige aber ist nicht mehr ein Werden, sondern dies i s t , ist im Sonnensystem vorhanden. Entweder ist das Weitere nur Wiederholungen oder niedere Stufen. Was die Bewegung der Sonne ist, ist die sich auf sich beziehende Bewegung. Zu einem Gegen satz gehören zwei. Das Dritte ist die Einheit von beiden. Jedoch zur Existenz des Unterschiedes gehören zwei, im dritten, Totalen haben wir also die 4. In der Natur tritt die Zahl 4 mehr hervor als die Zahl 3. |

Wir haben drei Körper der außer sich seienden Bewegung. Das eine seiner Glieder ist wieder in der Form der Beziehung auf sich. Die Bewegung nun, welche für sich ist, welche sich auf sich bezieht, ist die dienende Bewegung überhaupt. Dies ist die Bewegung des Trabanten. Er zeigt das Moment der Starrheit. Der eigensinnige Mensch ist der abhängende. Der Mond ist der dienende Körper, welcher zu seiner Ruhe gekommen ist, aber als die formelle Ruhe sein Moment nur in der Erdachse [ hat]. Er bewegt sich um den Planeten. Der zweite Körper ist der Körper der leeren Veränderung, der nicht zur Ruhe gekommen [ist]. Auch in den Trieben ist er; so eine unstete Refl exion fi ndet nie Ruhe. Das andere ist das Außer-sichsein, das sich herumwirft. Diesen Charakter hat der Komet. Er hat eine ausschweifende Bewegung. Die Bahn ist eine ganz exzen-trische Ellipse, weswegen sie als parabolisch läuft. Der Komet gehört zum ganzen System. Die Kometen treten in unser Sonnensystem herein und spazieren dann herum, ohne ihm anzugehören, so wie beim Manöver auch Zivilpersonen herein kommen. Dies | ist aber die Vorstellung der Zufälligkeit, die ihren Platz in der Philosophie schon fi ndet. Aber, daß auch das Moment einer Vernunft in den Kometen ist, dies ist notwendig. Die Alten sahen sie als Meteor an, die Neuen haben dies übel genommen. Aber physikalische Gründe haben sie nicht. Daß ein Kern sei, ist nicht angenommen. Man sieht sie als ein Durchsichtiges. Sie sind als Dunstmassen allerdings zu

716 die Behauptung ] dadurch

715

720

725

730

735

740

745

34 Die Mechanik 67– 69

betrachten. Man hat die Kometen gefürchtet. Aber die Astronomen haben uns getröstet. Man sagt, bei der Größe dieser Räume haben sie Platz genug, und es ist unwahrscheinlich, daß ein Komet uns treffe. Aber dies ist kein großer Trost für uns. [ Es ist] wie das größte Los der Lotterie, das jemand zu erhalten hoffen kann. Dieser Trost ist also für sich nichts Bestimmtes. Von der anderen Seite sagt man, die anderen Körper werden sich wehren, d. h. die Kometen sind ein notwendiges Moment unseres Systems. Es ist also nicht zufällig, daß sie da oder dort seien. In physikalischer Hinsicht sind sie auch ein bestimmtes Moment. | Der Komet ist wesentlich ein Repel-lierendes. Also dieser zweite Körper des Gegensatzes, der Körper der ausschweifenden Bewegung ist Moment des Systems, Moment desselben. Das drückt sich dadurch aus, daß er um den allgemeinen Mittelpunkt zieht. Der vierte Körper ist der planetarische, der in seiner Bewegung sich auf sich bezieht und der sein Zentrum auch in einem anderen hat, also zwei Zentra. Der Planet ist also das Vollkommenste. Die Sonne sind wir gewohnt als das Höhere zu be-trachten. In der Naturreligion, wo der Geist sich noch nicht erfaßt hat, hat man die Sonne als das Vortreffliche deswegen betrachtet, weil das Einfache der Bewegung bei ihr sichtbar ist. Aber dies ist ein allgemeiner Irrtum, daß man das Abstrakte für mehr gehalten hat als das Konkrete. Aber dieses steht, so wie im Geist, auch hier höher. So mit dem Gold und dem Eisen. Als das Bewegende steht der Planet höher als der andere Körper. Dies sind die Formen, welche sich in dieser Totalität ausscheiden. |

§ 212. Die Natur der Bewegung ist näher zu betrachten. Es sind hier drei Bewegungen unterschieden, und durch Vermischung ist viel Verwirrung entstanden unter den Mathematikern. 1. Die absolut freie Bewegung – das absolut Freie. 2. Die mechanische Bewegung – die tote Bewegung. Die absolut freie ist die, wo die absolute Geschwindigkeit nur durch Verhältnis der Natur des Rau-mes und der Zeit bestimmt ist. Der Körper und die Masse haben hier keine Bedeutung. Es ist nur Verhältnis von Raum und Zeit; ihre Bestimmtheit ist das Verhältnis allein, wo nach der Seite der Größe betrachtet, [es] auch die Bestimmtheit der Größe ausmacht.

752 ein Komet ] er

750

*

755

760

765

770

*775

*780

69 –71 Absolute Mechanik 35

Die mechanische fi ndet statt bei nicht freien Körpern, sondern bei ruhenden, welche kein eigenes Zentrum in sich haben, sondern nur einem Zentralkörper angehören wie die Körper unserer Erde. Der Zentralkörper hat das Sollen der Einheit von den übrigen in sich, sie sind nur abstrakt schwer. Die Schwere tritt nicht in ihrer Punk-tualität in die Existenz, [so] daß nicht nur das Moment der Identität, das Sehnen der Einheit zur Erscheinung kommt, sondern auch das Moment der Besonderung des Fürsichseins. Die Körper der Erde sind wohl repellierend, auseinander, sonst wäre nur ein abstrakter Punkt, kein wirklicher Körper der Erde. Aber es fehlt ihnen die selbständige Besonderung, sich gegeneinander zu halten, gegen den Mittelpunkt diesen in sich selbst zu halten und im Verhältnis zu stehen gegen einen anderen Körper in räumlicher Weise. |

Der Körper der Erde ist vom Mittelpunkt nicht nur durch den Raum, sondern [auch] durch ein Materielles getrennt. Die Körper der freien Besonderheit sind natürlich verbunden. Es ist keine hin-dernde Materie dazwischen, sondern es ist nur räumliches Verhältnis. Und [die Körper] halten sich als Materielles, als Besondere frei von anderen. Die nahen Kräfte ruhen daher, das ist das Aufgehobensein der Bewegung oder die Materie. Insofern nur ist das Resultat die abstrakte Materie, in der die Schwere nicht in Entwicklung der Mo-mente des Raumes und der Zeit existiert. Die Bewegung ist daher aufgehoben. Die Körper fi nden nun das eine Moment, das Sein in dem Zentrum, sie haben nur das Streben nach dem Mittelpunkt. Das lebendige Verhältnis im Dasein der Schwere, die Bewegung, ist in ihnen getötet – dies macht nur ihren Begriff aus, existiert nicht an ihnen. Die Bahn ist also ein Äußerliches an ihnen. Nur durch ein Fremdes, Äußerliches, den Stoß werden sie in Bewegung gesetzt. Sie bringen ihren Begriff nicht an sich selbst zur Existenz, indem er getötet ist an ihnen, nur als Unmittelbares da ist. Sie sind daher mechanisch und ihre Bewegung mechanisch; sie haben einen Stoß bekommen. Das Verhältnis dieser Körper hat man als allgemeinen

787–788 Der Zentralkörper hat ] Sie haben807 Die Körper ] Sie813 sich ] ihnen

785

790

795

800

805

810

815

36 Die Mechanik 71–72

Ausdruck der Körperlichkeit angesehen, auf alle Körper der Natur angewendet. Keiner bewegt sich frei. |

Das gilt aber nicht von den Himmelskörpern, sie haben freie lebendige Bewegung. Diese ist bei den organischen [Körpern] die konkrete Natur, die sie entwickeln. Jene ist nur eine abstrakte. Diese Veränderung und Entwicklung aufzufassen in dem freien Bewußtsein ist das Verhältnis von Raum und Zeit, aber [als] das allein Bestimmende. Nur den mechanischen Körpern kommt die Bewegung von außen [zu]: sie kommen hier je nach ihrer Natur zur Erscheinung. Bei den himmlischen ist sie absolut frei, weil nur das Verhältnis der Momente der Schwere das Bestimmende ist. Will man daher die Natur der Bewegung studieren, so muß [man] dies an den himmlischen tun. Die Größe dieser ist nur bestimmt durch die Bestimmtheit von Raum und Zeit gegeneinander. Es ist von Will-kür, von außen [ bestimmt]. Das Organische lebt diese Bewegung mit: der Mensch hat eine kosmische Wohnung, lebt die Jahreszeit hindurch. Die Freiheit seines Menschseins macht ihn aber zugleich unabhängig davon. Wir leben in Jahreszeiten und Tageszeiten, diese haben auch organisch-geistige Bestimmung. Es ist nicht mehr die Erscheinung allein bestimmt durch den immanenten Begriff. Im Organischen kommt diese immanente Bewegung auch vor, es hat alles eine Entwicklung: im Mutterleibe sein Wachsen. Alles hat seineZeit und Perioden, aber die Bewegung und Veränderung hängen von der konkreten Natur ab. Die Zeit und [der] Raum sind bloß die abstrakte Seite. Die Seele selbst ist etwas ganz anderes und hat einen ganz anderen Grund. So in der Krankheit ist es nicht nur Verhältnis der Zeit und des Raumes, sondern Verhältnis des Begriffs zum Dasein, | die Entwicklung des Daseins.

Der Begriff überwindet die Natürlichkeit und fällt so als Ent-wicklung allerdings auch in die Zeit, aber das Beständige ist ganz was anderes. In der freien Bewegung sind nur Zeit und Raum das Bestimmende. Die Bestimmtheit der Natur der Zei t und des Raumes aufzufassen, das sind die Gesetze der freien himmlischen Bewegung. Gesetz heißt nichts anderes als: sich allgemein gleich Bleibendes, also hier die Größe der Zeit und des Raumes gegen-

821 Jene ] Sie

820

825

830

835

840

845

850

72 –74 Absolute Mechanik 37

einander. Die Geschwindigkeiten und in qualitativer Hinsicht die Richtung der Bahn – das Gesetz ist das Allgemeine, sich gleich Blei-bende mit zwei Seiten, die der Gestalt nach verschieden erscheinen wie hier Raum und Zeit, so daß sie zusammengebunden sind, ein notwendiges Verhältnis haben. Die Idee ist aber ein Inneres. Die Gesetze der freien Bewegung, welche nichts anderes ausdrücken als die Einheit der Zeit und [des] Raumes, welche in der Natur über-haupt und [in] der Bewegung aber als Verhalten erscheinen. Die Be-stimmtheit liegt dann aber in der Natur der Bestimmtheit beider.

Kepler hat das unsterbliche Verdienst der Entdeckung der freien Bewegung. Er hat das Einzelne in das Allgemeine erhoben. Das an-dere ist, aus der Bestimmtheit des Begriffs dieses Gesetz zu erkennen. Kopernikus hatte früher die Sonne zum Mittelpunkt gemacht, die anderen Körper sich darum drehend, jene um sich rotierend. Das war vielmehr Sache des Verstandes oder vielmehr Umkehrung der Vorstellung. Die Vernunft war dann das Gesetz, welches jene nicht war – sondern bloß einfache Bestimmtheit. Das Gesetz muß die Einheit der Differenzen zeigen. Das gab Kepler. | Seine Entdeckung wie die Galileis sind von den größten Entdeckungen. Jener hatte den unsterblichen Glauben, daß in Ansehung der Umdrehungszei-ten und der Bahnen, die sie durchlaufen, oder der Entfernung der-selben, die in bestimmtem Verhältnis zueinander stehen, ein Gesetz stattfi nden müsse. Davon ging er aus wie jeder große Erfi nder, daß es sich zunächst als unabtrübliches Gefühl offenbart. So bei Kepler. Es ließ ihm nicht Ruhe, bis nach 27 Jahren das Himmelsgesetz ent-deckt war. Kepler ist gewiß einer der größten Männer gewesen, ein Deutscher; und leider ist es zu bedauern. Er war im Dienste des Kai-sers und hatte ein Gehalt von dem Reichstag zu beziehen – dieser ließ ihn Hungers sterben –, in Regensburg selber. Früher war er in Rostock; ein halbes Jahrhundert nachher ließ ihm [der] Fürstprimas sein Denkmal setzen. Das andere: daß sich die Deutschen so von Newton imponieren ließen, daß Kepler mehr verschwand wie je-ner auch die Erfi ndung Leibnizens sich vindizierte auf die roheste Weise und die Priorität sich zuschrieb. Der Hauptruhm Newtons sind die Beweise dessen, was Kepler nur empirischer Weise fand. Er habe es a priori bewiesen. Wie dies beschaffen sei, kann hier vor-kommen | als zu weitläufi g und etwas [allzu] Mathematisches. Hegel

855

860

*

*

*

875

*

***

885

38 Die Mechanik 74 – 76

hat sie [vor] 20 Jahren durchgearbeitet und war überzeugt, daß es durchaus keinen Namen von Beweisen verdient, sondern daß es ein leeres Gerüst von Beweisen sei, nur ein Schein davon. Eine Haupt-sache ist, daß er nach seiner gewohnten Manier das weiter ausge-bildet, [was] die Grundlage der Differenzberechnung war, diese von Verhältnissen sucht und bestimmt und die Linien dazu unendlich klein werden läßt, und so das Formale und Resultate fi ndet. Nach einer Seite ist dies durchaus statthaft für die Peripherie eines Kreises oder am Bogen, daß man sie sich als gerade Linien denkt. Aber man muß das nicht zu weit treiben und zuviel dies beweisen wollen. So ist ja alles gleich im unendlich Kleinen, die Hypotenuse den Kathe-ten; so weit ausgedehnt ist alles Verhältnis konfundiert, und so läßt sich herausbringen und beweisen, was man will. Damit hat Newton sehr viel geleistet, aber die Natur seines Instruments nicht gekannt: eben dies Unendliche. Daher ihm Bernoulli [einen] großen Fehler in einer Hauptsache nachwies, eben weil jener von den Grundsätzen, daß im unendlich Kleinen alles gleich sei, unbeschwerten Gebrauch machte. Formeller Weise hat er diesen Satz bewiesen, aber durchaus nicht genügend. Newton hat seine Formel aus dem Keplerschen Gesetz abgeleitet; es ist nur eine Umwandlung der Form desselben. Sein Verdienst | ist, daß er den Gebrauch der mathematischen Form, die Anwendung sehr erleichterte und den Gebrauch sehr ausdehnte. Sein Hauptsatz ist, daß die Schwere, die attraktive Kraft (also nur eine), sei vorhanden im Umgekehrten, vorhanden wie das Quadrat der Entfernung. Sein Satz war weiter nichts, ist also eine Folge des Keplerschen Satzes. Er zeigt: wenn sich ein Körper in einer Hyper-bel oder Parabel oder Ellipse etc. bewege, so wirke die Schwere nach jenem Gesetz. Dies gab Laplace zu, jeder Kegelschnitt könne nach diesem Gesetz beschrieben werden. Aber dies paßt nicht auf jeden Kreis, Kegelschnitt, Parabel, sondern die Körper bewegen sich nur in der Ellipse mit Ausschließung der anderen. Das Wesentliche, was geleistet werden sollte, ist also gerade nicht geleistet. Je weiter ein Körper vom Mittelpunkt entfernt ist, desto geringer ist die Ge-schwindigkeit, und zwar nach dem Quadrat der Entfernung. Dies bezog sich nur auf die elliptische Bewegung. Wie Newton dies er-weitert, steht in den ›Principia mathematica philosophiae naturalis‹. Jeder Kegelschnitt kann durch die Planeten vermöge der Schwere

890

*

895

900

*905

910

915

*

920

925

76 –77 Absolute Mechanik 39

beschrieben werden. Die Form der Bahn ist durch die Schwere ge-setzt. Es kommt darauf an, zu beweisen, daß die Bahn der Planeten nichts anderes als die Ellipse ist, dies hatte Newton beweisen sollen. Dies ist vornehmlich das Mangelhafte. |

Der Beweis, daß die gleichförmige Bewegung notwendig ein Kreis ist, hängt davon ab, daß die Radien des Kreises gleich sind; daß aber darin das aus sich Bewegende fehlt – die Schubkraft –, dies ist die Ellipse. Dieser Beweis ist ein schwerer. Dies ist, was der Kon-struktion des Begriffs in mathematischer Figur angehört. Er hat das andere durch Induktion gefunden: er hat einen Stein betrachtet, daß er in einer Sekunde 15 Fuß fällt. [ Er hat gefragt], wie wird er beim Mond fallen? Er hat gezeigt, daß diese Geschwindigkeit gerade beim Mond der Fall ist, wenn man dies nach der Berechnung zu erfahren [versucht]. In Ansehung der Anwendung hat Newton viel geleistet, aber in den Gesetzen hat er nur Perturbation hinzugefügt: d. h. daß die Körper der Planeten auch aufeinander Einfl uß haben. Der Fundgehört Kepler an. Kepler hat seinen Satz aus der Erfahrung genom-men. Seine Gesetze sind: [1.] daß die Bahnen der Planeten Ellipsen sind. 2. daß die Planeten in ihren Bahnen in gleichen Zeiten gleiche Sektoren abschneiden: in der Bahn der Planeten ist der Fall, daß nicht Bögen den Zeiten proportional sind, sondern es sind nur die beiden Sektoren. Zwei radi i vectores begrenzen mit den Bögen eine Fläche, und | diese Fläche heißt ein Sektor. 3. Die Kuben der Entfernungen verhalten sich wie die Quadrate der Umlaufszeiten der Planeten. Dies sind die drei Keplerschen Gesetze. Was die New-tonsche Form ist, so heißt dies so: Die Schwere verhält sich nach dem umgekehrten Quadrat der Entfernung. Dieser Ausdruck ist leicht aus dem zweiten Gesetz von Kepler abzuleiten.

A3 =

T 2

a3 t 2

(a = Entfernung der Planeten, t = Umlaufszeit)

928 Newton ] er941 Einfl uß haben ] infl uieren

930

935

*940

945

*

40 Die Mechanik 77–79

Dies kann so ausgedrückt werden:

A3 =

a3

T 2 t 2

a3 ist = a · a2 also

AA2 =

aa2

T 2 t 2

So geteilt können wir das zusammenfassen, daß wir sagen, es sei

dieser Ausdruck Produkt von a2 mit a . Betrachten wir diese Sache genau,

so ist AT2 und a

t2 nichts anderes als die Schwere, daß die Lauf- räume sich verhalten wie die Quadrate der Zeiten. Setzen wir statt AT2 V, so haben wir

A2 · V = a2 · v

und es ist

A2 : a2 = v : V,

d. h. das Quadrat der Entfernung verhält sich umgekehrt von ihrer v i s zentripetal. Es ist ein und dieselbe Schwere. Dies ist das Newton-sche Gesetz, und es ist eine Umwandlung der genauen Arithmetik des Keplerschen Gesetzes. Es ist also das Keplersche und Newton-sche Gesetz. |

Man muß wissen, daß die angewandte Mathematik kein Natur-gesetz beweisen kann. Sie muß die Gesetze empirisch auffassen und die Mathematik dann anwenden. Das Gesetz selbst kann sie deswe-gen nicht beweisen. Das Gesetz beruht auf dem Begriffe, ihre ver-nünftige, logische Natur bestimmt sie. Die Mathematik geht nicht vom Begriff aus, ihre Begriffe sind nur abstrakte Bestimmungen, also liegt die Ableitung des Gesetzes außerhalb ihrer Sphäre.

§ 212. Es ist bemerkt, daß es dreierlei Bewegungen gibt. Die erste ist die gleichförmige Bewegung, die reine mechanische, wo Raum und Zeit in einem arithmetischen Verhältnis stehen. Diese gleichförmige Bewegung (daß [die] Räume den Zeiten proportio-nal sind) enthält keinen Gegensatz von Raum und Zeit. Raum und Zeit erscheinen hier noch nicht nach ihrem eigentümlichen Begriff,

Quadrat der Zeit

955

960

965

970

*

980

79 –80 Absolute Mechanik 41

unterschieden gegeneinander. Dies ist die formelle Bewegung. Es ist die, welche wir hervorzubewegen suchen. Die Bewegung der Uhr ist diese achsendrehende Bewegung, gehört hierher; dies ist die formelle, die sich nur auf sich bezieht, aber noch nicht die reale, insofern sie als gleichförmig angesehen wird. In der Astro-nomie wird angenommen, daß die Bewegung der Erde um ihre Achse gleichförmig ist. Davon hängt viel ab. Alles geht von dieser Voraussetzung | aus, bewiesen ist es nicht. Durch Erfahrung läßt es sich nicht beweisen. Es ist gleichgültig in Rücksicht der Bewegung zweier Körper gegeneinander, ob man dem einen gleichförmige Bewegung gibt. Die gleichförmige Bewegung ist überhaupt mecha-nisch, oder es ist insofern keine reale Naturbewegung; denn durch sie ist Raum und Zeit Gewalt angetan.

Die zweite Bewegung ist die Bewegung des Falls. Dies ist § 214. Die relativ freie Bewegung: cf. Galileisches Gesetz in der Anmer-kung. Im Fall ist es vorhanden: die eigene Schwere ist es, wodurch der Körper sich bewegt; sein immanentes Prinzip ist, was ihn fallen macht. Es liegt in seinem Begriff, er stellt dadurch seine Kontinuität her, er ist nicht ein besonderer Körper für sich. Das Wesen eines Körpers ist, nicht im Raum getrennt von dem Körper zu sein, in dem er sein Zentrum hat, sondern [daß er] Kontinuität sein will. Er drückt deswegen, es ist stets dasselbe Prinzip. Die Absonderung, die dem Zentralkörper zukommt, kommt ihm nicht zu; also ist [er] auf der einen Seite frei, nach der anderen Seite aber ist er es nicht. |

(Die Geschwindigkeit = RZ , sagt die Mathematik. Die Zeit wird

als Divisor gebraucht. Dies hat diesen Grund, daß eben die Zeit als das Negative sich als Einheit verhält gegen den Raum. Die Zeit wird als Einheit gesetzt – der Raum ist das Mannigfaltige.) In Ansehung der Geschwindigkeit ist der Raum empirischer Raum, es ist for-melle, bloß unmittelbare Bestimmung. Der Raum ist in seiner ersten Potenz in der unmittelbaren Bestimmtheit. Die Zeit ist frei, sie be-zieht sich auf sich selbst, sie ist nicht bloß irgend ein Quantum. Aber

988 aus ] ab997 der Körper ] er999 eines ] seines5 – 6 in dem ] wo

985

990

995

5

10

15

42 Die Mechanik 80 –82

zugleich ist es diese Negativität, welche gesetzt ist, also nicht eine unmittelbare Größe; und diese Bestimmtheit besteht darin, daß sie sich zur Bestimmtheit macht, zum Quantum einer Zahl, aber einer Zahl bezogen auf sich selbst, d. h. im Quadrat. Ihr Größerwerden und Breiterwerden ist durch sich selbst bestimmt. Das Gesetz des Falls ist, daß die Räume sich wie die Quadrate der durchlaufenen Zeiten verhalten. Das kann auch auf eine andere Weise vorgestellt werden. Die Zeit ist als Wurzel gesetzt und die Gleichung verändert, aber an und für sich ist es dasselbe: a : t2 (a: der Raum, welcher in einer Sekunde durchlaufen wird). Die eine Seite des Verhältnisses ist die Wurzel, aber die andere Seite ist die Zeit. Das Moment der Wurzel fällt auf die Anzahl der Zeit, weil die Zeit das negative Mo-ment ist, gewöhnlich die Wurzel zu ihrem Prinzip hat. Der Raum fällt auseinander. Hier ist die Natur des Raums und der Zeit, durch welche das Größenverhältnis bestimmt ist. Es ist dies der empirische Raum. Die Verhältnisse des | Raumes hat ihren Grund in dem, was der Raum gegen die Zeit ist. Eine Seite der Bewegung ist eine freie, die andere [eine] immanente. Die dritte Bewegung ist die absolut freie. Es ist die Bewegung der Himmelskörper.

Indem die Negativität (die Zeit) überhaupt in ihre innere Bestim-mung gesetzt ist, so tritt die Zeit hervor als Quadrat. Der Raum ist nicht mehr empirischer Raum, sondern der Raum selbst ist für sich, und es ist der Raum ebenso in seiner Totalität gesetzt und die Größe der Bestimmtheit hängt davon ab. Hier verhalten sich die Räume (dritte Potenz, qualitatives Bestimmtsein, was zur Begriffsdimension fortgeht). Die Zeit ist in der zweiten Potenz. Sie geht nicht in die dritte Potenz fort. Dies ist die Andeutung des Grundes im Begriff, in diesen Größengesetzen. Die Entfernungen in den Würfeln ver-halten sich wie die Quadrate der Zeiten. Es ist hier von keiner Kraft die Rede. Was die Kraft ist, ist das Verhältnis von Raum und Zeit. Der Unterschied von qualitativer Größenbestimmtheit und von den bloßen Quantitäten tritt hier hervor. Die quantitative Bestimmung

21 bezogen ] bezieht24 Zeiten ] Räume26 der Raum ] die Zeit27 wird ] ist

20

25

30

35

40

45

82 –83 Absolute Mechanik 43

ist gleichgültig – Größe ist eine Bestimmung, die gleichgültig [ist]. Hingegen das Potenzverhältnis ist ganz anderer Art. Wurzel, Qua-drat, Kubus, dies sind Größen der qualitativen Bestimmtheit. Sie produziert etwas, was größer wird, und zwar das, was größer wird, durch es selbst bestimmt. Die absolut freie Bewegung ist, wo Raum und Zeit in ihrer Totalität gegeneinander sind. |

Raum hat drei Dimensionen, und das ist der Kubus; die Zeit, durch sich selbst bestimmt, bleibt um eine Potenz zurück. Die Zeit geht nur bis zum Quadrat – das Verhalten ihrer zu sich selbst. In dem Raum sind drei vorhanden: ich schaue etwas an und mache es zu Meinigem. Das Meinige ist mein und etwas anderes außer mir. Dies sind also drei. Wenn man dieses Gesetz mit der Natur anwendet, so ist die Kraft eben dieses Gesetz. Das Wort Kraft bringt positive Verwirrung hinein wie in Newtons Attraktivkraft. Die At-traktivkraft ist die Schwere, insofern die Erscheinung des Falls von ihr herkommt. Diese Attraktion ist selbst ein Verhältnis von Raum und Quadrat der Zeit. Dieses ist selbst etwas, was eine beschleunigte Geschwindigkeit hervorbringt. Dies ist nun also die Seite, wie ge-zeigt werden muß, daß diese Gesetze auf dem Begriff beruhen. Dies ist ganz etwas anderes als durch Induktion oder Mathematik. Es ist ein blinder Aberglaube an Newton seit anderthalb Jahrhunderten. Voltaire hat ihn in Frankreich bekannt gemacht, von dort ist er zu uns gekommen.

Die anderen Keplerschen Gesetze beziehen sich auf die Konstruk-tion des Herübertretens des allgemeinen Gesetzes in die Erschei-nung. Das Herübertreten und Übersetzen dieses Begriffs würde das schwerste sein. Das zweite Gesetz war, daß in gleichen Zeiten gleiche Sektoren | abgeschnitten werden. Hier ist der Bogen nur ein Mo-ment. Wir sehen hier ein allgemeines Verhältnis von der Zeit zu dem Quadrat, eine Flächenbestimmung. Es findet hier etwas statt, was wir im Falle gesehen haben: i. e. ein Verhältnis von Zeit zu dem Raum. Es hängt zusammen mit dem Satz von Newton, daß die Schwerkraft im umgekehrten Verhältnis des Quadrats der Entfernung wirkt. Was das dritte Gesetz betrifft, so hat Kepler dieses Gesetz an die Stelle der Form, die Kopernikus entwickelt hat, gesetzt. Im Kreis ist die Bewegung gleichförmig, es gilt die Vorstellung, als ob die Form des Begriffs nicht durch die Natur der Bewegung bestimmt werde.

50

55

60

65

70

*

75

80

*85

44 Die Mechanik 83 –85

Die Form der Bahn ist bestimmt durch die Natur der Bewegung. Dies ist das Wesentliche. Die Ellipse stellt dies überhaupt dar: Eine Gleichheit, eine Einheit in der Ungleichheit des Daseins. Die radi i vectores sind ungleich, aber ungleich nach einem bestimmtenGesetz. Dies ist das Reich der freien Größenäußerung. Hier ist das Maß nur durch Raum und Zeit bestimmt. (Bewegung ist das Konkrete für Mathematik). Mehr Planeten, mehr Trabanten, mehr Kometen gibt es. Dies geht uns nicht unmittelbar an. Man muß nicht erwarten, daß das Verhältnis der Planeten nicht nach bestimmten Zahlen fortgeht. Es findet sich, daß diese Verhältnisse auf einen solchen Fortgang anspielen. | Es sind inkommensurable Zahlen.

Der Grund hiervon liegt darin: die Zahl ist die unmittelbare bloß qualitative Bestimmtheit; es ist ganz formell, daß immer das Eins zugefügt wird. Es ist nicht für das Natürliche anzusehen, son-dern die Zahl ist die äußerste, letzte Erscheinung. Diese Zahlen müßten Gesetze eines Ausdrucks sein, in dem die unmittelbaren Zahlen ent halten wären. Man kann darüber mancherlei Gedanken haben. Schelling hat die Philosophie derselben mit den Metallen verglichen und als eine Reihe von Kohäsion angesehen. Allgemeine Analogien sind allerdings genug hervorgebracht. Sie geben aber nur einen Faden an. Aber für sich hat das keinen Wert, und es gibt hier dem Zusammenstellen der Phantasie großes Spiel, was aber meistens oberfl ächlich ist (z. B. als man sagte, die Fische seien die Zunge, der Vogel das Ohr; so wenn man die Elektrizität oder [den] Magnetis-mus in die Krankheit gebracht hat.) Hegel hat in einer Dissertation dieses planetarische Reich betrachtet und es mit den platonischen Zahlen verglichen, allein dies ist (er hat die Kubikzahlen der Biqua-drate miteinander verglichen) nur aus dem Begriff zu entwickeln. |

Kepler hat in seiner ›Harmonia mundi‹ auch solche Versuche gemacht. Sein griechischer Geist hat ein Verhältnis im Staat, in der sittlichen Welt mit den musikalischen Verhältnissen verglichen und besonders auch regelmäßige Körper und damit die Himmels-körper verglichen. Doch der Versuch ist ihm nicht gelungen. Man bedauert den Kepler, daß er sich in solche Schwärmereien einließ. Aber Newton hat ja auch versucht, den Daniel und Ezechiel so zu

121 versucht, … Ezechiel ] den Daniel und Ezechiel versucht

90

95

100

*

110

*

115

*

120

85 –87 Absolute Mechanik 45

berechnen und auf die Himmelskörper zu beziehen. Aber in Kepler ist dies sehr zu ehren; er hat diese Idee gehabt, und sie bleibt immer für sich – wenn sie ihm auch gleichnishaft ist. Es ist wesentlich im Auge zu halten, daß die Bestimmung der gemeinen mechanischen Bewegung nicht auf diese Anwendung gemacht werde. Man sagt, ein Planet hat erst einen gewissen Stoß gehabt. Eben dies kommt daraus, daß man die mechanische Bewegung anwendete. Auch die Vorstellung der beschleunigten Bewegung wird so zerlegt. Man sagt, er wirkt durch das Gesetz der Trägheit, aber in jedem Zeitteil setzt er etwas zu und verstärkt sich so. Das alles sind Vorstellungen, welche aus dem Auseinanderlegen hergekommen sind. In der Ab-handlung der Bewegung kann man auf doppelte Weise | verfahren, daß man von der freien Bewegung anfängt und zur mechanischen übergeht. In der gewöhnlichen Mechanik geschieht es umgekehrt. Aber es ist vernünftig, daß man mit der formellen Bewegung an-fängt. Aller dings kann auch mit der gemeinen mechanischen Be-stimmung angefangen werden, weil sie die abstrakte ist.

§ 215. Von der gemeinen mechanischen Bewegung ist schon gesprochen. Beim Falle hat die Masse keine Bedeutung, das Gesetz ist dasselbe. Nur die Gestalten machen insofern einen Unterschied, als sich der Körper zur Luft verhält, sonst hat die Masse überhaupt keinen anderen Einfl uß in Beziehung auf den Fall. Der Körper, der fällt, verhält sich bloß als schwer zu dem Zentralkörper, auf den er fällt, und auf Besonderheiten läßt er sich nicht ein. Im System der Totalität haben die Massen auch keinen Einfl uß, sie sind durch den Begriff bestimmt und durch die Natur der Bewegung. Aber Plane-ten als solche verhalten sich zueinander allerdings, indem sie so doch aufeinander einwirken. Bei der gemeinen mechanischen Bewegung ist die Masse von Bedeutung. Wo bei größerer Masse gleichviel Kraft angewendet wird. Wenn ungleiche Körper sich stoßen, so ist die Geschwindigkeit ungleich. Nun zeigt [sie] sich: | Um soviel weniger ein Körper Masse hat, desto mehr wird er bestimmt. Die

122 beziehen ] vergleichen124 gleichnishaft ] gleichnisgleich130 er ] es140 Beim ] Im

*

125

130

135

140

145

150

46 Die Mechanik 87–89

Masse (Körper in ihrer Besonderheit – weil die Körper so äußerlich sind, so bringen sie die unmittelbare Bestimmtheit in Betracht).

In der Anmerkung [zu § 215] steht es, daß die Bewegung, die nur mechanisch ist, in Ruhe übergehen muß, dies ist dem gewöhnli-chen Ansehen nach entgegengesetzt. So sagt man, das Pendel würde immer schwingen, wenn nicht die Reibung es zur Ruhe brächte. Die Reibung hat allerdings ein Moment, aber sie ist mehr ein äußer-liches Hindernis. Das Wesentliche ist, daß das Pendel notwendig in Ruhe übergehen muß, denn eben die Bewegung kam von ihrer Schwere her. Es ist ihr bestimmt, mit dem Zentralkörper eine Kon-tinuität zu haben; und eine Richtung der Bewegung, die abweicht, ist nur eine akzidentielle Bestimmung, welche notwendig beruhen muß auf der substantiellen Bestimmung. Es sind also nicht bloß äußerliche Hindernisse, sondern es ist immer notwendig, daß die Sachen ruhen müssen. Mit der Bestimmung von Ruhe macht sich der formelle Übergang zum Weiteren. Ruhe ist das Erlöschen der Bewegung. | Die Materie ruht, wenn die Zeit sich nicht als Raum und der Raum sich nicht als Zeit setzt. Das Ruhende, daß diese sich in sich selbst bestimmt, daß die Zeit sich materialisiert, verkörpert, dies ist der Übergang zu der Besonderung der Körper in dem zwei-ten Teil, welchen Hegel Physik genannt hat.

§ 216. Es heißt in dem Paragraphen, daß die Bewegung äußerlich ist. Die Bewegung ist der Faktor dessen, [was] der Körper ist. Ster-ben der Bewegung: getötet [ hat] sie der Begriff der Schwere selbst. Der Körper ist nur in dem Sinn schwer, daß er fällt auf den Zen-tralkörper. Das Moment ist das Moment der Identität, das Insichsein der Schwere, dadurch daß das Moment, Eins zu sein, im Dasein ist, ist die Schwere hier nicht mehr vorhanden ihrem Begriff nach, son-dern es kommt nur das eine Moment zum Dasein, und deswegen ist die Schwere in der Bestimmung der Ruhe. Die Schwere ist außer sich, denn sie ist nur in der Form des Einen, ihrer Bewegung. Das macht das Ersterben der Bewegung aus.

159 es ] ihn166 auf ] durch176 der Körper ist ] ist der Körper184 denn ] sondern185 der Bewegung ] des Begriffs

155

160

165

170

175

180

185

89 – 90 Absolute Mechanik 47

§ 217 ist der Übergang so ausgedrückt: Es ist von der Bestimmt-heit die Weise des Übergangs gemacht, in der Sphäre der einen Weise ist die Bestimmtheit nur eine quantitative, ein Unterschied von Zeit und Raum. Die Weise ist aber qualitativ. Die quantita-tive | Bestimmtheit macht die Hauptbestimmtheit aus. Der Über-gang des Quantitativen in Qualitatives ist im § [217] angegeben. Das Quantitative ist gleichgültiges Bestimmtsein. Die Bestimmtheit ist ein Äußerliches. Aber diese Äußerlichkeit macht die eigentliche Bestimmtheit der Materie, also die äußerliche Bestimmtheit ist nichts Äußerliches. Die Art und Weise, wie die Masse da ist, macht die qualitative Bestimmtheit aus. Indem so die Refl exion darauf gerichtet ist, so wird der Übergang gemacht. Wie wir bisher von der Materie gehört haben, so ist sie nicht selbst bestimmt, sie ist bloß ein Verhältnis von Raum und Zeit. Raum und Zeit sind diese Abstrakten, welchen die Materie gleichgültig ist. In Raum und Zeit fällt der Unterschied der Materie, der Unterschied fällt also in ihr Abstraktum. Nun ist eben die Form, wie die Bewegung überhaupt (nämlich nach ihrem abstrakten Insichsein), das Wesen der Materie selbst. Diese Form muß sich an der Materie als solcher entwickeln, oder diese Unterschiede der Form müssen sich verkörpern, d. h. die Materie mit Qualität gestalten. Bisher sind die Unterschiede noch nicht materiale, sie sind nur unterschieden nach Raum und Zeit. Es sind nur Unterschiede der Relativität, der Unterschied muß an der Materie selbst hervortreten. Eben dadurch tritt die Form aus der Schwere heraus. |

Die Materie ist das dumpfe Insichsein, aber der Begriff hat sein Dasein nur an den Abstrakten, Raum und Zeit. Qualitativer Natur heißt eben dieses: daß die Bestimmtheiten das Sein unmittelbar ausmachen. In der Bewegung sind Raum und Zeit erfüllt. Diese in Raum und Zeit erscheinenden Bestimmtheiten sind noch nicht das Sein selbst. Die Bestimmtheit macht das Sein der Materie selbst aus. Diese Grenze macht das Sein der Materie selbst aus, z. B. blau ist die bestimmte Farbe und deswegen ist sie das Negative der anderen.

187 in ] an188 quantitative ] qualitative197–198 von der ] die

190

195

200

205

210

215

48 Die Mechanik 90 – 92

Dieses Negative macht die Grenze aus. An Raumgrenzen ist dies auch der Fall, die zwei geraden Linien sind seine Grenze. Blau ist die bestimmte Farbe, das Blau-Sein macht ihre Schranke aus, und sie ist, was sie ist, eben durch diese Schranke. So auch der Mensch: durch seinen Charakter ist er begrenzt. Durch diese Begrenzung ist er [aber], was er ist. Ein Mensch, der gar keinen Charakter hat, ist gar nichts.

In der Anmerkung [zu § 217] heißt es, daß man von einer formlosen Materie spricht. Dies wurde schon erwähnt. Die soge-nannte metaphysische Materie ist nichts Wahres. Es ist die Vorstel-lung vorhanden, als ob die Form äußerlich dazugekommen sei, als ob dies nicht ihr immanenter Begriff wäre. Unsere christliche Rede sagt, Gott | habe die Materie aus nichts erschaffen, d. h. ohne die Form ist sie nichts. Es hört dadurch der mechanische Standpunkt auf (d. h. der Standpunkt, wo die Unterschiede nur quantitative sind). Er wird uns fernerhin noch mehr begegnen, z. B. in der Elastizität etc. Insofern in der Folge das mechanische Verhalten noch vorkommt, so ist es noch untergeordnet, z. B. das Verhalten des Tieres zu der Welt ist ein mechanisches (es zerbeißt). Aber das Verhalten wird dann bald etwas anderes. Es gibt Standpunkte, wel-che hier stehen bleiben. Dies liegt der Atomistik zu Grunde: Das Grundprinzip der Materie sei das Eins, oder wenn die Neueren von Teilchen, Molekülen sprechen, was selbst kein Gedanke ist. Atom ist ein Gedanke. Geht man hiervon als von etwas Wesentlichem aus, so ist alles Folgende etwas Mechanisches. So sagt man auch etwa mechanisches Wissen (auswendiges Wissen). Aber wir wissen die Teilchen so, daß sie nebeneinander sind, ohne daß sie miteinander in dem Begriff verbunden sind, sie verhalten sich ganz äußerlich. Dies ist die ungeheuerste Kraft der Intelligenz, sie so beziehungslos fest zusammenzuhalten. |

Alle Veränderungen sind dann etwas Mechanisches, bloß mecha-nische Bewegung. Cartesius sagte: gebt mir Materie und Bewegung, ich will euch eine Welt machen. So hat man geglaubt mit dem Blut, dies sei ein Pumpen und Saugen an den Gliedern. Es ist nur ein

244 – 245 die Teilchen ] sie248 zusammenzuhalten ] einzuhalten

220

225

230

235

240

245

250

*

92 – 94 Absolute Mechanik 49

Drücken und Stoßen. In der Physiologie hat [es] wenig [Sinn], [ bei] diesem mechanischen Standpunkt stehen zu bleiben. Der Anfang des Cartesius ist groß. Er wollte, was da war, zu einem einfachen Prinzip zurückführen. Aber das Mangelhafte war, daß er bei dieser Form stehenblieb. So die Attraktion drückt das Immanente einer Bewegung aus, aber auch nur die abstrakte. So in der Chemie spricht man von einer Anziehung von Säuren und Basen (Verwandtschaft). Diese Verwandtschaft hat man auf die Weise der Bewegung zu-rückgeführt. So in der Adhäsion – zwei geschliffene Platten halten fest aneinander. So sagte man, in der Chemie sei alles eine solche Attraktion. Kurz: diese mechanische Vorstellung tritt zum Moment herunter, und es hat dies große Verwirrung und Oberfl ächlichkei-ten verursacht, daß man das Verdauen auch auf das Zerreiben und Drücken anwandte. Diesem ist die Qualität entgegen – die Grenze, die Bestimmtheit, macht das Sein aus; und geht die Form verloren, so geht sie selbst verloren. |

Hat man eine Gleichung über die Größe der Brechung der Lichtstrahlen und wird diese Gleichung der Operation des Diffe-renzierens unterworfen, dann bekommt man einen reinen Ausdruck. Die Frage ist, was bedeuten diese anderen Größen? Nun weiß man, wenn man eine solche Gleichung hat zwischen Raum und Zeit, der Differentialrechnung unterwirft, daß der erste Koeffi zient die Geschwindigkeit ausdrückt, unterwirft man es nochmals, so kommt der Koeffi zient heraus, welcher die Kraft bedeutet. Hier weiß man, was die neuen konstanten Größen für eine Bedeutung haben: Ge-schwindigkeit und Kraft. Wenn man z. B. Wärme und Licht dieser Operation unterwirft, so weiß man es nicht, was diese [Größen] bedeuten. Aber von der Bewegung weiß man es und trägt nun den Ausdruck von Geschwindigkeit hierauf über.

254 zu bleiben ] geblieben265 Verdauen ] Dauen

255

260

265

270

275

280

50 Die Mechanik 94 – 95

[ZWEITE ABTEILUNG][DIE PHYSIK]

Was wir jetzt betrachten, ist die Besonderung der Materie. Die Schwere ist das fi nstere Insichsein der Materie. In dem Begriff der Materie ist die Form enthalten. In der Schwere als solcher kommen diese Bestimmungen des Begriffs noch nicht zu ihrem Rechte. Sie sind nicht materialisiert. Seine Schwere ist diese innere Substan-tialität. Der zweite Teil enthält dann die Entwicklung dieser Form, die Stufe dieser Differenz, und zwar so, daß diese Form wieder zu der Schwere zurückgeführt wird. Die Mitte ist dann | die Sphäre des Relativen – die Mitte im ganzen Prozeß in der Natur. Das Auseinanderfallen des in sich Schweren. Diese zweite Sphäre ist das beginnende Insichsein – nicht mehr die quantitative Beziehung, sondern die Beziehung, welche ihr eigenes Sein ausmacht. Das Zweite ist ein Auseinanderfallen dieser Begriffsbestimmungen. Man muß nicht glauben, daß man hier absolute Unterschiede habe. Man hat hier, daß dieses Subjektive das Objektive wird. Das Subjektive, was den Beginn der Individualität macht. Dies ist allerdings so: die Begriffsbestimmungen werden selbständig. Sie haben die Form der Unmittelbarkeit. [ Das Ziel ist], daß diese selbständigen Materialisie-rungen auf Einheit zurückgeführt werden. Die drei Bestimmungen sind also die Bestimmungen ihrer Freiheit – ihres unwahren Be-stehens, ihres Bestimmens für sich. Hier sind die Bestimmungen in dieser ihrer Selbständigkeit, wie eben bei den Himmelskörpern. Aber weil ihre Wahrheit ist, daß sie sich aufeinander beziehen, so tritt diese Beziehung hervor; und dies, daß sie hervortreten als diese Beziehung, ist der Elementarprozeß. Dies ist die beginnende Indi-vidualität. Aber diese Individualität ist noch differente Individualität. Diese ist zwar refl ektiert in sich, aber so, daß diese Beziehung auf sich nur refl ektiert ist in der Beziehung auf anderes. Hier ist die Ela-stizität die Hauptbestimmung – d. h. das Auf-sich-selbst-Beziehen. Die Eigentümlichkeit, die hier zugleich Refl exion eines anderen ist, ist also das mechanische Moment dieser Sphäre. Das Dritte ist dann

5

10

15

20

25

30

95 – 96 51

die totale Individualität, die wahrhaft in sich zurückgekehrt ist, wo das andere (die Form) unterworfen ist dem Subjektiven. | Der Kör-per ist insofern selbständig, als er sich als dieser zeigt. Der chemische Prozeß, die Auflösung macht den Beschluß zu diesem Ganzen, und der chemische Prozeß enthält zugleich den Übergang zu dem Fol-genden. Es ist von § 218 bis § 233, was wir zunächst in dem ersten Teil betrachten werden.

[A. Physik der allgemeinen Individualität ]

§ 218. Hier ist der Übergang gezeichnet, dies ist das Wesen – der Grund. Der Grund ist in seiner Wahrheit erst, insofern er etwas be-gründet. Das Wesen geht in die Manifestation des Wesens über, als solche Manifestation ist diese Totalität bestimmt. Unter Element versteht man gewöhnlich etwas Einfaches, vornehmlich im chemi-schen Sinn (Man hält sich an Moleküle etc.). Diese Abstraktion ist etwas, was erst später hervortritt. Das Wesen ist wesentlich ein Konkretes. Jede Formbestimmung ist materiell überhaupt. Zur Abstraktion, dieser Gewaltsamkeit, in die [der] chemische Prozeß hineintritt, sind wir nicht gekommen. Das Wesen ist das Scheinen in sich. Diese ersten Formbestimmungen sind hier die Elemente zunächst als selbständige Körper, zweitens als elementarische Körper, so daß sie sich zeigen als einem Individuum angehörend. Das dritte ist der Prozeß, diese Elemente selbst. Diese vier elementarischen [Körper] sind erstens das Licht (die reine Manifestation), zweitens das Starre (das abstrakte für sich Seiende), drittens das Neutrale, viertens das Individuelle als solches, das Erdige, Irdische überhaupt; diese sind die Grundbestimmungen, die weitere Physik ist nur das in sich Hineinbinden dieser vier Bestimmungen. | Die Erde sucht die Eigenschaften der Himmelskörper sich zu eigen zu machen.

36 als er ] weil es

35

40

45

50

55

60

52 Die Physik 96 – 98

[a. Die freien physischen Körper]

§ 219. Dieses erste Element ist die reine Identität, nicht als innere, sondern als daseiende. Dies ist das Licht . Das Licht ist, was wir zuerst begrüßen, das, wodurch die Natur zuerst außer sich geht. Die Identität der Materie als Schwere ist die, welche nicht aus sich heraustritt, dies ist die Identität selbst abgesondert von ihren anderen Bestimmungen als einfacher Verstandesidentität, die abstrakte. Wenn ich sage, ich selbst, so ist dies ein vollkommen leeres Bewußtsein und hält alles andere Dasein getrennt. Ebenso beim Licht. Not-wendig ist es die erste Offenbarung, die Manifestation selbst. Diese Manifestation ist notwendig die erste formierte Materie überhaupt; und diese Identität ist daseiend, d. h. für sich und in Beziehung auf andere. Dieser Bestimmung entspricht nichts anderes als das Licht, das alles zeugt und alles klar macht. Es erhellt unmittelbar dies, daß das Licht einfach ist; eben es ist das sich Denken selbst. In der morgen ländischen Anschauung, die nicht das Bewußtsein des Untergangs ist (die westliche), ist das Wahre Gute; das Licht geht immer in dasselbe über und es wird vorgestellt als ein und dasselbe. Das Licht ist eben das reine Denken. Es gibt zwei Ansichten: [er-stens] daß das Licht einfach ist, diese reine Idealität ist, und die an-dere ist dann, daß es ein Vieles in sich ist. In dieser zweiten Ansicht ist dies, was der körperlichen Ansicht zukommt. Diese Metaphysik des | Körperlichen wird in diese Identität hineingetragen. Das Viele und das Eine sind gleichgültig gegeneinander. Die erste Bestim-mung ist die reine Idealität, wo alle Trennung noch nicht vorhanden ist. Es ist das Ideelle, das Licht. Diese zwei Ansichten über das Licht sind überhaupt notwendig. Daß das Licht nichts ist als diese reine Idealität, erhellt sich aus der Betrachtung der Erscheinungen, und die andere Ansicht hat große Verwechselungen hervorgebracht. Viele meinen, sie brauchen das nicht und sie haben es so wie jener, welcher zu seiner großen Freude prosaisch sprechen kann.

In dem § 220 ist das Licht das Abstrakte, das absolut Leichte. Als Materie ist es unendlich, aber untrennbares Außersichsein. Die reine Idealität, unendliches Außersichsein, unendliche Expansion,

95 Expansion ] unsichere Lesart

65

70

75

80

85

90

*

95

98 – 99 Physik der allgemeinen Individualität 53

aber eine solche, die keinen Teil hat. Es ist schlechthin und untrenn-bar – das ist dem endlichen Verstand unerklärlich. Das Licht als untrennbar und einfach ist hiermit ganz in der Weise des Gedankens. Es ist Materie, aber abstrakte Materie. Das Licht ist nicht zusammen-gesetzt, es leistet keinen Widerstand. Es erhält sich also nicht als Einzelnes gegeneinander. Alle Trennbarkeit fällt beim Licht weg. Das Licht kann nur gesehen werden, es hat nur auf die Seele Bezug. Die anderen Sinne haben auf die Partikularisierung der Materie Bezug. Das Licht, weil es nicht dem Unterschied angehört, ist nur die Materie für das Sehen. In dieser Rücksicht erscheint es sogleich als gegen die Vorstellung der Materie. Denn das Zusammengesetzt-sein, Widerstandleisten | bezieht sich auf das Fürsichsein der Materie. Deswegen müßte man sagen, das Licht ist keine Materie. Alle Be-stimmungen, welche damit zusammenhängen, müssen hiervon ab-hängen. Das Licht ist die abstrakte Materie oder der materialisierte Raum. Wenn das Zusammengesetztsein die Materie ausmacht, ist das Licht keine Materie. Das Licht als Trennbares wäre [zu] allem Unterschied fähig. Das Licht läßt sich begrenzen, aber es ist keine Teilung, es kann ebenso verdichtet werden (Brennglas), man kann seine Richtung im Raum ändern, aber alles dies ist keine Teilung. Das Licht kann mit der Dunkelheit gemischt werden. Das Licht kann durchdringen den durchsichtigen Körper, ohne sich zu teilen. Das Glas hat keine Poren, die Poren sind nur zur Erklärung hin-eingetragen. Indem solche Erfahrung begründet sein will, so muß es vorerst da sein – eine vollkommene Fiktion. Alle diese Teilung, all diese Einheit fehlt dem Licht. Die Lichtwirkung ist geistig. Es ist eine Fiktion, welche man von Bündeln von Lichtstrahlen sagt. Es ist kein Strahl, es ist begrenztes Licht. Die Kügelchen etc. sind bloß Erdichtungen des Verstandes. Wenn das Licht solche Teilchen, Kügelchen hätte, so hat jener Mann ganz konsequent gehandelt, der Licht in einem Sack ins Haus tragen wollte. Es ist in ganz un-getrenntem Zusammenhang – es ist nach der Weise des Ideals zu denken: in einer Minute bin ich in Amerika. |

105 es ] sie112 wäre ] ist116 mit ] auf

100

105

110

115

120

125

*

54 Die Physik 99 –100

Das Licht ist identisch im Raum. Im Raum ist diese einfache Idealität des Lichts. Wenn man die Vorstellungen der Verteilung des Lichts gründlich betrachtet, so reduzieren sie sich zu null. Zum Beispiel wenn man die Vorstellung hat, daß jeder Punkt einer Fläche Licht schicke, so hat jeder die Halbkugel um sich herum und alle Punkte durchdringen sich nach allen Richtungen. Die einzelnen Strahlen durchkreuzen die anderen immer. Wenn er das Materielle ist, so ist er ein unendlich Durchbrochenes, Durchkreuztes. Man stellt sich eine Sphäre so vor. Jeder sieht auf demselben [Punkt] der Sphäre etwas anderes, also befi nden sich bei diesen Punkten diese Bilder auf diesem einen Punkte, deswegen reduzieren sie sich zu null. So wie man das auf einer materiellen Weise verstehen will, so kommt die Vernichtung dieser Vorstellung heraus, die man hat geben wollen. Das Erklären heißt dann weiter nichts als das hinein-tragen, was man will. Man meint dann, jetzt verstehe man es, weil man die gang und gäbe Metaphysik des Verstandes darin sieht. Das Licht, wenn es seine Bestimmung erfüllt, ist bestimmt. Wenn man sieht, wie das Licht wirkt, so sieht man, daß es sich allem Teilen entzieht. | Drittens (Ende der Anmerkung). Das Licht erscheint in den Dingen als das innerste Fürsichsein ihrer Individualität. Von diesem Verhältnis ist erst weiter nachher zu sprechen.

§ 221. Das Dunkle ist etwas anderes als das Licht, und das Licht hat diesen Gegensatz am Dunklen dadurch, daß es ein Dasein ist. Das andere ist ein Vereinzeltes – das Negative des Lichts. Hierher gehört der große Streit hin – man sagt, das Licht sei ein Zusammen-gesetztes, die sieben Farben seien die einfachen. Bei den Engländern heißt Experimentieren Philosophieren, auch haben sie philosophi-sche Instrumente. So hat dann auch Newton philosophiert. Er sagte, die Alten hätten gesagt, das Licht und das Dunkle verursachen die Farben. Goethe hat diese alte Ansicht behauptet. Er nimmt subjek-tive und objektive Farben [an] (wenn man z. B. das Auge schließt, so sieht man die Farben der ersten Art). Es gibt Augen, die kein blau sehen, und so modifi ziert sich das Ganze. Er hat darüber viele Erfah-rungen gemacht. Goethe hat diese Äußerungen gut aufgenommen,

136 –137 Man stellt ] Stellt man151 daß ] weil

130

135

140

145

150

*155

*

160

*

101–102 Physik der allgemeinen Individualität 55

schlechter aber die anderen. Goethe sagt in einem Motto: Mögen wir das Licht zerstückeln oder Farben. |

Die Ansicht, die nicht beiseite gebracht wurde, sondern durch-geführt wird und später Autorität aufstellt, fi nden [wir noch]. Das zu sagen: das Licht ist zusammengesetzt, muß schon als etwas Bar-barisches angesehen werden, dies ist diese schlechte Metaphysik. So wie man vom Zusammengesetztsein hört, so ist alles Denken abgeschnitten. Das zweite ist, daß das reine Licht [nach Newton] zusammengesetzt ist aus sieben Farben. Jeder, der eine Farbe sieht und sie vergleicht mit einem Sonnenlichte, wird gegen das Licht die Farbe für etwas Dunkles halten. Die Farbe ist was Dunkles, Schat-tiges – das Helle soll bestehen aus sieben Dunkelheiten – sieben Dunkelheiten zusammen Licht sein. Dies ist schon genug. Was die näheren Versuche betrifft, so ist das das erste, daß man Erfahrung gemacht hat und eine Regel aufstellt, woraus sich alle Erfahrungen erklären lassen. Das Erklären ist eben das Schlagwort, das Anpassen auf die einmal gefaßte Meinung. Bei Newton ist Brechbarkeit und Farbenverschiedenheit einerlei. Wenn man durch ein Prisma Licht gehen läßt, so sieht man statt Licht Farben. Wenn man in einer gewissen Entfernung Farben aufnimmt, so entstehen Farben und sie folgen in gewisser Ordnung aufeinander. [Violett], indigoblau, hellblau, grün, gelb, orange, rot. Diese sind die sieben Farben. Violett ist am weitesten oben und rot am weitesten unten. Die brechbarste Farbe ist also violett. | Hierher gehört die Erscheinung, daß, wenn zwei Farben nebeneinander gemalt werden und man es durch das Prisma betrachtet, sie auseinander gerückt sind.

Es ist Fakt, daß das Licht, wenn es durch ein anderes Medium geht, gebrochen wird. Das fi ndet mit dem Glas statt. Wenn man zugeben wollte, daß die Farben verschiedene Brechbarkeiten haben, so weiß man noch gar nichts von der Natur der Farbe. Brechbarkeit ist bloß eine Ablenkung von dem Weg, aber nichts von der Natur

165 die ] daß sie165 sondern ] und172 sie vergleicht ] vergleicht sie188 sie … sind ] sind sie auseinander gerückt190 fi ndet ] ist

*165

170

175

*

185

*

190

56 Die Physik 102 –104

der Farbe selbst. Es ist durchaus nichts von der Natur der Farbe gesagt. Es ist lächerlich, wenn man meint, man hätte damit begriffen, was Farbe sei. Was zweitens dies betrifft, daß sie brechbar sind, so ist diese Brechbarkeit in die Form der Refl exion fallend, es ist dies eine Verstandesmetaphysik. So zum Beispiel mit Metallen, das eine braucht eine andere Temperatur, um zu fl ießen. Wenn ich sage, was ist das eine Metall von dem anderen unterschieden, und ich ant-worte, dies eine ist fl üssig und das andere nicht. Das Prisma ist es, was die farbige Erscheinung hervorbringt, und man läßt die Wirk-samkeit außer acht und man sagt, das Prisma bringt nun die Farben zur Erscheinung. Das Prima bringt wesentliche Unterschiede in dem Licht hervor. Ebenso gut kann man sagen, die Ziegel sind deswegen auf dem Dach, weil sie leichter sind. Man denkt nicht an den Baumeister, nicht an das Prisma, das es verändert [ hat]. Goethe erzählt sehr naiv | von seiner Farbenlehre, er habe schon früh die Farben als Grundfarben betrachtet – man sieht im violett rot und blau – orange gleich gelbrot – grün blau und gelb. Indigoblau und hellblau sind den Gründen nach verschieden. Nie hat ein Maler dies glauben wollen, deswegen hat Goethe Unglauben gehabt. Er erzählt nun, daß er ein großes Kristallprisma von einem grundgelehrten Mann [geliehen hat]. Er hat noch schnell eine weiße Wand angese-hen, ehe Farbe zu sehen; kommt etwas Dunkles dazu, so entstehen erst die Grenzen. Nur, wo ein Helles ist und ein Dunkles zusammen, entstehen die Farben. Hell und Dunkel müssen zusammentreffen. Unbegreiflich ist es, daß Newton gesagt haben konnte: das einfache Licht bes teht nur aus den Farben, denn durch das Prisma werden sie sichtbar. Newton sagt selbst: es sei nötig, daß sie Umkreisdeter-minatur (optice p. 200) [ haben]. Weiter berichtet Goethe auch nichts. Goethe schilt Newton unredlich deswegen, weil er das sagte.

Die Wirkung des Prisma ist hier etwas Feines: das Prisma vertritt die Stelle des Beleuchteten, aber so, daß die einzelnen Teile breiter gemacht werden, so daß das Helle in das Dunkle gezogen wird und das Dunkle in das Helle. Newton nennt dies das Gesprengsel. Das ist das Verrücken, ein Herunter- oder Herausziehen des verschie-den Beleuchteten zu einem anderen. Wenn man in ein Zimmer

217 entstehen ] macht

195

200

205

210

*215

*

*

225

104 –105 Physik der allgemeinen Individualität 57

Sonnenlicht hineinfallen läßt, [gilt]: je weiter die Wand entfernt ist, desto breiter ist das Bild. Aber es wird getrübt, | und wo das Dunkle zu Grunde liegt und das Helle wird hereingezogen, so entsteht blau. Ist das Dunkle hineingezogen, so entsteht gelb und Rotlicht gegen den Saum. Diese Farben sind also eine Trübung des Hellen, das Gelbe ist eine Trübung des Helleren, das Blaue eine Trübung (durch Licht), das Dunkle ist das Blaue – deswegen sieht der Him-mel blau aus. Das ist ein Begriff von Farbe; Licht und Dunkel sind die beiden [Seiten], und aus diesen entstehen die Farben – das kann man begreifen, dort, [ bei Newton], ist vom Begreifen keine Rede. Fängt man das Licht auf einem Papier auf, nah an dem Prisma, so hat man oben ein Violett und unten ein Rot, in der Mitte hat man keine Farbe. Geht man weiter, so wird das Bild immer größer und endlich so, daß kein Weißes mehr übrigbleibt. Durch das Breitwer-den des Blauen und Gelben gegeneinander entsteht grün, zwischen dem Blauen und Grünen entsteht ein helles Blau, zwischen gelb und rot ein schmutziges Rot. Haupterscheinung ist das Grün in der Mitte. Auf der einen Seite geht das Blau zu Rot über, dann entsteht violett. Ist der Schein von gelb und von blau aus dem Rot heraus, dann entsteht der Purpur. Die Erscheinung ist diese, daß die Säume durch die Entfernung breiter werden, das Grüne breiter wird, und Blau und Gelb werden immer schmaler. Je weiter man die Fläche entfernt, desto dunkler wird es.

Newton sagt fürs erste, diese Farben sind einfach. Newton hat diese Farben gemessen. | Er erzählt, daß ein Freund ihm die Farben gemessen habe. Er hat gefunden, daß die Breiten sich verhalten wie die Töne der Musik (nach der Zahl der Schwingungen 1, ⁸⁄₉, ⁵⁄₆, ¾, ⅔, ³⁄₅, ⁹⁄₁₆, ½). Das scheint ein merkwürdiges Verhältnis. Das Messen ist eine der Grundlagen, und man vertraut darauf. In Ansehung der Farbe ist die Hauptgrößenbestimmung die Breite. Hierauf ist vieles gegründet. Man sagt also, die Sache sei mathematisch, aber Messen ist nichts Mathematisches. Wer jemals ein Spektrum gesehen hat, der sieht ein, daß man das ganz und gar nicht messen kann. Beim Spek-

249 das Grüne … wird ] breiter wird das Grüne257 vertraut ] geht260 – 261 der sieht ] so sieht jeder

230

235

240

245

*

255

*

260

58 Die Physik 105 –107

trum von fünf Schuhen kann man einen Zoll nicht unterscheiden. Es ist leer und willkürlich, bei jeder Entfernung verändern sich die Breiten der Farben. Auch ist das Verhältnis verschieden nach der Verschiedenheit der Media. So wie der Gehalt des Glases verschieden ist, so ist auch die Wirksamkeit der Trübung anders, noch mehr mit Wasserprismen. Newton hat gesagt, es sei mit den Wasser prismen ihm auch so gegangen, aber es ist nichts anders, als daß er sich sein Wasser so zugerichtet hat. Diese Harmonie von Licht und Tönen ist eine ungeheure Täuschung und etwas Grundloses. Newton sagt, [daß] die Farben, wie sie durch das Prisma erscheinen, einfach er-scheinen; er sagt, das wäre dann ein homogenes Licht, und wenn die anderen Farben so entstehen, so ist das etwas Heterogenes. | Aber das ist schon etwas Sonderbares, und jeder Unbefangene sieht, daß gelb nach und nach ins Blaue übergeht und grün bildet.

Newton hat ferner gesagt, alle sieben Farben zusammen machen weiß! Ja Dreckfarben gibt es!, sagt Goethe. Auch heißt natürlich, daß Farben rund machen. Es heißt ebensowenig als wenn man sagte, das Dreieck und Viereck können im Schwunge rund werden, [und dies] sei der Grund von einem Runden überhaupt. Daß diese Farben einfach seien, ist ein Hauptbeweis. Wenn man ein solches Spektrum an einer Wand aufhängt und eine Farbe durchfallen läßt und diese mit einem Prisma auffängt, so erfolgt keine Veränderung. Diese Erscheinung ist natürlich, aber nicht recht beobachtet. Es entstehen allerdings verschiedene Farben, aber nur solche, welche in dem Grün enthalten sind, z. B. in dem Grün, wo das Gelb nicht heraus-tritt. Rot – Blau etc., ebensowenig wird es schmutzig. Das Grünlicht bleibt aber doch übrig, und das ist allerdings ungebrochen. Aber dies ist bei einfachem Prisma auch der Fall, wo allerdings auch oben [an] dem Spektrum weiß ebenso herein[kommt]. Und dort hat man allerdings alle Farben, ein volleres Spektrum, nur modifi ziert durch das Licht, und es ist jene Behauptung vollkommen unwahr. |

265 So wie ] Nachdem282 an ] mit282 eine Farbe … läßt ] läßt eine Farbe durchfallen287 wird es ] es wird

265

270

275

*

280

285

290

107–108 Physik der allgemeinen Individualität 59

Newton hat gesagt, daß, wenn man ein Spektrum macht, bei dem Prisma in der Nähe der Mitte weißes Licht entstehe. Newton sagt darüber, es entstehe das Weiß daher, weil nicht alle Farben auseinander getreten seien. Sie haben immer wieder denselben Satz, den sie beweisen wollen, als Voraussetzung. Der Widerspruch ist dieser, daß sie sagen: je mehr man weggeht, desto mehr treten die Farben auseinander. Es wird auch bemerkt, das Zimmer ja recht schwarz zu machen, aber darauf kommt es nicht an. Doch vieles hat Goethe ganz gleich gemacht und ganz andere Resultate be-kommen. Gren hat über Goethes erste Versuche geschrieben und nach der Newtonschen Zeichnung den Newton widerlegt. In der Ferne müßte ja durch die Vermischung und Breitwerden und in eins Fließen der Farben auch Weiß entstehen ( Grens Journal Bd. 7), aber je ferner man das Bild rückt, so bleiben [doch] immer Farben. Newton behauptet, daß die Farben homogenes Licht seien. Auch sagt er, eine Fliege z. B. im Spektrum habe durch das Prisma betrachtet keine Farbenreihe. Aber dies ist nicht wahr, es ist nur ein falsches Experiment. Die Farben erscheinen notwendig sehr schwach. Auch durch die Refl exion sollen die homogenen Farben nicht verändert werden, d. h. wenn man farbige Körper in einem Spiegel auffange oder wenn man in prismatische Farben andere Farben bringe, so sehe man doch Rot und Blau wie sonst. Er sagt, man sehe die natürlichen Farben nicht mehr. Dies betreffend hat Goethe gesagt: | Aber ich sehe wohl, Lügen bedarf es etc. Vielmehr entsteht eine Beschmutzung, die Newton nur nicht gesehen hat oder nicht sehen wollte. Das Helle der einen überbietet die Hellig-keit der anderen. Es ist das einer der vielen grundlosen Versuche. Seine Experimente sind ebenso halb und unwahr, als die Schlüsse schlecht sind. Newton stellt da auch ein Experiment an, daß die Farben im Spektrum nicht nur Modifi kationen unterworfen wer-den. Er läßt ein Stäbchen vor dem Prisma halten und sagt: daß es aussieht, als wenn schon vor dem Prisma das Licht geteilt wäre, denn man kann Farben wegstreichen, welche man will. Was entsteht, ist,

293 daß, … macht ] wenn man ein Spektrum macht, daß296 haben … wieder ] wieder haben immer298 je ] desto

295

*

300

305

*

310

*

315

320

325

60 Die Physik 109 –110

daß da, wo die Farbe sonst steht, kein Licht mehr durchscheint und also Dunkelheit entsteht. Das untere Rot wird weggestrichen, aber oben an dem Stäbchen erscheint wie notwendig das Rot. Fr ies hält das für den Hauptversuch. In den Zeichnungen, die Newton macht, stellt er die Farben dar als verschiedene Kreise nebeneinan-der, so daß bei gewisser Entfernung sie in Weite auseinandergehen. Aber im Gegenteil, dies ist nicht der Fall. Diese sind dann von den Nachschreibern getreulich kopiert [worden]; und sie trauen dem Newton zu, daß er wohl richtig gesehen hat.

Es ist in neuen Zeiten das achromatische Fernglas erfunden wor-den, wo man keine Farben sieht. Newton hat nur behauptet: ein sol-ches sei nicht möglich, daß man die Brechung aufheben könne. | Es ist eine Brechung in den Innenröhren vorhanden. Es müssen also notwendig immer Farben sein. Euler, indem er das Auge so bemerkt und beobachtet hat, sagte, solche Gläser seien wohl möglich, man hat dies ihm übelgenommen, und Dollond wollte es durch Konse-quenzen beweisen, aber sah zu seiner großen Verwunderung, daß es nicht so war, sondern, daß die Stäbchen gar nicht brachen und keine Farben gaben. Wenn man zwei Linsen aufeinanderdrückt, entstehen Kreise; und es entstehen mehr Kreise, wenn man mehr drückt. Es läßt sich denken, daß durch den Druck eine Trübung entsteht. Man legt sich überhaupt oft auf so kleine Erscheinung, so daß man schwer zu beobachten hat, aber dies sollte man nicht [zur] Hauptsache machen. Newton sagt, so haben f i t s acces s-Anwand-lungen, bald leichter durchzugehen, bald refl ektiert zu werden, bald acces s t ransmit tent zu werden. Dies ist das Faktum bloß auf eine abgeschrobene Weise erklärt. Dem Goethe ist die Sache so übel genommen worden, weil er ein Poet ist und kein Physiker. Das ganze Begreifen ist hier das Sehen. Dies kann ein jeder, aber es ist an vielen Wissenschaften dies der Fall, daß man so Zunftansichten hat. Es kann hier keinen Laien geben. Die von der Gilde lassen dies nicht gelten – sie ignorieren diese Goethe sche Ansicht ganz. Pfaff in Kiel hat sich hinter Goethe gereiht und die Linse gebraucht.

Das Allgemeine ist: daß | die Farben entstehen durch verschie-dene Verhältnisse des Lichts und der Dunkelheit. Polar i sa t ion des Lichts hat nicht Beziehung auf Farben und hell und dunkel. Man hat auf die Gegensätze seit neuen Zeiten immer mehr geachtet.

*330

335

*

*340

*345

*

350

*

355

*

360

110 –112 Physik der allgemeinen Individualität 61

Dann sagt man polare Polarität. Malus , ein Franzose, hat darauf [seine] Aufmerksamkeit gerichtet. Wenn man Licht auf Glas fallen läßt, so läßt es das Licht teils durch, teils nicht. Das nicht durchge-hende Licht fängt man mit einem Spiegel auf. Wenn man diesen dreht, so wird das Licht schwächer; und endlich verschwindet es ganz, wenn die beiden Spiegel einem rechten Winkel nahen. Dann kommt es wieder zum Vorschein und wird ganz klar, wenn die Ebenen parallel sind. Im vierten Winkelquadraten verschwindet es noch. Es gehört dazu ein Winkel von 23 o 25. Wenn [man] ein sprödes Glas wohl dazwischen gehalten hat, so zeigen sich farbige Bilder. Man sagt, das Licht besteht aus zwei Strahlenarten, das eine sei polarisiert, das andere nicht. So läßt das erste Glas nur nichtpola-risiertes Licht durch und das Polarisierte wird herunter geworfen. Newton sagt, sie seien viereckig, wovon nur zwei Seiten scheinen. Goethe hat das sehr einfach beobachtet. Er sagt: Man stelle Spiegel mit einem rechten Winkel [auf] etc. Goethe zeigt, daß das Licht in einer gewissen Helligkeit von der Neigung der Fläche abhängt. Es kommt auf die Neigung der Flächen an, wo es bald heller, bald trüber erscheint. |

Es ist nichts anderes als eine obliquierte Refl exion. Die Farbe sehen wir als eine Trübung überhaupt an. Das Prisma verbreitet das Helle und bringt so das Aufeinanderfallen hervor. Nur muß man nicht verworrenes Licht dazu nehmen wie das bloße Tageslicht. Die Schatten sind nur etwas bloß Vermischtes ( Goethe hat auch eine Erscheinung aufgezeichnet, der Morgenhimmel bringe das stärkste Licht gegen Abend und umgekehrt). Es müssen nur zweierlei Lich-ter sein, die einander aber nicht zu sehr kontrastieren. Bei Fenster-gardinen kann man es leicht sehen, es ist zweierlei Licht an den Gardinen sichtbar von der Fensterkreuzung – gefärbte Schatten. So auch vom Licht und Tageslicht – so auch im Mondenlicht gibt [es] zweierlei Schatten, der eine wird dunkelblau, der andere Schatten wird gelb sein (zwei Kerzen mit einem roten Glas). Dann entstehen Rot und Grün, Rot und Grün fordern sich, sind Gegensätze.

Das Licht überhaupt ist weiß. Weiß und schwarz sind noch keine Farben, es sind bloß Gegensätze. Wenn das Helle herrscht und das

373 besteht ] läßt

*365

370

375

380

385

390

*

62 Die Physik 112 –113

Dunkle nur das Helle trübt, so gibt es Gelb. Das Gelbe ist also die erste Farbe. Das Gelbe gesteigert zu großer Dunkelheit [ist] das Blau, ebenfalls intensiver gemacht wird auch Rot oder Violett. Treffen diese beiden Rot zusammen, so entsteht | der schönste Purpur. Weiß ist das Helle, nur schwach getrübt; Rot und Gelb stehen entgegen. Wenn die beiden Extreme zusammengebracht werden, so entsteht Grün. Das Rot der Rosen ist ebenfalls eine Synthese mit dem Grün. Aber das Rot muß angesehen werden als die Einheit von Hell und Dunkel in ihrem schönsten Verhältnis. Das Rot ist das Fürsichsein. Rot ist ein Verdunkeln des Hellen und Erhellen des Dunklen, aber in ein Verhältnis gekommen. Das Rot ist die Farbe des Zornes, des Fürsichseins, der Irritabilität – Farbe des Blutes. Rot ist deswegen die königliche Farbe. Die symbolische Bedeutung der Farbe hat Beziehung auf ihren Begriff. Dem Rot ist das Grün entgegengesetzt, was ebenso ein Gleichgewicht ist, aber das nicht das Fürsichsein ist. Es ist der Mitte gleichgültig, das gleichgültige Ineinandersein, Rot und Grün machen insofern die Totalität des Gegensatzes überhaupt aus. Von ihrem Verhältnis zueinander wurde schon gesprochen.

Goethe führt von dieser Forderung einige physiologische Bei-spiele an: wenn man die eine Farbe sieht und man nimmt sie weg, so hält das Auge sie doch fest, so sieht man ihr Negatives, und zwar ihr konkretes Negatives. Wenn Rot da war, so sieht man Grün, und wenn Grün da war, Rot. Die Alten sagen, das Meer sehe man pur-purfarben. Goethe sagt, es komme daher: Am bewegten Meer sehe man Grün und auf der entgegengesetzten Seite sehe man nicht mehr Grün, sondern Purpur. Man sieht das Negative auf eine positive Weise, und das ist eben der Purpur. So wenn man auf einer Wiese geht, so sieht man den Weg etc. Rot. | So sagt er auch: Wenn man durch [eine] grüne Brille sieht, so haben die Gegenstände einen röt-lichen Anschein, der dann bald verschwindet. Der Schein dauert nur eine gewisse Zeit fort, sobald man die Brille wegnimmt. In einem Wirtshaus, [so sagt Goethe weiter]: Daß er auf einer weißen Wand eine Modifi kation gesehen, wo er gerade bei seinem König war, das Gegenteil sah an der weißen Wand; davon kann man sich auch

415 Von ] In422 sehe ] sieht

400

405

410

415

*

*

*

*

*

113 –115 Physik der allgemeinen Individualität 63

bald überzeugen mit einem roten oder grünen Papier, welches man genau fi xiert. Ebenso mit anderen Farben. Er hatte auch das Beispiel von dem roten Mohn – wo er nach Verschwinden des Rot den meergrünen Schein sah. Diese zwei Farben machen den Gegensatz des Fürsichseins und der bestimmungslosen Neutralität [aus]. Grün ist das Neutrale, deswegen die Pfl anzen. Das Blaue geht aus diesem Zustand zu einer individuellen Farbe überhaupt. Die andere Farbe ist dann das Blau, der erhellte Grund – Himmel. Das Gelbe macht insofern die abstrakte Farbe aus, das Blaue die konkrete. Die Farben des Gegensatzes sind insofern ein Konkretes als Gelb und Blau. Dies sind die Natur und der Unterschied der Farben überhaupt.

Das Licht überhaupt ist die erste, die reine Manifestation, das Negative ist das Dunkle. Das Licht tritt zum Dunklen [ hin]zu. Von der anderen Seite kann man sagen, das Licht erzeugt das Dunkle, aber nicht das Licht als solches; denn das Licht ist nur die Existenz einer abstrakten Seite der Idee. Der Geist erzeugt die Natur aus sich heraus, aber der Geist als Einzelheit. Wie er als Bewußtsein erscheint, so tritt | das Einzelne zu der Welt hinzu – so mit dem Lichte. Die Idee des Lichts erzeugt allerdings Dunkelheit. Aber so wie das Licht für sich existiert, so hat auch das Dunkle seine für sich seiende Existenz. Wenn man sagen wollte, das Licht muß sich selbst zur Farbe spezifi zieren, so tut das das Licht als die Idee, aber das Licht ist nur eine Seite der Idee. In diesem ersten Elemente sind diese Momente auch für sich. Deswegen macht das Licht das Dasein der physikalischen Körper aus. Das Licht macht also die Sonne aus als physikalischen Körper. Die physikalische Bedeutung ist eben die Beziehung auf sich selbst. Die Sonne ist physikalisch wesentlich ein Moment im Ganzen. Die Sonne bringt ebensowenig wie das Licht die anderen Körper des Systems hervor, denn diese Körper bringen ihre Sonne hervor. Es ist ihre Idee, aber keines ist für sich die Quelle der anderen. Buffon hat gesagt, die Erde sei eine Schlacke der Sonne, die sie von sich gestoßen habe.

Das Entgegengesetzte kommt darin vor, wenn man sagt: da die Sonne immer Licht ausgieße, wo[ her] denn der Sonne dieser Ge-

434 von ] an460 denn ] sondern

*

440

445

450

455

460

*

465

64 Die Physik 115 –116

genstand weiter ersetzt werde. Ein General Allix stellt den Versuch auf: Man wisse nicht, wo der Wasserstoff hinkomme, wodurch die Verdunstung entstehe. Je höher man | steigt, desto mehr fi ndet man wieder Wasserstoff. Der Wasserstoff müsse also höher gehen als die atmosphärische Luft. Dieser Wasserstoff sei es, aus dem die Sonne dieses Licht nehme. Der Einfall verdient keine große Aufmerksam-keit, aber der Gedanke hat immer etwas für sich, wenn man auf dem Standpunkt der gewöhnlichen Physik steht. Aber es liegt doch all-gemein die Vorstellung darin, daß die Erde ihre Sonne erzeugt. Es ist keine Erzeugung, sondern beide sind Momente einer erzeugenden Idee. Man stellt sich die Sonne als eine Wärme vor. Das Licht über-haupt ist aber nicht warm. Wärme entsteht erst durch die Bezie-hung des Lichts auf den Körper. Man hat sich um kein Verbrennen zu bekümmern, es ist die Totalität und die Manifestation derselben. Der materialisierte Gegensatz des Lichts kann keine andere Form haben als den Gegensatz des Lichts, des Fürsichseins. Das Moment des Verzehrens, dies aber nicht in seinem Prozesse, ist zunächst das Starre. Aber in seiner näheren physikalischen Bestimmung ist es das Brennbare überhaupt, die reale Möglichkeit, verbrannt zu wer-den – das Verzehren seiner in sich selbst. Die Gegensätze sind also das Starre des Auf-sich-Beziehenden. Der Körper dieser Starrheit kommt eben zu seinem selbständigen Bestehen | in dem Himmels-körper: der lunare Körper.

Merkur, Schwefel, Salpeter (oder Wasser) und die jungfräuliche Erde, so sagt Paracelsus, es [seien] dies die vier Elemente. Metall, sagt Schelling, ist das geronnene Licht. Indem man solche Vorstellung im materiellen Sinn genommen hat, so hat man dies bald widerlegt. Aber diese haben die Quadruplizität des Gedankens im Sinn gehabt. Mit dem Schwefel haben sie die Starrheit – die Verbrennbarkeit – das Negative, Letzte für sich selbst. Dies ist selbständig vorhanden in der Gestalt des Mondes. Daß der lunare Körper das Moment ausdrückt, muß aus den Erscheinungen hervorgehen, welche von den lunarischen Körpern bekannt sind. Es heißt von dem Mond, er habe keine Atmosphäre. Er hat kein Wasser, keinen meteorologi-schen Prozeß, und [dies] deswegen, weil er überhaupt kein Wasser

498 von ] in

*

470

475

480

485

**

495

500

116 –118 Physik der allgemeinen Individualität 65

hat. Er ist ein wasserloser Kristall. Hätte er Wasser, so würde man es sehen können; man könnte es durch die Verschiedenheit der Beleuchtung erkennen können. Wenn man auch nicht wüßte, daß kein Meer vorhanden sind, so könne man es daraus schließen, daß kein atmosphärischer Prozeß vorhanden ist. Seine Gestalt auch zeigt diese Starrheit an. Er zeigt hohe Berge, und zwar mehr in der Ge-stalt von basaltischen kegelförmigen Bergen. Man sieht auch lichte Punkte, aber man nimmt sie teils für Lichtrefl exe, teils für vulkani-sche Eruptionen. Etwas Feines von Atmosphäre | ist. Es ist also der wasserlose, bloß starre Kristall. Daß Menschen auf dem Mond seien, das kommt von dem leeren teleologischen Raisonnement her, dem man die Weisheit Gottes gewiß ansieht. Indem der Mond das Starre gegen die Erde ist, so kann man sagen, er habe den Trieb, sich zu neutralisieren. Er bezieht sich auf die Erde. Das erscheint darin, [daß] die Ebbe und Flut [stattfi nden], und überhaupt hat der Mond viele Einfl üsse auf die Erde. Bei jedem Mondwechsel tritt entweder eine Veränderung der Witterung ein oder wenigstens ein Versuch einer Veränderung, was man am Barometer bemerkt. Aber immer tritt eine Schwankung in die Witterung ein. Das Verhältnis überhaupt zur Atmosphäre, zu dem Meer ist nichts anderes als dies Verhältnis: er will sich sättigen, er will sich das Wasser aneignen.

Das andere Moment des Gegensatzes hat die Beschaffenheit des kometar i schen Körpers. Das zweite Moment ist das Moment der Neutralität, das andere Moment ist das Negative in seinen reinen Abstraktionen gegen das Positive. Das Negative gegen das Positive. Der Gegensatz in dieser Form kann nicht für sich beste-hen, sie haben keine Realität. Er kann nur wirklich werden, wenn in den Bestimmungen eine wirkliche Totalität ist, wodurch diese Beziehung einen Halt hat. Für sich sind diese Abstraktionen etwas Leeres. Bestehen können sie nur, wenn sie eine Basis haben. | Der Gegensatz muß ein Zusammenfallendes sein. Das Neutrale ist diese kraftlose Einheit der Gegensätze ohne Fürsichsein. Das Starre für sich hat nichts zu repellieren. Das Neutrale wäre der Stoff, welcher

508 teils ] andere512 man ] es522 die ] seine

505

510

515

520

525

530

66 Die Physik 118 –120

repelliert werden könnte, aber ihm fehlt das Moment des Fürsich-seins. Es ist möglich, dirimiert zu werden, aber es kommt nicht zur Diremtion. Das Neutrale ist überhaupt das Wasser, diese noch ganz unbestimmte Neutralität, darum geschmacklos. Diese Neutralität für sich als selbständiger Körper ist der Körper des Kometen. Daß der kometarische Körper dieser Körper ist, ergibt sich aus der Weise, wie er überhaupt erscheint. Es ist ein Dunstwesen, was sich auflöst und erzeugt. Kein Komet hat noch einen Kern gezeigt, ist durch-sichtig, durch und durch hell. Wenn er etwas Starres wäre, so müßte er sich in den verschiedenen Stellen zeigen. Beim Mond gibt es auch eine Stellung, wo er ganz erleuchtet ist, aber bei dem Kometen sieht man keine Bahn. Es sind die Kometen stets als etwas überall leuchtendes Helles erschienen. Sein Schweif muß besonderen Ge-danken überlassen bleiben – ob auch dieser eine Dunstmasse ist? |

Der Komet ist anzusehen wie eine Wolke, welche dem Ganzen angehört. Er kann oft wiederkommen, aber doch [auch nicht] wie-derkommen. Erst ein einziger Komet ist bestimmt wiedergekom-men. Ein anderer, welcher vorher erschien, wurde erwartet, aber ist nicht gekommen. Und so ist es oft gegangen. Es blieb immer nur beim Glauben. Ob der eine oder der andere eine lange Dauer hat, ist vollkommen gleichgültig. Und alle die teleologischen Be-stimmungen sind nichtig. Es erscheinen jetzt sehr viele Kometen. Man hat in neuen Zeiten eine Menge entdeckt. Es gehört weiter nichts dazu als eine genaue Kenntnis des Himmels und ein gesundes Auge und ein gutes, festes Gedächtnis. Scharf zusehen muß man, ob sich nicht ein Lichtpunkt fi ndet, welcher sich bewegt. Es braucht dazu keine Mathematik und Astronomie. Inwiefern der Komet auf den kosmischen Prozeß der Erde Einfl uß hat, ist nicht ausgemacht, man kann es aber denken. Man kann sagen, daß in der trockenen Sonne die Erde von Wasser befreit ist und daß sich diese zu einem Selb ständigen gemacht hat. Es ist wenigstens dies nicht unmöglich. Der lunarische Körper hat zu dem Körper, dem er gehört, ein be-

547 eine Dunstmasse ist ] ist eine Dunstmasse559 welcher ] was560 Inwiefern ] Insofern

535

540

545

550

555

560

565

120 –121 Physik der allgemeinen Individualität 67

stimmtes Verhältnis, und insofern haben es auch die Kometen. Diese beiden Momente sind die Momente | des Gegensatzes.

Das Zusammensein dieses Gegensatzes ist der Planet. Komet und Mond machen erst die Erde aus. Das Zusammengehen dieses Ge-gensatzes in die Einheit macht, daß er ebenfalls auch das Prinzip der Sonne in sich hat. Der sich auf sich beziehende Gegensatz reduziert sich, seine Einheit hat das Prinzip der Sonne. Dies erst macht die bestimmte Totalität aus. Die Starrheit hat keine Materie: Gegensätze können in ihr nicht frei werden, weil sie das bloß tote Neutrale ist. Wenn es den Keim der Unruhe in sich hat, so ist es erst Totalität. Die Erde ist diese Totalität. Erst der Planet ist das Lebendige, die Einheit. Diese nun [ist] eine ruhige feurige Einheit, welche sich dirimiert in Gegensätze. Die Erde also ist als Körper Totalität, das Vollkommene. Die Meinung der Menschen, daß die Sonne oder der Mond das Höhere sei, ist falsch. Die Sonne ist abstraktes Moment, es hat seinen Gegensatz außer sich. Im Sonnensystem, wenn man von der Ent-stehung sprechen wollte, müßte man die Erde als das Erzeugende betrachten, welches seine Gegensätze hinauswirft. |

[ b. Die Elemente]

Materialisierte Momente: Wahrheit ist hier, nicht selbständig zu sein, sondern in Beziehung aufeinander. Sie sind Momente eines iden-tischen Ganzen, also selbst ideell, und so sind also die allgemeinen Naturmomente überhaupt als jetzt gesetzt mit einer Individualität, ihr Bestehen in einem Subjekt habend. Die vorher freien Körper, weil sie Momente sind, sind also als unterworfene Momente der Individualität, oder die Individualität als solche ist nur erschienen als eine Erscheinung der Totalität. Daß sie als die konkrete Erscheinung aufgesetzt sind, daß ihre Momente sich zu einer Einheit konzen-trieren. Die Individualität ist das Konkrete überhaupt. Zunächst be-trachten wir diese physikalischen Elemente, nicht mehr in der Form von Selbständigkeit. Ihre Dialektik ist: daß sie selbständig, aber nur

574 weil sie ] und die585 Wahrheit ist hier ] hier Wahrheit ist

570

575

580

585

590

595

68 Die Physik 121–123

beschränkte sind. | Das zweite ist dann der elementarische Prozeß der hervortretenden Dialektik selbst.

Das erste Element war als das Licht, aber so ist es passiv. Es hat diese Bestimmung der Passivität, weil das Licht diese abstrakte Iden-tität war. Die einfache Beziehung ist abstrakt, und daß sie abstrakt ist, ist aber ihre Mangelhaftigkeit. Indem dies die wahrhafte Be-stimmung des Lichts ist, so tritt es in diese Form. Es ist insofern das Passive: An sich zu sein, aber so, daß dieses Ansichsein eben nur ein solches ist, daß es nicht für sich ist. Das Licht in seiner Passivität ist dann das Element des Allgemeinen an der Erde, und das ist, was wir Licht nennen, passives Licht – das schlechthin Durchsichtige. Das Licht ist notwendig in der Luft. Die Passivität des Lichts ist die Luft. Die Luft ist durchsichtig, deswegen unsichtbar, cf. § 226. Das Licht als Licht ist die abstrakte Identität. Die Identität an dem Konkreten ist, was das Se lbs t ausmacht. Die Luft ist das Selbstlose. Die Luft ist nur entgegensetzt dem Individuellen. Sie leistet nur Widerstand dem Individualisierten; aber dem, was selbst die Form der Allge-meinheit hat, leistet es keinen Widerstand. Die Luft leistet nicht so Widerstand wie die Materie. Die Erfahrung, die Davy, der Englän-der, gemacht hat, ist hierher gehörend. Wenn man | eine Kugel mit Luft füllt und nichts mehr hinein geht, so geht von einer anderen Gasart noch eben soviel hinein, als wenn keine andere Luft drin gewesen wäre. Dies widerspricht ganz der Vorstellung von der Un-durchdringlichkeit der Materie. Ebenso mit Wasserdampf. Es geht ebensoviel Dampf hinein, wenn sie voll Luft ist als wenn keine Luft drin wäre. In Ansehung der Luftarten kann man auch sagen, daß es die Elastizität ist, welche dies hervorbringt. Allein in Ansehung der Gasarten zeigt sich, daß sie gleiche Elastizität haben – und wie eine Gestrecktheit, wie wenn also die anderen komprimieren.

Ferner ist die Luft als differente Allgemeinheit negative Allgemein-heit; gegen das Individuelle ist sie das Allgemeine. Das Allgemeine gegen das Individuelle. Die Luft ist das Unruhige. Es ist die Macht gegen die Individualität. Als Flüssigkeit hat die Luft keine eigentüm-liche Gestalt. Aber gegen das Spezifi sche überhaupt ist sie die ne-

618 wenn ] wie622 wäre ] ist

600

605

610

615

*

620

625

630

123 –125 Physik der allgemeinen Individualität 69

gative Allgemeinheit. Sie ist das mit sich Identische. Sie verhält sich negativ gegen das Spezifi sche, d. h. sie verzehrt das Spezifi sche. Als diese Macht zeigt sich die Luft. Sie scheint zuerst verdachtslos, weil sie das Passive ist, aber an der Luft verzehrt sich alles. Die Luft ist der Feind gegen das Gebildete. | Sie zehrt an allem. Dieser Prozeß wird durch den Geruch fühlbar. Wenn Luft an eine Wunde kommt, so zehrt die Luft daran, und die Pfl ege hat keinen anderen Sinn, als sie vor der Luft zu bewahren. Die Luft will alles zu der Gestaltlosigkeit verwandeln. Wenn Fleisch mit Wachs übergossen wird, Eier in Öl gelegt werden etc., so bleiben sie ganz unverwest. Ebenso vergeht die Elektrizität an der Luft. Sie verliert ihre Spannung. Sie ist also diese geheime verdachtslose Macht, welche alles Individuelle zu Gestaltlosem bringen will. Diese ist insofern also die Negativität. Man muß sich nicht denken, daß beim Geruch viele Partikelchen herauffliegen, sondern sie ist mutiert. Dieses feine Verteilen ist die Vorstellung, zu welcher die Atomistiker immer ihre Zufl ucht neh-men. Es ist bloß aus der Hypothese gesprochen. Es ist die schlechte Metaphysik des Verstandes. Die Luft reduziert den Körper zur voll-kommenen Unbestimmtheit, die sie selbst ist. Die Bestimmtheiten, welche sie aufnimmt, sind ebenso in der Luft auf eine ideelle Weise, nicht als Partikelchen, wie der Gedanke, der alles durchdringt, auch Bestimmungen | in sich hat. Wenn man infi zierte Luft chemisch untersucht, so kann der Chemiker darin weiter nichts fi nden. Alex-ander von Humboldt hat längst schon Versuche darüber gemacht. Er hat mit dem Eudiometer untersucht. Sie hat sich gezeigt wie andere Luft. Die Luft ist also dieses erste Element der negativen Allgemeinheit.

§ 227. Diese vier Elemente haben längst schon in der Vorstellung ihre Anerkanntheit gehabt. Es sind dies nicht die Elemente, aus denen jeder einzelne Körper bestehen soll. Das zweite Element ist das Feuer und das dritte das Wasser. Die Bestimmungen, insofern sie in der freien Gestalt sind, sind als Himmelskörper schon betrachtet.

Die Luft ist das Allgemeine, in sich ist sie schon das Feuer; aber damit sie als Feuer sei, muß sie sich für sich setzen als für sich seiend. Hier[ her] gehören die Erfi ndungen, durch Kompression Feuer zu

664 damit ] daß

635

640

645

650

*

660

665

70 Die Physik 125 –127

machen. Sie wird durch Kompression zum Fürsichsein gebracht – innerhalb ihrer selbst gesetzt. Dann tritt sie als Feuer auf. Das Feuer ist einerseits allerdings das Licht, aber in der Differenz gesetzt in Beziehung auf Individualität. Das Licht, diese Einheit als Dialektik, ist Feuer. Die Wärme macht die andere Seite. |

Die Wärme, wie wir später sehen, ist das Kohärente, das in sich Unterschiedene. Der Übergang des Unterschiedenen in die Einheit wird das Feuer. Die Sonne bringt diese Einheit hervor. Es heißt in § [227]: das Feuer ist die Zeit nur materialisiert. Es ist der abstrakte Prozeß überhaupt. Das Feuer ist also das Verzehrende. Insofern es nichts zu verzehren hat, so verzehrt es sich selbst. Ist dies aufgezehrt, so ist es selbst verzehrt. Es ist das negativ setzende Selbst, aber des-wegen tut es nicht für sich selbst. Es hat Bedingungen. Im realen Prozeß zeigt es sich immer als diese eigenen Gestaltungen, das Ne-gative zu setzen und die Unterschiede selbst zu haben. Das Feuer hat nur zwei zu verzehren, es erzeugt entweder ein Verbranntes oder Neutrales. Das Licht ist die Feier dieser Einheit. Die Wärme ist überhaupt die erscheinende Auflösung der Kohäsion. Das Ani-malische hat deswegen das Feuer in sich, weil es selbst der lebendige Prozeß ist, der Prozeß, der für sich besteht – das Unmittelbare, das zu Totem Übergehende, begeistigt. Es braucht keine äußere Ur-sache. Das Feuer ist das schlechthin Tätige, die verzehrte Tätigkeit ist das Tote. Es hat in sich selbst nicht das Feuer. Es ist das Kalte überhaupt.

Aus allem | Verbrennungsprozeß schlägt sich Wasser nieder. Das Wasser kann das passive Konkrete genannt werden. Das Passive ist die Reduktion des Unterschiedslosen zu seiner Abstufung. Das Konkrete enthält die Seite des Gegensatzes, aber nicht die negative, für sich seiende Einheit. Diese gehört dem Feuer an. Um seiner konkreten Bestimmung willen ist es materieller. Das Feuer ist das absolut Leichte. Das Wasser ist das Schwere; eben weil es materiell ist, so tritt an ihm die Attraktion hervor. Indem das Wasser das Neutrale ist, so ist es ohne Kohäsion in sich; es hat keine bestimmte Richtung in sich als die Richtung der Schwere. Das ist die mecha-nische Neutralität oder diese kohäsionslose Indifferenz. Dies macht

681 es … entweder ] entweder es erzeugt

670

675

680

685

690

695

700

127–129 Physik der allgemeinen Individualität 71

seine Flüssigkeit, weil es seine Gestalt nur von außen und von der Schwere erhält. Das Wasser ist durchgängig das Gleichgültige. Der Tropfen ist sowohl von seinem anderen getragen als er [auch] das andere tragen hilft. Die Flüssigkeit ist also die wesentliche Gestalt des Wassers. Die mittlere Temperatur bestimmt den habituellen Zustand desselben; als Neutrales ist es ebenso fähig, seine Gestal-ten zu verändern. Der Tropfen, die Kugel, das Gestaltlose, welches nach allen Richtungen gleich determiniert ist. Es kann auch als das Neutrale | übergehen in die Starrheit und in die Luftform. Sie kann die Form einer selbstlosen Expansion annehmen und auf der anderen Seite der Starre. Das Wasser ist von alten Zeiten als Mutter von allem angesehen worden. Als das Neutrale ist es die Möglichkeit des Gegensatzes. Es selbst ist formlos, aber eben deswegen schließt es alle Formen in sich. Das Wasser ist das chemisch Indifferente, ebenso gut auch das chemisch Differente.

Die Totalität ist von beiden, Wasser und Feuer, zusammengesetzt. Diese Totalität überhaupt ist, wie es § 229 heißt, die noch unbe-stimmte Erdigkeit. Daß seine Individualität gesetzt sei, dies andere ein Dasein an ihr habe, geschieht erst durch einen Prozeß. Was Begriff ist, muß Dasein haben; damit es Dasein habe, muß es gesetzt werden. Das Setzen des Begriffs in seinen gedrängten Unterschie-den sind teils die Elemente; und diese sind bestimmt, den Prozeß auszumachen, und dieser Prozeß ist das Setzen dessen, was die Erde ist. Was enthalten ist in unserem Begriff als Dialektik, muß auch wirklich vorhanden sein. Dieser Prozeß ist der Prozeß der Erde. Er zeigt sich als Gebärendes, Fruchtbares. Die Bestimmung der Ele-mente ist dieses: nicht für sich zu sein. Denn im Begriff ist nichts, was nicht in der Natur ist, | und in der Natur nichts, was nicht im Begriff ist. Das gegenseitige Spannen dieser Elemente ist das leben-dige Leben der Erde. Die Erde ist wesentlich dieser Prozeß.

720 damit ] daß727 Denn ] Sondern

705

710

715

720

725

730

72 Die Physik 129 –131

[c. Der elementarische Prozeß]

Das Meteorologische des Prozesses ist auch nur dem Planeten eigen, der Mond enthält bloß formelle Prozesse. Der erste Prozeß war also Bewegung, sein Begriff war die Zeit. Der Prozeß der Bewe-gung materialisiert ist das Leben der Erde, überhaupt in dieser ist die Dialektik, welche die Erde selbst ist. Die Erde ist ebenso gut das beständige Resultat des Prozesses, als sie die Grundlage ist. Der Anfang ist das Ende und das Ende ist der Anfang. Damit Gegensätze seien, muß vorher die Einheit des jetzt Geschiedenen vorhanden sein. Damit sowohl ein Scheiden sei als ein Zusammenhalten des Geschiedenen, dazu muß vorher ihre Totalität sein. Die Erde, dieser lebendige Prozeß, ist Beziehung auf sich selbst; er sieht sich aus sich selbst an und bringt die Geschiedenen wieder zur Einheit. Der or-ganische Körper geht nicht über in ein anderes, sondern er ist sich selbst Zweck | und kehrt zu sich selbst zurück. Dieser Prozeß ist der, welcher der meteorologische genannt ist. In diesem Prozeß muß ein Unterschied zwischen Betrachtung des endlichen und unendlichen Prozesses gemacht werden. Der unendliche Prozeß facht sich selbst an. Die Stoffe verhalten sich zueinander als äußerlich, aber daß sie sich als äußerlich verhalten, ist nicht ihr wahrhaftes Verhältnis. Ihre Selbständigkeit, in der sie erscheinen, ist nicht ihre Wahrheit. Im endlichen Prozeß erscheinen alle die Elemente als das Wahrhafte, deswegen muß man auch nicht die Bestimmung des unendlichen Prozesses übertragen wollen in den endlichen. Man kann sein Pro-dukt nicht in Retorten nachmachen. Insofern diese oder jene Erde zu diesem oder jenem Wasser zugesetzt wird. Hier (im chemischen Prozeß) kommt die Tätigkeit äußerlich hinzu, und sie verhalten sich hier gegenseitig. Hingegen beim lebendigen Prozeß ist die Tätigkeit ihre Seele. Aber ihre Substantialität ist nun nur ihre Idealität, hier sind sie also nur ideelle. Im physikalischen Prozeß hat man sich nicht hintanzuhalten, daß die Elemente sich in der Tat verändern. |

Ebenso im organischen Körper. Ein großes organisches Indivi-duum ist die Erde, wie ein Organismus. Es ist hier ein Verwandeln

738 Damit ] Daß740 Damit ] Daß

735

740

745

750

755

760

131–133 Physik der allgemeinen Individualität 73

des Blutes in alle Teile, in Knochen, Sehnen etc. Indem diese Mo-mente wesentliche Momente sind, ebenso fällt aller Aberglaube an die Stoffe hinweg. Zum Beispiel: Im Kristall wird das Wasser fl üssig, wenn man ihn auflöst, aber im Kristall ist durchaus nichts Feuchtes zu fi nden. Das Wasser ist verwandelt. Wenn eine Kohle völlig durch-geglüht ist, so fi ndet sich unmittelbar in der Kohle wieder Wasser. Man könnte sagen, Metalle seien etwas Individuelles; im Verhältnis zu Schwefel sind sie individuell. Sie heben in dem Prozeß ihre For-men gegeneinander auf. Was sie verändern, ist nur ihre Form. Im Kristall verschwindet das Wasser, man sagt dann, das Wasser wird gebunden. Die Wärme ist gebunden, d. h. man empfi ndet sie nicht. Nun sagt man aber, sie hat sich nur versteckt. Latentwerden ist das Hervortreten. Was aber nicht da ist, das ist nicht (im Physikalischen). Dies ist bei dem Sinnlichen nötig, daß, was ist, da sein muß. So hat man auch gesagt, das Wasser sei aufge lös t in der Luft. So kann wie Wasser mit Salz die Luft mit Wasser gesättigt werden. Aber das Wasser ist das Element der Neutralität, was schlechthin bestimmbar ist und was das Bestimmte in sich enthält und erhält. Die Luft wird auch spezifi ziert, es ist der Geruch, welcher sie spezifi ziert; aber sie erhält diese Spezifi kation nicht, sie verfl üchtigt sich. Die Luft löst | nicht in dem Sinn auf wie Salz und Wasser. Wenn Wasser in der Luft aufgelöst wird, so wird sie, [meint man], spezifi sch schwe-rer werden, aber es zeigt sich das Gegenteil. Die trockene Luft ist schwerer, die feuchte Luft ist leichter. Enthielte die Luft das Wasser aufgelöst, so müßte die Luft spezifi sch schwerer sein als die trockene Luft. [ In den] §§ 231 und 232 ist das Nähere enthalten.

§ 231. Der erste Prozeß ist das Setzen des Unterschiedes, Span-nung. Das Setzen von Extremen kommt nun zuerst vor im Leben, hierauf werden sie in die Einheit zurückgeführt. Diese Einheit ist das Indifferente, das Gleichgültige, aber das Unmittelbare. So ist [im] § 231 gesagt, daß der Prozeß der Erde etc. (confer). Das Licht, die Sonne [ist] dieses abstrakte Denken, die Erde als die Totalität überhaupt, welche den Gegensatz in ihm enthält. Die Erde ist auch das Aufgeschlossene, das Unmittelbare, das alles in sich enthält. Ihre Einheit ist dann der Gegensatz der [ Einfachheit], und dieser ist dann

771 zu ] auf

765

770

775

780

785

790

795

74 Die Physik 133 –134

das Licht, und dies macht das kosmische Verhältnis der Erde über-haupt aus. Die Erde ist gleichsam die Neutralität des Ganzen. Sie hat als solche ihre Gegensätze außer sich. Dieser Gegensatz ist das Licht . Dies ist das Entzündende. Es verwandelt das Neutrale in die Form der Identität, d. h. jedes der Unterschiedenen wird isoliert. So kann es die Einheit dirimieren. Das Verhältnis der Einheit ist, dem Mannigfaltigen sein Bestehen zu geben als einem Unterschiedenen. Es hat nur ein solches | Bestehen, indem sich jeder auf sich selbst be-zieht. Das Analysieren besteht darin, jedes Einzelne herauszuheben. Das Licht ist insofern dieses Anfachen des Gegensatzes.

Dieses kosmische Verhältnis ist nun auf mannigfaltige Weise modi-fi ziert. Es gehört zu diesem Verhältnis die Stellung der Erde zur Sonne, ihre Bahn, die Neigung der Achse zu der Ebene ihrer Bahn, Unter schied des festen Landes, Berge, Ströme. Alles dies sind jene Verhältnisse. Allenthalben in allen Verhältnissen, indem sie Bewe-gungen sind, werden [sie] zunehmen und abnehmen, Quantität annehmen. Aber [an] den Unterschieden, welche hervorkommen, sind nicht nur Qualität, sondern auch Quantität hervorzuheben. Zum Beispiel mit dem Wasser: es wärmt, erhitzt immer mehr und mehr, nun fängt es an zu sieden. Dies ist ein Qualitätspunkt. So bei der Kälte: das Eis. Hier geht das quantitative Fortgehen nicht mehr weiter. Das Wasser mag noch so lang sieden, so wird es nicht weiter [erhitzt]. Man kann es freilich etwas über den Gefrierpunkt herunter treiben, aber im natürlichen Gang ist doch dieser Punkt der bestimmte. Mit der Erde gibt es auch so bestimmte qualitative Knoten: z. B. Ebbe und Flut – Sonnenfl ut und Mondfl ut. Solche Erscheinungen hängen von der Stellung des Mondes ab. Der Mond geht allenthalben | fort, in dieser Entfernung machen bestimmte Punkte qualitative Punkte. Es scheint uns, der rechte Winkel [sei] nur für uns erfunden, aber es sind diese auch qualitativ. So die Äquinoktialstürme. Diese Punkte machen qualitative Unterschiede aus, ohne selbst qualitativ zu sein. In der Bewegung gibt es also qualitative Knoten.

810 der Erde ] derselben815 annehmen ] zu nehmen

800

805

810

815

820

825

830

134 –136 Physik der allgemeinen Individualität 75

Das eine Moment ist also das Moment der Spannung, Erde und Luft: abstrakte Allgemeinheit gegen die konkrete Einheit. Zu der Abstraktion des Spröden, des Punktuellen ist die Erde auch in Spannung gegen die Luft. Das Verhältnis als Verhältnis kann als elektrisches Verhältnis angesehen werden. Die Elektrizität ist nur die Erscheinung dieses Verhältnisses, wo diese Spannung auf ober-fl ächliche Weise sich äußert. Die Spannung überhaupt also ist nicht der reale Prozeß. Das Weitere ist dann, daß die Erde sich diesem nicht bloß als Abstraktem gegenüber setzt, sondern, daß sie ihren Gegensatz verkörpert. Durch die Luft ist zugleich die Rückkehr aus der Spannung gesetzt. Das Vermittelnde ist etwas, was die spe-zifi sche Physik zu betrachten hat (cf. Anmerkung [zu] § 232). Es ist hier gesetzt, daß damit die Physik auch nicht weit gekommen ist. Damit, daß man sagt, daß der Blitz dasselbe sei wie die Elektrizität, ist nichts aufgelöst. |

Der Gegensatz der Erde und der Wolke ist ein Gegensatz der Starrheit und des Kometarischen. Die anderen sind nur unvollkom-menes Gewitter. Man stellt sich, wie gesagt, das Wasser in der Luft als aufgelöst [vor]. Wie man aber auf andere Weise vorstellen will, daß das Wasser in der Luft ist, so hat jeder seine Schwierigkeiten. Im Sommer dunstet am meisten, gegen den Winter [am wenigsten] aus. Der Dampf sollte hinauf gehen, in den oberen Luftschichten fi ndet man selbst kein Wasser, weder chemisch noch sonst; man fi ndet nur Wasserstoffgas. Wo der Dampf hingekommen ist? Wenn sich die Wolkenbildung gestaltet, so zeigen doch alle Erfahrungen, daß sich das Wasser nicht droben fi ndet. Von all dem vielen Dampf fi ndet man in der oberen Luft nichts. Dies ist die Hauptschwierigkeit, wel-che diese Erfahrung hat. Man sieht das Wasser wohl hinaufsteigen, aber kein Wasser droben. Obschon oft monatelang die Hitze anhält, so fi ndet sich doch eben in der Luft nichts. Wenn man solche Luft einsperrt, so schlägt sich kein Wasser nieder. Man sagt, der Wind trage es fort. Der Wind überhaupt kommt von den Wolken her. Das Allgemeine ist die Spannung überhaupt, in dieser Spannung ist der Beginn der Rückkehr. In Ansehung der Wolkenbildung sind es vor-nehmlich die Gebirge, diese Kristalle, welche ein Hauptmoment in der Bildung der Wolken haben. Partiell kann das allerdings der Fall sein. Im Allgemeinen können die Gebirge angesehen werden als die

835

840

845

850

855

860

865

76 Die Physik 136 –137

sozusagen tätigen Kristalle, [in] welchen als Moment die Starrheit sich determiniert, in seiner Spannung zu seinem Gegensatz. Sie ma-chen sich das Wasser als das geforderte Moment. | Im bestimmten Gegensatze ist es das Starre, das sich gegenüber dem Neutralen setzt. Man sagt z. B., die Salze ziehen das Wasser aus der Luft an. Auch Kiesel ziehen Feuchtigkeit an und nicht sowohl, indem sie kälter sind und dadurch den Dampf zu wäßrigster Flüssigkeit determi-nieren. Das Wasser kommt gerade so bei der Kohle ebenso immer zum Vorschein. Hier ist es mechanischer Weise von sich entfernt, und es ist bloß das Wasser hier der geforderte Gegensatz. Wenn sich die Physik dagegen setzt, so ist, was sie aufstellt, dagegen eine bloße Theorie.

§ 232. Hier ist das andere Moment. Die Spannung kehrt zurück zur Einheit. Weder das Wasser wird zum Komet noch die Erde zum Monde. Es eint sich beides. Indem es zu seinem Fürsichsein kommt, wird es ein abstraktes Fürsichsein – ein Negatives seiner selbst, [das] für sich aus der Totalität hervortritt –, verzehrt es sich selbst, geht zu Grunde. Dieses sich selbst Entzündende ist das Gewitter. Es gibt sowohl Erdblitz als Wolkenblitz, der Gegensatz beider ist in der Spannung. Die Elektrizität ist hier auch mit im Spiel. Einerseits ist es das sich entzündende Wasser. An anderem Körper kommt die Elektrizität auch zum Vorschein, aber hier tritt die Elektrizität unter ganz anderen Bedingungen ein. Wasser ist das Tilgen der Elektrizität und in der Luft sind keine solchen Reizungen. |

Dies ist also die kometarische Selbständigkeit. Diese Selbständig-keit kann auch weiter gehen. Sie kann einen Kern bilden, einen irdischen Kern. Es ist das Gespannte und Stoff. Es ist die Bedingung vorhanden, daß das Irdische auch so entstehen kann, und so sehen wir Atmosphärilien, die mit einer Explosion zur Erde fallen. Es sind in vielen Arten solche Sachen gefallen. Man hat das für Fabel gehal-ten, bis vor 20 Jahren der Glaube den Leuten auf den Kopf gefallen ist. Man hat gemeint, es käme aus dem Mond her, und meinte, auf der Chaussee seien Teile von den Hufeisen aufgefl ogen und hätten sich konglomeriert. Die Atmosphärilien können als unreife Monde

894 Sie ] Es901 hätten ] haben

870

875

880

885

890

895

900

*

137–139 Physik der allgemeinen Individualität 77

angesehen werden – daß sich das Neutrale durch Feuer verdichtet zum Irdischen gemacht hat. Daß dies vorzüglich Eisen ist, dies geht uns hier nichts an. Man hat größere und kleinere gefunden. Größere Eisenmassen sind gefunden worden. Bei den Eskimos fand man jüngst Eisenwerkzeuge. Das muß auch von solchen Eisen herkom-men. Es sind auch die Vulkane, welche hierher gerechnet werden können (diese Starrheit), welche einem solchen Prozeß angehören. Bei den Erdbeben zeigt [sich] die außer ordent liche Erfüllung, die sie haben. Vulkane in Europa und in Amerika entstehen mitein-ander etc. Ebenso ist es mit Gewittern | verbunden. Auch die Vor-empfi ndungen der Tiere deuten darauf. Stiere stemmen sich gegen die Erde, Vögel zittern. Es ist also offen bar ein Prozeß von großer innerlicher Allgemeinheit.

Das Nähere, besondere Modifi kation, Lokalitäten, gehört nicht hierher (In Ägypten regnet es oft mehrere Tage nicht. In Chile alle Tage – gegen drei Uhr stellt sich nur das fürchterlichste Ge-witter ein). Das Wesentliche ist, daß dieses Moment notwendig ist, im Begriff begründet. Für die Reduktion zur Einheit reichen die Formen nicht hin, welche dem äußerlichen, endlichen Stoff unterworfen sind. Das allgemeine Leben der Natur hat eine Idee zur Grundlage. Die endlichen Prozesse sind gegeneinander nicht äußerlich, wohl aber den anderen. Diese verhalten sich bei ihrem Zu sam men treffen auch selbständig. Dieser Prozeß macht die Erde überhaupt fruchtbar.

[B. Physik der besonderen Individualität ]

Die Erde hat als das Konkrete nur Individualität als die Einheit der Unterschiede. Diese Individualität nun als das Band, als die existierende Verknüpfung dieser Unterschiede, ist, was nicht mehr auseinander ist. Die Unterschiede nun in dieser Einheit sind es, wie sie nun hervortreten können, und die reale bestimmte Kör-perlichkeit ist nichts anderes als, daß die [Unterschiede] zu der Einheit rekonstruiert werden in der Herrschaft dieser Einheit. Die individuelle Körperlichkeit ist ein Relatives überhaupt, sonst ein Verhältnis in sich. In dem Sonnensystem | ist diese Bestimmtheit

905

910

915

920

925

930

935

78 Die Physik 139 –141

Verhältnis. Dieses Verhältnis, Bestimmtheit ist weiter formelles Ver-hältnis überhaupt: daß also die Körperlichkeit in sich ist, aber in dieser Refl exion zugleich Refl exion in anderes ist. Bezogen auf anderes, aber so, daß diese Beziehung wesentlich Refl exion in sich ist. Das Bestimmtheitsverhältnis zu sein ist sein eigenes Immanen-tes. Die Natur zeigt es nur und gibt ihr Dasein nur im Verhältnis zueinander. Der Qualität nach ist zuerst gleichgültige Bestimmtheit. Licht – Starrheit – Neutralität erscheint als Verhältnis jedes für sich in seinem Dasein. Hingegen [gilt], wie jetzt die Eigenschaft bestimmt ist: daß sie zu ihrem Erscheinen eines anderen bedarf, in-dem sie Bedeutung des Relativen hat, der Relativität äußerlich ist. Die Vergleichung zweier Körper ist relativ. Es ist ganz äußerliche Relativität. Dies ist nun also die Bestimmtheit der Verhältnisse, daß dies, Verhältnis zu sein, die immanente Bestimmtheit des Körpers ausmacht. Aber so, daß diese nur die erscheinende Individualität ist oder die Endlichkeit überhaupt. Erscheinung heißt dies, daß etwas für sich ist. Um für sich zu sein bedarf es eines anderen. Es ist also der Erscheinung immanentes Verhältnis. Das Verhältnis in seiner Totalität hat alle seine Seiten in sich selbst. Alle diese Seiten machen eine Individualität aus. Der Körper in der totalen Individualität ist überhaupt seine Gestalt.

In dem Grundriß §§ 234 und 235 ist der Übergang gemacht zu der Gestalt. Jede Individualität | ist in ihrer Erscheinung, daß die Momente untergeordnet sind und gelegentlich als Momente ange-führt sind bei dem Übergang.

Momente: Das erste war der Prozeß der Individualisierung über-haupt. Das zweite ist die Individualität, [das] dritte ist das für sich seiende, zurückgekehrte Verhältnis.

Die Individualität ist zuerst Erscheinung als unmittelbar, denn das Verhältnis ist dies: das Unmittelbare zu sein. Dies macht die Sphäre der Erscheinung der Individualität aus oder die Sphäre der Endlich-keit des Körpers. Das Endliche ist erscheinend. Das Erscheinende ist endlich, sich auf sich nur beziehend, als [auf] etwas, [das] außer sich ist. Dies ist hier verknüpft, aber beides noch getrennt. Dies ist also die unmittelbare Individualität. Aber weil es unmittelbar ist, so

951 ausmacht ] auszumachen

940

945

950

955

960

965

970

141–142 Physik der besonderen Individualität 79

fallen die Unterschiede auseinander. Das totale Individuum, wie es als Gestaltung ist in seinem Prozeß, ist in der Beziehung nur auf sich. Die wahrhafte Individualität ist erst ein Subjekt (§ 235).

Magnetismus ist das strenge Prinzip der Gestalt, hier sind Unter-schiede. Bei jedem Kristall gehören der Winkel und Flächen einem Ganzen an. Das Organ ist das Höhere dieser Individualität. Die so entwickelte Gestalt im Organischen ist das Subjekt, daß das ande-re | dem Eins, welches Seiendes heißt, gegenübersteht. Hier haben wir nur die unmittelbare Individualität. Das erste in dieser Erschei-nung ist nun das, was wir Dichtigkeit heißen, spezifi sche Schwere. Das ist ein Verhältnis, einfache Bestimmtheit, aber sie ist wesentlich nur als Verhältnis. Das zweite ist das entwickelte Verhältnis, daß etwas äußerlich sich zum anderen verhält und darin beharrt – Ela-stizität überhaupt. Diese Bestimmtheit zeigt den Körper nur im Verhältnis zum anderen. Indem der Körper Gewalt leidet, zeigt er dadurch sein Fürsichsein. Das dritte ist die reale Elastizität, Verhält-nis von zwei Unterschieden. Daß die beiden Seiten des Verhältnisses sich ein Reales sind. Das erste ist also, daß die Individualität zunächst nur die abstrakte Seite hat, ein Verhältnis, ein einfaches Verhältnis (cf. § 235).

[a. Die spezifi sche Schwere]

§ 236. Die spezifi sche Schwere heißt Verhältnis des Gewichts zu dem Volumen. Bei demselben Raum, z. B. ein Kubikzoll, ist Gold 19mal spezifi sch schwerer als das Wasser. Es ist Verhältnis von Ge-wicht zum Volumen. Wir kommen also hier wieder zum Raum zurück, wir haben den Raum zum Moment und [dies] deswegen, da das materielle Verhältnis ist. |

Das erste ist das einfache Verhältnis, noch kein reales Verhältnis. Es ist nur vorhanden, daß das Materielle als das Besondere sich ver-hält zu seiner Allgemeinheit, und diese Allgemeinheit ist der Raum. Reale Negativität (Zeit) ist noch nicht vorhanden. Es kommt erst später. Es ist ein Verhältnis in sich selbst. Seine Besonderheit ist nichts als ein Quantum schwerer Materie, und diese schwere

994 ist Gold ] Gold ist

975

980

985

990

995

5

80 Die Physik 142 –144

Materie in ihrer Abstraktion ist der Raum. Dies ist das, was als Dichtigkeit erscheint. Deswegen tritt die Dichtigkeit als das erste Moment hervor. Indem wir von einer volkstümlichen Individua-lität sprechen, so unterscheiden wir auch Gattung und Art, aber damit ist Gattung Konkretes. Aber dieses Individuelle hier ist zuerst eine Allgemeinheit. Das Verhältnis ist dann kein anderes als das Angegebene. Es ist die Besonderung der Schwere an ihr selbst – als Verhältnis. Die Schwere erleidet also hier Veränderungen. Daß die Schwere identisch ist mit dem Raum und diesem sein Allgemeines, Ideelles entgegentritt und die Form hervortritt, dies ist die Dichtig-keit überhaupt. |

In der Anmerkung [zu § 236] ist von dem Atomistischen die Rede. Die Dichtigkeit besteht darin: Die Moleküle sind alle gleich schwer. In demselben Volumen sind bald mehr, bald weniger sol-che Teile. In dem Gold sind also 19mal mehr materielle Teile als in dem Wasser. Diese Teile werden [als] gleich groß angenommen und gleich schwer. Wenn in demselben Volumen eine große Menge ist, so entsteht die Folge, daß leere Zwischenräume sind. Eine weniger dichte Materie, sagt man, enthält Poren. Dies ist aber nichts als eine Erdichtung des Verstandes, der bloß bei der abstrakten Identität stehen bleibt, d. h. die Materie bekommt keine Selbständigkeit gegen den Raum, und wo die Materie nicht ist, da ist ein leerer Raum. Es ist also die Spezifi kation der Materie geleugnet. Der Materie All-gemeinheit ist der Raum. Es ist bloß Mangel an Druckentwicklung der Materie. Die Materie ist ein Besonderes gegen den Raum, sie erfüllt den Raum nicht auf gleiche Weise. Zu neuer Zeit ist viel von dynamischer Physik die Rede gewesen. In der atomistischen Ansicht ist der Fall, daß bloß von der großen oder geringen Menge die Rede [ist], die in einem Raum sich befi ndet. | Hier ist der Unter-schied bloß in einem Mehr oder Weniger. Kant hat diese Bestim-mung verwandelt in das Intensive und sagt, es sind nicht mehr Teile, sondern es ist hier ein Unterschied des Grades. Es ist eben dieser Unterschied, daß das Extensive gesetzt wird durch Vielheit. Das In-tensive ist auch eine Vielheit, ist aber etwas Intensives. Die 20 ° der Wärme ist nicht eine Vielheit, sondern nur Eines. Das Dynamische hat diese Bedeutung, daß an die Stelle des extensiven Quantums das Intensive gesetzt ist.

10

15

20

25

30

35

40

*

45

144 –146 Physik der besonderen Individualität 81

Man hat die spezifi sche Schwere auch mit der attraktiven Kraft in Verbindung setzen wollen; so auch Schelling. Es scheint das Phi-losophische gefaßt zu sein als auch die gewöhnliche Bestimmung. Diese Kräfte scheinen zuerst als Gedankenbestimmung [zu existie-ren]. Allein die Physik hat hier besser getan als diese philosophische Be stimmung. Wenn man verschiedene Dichtigkeit der Körper [an nimmt], so bezieht sich das auf den Vergleich mehrerer Körper zu einander. Aber in der Bestimmung der Dichtigkeit ist dabei auch gar nicht die Rede von den verschiedenen Dichtigkeiten. Diese Täuschung kommt sonst auch häufi g vor, als ob das, was die Unter-schiede [sind ], ein Verhältnis in sich selbst wäre, welches nicht der Vergleichung angehört. Nehmen wir das für sich selbst, so hat | es eigentlich keinen Sinn mehr. Hier haben Attraktion etc. keinen Sinn mehr, und es ist das schwerste, zu erkennen, wo eine Bestimmung keine Bedeutung mehr hat. Man braucht nur diesen Ausdruck zu nehmen, so kommt man sogleich in Verwirrung, denn es müßte na-türlich einen Körper geben, welcher keine Dichtigkeit hätte, wo das Weniger und Mehr sich aufhebe. Man sieht gleich, daß man diese Bestimmung umkehren [kann]. Indem ein Körper weniger Raum nimmt, so ist die repulsive Kraft geringer. Es bedürfte also auf der anderen Seite einer geringen attraktiven Kraft und so umgekehrt. Mit diesen Spielen von positiven und negativen Faktoren hat man eine Zeitlang diese Unterschiede zu fassen gesucht. Gerade ihre Einheit ist das, woraus die Dichtigkeit bestimmt wird. Es ist dann ein Unterschied dieser Koeffi zienten, so der Unterschied dieser Momente gegeneinander. Wenn man zwei Menschen miteinander vergleicht, einen, der eine große Intensität der Befriedigung hat, und z. B. einen glücklichen Bauern. Ihr Glück ist eine Harmonie ihres Begriffs von ihrem Zustand und [mit] ihrem Zustand. Diese ist bei beiden, und die Ungleichheit fällt in etwas ganz anderes. |

Das zweite ist, daß dieses Verhältnis sich realisiere, daß Körperliches zum Körperlichen sich verhalte, Materielles zum Materiellen. Beide Seiten, die sich zueinander verhalten, [sind so], daß beide selbst ma-teriell sind. Näher bestimmt sich das so: es ist ein Verhältnis. Verhält-

47 mit ] von66 ist ] wäre

*

50

*

55

60

65

70

75

80

82 Die Physik 146 –148

nis heißt eben dieser Widerspruch, daß jedes Dasein Widerspruch ist. Beide sind positiv gesetzt. Nach dem ersten Moment ihrer Selb-ständigkeit hat sie ihre Bestimmung in ihr, in Beziehung auf anderes hat sie ihre Bestimmung zu anderem. Das dritte ist die Negation dieser ihrer Negation. Diese ist darin erst die bewahrheitete, gesetzte Selbständigkeit, und dies ist dann das reale Bestehen der Materie. Die abstrakte Selbständigkeit nun, daß ein Körper Selbständigkeit gegen ein anderes ist, ist dies, daß ein Körper dem anderen Widerstand leistet. Er läßt sich nicht negieren. Dies ist, was wir Här te nennen, daß er nicht nachgibt, sich nicht zusammendrücken läßt. Dieser Kör-per, der hart ist, ist insofern ein abstrakter Körper; und in der Physik sagt man, wenn man die Körper in Hinsicht auf Stoß etc. betrachtet, so betrachtet man sie nicht nur in Hinsicht ihrer Schwere. Man sagt dann, daß es keinen absolut harten Körper gebe; dies wäre etwas Unvollkommenes, indem das eine | Moment fehlt. Kann ein Körper in einen kleinen Raum zusammengedrückt werden, so nennt man das die Weichheit. Darauf beruht auch das Härten des Stahls.

Das andere ist die Ausdehnung – wie Gummi, Elastizität. Das Wasser ist spezifi sch dichter als das Eis. Beim Metall ebenso. Das wahrhafte Verhältnis, die Identität ist die Elastizität, d. h. ein Auf-heben des Raumes durch Veränderung der Dichtigkeit und dann Wiederherstellung – Oszillation der Dichtigkeit. Die Bewegung tritt also hier ein. Es ist einerseits weich und [andererseits] hart. Das dritte, das wahrhafte Verhältnis ist eben die Kohäs ion, d. h. ein materielles Zusammenhalten, so daß dieses Zusammenhalten ein Spezifi sches ist. Dies ist das, was Kohäsion überhaupt heißt: ein Ver hältnis zu sich, die Intensität – der spezifi sche Zusammenhang (Insich sein) gegen das Gewicht. Dies ist das wahrhaft reale Verhältnis. Kohäsion ist also insofern eine Kraft überhaupt, ein in sich Refl ek-tiertes, welches sich äußert, nicht bloß ausschließt von sich, sondern [sich] auf eine positive Weise äußert, also ein Sein in einem anderen, aber [in der Weise], dies andere seiner in sich zu haben und darin sich auf eine eigentümliche Weise zu zeigen. | Dies kann die reale Elastizität heißen. Verhalten zu einem Gewicht überhaupt. Dieses in sich zu bekommen, als sein Gewicht und sich darin gegen das

100 die1 ] ihre

85

90

95

100

105

110

115

148 –150 Physik der besonderen Individualität 83

Äußerliche eigentümlich zu zeigen. Das wahrhaft reale Verhältnis hat wieder nähere Formen: Die Kohäsion, d. h. [die Kraft], die ein gewisses Gewicht tragen kann. So empfi ndet sich gewissermaßen dieses Gewicht, dieses andere in ihr und hält sich daran. Die Form oder das Verhältnis und der Unterschied in Ansehung der Kohä-sion sind Unterschiede von verschiedenen Körpern zueinander. Die Unterschiede kommen von verschiedenen Kohäsionen. Dies ist die Stärke. Daß sie ein gewisser Grad ist, ist nur ein Verhältnis zu ande-rem. Das zweite ist, daß diese Form sich materialisiert, daß sie sich spezifi ziert. Dies ist die Festigkeit, diese Kohäsion, welche sich ge-staltet. Das ist also dies, daß sie den Körper zeigt als Punkt oder Linie oder Fläche. Daß er spröde ist, ist die Punktualität. Die Linearität ist die Zähigkeit, die Fläche, das ist die Hämmerbarkeit, Streckbarkeit. 3. Diese Formen sind für sich Totalität, die als Zeit dann hervortritt. In Beziehung auf den Raum als Bewegung, als ideelles Verhältnis rein hervortretend auf besondere Weise, ist sie der Klang. | Das dritte ist dann die reine Bewegung – als rein immateriell, also rein innerlich, ein geistiges Dasein, welches der Klang ist.

[ b. Kohäsion]

Das erste ist die Kohäsion, i. e. spezifi sche Stärke des Zusammen-haltens, die hiermit einen spezifi schen Widerstand leistet. Es ist etwas anderes als die spezifi sche Schwere oder Dichtigkeit. Diese Kohäsion ist, sich auf eine eigentümliche Weise zu verhalten – reale Kontinuität. Die Dichtigkeit ist Besonderung der Schwere, aber sie bleibt in der Schwere, ist in der Schwere – ein Verhältnis zum Raum. Die Festigkeit ist dann dies: der Gewalt auf eine bestimmte Weise zu widerstehen. Es ist ein reales Verhältnis seiner in sich selbst, in sich bestimmtes Verhältnis. Das erste Verhältnis ist die eigentliche sogenannte Kohäsion – in ihrer ersten einfachen Form. Es ist dies

122 kommen ] haben125 welche ] daß sie131 ist sie ] das ist144 ihrer ] seiner

120

125

130

135

140

84 Die Physik 150 –151

eine Eigentümlichkeit in der Schwere und gegen die Schwere. Die Kohäsion ist die Festigkeit eines Körpers in seinem Zusammenhalt gegen ein Gewicht, gegen das Schwersein. Es ist das die Form, die dem Schwersein entgegen ist. Daß er in der Schwere sich zu sich selbst verhält, dies ist der Beweis gegen die Schwere. Ist die Schwere zu groß, so zerreißt sie. Wenn eine Stange Gold z. B. zu schwer ist, angehängt, so überwiegt die Schwere. Zerreißt sie nicht, so sieht man, | daß sie ihre Schwere überwindet. Zum Beispiel ein Stab Gold trägt 16 Pfund, Eisen 60 Pfund. Es sind diese Körper also eine Kraft. Dies ist die Kohäsion überhaupt, dies ist die erste Form dieser Kohäsion; es ist dies eine Kraft nach einer Dimension. Genau kann darüber eine Angabe nicht stattfi nden. Man nimmt das Zerreißen als Grenze. Ein Körper kann sich ausdehnen, daher haben sie also den vorigen Durchmesser nicht mehr, und die vergleichende Dicke ist nicht mehr da.

Hierher gehört auch, was Adhäs ion genannt wird, sowohl von festen Körpern als [auch von] flüssigen, so auch [von] festen im Ver-hältnis zu flüssigen. Körper, welche gut geschliffen sind, zeigen eine Adhäsion; kommt noch Wasser dazu, so ist diese Adhäsion sehr stark. Es findet sich, daß ein Tropfen Quecksilber auf Gold, Silber etc. zer-fl ießt, auf Eisen zerfl ießt er nicht. Dieses Insichsein ist einfach. Seine Bestimmtheit ist quantitativer Art, die aber nicht ein so Einfaches ist. Es kommt auf die Form, Dicke, Gefüge etc. an. Das Insichsein ist das erste einfache Insichsein und ist ein einfaches Verhältnis zu etwas Realem gegen das Gewicht. Die Bestimmtheit ist ein Grund, und der Unterschied ist kein realer Unterschied. Die Form ist wesentlich unterschieden in sich selbst. Das ist die zweite Weise der Kohäsion, daß diese Kraf t | sich an ihr selbst spezifi ziert oder daß diese Festig-keit sich ges ta l te t . Es ist als die sich ges ta l tende Fes t igkei t . Diese sich gestaltende Festigkeit ist auch wieder nur Verhältnis. Daß sie sich äußert, dazu muß sollizitiert werden. Das zweite ist noch nicht die freie, selbständige Gestalt für sich. Indem das also die sich entwickelnde Form des Insichseins ist, so muß die Form notwendig eine differente, aufeinander wirkende Gewalt sein. Die erste Ko-häsion ist die Kohäsion nach einer Linie, die zweite nach einem Winkel. Insofern hier die Gewalt nicht in einer gleichen Linie ist, so wirkt diese Gewalt in einem Winkel auf die Linie. Diese Wirkung

145

150

155

160

165

170

175

180

151–153 Physik der besonderen Individualität 85

ist, was sich durch Brechen oder Stoßen äußert, die Wirkung eines Stoßes, Schlagens, Brechens. Die Wirkung des Äußerlichen auf seine Richtung ist unendlich stärker als die erste. Es ist also das Äußere des Verhältnisses, das Innere ist ein Bestimmtes, Unterschiedenes. Es ist selbst ein Entwickeltes, ein in sich Unterschiedenes. Diese Unter-schiede stellt es so dar, daß dieses Spezifi sche, indem es nachgibt, eine eigentümliche Begrenzung, eine Spezifi kation zeigt. Das zweite also ist, daß es auf eine bestimmte Weise gegen das Gewicht an sich hält, und das | ist ein An-sich-Halten des Ideellen.

Die näheren Formen sind diese. Die Körper sind fürs erste so, daß der Körper sich zeigt, entweder die Form des Punktes zu wählen oder der Linie oder [der] Fläche. Der erste, der auf eine Punktualität geht, ist der spröde Körper – er springt. Er ist dem Gewicht unter-worfen. In diesem Aufheben seines realen Zusammenhangs ist nur seine Raumbestimmung. Spröder Körper hat also keine Zähigkeit. Zähigkeit ist das Verhalten nach der Linie. Das erste ist also der leicht zerspringbare Körper, das ist vorzüglich der verbrennliche Körper. Glas, (Verbranntes), Schwefel, Stahl, dies alles ist spröd, ist durch das Prinzip des Feuers spröde. Es zeigt sich auch als ein nichtleitender Körper, weil die einzelnen Punkte für sich sind. Punktualität ist die Weise seines Zusammenhangs. Das Metall ist ein elektrischer Leiter. Wenn ein Punkt elektrisch [ist], so ist dies dann auch überall. Die zweite Form ist die Form der Linie, die Zähigkeit – biegsam, streck-bar. Das Eisen ist so zäher, es hat die Linie zum Prinzip, zur Weise seiner Kohäsion. Deswegen tut am Eisen der Magnetismus | sich sehr hervor. Gußeisen ist nicht zäh und macht sich kenntlich durch fein-körnigen Bruch. Die dritte Form ist die Richtung auf die Fläche. Das ist die Hämmerbarkeit. Was keine solche bestimmte Richtung in sich hat, ist das Weiche überhaupt, das sich nach allen Richtungen preisgibt. So das Gold – deswegen die unendliche Dehnbarkeit. Es hat keine Determination. Das ist die sich formierende Kohäsion, in-dem sein Zusammenhang negativ gesetzt ist. Es muß dem Gewicht nachgeben. Der Zusammenhang ist also auflösbar, aber damit zeigt sich diese Form als eine selbständige.

192 zeigt, entweder ] entweder zeigt203 Wenn ein ] Wodurch sein

185

190

195

200

205

210

215

86 Die Physik 153 –155

Man hat nun Dichtigkeit und Kohäsion in Vergleich gebracht und glaubte, ein Verhältnis, ein Gesetz zu entdecken. Hierher gehört die Schellingsche Reihe. Aber es ist dabei der bestimmte Be griff der Ko-häsion zu Grunde gelegt. Kohäsion für sich hat eine quantitative Be-stimmung. Es ist ein gewisser Grund. Das ist etwas, was von sehr vie-len Umständen abhängt. Das Zerreißen gibt eine unreine Erfahrung, aber diese erste Kohäsion ist auch nur die erste Form, die eigentliche Kohäsion ist die qualitative Entwicklung. Das hat sich bei Schelling verwickelt. Schelling spricht von einem bestimmten Gesetz hier. Sie haben ein bestimmtes Verhältnis gegeneinander, aber das ist ein Verhältnis in Ansehung der quantitativen Bestimmung. | Die Größe des Spezifi schen sei: daß größer, je geringer das spezifi sche Gewicht. Schelling: Je größer das Moment der Differenz ist, de-sto mehr wird die spezifi sche Schwere überwunden, bis zu einem Punkte, wo der andere [Körper] siegt und beide zusammen sinken. Hernach hat Schelling versucht, aber später verläßt er diese Weise, die Kohäsion des Körpers zu fassen. Er führt Steffens [These] an, daß man die spezifi sche Schwere von Platin zu Gold, bis zu Eisen fallen sehe. Die aktive Kohäsion nehme zu. Es ist das wunderbare Metall, das sich in einem halben Dutzend Metallen abscheiden läßt. Es ist also ein Zusammengesetztes. Die aktive Kohäsion steigt etc. Das ist aber nicht ein reines Gesetz. Es bildet keinen Gegensatz. Die Begriffsbestimmung überhaupt ist darin nicht herrschend. In einigen Spuren zeigt sich große Schwere und geringe Kohäsion, und umgekehrt. Aber das macht noch nicht ein Gesetz im Ganzen aus. Kohäsion ist die Form des Verhältnisses. Das Auseinandertreten der Form ist ein stärkeres Herabfallen in das Gewicht. (So wird das Wasser Eis, flüssiges Wasser ist einfache Bestimmtheit. In dem Eis bekommt es Kohäsion, zwar sehr unvollkommen, doch immer [als] ein Kristall.) Kohäsion ist nicht alles diese Richtung, nach einer Richtung, sondern zur Kohäsion gehört auch etwas Bestimmtes, und Kohäsion ist in ihrer weiteren Entwicklung das Gestalten des Verhältnisses. |

231 Schelling ] er242 – 243 wird das Wasser ] das Wasser wird

*

220

225

230

*235

240

245

155 –156 Physik der besonderen Individualität 87

Wenn die spezifi sche Schwere im Verhältnis mit Kohäsion gesetzt wird, so ist allerdings ein Verhältnis da. Aber die Kohäsion bleibt nicht bei diesem Verhältnis stehen, denn es ist dies ein sehr un-bestimmter Wert. Ein Älterer ( Hamberger) hat auch schon ein sol-ches Gesetz aufgestellt von dem Verhältnis der Adhäsion trockener Körper zu fl üssigen. »Flüssige Materien von großem spezifi schen Gewicht hängen fester zusammen als feste Körper von geringem Gewicht.« Allein die Natur des Körpers ist nicht durch solche ein-zelne Bestimmung erschaffen. Diese Verhältnisse treffen zuweilen ein, zuweilen nicht. Das zweite Verhältnis ist, daß diese quantitativen Formen hervortreten, daß sie Formunterschied zeigen, materielle Dimension. Die Kraft muß zum Dasein kommen. Kraft ist ein Inne-res, Ideelles. Und was er als seine eigene zeigt, sind materielle Di-mensionen des Raumes. Was die Kraft zeigt, ist ein Ideelles. Es ist das Negative, das sich entwickelt. Wir haben sozusagen materialisierten Raum. Das Negative ist das Punktuelle, das Außersichsein, welches schlechthin kontinuierlich ist – diese allgemeine Negativität. Das dritte ist, daß diese Dimension im Raum da sei, das Negative auch sei, daß sie so existiert, wie sie dem Begriff nach sei, also nicht als auseinanderfallende Dimension. |

Wenn die Körperlichkeit das einfach Insichseiende ist, dann nicht mehr das Insichseiende, dann ist sie drittens das Setzen dieser Negativität als ein sich auf sich Beziehendes. Diese sich auf sich be-ziehende Negativität (die wir auf abstrakte Weise Zeit nannten) er-scheint nur an diesem. Sie tritt in ihrer Beziehung mit dem Raum in der Bewegung hervor, als Form, welche größer wird – der Schwere entgegen. Das ist die dritte Äußerung: daß der individuelle Körper die Bewegung äußert als reine Form, daß es se ine Bewegung ist, se ine Zei t und se in Raum. Diese materielle Bewegung, die der Körper so äußert, indem er sich bewegt, in sich zittert, äußert sich als gleichsam sein Geist. Es ist seine Bewegung, die er von sich gibt.

258 ist, daß ] daß ist266 daß … Raum ] im Raum, daß diese Dimension266 – 267 auch sei ] sind auch267 als ] auf278 indem er ] und

250

*255

260

265

270

275

88 Die Physik 157–158

Es ist das Hervortreten seiner Seele. Diese Seele ist noch nicht diese einfache Identität, die an den Gestalten hervortritt. Hier ist es nicht wie Licht, was Zerstörung voraussetzt. Das ist aber das Bestehen der Kohäsion, so daß sie sich als einfache Seele äußert. Diese Äußerung der Bewegung [ bedeutet]: indem ein Körper angeschlagen wird, so erzittert er. Er erscheint als | Klang.

[c. Der Klang]

Der Begriff des Klanges ist ein schwerer Begriff. [ Beim] Klang ist also die Kohäsion des Körpers auf eine ideelle Weise tätig, und zwar nur in der Bewegung tätig, nicht in der ersten abstrakten Bewegung, sondern [in der] Bewegung, in der seine Äußerung die Kohäsion ist. [ Es ist] spezifi sche Bewegung, indem der Körper in seiner Ruhe bleibt. Das Schwingen (negatives Setzen seiner Existenz) ist in sich. In dieser Bewegung tritt die spezifi sche Kohärenz hervor, und der Körper bleibt, was er ist. Das ist die Natur des Klanges. Es ist die Form, entwickelt zur Bewegung, so daß die Form heraustritt aus der Schwere – bestimmt, aber immateriell. Die Seele des Körpers wird darin frei. Indem ein Körper klingt, wenn die Stimme im Organischen austritt, so ist das eine Äußerung seiner Intelligenz, so wird spezifi sche Kohäsion äußerlich. Indem der Körper klingt, so zeigt er dadurch, daß er einem höheren Element angehört, nicht dem der Schwere, sondern der Idealität. Die Bestimmtheit hängt von der Weise der Kohäsion ab: Gold schlechter Klang, Silberklang, heller Glasklang, Eisen heller Klang. Heraustreten aus dem bloß gewichtigen Außersichsein. Schal l können wir das Allgemeine des Klanges nennen. |

Die deutsche Sprache ist sehr reich an den verschiedenen Weisen des Tones. Es beruht auf Nachahmung und [ist] leicht, weil, was sie auszudrücken hat, selbst schon ein Ton ist. Darauf kann aber die Sprache nicht stolz sein, daß sie für unbedeutende Töne etc. viele Ausdrücke hat. Der wahre Reichtum besteht in der leichten

302 von ] mit306 an ] für

280

285

290

295

300

305

310

158 –160 Physik der besonderen Individualität 89

Wendung – geistigen Beziehungen. Schall ist das ganz Allgemeine, welches nähere Modifi kation hat. Die näheren Bestimmungen sind der Knall = gewaltsame Erschütterung – wo ein Widerstand ein-tritt – Zerstören. Geräusch ist nur ein Äußerliches, durch äußerliches Reiben veranlaßt. Es ist nicht die Innerlichkeit, die den Knall veran-laßt. Die äußerlich reibenden Teile zittern. Das Zittern ist nicht ein Selbständiges, sondern nur ein gegenseitig Gezwungenes. Musikali-sches Instrument und Stimme sind die äußerliche Reibung, wenn sie unrein sind. Das hat nicht diese Durchdringlichkeit. Der eigentliche Klang hingegen ist das nur Erzittern der freien Schwingung. Es hat zur Bedingung äußerliches Anschlagen. Der Schall ist äußerlich et-was Hörbares, aber das Klingen ist davon unterschieden. Es ist nicht die Flüssigkeit des Körpers in sich selbst. [Wenn] in dem Klang das Zittern ist, so ist es ein Hin- und Herbeben der Kohärenz, der Elasti-zität des Körpers innerhalb seiner selbst. Es ist die ideelle Bewegung seiner in sich. Ton ist besondere Weise des Klingens, Tonarten etc.

Das Klingen oder der Ton ist etwas Mitteilbares. Diese Mitteil-barkeit | besteht darin, daß es die Objektivität des Inneren ist. Um dieser willen ist es als ein Allgemeines. Daß [es] sich als ein Allge-meines setzt, macht die Mitteilbarkeit. Das Mitteilbare ist zugleich ein sinnliches Dasein, nicht ein materielles, denn die Bestimmtheit hier ist die Allgemeinheit; deswegen ist es Mitteilbares, indem eben seine Natur das Allgemeine ist. Der Klang ist begrenzbar. Er kann bestimmt werden, aufgehalten werden, gestärkt werden, höher, tiefer. Aber das alles macht den Klang nicht zu einer Mater ie. Physiker haben von einer Schallmater ie gesprochen, verschieden von an-derer Materie. Man ist durch die Mitteilbarkeit darauf gekommen, weil der Körper ein Medium braucht; aber das Medium ist nicht seine Materialität. An dem Allgemeinen, das der Körper in seiner Ausdehnung hat, hat der Schall sein Element, in dem er sich mit-teilt. Daß der Schall begrenzt werden kann, macht ihn auch nicht zur Materie, denn das sind Bestimmungen, die seinem sinnlichen Sein zukommen. Der Klang ist nun also mitteilbar in der Luft. Das Schwingen teilt sich in der Luft mit, Wind etc. gegen den Klang

331 denn ] sondern338 weil der Körper ] indem er

315

320

325

330

335

340

90 Die Physik 160 –161

kann ihn aufhalten. Wenn die Richtung des Windes vertikal ist zu der Richtung des Schalls, so hält [er] den Schall nicht auf. Man muß sich nicht denken, daß die Wellen es ausmachen. |

Feste Körper übrigens, besonders Metalle, verbreiten den Klang schneller als die Luft. Auch im Wasser verbreitet er sich. Da das Me-tall diese Kohärenz in sich hat und zugleich fl üssig ist, so ist es sehr fähig, den Schall zu verbreiten. Man hat die Erfahrung gemacht, daß, wenn man an Metallrohren einen Schlag tut, man zwei Schläge hört. So auch, wenn man am Anfang eine Uhr schlagen läßt und wenn sie noch so leise schlägt. Man könnte nicht so leise sprechen, daß es auf der anderen Seite nicht gehört würde. Der Klang ist mitteilbar. Bestimmungen, die ihm als ein äußerliches Gesetztsein sind, kom-men ihm zu, machen ihn aber nicht zur Mater ie. Vergleichung der Töne – sie können verglichen werden –, und in dieser Vergleichung ergibt sich eine Harmonie, ein Wohlgefallen. Diese Harmonie ist nicht bleibend, etwas Sinnliches, ein Einfaches. Wo die Stimme einfach ist und Helles, macht dies einen einfachen, schönen Klang aus. Zu der schönen Stimme gehört, daß sie ganz einfach für sich Klarheit hat. Aber das andere bezieht sich auf ein inneres Verhältnis, und das ist Sache des Verstandes.

Die Töne sind verschieden. Es lassen sich Verhältnisse angeben, nach welchen | die Töne verschieden sind. Bei der Saite kommt es auf die Spannung, Dicke und Länge [an]. Das hat Einfl uß auf die Geschwindigkeit der Schwingungen. Diese hängen aber von ihrer Länge, Dicke, Spannung [ab]. Es kommt also darauf an, wie viele Schwingungen in einer Zeit hervorkommen, und dies Verhältnis ist das Bestimmende in Ansehung der Harmonie. Der Unterschied ist nicht ein Begriffsverhältnis. Das Ohr, das eine Harmonie der Töne hört, vernimmt ein Verhältnis, das nicht zum Bewußtsein bei ihm kommt. Es ist das überhaupt ein näheres Beispiel, für das Bewußt-sein frappant, was nicht dazu gekommen ist: daß die Bestimmungen der Noten auf Verstandesbestimmungen beruhen. Sind zwei Saiten gleich groß und gleich dick, aber ungleich lang, so haben sie eine verschiedene Zahl von Schwingungen. Und diese Zahl verhält sich

345 zu ] auf361 macht dies ] dies macht

345

350

355

360

365

370

375

161–163 Physik der besonderen Individualität 91

umgekehrt wie ihre Länge. Die verschiedenen Töne gründen sich also auf der Zahl der Schwingungen. Haben Saiten gleiche Dicke und Spannung und eine Saite ist noch einmal so lang, so gibt [das] die Oktave, also 1 : 2. Ist das Verhältnis wie 2 : 3, so bringt dies Ver-hältnis die Quinte, 3 : 4 [die] Quarte, | 4 : 5 [die] große Terz, 5 : 6 [die] kleine Terz usw. Wenn das Verhältnis ist wie 1 : 3, so gibt das eine obere Oktave der Quinte, 1 : 5 [die] doppelte Oktave der großen Terz. Das sind die Verhältnisse, auf denen [es] die Tonleiter gibt.

Betrachtet man das, so ist nicht überall ein gleicher Zwischen-raum; die Folge der sieben Haupttöne einer Oktave ist C = 1. Das Verhältnis ⁹⁄₈, ⁵⁄₄, ⁴⁄₃, ³⁄₂, ⁵⁄₃, ¹⁵⁄₈ : Sekunde, Terz, Quart, Quinte, Sexte, Septime. Das Weitergehen ist immer in ³⁄₂₄ näher, aber die Quarte ist

.³²⁄₂₄ statt ³³⁄₂₄. Die nächste ist ³⁶⁄₂₄, dann kommen ⁴⁰⁄₂₄ (statt ³⁹⁄₂₄), dann

.⁴⁵⁄₂₄ und dann ⁴⁸⁄₂₄. Dies hat nun den Einfl uß, daß ein Überschuß herauskommt, welcher das Komma heißt. Das hat den Einfl uß: Wenn einer der sieben Töne in andere Tonart gebracht und darauf eine Oktave gebaut wird, so verändern sich diese festen Töne. Sie passen nicht mehr, und das ist der Grund, daß in anderen Tonarten eine Unreinheit herauskommt. Man muß daher die reine Oktave der Töne verändern. In der menschlichen Stimme sind die Töne nicht fi x, sie kann | in jeder Tonart rein singen. Sie kann sich auch trans-ponieren, aber sie tut es [um] dem Instrument zu gefallen. Das Ohr hört diese bestimmten Verhältnisse, und diese Verhältnisse klingen ihm harmonisch, wo einfaches Zahlenverhältnis zu Grunde liegt.

Die Macht der Zahlenverhältnisse beweist sie auf eine andere Weise: wenn zwei Saiten angeschlagen werden, die ganz rein gleich klingen, so kann es geschehen, daß diese Töne erhoben werden. Es kann dann geschehen, daß sich in ihnen ein Zahlenverhältnis hervortut, das einen anderen Klang vortäuscht, und zwar so, daß zwei Töne einen dritten hervorbringen, so daß sie nicht gehört werden. Abt Vogler hat das bei seiner neuen Erfi ndung der Orgel benutzt. Es ist das merkwürdig, weil das die Macht des Zahlenver-hältnisses zeigt. Wenn von zwei Tönen einer zweimal und der an-dere dreimal schwingt, so fällt ihre Schwingung zusammen. Wenn der eine fertig ist mit zwei und der andere mit drei, so ist hier eine Koinzidenz. Indem diese Koinzidenzen ein Verhältnis zueinander haben, so bildet das dann ein Eigentümliches, in dem beide anderen

380

385

390

395

400

405

*

415

92 Die Physik 163 –165

verschwinden. | So z. B. C und G. [ In] beiden Saiten sind alle drei Schwingungen zu geraden Linien in einer geraden Linie. Es ist ein Zusammenfallen derselben. Diese Koinzidenzen erfolgen um das doppelte langsamer als [ bei] der Saite des Grundtones; diese Ko-inzidenzen haben also das Verhältnis wie 1 zu 2. Sie haben also das Verhältnis der Oktave. Wenn der Grundton C war und der andere G, dann hört man C. So entsteht durch zwei Töne ein dritter. Die tie-feren, wenn sie zu hoch sind, können nicht hervortreten. Und ist die Lage zu tief, so ist die Unter-Oktave zu schwach. Die beiden Saiten vergleichen sich miteinander. Sie reduzieren sich zu den tieferen.

Die Tätigkeit der Form tritt dann auch auf eine bestimmte Weise hervor. Das Sich-selbst-Setzen der Unterschiede tritt dann hervor, und man hat von einem Anschlag der tiefen Saite die anderen, hö-heren. Was man hört, ist der Grundton, die Oktave der Quinte und die doppelte Oktave der Terz. Die Ober-Oktave der Quinte verhält sich zum Grundton wie ⅓ zu 1. Die doppelte Oktave der Terz, dies ist, wenn 5 Schwingungen auf eine Schwingung des Grundtons fal-len. Außer diesen zwei Tönen kann man auch hören die Oktave des Grundtons und sogar die doppelte Oktave des Grundtons. Die Ok-tave hört man, wenn die Hälfte genommen wird, und die doppelte, wenn [die] doppelte | Zahl genommen [wird ]. [ Im] Grundton = 1 hört man die Töne, wo zwei Schwingungen diesem einen entspre-chen, und so 3, 4, 5. Eben diese Töne machen die eigentliche Har-monie aus. Das eigentliche Tönen teilt sich selbst. Die ganze Saite schwingt zugleich ihre Hälften: ⅓, ¼, ¹⁄₅. Daraus tritt das Ganze der Harmonie hervor. Wenn von einer Saite ein Teil genommen wird, z. B. ⅓, und die Saite unterbrochen wird, so geht die Schwingung nur bis zu diesem bestimmten Punkt fort. Aber das Schwingen setzt sich überhaupt noch fort über den Ton, den man hört. Die Bogen des Schwingens sind unterbrochen. Nun hört man das andere ⅔ auch. Die Schwingung geht nicht auf die unbestimmte Weise. So wenn ¼ der Saite genommen wird. Chladni hat besonders Ver-suche dieser Art gezeigt (Papierneuter). Es ergeben sich hier die ruhenden Punkte, Schwingungsknoten (er teilt sie in 7 Teile). So zeigt er dies auch an Flächen. Wie sich Linien der Schwingungen zeigen statt Punkte. Es beruht das auf der Macht der Determination. Das ist der Klang, auf den wir gekommen waren.

420

425

430

435

440

445

*

450

165 –167 Physik der besonderen Individualität 93

[d. Die Wärme]

Der Klang ist also die ideelle Bewegung, die Kohärenz, welche eine Erzitterung ist, aber so, | daß das Erzittern Bewegung ist. Es ist nicht das Mater ie l le als solches, das bewegt wird. Es ist im Klang also das Innere, das Abstrakte des Körpers, das sich äußerlich macht. Aber bei dieser Bewegung bleibt es nicht stehen. Denn indem der Klang die Bewegung des Kohärenten ist, so ist er auch eine reale Bewegung und damit Veränderung der Kohäsion überhaupt. Die Äußerung des Ideellen wird ebensogut Äußerung des Realen und damit eine Veränderung. Wenn [die] eine Seite ist, daß die Äuße-rung ideell ist, so ist die zweite, daß sie reell ist. Das Äußere ist das Entstehen der Wärme des Feuers und Lichts, dem Klang und [der] Wärme entsprechend. Wärme hebt den Klang auf. Das ist die mechanische Entstehung des Feuers und der Wärme, eine andere Entstehung ist die chemische Entstehung. Dort ist es keine bloße mechanische Differenz, kein bloß mechanisches Negieren wie hier. Die Negativität kommt zur Erscheinung. Es verzehrt sich selbst. Das ist die Negativität der Unterschiedenen durch Aufhebung des me-chanischen Zusammenhangs. Der Ton ist zunächst das Ideelle, | auch das Reelle wird eben bewegt; und diese Bewegung zeigt sich als eine Negation desselben, wodurch die Form hervortritt.

Dieser Übergang des Klanges zum Feuer ist im Erscheinen etwas Bekanntes. Wenn man eine Glocke anschlägt, so erzittert sie. Sie wird heiß. Das Eisen, indem es gehämmert wird, wird heiß. Es ist der innere Klang. Das äußerliche Reiben verursacht gleichfalls Zittern. Beim Kanonenbohren werden die Späne glühend. In Stahl und Stein bringen wir auch nur durch Aufreiben Feuer hervor. So Bohren, Sägen, Reiben. Entstehen dadurch Flammen, so ist hierbei keine innere Erschütterung. Es ist eine Veränderung, die ganz durch äußerliche Gewalt gesetzt ist. Es ist also nicht wie bei [der] Schwin-gung, wo ein Schlag sich nach Innen fortsetzt. Beim Reiben wird jeder [Teil] unmittelbar von einer äußeren Gewalt gedrückt, und dadurch drückt er seinen Nachbarn. Was überhaupt hier vorhanden

458 Denn ] Sondern465 hebt … auf ] macht den Klang aufheben

455

460

465

470

475

480

485

94 Die Physik 167–169

ist, ist der Widerspruch, daß, wo ein Teil ist, unmittelbar der andere ist. Es ist zugleich ein Aufheben der spezifi schen Schwere. Das Ma-terielle durchdringt sich, und es ist doch zugleich kohärent.

Was vorhanden ist, ist also der Widerspruch. Diese Negation ist es dann eben, welche gesetzt ist, und die Erscheinung dieser Negation ist | die Wärme. Beim Reiben wird einer durch den anderen gesetzt, und das Feuer tritt hervor. Bei der Wärme muß das Entstehen von der Erscheinung, von der Mitteilung überhaupt [unterschieden sein]. Es ist also kein Wärmestoff, welcher angenommen wird. Überhaupt wird ein Körper, der porös ist, sich selbst vernichten, durch seine Po-rosität. Rumford hat gesucht, auf eine empirische Weise auszuma-chen, ob die Wärme Materie sei. Es ist aber die Wärme ein bloßes Verhältnis. Rumford hat bei einer Kanonenbohrerei gefunden, daß der Bohrer und Späne heiß werden. Rumford hat um den Bohrer Holz gelegt – ein schlechter Wärmeleiter – hat auf diese Weise ge-zeigt, daß die entstehende Wärme nicht durch den herbeistehenden Wärmestoff erzeugt [wird ]. Die Wärme ist die reale Entäußerung, die Materie überhaupt ist, was darin identisch mit sich bleibt. Der Klang macht den ideellen Ausgang dieses Verhältnisses aus, das Feuer den realen Ausgang – die Erhebung der Form zur Freiheit, aber zu einer nur bedingten Freiheit. Klang und Hitze machen die sich entsprechenden Momente dieser Totalität aus. Es sind diese die Formen der reinen Selbstigkeit.

Der Gegensatz von Klang und Feuer ist auch | im Organischen. Im Organischen hält das Selbst sich immer und besetzt sich. Der Gegensatz, der sich andeutet, [ist auch] z. B. in den Pfl anzen; diesen gehört vornehmlich die Ausbildung dieser einzelnen abstrakten Farben. Wir sehen in den Pfl anzen, daß sie ihr Selbst nicht in sich behalten, sondern sie werden vom Licht nach außen gerissen. Des-wegen haben sie keine Bestimmung, sondern ihr Selbst geht ganz in Licht und realisiertes Licht über – Farben. Tiere hingegen sind eben dieses, das Subjekt äußerlich zu machen. Sie können Töne von sich geben, ihre Farben sind aber trübe ausgebildet. Bei dem Affen ist das Blau und Rot etwas, was der höheren Natur der Menschen widerspricht. Den Vögeln gehört die Farbenpracht, die nordischen

488 sich ] einander

490

*495

*

500

505

510

515

520

169 –171 Physik der besonderen Individualität 95

Vögel singen am meisten. In südlichen Ländern wird ihr Selbst in die äußere Gestalt herausgerissen. Der Gesang mangelt ihnen. So sind also Klang und Farben auch hier in Gegensätzen. Klang und Feuer machen also die Totalität dieses Verhältnisses aus, die aber zu-gleich ein Aufheben dieses Verhältnisses ist. Es tritt hier eine neue Bestimmung überhaupt ein, in diesem Verhältnis ist einerseits die Kohäsion und das Erhalten der Kohäsion. | Es sind beide, also diese beiden zur Selbstigkeit gewordenen Formen, in sich haltungslos und verschwindend. Das Verzehren, wozu das Verhältnis übergeht, ist, daß das wird.

Aber als die unmittelbaren Verhältnisse sind diese Beziehungen noch nicht auf sich selbst zurückgekommen. Es ist dies Freiheit der Form in der Materie selbst, das Erhalten der Materie und damit die Identität derselben mit der ganzen Form. Diese Freiheit der Form in der Hitze des Feuers ist, daß Klang und Feuer sich selbst verzeh-ren. Ihre Wahrheit ist, daß sie bedingt sind durch die Materie, daß also das materielle Auseinandersein, das Bestehen ein wesentliches Moment derselben ist. Dieser Begriff gibt der Individualität des Körpers das Wirkliche, Daseiende, Existierende. Die Erde aus ihrem allgemeinen elementaren Prozeß bestimmt sich dazu, Individualität zu sein, aber sie ist noch nicht als Individualität gesetzt. Hier sind wir aber an dem Gesetztsein, an der Wirklichkeit. Was gesetzt ist, ist die einfache Beziehung auf sich im Licht; zweitens, daß ein Ver hältnis in sich selbst ist, und [zwar] so, | daß dieses Verhältnis eine konkrete Bestimmtheit der Unterschiede [ hat], aber so, daß sie verzehrend sind als reales Bestehen. In dem Ideellen der Form haben sie ihre Substanz. Sie sind in dieser Individualität, d. h. als in der Einheit. Das ist sozusagen eine Seele, die zugleich entwickelt ist, so daß die Bestimmungen des Unterschiedes nicht mehr die ein fachen sind, noch daß sie auch nur sind im äußerlichen Verhältnis, wo also ihr Vortreten bedingt ist durch äußere Umstände. Es sind also Bestimmtheiten der Formen, welche einem Individuum angehören. Sie haben nur Bestimmtheit und Gewicht durch diese ihre Seele. Das ist die Individualität überhaupt, die vorhanden ist.

521 Vögel ] Pfl anzen535 Klang und Feuer ] sie

525

530

535

540

545

550

96 Die Physik 171–173

Diese Individualität ist noch nicht organisch, sie ist erst so un-mittelbar. Sie ist sich noch nicht selbst Objekt, noch nicht für sich seiend, sie ist es aber für uns. Daß sie für sich selbst sei, dazu gehört das weitere Prinzip, daß sie sich als Negatives setzen und für sich sind. Das ist dann die organische Individualität. Im Organischen haben wir den Körper als in sich Vollendetes. Es ist ein Fertiges, aber so, daß die Form noch in der Materie versenkt ist. Die Idea-lität, zu der sich diese Individualität erheben muß, ist, daß sich die Seele als solche von der Körperlichkeit trennt, | diese aber ganz in der Gewalt hat. Was wir haben, ist ein Ganzes, Identität der Unter-schiede. Die unterschiedenen Bestimmungen sind von dem Ganzen verschieden. Sie sind zunächst nur Teil, und das Ganze wohnt nicht in den Teilen.

[C. Physik der totalen Individualität ]

Die spezifi sche Körperlichkeit war die einfache körperliche Be-stimmtheit schon im Unterschied von der Schwere, hingegen in der spezifi schen Dichte geht [es] um die Freiheit der Form. Diese ausgebildet zur Totalität und zunächst in der Schwere versenkt, aber Totalität und Bestehen derselben, das ist die Individualität überhaupt. In dieser Sphäre haben wir drei Stufen zu betrachten. Erstens die unmittelbare Individualität als solche: die Gestalt. Die erste Sphäre ist die unmittelbare Individualität. Ihr Prinzip ist dieses, daß die Individualität also die zunächst in der Materie versenkte ist, [sich dann] von dieser Unmittelbarkeit befreit. Das zweite ist also die Differenz – die Besonderung der Gestaltung. Diese macht den individuellen Körper aus, aber insofern nun seine besonderen Eigenschaften an ihm hervortreten. Als besondere Eigenschaften heruntergesetzt, als Prädikate eines Subjekts. Die Beziehung dieser besonderen Individualität ist die Elektrizität, und dies | macht den Übergang zu chemischem Verhältnis. Im chemischen Verhältnis sind diese nicht nur vorhanden, sondern sie spannen sich. In diesem chemischen Prozeß geht die Gestaltung hervor, aber sie ist nicht eine Wahrheit unmittelbar. Die Unmittelbarkeit ist nur ein Gewor-denes – ein Produkt, ein Resultat des äußerlichen Verhältnisses. Sie ist für uns entstanden. Aber der chemische Prozeß ist, daß sie gesetzt

555

560

565

570

575

580

585

173 –175 Physik der totalen Individualität 97

ist als für sich selbst entstehend. Die drei Sphären sind also die un-mittelbare Individualität als entwickelte Totalität, die aber ruhend ist. Zweitens [wird die] Besonderung zur Individualität, Individualität, welche auseinandertritt in Momenten, welche in der Gestalt gebun-den sind. Das dritte ist die Reduktion dieser Besonderung. Damit ist diese Gestalt als ein Gesetztes das Fürsichsein.

[a. Die Gestalt]

§ 235. Die unmittelbare Individualität. Es ist dies dieser Mechanis-mus, die Individualität oder die mechanische Individualität ohne Seele, ohne Prozeß in sich. Weil die Unterschiede noch nicht Realität haben, nicht als Farbe, Geruch, Geschmack, darum ist der Ausdruck der Form, das Ideelle, das Reine – ruhend, für sich ex-plizierend, das Bedingte, nicht angeschlagen wie im vorigen. | Im Raum drücken sie sich aus, weil in diesem die Unterschiede noch nicht zur realen Besonderung kommen. Die Individualität der Ma-terie in dem unmittelbaren Dasein ist ihre Form. Es ist nicht die Form, daß sie hervortritt durch äußere Gewalt, sondern [die] Form für sich sich entwickelt, was der Materie eines Körpers einen eige-nen bestimmten Unterschied gibt. Das ist die Gestalt, die spezifi sche Weise des innerlichen Zusammenhalts der Materie, also eine Ko-häsion, aber nicht als Kraft, sondern als Formbestimmung. Es muß hier bemerkt werden, daß wir die Gestalt unmittelbar als solche betrachten; und es ist nicht eine Tätigkeit nach außen, sondern ein stilles, stummes Leben – organisierender Trieb. Der Anblick solcher Kristallisation gibt dem, der sie fi ndet, die Vorstellung, daß so was nicht in die Natur gehört. Es ist eine Geometrie, die sich in der Na-tur zeigt. Es sind nicht organische Gestaltungen, welche hier unsere Gegenstände sind. [ Die] organische Gestalt ist eine solche, worin Prozeß ist, der Unterschied ist. Es ist eine Einheit der Form, diese Form ist ein Ganzes, und die Unterschiede gehören dem Ganzen an;

591 die aber ] aber die600 darum ] dann614 sie ] es

590

595

600

605

610

615

98 Die Physik 175 –176

sie sind insofern Teile eines Ganzen. Das abstrakte Bestehen kommt ihnen zu für sich, aber den Sinn haben sie nur im Ganzen. Sie sind Teile eines Ganzen, | und zwar eines zweckmäßigen Ganzen, nicht etwas wie ein Stück Metall. Wenn etwas zerschlagen wird, was ein zweckmäßiges Ganzes ist, so weist der Teil auf ein anderes.

Im Organismus ist der Teil ganz für sich. Er ist in sich lebendig, er hat die Natur des Ganzen in sich selbst, und das Ganze, Seele manifestiert sich an ihm selbst. Hingegen an einem mechanischen Kunstwerk manifestiert sich nicht das Ganze, sondern das Ganze existiert nur an dem übrigen. In der lebendigen Gestalt sind jedoch Teile Erscheinung des Ganzen. Das macht den Unterschied der äußerlichen Gestalt als solchen. Im Lebendigen kommen keine ge-raden Linien vor. Es ist diese abstrakte Richtung. Dem Lebendi gen kommen deswegen auch keine ebenen Flächen zu. Auch nicht die Kugelgestalt, denn diese ist selbst wieder die Gestalt des Gestalt losen, die nur Verstandesgestalt, eine Oberfl äche [ist], die sich verhält zu einem Mittelpunkt. Deswegen kommt dem Lebendigen auch kein Kreis zu. Jeder Teil des Umkreises ist eine Linie, jeder Teil hat ver-schiedene Richtung, also fängt hier auch die Differenz an. Aber in dieser Differenz ist auch Einheit, alle sind auf den Mittelpunkt bezogen. In dem Kreis ist vorhanden die Differenz in der Einheit. Aber diese Beziehungen sind wieder gleich. Das kommt nur der Verstandesgestalt zu. Das Lebendige hat Kurven | zu seiner Gestalt, aber, wie gesagt, nicht der Kreis. Es ist Einheit darin, aber eine Ein-heit in der Differenz. Deswegen ist die Ellipse so die Linie der Be-wegung. Aber wenn man genau sieht, so ist es auch wieder nicht die Ellipse. Die Ellipse hat diese höhere Differenz, daß die Punkte auf eine verschiedene Weise sich auf ihr Zentrum beziehen. Näher ist die Linie des Lebendigen die Eilinie, die Wellenlinie, die Hogarth als Schönheitslinie bestimmt [ hat]. Aber auch diese Linien haben noch eine Verstandeseinheit in sich, für die Eilinien hat man noch keine Formel. Die Eilinie hat über sich noch Gleichheiten. Sie können ge-teilt werden in zwei Linien. Eier der Vögel haben eine Kruste. Selbst [ bei] einem Unorganischen also ziemt sich solches wohl, daß hier

631 Im ] Dem642 seiner ] ihrer

620

625

630

635

640

645

*650

176 –178 Physik der totalen Individualität 99

die Gleichheit noch vorhanden ist. Die anderen Seiten der Linie im Leben sind verschieden. Sie sind nicht einmal mehr elliptisch. Sie neigen sich gegen die Eilinien, z. B. die Muskeln. Die Formen der Blätter, Flügel der Vögel sind alle nur Modifi kation dieser Wellen-linie. Hierin ist keine Gestalt des Verstandes. Solche Form ist der lebendigen Gestalt eigen. In jedem Teil manifestiert sich das Ganze. In der abs t rakten Gestalt ist der Verstand herrschend, weil es eben noch die freie Form | ist in der Individualität.

Es ist Totalität der Form, aber diese ist versenkt in der Materie so, daß sie noch nicht die bestrebende wäre. Sie hat nicht diese reale Allgemeinheit, so daß sie in allem Einzelnen erscheint. In dieser Ge-stalt ist Einheit der Form, aber Regelmäßigkeit des Verstandes. Was vorkommt, sind gerade Linien, Flächen, Winkel, die sich entspre-chen, Parallellinien. Es geht nicht einmal zum Kreis oder zur Ellipse fort. Die Totalität der Gestalten geht freilich zur Kugel fort, über [zu] der Gestalt des Gestaltlosen, wo alle Richtungen ausgeglichen [sind ]. Die Form ist von innen heraus bestimmt, aber so, daß sie im Allgemeinen mit der Bestimmung der Gleichheit steht.

§ 238. Das Spröde gehört der Gestalt nicht an. Es ist das Punktu-elle – die in sich geschlossene Negativität. Der Punkt muß also in die Linie übergehen. Hier kommen wir auf den Magnetismus. Er ist der Prozeß der Gestaltung. Er ist die abstrakte Gestaltung. Das Entgegengesetzte ist die Kugel. Die Totalität der Gestaltung ist ein ganzer Raum, die abstrakte Totalität dieses Raumes ist die Kugel und die wahrhafte Gestaltung ist erst die Einheit dieser beiden. Die Linie | ist die erste Dimension, die Kugel ist die Neutralisierung aller Bestimmungen durch die Gleichheit. Die Linie muß also dazu kommen, die Linie muß sie beschränken. Die Linie ist das Prin-zip, das abstrakte Prinzip, Negation – Beschränkung, Bestimmung. Beides gehört zur realen Gestaltung. Die Linie ist nur abstraktes Moment. Es ist nun aber nicht die Linie als solche, die Prinzip der Gestaltung ist, sondern es ist die Linie als Magnetismus. [ Es ist] nicht die Linearität wie in der Zähigkeit, diese ist nur ein Verhalten, ein spezifi sches Verhalten nur gegen äußere Gewalt, also eine Kraft, welche sich äußert durch ein Äußeres. Der Magnetismus bedarf kei-ner Sollizitation. Der Magnet ist also die Linearität, aber nicht eine bloße tote Linie, sondern Linie, die selbsttätige Totalität, Form – ein

655

660

665

670

675

680

685

690

100 Die Physik 178 –180

Setzen des Unterschiedes, ein Zusammenfassen des Unterschiedes, ein konkretes Ganzes, der Schluß, so daß die Entgegengesetzten ausgeschlossen sind von dem anderen, doch so, daß eines ohne das andere nicht bestehen kann. |

Das eine ist im anderen. Die Äußerung des Magneten ist also die Linie cf. § [238]. Der Magnet stellt auf eine empirische Weise die Natur des Begriffs dar. Auf eine naive Weise kann man es immer zei-gen, daß der Begriff in der Natur wirklich sei. So hat er im Magne-ten sich dargestellt. Das hat Schelling als die erste natürliche Potenz betrachtet. Die Pole sind nicht für sich. Sie haben nicht die sinnliche Realität, sondern eine ideelle Realität. Der Magnet läßt sich nicht trennen – die Pole sind untrennbar. Es ist also nicht ein solches, was das Sinnliche charakterisiert. Der Magnet hat kein gleichgültiges Bestehen nebeneinander. Teile sind nicht in ihm ebenso wie beim Licht. Sie haben eine ideelle Realität. Er läßt sich nicht trennen, sie sind untrennbar. Das eine ist nur, insofern das andere ist. Das ist ge-rade das Spekulative – die Einheit Entgegengesetzter. Es ist in dem Indifferenzpunkt auch das Zusammenfassen der beiden. Die Natur des Begriffs auf eine ganz sinnliche Weise dargestellt.

An den Magneten zu erinnern, so sehen wir an ihm seine Tätig-keit. Er ist nach außen getrieben. Er bezieht sich auf andere Körper, Individuen. Ist er gesättigt, so ist die Sättigung auf eine äußerliche Weise geschehen. Das zweite ist die Frage, was ist diese Tätigkeit? Sie besteht in nichts anderem, als daß sie sich auf Materie bezieht. Es ist der Begriff der Materie als freie Individualität und diese als tätig. Das andere Moment ist die Kontinuität, so daß sie in der Vereinze-lung [fähig ist], | kontinuierlich zu sein. Der Magnetismus ist nichts anderes als der Begriff der Materie. Am himmlischen System haben wir diesen Begriff auch schon gehabt. Der Begriff der Einheit hat nicht existiert, sondern der Begriff ist das Innere. Er hat darin die Darstellung. Hier ist der Begriff als Tätigkeit gesehen. Er ist nicht mehr das Innere. Es ist der zur Existenz gekommene Begriff. Dieses Setzen [ heißt]: was in der Materie in ihrem unmittelbaren Begriff

701 Der Magnet ] er702 die Pole ] sie

695

*

705

710

715

720

180 –182 Physik der totalen Individualität 101

noch nicht vorhanden war, als Unterschiede zu setzen. Hier ist das Setzen auch vorhanden. Dieses Setzen des Differenten in Eines und das Differenzieren des Einen ist hier zur Existenz gebracht. Vorher hatten sie die Gestalt, selbständig zu sein; und hier sind sie von dieser Selbständigkeit herabgekommen – das macht das Sein des Magnetismus aus. Sehen wir uns nach der Erscheinung um, in der äußeren Weise des Daseins, so ist der Magnetismus eben das. Das Sein des Magnetismus ist, die Materie abzustoßen und anzuziehen, d. h. Differenz zu setzen und Kontinuität zu setzen. Er ist eine Tätig-keit, Materielles abzustoßen, aber ein solches, das identisch gesetzt ist, und umgekehrt, das Nichtidentische anzuziehen. Das Gleichgültige bestimmt er als ein Identisches. Er setzt sich dasselbe als identisch, um es abstoßen zu können. |

Das Identisch-Setzen setzt etwas voraus, das different ist. Das Iden-tisch-Setzen determiniert das andere dazu, different zu sein. Das ist die Erscheinung des Magnetismus. Der Magnetismus ist das Lineare, die subjektive Tätigkeit, darum ist er in Ansehung der Totalität der Materie und ihrer Räumlichkeit immer die Linie, aber er ist nicht die bloße mechanische Linie, die diese Tätigkeit in sich hat. Das Ent gegengesetzte ist immer gleich. Beide Extreme haben entgegen-gesetzte Wirksamkeit: Identisches abzustoßen und Nicht iden ti sches identisch zu setzen. Wenn wir einen Magneten haben und noch einen anderen Magneten, so hat der eine Magnet schon eine De-termination; und die identischen, weil sie identisch sind, stoßen sich ab, weil sie einerlei Determination haben. Bringt man Nordpol und Südpol zusammen, so setzen sie das Identische. Man kann hier die einfache Materie des Begriffs sehen. Ist der eine Magnet und der an-dere nicht, ist dies also undeterminiert. Es wird sowohl vom Nordpol als vom Südpol angezogen, aber der Nordpol macht das Eisen, das ihn berührt da, wo es ihn berührt, zu einem Südpol und zieht es daran an. Er macht es erst zu einem Entgegengesetzten. Insofern das undeterminierte Eisen jetzt determiniert ist, wird das Gleichnamige abgestoßen. |

724 als … setzen ] sondern sie sind737 etwas voraus ] voraus etwas751 ist dies ] dies ist

725

730

735

740

745

750

755

102 Die Physik 182 –183

Man kann den Magnetismus nicht empirisch bestimmen. Wir sagen, er richtet sich nach Norden, die Chinesen sagen, er richtet sich nach Süden, und beide haben recht, denn er ist eine Linie. Es ist das auch nichts Empirisches. Auf der Erde ist es auch die und die Gegend, aber die Erde als totaler Körper ist selbst ein Magnet. Daß die einzelnen Magnete so determiniert sind, rührt von dem Erd-magnetismus [ her]. Aber was wir den Norden nennen, ist eigentlich der Süden, wenn man es von der Erde betrachtet. Der Erdmagne-tismus als totaler Magnetismus determiniert die einzelnen Magnete nach seiner Richtung. Das ist nichts als die Erscheinung des Begriffs selbst. Daß er Eisen anzieht, [ bedeutet]: er selbst ist Eisen. Man hat gefunden, daß er in Kobalt und Nickel auch vorkommt. Herr von Humboldt hat auch an einem Serpentinstein den Magnetis-mus gefunden. Dieser hat aber nur den passiven Teil. Er zieht das Eisen nicht an, sondern zeigt sich nur wirksam auf die magnetische Nadel. Daß der Magnetismus am Eisen etc. hervortritt, führt zu einer Frage, welche sich notwendig aufdrängt: warum erscheint er nicht all gemein? |

Das ist dieselbe Frage, wie wenn man fragt, warum nicht die Erde leuchtet. Warum nicht das Wasser fest ist etc. Der Magnetismus ist eine einzelne Form der Natur, welche selbst auf eine einzelne Weise vorhanden ist. Was man als eine unterschiedene Form des Geistes annimmt, tritt ebenso in der Natur nicht ein. In der Materie fallen die einzelnen Formen einzelnen Körpern zu. Einige Körper sind zu weit vorgerückt: Kristallisation. Andere hingegen sind noch nicht zu dieser Freiheit der Individualität gekommen. Es ist also notwendig, daß der Magnetismus nur an wenigen erscheint. Weiter kann man nach dem Zusammenhang der Qualitäten des Eisens fragen. [ Denn] das Eisen hat weitere Qualitäten; man setzt voraus, daß diese Qualitäten passen für den Magnetismus. Ritter, der in

768 auch vorkommt ] gefunden770 Er ] Sie772 führt zu ] ist773 erscheint ] scheint783 –785 Weiter … Qualitäten ] Weiter kann man fragen: das Eisen hat

weitere Qualitäten, warum nach dem Zusammenhang der Qualitäten des Eisens

760

765

*

775

780

785

184 –185 Physik der totalen Individualität 103

Jena lang gelebt hat, hat den Gedanken gehabt, den Magnetismus nicht nur am Eisen darzustellen, sondern an anderen Metallkörpern. Er ließ Modelle machen von verschiedenen Metallen. Er setzte sie zusammen, er hoffte, durch die Differenz ließe [sich] | das fi nden. Es zeigte sich aber, daß die Determination der Luft, Wärme ihnen eine gleichförmige Richtung gab. Über die nähere Qualität des Eisens ist hier nichts zu sagen. Soviel läßt sich sagen, daß Neutralität dazu gehört – diese fl üssige Kontinuität. Andererseits kann man sehen, daß es nicht Materie von der höchsten spezifi schen Schwere sein kann. Ihre höhere spezifi sche Schwere ist eben diese gedrungene Einheit. Im Gold ist die Differenz geschlossen. Seine Oxydation ist nur eine sehr unbedeutende. Differente Metalle werden leicht von Säuren angegriffen werden. Sie müssen sich also der Differenz aufschließen. Auch nicht sogar alles Eisen nimmt den Magnetismus immer an. Der Stahl hält ihn lange fest, aber nimmt ihn schwer an. Es ist mehr magnetisches Eisen, sogar als unmagnetisches Eisen.

§ 239 ist von dem gesprochen [worden], welches dem Begriff des Magnetismus entgegensteht. Magnetismus ist vorzüglich an dem Eisen, aber in demselben etwas Selbständiges (durch Stoß verliert er sich). |

Die Erde als Totalität ist allerdings ein Magnet, aber nicht ein Ma-gnet als solcher. Der Erdmagnet ist es, der den besonderen Magne-ten bestimmt, aber nicht, als ob dieser in der Erde vorhanden wäre, sondern als Totalität. Es ist nicht, daß der eine Magnet den anderen Magneten magnetisierte, bei der Erde anzuwenden, sondern sie enthält den Magnetismus als Moment. Das Eisen ist etwas, wo diese Totalität an ihm auf eine Weise erscheint. Alle Körper sind magne-tisch, aber sie enthalten den Magneten nicht auf die abstrakte Weise, in der der Magnet als solcher ist. Man muß Namen wie Pole etc. genau auf ihren Begriff anwenden. Wenn man eine solche Grund-bestimmung an einer anderen Sache zeigt, so muß dies in einer anderen Form geschehen. Daß der menschliche Körper ein Magnet ist, ist blutwenig gesagt: ja, er enthält Gegensätze, aber ganz andere als bei dem Magneten.

Im § 239 heißt es, der Gegensatz des Magnetismus sei die Kugel, wo alle Unterschiede aufgehoben sind. Das Gestaltlose aber hat selbst eine Gestalt, es ist dies der Ausdruck des Gestaltlosen. Das Wasser

*

790

795

800

805

810

815

820

104 Die Physik 185 –187

wird Kugel, wo es sich frei bewegen kann. So die Planeten, Sonne etc. Sie sind Kugeln, weil sie diese allgemeinen Individuen sind; aber, wie beim Kreis gesagt wurde, es ist nur die formelle Gleichheit. |

Wir wissen, daß der Jupiter, die Erde etc. an den Polen einge-drückt sind. Es ist dies durch Messungen beobachtet worden. Es sind aber hauptsächlich diese Messungen auf der nördlichen Halbkugel nur angestellt worden, oder wenigstens vorzüglich. Man konnte sie sich [aus] Erfahrung ebensogut denken.

§ 240. Zwischen diese beiden Extreme fällt die reelle Gestalt; das, was sie vereinigt, ist Kohäsion genannt. Die reelle Gestalt ist der Magnetismus, in der Kugel sich objektivierend. Der Magnetis-mus macht Formunterschiede und Beziehungen dieser auf Einheit aus. Aber daß er hier nicht mehr Tätigkeit ist, dies gehört diesem Objektiven der Kugel überhaupt an. In der realen Gestalt (Kristall) ist kein Streben mehr, ein Anfangen oder Abstoßen, sondern in dem Kristall ist erlangt: daß die Form ihre Bestimmung zu einer materialen Kohäsion, zu Ruhe gebracht hat. Das Formieren von Linien, Flächen ist regelmäßige Einheit. Die Kristallisation setzt zu-nächst in Bewunderung; es ist diese stille, eigentümliche Geo metrie, welche in das Kleinste geht. Dies ist, was unsere Bewunderung er-regt, dieses stille, in sich gegründete Leben, wie ein Seelenhaftes seine | eigentümliche Gestalt hat. Die Kristallisation ist einerseits die Begrenzung nach außen, umschließende Oberfl äche habend. Aber es fi ndet auch eine Gestaltung nach innen statt. Diese Gestaltung unterscheidet sich selbst in sich als Inneres und Äußeres. Die innere Kristallisation ist, was unter der Form von Bruch – Durchgang der Blätter – vorkommt. Der Kristall läßt sich sprengen. Das ist nicht einer mechanischen Gewalt unterworfen, sondern er zeigt seine ei-gentümlichen Flächen und Winkel. Schlägt man leise an, so zeigen sich spiegelnde Flächen. Diese Richtungen, die er sich nimmt, sind Durchgang der Blätter genannt worden. Diese Durchgänge bilden wieder eine eigene Gestalt. Der Diamant wird nach diesem Durch-gang der Blätter gesprengt. Der Schleifer weiß ihn durch ein leises Anschlagen zu sprengen, so daß dieses Sprengen eine spiegelnde Fläche gezeigt hat. Dies heißt die Kerngestalt. Bei dem Kalk ist die Kerngestalt rhomboidisch, die äußere Gestalt kann verschieden sein. Aber die äußere Gestalt hat eine Beziehung darauf. Haüy hat

825

830

835

840

845

850

855

860

187–189 Physik der totalen Individualität 105

hier sehr viel untersucht; doch hat er es bloß sinnlich erklärt. Das Hauptsächlichste ist die Beziehung der äußeren und inneren Gestalt: es ist die innere Gestalt gleichsam über sich herausgeworfen. Aber das bisherige Verfahren ist mehr empirisch gewesen. |

Eine andere Beziehung war auch wichtig: die Beziehung der Kristallisation auf die spezifi sche Schwere. Es kommt hierbei bloß das Volumen in Betracht, ohne Rücksicht auf die Gestalt. (Aus der Geometrie ist bekannt, daß Körper, welche gleiche Oberfl äche ha-ben, aber verschiedene Gestalt, in ihren Volumen verschieden sind. Zum Beispiel der körperliche Inhalt der Kugel und des Kubus sind verschieden, wenn auch die Oberfl ächen gleich sind. So auch in der Geometrie: Der Umfang des Kreises ist kleiner als der Umfang des gleich großen Quadrates.) Wenn bei der spezifi schen Schwere das Gewicht in Verhältnis gesetzt wird, so ist das Volumen überhaupt; aber die Gestalt muß dem Volumen entsprechen. Wenn zwei Körper gleiches Gewicht haben und ein ungleiches Volumen, so können sie nur eine solche Figur haben, welche dem Volumen [überhaupt] entspricht. Diese Seite ist noch nicht beachtet, sie wird aber näheren Aufschluß geben über die Kristallisation.

Dies sind überhaupt die Hauptmomente in Hinsicht der Gestalt. Das Zweite ist, daß wir das Freiwerden der Unterschiede betrachten oder die Besonderung der Unterschiede. Die Unterschiede sind auf die abstrakte Weise als räumliche Bestimmung. Die Unterschiede, welche so zeitlos sind, realisieren sich. Davon ist § 245 die Rede. (§§ 242 und 243 gehen uns hier nichts mehr an). |

[ b. Die Besonderung des individuellen Körpers]

§ 245. Der Körper ist ein Ganzes des Sonnensystems – der irdische Körper hat die Totalität der Elemente an ihm, und er ist das Leben-dige derselben. Seine Individualität ist das Beständige, und sie sind

869 in ihren ] daß dann die871 gleich ] verschieden872 Kreises ] Quadr.876 ein ungleiches Volumen ] eine ungleiche Figur

*

*

865

*

870

875

880

885

106 Die Physik 189 –191

nur Momente an ihm, die gleichsam die Träger sind. So z. B. sagen wir, die Farbe an dem Körper, ihre Verschiedenheit, ist auch ein Selbständiges. – Die Eigenschaften betrachten wir als Materiale der Selbständigkeit. Die unterschiedenen Momente sind solche, die nicht zum selbständigen Bestehen kamen. Die Farbe ist aber z. B. nicht nur Eigenschaft, sondern auch Pigment, d. h. etwas Besonderes. Drittens: Diese Materie und Eigenschaften sind ferner Verhältnisse, Beziehun-gen untereinander. Als bestimmte sind sie Beziehungen: Verhältnisse zu einem anderen. Als solche Verhältnisse sind sie Beziehungen, was sowohl als Freies als [auch] als Eigenschaften da ist. Der Körper, der zunächst Gestalt ist, ist, wie wir ihn gefühlt haben; und seine Bezie-hung auf sich entspricht der Schwere, die zur Gestalt erweitert ist.

Das Negative seiner Kohäsion ist überhaupt die Wär me. Diese Seite macht die Beziehung aus, die an dem Lebendigen das Ge-fühl oder Tastsinn hieß. Sie stehen am Lebendigen als Weise des Empfi ndens. Sie sind also gewissermaßen der Sinn der Körper. Das Gefühl ist der Sinn des Mechanischen überhaupt, der Sinn des Gestalteten. Diesem Mechanismus gegenüber | ist die Subjektivität die bestimmte Materie. Wir haben [ bei] dem Klang gesehen, was das Seelenhafte als Seelenhaftes ist, gleich der vollkommenen Frei-heit von der Schwere. Diese Bestimmtheit ist eine ganz einfache Form. Das macht also den Gegensatz aus: den Sinn des Gehörs und Gefühls. Der Sinn des Gehörs ist der Sinn der Seele. Diese beiden Sinne machen den Gegensatz aus, mögen wir jenes oben oder unten hinstellen. Zwischen die beiden fallen die Besonderungen, die wir jetzt zu betrachten haben. Sie gehören dem Gegensatz überhaupt an. Das eine ist das Selbstische. Das Licht tritt herunter zu einer Seite des Gegensatzes. Die andere Seite ist der Gegensatz als solcher. Die eine Seite ist der abstrakte Prozeß (Geruch) und realer Prozeß (Geschmack).

§ 246. Der Körper hat Farbe überhaupt, Beziehung auf das Licht: er ist entweder durchsichtig oder nicht. Als durchsichtig ist er das Farblose. Das Weiß und Schwarz ist auch ein Farbloses, aber nicht Durchsichtiges. Durchsichtigkeit ist die Passivität für das äußere Licht. Der Körper ist dann vorzüglich durchsichtig, wenn er che-

901 entspricht … ist ] = schwer und zur Gestalt erweitert

890

895

900

905

910

915

920

191–192 Physik der totalen Individualität 107

misch vollkommen neutralisiert ist, z. B. beim Kalkkristall. Dazu gehört, daß die | Kohäsion ganz durch diese Neutralität bestimmt ist (zerstoßenes Glas ist undurchsichtig). Kristalle sind das Dunkle, doch wenn sie zu Neutralität kommen, so werden sie durchsichtig. Flüssige Körper lassen zwar das Licht durch, aber sie brechen es, z. B. der Stab im Wasser. Perpendikular gesehen wird das nicht auf die Seite gerückt. Man hat es zu betrachten als ein Nähern und Entfernen. Das große Brechvermögen hängt von der Dichtigkeit ab. Je dichter die Materie, je größer die Ablenkung der Richtung. Ein anderer Umstand ist, ob dies verbrennlich ist. Das Verbrennliche hat größere Brechbarkeit. (Weingeist, Öl, Diamant). Dichtigkeit ist Verhältnis des Volumens zur Mater ie. Es kommt hierbei eine Erweiterung und Verengung des Raumes vor. Etwas der Art ist auch hier vorhanden. Der Raum ist in Ansehung des Lichtes etwas Gleichgültiges. Den Raum fi nden wir erst durch das Gefühl. Man sieht in einer Fläche alles (Blindgeborener). Erst größere Entfer-nung – größere Unbestimmtheit ihrer Umrisse – etc. ist etwas, was wir durch Übung erlangt haben. Die Raumdeterminationen haben also nicht diese Selbständigkeit und Festigkeit für das Licht. |

Es ist dies eine bekannte Erscheinung, wo man sich aber keine genaue Rechnung ablegt. Bei der Brechung in den durchsichtigen Mitteln kommt eine besondere Erscheinung vor: die doppelte Strah-lenbrechung (an dem Kalkspat, Doppelspat). Man hat es noch bei Einigem bemerkt, und zwar bei allen Kristallen, deren Kerngestalt nicht Kubus ist oder regelmäßige Oktaeder, sondern wo die Kern-gestalt rhomboidisch ist. Mechanisch kann man nicht dahinterkom-men. Einerseits ist der Kristall durchsichtig, und man sieht also ein Bild. Das andere Bild, das Extraordinaire, ist zur Seite geschoben. Das zweite Bild kann von nichts anderem herkommen als von der qualitativen Natur der Kerngestalt. Das Innere ist eine schiefe quali-tative Natur, und diese ist [es], welche das Bild verschiebt. Man kann einen solchen Kristall auch durchschneiden: durch den Haupt-schnitt (eben durch die Diagonale von den beiden stumpfen Win-keln). Sieht man hindurch, so sieht man nur ein einfaches Bild, und diese Richtung der Gestalt ist seine Hauptachse. Die Verschiebung

927 Kristalle ] Metalle

925

930

935

940

945

950

955

108 Die Physik 192 –194

ist hier selbst null. Wäre es etwas rein Mechanisches, so könnte das Verschwinden nicht vorkommen. Bei dem Kalk ist die | Kerngestalt rhomboidisch = hat dreifachen Durchgang der Blätter. Es existiert noch ein solcher Kristall, wo noch ein vierter Durchgang sichtbar ist, da sind zwei Paare von Bildern.

Die Farbe ist so das ideelle Licht, insofern es sich materialisiert, d. h. Farbe als Pigment. Farbe ist also die Besonderung der Gestalt, an dem Geist ist die Form, die entwickelte Form. Die Formbestimmt heit ist unterschieden von der Mannigfaltigkeit, die sie als Gestalt ist. Farbe ist so die Negation der Gestalt. In der Farbe fängt also dem Begriff nach die Aufhellung des Geistes an. Das physische Material Farbe hat seine letzte Bestimmtheit im Chemischen. Diese Bestimmtheit macht unmittelbar den Übergang von der Durchsichtigkeit zur Farbe überhaupt [aus]. Durchsichtigkeit gehört der Gestalt in ihrer Neutralität an. Von der Durchsichtigkeit macht sich der Übergang zur Farbe auf eine einfache Weise. Zerstoßenes Glas wird weiß. Das Durchsichtige ist noch keine Farbe. Das Licht ist durchsichtig, so die Flamme. Durchsichtigkeit macht den Übergang zum Weißen aus.

Das Durchsichtige, die reale Möglichkeit des Lichts. Indem die Kohäsion aufgehoben wird und punktuell wird, wird weiß. So zer-stoßenes Eis, so das Wasser, was zu Schnee friert. Einfache reine Erden sind weiß: kristallisiert wird dies durchsichtig. |

Bergkristall – Tonerde als Glimmer etc. – Umgekehrt kann man auf diese Weise diese Durchsichtigkeit wieder hervorbringen. Eine durchsichtige Flüssigkeit ( Bier) wird schaumig, d. h. die Kohäsion wird verändert. Solcher Schaum ist weiß, dieses Weiße verschwindet aber wieder. Wenn die Luft entweicht, so ist es wieder durchsichtig. Mattes Glas wird durchsichtig im Wasser, was diesen Zusammen-hang wieder herstellt – so Borax und Alkali.

Die Farbe selbst hat nun von ihrem Ursprung her das Doppelte, daß sie erstens etwas ganz Ideelles ist und auf der anderen Seite etwas Materielles. Diese Flüchtigkeit der Farbe – ihr plötzliches Erscheinen und Verschwinden durch den geringsten Unterschied – zeigt sich auf alle mögliche Weise, besonders beim Schmelzen der Farbe, besonders beim Silber, wo es den Kulminationspunkt hat, den

994 es ] das Silber

960

965

970

975

980

985

990

194 –196 Physik der totalen Individualität 109

Silberblick. Vor diesem Blick sieht man alle Farben in der größten Schnelligkeit nacheinander fortgehen, darüber weg. Es sind Weisen der Kohäsion, feine Unterschiede, die es schnell durchläuft. Beim Eisen treten ebenso fl üchtige Farben [auf ], welche darüber treten. Beim Eisen kann man dies fi xieren: Eisen läuft gelb an. Wird es heiß, geht das Gelb in Purpur über. Dieser Purpur ist schwer festzuhalten. Das Spektrumblau ist leichter zu fi xieren. Von dem dunklen Blau kann man ihn führen bis zu dem Hellblau. |

Goethe sagt hierüber auch: daß das ganze Farbenspektrum sich zeigt, wenn man ein Federmesser über das Licht hält. Wo die Klinge weniger nah ist, entsteht das Gelbe, dann Purpur, dann Blau. Hier hat man den ganzen Farbenkreis, und den Unterschied macht bloß der feine Unterschied der Hitze aus. So ein Delikates als die Farbe ist, so fest fi xieren sie sich auf der anderen Seite. Bei den Metallen zeigt sich dieses. Die Metalle können kristallisiert werden. Sie sind die Extreme gegen die Neutralität, sie sind das ganz Abstrakte, wel-ches aus der Neutralisation zurückgetreten ist, sich in sich vertieft, zurückgedrängt, verdunkelt hat. Die Bestimmtheit der Farben ist durch das Chemische gesetzt. Es ist unser Gedanke, welcher das Licht so erfaßt hat: daß z. B. das Licht als Grundlage und Dunkel-heit darüber gelb gibt. Aber dieser wirkliche Begriff setzt sich hier durch das chemische Verhältnis selbst in die Existenz. Hier ist der Begriff wirklich gegenwärtig. Indem die Metalle dies sind, daß sie aus dieser Neutralität hervortreten, so haben sie diese Verdunkelung, die dann die anderen Momente für die Farben ausmachen. Alles Färbende in den Metallen gehört den Metallen an. Die Metalle, indem sie so in sich verdunkelt sind, so sind sie es, die das hohe spezifi sche Gewicht [ haben]. Sie haben deswegen auch die ganz eigentüm liche | Intensität und Glanz. Nach der Newtonschen Weise zu sprechen sagt man: ein Körper hat eine grüne Farbe, weil er die grüne Farbe wegweise und die anderen alle behalte. Dies ist ein fl a-ches, formelles Räsonnement. Eine gefärbte Leinwand wirft ja auch einen gefärbten Schein hinter sich, und zwar die nämliche Farbe, die sie hat, und nicht, wie man nach Newton sagen sollte, alle anderen. Die Farbe als solche zeigt sich dann als Metall, der Metallglanz ist dieser Hellepunkt. Jede Farbe muß eine helle Weiße in sich haben. Ihr Insichsein ist ihre Verdunkelung. Einerseits ist die Farbe das

995

5

10

15

20

25

30

35

110 Die Physik 196 –198

ganz Fixierte, auf der anderen Seite das Flüchtige. Die Farben sind überhaupt auf dem Chemischen beruhend. Das Chemische ist das Bewegende, Realisierende. Die chemischen Unterschiede sind es dann vornehmlich, was sie herüber- und hinüberzieht. Das Kalische steht auf der Seite des Dunklen, die Säure auf der Seite des Hellen (Lackmus). Das ist diese Spezifi kation: das Licht materiell gesetzt.

Die anderen Besonderungen sind die, welche auf den Sinn sich beziehen: Geruch, Geschmack. In dem Prozeß ist es nicht wie bei der Farbe, daß so zwei entgegengesetzt sind. Und die dritte Seite des Prozesses ist dann der abstrakte Prozeß im Geschmack. Geruch ist der reale Prozeß. Es liegt in ihnen beiden etwas Allgemeines zugrunde. Der Geschmack ist der abstrakte Prozeß. Dieser Prozeß ist der fort-dauernde Kampf der Individualität | mit seiner Abstraktion. Die Luft ist das Verzehrende des Individuellen. In diesem Prozeß sind alle Körper fortdauernd begriffen. Alle Körper haben eine Atmosphäre um sich herum, und dies ist ihre Verfl üchtigung, welche beginnt. Das Individuelle ist gegenüber dem ganz Abstrakten. Dieser Prozeß ist also die erste Form der von der ruhigen Gestalt sich abtrennenden Besonderheit. Farbe ist Verhältnis zum Licht – Geruch zur Luft, zu diesem verzehrenden Allgemeinen. Die ganze Spezifi kation geht auf einfache Weise in diesem Prozeß ein. Es ist die Spezifi kation des Körpers, welche in einfacher Form vor sich geht.

Der Geruch ist ein einfacher. Eben deswegen sind die Gerüche das ganze Sinnliche, weil es das ganz Verhältnislose ist. Deswegen sind sie nur unendlich voneinander verschieden. Sie haben keinen bestimmten Gegensatz gegeneinander. Wollen wir ihnen Unter-schiede geben, so drücken wir es subjektiv aus oder auf chemische Weise. Gerüche können wir ausdrücken nach einem bestimmten Körper (Rosen, Lilien). Dieser formelle Prozeß nun aber, zum realen Prozeß fortgehend, wird das, worauf sich der Geschmack be-zieht. Die abstrakte allgemeine Neutralität erhält in dieser Materie ihre Realisierung. Wie die Luft zur spezifi schen Luft (Geruch), | das Licht zur Farbe, so das Wasser zum Geschmack. Weil der Geschmack wesentlich sich nur auf einen Prozeß bezieht, so müssen wir uns in Beziehung setzen auf den zu schmeckenden Körper, ihn zerreißen. Geschmack bezieht sich also auf Auflösung der Gestalt. Der Ge-schmack ist also nicht mehr ein Verhältnis zu Elementen als solchen,

40

45

50

55

60

65

70

198 – 200 Physik der totalen Individualität 111

sondern es ist ein reales Verhältnis. Mit diesem Gegensatz treten wir in eine neue Sphäre über.

Die individuelle Gestalt im Gegensatz geht in den Prozeß über. Sie sind selbst in dem Widerstreit, daß sie für sich sind und nicht für sich sind. Die Momente werden gegeneinander frei, selbständig. Das Freiwerden der Momente ist, daß diese Unterscheide zunächst selbständige überhaupt sind, aber in dieser Selbständigkeit nur ideell sind. Das ist der Begriff des Prozesses überhaupt: Gestalt, die durch ihr Auflösen sich selbst zum Resultat macht. Die Bestimmung, die zunächst zu betrachten ist, [ist] die Selbständigkeit der Unterschiede selbst. Das macht dann den Übergang zu dem realen Prozeß.

Indem diese Momente der Besonderung eben das Dasein für ande-res sind, so sind sie. Es sind die Körper nicht nur in diesem abstrakten Verhältnis, sondern sie stehen auch als Einzelne zueinander und zum Beispiel als besondere selbständige Individualität. | Diese Selbstän-digkeit für sich ist die Selbständigkeit körperlicher Individualität.

Die körperlichen Individualitäten als Gestalt beziehen sich nur auf sich: die Vergleichung, die wir machen, geht sie nichts an. Das wahr-hafte Verhältnis ist, daß sie getrennt gegeneinander sind. Sie sind fürs erste nur selbständig. Der elektrische Prozeß bezieht sich nicht auf sie, sie erhalten sich in ihrer Gestalt. Indem es körperliche Individua-litäten sind, die sich als solche erhalten, so sind sie das nur theoretisch. Sie berühren sich nicht so, wie sich mechanische [ Dinge] gegenein-ander verhalten, sondern auf eine andere Weise. Wenn ich mich bloß theoretisch verhalte, so bin ich ich und er ist er. Jeder bleibt für sich. Daß Körper individuell sich auf diese theoretische Weise verhalten, einander negieren, das ist das theoretische Verhalten. Dieser Begriff ist eine Wirklichkeit. Das Erscheinen dieser Bestimmung kann keine sein als diese. Das Fürsichsein, das eine Wirklichkeit ist, kann nichts anderes sein als das Licht: daß ein Körper leuchtet. Denn die einfa-che Erscheinung der Identität ist das Licht. Es ist auch nur das Licht, denn der Körper soll selbständig bleiben, nicht ein realer Prozeß wie in dem Geruch. Nur das abstrakte Licht als solches kommt in dieser Spannung vor. Dies ist nichts als das elektrische Erscheinen. Wir

107 Am Rande: Denn ist es auf eine einfache Weise ein elektrisches Er-scheinen und ein Hervortreten.

75

80

85

90

95

100

105

112 Die Physik 200 – 201

haben das Licht, das wir mal als das Erste hervortreten sehen, auch wieder als das Verzehren. |

Es ist Licht ohne Wärme, es ist kein Feuer. Der elektrische Funke ist kalt. Es ist das immaterielle Licht. Der Körper verzehrt sich dabei nicht. Es geht auch nicht hervor durch Reibung. Es ist nicht ein sol-ches, das durch Aufhebung der mechanischen Kohäsion hervorgeht. Auch ist es keine chemische Auflösung, sondern es ist Körperlich-keit, die sich ganz darin erhält. Es ist also dem Begriff nach bloßes Licht. Aber es ist auch differentes, entgegengesetztes Licht. Es hat seine Bedeutung wesentlich im Gegensatze. Diese Differenz kann nun eigentlich Polarität des Lichtes genannt werden. Dort, wo die Newtonianer von Polen des Lichts reden, ist ganz und gar nichts; diese Vorstellung ist absurd. Die Polarität des Lichtes ist in der Elek-trizität vorhanden – die Farben sind dies nicht. Das Licht als Licht different gesetzt ist das elektrische Licht. Das differente elektrische Licht ist in der Erscheinung unterschieden. Geruch und Geschmack zeigen nur den Beginn einer Körperlichkeit. Beide Lichter zeigen eine Färbung. Die positive Elektrizität ist bläulich Scheinendes, die negative Elektrizität ist rötlich. Der Geruch ist (nach Ritter) bei dem einen mehr säuerlich als alkalisch. In Ansehung des Geschmacks, wo der Prozeß körperlicher wird, ist bestimmte Unterscheidung. Auch die Strahlung ist verschieden, positive [ Elektrizität] wie ein Pinsel, negative Elektrizität mehr konzentriert. Mit Pulver wird dies ge-zeigt nach Lichtenberg.

Es zeigt sich fürs erste überhaupt der Unterschied, daß bei der einen Art Körper | mehr positive, bei der anderen mehr negative Elektrizität erscheint. Allein mit einer geringen Umänderung der Oberfl äche wird dies verändert. Auch zeigt sich der Unterschied durch ein Anziehen und Abstoßen. Dies ist eben die Wahrheit des Begriffs. Bei der elektrischen Tätigkeit sieht man, daß Körper, welche gleiche Elektrizität haben, sich abstoßen und [daß] die, [wel-che] ungleiche Elektrizität [ haben], sich anziehen. Wenn man zwei

125 bläulich ] rötlich126 rötlich ] bläulich138 –139 und … sich anziehen ] und die ungleiche Elektrizität ziehe

sich an

110

115

120

125

**

130

*

135

201– 203 Physik der totalen Individualität 113

Korkkügelchen an Seide aufhängt und sie werden elektrisiert – ent-weder positiv oder negativ –, so fahren sie auseinander. Werden sie mit entgegengesetzter Elektrizität elektrisiert, so ziehen sie sich an. Hier tritt bloß der Unterschied in Hinsicht der Annäherung ein. In Hinsicht der entgegengesetzten Elektrizität ist bekannt, daß [die Natur in] die Erden und Steine, Brennbares und Salze eingeteilt [ist]. Erden und Steine werden positiv elektrisch. [Wenn] das Brennbare elektrisch wird, [wird es] negativ elektrisch. Die Metalle dagegen sind leitende Körper (wie sie auch die Wärme leiten). Sonst haben doch Wärme und Elektrizität nichts miteinander zu tun. Das liegt in ihrer fl üssigen, gediegenen Natur. Das Metall hat diese hohe Ko-häsion des Indifferenten. Metalle, die Erze sind oder die eine Seite eines Salzes ausmachen, verlieren dies. Stein und Erden werden also positiv elektrisch, hingegen brennbare Substanzen werden negativ elektrisch. Es ist hier wieder die Natur des Punktuellen. Wie die Metalle Leiter sind, so ist das Wasser wegen seines Gleichgewichtes in sich auch vornehmlich ein guter Leiter. |

Die Flamme selbst als das Flüssige in sich ist ein guter Leiter. Es ist nicht ein Reiben, sondern nur ein Streichen, nur einer Berührung, nicht einmal eines Streichens braucht es. Bloßer Druck erweckt Elektrizität. Jeder Druck, jede Berührung macht Elektrizität. Es ist der Körper, der gleichsam einen Zorn beweist und sein Selbst dagegen hervortreten läßt. Daß beim Glas positive Elektrizität und beim Verbrennlichen negative Elektrizität [ge]geben [ist], ist das All-gemeine. Der Unterschied aber zwischen Glas- und Harzelektrizität fällt weg. Es kommt beim Glas [darauf] an, ob es poliert ist. Glas mit Wolle [gerieben] zeigt positive, mit Katzenpelz negative Elektrizität. Gläser, welche gleich sind, zeigen entgegengesetzte Elektrizität. So zwei Siegellackstangen zeigen beide Elektrizität. Ein seidenes Band, wenn es quer gerieben wird, zeigt positive und, der Länge nach [gerieben], negative Elektrizität. So zwei Personen, welche isoliert sind: [Wenn die eine die andere reibt], so wird die reibende posi-tiv, die andere negativ elektrisch. Das negativ Elektrische zeigt das Konzentrierte. So zeigt sich dann auch bei dem Reiben der Körper ein solcher Unterschied. Es läßt sich sehr leicht umkehren. Der

152 Erden ] Salz

140

145

150

155

160

165

*

170

*

114 Die Physik 203 – 204

Unterschied, der sich zeigt, ist: wenn eine animalische Substanz oder vegetabilische Substanz an einer rauhen Oberfl äche gerieben wird, so entsteht negative Elektrizität an dieser Substanz, wo die Oberfl ä-che in ihren Teilen verschoben wird, bei glatten positive Elektrizität. Überhaupt das in sich Gleiche steht notwendig auf der positiven Elektrizität, das Punktuelle [auf der] negativen Elektrizität. So macht es einen Unterschied, ob ein schwarzer seidener Stoff abgetragen ist oder frisch gestärkt, wenn er mit einem weißen | Stoff gerieben wird. Bekanntlich entsteht Elektrizität auch an Kristallen – an Turmalin, Schörl. Diese werden durch Erwärmung elektrisch, und zwar so, daß der eine Pol positiv, der andere negativ elektrisch ist. Man sagt, das entstehe, weil die Strukturen dieser Körper etwas Un symmetrisches haben. Es wird dann durch die Wärme eine Kontinuität gesetzt, wodurch diese Entgegensetzung hervortreten kann. […] |

Indem es der Begriff ist, welcher hier zur Erscheinung [kommt], daß die Realität sich nur in der Dialektik darstellt, so ist dies vor-handen, was wir Leben nennen. Nachdem die chemischen Reagen-zien zusammengebracht sind, so zeigt sich aus ihnen ein Verlauf. Es kommt zu einer Tätigkeit. Wenn der chemische Prozeß sich selbst fortsetzen könnte, so würde er selbst das Leben sein. Dazu gehörte aber, daß die Körper, die er braucht, nicht äußerlich zusammen-kommen, sondern daß sie Glieder von Einem ausmachen. Auf der ersten Stufe sind die Körper indifferent; es ist also gleichgültig, daß ein chemischer Prozeß entsteht – er facht sich nicht selbst an. Diese Körper bringen eine bestimmte Differenz mit und damit eine Tä-tigkeit. Diese Tätigkeit erlischt aber im Produkt. Im Allgemeinen entsteht dieser Prozeß durch zufällige Zusammenbringung, und ebenso erlischt er auch. Die lebendige Tätigkeit hat dem Be griff nach diese Bestimmung, daß es Glieder sind, aus deren Verhältnis die Tätigkeit hervorgeht. Aber diese Tätigkeit ist ebenso das, wodurch

178 positive ] negative188 Im Manuskript Ringier sind die anschließenden Blätter bis Pag. 212

unbeschrieben. Vgl. die entsprechende Textpassage aus der Edition von Manfred Gies in den Sachanmerkungen im Anhang des vorliegenden Bandes, S. 229 f.

195 daß ] wenn196 daß ] wenn

175

180

185

*

190

195

200

204 – 205; 213 Physik der totalen Individualität 115

sie bestimmt werden. In dem Lebendigen sind die Glieder nicht zu-fällig zusammengekommen, sondern sie gehören der Seele an. Die Produkte sind hier auch nicht zufällig. Der Begriff ist also in ihrem Prozeß wie im Leben, aber auch nur der spezielle Begriff. |

Hier erlischt die Tätigkeit im Produkt, sie facht sich nicht selbst überall [an]. Es wird sich hier diese Form objektiv – die belebte Gestalt. Es ist die Gestalt, die die Voraussetzung des chemischen Prozesses ist. Die Gestalt ist dem Begriff nach entstanden. Das Ende ist, als Produkt gesetzt zu werden. Der Prozeß ist also die Rückkehr zu dem Ersten, der Gestalt. Das Nähere ist dieses: die Gestalt ist das Vorausgesetzte. 2. Diese vorausgesetzten Gestalten sind verschieden voneinander. Verschiedenheit ist der Unterschied, der Vergleich. Es ist aber die Differenz, insofern sie als solche auftritt. Nach dieser Differenz sind die Körper besondere. Die eine Seite der Besonder-heit gehört dem einen, die andere dem anderen. Insofern sind sie unvollkommen. Aber sie sind nicht nur diese eine Seite, sondern sie sind Körperindividuen. Diese entgegengesetzte Bestimmung hat jeder auch an sich selbst, aber so, daß er sie nur an sich hat. Jeder Körper ist für sich die Totalität, aber nur dem Begriff [nach]. Die eine Bestimmung enthält er selbst, die andere nur an sich. Er ist ein Widerspruch seiner Existenz und deswegen ist er | die Tätigkeit. Er hat einen Trieb oder Zweck in sich. Zweck fängt da an, wo der Begriff eintritt. Der chemisch differente Körper – als begeisteter ist er schon gesetzt in Beziehung auf den anderen, der ihn integriert, der die Bestimmungen selbst hat, die dieser nur an sich hat. Es ist also der Zweck, der hervortritt, der das Treibende ist. Häufi g kommt der Begriff des Zweckes vor, wenn es ein Oxyd ist, das Verwandt-schaft zu einer Säure hat – es hat den Trieb. Beim Bleioxyd ist der Fall, daß es sich selbst heruntersetzt, um [sich] mit einer Säure zu verbinden. Im Allgemeinen ist der Begriff des Zweckes darum vorhanden, weil ein Körper an sich auch die andere Bestimmtheit enthält. Aber daß er nur an sich ist, dies ist dann das Wirksame. Im Geistigen haben wir es auch: Der Geist ist die objektive Vernunft an sich; aber indem er es nur an sich ist, so hat er auch eine Außenwelt, es erscheint dies in seinem Bewußtsein als etwas außer ihm. Der

229 Am Rande: existierend

205

210

215

220

225

230

235

116 Die Physik 213 – 215

chemisch bestimmte Körper ist aber zugleich an sich das Andere, aber es ist nur als Inneres und darum ist es ihm als Äußeres. |

Wenn wir lernen, so produzieren wir aus uns das Äußere. Oder was einerlei ist: er (der Lernende) trägt die Außenwelt in sich hinein. Es ist also vorhanden die Totalität eines Begriffs in seiner Diremtion. Die chemischen Reagenzien sind also der Widerspruch und damit die Tätigkeit. Die Existenz ist die Neutralität überhaupt. Indem wir ausgehen von selbständigen Körpern, die dies in sich haben, daß sie different sind. Das Zweite ist die Diremtion des Neutralen. Im Leben ist eben dies vorhanden. Indem wir von Selbständigen an-gefangen haben, so ist dies der Weg zu der Einheit. Im chemischen Prozeß ist die Totalität. Die Weise des chemischen Prozesses ist, Neutrales hervorzubringen. Mit diesem Prozeß ist auch eine Di-remtion verbunden – ein Zerlegen, Setzen abstrakter Unterschiede. Aber wenn das neutrale Produkt die Hauptsache ausmacht, so ist diese Scheidung die Nebensache. Salz ist das reale Produkt. Die Oxyde und Säuren sind ebenfalls individuell. Es scheiden | sich aber Gase ab. Aber diese sind nur abstrakte, keine körperlichen Indivi-dualitäten. Wenn geschieden wird, so entsteht das neutrale Produkt. Das ist etwa Wasser.

Jeder solche bestimmte Moment ist real. Dies konstruiert dann eine Klasse von Körpern. Diese ist bestimmt durch die Idee des chemischen Prozesses. Wenn man ein Chemisches ansieht, so sieht man die einfachen Grundstoffe angegeben. Der ganze Unterschied ist entweder zwischen chemisch Einfachem und Verbundenem. Oft fi ndet man hier ganz heterogene Zusammenstellungen. So fi ndet man Oxygene, Hydrogene, Karbonate, Azetate, das Licht, die Erden, Metalle, Phosphor, Kohle, Schwefel. Nun sieht man gleich, daß diese Stoffe etwas ganz Heterogenes sind. Diese weiteren Verschiedenhei-ten, könnte man sagen, gehören in die Physik. Aus dem Stufengang erklärt sich die Bestimmtheit der Klasse. Dieser Stufengang macht die vernünftige Tätigkeit aus. |

Der Stufengang ist das Bewegen und Hervortreten der Gestaltung. Die chemische Tätigkeit der Stoffe bildet einen Schluß – einen Ma-gneten. Es sind die Körper selbständige Körper zueinander. Sie sind

266 Karbonate ] Karbonique

240

245

250

255

260

265

270

215 – 218 Physik der totalen Individualität 117

insofern Extreme gegeneinander. Das Dritte [ist], daß sie sich real beziehen, verbinden. Dadurch sind sie nicht einseitig. Ihre Einheit ist ein Drittes gegen sie. Und das Dritte ist die Mitte, worin sie sich beziehen. Dieses Dritte hat vornehmlich verschiedene Gestalten. Es kann das Neutrale, das Wasser sein, oder das Feuer. Zweitens ist zu bemerken, daß der chemische Prozeß zwei allgemeine Seiten hat. Es sind Kör per individuen, die im Prozeß miteinander sind. Aber diese bestimmten Körperlichkeiten haben hinter sich noch eine Allgemeinheit, das ist das physikalische Element überhaupt. Es kann dann wieder dies ein Extrem eines reellen Körpers sein, z. B. beim Rosten des Eisens. Die Feuchtigkeit macht das Mittel zwischen [der] Luft und dem Körper. Hier ist es ein physikalisch individuali-sierter Körper. Man kann das nun ansehen als einen unvollkomme-nen realen Prozeß. Aber mit diesem Prozeß von konkreten Körpern ist auch der Prozeß der Allgemeinheit vorhanden, wo Luft, Licht, Feuer, Wasser konkurrieren. Das Konkrete hat wesentlich das All-gemeine zu seiner Grundlage. Diese Seite kommt beiläufi g bei der Beschreibung des chemischen Prozesses vor. |

Luft und Wasser sind teils das Vermittelnde, teils das Resultat. Es kommt dann vor, daß Luft und Wasser Bedingungen sind bei dem chemischen Prozeß. Die konzentrierte Säure wirkt sehr schwach auf Metall, wenn nicht das Wasser – das Neutrale – zu Hilfe kommt. Zum Beispiel wenn die Säule von Volta mit der Luftpumpe kommt, so hört nach und nach die Tätigkeit auf. Das Elementarische fehlt hier, und die Tätigkeit hört auf. In Ansehung der Luft: daß sie Bedingung ist, zeigt sich auf die mannigfaltigste Weise. Wenn man frisch geschmolzenes Blei nimmt und reines Wasser darauf gießt und es von der Luft ausschließt, so behält das Blei seinen Glanz. Erst das Zutreten der Luft macht die Reihe voll, unter der ein solcher Prozeß stattfi nden kann.

302 es … ausschließt ] schließt es von der Luft aus

275

280

285

290

295

300

118 Die Physik 218 – 219

[c. Der chemische Prozeß]

Der e igent l iche chemische Prozeß hat zu seinen Gliedern chemisch differente Körper, die entgegengesetzte Klassen ausma-chen. Das Tätigste sind die Säuren und Alkalien gegeneinander, weil jedes auf der höchsten Stufe steht in der Spannung, die ihm nichts bestehen läßt. Der eigentliche chemische Prozeß ist nun zwischen Klassen differenter Körper. Die Körper, welche zu einer Klasse gehören, haben ein eigenes Verhältnis zueinander. Aber weil sie in einer Klasse sind, so ist ihre Beziehung zueinander nur schwächere Beziehung. Verbindungen dieser Art hat Winterl, ein bekannter Chemiker und Physiker, Andronie genannt, | das Männliche. Aber seine Andronie ist entstanden aus einer unsauberen Arbeit. Und so ist sein ganzes Ansehen auf einmal zusammengefallen. Das Ent-gegengesetzte ist nur gemeint . Schubert hat dies als etwas Vor-handenes abgehandelt. Überhaupt sind viele naturphilosophische Schriften hergekommen, mit sehr ungenauen Fakten und Zahlen.

Es sind dies nicht Verbindungen von Dingen, die durch den Gedanken getrennt werden. Es sind vielmehr Verbindungen, die mehr der Kohäsion nach verbunden sind. Doch wirken sie auch verschieden. Zum Beispiel Salpetersäure und Salzsäure zusammen (Königswasser) lösen Gold auf, was keines von ihnen sonst tut. Verbindungen von Metallen dieser Art sind das Interessanteste. Sie verändern die Farbe, so Messing. Das Rot des Kupfers wird durch den weißen Zink zu Gelb. Viele Metalle, Silber, Gold, lassen sich amalgamieren mit Quecksilber, aber nicht alle. Es findet sogar Sät-tigung statt. Silberamalgam ist Quecksilber und Silber. Läßt man dies stehen, so fließt das Quecksilber ab, was zuviel ist. Es ist also ein gewisses Verhältnis. Das Abfl ießen des Quecksilbers ist eine Diremtion. In dem abfl ießenden Quecksilber ist noch etwas von dem | anderen vorhanden. Ein kleines Stäubchen von Zinn bringt große Ver änderung in der großen Masse [von] Quecksilber. Einer-seits nimmt die Härte zu, andererseits die Schmelzbarkeit. Es ist bekannt, daß Wasser und Alkohol zusammen nicht so viel Volumen ausmachen wie beide zusammen. Ebenso ist die Härte größer. Aber

338 wie ] als

305

310

**

*

320

325

330

335

219 – 221 Physik der totalen Individualität 119

die Schmelzbarkeit nimmt zu. Sie gewinnen an Widerstandsfähig-keit gegen die äußeren Gegenstände, verlieren aber diese in Hin-sicht auf das Feuer. Ihr Insichsein ist, da eine Differenz vorhanden ist, ein Negatives. Ihr Fürsichsein, der Widerstand gegen außen, wird größer. Es entsteht höhere spezifi sche Schwere. Dagegen wird umgekehrt ihre Schmelzbarkeit vermehrt. Das ist von der größten Wichtigkeit, z. B. bei den metallurgischen Arbeiten, das Glasmachen hängt davon ab. Das Schnellot = Wismut – Blei und Zink, dies schmelzt in sehr geringer Temperatur, unter dem siedenden Wasser. Das Gemisch leistet größeren Widerstand gegen äußere Gewalt, die Wärme aber ist nicht sowohl äußerlich, und dieser widersteht es weniger. So mit der Oxydierbarkeit. Das finden wir auch in der Geisterwelt: wenn ein Homogenes einer formellen Gewalt beige-sellt wird. | Das gehört aber wie gesagt nicht zum eigentlichen che-mischen Prozeß.

§ 251. Der Anfang, der im chemischen Prozeß zu machen ist, ist das Anfängliche, das Unmittelbare. Die erste Stufe ist das Verhalten von chemisch unmittelbaren Stoffen – noch nicht Säuren, noch nicht Alkalien, noch nicht Salz. Die zweite Stufe ist Oxydation überhaupt. Die dritte Stufe ist der chemische Gegensatz selbst. Es heißt also, der chemische Prozeß hat seine Produkte zu seiner Vor-aussetzung. Der Rückweg ist die Weise der Ausscheidung. Dem Begriff nach unmittelbar ist der einfache Körper. Die erste Stufe ist die Metallität überhaupt, das chemisch Gleichgültige. Zu Metall gehört in dieser Rücksicht auch die Kohle. Sie zeigt sich auch als das nicht Unterbrochene. Der Stickstoff tritt auch auf diese Seite. Sie ist auch ein gleichgültiges Residuum. Aber das gehört zugleich auch auf eine andere Stufe. Das Metall als solches ist nicht neutral, nicht so zerlegbar. Es ist dies in sich kontinuierliche materielle Einfachheit. Es ist nur die Abstraktheit der Individualität, es hat deswegen diese hohe spezifi sche Schwere an sich. Es ist das Prinzip der Farbe. Das Licht verdunkelt, materialisiert in sich, macht | die Metallität aus. Es ist dieses Leitende der Wärme, eben weil es das in sich Eine ist. Die Hauptbestimmung des Metalls ist sein Verhalten in Rücksicht des Chemischen. Die Farbe ist in dieser Hinsicht vorübergehend. Ebenso verändert sich die spezifi sche Schwere. Das Oxyd ist spe-zifi sch leichter als das gediegene Metall. Spezifi sches Gewicht und

340

345

350

355

360

365

370

375

120 Die Physik 221– 223

Farbe bleiben also nicht. Ebenso ändert sich die Leitungsfähigkeit der Metalle. Die Metalle selbst also machen diese erste Stufe aus. Sie unterscheiden sich aber unter sich sehr. Sie machen Arten aus, die sich auf ein besonderes chemisches Verhalten beziehen.

Der wahrhafte Unterschied des Begriffs ist immer der Unter-schied des Gedankens, nur dieser ist der feste bestimmte Unterschied. Die Natur geht zu weiteren Unterscheidungen über. Die weitere Bestimmung ist eine Bestimmung der Besonderheit, und dann ist es der Unterschied der Größe. Dies ist, durch welches sich das Äußer-liche vornehmlich offenbart. Dies muß man vornehmlich bemer-ken: daß man versucht hat, die Metalle als eine besondere Reihe zu fassen. Da es viele Arten sind, so macht ein Gedankenunterschied wesentlich das Bestimmende aus. Aber die weiteren Unterschiede sind quantitativ. |

In solche Reihen spielen wohl besondere Gedankenbestimmun-gen [ hin]ein. Wo in das Besonderte das Allgemeine hineintritt, da wird es sehr oberfl ächlich. So Schelling und Steffens. Erstens sind die Data unzuverlässig und unrichtig. Zweitens: Was die Gedan-ken betrifft, so läßt sich alles herüber- und hinüberziehen. Nach äußeren Unterschieden hat man den Unterschied der Metalle festgesetzt in edle und unedle, vollkommene und unvollkommene. Was Schelling und Steffens gesagt haben, bezieht sich wesentlich auf diesen Unterschied der spezifi schen Schwere, Dichtigkeit und Ko-häsion. Die allgemeine Kohäsion und die Stärke in Art und Weise des Zusammenhaltes ist nicht hinreichend [erklärt], um weiter zu gehen. Und so ist sie ganz etwas Unbestimmtes. Platin, Gold und Silber, edle Metalle, verkalken sich nicht an der Luft und lassen sich wieder herstellen zu regulinischem Gold. Das Quecksilber oxydi-ert sich auch nicht oder dies nicht sehr stark. Und durch erhöhte Temperatur kann dieses Oxyd wieder hergestellt werden. Boerhaave hat die Verdunstung so 510mal wiederholt und keine Veränderung bemerkt. Durch die Voltasche Säule hat man Kali, metallische Basen dargestellt. Das Metallische ist überhaupt allgemeiner Grund|begriff der Körper.

404 sehr ] sich zu sehr

380

385

390

395

*

400

*

410

223 – 225 Physik der totalen Individualität 121

Unter dem Wesen versteht man die Schwere, unter Form die Kohäsion. Der Unterschied kann nichts anderes sein als diese bei-den. Die höhere spezifi sche Schwere ist das Wesentliche, das nicht zur Form auseinandergegangen ist. Das Blei hat höhere spezifi sche Schwere. Schelling sagt, es sei deswegen ein unedles Metall, weil die Schwere die Form verdorben hat. Platin stellt Schelling oben an als das Untrennbare – große Schwere und große Härte. Es kommt in der Form von Körnern [vor]. Dieser Art Kontinuität ist der Geschmeidigkeit entgegengesetzt etc. Das Verhältnis der Metalle zueinander kann auch auf diese Seite betrachtet werden. Sie schla-gen sich in den Säuren nieder. Und das eine hat in dieser Hinsicht mehr Verwandtschaft zu den Säuren als andere. Zink hat eine grö-ßere Verwandtschaft zu Säure als Blei etc. Dies sind nur allgemeine Verhältnisse. Diese Metalle sind, welche man Basen nennt. – Diese Grundlagen. Sie sind aber verschieden überhaupt. |

Die Metalle haben auch einen Gegensatz gegeneinander, einen inneren Gegensatz – Galvanismus. Quecksilber, Silber, Gold auf der einen Seite, auf der anderen Seite Eisen und Zink. Jedes einzelne von diesen Metallen hat diese Reihe. Indem nun zwei Metalle so in Berührung gebracht werden, so zeigen sie nichts gegeneinander. Sie sind aber auch das Flüssige. Berühren sie sich, so macht diese Flüssigkeit, daß zugleich diese Differenz in Tätigkeit gegeneinander kommt. Das neutrale Wasser ist das, wo sich jede Bestimmtheit her-vortut. In ihrer Flüssigkeit liegt das Medium, in dem ihre Differen-zen frei werden, sich qualitativ gegeneinander verhalten. Sie setzen sich in das andere, und so heben sie sich auf und widersprechen sich, und damit ist diese Tätigkeit da.

Die erste, leichteste Erscheinung ist das Elektrische. Volta hat sie als rein elektrisch betrachtet (zwei Platten von differenten Metal-len werden aufeinander gebracht, dann zeigt sich solches). Man hat dann auch zwei Stangen zusammengeschweißt, und so zeigte sich dies permanent. Das Wasser ist es, an welchem dies zur Darstellung kommt. Die Metalle sind an sich different, und es kommt nur darauf an, sie ins Dasein zu setzen. Es ist also | hier nur das Hervortreten der an sich seienden Differenzen. Es gehört also ein Metall dazu, das be-

434 auf ] einander auf

415

420

425

430

435

*

440

*

445

122 Die Physik 225 – 227

stimmbar ist durch ihre Differenzen. Diese Form des Prozesses kann aber ebenso existieren an weiter bestimmten chemischen Formen, weil die Hauptsache ist, daß zwei Differenzen sich berühren. Es können auch andere Stoffe, die in chemischer Hinsicht eine weite Bedeutung haben, in diesen Prozeß eingehen. Die erste Form ist die einfache Kette: zwei feste Leiter und ein Flüssiges. Volta ist aber bei der Elektrizität stehen geblieben. Das nennen sie einen Apparat, der Elektromotor sei. Man macht einen Unterschied zwischen den beiden festen Leitern und einem fl üssigen Leiter. Man kann aber auch eine Kette machen zwischen zwei fl üssigen und einem festen. Der Prozeß entsteht auch so. Das Dritte kann in dieser Rücksicht als neutral betrachtet werden. Wenn zwei Platten genommen werden von demselben Metall, so fi ndet sich auch eine Differenz, wenn die eine heiß ist und die andere kalt. Ebenso wenn es zwei Flüssige sind, welche genug different sind, so tritt durch sie selbst ein Prozeß ein, z. B. mit Seifenwasser und Wasser. Es sind überhaupt Differente, die in sich different sind, und ein Drittes, an dem dies sich offenbart.

Galvani hat das zuerst an Fröschen bemerkt – wo er Zucken be-merkte. Dies ist die erste Hauptbeobachtung gewesen. Man hat dies auf andere Tiere angewandt und gefunden, daß die Wirkung stärker sei bei kaltblütigen | Tieren als bei warmblütigen. Man hat es zuerst mit Nerven und Mark gemacht, aber am bloßen Nerv trat es schon hervor. Es ist das Differente der Metalle, durch welches ein solcher Reiz gesetzt ist. Man kann dem Körper auch diesen Reiz mitteilen, wenn man ihn zum Dritten macht. Hierbei hat man das Besondere nur auf das Physiologische bezogen und hat es als Gegensatz von Mark und Nerven betrachtet. Man nannte es tierische Elektrizität. Volta hat diesen ganzen Gegenstand auf die einfache Bestimmung zurückgebracht. Es ist hier nicht abstrakter Gegensatz wie in der Elektrizität, sondern es ist materieller Gegensatz. Kupfer zeigt auch große Differenz gegen das Zink. Nimmt man eine Zinkplatte und eine Silberplatte und gießt einen Tropfen Wasser darauf, so oxydiert das Zink. Nimmt man große Reihen von Paaren, indem man ein Feuchtes dazwischen tut, so hat man das, was man die Voltasche Säule genannt hat. Hier hat man den Eindruck im ganzen. Ritter hatte 2000 Paare. An den Enden ist nur die Wirkung zu sehen, in der Mitte hat sich nichts gefunden. Die elektrische Erscheinung

450

455

460

*

*465

*

470

*

475

*

*

480

227– 228 Physik der totalen Individualität 123

kann schwach sein und die chemische Wirkung stark. Die Haupt-wirkung [ist], daß an den Enden das Positive und Negative der Elek-trizität und [das] chemische Positive und Negative zum Vorschein kommt. |

Es zeigt sich dann also Oxyd, und das setzt sich an den anderen Platten an und wird wieder regulinisch. Auch entwickelt sich ein oxygenes Gas. Es zeigt sich, daß eine Hydrogenisation zum Vor-schein kommt. Stärker als Wasser wirkt Salzauflösung. Geht man von der elektrischen Erscheinung aus, so kann man sagen, daß das die Elektrizität besser leitet. Allein dagegen zeigen sich widerspre-chende Erfahrungen. Die Wirksamkeit kommt davon her, daß an dem Wasser die Metalle ihre Differenz zum Dasein bringen können. Die anderen Auflösungen sind schon auf eine reellere Weise neu-tral. Sie sind chemisch Begeistetes, ein Saures und ein Alkalisches, überhaupt ein Höheres, real Differentes. So ist das Setzen des Diffe-renten wirksam. Es zeigt sich, daß durch die erhöhte Wirkung die Notwendigkeit der Wirkung nicht auf einen Leiter bloß beschränkt ist. Wichtig ist der Umstand, daß die elektrische und chemische Tätigkeit an Säuren gleichfalls auseinander sind. Mit gegossenen Salpeterscheiben hat man eine ebenso große elektrische Wirksam-keit hervorgebracht wie mit Metallen, aber daran keine chemische Wirksamkeit. Andere haben andere Erfahrung gemacht, z. B. die zambonische Säule, die trockene Säule (ohne chemische Wirksam-keit). Die Größe der Platten hat auch eine große Wirksamkeit. Die elektrische ist sehr bedeutend, aber die chemische Wirksamkeit ist schwächer. |

Die Tätigkeit der einzelnen Plattenpaare ist nicht auf sich be-schränkt. Sie geht auch außer sich. Man kann die Wirkung 9 bis 10 Monate fortdauern lassen. Das hat den Grund, daß diese Diffe-renzierung immer vergeht. Aber es wird auch reduziert, man kann diese Reduktion und Diremtion nicht ins Gleichgewicht setzen. So wie das Oxyd vollkommen vorbei ist, so hört die Wirksamkeit der Batterie auf.

501 wie ] als515 bringen … Dasein ] ins Dasein bringen

485

490

495

500

505

510

515

124 Die Physik 228 – 230

Es wird die Tätigkeit so besser: Die an sich Differenten setzen ihre Differenz an etwas anderes oder bringen sie ins Dasein. Dieses ist das abstrakte Moment der Bestimmtheit überhaupt. Es ist dies die Stelle, wo diese abstrakten chemischen Stoffe ihr Dasein bekommen. Wassersäure, Kohle, Stickstoff, sie sind ganz andere Bestimmtheiten. Diese sind die chemischen Elemente, die existierende Differenz. Das Metallische gehört der Physik an, aber das Differente ist das, was die chemischen Elemente ausmacht. Die chemischen Elemente sind diese Abstraktion, die physikalischen Elemente sind [etwas Konkretes].

Die chemischen Stoffe sind also diese Extreme. Es erhellt sogleich, daß man hier nicht meinen muß, man habe hier das Wesen der Dinge gefunden. Es sind die abstrakten Momente nicht die | reale Grundlage. Sie sind also ganz anderer Art als das Metallische. Dies hat viel Verwirrung gemacht. Dahin gehört, daß die organischen Stoffe auch so diesen unterworfen werden. Der Organismus ist der beständige Kampf gegen das Chemische und wird von dem Che-mischen getötet. Aber auch die toten animalischen Stoffe haben immer etwas Eigentümliches. Man kann sie also nicht in die Sphäre des Chemismus ziehen. Sucht man allgemeine Bestimmungen für so Heterogenes, so gibt es Verwirrung. Jedes muß in seiner Sphäre betrachtet werden. Weil die chemischen Stoffe das Abstrakte sind, so folgt daraus, daß sie nicht als ein Stoff körperlich da sind. Nur der Kohlenstoff ist als Materie vorhanden. Stickstoff, Sauerstoff etc. sind aber nicht Materien, sie sind an andere gebunden. Sie kön-nen Gasarten werden, Luftform annehmen. Die Luft, das abstrakte Allgemeine, als physikalisch bestimmbar überhaupt, ist fähig, diese qualitativen Bestimmtheiten anzunehmen. Eine Gasart ist eine ganz abstrakte chemische Bestimmtheit. Der Stickstoff als Gasart hat zur Basis den Wärmestoff. Aber das ist nun auch so willkürlich. Es ist leere Annahme. Die Luft als Form ist es, in der sie als Form ihr Dasein haben kann. |

Es hat eine Zeit gegeben, wo man das als Basis von allem ansah. Man sah beim Vegetabilischen Kohlenstoff als das Wesen und bei dem Animalischen den Stickstoff. Das ist aber vielmehr gar kein Wesen, sondern das Animalische ist eine Weise des Lebendigseins, nicht des Totseins. Solche Abstraktionen sind das letzte Tote (von

520

525

530

535

540

545

550

230 – 232 Physik der totalen Individualität 125

dieser Stufe ist [in] §§ 253, 254 und 255 gesprochen). Diese che-mischen Abstraktionen machen für sich ein System aus. Stickstoff, das Indifferente, Säure und Wasserstoff machen den Gegensatz. Das Individuelle in diesem ist dann der Kohlenstoff. Das Oxygene ist das Scharfe überhaupt, was die Tätigkeit anfacht. Die Luft ist das allgemeine Schleichende, bloß negativ Scheinende, aber doch zer-streuend Wirkende. Der Sauerstoff ist das Betätigende, denn man hat es Lebensluft genannt. Nimmt man dies weg, so bleibt das bloß tote Stickgas. Das Sauerstoffgas ist das Atembare, Respirable in der Luft. Seine Tätigkeit ist aber fast zu stark, es verzehrt die Kraft der Brust. Das Moment ist das Betätigende überhaupt. Es ist das, was das Me-tall zum Kalken | macht. Seine an sich seiende Qualität ins Dasein zu setzten ist eben dieses: dasselbe von außen zu nehmen. So der Mensch, was er innerlich ist, ist er an sich. Dieses Heraustreten seines Geistes besteht darin, daß er das Äußerliche in sich hereinnimmt. Ebenso das Metall. Daß dies so ist, ist dem Begriff nach notwendig, so auch dem Versuche nach. Man hat das früher anders genommen und gesagt: Das Metall verliere etwas, das hat man Phlogiston ge-heißen. Die neuere Chemie hat diese Ansicht ganz umgekehrt ( La-voisier). Das Metall hat zwar an spezifi scher Schwere verloren, aber es nimmt an Gewicht überhaupt zu. Es wird ein Ponderables an dem Metall gesetzt. Dies ist als Sauerstoff vorhanden. Am kaustischen Kali zeigt sich das Oxygen auch als das begeistete Differenzierte. Wenn man das bemerkt, so konnte man es für das Einfachste halten, daß für das Positive und Negative besonders solche Abstraktionen sich fi nden; weil sie so verschieden sind, hätte das Abstrakte in die-sen Differenzen seine eigene Darstellung. |

So hat man den Wasserstoff als [dem Sauerstoff] entgegengesetzt [angesehen]. So erscheint das Sauerstofferzeugende als Positives und das Oxyderzeugende als Negatives. Was die Natur betrifft, so ist die Differenz das Allgemeine – wie wenn man sagte: das Negative. Im Begriff ist dies Gemeinsame in beiden enthalten. Das Allgemeine ist nun das, was wir Sauerstoff überhaupt heißen. Die Differenz, das Entgegengesetzte muß auch für sich existieren. Die Partikularisation gehört der Individualität des Körpers an. Durch diese ist es, daß

576 hätte ] daß

555

560

565

*

*

575

580

585

126 Die Physik 232 – 234

diese Differenz bestimmt wird entweder zu der Säure selbst oder zu der Säure des Alkalischen überhaupt. Dieser Gegensatz kommt von dem Körper her, sonst wäre er ein ganz Passives, wenn jedes für sich eine Existenz hätte, sowohl das Säuernde als auch das Alkalisierende. Und der Körper wäre dann wie der Konduktor an der Elektro-maschine. So wäre der Körper kein Chemisches. Nun macht aller-dings der Sauerstoff gegen den Wasserstoff einen Gegensatz, aber diese allgemeine Bestimmtheit ist auch wieder nur die eine Seite. Das ist eben die Lebendigkeit der Natur, daß sich das Allgemeine zum Einzelnen macht. |

Der Sauerstoff ist das Differente, aber ebenso gut eine Seite der Differenz. So ist der Wasserstoff nur ein Konkretes. Beide machen nur einen abstrakten Gegensatz aus. Dieser abstrakte Gegensatz kann auch ein Neutrales zusammenbilden. Das Neutrale aber, dieser abstrakte Gegensatz, ist ebenso gut ein nichtindividuelles Neutrales, und es ist das, was wir als das Wasser erkannt haben: das Wasser ist diese allgemeine Neutralität. Es erhellt hieraus der Gegensatz von physikalisch Elektrischem und chemisch Elektrischem. Das physikalisch Elektrische ist konkreter, aber nicht individualisiert. Das physikalisch Elektrische scheint chemisch auch bestimmbar, eben weil es ein Konkretes ist. Lavoisier hat dies [das] Oxygene genannt (Oxygene, das chemisch Begeistete, das Schärfende). Man hat allgemein nach der Analogie angenommen, daß alle Säuren ein Radikal haben und daß sie durch das Oxygene Säuren werden. Aber allerdings kann sich diese Individualität selbst so weit zuspitzen, daß sie eines der Entgegengesetzen und selbst ein Saures ist. Von der Flußsäure hat man noch kein Radikal. Bei der Salzsäure ist man im Streit. Davy nimmt ein Chlor, ein Elementarisches [an], dies sei als | Elementarisches selbst Säure und werde durch Wasserstoffgas zur gemeinen Salzsäure heruntergebracht.

597 ist der Wasserstoff ] der Wasserstoff ist609 daß … werden ] durch die Oxygene werden sie Säuren612 Bei ] Von613 Chlor ] Chlorine

590

595

600

605

*

610

*

615

620

234 – 236 Physik der totalen Individualität 127

Der Sauerstoff hat Beziehung auf das Wasser, und wieder auf die Luft. – Wir haben den Sauerstoff betrachtet, die anderen fallen auch in die Sphäre des abstrakten Prozesses.

§ 255. Der Stickstoff ist das ganz tote Allgemeine. Den Gegensatz machen aus Sauerstoff und Wasserstoff, und das Individuelle in dieser Sphäre macht der Kohlenstoff aus. Dem Sauerstoff gegenüber steht der Wasserstoff. Dieser Wasserstoff ist nicht das Begeistende, Bele-bende, in dem sich die Differenz setzt, sondern er ist die Differenz als gleichgültig. Das ganze Gleichgültige ist der Stickstoff überhaupt. Die Gleichgültigkeit des Wasserstoffs auf den Organismus ist darin sichtbar, daß alles darin erstickt; es ist das Unverdauliche. Ebenso ist er für sich nicht verbrennlich. Ein Körper erlischt darin, er hat deswegen auch nicht die Begeisterung für die chemische Tätigkeit. Indessen ist er selbst brennbar; er ist die Möglichkeit, verbrannt zu werden, wenn er mit Sauerstoff vermischt wird. Das ganz Indiffe-rente ist der Stickstoff, darin kann tierisches Leben nicht bestehen, auch das Feuer erlischt darin. |

Der Stickstoff ist auch für sich nicht brennbar, er ist das Unbrenn-bare, das tote Residuum. Die Luft ist das in sich Allgemeine, das aber als physikalisches Allgemeines seine Negativität nicht verbirgt. Indem das oxygene Gas gemein wird, so bleibt das ganz Tote zurück. Der Sauerstoff ist das Belebende als solches, das Prinzip dieser Be-lebung. Das Vierte ist der Kohlenstoff überhaupt. In dem Unorgani-schen tritt es auch hervor als Kohlensäure. Für sich verklärt hat man es als Diamant gefunden – dieses abstrakte Irdische. Der Wasserstoff und der Stickstoff stehen einander sehr nah. Der Stickstoff ist das ge-tötete Allgemeine und der Wasserstoff ebendieses, aber dem Begriffe nach das Differente. Manche wollten dieses eine schon herüberfüh-ren in eine andere Sphäre. Diese vier machen selbst für sich eine To-talität so gut als die physikalischen Elemente. Das ist die erste Form des chemischen Prozesses. Hegel hat sie galvanische Form geheißen. Die galvanische Form ist selbst ein chemischer Prozeß. Indem nun die weiteren Prozesse, wo die Tätigkeit eine andere Gestalt hat, [zur Debatte stehen], so gehört dies doch nicht hierher. |

651– 652 aus … hinein ] auf eine Salpetersäure, Silberauflösung gießt man Wasser und man steckt Kupfer hinein

625

630

635

640

645

650

*

128 Die Physik 236 – 238

An einzelnen Erscheinungen tritt das Galvanische auch hervor, z. B. aus einer Salpetersäure, Silberauflösung; gießt man Wasser und steckt Kupfer hinein, so wird das Kupfer im Wasser angefressen, und das Silber schlägt sich nieder in dendritischer Form. Diese Diffe-renz ist also die Differenz, daß Oxyde entstehen. Das eigentliche Differente als Chemisches ist das Unruhige, das, das nicht sein will, was es [ist].

Die zweite Form des chemischen Prozesses ist, daß es das Feuer ist, welches das Betätigende von außen ist und seine Unruhe reali-siert. Das Feuer überhaupt, es mag kommen, woher es will, ist, was das Hervorbringende [ist], dies, was die dritte Form ausmacht. Es ist die freie Tätigkeit, die hier den Prozeß macht. Das Feuer ist diese Unruhe für sich. In der ersten Form haben wir die Momente der Differenz als Eines. Es ist das Einfache, das sich selbst widerspricht, die Unruhe, das Verzehrende. Das Feuer ist der allgemeine Begriff, diese zweite Bestimmung. In Beziehung auf den Prozeß ist es das Elementarische.

Das Feuer ist unterschieden von der Körperlichkeit, an welcher es hervortritt. Es ist auch hier, daß | diese für sich seiende Tätigkeit gegen ihr Material ein Äußerliches ist. Das Material für das Feuer muß für sich selbst das Verbrennliche sein. Es soll ein Körperli-ches, Brennendes sein. Das, was im Prozeß sich verhält, ist auch ein Differentes, das aber die reale Möglichkeit hat zu verbrennen, und [zwar] so, daß es nicht durch das Feuer verzehrt wird, sondern daß das Feuer dadurch sein Dasein bekommt. Das Feuer ist gegen das Material (Holz) eine Gewalt. Die Oxydation nannte man auch ein Verbrennen. Hier hat aber das Verbrennen einen bestimmten Sinn. Das verbrennliche Material ist an sich dieselbe Totalität, welche das Feuer ist. Indem dies ist, so ist das, was gesetzt werden soll, das: daß dies gesetzt werde. Es bedarf zur Vorstellung, daß das Gesetzt-werden geschehe. Es soll nur eine Differenz, die Differenz über-haupt, ins Dasein treten. Es ist die Luft, welche hier das Vermittelnde ausmacht, daß die Differenz zur Existenz komme. Indem Schwefel verbrannt wird, so ist es die Luft, an welcher dieses Gesetztwerden geschieht. Die Form des Setzens nimmt es nicht aus sich selbst, denn es ist nicht dieses Lebendige, was sich aus sich selbst setzt. Die Luft,

655

660

665

670

675

680

685

690

238 – 240 Physik der totalen Individualität 129

dieses abstrakte Allgemeine, ist es, was bestimmt wird, daß die an sich Verbrennlichen zur existierenden Besonderheit treten. |

Die Luft ist nicht nur dies, das allgemeine Abstrakte zu sein, sondern sie ist auch zugleich ein Konkretes. Das Produkt dieses Prozesses ist ebenso ein solches Brennendes, nicht ein Verbranntes wie Kohle. Solch Verbrennliches ist vornehmlich der Schwefel. Die brennbaren Substanzen machen die zweite Stufe der Körperlichkeit aus, die erste das Metall. Das Erz als Vereinigung des Schwefels und Metalls stellt die Mitte dar. Die meisten Metalle sind vorhanden in solchem Zustand. Eben dieses Verbrennen ist die begriffene Notwendigkeit. Es haben einige behauptet, der Schwefel sei eine Säure, und zwar weil er die Metalle neutralisiert. Es gehört dies zur Theorie, welche [ behauptet, daß] alles auf Säuren und Basen zurückgebracht werden kann. Allein der Schwefel steht nicht auf der Seite der Säuren, er ist vielmehr nur in der Möglichkeit einer Säure. Schwefel ist also ein Hauptrepräsentant dieses Brennbaren. Es gibt auch so ein animalisches Phosphor – Kohle in Hinsicht auf das Vegetabilische. Das Arsenik legt sich am kalten Körper als weißesPulver an und ist dann ein Oxyd. Schwefelsäure ist diese unmittel-bare, wahrhafte | Säure. Andere Säuren treten nicht so her vor, sie werden nicht durch das bloß Feuer gebildet. [Von] den Sal pe ter-säuren hat die Chemie gefunden, daß sie den Stickstoff zu ihrer Basis haben.

Die zwei Produkte, die wir haben, sind also auf der einen Seite Oxyde, auf der anderen Säuren. Die wesentliche Entstehung der Säuren haben wir auch kennen gelernt. Es gibt auch Kalien, welche selbst auf einer Stufe stehen. Jene, die selbst einen anderen Zustand verlangen, sind die kaustischen Kalien. Das ist die dritte Stufe des chemischen Prozesses. An das Animalische gebracht, sind sie selbst die Tätigkeit. Es ist nur gewaltsam, daß sie so gehalten werden. Sie müssen in Gefäße eingeschlossen werden. In der Luft beharren sie nicht [in dem], was sie sind. Nur so mit Gewalt festgehalten, bleiben sie in ihrem Bestehen. Die konzentrierten Säuren gehen als Dampf aus sich heraus (sie rauchen). Sie richten ihre Tätigkeit gegen die

698 zur ] auf die712 Jene, die ] Daß sie

695

700

705

710

715

720

725

130 Die Physik 240 – 242

Luft. Sie bestimmen die Luft zu Wasser und integrieren sich dazu. Es sind diese Säuren der formelle Prozeß, das Negative seiner selbst wie das Feuer. Säuren und Alkalien machen also diesen realen che-mischen Gegensatz aus. Es ist nicht mehr die Indifferenz. |

Zu den Oxyden gehören die Metallkalke – die Alkalien, das ve-getabilische Kalische, das animalische Alkali (das Ammonium). Im Kalk, Strontian, Baryt hat sich bald gezeigt, daß sie der kalischen Seite angehören. Man glaubte in dieser Hinsicht etwas Indifferentes zu fi nden. Bei den anderen Erden sind zwei Wege. Einige zeigen sich teils als Basen, teils als Säuren – Bittererde, Magnesium. Bitter-salz ist schwefelsaure Bittererde. Diese gehen auf die kalische Seite. Die Tonerde zeigt sich als ein Amphoteres. Steffens setzt sie [nicht] auf die kalische Seite. Sie reagiert gegen beide Seiten. Alaun erde reagiert gegen Alkalien und Säuren. Die Kieselerde zeigt sich als eine Säure, sie reagiert gegen Kali (Glas). Das Kaustische kann nicht bestehen, sie raubt sich die Luft. Ihr Sinn ist, daß die Säure auf Kali und das Kalische auf Säure sich beziehe. Im Kali liegt der Begriff der Säure. Das Produkt ist ein Neutrales – Salz. Diese Tätigkeit gegeneinander ist wie gesagt eine Tätigkeit ihrer gegen sich selbst. Im Produkt ist die Säure nicht mehr als Säure vorhanden. Es sind alle Eigenschaften, welche sich zeigen, als ein Vorübergehendes, als Unterwerfen. Der chemische Prozeß bringt also eben diesen Schein der Lebendigkeit hervor. |

Es ist die Kohäsion, welche Veränderung erleidet. Ebenso die Farbe. Das Farbenspiel, welches im chemischen Prozeß zum Vor-schein kommt, ist, was zuerst in die Augen fällt. Die Farbenverände-rung zeigt sich schon im formellen Prozeß. Die rauchende Salzsäure wird grün, wenn Wasser hinzukommt, und zuletzt blau, wenn mehr hinzukommt – zuletzt farblos. Im Salz ist der Begriff, der hier auf-tritt. Das andere sind nur Momente, und [sie] sind veränderlich. Das Produkt, welches hervorkommt, ist allerdings bestimmt durch die Säure und Basis. Aber es ist eine innerliche Bestimmtheit. Das Un-veränderliche ist eben das Ganze der Individualität. In der Chemie nimmt man Grundstoffe an und nennt diese die einfachen Körper, weil man sie nicht darstellen kann als ein in sich Neutrales. Aber

728 fi nden ] fi nden - die reine Tonerde [Tonerde gestrichen]

**

730

*

735

740

745

750

755

760

242 – 243 Physik der totalen Individualität 131

diese Einfachheit ist eben selbst nur eine Einseitigkeit. Und alle einseitigen Körper haben den Durst, ein Konkretes zu bilden. Das Unveränderliche mußte dieses sein, was wieder mit einem anderen eine Verbindung einging, ohne sich zu verändern. Aber dies ist ein leerer, negativer Gedanke. Alles ist Moment. Die Idee ist das Unver-änderliche. Im Neutralen ist die Säure nicht als Säure enthalten. Ist die Verbindung aufgehoben, dann existiert es als Säure. Das neutrale chemische Produkt ist die Totalität überhaupt. |

Es ist neutral, und zwar allgemein neutral. Die allgemeine Neu-tralität ist Wasser. Man spricht von Kristallisationswasser, aber man muß sich dieses nicht als Wasser denken. Erst in der Scheidung, mit dem Unterschied der beiden Seiten tritt dann auch das Allgemeine, nämlich das neutrale Wasser, hervor.

§ 257. Es ist zunächst hier Näheres von der Wahlverwandtschaft die Rede: daß ein Saures sich mit einem Kalischen verbindet. Man bemerke, daß Verwandtschaft die Form der Refl exion ist, etwas Allgemeines, das sich auf die Familie bezieht. In dem Formalismus der Chemie wird die Verwandtschaft als der Grund angegeben. Man sagt, sie verbinden sich, weil sie verwandt sind, miteinander. Man hat nur ein anderes Wort, aber keine Erklärung. – Salpetersäure, Silber-auflösung, so legen sich glänzende Silberkrusten an, und das Kupfer wird gefressen. Da sagt man, die Salpetersäure ist dem Kupfer näher verwandt als das Silber. Das ist leerer Formalismus. Der Trieb des Verstandes, der auf den Grund kommen will, liegt hier am Tag. Man schreibt jener Säure eine Wahlverwandtschaft zu, weil sie zwischen zweien das eine vorzog. |

Die Chemie nimmt auch auf die Quantitäten Rücksicht, indem sie von dem einen mehr braucht, um gesättigt zu werden. Daß man diese sucht, ist das Eine, das Allgemeine darin aufzusuchen ist das Zweite. Man hat viele solche allgemeine Bestimmungen gefunden. Sie sind empirisch und [damit] etwas, was den Begriff als solchen nicht darstellt. Aber es ist immer die nächste Stufe. Nun ist es Vorbereitung für den Begriff, erkannt zu werden. Diese Ge-setze stellen also nicht die Idee dar, sondern das Allgemeine muß an dem Einzelnen anfangen, [um] erkannt zu werden. Es tut sich sogleich eine nähere Bestimmung hervor. Die Sättigung ist etwas ganz Bestimmtes. Eine Qualität von Säure bedarf einer gewissen

765

770

775

780

785

790

795

132 Die Physik 243 – 245

Menge von Kalischem zur Sättigung. Einige Salze sind basisch, an-dere sind sauer. Aber es ist ein gewisser Punkt vorhanden, wo das bestimmt ist. Eine Säure hat also einen festen Punkt, z. B. Talk 89 Teile und 100 Teile Salzsäure, Platin 629, Silberoxyd 319 etc. Dies sind feste Punkte. So in Ansehung der Oxydierung. Ein Metall, um zu oxydieren, braucht eine gewisse Menge Oxygene. Ein Metall hat aber verschiedene Oxydationsstufen, diese sind | auch bestimmt. Es zeigen sich bestimmte Knoten. Ein Metall oxydiert sich z. B. bei 20, dann bei 40, etc. Zinn z. B. hat dreierlei Oxydation. Das Zin-nische (braunes Zinnoxyd), in diesem sind 13 Teile Sauerstoff und 100 Teile Metall, [als] rotes Oxyd 20 Teile Sauerstoff und 100 Teile Metall, [als] gelbes [Oxyd ] 27 Teile Sauerstoff und 100 Teile Metall. Es ist zweierlei, was die Aufmerksamkeit erregt. Erstens die Menge des Oxygens, das gebraucht wird im Verhältnis zu einer höheren Oxydation und das Verhältnis der beiden Quanta von Oxygenen in der Säure und in dem Oxyd. Die zweite Seite ist, wie sich eine Säure zu einem gewissen Kalischen verhält, und dann, wie sich eine andere Säure zu dieser Säure [verhält], und umgekehrt. Es ist vornehmlich Berzelius gewesen, der nach der ersten Weise gearbei-tet hat. Er fand ganz einfache Verhältnisse. Ein anderer Engländer, [ Dalton], hat dasselbe gefunden, aber eingehüllt in eine metaphysi-sche Alchemie. Er spricht von Atomen, d. h. bei ihm sind | diese eine gewisse Einheit. Dazu hat er noch mancherlei gedichtet. Er sagt, ein Atom A und ein Atom B gibt ein Atom vom Körper C. Dann ging er weiter: A mit zwei Atomen B gibt ein Atom von D, und zwei Atome A und B gibt ein Atom von E. Die anderen zusammen-gesetzten Verhältnisse hat vornehmlich Richter untersucht. Er hat das Stöchiometrie genannt. (Größenbestimmung der Grundstoffe.)

801 Sauerstoff ] Metall802 Metall ] Sauerstoff802 Sauerstoff ] Metall803 Metall1 ] Sauerstoff803 Sauerstoff ] Metall803 Metall2 ] Sauerstoff821– 823 daß … sind ] daß wenn zwei Körper sich nicht nur in einem

Verhältnis befi nden, sondern in mehreren, so sind diese Mengen in einer sehr einfachen Progression

800

*

805

***

815

*

820

*825

245 – 247 Physik der totalen Individualität 133

Das Erste von Berzelius betrifft die Oxydationsstufen von ein und derselben Basis. Hier hat er gefunden: daß zwei Körper, wenn [sie] sich nicht nur in einem Verhältnis befi nden, sondern in mehreren, diese Mengen in einer sehr einfachen Progression sind: 1, 1 ½, 2, 4, 8, etc. Zum Beispiel: Das Bleioxyd hat die neuere Chemie auf drei Oxydationsstufen angenommen. Diese verhalten sich so: Ein Teil Blei mit folgenden Sauerstoffmengen geben so das Verhältnis 7 ⁸⁄₁₀, 11 ⁷⁄₁₀, 15 ⁶⁄₁₀. Mit anderen Mengen macht das Blei keine Verbindung. Dies sind die Knoten, die angeführt werden. Zwischen ihnen und darüber hinaus fi nden sich keine Oxydationen. Diese drei Zahlen reduziert sind 1, 1 ½, 2. |

Ebenso bei Säuren, z. B. Schwefelsäure und schwefelige Säure. Die zwei Mengen von Oxygenen darin sind fest bestimmt. Die Schwefel-säure. 100 Teile Schwefel, so machen 49,7 Teile Oxyd mit diesem verbunden die schwefelige Säure; 149 Teile aber die Schwefelsäure. Das ist ebenfalls ein Verhältnis wie 1 : 3, also sehr einfach. Zwischen Oxygenen und Stickgas ist die atmosphärische Luft die niederste Stufe 22 : 100. Es hat aber noch andere Oxydationsstufen.

Das dritte Verhältnis betrifft e ine neutrale Verbindung. Darin ist eine Säure und ein Oxyd. Jedes hat eine Menge Sauerstoff in sich. Dieses Verhältnis ist ein einfaches. Der Sauerstoff der einen ist ein Multiplum von einer ganzen Zahl, und umgekehrt. Das vierte Verhältnis ist, daß, wenn Körper eine Verbindung ohne Sauerstoff eingehen, [sie] sich auch in einem gewissen Verhältnis sättigen, wie wenn Schwefel mit Metall verbunden wird. Die Menge von beiden steht im Verhältnis der Sauerstoffmengen, mit denen sie sich, wenn sie oxydiert sind, verbinden. |

Die wesentlichen Verhältnisse sind die Verhältnisse verschiedener Säuren zu verschiedenen Basen. Dies bezieht sich nun mehr auf Wahlverwandtschaften. Man hat eine Säure, z. B. Schwefelsäure, und Kali; dies sättigt einander in einem gewissen Verhältnis. Die Frage ist: Wie verhalten sich die Mengen, die die eine Säure braucht, zu den Mengen, die eine andere Säure braucht? – Kommen Salze in

828 ihnen ] sie hinein839 Sauerstoff ] Säure

*

830

835

840

845

850

855

*

134 Die Physik 247– 249

Berührung, so sind sie nicht aktiv. Sie lösen sich auf im allgemeinen Neutralen und verlieren darin ihre Gestalt.

Es wird von der Stärke und der Schwäche der Säuren und Basen gesprochen. Das bezieht sich teils auf die Menge des Wassers, die darin ist. Aber man sagt es hauptsächlich von dem, welches von einer Basis mehr bedarf als ein anderes. Link sagt auch, daß die Kali stark oder schwach seien, je nachdem sie viel Säure zur Neutralisation brauchen. Aber das ist durchaus etwas Leeres, Stärke und Schwäche hier anwenden zu wollen. Ebenso z. B. wie beim Organismus in Be-ziehung von Irritabilität und Sensibilität oder Attraktionskraft und Repulsionskraft (zentripetal, zentrifugal). Die Stärke ist vielmehr gleich bei Kali und Säuren. Man hat versucht, die verschiedenen Verwandtschaften auf andere Bestimmungen zurückzuführen: Worin liegt es, fragte man, daß sich diese Säuren etc. so verbinden? | Man hat das auf die Menge des Aufgelösten zurückgeführt. Es ist aber keineswegs der Fall.

Durch den chemischen Prozeß verändert sich das Volumen. Und jener Künstler ist ungerecht[erweise] verurteilt worden, weil er zu der Krone mehr Silber als Gold genommen habe und sich nun das spezifi sche Gewicht verändert hat. Auch die Farbe verändert sich mit den verschiedenen Oxygenen. Das ist also der Begriff: Es kommt ihre Relativität im chemischen Prozeß zum Vorschein. Und wenn das eine nicht da ist, so ist auch das andere nicht da, denn sie sind, was sie sind, nur durch das besondere Verhältnis. Der Körper stellt sich also dar als ein Kreis von Möglichkeiten von Verbindungen. Diese Relativität macht sein Sein aus. Seine wahre Individualität stellt sich nur in dieser Totalität dar – in diesem Kreis-lauf. Der Standpunkt, auf dem wir stehen, ist die Neutralität, die totale Körperlichkeit. Das Neutrale ist nun das Ruhende, indem das Entgegengesetzte zur Ruhe gekommen ist. Weil das Neutrale die Einheit Entgegengesetzter ist, so ist die Tätigkeit erloschen und die Diremtion. Die Tätigkeit ist ein Äußeres. Wäre diese Tätigkeit permanent, so wäre es das Lebendige. Dieses Setzen der Diremtion ist der Rückgang zu dem, wo[von] wir ausgegangen sind. |

876 denn ] sondern

860

865

870

*

875

880

885

890

249 – 251 Physik der totalen Individualität 135

Das nächste Setzen der Differenz betreffend, so kann dies auf diese Weise geschehen, wie wir gesehen haben. Hier wird das Neu-trale wieder zur Differenz gesetzt durch ein anderes Differentes. Der Gattung nach entsteht nichts Neues, nur nach der Seite der Partiku-larität entsteht hier ein anderes. Das eigentliche Dirimierende kann nichts anderes sein als das Feuer. Das Feuer, dieses sich Verzehrende, diese Unruhe des Widerspruchs, ist, was das Neutrale überhaupt wieder dirimiert. Das Feuer als diese für sich seiende Negativität setzt die Tätigkeit, die im Neutralen nicht da ist. Den Kalk macht es zu einem Kaustischen. Alle Kristalle erleiden Veränderung. Ist die Grundlage [das] Feuerbeständige, so geht die Säure in Gasgestalt fort und umgekehrt. Aber durch das Feuer werden die Gegenstände nicht nur geschmolzen, sondern es setzt sich an ihnen als das Nega-tive (so wie es sich vorher setzt als das Negative der Materie). Das Feuer ist also dieses Dirimierende. Auf dem trockenen Wege geht diese Diremtion vor, auf dem nassen Wege mehr ein Auslaufen. Die meisten Säuren entstehen bloß durch diese Diremtion, z. B. Schwefelsäure, durch Verbrennen. Weitere Zurückführung ist die Reduktion der Oxygene zur Metallität. Diese Reduktion geht na-türlich auf die reelle | Weise. So ein Indifferentes wie Kohle, welches man beim Glühen zusetzt, wird differenziert. Manches Metall, z. B. Quecksilber, reduziert sich durch [das] bloße Feuer. Ebenso wie das Feuer es bis zu diesem Extrem zurückführen kann, so ist es auch das Galvanische. Durch dasselbe kommt das Neutrale, die an sich seiende Differenz, auch zur Existenz. So wird das Oxyd desoxydiert. Wenn Salpeter im Wasser aufgelöst ist und man es der galvanischen Tätigkeit aussetzt, so zeigt sich an einem Pol Salpetersäure, an dem anderen das Kali. Es ist also hier eine Diremtion, das zugrunde Liegende ist selbst ein Entgegengesetztes. Es zeigt sich aber auch noch ein Dirimieren, so daß diese Unterschiede nicht selbst schon vorhanden sind; es tritt auch eine Diremtion ein, welche nicht durch ein äußerliches, schon vorhandenes Verschiedenes bestimmt ist. Hierher gehören mehrere Erscheinungen; z. B. wenn ein Am-

912 – 913 es … aussetzt ] setzt es der galvanischen Tätigkeit aus917 es ] sondern es919 – 920 Ammonium ] Monium

895

900

905

910

915

920

925

136 Die Physik 251– 253

monium pulversiert auf Salpetersäure gestreut wird, so zeigen sich an der Oberfl äche graue Flecken. Solche Säurereduktionen kom-men noch sonst oft vor, z. B. beim Ausgießen von Eisensolution auf Kiesel, wo sich metallglänzende Flecken zeigen. |

Die Lebendigkeit ist Individualität, aber so, daß das Wesen, die Einheit des Individuums, an ihrer Einheit erscheint, und in dieser Tätigkeit bleibend. Darin, daß die Unterschiede ideell gesetzt wer-den, darin liegt, daß ihre Einheit in ihnen ist. Das Außersichsein ist gleichgültig. Die Rückkehr aus dem Anderssein tritt hier hervor. Es ist die Einheit, die in der Realität existiert: nur indem es in sei-nem Auseinandersein ein Ideelles ist. In dem chemischen Prozeß ist diese Rückkehr nicht vorhanden, er ist nur die äußerliche Erschei-nung des Lebens. Die Formen sind noch außereinander. Die Stoffe verhal ten sich zufällig, nicht als Glieder. Sie kommen als selbstän-dig zusammen. Die verschiedenen Momente des Prozesses haben ihre Materie auch nicht von sich selbst. Die Formen fallen damit auseinander, auch die verschiedenen Tätigkeiten. Er hat einige vorausgesetzte, unmittelbare Anfangspunkte. Diese verschiedenen Momente des Prozesses sind gegeneinander äußerlich. Das macht die Endlichkeit des chemischen Prozesses aus. Er ist endlich, weil die verschiedenen Momente gleichgültig sind gegeneinander, unmittel-bar sind. Die Bestimmung des Seins ist darin noch vorherrschend. Wir sind deswegen auf den chemischen Prozeß beschränkt. Diesen großen Prozeß in der Natur können wir nicht veranstalten, keinen meteorologischen Prozeß, etc. Daß man weiß, was wir leisten kön-nen, damit ist nicht gesagt, daß | es in der Natur nicht geschehen könne. Die Chemie der Natur kann auch nicht durch die endliche Chemie nachgemacht werden. Daß dies nur unsere Chemie ist, liegt in seinem Begriff. Er ist der endliche Prozeß, wo Äußerliches zu Unendlichem kommt. So können wir auch nichts weiter tun, als etwas Äußerliches dazu bringen, und so ist es der endliche Prozeß.

Wir als Individuum verhalten uns hier als Bewußtsein, als End-lichkeit. Und deswegen ist, was wir tun, nur etwas Endliches. Wir verhalten uns in unserem Operieren nicht als Geist als solcher, son-dern nur als endlicher Geist. Wenn wir uns als Geist verhalten, so

932 sind ] fallen

930

935

940

945

950

955

960

253 – 254 Physik der totalen Individualität 137

verhalten wir uns dazu begreifend. Und so fassen wir ihn in seiner Totalität auf: daß er notwendig ein äußerlicher ist. Nun sagt man wohl: Die Natur ist also ein Größeres als wir, und wir müssen zu-rücktreten. Aber wir vermögen das nicht, weil wir ein Höheres sind, weil wir [uns als] Selbstbewußtsein verhalten, weil wir die Natur uns gegenüber haben und uns selbständig verhalten. Aber der Geist an sich ist nicht mehr unser[er], sondern der, [welcher] selbst nicht Bewußtsein ist, sondern der schlafende Geist. Und eben die Natur ist dieser schlafende Geist. Der Geist nur in seinem Wesen ist die Tätigkeit der Natur (Was den Übergang macht, siehe § 259).

§ 259. Der chemische Prozeß stellt sich [als] die Idealität der unmittelbaren Individualität dar. Allgemeine Individualität über-haupt, wo der Körper in dieser vorhandenen, bestehenden Gestalt ist. Aber er ist nicht nur so eine Stufe, Klasse, eine gestaltete Indi-vidualität, sondern er ist | auch eine solche, welche sich verändert und so nur als ein Wechsel besteht, nur als Moment des Begriffes. Im chemischen Prozeß ist der Begriff erscheinend. [Wenn] die Momente des Begriffs als ideell gesetzt [sind ], so ist im Begriff eine Einheit gesetzt. Wenn sie in einer Einheit sind, sind sie ideell. Diese Idealität ist es, die sich stückweise dargestellt hat im chemischen Prozeß. Die Individualität ist nun zum Fürsichsein gekommen. Das Außersichsein, das Andere ihrer selbst, ist jetzt als ideell gesetzt. Das Andere ist als Anderes gesetzt: das Negative als Negatives. Das ist eben die Unendlichkeit, die positive Unendlichkeit, nicht die leere, die immer fortgeht und ein Jenseits hat. Wir können sagen, daß die Zeit diese erste, abstrakte Form ist, das Feuer nicht mehr so abstrakt, sondern physikalisch. Diese sind nun bestimmt realisiert, die physikalischen Momente haben reale Materialität; es erzeugt und dirimiert sich das äußerliche Dasein – die Unmittelbarkeit des selbständigen Be stehens. Es ist die Totalität der Unterschiede. Aber wie Zeit und Feuer ist es auch das Unruhige, Tätige. Der Begriff bleibt bei sich: er ist das Unbewegte, das sich selbst bewegt. Das ist der Begriff des Aristo teles von der Natur, und er ist bis auf Kant vergessen gewesen. |

965

970

975

980

985

*

138 Die Physik 254 – 255

DRITTE [ABTEILUNG][ORGANISCHE PHYSIK]

Wir haben bis dahin das Insichsein der Materie, die Schwere. Der zweite Punkt betraf das Auseinandergehen des Insichseins. Materie als abstraktes gibt es nicht. Dieser zweite Teil ist die spezifi sche Ma-terie. Das macht die Sphäre der besonderen Natur aus. Der höchste Punkt der Besonderung ist die individuelle Materie. Es ist die End-lichkeit hier in diesem Teil. Das erste ist die Natur in ihrer Freiheit (in den Bewegungen der Himmelskörper). Das ist die Natur in ihrer Relativität. Das ist also der Standpunkt der Endlichkeit.

Das Dritte ist nun die Organologie – die Natur zu ihrer Freiheit gekommen, so weit sie kommen kann. Der erste Teil enthält nur ungehinderte, ruhige Bewegung, ohne Druck, Stoß etc. Der zweite enthält ein Übergehen der Bewegung, eine Bewegung, welche ver-änderlich [ist], eine Bewegung, welche in ein anderes übergeht. Der dritte ist die freie, aber auch zugleich konkrete, erfüllte Bewegung. Der Kreislauf in sich selbst hat einerseits den | Anfang, außer sich zu gehen, aber der Organismus läßt es nicht geschehen. Die organische Physik enthält also die Idee. Das Erste ist die Natur in ihrem ein-fachen, unschuldigen Begriff. Das Zweite die Realität, die Gewalt. Das Dritte ist die Realität, aber zugleich Idealität.

Cf. § 260. Die erste Idealität ist die Schwere. In dieser ist die Besonderung überwältigt, aber so, daß sie verschwunden ist. Im Zweiten ist dieser Reichtum. Im Dritten ist dieser Reichtum überwunden, aber aufgehoben und zugleich ideell gesetzt. Die Sprache hat es sehr gut aufgedeckt. Das Ideelle ist nicht eine bloße Null. Die Unterschiede sind darin gesetzt, aber ganz durchsichtig. Die Zeit, die negative Einheit mit sich selbst, der Raum, ist hier von dem Körper realisiert. Andererseits ist es die selbständige subjektive Einheit. Die Idee ist somit zur Existenz gekommen (die eben Leben und Organismus ist). Das Leben ist wesentlich Organismus. Im Or-ganismus ist diese Einheit die Form, und zugleich sind diese Teile der Form nicht Teile, sondern Glieder, sie sind ideell. Sie verändern

5

10

15

20

25

30

256 – 257 139

sich, aber bleiben immer die gleichen. Die Form bleibt auch gleich und wechselt damit immer. Der Teil eines Individuellen, wenn er abgerissen wird, bleibt, was er ist. |

Hingegen im Lebendigen ist diese Form Substanz der Teile, sie bestehen nur in dieser Form. Abgerissen fallen sie in das Anorgani-sche, sie verwelken, sie verwesen. Die Form ist also in den Gliedern realisiert. Sie bestehen nur durch die Form. Diese ist ihre Substanz. Die Form ist das Ganze an sich. Dadurch daß sie als Prozesse sind, hebt sich ihre Besonderheit auf; aber sie entsteht auch in denselben. Sie sind Unmittelbares und ebenso Resultat. In dem Begriff des Organismus verschwindet nun der Verstand, denn dieser trennt und bezieht nur. Und der Organismus widerspricht am meisten dem Verstand. Alle Verstandesformen verschwinden, z. B. die Form von Zusammensetzung, von Ganzem und Teilen. (Der Mensch bes teht aus Leib und Seele. – Die Teile des Tieres bestehen aus Kopf, Rumpf und Extremitäten). Aber eben der Anatom betrachtet ja nur das Tote, nicht das Leben. Sie haben nur Teile in ihrer Hand. Es fehlt leider das geistige Band. Der Organismus ist Selbstzweck. Er bringt nur sich hervor, nichts anderes. Der Begriff von Zweck darf hier nicht gesetzt sein. Der Organismus | ist Selbstzweck. Der Keim enthält alles in sich, aber nicht das Ganze eingeschachtelt, sondern auf eine ideelle Weise. Diesen Selbstzweck vollführt das Organische. Es bleibt in seiner Produktion bei sich selbst. Die Fortdauer des Lebens ist eine Erzeugung desselben, was da ist. Es kommt nichts Neues hervor. Das Leben ist nicht ein Ruhendes. Das Leben ist das: sich zum Grunde, zum Gegenstand, zum Objekt für sich zu machen. Es hebt dann seine Gegenständlichkeit auf, das ist dann die Stufe der Refl exion – Gegenständlichkeit einerseits und das Aufheben andererseits. Das Dritte ist dann erst das Leben als Subjektivität.

Also erstens das sich zum Objekt machende Leben, das ist das erste – das geologische Leben. Es ist das Leben in seiner Un-mittelbarkeit. Aber das ist eben nicht Leben, es ist das Leben als Nicht leben. Dieses Leben ist es eben: die Individualität, aber die Individualität als ein Ganzes des Systems. Das ist der unmittelbare Organismus. Die Bestimmung ist dasselbe, wenn man es von der an-deren Seite betrachtet. Das Leben, so unmittelbar, ist auf diese Weise ein gesetz tes , aber so gesetzt, daß es außer dem Lebendigen ist.

35

40

45

50

55

60

65

70

140 Organische Physik 257– 259

D. h. daß das Setzen ebenso aufgehoben ist. Eine Vermittlung durch Aufheben der Vermittlung. |

Es ist nur dargestelltes Leben. Die zweite Stufe ist die Stufe der Vermittlung, Stufe der Refl exion. Es ist die Negation dieser Unmit-telbarkeit, aber bloß Negation, und es ist selbst in diese Unmittelbar-keit versunken. Es ist der Punkt der Lebendigkeit, aber der unerfüllte Punkt. Das Zweite ist die vegetabilische Natur. Die Pfl anze treibt hinaus, sie wächst; aber sie läßt sich einerseits immer als ein Totes zurück, ein Holz. Das ist das Leben noch ganz in seiner Relativität. Die Pfl anze als Subjekt verhält sich zur unorganischen Natur, aber nur zu der abstrakten – Luft, Wasser. Das ist die organische Wasser-welt. Es ist ein Fortsetzen des Zusammenhanges, aber nicht in einer subjektiven [Weise].

Das Dritte ist das Animalische, das Feuer des Lebens. Die Leben-digkeit ist diese: daß ein Auseinandergehen ist wie ein Ineinander-gehen. Dadurch ist das Geteiltsein aufgehoben. Im animalischen Leben ist das Subjekt als ein einzelnes. Hier ist, wie das Wasser, das Grundform ist bei den Pfl anzen, das Feuer das Grundprinzip. Der Geist ist Ich = Ich, das Ich, das sich ganz selbst erfaßt. Die Subjek-tivität kommt in der Natur nicht mehr dazu, daß sie sich Gegen-stand ist. |

[A. Die geologische Natur ]

Die Erde zeigt geschichtlichen Charakter von großer Revolution, ein Faktum. Was geschehen ist, das soll nun durch die Geologie erklärt werden. Man fi ndet Schichten aufeinander liegen, man sagt nun, es sei nacheinander. Wenn man z. B. Sandlagen auf einer Granit-lage sieht, so sagt man, dies ist nacheinander gebildet worden. Die Erklärung ist nichts anderes, als die Form des Nebeneinander in das Nacheinander zu verwandeln. Es ist gleichviel, ob man die Folge in der Zeit oder eine Folge in dem Raum meint. Das hat Werner hauptsächlich gezeigt. Und er hat ein sinniges Bild über die Lage-rung der Berge aufgestellt.

[§] 262. Der Bildungsprozeß ist eben das Chaotische, wo das Ge-schiedene noch nicht geschieden ist, sondern wo es gleichsam eine neutrale Masse ist. Der Gedanke unterscheidet hierin die Teile. Das

75

80

85

90

95

*

105

259 – 261 Die geologische Natur 141

ist aber dasselbe, was im Resultate sich darstellt als ein Sichtbares. Man muß bei dem Resultat stehen bleiben als ein Versteinertes, Fertiges. Es muß als ein Unmittelbares, Versteinertes gefaßt werden, das ist die vernünftige Bestimmung. Es ist vernünftig, es zu fassen als etwas, das ist. Der Organismus muß in seinem Werden gefaßt werden, aber er muß als ein Prozeßloses betrachtet werden. |

[§] 263. Es muß das ganze Gebäude als ein Determiniertes gefaßt werden. Dieses Moment näher zu fassen, gehört der Astronomie an. Das empirische Detail ist zu einer großen Vollkommenheit gedie-hen. Aber das einfache Prinzip muß einer künftigen Astronomie überlassen bleiben. Diese Prozesse gehen auf der Erde periodisch fort. Tag und Nacht, Barometerstand, Abweichen der Magnetnadel, alles dies hat seinen täglichen und jährlichen Fortgang. So Ebbe und Flut, so die Elektrizität – um 4 Uhr morgens ist sie null, nimmt zu und ab. Alles dies hat seine tägliche und stündliche Periode. Die Sonne, das Anfachende, hat die Erde gegenüber. Die Erde hat sie auf eine doppelte Weise. Zuerst das Äußerliche und darin der Same, der hieraus geboren ist. Das animalische Leben ist ihr wahrhaft kon-kretes Sonnenleben. Das Lunarische und Kometarische betreffend, so ist das Lunarische das eine, das Kometarische das andere. Diese organische Neutralität ist nichts anderes als das Meer.

Das Meer ist nicht nur das Neutrale, sondern auch das Leben gebärende, durch und durch belebend. Es ist bittersalzig. Das Bittere entspricht dem Grünen, Galle. Das organisch-|animalisch Grüne ist eben dieser Mittelgeschmack, nicht kalisch und [nicht] sauer. In den Bestandteilen des Meeres ist eben das auch enthalten. Das Meer als die organische Neutralität steht immer auf dem Sprung, in das Le-ben [um]zuschlagen, fällt aber immer wieder zurück. Die Schiffer sagen im Herbst, das Meer blühe. Es sind gewisse Trübungen, die es enthält. Das ist nichts anderes als ein Schleimartiges, das sich punk-tualisieren will. Es ist ein Bilden des Lebens. Oft schlägt es in un-absehbaren Fernen als Phosphoreszierendes [aus]. Es sind kleine le-bendige Punkte. Diese Momente [der] Lebendigkeit befestigen sich aber zuweilen, werden zu einer knotigen Gallerte. Dieser Schleim wird zu Weichtieren (Seesternen). Sie nähern sich den Pfl anzen und

133 fällt … zurück ] immer aber wieder zurückfällt

110

115

120

125

130

135

140

142 Organische Physik 261– 263

den Tieren. Ein Reisender hat bemerkt, daß diese Tiere Kränze von Individuen erzeugen und solche wieder einzelne Individuen. Das Leuchten ist eben ein Ausschlagen des Lebens. Da [in] diesen leuch-tenden Punkten Animalisches ist, was unendlich höher ist als | diese bloß rohen, abstrakten Leuchtpunkte. In einem Tropfen Meerwas-ser ist eine Welt von Infusionstierchen. Polypen, Korallen, dies alles sind Versuche, Leben zu erzeugen. Das Meer erhält diese allgemeine Lebendigkeit immanenter als das Land. Es hält seine Lebendigkeit in sich zusammen, und es läßt diese Lebendigkeit nicht frei werden. Es ist also das Fruchtbare, das aber dies Erzeugte wieder in sich zurück-reißt. Die älteste Vorstellung hat aus dem Meer alles Werden hervor-gehen lassen, aber eben das Hervorgehen ist eine Abstraktion.

Der lebendigen Neutralität nun steht das Starre des Lunarischen gegenüber – ein starrer Leichnam. Diese Starre, dieser feste Kristall, zerfällt als ein Starres, bildet steife Glieder aus, aber läßt sich nur als ein Stein zurück. Erst im wahren Leben ist dies beides, das Starre etc., durchdrungen. Des festen Landes äußere Gestalt hat den dop-pelten Gegensatz von Nord und Süd, von Ost und West. Die äußere Gestalt betreffend, so muß dieser oberfl ächliche Zusammenhang betrachtet werden. Wir sehen im Norden das | Land zusammenhän-gend, nach Süden in Spitzen auslaufend. Der Organismus ist im gan-zen gemeinschaftlich. Man muß ihn trennen, und das hat zur Folge die Partikularisation. Nach unten (in den Spitzen) treten besondere Gestalten hervor. Der amerikanische Löwe und [der] asiatische und afrikanische Löwe (Affe, Elefant) sind anders. Das elliptische Prinzip tritt auf diese Weise hervor.

Der wesentliche Gegensatz gegen diese Verschiedenheit ist der Gegensatz von Osten und Westen, Abend und Morgen, alte und neue Welt. Es ist überall Abend und Morgen, so ist es relativ. Aber ebenso wesentlich ist es auch ein Bestimmtes. Die alte Welt ist mehr Form eines Hufeisens, die neue ist lang, gestreckt. Weil die neue Welt später hineingezogen wird in unser System, ist sie neuer – die Vegetation üppiger, die Menschen in der Kindheit, bestimmt, eine Beute des anderen zu werden. Die alte Welt bezwang die andere

142 wieder ] erzeugen wieder171 Weil ] Damit daß

145

150

155

160

165

170

263 – 265 Die geologische Natur 143

nicht. Aber [die] neue wird von der alten bezwungen [werden]. Die alte Welt betreffend, so unterscheidet sich diese von sich selbst. [Sie ist] auch nicht ein Zufälliges, sondern bestimmbar | in jeder Rück-sicht vornehmlich nach der Individualität der Menschen. In der alten Welt ist keiner von dem anderen bezwungen worden. An den Grenzen hat es sich freilich etwas gezeigt, sonst aber nicht. Afrika ist gleichsam das Lunarische, Asien das Kometarische, Schweifende. Es hat ein Mittel in sich, das schlechthin ein Unverwertbares ist für [die] Staatenkultur. Es erzeugt nomadische Völker kräftig, welche sich von da immer auf die Völker herabgießen. Diese hohe Stärke hat etwas Meerartiges, kann nicht gepfl ügt werden. Europa macht das Abendland aus. In ihm ist das Gleichgewicht. Das unbezwing-liche Gebirge ist im Ganzen ein Unbedeutendes. Der europäische Prozeß ist der Prozeß des Insichgehens – das Formlose. Dieses Form-lose begründet die Freiheit des Geistes, höhere Bildung.

§ 264. Hier bezieht sich das auf die äußere Gestalt. In dem festen (mineralischen) Reiche ist der Mittelpunkt das Geometrische, die mineralische Dreiheit, teils äußerlich, teils daß diese Momente in bestimmte Differenzen auseinander treten. Das Feste in | seiner In-dividualität zeigt sich als die Totalität der elementaren Prinzipien. Es ist nicht nur dieses Steinige, dieses Feste. Einerseits ist es die feste Gebirgsmasse. Aber ebenso ist das Feuer und Wasser auch in diesen Individuen verteilt. Das Land ist ebenso auch eine Quelle des Feuers. Es ist als feuerspeiende Berge und heiße Quellen im Geographischen. Die feuerspeienden Berge müssen nicht bloß als Mechanisches betrachtet werden noch als bloß Chemisches – ein[ge]schlossen von Gas oder Eindringen von Wasser auf Kalk, oder Entzündung von Steinkohle. Es gibt allerdings solche Erdböden. Aber die feuer-speienden Berge sind mehr als dieses, sie sind wie die Galle im Or-ganismus. Die Geologie hat dies auszumachen, nur muß sie nicht auf chemischen Bedingungen beruhend gedacht werden. Es sind dies Erscheinungen von Galvanismus der Erde. Die Lagerungen der Gebirge sind verschieden, aber sie sind nicht bloß tot, sondern wie die Glieder einer galvanischen Kette. Die Verschiedenheit ist hier wieder reell, es ist ein Reelles. |

181 Asien ] Afrika

175

180

185

190

195

200

205

144 Organische Physik 265 – 267

Die verschiedenen Gebirgsschichtungen ruhen, können also nicht tot sein. Das andere ist das Wasser. Dieses muß auch an diesem Kristall sein, aber als Abstraktes. Dies ist das Süße, das reine Wasser. Es entbehrt des Salzigen des Meeres. Die Berge sind diese unversieg-baren Quellen, sie sind teils Anhaltspunkte. Aber sie determinieren auch die Luft zu der Wasserentwicklung. Einerseits sammeln sie wohl in sich das Regenwasser. Aber die echten Quellen liegen ohne Zweifel in einem höheren Prinzip, so daß sie als das Kristallwasser von den Bergen ausgeschieden werden. Wie der Mond den Kome-ten ausschließt, sich diesen entgegensetzt, so hier. Es wird das Prin-zip der Neutralität zu einem besonderen Körper. Das Prinzip des Starren ist es, das das Wasser von sich ausschließt. Abstraktes Wasser, das seiner konkreten Lebendigkeit zueilt. Das Feste für sich – dieser Leichnam –, auf diesen bezieht sich das im § [265] Gesagte näher. Fürs erste | kann man auf den Gegensatz von Erden und Kalk auf-merksam machen. Das Kieselige (Punktualisierende) gegen den neutralen Kalk. Dieser Gegensatz ist es, worin die Formation des Ganzen durchdringend ist. Steffens hat darauf aufmerksam gemacht. Das Kieselige schließe sich an das Vegetabilische, das Kalkige an das Animalische. Das hat seinen Grund, aber es muß in seinen Grenzen gehalten werden. Solche Basen wie Kohlenstoff etc. sind abstrakte. Es hat keine empirische Bedeutung, sie können nur die Stelle eines Gedankens vertreten. Aber Kohlenstoff und Stickstoff sind keine Gedanken. Auch sagt er, das Kieselige sei aus einem vegetabilischen Trieb der Erde entstanden, der Kalk aus dem animalischen – ein ve-getabilisches und animalisches Streben, das in der Massenhaftigkeit stehen geblieben ist. Es sieht bei ihm oft so aus, daß [das], was auf die Seite des Kieseligen gehört, das Residuum eines Vegetabilischen sei, und umgekehrt das Kalkige des Animalischen. |

Das Kalkige zeigt den muscheligen Bruch, der sich der Bildung der Muschel annähert. Es zeigt das Kalkige selbst sich als Gehäuse und Produkt von Animalischem. Kalkfelsen in der Südsee sind nichts anderes als Residuen von kleinen polypenähnlichen Tieren. |

Eine andere Seite ist das Vorkommen. Bald kommt ein Mineral mit etwas ausschließlich vor oder mit Wenigem ausgeschlossen, bald

226 worin ] darin

210

215

220

225

*230

235

*

240

*

268 – 269; 289 – 290 Die geologische Natur 145

kommt etwas allein vor. Das Gold zeigt sich z. B. nie mit Quecksil-ber etc. Kupfer kommt vornehmlich nur mit seinen verschiedenen Erzen vor. Ein wichtiger Umstand ist auch die Gebirgsformation, worin die Metalle vorkommen. Eisen kommen in allen Gebirgs-formationen [vor]. Andere Metalle sind auf die Urberge beschränkt, z. B., Molybdän. Das Silber kommt gewöhnlich mit Bleiglanz vor, Schwefel mit Schwefelkies. Das Vorkommen deutet auf eine nähere Verwandtschaft. Es gibt andere merkwürdige Züge, die auch auf einen solchen Zusammenhang deuten. Edle Gänge werden z. B. im Harz, wenn sie aus der Grauwacke in Sandsteinformation fallen, unedle usw. Andere Bemerkungen. Ein alter Bekannter von Hegel bemerkt, daß eine gewisse Lage nur in oberen Gängen vorkommt. Wo der Gang schmäler wird, fand man, daß er andere Metalle ent-hält als [dort], wo er mächtiger ist. Das ist der Organismus in der Form des Unorganischen.

§ 265 ist der Übergang gemacht von diesem zu dem Lebendigen. Auf der einen Seite ist der tote Organismus. Dieser Organismus schließt nun alle Besonderung in sich. Dieser gegenüber steht dann die Totalität der Subjektivität. Wir nennen es den elementaren Pro-zeß. Dies ist die subjektive Totalität. Sie sind beide zusammen das Unruhige. |

Dieser elementare Prozeß ist die Begattung des Himmlischen mit dem ruhenden Organismus der Erde. Was diesem fehlt, ist eben dieses Prinzip des Prozesses. Die Erde ist für sich die Totalität, das Fruchtbare. Es ist dies, worin der Blitz des Lebens einschlägt. Der ruhende Organismus als dies Fruchtbare hat die Lebendigkeit in sich. Wenn wir sagen: die Erde ist fruchtbar, so ist dies die abstrakte Lebendigkeit. Diese ist zunächst nichts als die Gebilde, von denen man nicht sagen kann, was sie sind, welche zwischen Animalischem und Vegetabilischem schwanken allenthalben auf der Erde. Wo Erde ist, Luftfeuchtigkeit und Licht, da sehen wir diese Produktionen. Die Erde ist überall mit einer solchen Vegetation bedeckt – Moose, Schimmel, Pilze. Als organische Gebilde sind sie nichts Minerali-sches, aber auch nichts Vegetabilisches; sie zeigen kein Zellgewebe.

255 von Hegel ] v. H.275 da ] so

*

250

255

260

265

270

275

146 Organische Physik 269 – 270

Auch ein Animalisches zeigt sich nicht. Sie verknoten sich nicht, bringen nicht Samen hervor (so Rudolphi). Man hat Fruktifi kations-teile fi nden wollen, aber es ist bloß willkürliche Annahme. Auf der anderen Seite ist es ihre substantielle Masse Farbstoff, was sie zu dem Vegetabilischen rechnen macht.

Die Pilze sind so etwas, was zwischen Vegetabilischem und Ani-malischem schwankt, die sich mehr in dem Schleim und Wolligen zu dem Animalischen rechnen lassen. An Stellen, wo etwas verfault, fi ndet sich dieses. Die Lebenskraft nimmt sich noch einmal | zu-sammen und erzeugt ein anderes Gebilde. Es gibt Pilze, welche auf eine besondere Weise entstehen, z. B. aus toten Raupen. Sie gehen die allgemeine Fruchtbarkeit überhaupt an. Ebenso mit den Infusorien. Wenn man in Rücksicht hierauf in Verlegenheit kommt, ob sie Pfl anzen sind oder nicht, so ist man ebenso in Verlegenheit, ob sie Tiere sind oder nicht. Es wird unmöglich anzugeben, was die Pfl anze ist, ebenso beim Tiere.

In Ansehung des Begriffes des Tieres und [der] Pfl anze kommt es nicht darauf an, was in der Natur ist, sondern er muß sich an und für sich bestimmen. Es fi ndet sich dann in der Natur auf, und was sich nicht so fi ndet, kann den Begriff nicht umstoßen. Die Dinge der Natur sind vielmehr unrichtig und nicht der Begriff. Dies ist eben die Ohnmacht der Natur, daß sie die feste Bestimmtheit des Begriffes verunreinigt. Die Natur hat hier die Weise des ungefähren Vorstellens. So wie die Bestimmtheit des Begriffs verschwindet, so zeigen sich Übergänge – die eigentliche Beschränkung. Das Vege-tabilische fängt mit der Subjektivität an – dem Punkt, der an sich festhält, der sich von sich abstößt, dessen Veränderung Veränderung seiner selbst ist. Das Lebendige erzeugt sich also. Dazu gehört nicht nur die Weise, Samen hervorzubringen und sich so fortzupfl anzen.

293 Tiere ] Pfl anzen298 – 299 Die … Natur ] Sie

*

285

*290

295

300

305

270 – 271 Die geologische Natur 147

[B. Die vegetabilische Natur ]

Die vegetabi l i sche Natur ist nun zu betrachten.§ 266. Hier in dieser Sphäre ist die Subjektvi|tät in die Realität

des Daseins versenkt. Der Begriff ist hier ein Einseitiges. Die Leben-digkeit überhaupt des Vegetabilischen ist der Widerspruch dieser Realität, das Dialektische. Als dieses Dialektische ist die Lebendig-keit überhaupt der Prozeß, der eben das Äußerlichwerden immer negiert und zurückführt in diese Einheit und die Idealität ebenso negiert und die Unterschiede als reell heraushebt. In dieser Äußer-lichkeit wird das Lebendige in Verhältnisse der Äußerlichkeit geris-sen. Die Äußerlichkeit ist entwickeltes Verhältnis des Außereinander. Es treten chemische und mechanische Verhältnisse für dasselbe ein. Als dieses Ideelle hemmt es das Herabgerissenwerden, so bringt es hervor. Was es produziert, ist es selbst. Es kommt nichts Neues zu-stande, sondern nur das, was schon ist. Das Lebendige überhaupt hat mechanische Verhältnisse, ebenso hört es auf, lebendig zu sein. Auch chemische Verhältnisse, auch dann, wenn es diesen gehorcht, so hört es auf, lebendig zu sein. In den mechanischen Verhältnissen wird etwas von außen determiniert. Das Organische erhält auch solche Bestimmungen, aber es rekonstruiert sich ebenso in Ansehung des Chemischen. Es geht aber damit keine Verbindung ein. Es müßte ein Neutrales werden. Aber das Lebendige ist eben die Hemmung dieses Determiniertwerdens. Ohne diesen Kampf zu haben, ist es ein Totes. Es siegt immer in diesem | Kampfe. Das ist es, was man Er regtwerden heißt. Es ist nicht nur, daß das Organische seine Eigentümlichkeit zeigt, sondern hauptsächlich, daß es tätig ist.

Das Organische fällt in die Zeit. Das Organische ist notwendig ein Sterbliches. Es stirbt aber aus sich, obschon es auch von außen stirbt, weil es auch als Mechanisches und Chemisches existiert. Aber da der Organismus dieses Dialektische ist, dadurch ist er diese Zeit selbst. Die Partikularisation seiner Zeit ist die Erscheinung seiner Lebensprozesse – periodische Veränderungen, Hemmungen, Epo-chen. Alles hat seine Zeit. Die bestimmte Entwicklung in Hinsicht der Zeit ist se ine Zeit. Es offenbart sich das als Wachstum, nicht äußerlich, sondern als Intussuszeption. Es ist keine Weise des mecha-nischen Verhältnisses, sondern die Sachen werden von demselben

310

315

320

325

330

335

340

148 Organische Physik 271– 273

rekonstruiert. Eine Veränderung, die wesentlich eine Assimilation ist. Das Chemische als solches hat deswegen keine Bedeutung mehr in dem Organischen. Als Masse muß das Organische, freilich als Masse, der Chemie unterworfen werden. Man fi ndet dann, daß Kohlenstoff, Sauerstoff, Stärkestoff etc. die reinen Abstraktionen sind. Aber das ist dann das getötete Leben, nicht mehr die Pfl anze als solche. |

Die Unterschiede, die sie zeigten, sind dann, daß die Abstraktio-nen quantitativ verschieden sind. Das Eigentliche ist, daß durch die Assimilation das Chemische nicht mehr ein Chemisches ist. Das Ve-getative wächst so durch Assimilation. Aber sein Wachstum ist dann ein Größerwerden. Das hat den Sinn, daß nichts verändert wird als die Quantität. Das Wachstum ist aber auch eine Entwicklung des Gegensatzes. Das ist dann [das], was im vegetativen Leben vorhan-den und zu betrachten ist. Der Keim ist der Begriff. Entwickelt er sich, so entwickelt und realisiert sich der Begriff. Aber nur auf die Weise des Gedankens, aber nicht nach dem Einschachtelungsprinzip. Die Stufen sind auf ideelle Weise darin enthalten.

(Cf. § [266]) Die zwei Momente sind im Wachstum wesentlich: 1. Die Entwicklung der Pfl anze ist eine Vermehrung von Individuen. Darunter gehört, daß die Pfl anze in Individuen zerfällt, die sinnlich selbständig sind. 2. Aber auch, daß sie doch zusammen eine Gestalt ausmachen. So existieren sie als unterschiedene Glieder. Es ist nur der Form nach unterschieden, nur eine oberfl ächliche Meta morphose, und es kann leicht eines mit dem anderen vertauscht werden.(Ad 1) Es ist das Pfl anzenindividuum in mehrere | Subjekte [aufge-teilt]: Austreiben, Fortpfl anzen. Dies hat aber sein Ziel. Das äußer-lich Determinierende ist das Licht. Sie hat ihr Selbst zugleich auch außer sich. Sie ist wohl ein Subjektives, aber nicht dieses Subjektive, welches ein Empfi ndendes ist. Eben deswegen hat sie ihr zweites Selbst außer sich. Es ist dies nicht das Wasser, die Luft, sondern das Licht. Sie ist deswegen der Trieb nach diesem Selbst. Man kann der Pfl anze deswegen die höchste Liebe zuschreiben. Das Licht ist ihr Gott, wenn sie Bewußtsein hätte. Die Tiere sehen ein Licht, sie erkennen es, es ist für sie ein anderes als sie [selbst]. Für die Pfl anze ist es aber nicht ein anderes als sie. Sie rankt dem Licht entgegen.

360 Die Stufen ] Sie

345

350

355

360

365

370

375

273 – 275 Die vegetabilische Natur 149

Diese Erscheinung ist sehr bekannt. Die Kartoffel im Keller wird viele Ellen ranken, bis sie das Licht findet. Die Sonnenblume ebenso bewegt sich nach der Sonne. So eine Wiese voll Blumen. Es gibt Blumen, die sich schließen und sich öffnen. Es gibt Blumen, die nur nachts blühen (der prächtige carduus g randiof lorus). Daß sie an dem Lichte erst ihre Kräftigkeit erhalten, wird später erwähnt. |

Das zweite Moment ist, daß sie sich in ihrem Nachaußengehen sich als Individuum erhalten. Dazu ist notwendig, daß sie sich zu neuen Individuen machen. Die Pfl anze in ihrem Nachaußengehen erzeugt sich von neuem, wird als ein Individuum. Das ist der Typus der Produktion der Pfl anze. Es ist ein Knoten, was sich zur Länge treibt bis zu einem neuen Knoten, wo wieder ein neues Indivi-duum entsteht. Die Reproduktion ist also schon ein Fortpfl anzen, ein Hervorbringen neuer Individuen. Dieses Fortpfl anzen ist noch unvermittelt durch das Auseinandergehen des Gegensatzes. Das ist das Geschlechterverhältnis, der Gattungsprozeß, der erst im Ani-malischen seine vollkommene Darstellung hat – einfache vegetabi-lische Produktionen, Pfl anzentiere, einzelne Fäden mit oszillatori-scher Bewegung. Ihr Leben besteht darin, daß sich das Fädchen in ein Knöpfchen zusammenfaßt. Das Knöpfchen fällt wieder ab und bildet wieder solche Konferven. Bei anderen hat dies [die] weitere Modifi kation, daß sie bestehen in einer Art von Pilzen, die zusam-mengeordnet sind in | einem Schlauch. Zerfällt dieser, so gibt jeder Knoten wieder eine solche Konferve. Oft fassen sich die Knoten zusammen, und der Schlauch verliert seine grüne Farbe. Er geht auf, und sie fallen auseinander und bilden wieder eine solche Röhre etc. Dieser Typus wiederholt sich durch die Pfl anze in ihrem höheren Leben. Wir wissen, daß die größer ausgebildete Pfl anze in Zweig und Äste aufgeht. Diese Zweige und Äste sind nur einzelne Pfl anzen, welche ihre Wurzel in dem Stamm haben. Darauf beruht, daß man Okulieren kann oder in den Boden stecken. Oft geschieht es bloß durch den Wind (bei den parasitischen Pfl anzen). Die Zweige, Äste etc. kommen aus den Knospen. Diese Knospen sind schon selbst so ein Ganzes. Die Knospe senkt von sich aus Fasern durch die Pfl an-zen, treibt wie Wurzeln in den Ast, dem sie angehört. Alle einzel-

412 Die Knospe ] Sie

380

385

390

395

400

405

410

150 Organische Physik 275 – 277

nen Knospen haben ihre Verlängerung in dem Stamm, so daß der Stamm eigentlich ein Aggregat von Wurzelfasern [ist]. Bekanntlich kann man Kirschen okulieren, so daß sie doch ihre Individualität behalten. Wenn man von einer Stielart Kerne setzt, so wird der Baum rauher. Also durch den Kern erhält sich die Individualität nicht, wohl aber durch den Zweig. |

Man hat Pfi rsichknospen auf Weiden okuliert, man erhielt große Früchte, die aber herb schmeckten. Der Baum hat also nur die Funktion der Erde. Auch durch Fäden pfl anzen sich gewisse Pfl anzen fort, z. B. Erdbeeren. Da schießt ein Faden aus und hemmt sich selbst, und bildet die Blätter. Eine andere Fortpfl anzung ist wie bei den Zwiebeln. Die Zwiebeln sind selbst also vollständige Individuen. Die Zwiebeln sondern sich zum Teil freiwillig ab und trennen sich von den Wurzeln. Es gibt aber auch Pfl anzen, die sich durch die Blätter fortpfl anzen lassen. Man legt die Blätter bloß auf die Erde. Diese Erscheinungen zeigen, daß die verschiedenen Teile der Pfl anze ganze Individuen sind.

So wie die Pfl anze sich in ihrem Wachstum nur wiederholt, so geschieht dies den Knoten und Fäden. Aber die höheren Pfl anzen haben eine organische Totalität. Wurzeln, Blätter, Blüten etc. Diese sind Differenzgebilde, diese sind eigentliche Glieder. Es bleibt in ihnen ein Einfaches, in sich geschlossenes Grundwesen, so daß das-selbe nur dasselbe bleibt. Die Umbildung ist bei der Pfl anze nur ein geistig fl üchtiger Hauch der Form. |

Es ist der Fall, daß eines das andere vertreten kann. (So hat man die Bäume ganz umgekehrt.) Zweige und Wurzeln scheinen doch durchaus different zu sein. Eine andere Erscheinung sind die gefüll-ten Blumen. Diese sind nichts anderes, als daß die Filamente und Pistillen sich als Blüte zeigen (Geschlechtsteile). Als Geschlechtsteile haben sie die besondere Funktion, und diese wird nur durch Über-sättigung anders bestimmt. Den Blumenstaub, dieses Feinwüchsige, sieht man oft aus den Rinden hervorbrechen (z. B. in den Rosen-stöcken). Die Dornen erscheinen auch als etwas Besonderes. Diese zeigen sich am wildwachsenden Baum. Die Kultur macht sie ver-

426 sondern ] die sondern431 So wie ] Indem

415

420

425

430

435

440

445

277– 279 Die vegetabilische Natur 151

schwinden, dann wird er (der Dorn) ein Blatt. Er ist nur ein Blattstiel, der nicht bis zum Blatt gekommen ist. Goethe nannte dies Meta-morphose der Pfl anze (ein Schriftsteller, der den reinen Natursinn bewahrt, dem die Identität das Wesentliche ist. Dem Botaniker ist die Verschiedenheit das Wichtigste). Er fängt mit den Kotyledonen an, Samenläppchen. Er teilt alle Pfl anzen in Monokotyledonen und Dikotyledonen. |

Dies hält Goethe für Blätter, die aber von roherem Material sind. Goethe nimmt nur die einfachen Pfl anzen an. Wenn diese abster-ben, so zeigen sich Blättchen, die anfangs mehr oder weniger rund [sind ]. Es schießt dann der Stengel auf; dieser verknotet sich und treibt wieder fort (z. B. Korn) oder auch mit einer einzigen Schicht. Die Blätter sind nun von der Beschaffenheit, daß sie eingekerbt er-scheinen. Man kann in einem solchen einzelnen Blatt einen Zweig erkennen. Ein Blatt, das aus vielen Blättern entsteht.

Es ist bekannt, das die Spezies bestimmt werden durch den Unterschied der Stengelblätter. In der Blattentwicklung kommen verschiedene Formen vor. Bei der Vergleichung der Arten kann man es bei Verschiedenem zeigen, daß die verschiedenen Blätter ein Ganzes von Übergängen geben, was bei keiner Pfl anze selbst vorkommen kann. Man hat solche Tafeln gemacht, wo die äußeren Enden sehr entgegengesetzt sind. Aber hat man die Mittelglieder, so gibt es sich leicht ein. Sorbus hybr ida , an diesem zeigen sich einige Blätter beinahe ganz anastomosiert. Dann sieht man Blätter, die tiefere Einschnitte haben. Dann gehen die Vertiefungen hinein bis zu Hauptrippen. Und so fi ndet | man Blätter, die bloß zur Hälfte gefi edert sind. Die andere Hälfte hängt noch zusammen. Die Blätter keimen am Stengel hervor. Der Stengel verknotet sich hier und da, der Stengel wird nach oben immer feiner. So die Blätter. Ein Punkt kommt, wo dies in einem Punkt sich konzentriert, in einem Kno-ten. Das ist dann der Kelch. Die Blätter dort sind um eine Achse, [einen] Mittelpunkt gereiht. Nun tritt aber ein anderes Moment ein, das Moment der Blättchen und Fruktifi kation. Dies macht einen Gegen satz aus zu der Pfl anze. Das Materielle dieses Gegensatzes: die Blättchenkronen und Fruktifi kationswerkzeuge [sind ] dasselbe, was

482 dasselbe ] dasselbe ist

*

*

455

460

*

*

475

*

480

152 Organische Physik 279 – 281

das Blatt etc. ist. Der Übergang geschieht zum Teil schon im Kelch, welcher oft gefärbt ist. Die Blätter der Kronen sind die gefärbten, feiner ausgebildeten, nahe dem Licht gehörig, aber von derselben Natur. Oft stellt sich der Übergang dar. Daß die Staubwerkzeuge ebendies sind, liegt ebenso nahe. Die Filamente zeigen sich als eine Art von Blattstiel. Die canna indica zeigt, daß am unteren Rand sich etwas zusammenzieht, wo dann die Filamente sitzen. An der Iris sieht man, daß die Pistille auch etwas Blättriges ist. Oft haben sie auch die | grüne Farbe. Die Linde zeigt, daß das Blatt selbst die Stelle des Fruchtbodens vertritt.

Ein feinerer Natursinn hat Goethe hierin geleitet. Es treten aber allerdings qualitative Unterschiede hervor bei der Fruktifi kation. Dies hat er hier auf die Seite gestellt. Das Hauptresultat ist, was wir § 266 gesehen haben. Es ist nur immer eine Wiederholung. Die ganze Physiologie der Pfl anzen ist durchaus etwas Einfaches. Der individuelle Prozeß ist auch Gattungsprozeß. Indem sie sich hervor-bringt, pfl anzt sie ihre Gattung fort. Die Geschlechtsverschiedenheit der Pfl anzen ist nicht so wichtig, wie man es glaubt. Es wird zuviel von der animalischen Form dazugenommen. Die Pfl anze ist des Gefühls und der animalischen Wärme unfähig. In der Pfl anze fällt, was Seele genannt werden konnte, mit ihrem Leib ganz zusammen. In der Pfl anze ist das ohnmächtige Leben, das nicht das Entgegen-gesetzte zusammenhalten kann. Die Pfl anze hat deswegen keine Seele, ihre Unterschiede sind nicht ideell | gesetzt. Sie hat deswe-gen keine Bewegung. In der Pfl anze hat man Bewegungen finden wollen, die aber immer etwas Beschränktes sind. Einige merkwür-dige Erscheinungen finden hier statt. Die Bewegung, die von dem Licht abhängt, liegt in der Natur der Pfl anze. Es ist im Ganzen aber doch nur eine Nebenerscheinung, und hiervon ist verschieden das Verändern des Ortes. Dieses fehlt der Pfl anze. Sich von dem Ort bewegen, gehört der für sich seienden Negativität an, die sich als gleichgültig setzt für Raumbestimmung. Die Gleichgültigkeit findet auch bei den Pfl anzen statt, aber nicht durch sie selbst gesetzt. Dieses Selbstsetzen kommt nur der Subjektivität zu. Ferner heißt es: die

500 wie ] als507 hat man ] man hat

485

*

490

495

500

505

510

515

281– 283 Die vegetabilische Natur 153

Pfl anze hat keine Intussuszeption der Nahrung, sie setzt nicht die-sen Unterschied. Sie ist in unmittelbarem Zusammenhang, es geht ununterbrochen fort. […] |

Diese innere Organisation ist durchaus einfach und dem unmit-telbaren Begriff der Pfl anze gemäß. Oken in seinem Lehrbuch der Naturphilosophie spricht auch davon. Oken sagt, die Spiralgefäße sind das Lichtsystem in den Pfl anzen. Er sagt, es seien die Bläschen und Fasern die Sonne und Planeten. Das sieht sehr geistreich aus. Die Fasern seien der Sonnenprozeß, die Bläschen seien der Planeten-prozeß. [ Die] Blüte [sei] das Hirn der Pfl anze, die Blätter seien die Sinne. Ein anderer sagt, die Pfl anze sei das umgekehrte Tier. Das Hirn darin sei in der Wurzel und die Geschlechtsteile oben. Oken hat im allgemeinen Schellingsche Ideen und ein Hin- und Herfahren. Die Bläschen und Fasern sind die inneren Eingeweide in der Pfl anze. Es ist hier keine Verdauung, keine verschiedenen Organe, die eine be-sondere Aktion haben, z. B. wie Galle, Leber etc. Es ist ihr Verhalten zu dem Unorganischen keine Vermittlung. Ihr Inneres ist nicht eine Totalität, die verschiedene Wirkungsweisen an sich hat. [ Die] Pfl anze ist ganz einfach ihre Assimilation. Die innere Tätig keit ist eine ganz einfache, es ist eine Pfl anze von einer gewissen Beschaffenheit. Die Nahrung assimiliert sie sich nicht durch einen Prozeß. Es ist nur eine unmittelbare Verwandlung, eine Infektion (Vergiftung). |

Auch im tierischen Prozeß ist das Substantielle nichts anderes. Es ist eben nichts als die auf sich beziehende Negativität. Es ist die absolute Macht gegen das Unorganische. Das Unorganische hat für sich keine Macht und Gewalt – es ist die Existenz des Begriffs selbst. Es ist diese reine Allgemeinheit. Dies ist die Wahrheit, gegen welche das Unorganische keinen Widerstand leisten kann. Diese Allgemeinheit ist [dasjenige], welches [in] höherer [ Bestimmung] Empfi ndung ist und [in] noch höherer der Geist ist. Es ist die or-ganische Tätigkeit dieselbe Idealität, die ich ausspreche, wenn ich sage: Ich. Das Organische als subjektiv, als mit sich identisch, dieses

519 Im Manuskript Ringier sind die anschließenden Blätter bis Pag. 288 unbeschrieben; ebenso fehlen Pag. 291–296. Vgl. Anmerkung zu Pag. 283. Vgl. die entsprechenden Textpassagen aus der Edition von Manfred Gies in den Sach-anmerkungen im Anhang des vorliegenden Bandes, S. 243 f.

*520

*

525

*530

535

540

545

154 Organische Physik 283; 297– 298

Allgemeine ist die reale Realisierung. Daß dieser Umweg gesetzt wird als ein Nichtiges und Unwahres, dies ist die Tätigkeit dieses Organismus. Sie ist dann ein Spezifi sches, aber als dieses: ein Le-bendiges, Subjektives. Bei der Pfl anze ist an keine Vermittlung zu denken, es ist ein bloßes Spiel.

Die Pfl anze ist keiner Wärme fähig, eben weil es bei dieser un-mittelbaren Verwandlung bleibt. Wärme | kommt hier von der Auf-lösung gewisser Kohärenz. Es ist am Körper eine beständige Verän-derung der Kohäsion. Weil in der Pfl anze nicht diese verschiedenen Organe sind, so kann nicht diese Veränderung selbst vor sich gehen und daher keine Wärme stattfi nden. In Blatt und Wurzel, Blüte ist nirgends etwas roherer etc. Saft. Bei okulierten Bäumen hat nur der okulierte Ast jene Natur an sich. Wäre diese Durchdringung eine Zirkulation der Säfte etc., so würde notwendig eine Vermischung entstehen. Man wollte die Beispiele sehen an einem Baum, dem gesprenkelte Blumen eingeimpft wurden [und ] der [dann] auch an anderen Ästen gesprenkelte Blumen erhielt. Aber man muß beden-ken, daß es eine Krankheit ist, wenn die eigentümliche Farbe nur fl ockenweise erscheint. Und ein so Krankhaftes kann sich wohl so fortpfl anzen und andere Äste auf sich beziehen. Das Beziehen auf sich ist der erste Prozeß, aber es ist die abstrakte Beziehung auf sich. Aber die abstrakte Beziehung auf sich | ist die tote. Bei den Tieren ist die Empfi ndung da. Aber bei den Pfl anzen ist es das Töten, das Verholzen. Beim Tier ist etwas ähnlich den Knochen. Bei der Pfl anze kommt es nur zum Verholzen. Das ist der allgemeine Begriff der Verholzung. Das Mark ist ein großzelliges Parenchym, der Bast ist gedrungener. Das Verhärten geht bei der Pfl anze so weit, daß es Holzarten gibt, wo bei dem Drechseln Funken heraussprühen. Bei vielen geht es so weit, daß sie viel Kieselerde enthalten. Bei dem Bambusrohr geht es so weit, daß es in den Knoten zu wirklichen Kieselsteinen wird. Die Versteinerung ist bei dem Holz sehr allge-mein. Es hat seinen Grund oft im Eindringen von außen, aber es liegt auch in der Natur. Die Pfl anze refl ektiert sich also auf eine abstrakte Weise in sich, und dies ist, wie gesagt, das Verholzen. Der Keim ruht als ein Totes. |

555 bleibt ] ist

550

555

560

565

570

575

*580

298 –300 Die vegetabilische Natur 155

Erst im Verhältnis mit der unorganischen Natur fängt die Be-wegung an – d. h. etwas Feuchtigkeit. Man hat gesagt, die Pfl anze werde erst durch die Feuchtigkeit befruchtet. In dieser Erregung ist das Erste, daß sie sich entzweit, daß sie einen Gegensatz in sich setzt. Es ist ein Verhältnis nach außen, zur Erde und zur Sonne – sie wurzelt in dem Boden – und zweitens nach dem Lichte. Der Keim ist eigentlich schon ein Individuum – ein kleines Pfl änzchen. Man unterscheidet eben diese verschiedenen Momente daran – Schnäbel-chen, Blattfederchen. Die Hauptsache ist, daß [dasjenige], was die einen Schnäbelchen heißen, in dem Boden wurzelt. Wenn es umge-kehrt wird, geht es doch nach der Erde. Bei den meisten [Pfl anzen] werden die Wurzeln daraus, bei einigen die Zwiebeln, die Knollen bei Kohlrabi.

Das andere aber dringt in die Höhe, gegen das Licht. Der Prozeß des Verhältnisses zu dem Licht, davon ist schon gesprochen [worden]. Die Pfl anze hat ihr Selbst zugleich außer ihm und verhält sich zu diesem, eignet dieses sich an. Und so eignet sie seine Selbständigkeit sich an. Indem der Mensch sich zum Staat verhält als zu einem Äu-ßerlichen, erhält der Mensch, wie die Pfl anze, seine Selbständigkeit. Es ist bekannt, daß Pfl anzen auch fern vom Lichte fortkommen, sie werden größer. Aber diese Größe ist eine Kraft|losigkeit. An dem Lichte werden aber die Pfl anzen dunkler, kräftiger. Die Wärme ohne Licht bringt dies auch hervor. Im Süden kommen diese gewürz-reichen Pfl anzen hervor, so der Glanz und die Pracht der Blumen. Bei den Gewürzinseln riechen die Schiffer schon meilenweit diese Pfl anzen in der Luft. Der Gegensatz macht ihr Dringen nach dem Boden.

Die Konstruktion der Wurzel ist im Ganzen nicht verschieden von der Konstruktion der übrigen Teile. Die Hauptfrage ist: Was für eine Nahrung nimmt die Pfl anze durch die Wurzel auf ? Die Ernäh-rung aus den Wurzeln ist einseitig. Der Prozeß der Blätter ist ebenso wesentlich zur Ernährung wie die Wurzeln. Durch die Wurzel und durch die Blätter hat die Pfl anze ihre Luft im Wasserprozeß. Daß die Hauptsache das Wasser ist, ist ausgemacht. Was sie vom Wasser

584 Erst ] Nur erst615 wie ] als

585

590

595

600

605

610

615

156 Organische Physik 301–302

weiter brauchen kann, sind salzige und ölige Teile. Ein Boden, der tief ausgegraben ist, wird dadurch erst feucht, wenn er an der Atmo-sphäre gelegen hat. Es wissen alle Bauern, daß man nicht immer dasselbe auf demselben Boden gedeihen lassen kann. Man nimmt an, | daß die Pfl anzen Sauerstoff ausatmen und Wasserstoffgas an sich ziehen. Aber man fand, daß dies der Pilz auch tat. Die Haupt-sache ist, diese allgemeine Wirkung der Luft und des Wassers zu disponieren. Die eigentümliche Wirkung ist, daß die Pfl anze sich dies partikularisiert, was sie berührt, mag es auch sein, was es will. Die Pfl anze gedeiht auch ohne Kohlensäure, aber in der Kohlen-säure kommt sie besser fort.

In der Lebendigkeit der Pfl anze liegt diese Selbständigkeit; sie macht daraus, was ihr am besten ist. Die Knospe treibt Wurzeln in das Holz, d. h. zwischen die Rinde. Man fi ndet in den Blättern Öffnungen, Poren. Es gibt aber auch Pfl anzen, wo sich keine fi nden. Man fi ndet, daß von diesen Poren keine Kanäle hineingehen. Man muß sich ein feines Durchschwitzen denken. Wurzel und Blatt sind wesentliche Momente in Ansehung ihres Verhältnisses nach außen. Linné hat das zu Unterscheidende auf die Fruktifi ktionswerkzeuge beschränkt, ist sich aber nicht treu geblieben. Die Hauptunterschei-dung ist die Monokotyledonen und Dikotyledonen. Alle Zwiebel-gewächse fallen in die Monokotyledonen. Dies sind diejenigen, [ bei denen] sich ein Blatt aus der Wurzel löst und so ein Blatt aus dem anderen. |

Sie haben keinen Stamm und [keine] Äste. Die Palmen gehören hierher; man kann nicht sagen, daß diese doch einen Stamm hat, denn der Stamm ist hier nur Blätterreste. Diese sind überhaupt solche, bei welchen es nicht zur Entzweiung kam. Der Gegensatz von [Zellgewebe] und Spiegelfasern (wie bei Buchen) ist bei den Palmen auch nicht. Die Monokotyledonen halten [sich] strenger an die Zahlen 3 und 6. Die Dikotyledonen zeigen die anderen Zahlen. Die Hemmung dieses vegetativen Triebes tritt dann mit dem Fruk-tifi kationsprozeß ein.

Die Pfl anze wächst durch ihren Prozeß gegen die unorganische Natur. Aber das Sich-Hervorbringen ist zugleich ein Außersich-gehen ihrer selbst. Das Außersichgehen ist zugleich ein Zerfallen in viele Individuen. Doch ist es auch eine Beziehung auf sich selbst.

620

625

630

*635

*

640

645

650

302 –304 Die vegetabilische Natur 157

Das Hinaustreiben ist auch eine Resumption ihrer. Indem sie nun die Beziehung ihrer selbst in dieses Auseinandergehen erhält, so hat das Auseinandergehen auch die Beziehung der Rücknahme. Dieser Gegensatz ihrer zu sich selbst ist die Bestimmung, die den Gattungsprozeß ausmacht. Die Rücknahme dieser Vervielfältigung, dies Setzen der Beziehung auf sich selbst setzt unmittelbar das, was den Gattungsprozeß ausmacht. Blütenstand der Pfl anze, Fruk ti fi ka-tions|knospe entwickelt sich aus [der] Knospe. Indem dieser Fort-gang eine Rücknahme seiner selbst ist, tritt eine Hemmung ein. Der Trieb des Saftes geht zunächst aus den Wurzeln. Die Blätter sind noch nicht vorhanden ( Januar, Februar). [ Der] Haupttrieb – dieser Trieb von unten wird nun gehemmt, die Pfl anze zieht nun die Nah-rung auch durch Blätter etc. So setzen sich diese beiden Triebe ins Gleichgewicht. Wenn dies eingeleitet ist, entsteht ein neuer Trieb ungefähr Mitte des Sommers. Dieser zweite Trieb hemmt sich auch, und es tritt das Moment der Rücknahme der Pfl anze in sich selbst [ein]. Diese ganze Natur der Pfl anze ist nun zu einer Hemmung gekommen. Tritt sie nicht ein, so treten höchstens Blüten, aber keine Früchte [auf]. Hat sie zuviel Feuchtigkeit oder zuwenig Luft, so schlägt der Trieb ganz in die Blätter. Das Schneiden der Bäume hat keine andere Wirkung, als den Trieb zu hemmen. Diese Hem-mung geht durch das Ganze. Es kommt daher, daß in der zweiten Hälfte des Sommers sich das Holz einbildet. Auch treten im Herbst die Knospen unter den Blättern hervor, und so ist es auch die Blüte, die hervortritt. Die Blüte ist das Individuum der Pfl anze, das sie selbst erzeugt hat. Hier tritt der Gegensatz, der Unterschied der Geschlechtsteile hervor. |

Die Neutralität der Farbe teilt sich. Die Blüte duftet. Es ist ein fertiges Ganzes, das sich nach außen verhält. Der Duft ist der Tod der Blumen, in die Lüfte auseinander zu gehen. In der Blume entzweit sich dieser Unterschied, [der] Unterschied der Geschlechtsteile. Man unterscheidet in der Botanik Hermaphroditen. Es gibt Mon-özisten, Diözisten, Polygamisten (auf einem Baum weibliche und männliche Blüten, und auch einzeln geteilt). Bei den Monözisten sind schon auf einem Baum beide Geschlechter. Bei den Diözisten

669 hemmt … auch ] auch hemmt sich

655

660

665

670

675

680

685

158 Organische Physik 304 –306

sind sie auf verschiedenen [ Bäumen]. Aber der Unterschied ist sehr oberfl ächlich. Auch gibt es von derselben Gattung hermaphroditi-sche Blumen, und auch einzeln. Den näheren Gegensatz machen die beiden Bedingungen, wo die Blumen [sind ]. Es sind Filamente und Antheren, Zellen voll Blütenstaub (harzig und ölig, etwas Gallert-artiges). Gegenüber sind die Pistille, die oberhalb des Fruchtknotens stehen. Das Befruchtungsgeschehen besteht darin, daß der Staub auseinander geht. Das Pistill wird mit Blütenstaub berührt. Die Frage ist, ob eine Fruktifi kation eigentlich stattfi ndet, d. h. ob not-wendig ist, daß das Pistill von dem Samenstaub berührt worden sei, so daß durch diese Infektion die Samen erst fruchtbar werden. |

Es ist großer Streit gemacht worden, und man hat sich dazu ge-neigt, es anzunehmen. Man hat viele Versuche gemacht. Eine Palme, welche hier war, brachte man durch Karlsruher [ Blüten]staub zur Frucht. So in Petersburg. Man hat aber auch entgegengesetzte Ver-suche mit Hanf, Melonen. Eine andere Schwierigkeit ist, daß die Stellung oft so ist, daß dies nicht geschehen kann. Dann ist es der Wind und die Insekten, denen man dies zuschiebt. Es kann der Fall sein, aber es ist nicht mehr als eine Möglichkeit. Es ist dies nur die Andeutung des Gattungsprozesses. Es ist sonst die ganze Qualität der Pfl anze. Sie tut nichts anderes. Ob sie es auch so tut oder nicht, dies kann sich entbehren. Im Ganzen ist der Streit etwas Überfl üs-siges. Besonders bei den Feigen hat man früh bemerkt, daß, indem hier Früchte erzeugt worden [sind ], diese die Blüte in sich selbst verschlungen haben. Aus dem anderen kommt ein Insekt, gräbt sich in die weibliche Frucht und bringt dann den fruchtbaren Samen herein. Aber es ist wahrscheinlich nichts anderes, als daß durch das Anfressen der Insekten die Säfte auslaufen und daß dann das Wachstum gehemmt und der Samen für sich ist und die Früchte so schneller zur Reife kommen. […] |

719 Im Manuskript Ringier sind die anschließenden Blätter bis Pag. 312 unbeschrieben.Vgl. die entsprechende Textpassage aus der Edition von Manfred Gies in den Sachanmerkungen im Anhang des vorliegenden Bandes, S. 246 f.

690

695

700

705

710

715

*

306 –307 Die vegetabilische Natur 159

[C. Der tierische Organismus ]

Wenn das Allgemeine dem Tiere Gegenstand werden könnte, dann würde es denken können. Indem es in sich refl ektiert ist, so hat es dadurch bestimmten Inhalt.

§ 274. Das Tier hat Selbstbewegung (nicht willkürlich, denn das geht nur für den Geist). Es gibt in dieser Hinsicht bessere und schlech tere Tiere, d. h. solche, die dem Begriff [mehr oder] weniger ent sprechen. Durch zufällige Umstände wird diese Äußerlichkeit verkümmert. Leben ist schön, d. h. wo nur der Begriff zur Erschei-nung kommt. Außerdem daß das Lebendige überhaupt diesem Begriff entspricht, so kann damit die Schönheit verdunkelt werden. Irgendeine Schönheit muß sein, aber an vielen Erscheinungen kann der Begriff verkannt werden.

Das Tier ist Subjekt, d. h. es unterscheidet sich selbst von den anderen. Es setzt sich als ein Ausschließendes gegen ein anderes, es verhält sich als Innerliches gegen das Äußere. Es bewegt sich selbst, gehört der Schwere überhaupt an. Die Schwere ist seine abstrakte Materialität überhaupt. Aber andererseits ist es der Schwere ent-kommen. Es ist ein Punkt gegen die ununterschiedene Allgemein-heit. Es negiert das andere, d. h., ein dem räumlichen Verhältnis Unterworfenes zu sein. Diese Bestimmtheit ist sein Eigen. Die Er-scheinung, daß ein Körper Schwere ist, ist ein räumliches Verhältnis zur Erde. Diese vollkommene Bestimmtheit ist dem individuellen Körper, | wie der Himmelskörper sein Gesetz hat.

Sein Wesen [ist] in dem allgemeinen Begriff der Bewegung – Zeit, Raum. Bei dem Tiere kommt das Verhältnis von Zeit und Raum nicht als allgemeine Bestimmtheit vor. Dem Tier kommt also die Selbstbestimmung zu. Es ist damit verbunden, daß das Tier Stimme hat. Den Begriff von Klang sahen wir: Klang beginnt schon im Los-reißen von Raum und Zeit. Das Tier tut das aber selbst. Der Klang bedarf einer Sollizitation von außen, das Tier hingegen kommt zur Stimme, zu einem Erzittern in sich selbst. Es ist die Selbstbewegung, die aber in sich bleibt. Dem Tier als Subjektivem kommt eben dieses selbst zu. Auf diese Weise stellt es seine eigene Idealität dar. Die Stimme ist die [ Erscheinung der Empfi ndung] der Tiere. Der Mensch hat diese Stimme als das theoretische Element, wodurch er

720

725

730

735

740

745

750

755

160 Organische Physik 313 –314

sich objektiv machen kann. In dieser Äußerung verhalte ich mich nicht zu einem Realen, mir Entgegenstehenden; wenn ich handle, so verhalte ich mich auch als ein Fürmichsein, als ein Reales. Hin-gegen in der Stimme ist es rein die Idealität, die sich zum Dasein bringt. In der abstrakten Äußerlichkeit kann nur das Theoretische äußerlich werden. |

Es ist der Prozeß, sich als Subjektivität objektiv zu machen. Die Stimme ist das Nächste zum Denken. Es ist die Empfi ndung des Tieres, die sich durch die Stimme äußert. So auch dies Bedürfnis ist es, das das Tier veranlaßt, an etwas Höheres zu appellieren. Sehr viele Tiere kommen erst in der höchsten Gefahr, im Sterben, zur Stimme. Eigentümlich ist es – die Fische sind stumm. Die Vögel in der Luft singen, weil sie sich im Leben fühlen. Man sieht sie mit Wohlgefallen schweben in der Luft. Sie haben das Gefühl, sich von der Schwere getrennt zu sehen und sehen sich nur im Verhältnis zur Luft. Dort suchen sie nur ihre Subjektivität an den Tag zu legen. Das Tier hat ferner animalische Wärme. Man hat das Blut den fl üssigen Magneten genannt – inneres Kristallisieren, Auflösen – fortwähren-der Prozeß. Das Blut gehört der Irritabilität an. Die Blutbewegung ist nichts Mechanisches. Man hat eine Zeitlang diese Ansicht gehabt. Man hat es aus den Röhrchen erklären wollen. Man hat dann Ver-wandlungen der Arterien etc. zu Hilfe genommen. Das Stoßen | des Herzens etc. Es ist das Blut der Mittelpunkt der Irritabilität, und es ist der existierende Widerspruch, der als Bewegung zur Erscheinung kommt – bestehende Veränderung der Kohäsion, Wärme. Das Tier hat Unterbrechen, Intussuszeption.

Es ist dies Hin- und Herwogen und schließt sich nicht als Indivi-duum ab. Indem es in sich zurückkehrt, so verhält es sich zur äuße-ren Natur. Es ist die Abwechslung von Schlaf und Wachen. Diese Abwechslung von Schlaf und Wachen ist eine Abwechslung auch der kosmischen Welt. Alles das gibt sich im Tier kund, und zwar im Tiere wirksamer als im Menschen. Das Tier ist näher in dieser Einheit mit der Natur. Das Tier ist gegen die Natur schwächer als der Mensch. Die Tiere fühlen die kommende Witterung. Ein

756 verhalte ] dadurch verhalte789 Die Tiere ] Sie

760

765

770

775

780

785

314 –316 Der tierische Organismus 161

Krankhaftes im Menschen hat dies auch an sich. Man erinnere sich an die Spinnen. Man hat die Erfahrung, daß sich zu gewissen Zeiten in Tieren, Hasen etc., Eingeweidewürmer vorfi nden. |

§ 277. Der Organismus ist nach seinem Begriff wesentlich Pro-zeß, Leben, Dialektik, Bewegung. Die Glieder sind nur Momente der einen subjektiven Einheit. Der Organismus als realer Begriff ist überhaupt der Schluß. Die Idee ist die Einheit des Begriffs und der Realität. Ihre Einheit ist ein von ihnen Verschiedenes, und diese ist dann das Vermittelnde. Und so ist dann der Schluß. Diese Mitte ist dann das Anderswerden des Begriffs, das Negative, welches an sich aber der Begriff ist. Als dieser Schluß überhaupt hat der Schluß unterschiedene Formen.

[a. Die Gestalt]

§ 278 heißt es, daß der Organismus eine Dreiheit ist. Wir fassen den Begriff des Organismus mit der Gestalt zusammen. Die Totalität des Organismus überhaupt in ihrer ersten Bestimmung ist der Begriff des Daseins, die Begriffsbestimmung. Und so ist sie Gestalt, ru-hende Gestalt. Aber in dem Organismus ist nichts ruhend. Zweitens Beziehung nach außen. Drittens Verhältnis zu sich als ein anderer Organismus, Gattungsverhältnis.

Ein unmittelbarer Organismus [als] Begriff.§ 276 heißt es, der Organismus sei das Dreifache: Sensibilität, Ir-

ritabilität und Reproduktion. |Sens ibi l i tä t . Das Insichsein dieser Subjektivität. Das einfache

Insichsein in dieser Äußerlichkeit, daß die Äußerlichkeit unmittel-bar getilgt ist und innerlich gemacht. Das macht überhaupt die Empfi ndung aus. Unter Sensibilität stellen wir uns einen Punkt vor, aber nicht ein totes Eines, sondern ein unruhiges. Das freie Denken produziert so, daß es weiß, daß seine Gedanken die seinigen sind. Aber das Anderssein ist unmittelbar aufgehoben, negiert. Aber diese Negation wird von der Subjektivität unmittelbar negiert, wird fl üssig, durchsichtig gemacht. Das ist die Sensibilität überhaupt. Um sie zu fassen, muß sie ganz spekulativ genommen werden. Es ist wie eine im Gleichgewicht stehende Flüssigkeit, welche berührt wird, aber doch in der Identität mit sich bleibt. Diese Sensibilität ist am ganzen

790

795

800

805

810

815

820

162 Organische Physik 316 –318

Körper, also im Raum. Aber das räumliche Auseinander hat keine Realität. Das Empfi ndende empfi ndet, wo es berührt wird. Es bleibt auch in der Länge, Dicke und Breite ein Punkt. Es hebt | diese Äu-ßerlichkeit immer auf. Das ist also der reine Begriff des Organismus. Wenn wir etwas begreifen, so heißt es, ich vernichte ihn mir, daß er gegen mich ist, ich assimiliere ihn mir. Das Tier empfi ndet auch, d. h. es begreift, allein nur an sich und nicht selbstbewußt. Das Begreifen ist nur vollständig im Elemente des Denkens. In der Sensibilität ist der Begriff der Natur zu seiner höchsten Stufe gekommen.

Das Zweite ist dann die Irritabilität. In der Empfi ndung wurde gesagt: in der Sensibilität wird [die Bestimmtheit unmittelbar als Besonderheit ins Allgemeine aufgehoben]. Diese Bestimmtheit aber, daß sie als Bestimmtheit sei, daß sie zu ihrem Recht komme, muß sein als Besonderheit. Es muß ein Geteiltes sein. Damit der Unter-schied als Unterscheid sei, die Negation als Negation, so muß die Besonderheit ein Doppeltes sein. Besonderes gegen ein Besonde-res. Als Sensibles hebt es diese Besonderheit auf. Das Dritte ist der Standpunkt der Realität überhaupt, Standpunkt der Materie über-haupt. Der animalische Organismus ist reizbar von außen. |

In der Empfi ndung ist dies das Einfache. Die Refl exion sagt dann erst, daß es von außen komme. Zum Beispiel: ich fühle ein Har-tes, aber erst die Refl exion sagt mir, daß es ein Hartes, Wirkliches ist, was ich fühle. Das ist die Irritabilität. Der Sitz der Irritabilität ist dann, wie wir später sehen werden, der Muskel. Wenn auf ihn eingewirkt wird, zieht er sich zusammen und dehnt sich aus. Das Zusammenziehen ist, zugleich, daß er sich spezifi sch dichter macht. Er ist das Zurücknehmen in sich. Das Dritte, die Einheit von bei-den, ist die Reproduktion, das Konkrete. Es ist der animalische Charakter überhaupt, daß der Organismus sich selbst mit andern zusammenschließt. Das ist die Totalität. Die Reproduktion enthält also Sensibilität und Irritabilität. Indem der Organismus so für sich ist, so unendlich ist, sich unendlich setzt, so ist er für sich. Das ist die negative Beziehung auf sich. Das ist eben die Einzelheit, und

833 seiner ] ihrer838 Damit ] Daß839 – 840 die Besonderheit ] sie

825

830

835

840

845

850

855

318 –320 Der tierische Organismus 163

als solche ist sie ausschließend. Die Rückkehr ist der Anfang dieses Prozesses nach außen. Die beiden ersten [sind ] Momente, das dritte ist das Ganze. Die ersten können, für sich gesetzt, mangeln. Bei den untersten Tieren kommen die Systeme | nicht zur Existenz.

§ 277. Das sind die Begriffsmomente, sie sind die Bestimmungen des Begriffs. Diese Realität ist die Realität der Begriffsbestimmungen. Diese drei Momente sind in drei Systemen: Nervensystem (Sensi-bilität); Irritabilität, Blut-; und Reproduktionssystem, Verdauungs-system.

Die einfachsten Tierformen sind zum Teil bloße Haut, bloße Re-produktion. Diese sind für sich jedes ein Ganzes von Systemen. Ihre einfachen abstrakten Elemente sind: das Nervenmark, Muskelfasern und Zellgewebe. Jedes ist für sich ein ganzes System, und indem jedes ein System der ganzen Gestalt ist, so enthält es die Unterschei-dung dieser Momente an ihm. Jedes ist selbst eine Dreiheit. Das Re-produktionssystem ist für sich. Es ist eine ausgebildete Gliederung der ganzen Gestalt, aber nur formell (als Hautsystem etc.). Jedes für sich ist ein Ganzes. Viele Seiten der Besonderung der Gestaltung sind noch im Dunkeln. Hierher gehört nur die allgemeine Angabe. Sens ibi l i tä t : wir haben diese drei Momente: [1.] Dumpfheit des allgemeinen Gefühls, 2. bestimmte Empfi ndung und eben damit Verhalten nach außen, 3. System der abstrakten Refl exion in sich. Die Dumpfheit ist die Mitte, die anderen sind die Extreme. |

Das Dumpfe fällt mit der Reproduktion zusammen, es ist von derselben noch nicht herausgeschieden. Das System ist das System der Ganglien. Es sind nämlich im Unterleib vornehmlich auch sonst Mittelpunkte, kleine und große Nervenknoten. Diese heißen Ganglien oder Plexus. Es gehört hier[zu] vornehmlich der sympa-thetische Nerv. Dieser steht in Verbindung mit dem Rückenmark und dem Gehirn, aber er knotet sich. Es bilden sich an der ganzen Rückenwirbelsäule Knoten, die unter sich zusammenhängen. Al-lein dieser Zusammenhang ist nicht notwendig. Bei vielen findet er sich unterbrochen. Diese Nerven, die in das Nervenzentrum gehen, hängen mit den sympathetischen Nerven zusammen. Die Ganglien sind dann so kleine Gehirne, und sie zeigen sich als etwas anderes als die Nerven, die unmittelbar von dem Gehirn abstammen. Die Verdauung ist dem sympathetischen Nerv überlassen und ist des-

860

865

870

875

880

885

890

164 Organische Physik 320 –322

wegen der Willkür ganz entzogen. Man streitet darüber, ob diese sympathetischen Nerven aus dem Gehirn abstammen oder nicht. Man sagt, die Nerven entspr ingen aus dem Gehirn etc. Aber dies hat keine Bestimmtheit. Es ist kein Entspringen und nicht, als ob das Gehirn früher | wäre. Es ist nicht wie beim Vegetabilischen. Also hat es keinen Sinn, wenn man fragt, ob der sympathetische Nerv aus dem Gehirn entsprungen [ist]. Diese Nerven haben mehr gräuliche Substanz, [diejenigen,] die vom Hirn kommen, mehr weiße. Eben -so sind diese Nerven von äußerster Dünne. Ihr Gewebe zeigt die größte Weichheit. Es herrscht bei den verschiedenen Subjekten eine große Mannigfaltigkeit. Da sie dem einen Leben angehören, haben sie nicht [vermocht], sich in zwei gleiche Seiten [zu] teilen, Paare zu bilden. In sympathetischen Nerven ist allerdings größere Regelmä-ßigkeit. Aus diesen gehen die Nerven einzeln ab, nicht in zwei Seiten geteilt. Es haben viele den Gedanken gehabt bei dem tierischen Magnetismus: wo der Mensch in das Naturleben zurückgekehrt ist, da empfi ndet er den allgemeinen Zusammenhang, weil er nun nicht für sich ist. Er hat einen größeren Umfang als im wachen Zustand. Daß der Somnambule von entfernten Menschen wisse, ist eine all-gemeine Tatsache. Es ist ein krankhafter, ein niedri ger Zustand. Das Wachen – die Sinne, die Gehirntätigkeit – ist gelähmt, die Augen starren, die Glieder fühlen nicht. Die animalische Empfi ndung, so haben mehrere den Gedanken gehabt, ist in diesen Ganglien. |

In diesen ist das Leben, das Vorstellen. Das Zweite ist das Nerven-system, welches der bestimmten Empfi ndung angehört. Andererseits ist das konzentriert im Gehirn, es ist diese Sammlung, diese Kon-zentration der Empfi ndung. Was die besonderen Sinne sind, von dem nachher. Vom Gehirn kommen die Nerven her (nicht daß sie herauswüchsen). Es sind weder Kügelchen noch Saiten. Es ist eine indifferente breiartige Masse, die sich im Scheiden befi ndet. Man sieht zugleich Fasern, die jedoch oft parallel, durcheinander gehen etc. Man hat es mit einem langgezogenen Netz verglichen, wo alles durcheinander geht und zuweilen kleine Knötchen bildet.

Die Sensibilität sowie die anderen, [ Irritabilität und Reproduk-tion], zerfallen wieder in drei Dreiheiten.

898 ob ] wenn

895

900

905

910

915

920

925

322 –324 Der tierische Organismus 165

Das Knochensystem ist der Organismus in seiner abstrakten Be-ziehung auf sich. Das Knochensystem steht in der Mitte zwischen der Lebendigkeit und dem toten Sein, d. h. dem bloßen Sein. Daß die Knochen zum Teil dem Leben noch angehören, zeigt die Ent-zündung derselben. Sie resorbieren sich, reproduzieren sich, haben Blutgefässe. Die andere Seite ist, daß sie [sich] zu dem | einfachen Sein machen. Indem das Knochensystem nicht die Bestimmung hat, lebendiger Prozeß zu sein, so ist seine Bestimmung nach außen das differente Sein, ein Anhalt zu sein gegen ein Anderes. Aber es ist nicht nur das Andere gegen Anderes (sonst würde es einen che-mischen Prozeß eingehen). Es macht die Differenz des Andersseins nicht nur aus mit einem Anderen, das ihm gegenüberliegt. Es zeigt diese Differenz an sich. Daher die stete vollkommene Verdoppelung. Es gehört der Differenz an, aber es hat diese Zweiheit an sich selbst. Es ist allenthalben ein Doppeltes, zwei Seiten, die symmetrisch sind. Diese Symmetrie drückt sein Gleichgewicht aus. Über die Knochen-bildung haben wir eine Abhandlung von Goethe zu erwarten. Er hat in seinem organischen Sinn die Knochenbildung überhaupt an-gesehen, er hat es auf dieselbe Weise betrachtet wie oben die Pfl an-zen. Er hat die Rückenmarkknochen als Hauptform angesehen und die anderen als Abweichungen von dieser Form. Es ist Bestimmung der Knochen, nach außen zu gehen. Es ist der Rückenwirbel eine Röhre inwendig mit verschiedenen Fortsätzen. | Die Hauptsache ist in dieser Umbildung, daß einerseits diese Form zur Fläche übergeht, zu einem Umhüllenden wird – Schädel. Die andere Form ist der Knochen der Extremität. Hier tritt die Länge zu der Mitte, wird zur Hauptform.

Das zweite System ist das System der Irritabilität. Hierher ge-hören die drei [Momente]: [1.] Herz, 2. Muskelsystem, System der Bewegung, Kraft nach außen, 3. Lungensystem, System der Irritabi-lität, sofern es ein Prozeß nach außen ist. Es ist dies der Widerspruch, der sich als diese Unruhe ausdrückt, Pulsieren des Blutes, Bewegung in sich selbst. Pulsieren des Blutes kann nicht auf mechanische Weise abgeleitet werden – das Herz selbst ist dieses Pulsierende –, sondern es ist sein Begriff die Irritabilität: daß die Momente entgegengesetzt

964 die Momente ] sie

930

935

940

945

*

950

955

960

166 Organische Physik 324 –326

sind und in dieser Mitte beieinander sind. Es ist ein Zusammenzie-hen, ein Punkt, und ein Ausgehen. Der Blutumlauf ist einerseits eine osz i l l ierende Zirkulation. Das Oszillieren muß man nicht als Folge von den Kügelchen erklären. Das Oszillieren ist vielmehr eine Hauptform in der Bewegung. Der Anatomie wird es schwer, dies nur aufzu|zeigen, denn das Übergehen durch den feinen Ausgang der Arterien und Venen ist nicht möglich. Das Herz ist der Mittelpunkt [des Blutsystems] wie das Gehirn von dem empfi ndenden Nerven-system. Es ist das ganze System das Wandelbare, das Pulsierende, es ist das Blut das System der Reproduktion und der Irritabilität. Das Blut ist die allgemeine Nahrung für alle Systeme. Die innere Verteilung des Systems der Arterien und Venen ist dann bestimmt durch die Eingeweide. Das Herz ist unsymmetrisch, so wie die Arterien. Erst die Venen und Arterien, die in die Extremität gehen, gelangen zur Symmetrie. Das andere System ist das Muskelsystem, das System der Irritabilität, das nach außen unmittelbar gerichtet ist, das in sich selbst zerfällt in die Streckmuskeln und Bewegungsmuskeln. ( Erman hat Versuche gemacht, die beweisen, daß es Kohäsionsveränderung bei der Zusammenziehung der Muskeln ist). Lungenprozeß. Hier tritt die Irritabilität in einen elementaren Prozeß mit den abstrakten Elementen ein. Die Lymphe ist das animalische Indifferente, das ist die Macht gegen die besonderte unorganische Natur. |

Auch die Haut steht in diesem Prozeß. Aber das ist die unver-mittelte Assimilation wie bei den Pfl anzen. Hingegen der Lungen-prozeß ist der vermittelte Prozeß. Man hat allerlei Versuche gemacht, ob der Schlag des Herzens bestehe ohne das Gehirn. Haller hat das Herz als wesentliche Bedingung für die Zirkulation angesehen. Man hat auch an Mißgeburten Versuche gemacht. Allein, daß das Leben doch stattfi nden könne, das ist eine schlechte Folgerung. Denn [daß] das, was man da meint, Leben ist, das ist nicht wahr. Auch gilt, was von Fröschen gilt, nicht für den Menschen. Man hat ja Kröten in Felsen gefunden, die vielleicht die Ehre gehabt [ haben], bei der Schöpfung gegenwärtig gewesen zu sein. So kennt man Tiere, die man gesotten und eingefroren hat, sie lebten nach wie vor immer

998 eingefroren ] gefriert998 nach wie vor ] vor wie nach

965

970

975

980

*

985

*

995

326 –328 Der tierische Organismus 167

fort. Aber das sind eben so Tiere, die unvollkommen sind, so wie auch die jungen ein viel höheres Leben deswegen haben. Le Gallois hat Versuche gemacht; und sein Hauptresultat ist, daß das Rücken-mark auf das Herz große Beziehung hat, so daß, wenn das Rücken-mark herausgenommen [wird ], plötzlich die Zirkulation aufhört. Nimmt man eine Portion weg, wird die Zirkulation abnehmend und hört dann auch auf. |

Wo das Leben kräftiger ist, da ist eines dem anderen nötiger als sonst. Jedes System aber greift in das andere ein und gehört dem anderen an.

Die Gestalt des Tieres ist ganz einfach, es ist drei[teilig], [aus] drei Centra: Kopf, Thorax, Unterleib. Dazu gehören die Extremitäten. Das Innere hat nicht diese Symmetrie wie das Äußere. Erst wenn sich die Adern auf einen Prozeß nach außen beziehen, erst dann werden sie regelmäßig. Indem der Mensch seine Kraft auf einen Punkt zu richten hat, so müssen sich die Extremitäten so zuspitzen auf einen Punkt. Kein Teil im Organismus bleibt ein Festes, alles wird absorbiert, teils als Lymphe, teils sonst allgemein. Oft gibt es ja Krankheiten, wo der Organismus sich selbst verzehrt, wenn man keinen Appetit hat, abmagert. Bei Hunden sah man, daß, wenn sie Hungers gestorben, selbst der Magen eingesauert wurde, d. h. der Anfang gemacht wurde zu dem Verdauen seiner selbst. Das Tier ist auf einen beschränkten Kreis angewiesen. Je dumpfer das Tier, desto kleiner der Kreis. Der Mensch hat den weitesten. Einige Tiere sind auf einzelne Pfl anzen angewiesen, auf Eingeweide. |

Der Prozeß mit der organischen Natur ist ein dreifacher. Der erste ist der rein ideelle Prozeß. Das Lebendige hat darin seine Frei-heit, daß es das Objektive verwandelt in ein Subjektives. Der zweite Prozeß ist der Prozeß der Begierde, der reale praktische Prozeß, d. h. der Prozeß von Einzelnem gegen Einzelnes, indem die Verschie-denen Selbständige gegen die anderen sind. Dieser reine praktische Prozeß endigt damit, daß das andere Unorganische ganz zernichtet wird: Assimilationsprozeß, Ernährung etc. Der dritte ist die Einheit von diesen beiden, der ideelle reelle Prozeß. Es ist der Prozeß, daß

29 organischen ] anorganischen30 Am Rande: Empfi ndungsprozeß

5

*

15

20

25

30

35

168 Organische Physik 328 –330

die lebendige Subjektivität sich auch verhält zu einem Äußerlichen, aber sich objektiv macht. Das ist der Bildungsprozeß. Der erste en-digt mit dem Bestehenlassen des anorganischen Objekts, das Ende des zweiten Prozesses ist das vollkommene Negieren des Objektiven, das Verzehren. Der dritte ist das Objektive, das Objektives bleibt, das aber [zugleich] Subjektives bleibt, also bildet, sich seine Form selbst gegenständlich macht. Hierher gehört, was Kunsttrieb genannt wird. Es ist über den Instinkt und Kunsttrieb viel gestritten worden. Die Stelle in dem tierischen Leben, wo das hingehört, ist, daß das Orga-nische sich zu dem Unorganischen verhält, so daß es dem Objekte seine Form gibt. Der weitere Prozeß ist der Geschlechtstrieb, wo das Subjekt sich zu einem Subjekt verhält, das eben dieses Leben-dige ist. |

[ b. Die Assimilation]

Beim Vorigen ist jene Subjektivität nur die Form, die es bekommen hat. Es sind verschiedene Formen der Assimilation. Die erste ist die bloße ideelle Assimilation, wo das Objekt für sich stehen bleibt, nur abstrakt; in [der] zweiten wird es vernichtet; in [der] dritten wird meine Form dem Objekt gegeben.

Die bestimmten Weisen des Empfi ndens sind das, was wir den Sinn nennen. Es ist schon angeführt, daß der Kopf der Sitz der Sensibilität ist. In dem § 281 sind diese Sinne. Es gibt fünf Sinne. Der erste Sinn ist der allgemeine Sinn, Sinn des Gemeingefühls: der Sinn der Schwere, [des] mechanischen Gefühls, der Sinn der Erde. Die verschiedenen Sinne beziehen sich auf die verschiedenen unorganischen Elemente. Das ist der Sinn der Erde. Das Zweite ist der Sinn des Gegensatzes als solchen, der Luft und des Wassers; dann der Sinn des Lichtes und was Bestimmungen des Lichtes be trifft. Der Gegensatz in seiner Totalität ist ein Dreifaches. Das Dritte (was dann das Fünfte wird) ist der Sinn der Subjektivität. Das innerliche Insichsein, das nicht da ist (Schwere), steht gegenüber der daseien-den Innerlichkeit. 1. Schwere, 2. Sinn der Luft und [des] Wassers, 3. Sinn des Gesichts und Gehörs, des Raumes und der Zeit, des physikalischen Raumes, des Lichts. Das | Dritte ist die Selbstigkeit. Dies ist zweierlei: Die unorganische Selbstigkeit, die für sich ist, der

40

45

50

55

60

65

70

330 –332 Der tierische Organismus 169

Klang, die Töne. Es ist nicht etwas Zufälliges, auch nicht etwas, was nützlich ist. Es ist die Notwendigkeit des Begriffs. Es kann keinen anderen Sinn mehr geben. Bei dürftiger Entwicklung, wenn es we-niger gibt, ist diese Totalität unentwickelt. Es ist leeres Geschwätz, sich das Können und Möglichkeit zu denken. Dies ist das, wo heute das Hohle sich zeigt.

Das Erste ist der Sinn des Gefühls. Weil das der allgemeine Sinn ist, der Sinn der Schwere, so ist dies der Sinn des Allgemeinen über-haupt. Und deswegen ist es auch der allgemeine Sinn der Gestalt. Er ist noch nicht partikularisiert, der ganze Körper hat diesen Sinn. In diese Sphäre gehört der Sinn: ob etwas schwer ist, das Gefühl der Kohäsion, das Gefühl des Widerstandes (spitz, rauh etc.). Dann die Wärme. Dies ist eben die Negativität der Kohäsion. Das Zweite ist der Sinn des Gegensatzes, der Sinn der Luftigkeit, des Geruchs . Der abstrakte Prozeß ist die Luft. Individualität wird sie | durch das besondere Gebilde, in dem sich die Luft partikularisiert. Dieser Sinn ist dann der Sinn des Geruches. Man denkt bei der Luft an den Sinn des Gehörs. Aber die Luft ist ja für den Klang etwas Gleichgültiges, auch starre Körper pfl anzen den Klang fort. Der andere Sinn ist der Sinn der Neutralität, und zwar nicht der Sinn des abstrakten Wassers, sondern [des Wassers], wenn es sich partikularisiert und so konkrete Neutralität wird.

Die rein theoretischen Sinne sind die Sinne des Selbst, das Ge-sicht und Gehör, einmal der abstrakten Expansion, auf der anderen Seite die Zeitlichkeit, Innerlichkeit, wenn die Innerlichkeit äußer-lich, räumlich wird. Der Sinn des Gesichtes: der Sinn der objektiven Idealität. Der Sinn des Gehörs ist auch der Sinn der Idealität, aber der subjektiven. In Ansehung des Sinnes sah man eben das Sym-metrische. Es wurde gefragt, warum wir mit zwei Augen nur einen Gegenstand sehen. Man wollte es mit dem Kreuzen erklären. Es ist aber dies einfach: daß man die Augen nur auf einen Gegenstand richtet. D. h. wir haben dadurch die Zweiheit auch. Wir können, wenn wir wollen, zwei Gegenstände sehen. Ich sehe den Finger doppelt, weil | ich den Gegenstand nicht als solchen sehe (der ge-heime Regierungsbevollmächtigte Herr Staatsrat Schul tz hat vor ein paar Jahren, [wenn ich] recht sehe, interessante Bemerkungen in einem Aufsatz mitgeteilt).

75

80

85

90

95

100

105

*

170 Organische Physik 332 –334

§ 282. Realer Prozeß. Das Tier ist selbst das Dirimierende. Der Trieb, die Begierde wird im Tier geweckt, nicht von außen. Es ist eine einzelne bestimmte Natur. Das Eine hat Trieb zu Gras, Fleisch etc. Daß dieser Trieb ein ganz spezifi scher ist, das ist dann sein In-stinkt. Das grasfressende Tier hat dies, am Gras seine unorganische Natur zu haben. Der Mensch ist so nicht beschränkt wie das Tier. Es ist eben das Lebendige, daß es einen Mangel fühlt. Es ist auch nicht ein bloßer Mangel der Refl exion. Das Tier hat Mangel, weil es selbst das Vergleichende ist. Als Subjektives ist es nämlich die Totalität. Es ist die Einheit in der Differenz. Dieses Vorrecht lebendiger Natur ist, diesen Mangel zu haben, Bedürfnis zu haben. Die höchste Natur hat den größten Mangel. Wenn man fragt, warum Unglück in der Welt, Schmerz sei, so ist das eine törichte Frage. Denn das Fühlen des Gegensatzes ist gerade ein Vorzug des Lebendigen. Als Subjektives ist das Tier die Identität mit sich, indem es das Negative des Anderen ist. So ist es auch sein eigenes Selbst. Selbstgefühl ist nicht Wahrheit. In der Anmerkung ist von dem formellen Wissen | die Rede, wo vom Magnetischen, von Ost- und Westpolarität geredet wird, wo aber statt klarer Gedanken nur Bilder gebraucht werden.

§ [283]. Schlafen und Wachen ist das unver mit te l te Mitgehen in der Natur. Die eigentlichen Prozesse sind die Prozesse zu solchem, was ein Äußerliches ist. Die verschiedenen Momente, die hier vor-kommen, sind die Luft, Wasser und Erde. Das Licht ist gleichfalls eine äußerliche Potenz für das Tier, aber nur eine allgemein erregende und belebende. Die Luft ist aber nicht wie bei der Pfl anze diese Macht. Denn das Tier hat an sich selbst seine Selbständigkeit. Die Pfl anze hat sich als ein anderes, das Licht ist ihr anderes. Sie wird hinausgerissen. Bei dem Tier ist die Gegenständlichkeit seiner selbst nicht eine unorganische Potenz für es selbst. Jedoch werden die Tiere gewissermaßen auch durch die Luft hinausgerissen (nordische Vögel sind in sich selbst, sie singen, die südlichen prangen mit den schönsten Farben). Auch an der Haut ist die vegetabilische Natur mehr oder weniger enthalten. Die Tiere sind ohnmächtiger als der Mensch, und so schlägt die Haut bei ihnen mehr auf den vegetabili-

135 sich ] ihm136 ihr ] sein

110

115

120

125

130

135

140

334 –335 Der tierische Organismus 171

schen Prozeß aus. Die innerliche Hautfarbe bei dem Tier ist rot, bei den Pfl anzen das neutrale Grün. Rot ist eigentümliche Farbe des Tieres, sonst sind die Farben bei den Tieren Elementarfarben. Bei den höheren Tieren ist es mehr ein Gemischtes. |

Doch hat das Licht darauf großen Einfl uß. Auch bei den Fischen zeigt sich dieses. Bei den Federn der Vögel bemerkt auch Goethe, daß sie Einfl uß von dem Licht haben. Der Papagei hat innen Gelb, und außen, wo es am Licht ist, da ist es bis auf das Rot gesteigert. Der eigentliche animalische Prozeß fängt mit der Luft an, durch den Atem. Der Prozeß ist immer ein Doppeltes. Die unmittelbare Verwandlung ist die substantielle Verwandlung. So ist der Prozeß teils unmittelbare Verwandlung (mit der Luft) an der Haut, teils das Vermittelte, in der Lunge. Der Prozeß der Luft mit der Haut ist das Unvermittelte. Es ist die Produktion der Haare. Die Vögel, die in dem Luftleben beschränkt sind, haben am meisten Vegetabilisches, so die Haare und Nägel. Es ist kein Animalisches. Wird dieser ve-getabilische Prozeß ein animalischer, so ist eine Krankheit da – der Weichselzopf. Die Drosselfänger wissen, daß nach einem starken Nebel die Drosseln fetter sind. Das ist eben die Feuchtigkeit, die an der Macht des Animalischen in das Animalische übergeht. Es sieht aus, daß dies zufällig ist, daß der Mund zufälliger Weise da ist. Aber der Mund ist das Organ des vermittelnden Prozesses. |

Die ganze Oberfl äche der Gestalt als Haut steht mit der Luft im Prozeß. Dieser Prozeß konzentriert ist der Mund. [ Davon], daß das Organische in seinem Prozeß [sich] so vereinzelt verhält, wurde schon bei dem Vegetabilischen gesprochen. Das Tier, weil es ein Einzelnes [ist], so verhält es sich auch als ein Einzelnes zu einem Einzelnen. Der Prozeß mit der Luft: der Atem ist das Übergehen in die Luft, das Zerfl ießen in dem Lichte, das Verdunsten. Das Tier erhält sich aber und nimmt dies wieder zurück, und nun wird die Luft assimiliert. Es ist das Blut, was diese Verdauung verrichtet. (Die Lunge und das Blut.) In dem Blut ist das Bedürfnis vorhanden, die Luft zu verdauen. Das liegt darin, daß es diese Irritabilität ist. Aber dieser Gegensatz in seiner einfachen Form, reduziert als ein neutra-les Flüssiges, als diese Negation, diese Unruhe ist ebenso nach außen

178 ist ] ist es

145

150

*

155

160

165

170

175

172 Organische Physik 335 –337

gekehrt. Er ist nur, indem er sich wieder herstellt in dem anderen für sich. Das Blut hat also so diesen Hunger oder Durst nach der unorganischen Natur, und seine unorganische Natur ist die Luft. Das Blut gehört der Reproduktion an, aber der Reproduktion, wie sie in der Irritabilität ist. |

Sein Unorganisches kann nichts anderes sein als die Luft. Sie ist das Feurige, das Negative. Das Blut ist auch dieses, aber ohne die Luft ein Getötetes. Man unterscheidet Arterielles und Venöses. Das Venöse ist das nach Äußerlichkeit Dürstende. Das Arterielle ist ein Differentes. Das venöse Blut ist das, was der Indifferenz zugeht. Es hat den Trieb dazu, da es das Unruhige ist. [Auf] chemische Weise zeigt es sich, daß das Blut Sauerstoff in sich nimmt. Das können wir ansehen als das Äußerliche dessen, daß sich das Blut mit der Luft befeuert. Die Ernährung muß weder chemisch noch bloß mecha-nisch genommen werden. Das Arterielle ist ganz gleichgefärbt, so auch das Venöse, und es ist nicht so ein allmählicher Übergang. In die Milz geht viel arterielles Blut. Die Wandlungen in der Milz sind nicht ein Härteres, sondern ein ganz Breiartiges wie die Häute der Venen. Dessen ungeachtet geht hier die Verwandlung von arte-riellem Blut in venöses vor sich. Aber dazu müßten sie überhaupt straffer sein, sie sind aber so wenig wie [die Häute] in den Venen.

Das Zweite ist der Prozeß mit dem Wasser: Durst, Verlangen nach der Neutralität. Die Hitze erklärt das Bedürfnis des anderen Mo-mentes. So der Geschmack. Wenn er bestimmt ist, so ist der Trieb, diesen Geschmack wegzubringen, neutral zu machen. |

Es folgt nun das Verhältnis zu den Produktionen der Erde, Hun-ger. Das sind Bedürfnisse nach dem Elemente, Verlangen, die Ob-jektivität aufzunehmen. Das Tier sucht einzelne Befriedigungen. Wäre es vollkommen gesättigt, also vollends indifferent, so hörte es auf zu leben.

Das Animalische ist die einfache, [sich] auf sich beziehende Ne-gativität, aber nicht die ruhende. Man muß sich nicht denken, daß bei dem Verdauen nur das Brauchbare abgeschieden würde, dies wäre schon fertig darin, und das Ganze darin wäre eine bloß me-chanische Vorstellung. Man stellt sich das Verdauen auch oft so vor,

198 vor sich ] über

180

185

190

195

200

205

210

337–339 Der tierische Organismus 173

daß Vermischtes getrennt wird. Die Assimilation wäre so chemi-scher Natur. Das Produkt im Chemischen ist eine Neutralität, und jedes ist nur eine einseitige Qualität. Das Organische ist aber nicht diese einseitige Qualität, sondern die Einheit des Gegensatzes. Bei dieser Assimilation sind, wie eben auch, diese zwei Formen unter-schieden: 1. einfache unmittelbare Verwandlung, 2. vermittelte Ver-wandlung. Das Lebendige ist die Macht der äußerlichen Natur. Das Nahrungsmittel hat eine bestimmte Qualität. Das Tierische ist das Allgemeine. Das Endliche ist nur ein Momentanes, das nur aus Güte sein Dasein erhalten hat. (Ein Geist, der von dem anderen überzeugt wird, gibt gegen diesen das Seinige auf – so auch durch das Impo-sante des großen Geistes). Ebenso die Macht des Organismus über die Natur. |

Es kann dies unmittelbar geschehen (Drosseln, und die Engländer, die sich durch Netzen der Hemden den Durst drei Wochen lang stillten). Beim Polypen ist gar keine Vermittlung der Verdauung, sondern nur: wenn die Speise hineingesetzt [wird ], so wird sie plötz-lich verdaut und verwandelt. Die unteren Tiergeschlechter haben einen so einfachen Bau, daß Magen, After, Schlund nichts Geschie-denes sind. Auch beim ausgebildeten Organismus hat man Versu-che gemacht, daß Fleisch etc., unter Muskeln eines Tiers ge steckt, ebenso zu einem Brei werden wie im Magen. Bei dem Bein bruch werden ebenso die scharfen Knochenenden erweicht und absorbiert. So erzählt Cuvier von einem Wassertier, Salpa, daß Muscheln ganz aufgezehrt lagen, nur noch mit der äußeren Haut, auch außerhalb des Magens. Zu dieser unmittelbaren Verdauung gehört auch das Einreiben von Mitteln, die ebenso wirken. So durch Einreibung auf die Achsel hat Ipekakuanha auch laxiert. Unmittelbar nach dem Essen von Spargeln hat der Urin einen bestimmten Geruch. Dieser vergeht, und nach der andern Zeit der vermittelten Assimilation, kehrt er wieder zurück. Vermittelte Assimilation.

Der Organismus kehrt sich gegen das Eingenommene der Speise drinnen im Magen, nachdem sie mit dem | Speichel vermischt ist; und derart ist der Magensaft. Die Muskeln des Magens wirken zu-gleich auf diese Speise. Aber die Hauptwirkung ist von dem Magen-

214 daß ] wo

215

220

225

*230

235

*

240

*

245

174 Organische Physik 339 –341

saft. In den Vögeln sieht man die härtesten Steine etc. Es ist nicht eine besondere Tätigkeit des Mechanischen. Bei solchen Tieren fi ndet man dann auch kleine Steinchen im Magen. Man glaubt, dies diene zur Zerreibung. Allein, durch Erfahrung ist dies widerlegt worden. Dieser Prozeß hat nun aber auch die Form der Vermittlung, Verdauung. Er ist ja totale Subjektivität, entwickelte Subjektivität. Er kann sich nach außen auch nicht auf eine einfache Weise verhalten. Diese Vermittlung ist nun in dem Bekannten enthalten. Es sind der Magen und Magensaft, welche die Speisen verwandeln in einen Brei, der so [dort] durch den Körper [ hin]durch geführt wird, wo überall Saugadern angebracht sind. Die nähere Weise der Tätigkeit zeigt sich zuerst so, daß es ein besonderer Stoff ist (Magensaft), der den äußeren Stoff auf eine eigentümliche Weise verändert. Es ist von seiner Seite ein besonderer Stoff. Das Produkt der Wirkung ist ein Neutrales, worin sich die beiden anderen abstumpfen. Nun ist aber das Organische nicht ein Chemisches, sondern es ist die Einheit seiner in dem Entgegengesetzten – nicht e ines der Entgegengesetz-ten. Das kann also nicht so vorgestellt werden. |

Alle Versuche haben nichts herausgebracht über die Beschaffenheit des Magensaftes. Der Magensaft säuert leicht, die Galle entsäuert wieder. Wir sehen, daß es keine chemische Wirkung sein kann, son-dern es ist eine allgemeine Assimilation. Sie geht verschiedene Sta-dien der Kochung durch, nur quantitativ voneinander unterschie-den. Die Tätigkeit des Organismus gegen die Speise ist weiter nichts, als daß er sich zeigt, d. h. der Organismus verhält sich auf eine freie Weise in der Assimilation. Er läßt sich nicht in den reellen Prozeß mit ihr ein. Er bleibt darin in seiner Allgemeinheit. Er tritt als Galle, als Zorn dagegen auf etc. (§ 285), dann als Feuer und Wasser, so wie bei dem Zeigen der unorganischen Welt durch den galvanischen Prozeß. Das Weitere ist dann, daß er sich von dieser Äußerlichkeit befreit, daß er sich von sich selbst abstößt. Das, was er getan hat: als Wasser aufgetreten zu sein, Feuer etc., dieses stößt er auch wieder von sich ab und geht in sich zurück. Man hat die chemische Analyse der Faeces untersucht, und man fand, daß [es] nichts als Animali-sches ist. Was der Organismus fortschafft, sind eigene Produktionen,

275 ihr ] ihm

250

255

260

265

270

275

280

341–342 Der tierische Organismus 175

animalische Produktionen. Die Produkte, in denen er sich gezeigt hat, schafft er weg. Er verhält sich zum anderen, er produziert sich in diesem anderen, d. h. er vernichtet die anderen. |

Das Unorganische verwandelt er in sich, vernichtet dasselbe. Er ist so Begierde, er verhält sich als Negatives nur zu anderem. Das eine Verhältnis ist das, in dem der Organismus sich zum anderen verhält, indem er es zu seiner Neutralität macht, zur Lymphe. Das Zweite ist, daß er das objektiv Gemachte ausstößt, sich von sich selbst. Der Organismus setzt nach dieser Bedeutung sich selbst außer sich. Er hat sich in der Begierde als eine bloße Subjektivität verhalten. Vor dieser Subjektivität ekelt es ihm, und er entfernt es von sich. Die Einsaugenden der Gefäße saugen den Chylus ein. Diese stoßen alles Animalische, die Galle von sich. Sie nehmen nur das von ihm zur in-differenten Animalität Reduzierte. Also es wird, was der Organismus von sich selbst hervorgebracht hat, fortgeschafft. Die neueren Phy-siologen wissen durch ihre Untersuchungen immer weniger, und desto mehr erkennen sie in allem dieselbe Differenz. In dem Urin fi ndet man lauter Sachen, die sich aus dem Futter nicht abscheiden lassen. Bei den Vögeln umgekehrt: sie fi nden viel Kieseliges, und in den Exkrementen ist keine Kieselerde. In dem Urin der Löwen und Tiger hat man eine Menge Kali gefunden, sie fressen doch keine Pfl anzen. Und umgekehrt bei den pfl anzenfressenden Tieren fi ndet man Natrium, obschon doch nichts Animalisches von ihnen gefressen wird. |

Diese Vermittlung ist nur, daß der Organismus auf freie Weise sich auch darstellt und zeigt in seinem Feuer und Zorn (§§ 286 und 287 ist das aber nicht so bestimmt gesagt). Was der Organismus zu bekämpfen hat, ist nicht das Äußerliche, sondern das, was er selbst produziert, worin er selbst nach außen gerichtet ist. Davor ekelt es ihm. Sein wahrhaftes Tun ist aber das Räsonnieren in sich.

Dritte Form des Prozesses, der Kunst t r ieb, Bildungstrieb, die Vereinigung von beiden. Die Begierde; das bloße Negieren, welches

298 sich ] ihm306 Natrium ] Natrum312 ist ] hat315 welches ] daß es

285

290

*

300

305

*

310

315

176 Organische Physik 342 –344

gehemmt wird; ein Hemmen, aber damit ein Bestehenlassen des Objektiven. Dadurch erhält man Subjektivität, Gegenständlichkeit. Es ist die Vereinigung der beiden. Es assimiliert sich das Tier die äußere Natur und will sich selbst darin gegenständlich [sein]. Es verdoppelt sich Subjektivität. (Das dritte Verhältnis im Ganzen ist das Geschlechtsverhältnis, hier verhält sich das Subjekt zu einem Subjekt von der anderen Seite. Es fi ndet sich in dem anderen; das ist die höchste Objektivierung des Lebendigen, in dem es selbst Subjekt bleibt). Das Erstere macht den Übergang zu dem Letzteren. Es ist eine Form, die es dem Objekt gegeben hat, worin es sich fi ndet. Die objektive Subjektivität ist hier aber eine gespaltene. Das Sich-Hinaussetzen ist | nur unvollkommen. Von jeher ist vielfach versucht worden, den Instinkt des Tieres zu fassen. Bald nahm man es mechanisch, bald geistig; und man sagt, es sei dies etwas Verwunderliches. Man hat den Instinkt bloß gebraucht von einem allgemeinen Zeichen, von einem Nichtbegriffe. Das Lebendige muß sich realisieren.

Es kommt hierbei der Begriff der Zweckmäßigkeit hinzu. Er ist ein Analogon des Verstandes. Aber der Begriff der Zweckmäßig-keit ist hier der Begriff der Vernünftigkeit. Der Begriff der Leben-digkeit ist auch etwas Zweckmäßiges, zweckmäßig ist eben etwas Vorausbestimmtes. Im Lebendigen liegt überhaupt der Begriff der Zweckmäßigkeit, aber man fi ndet diesen Begriff nur da auf, wo er als eine äußere Zweckmäßigkeit erscheint. Der Organismus ist auch zweckmäßig, aber es ist hier immanente Zweckmäßigkeit. Man setzt nun immer bei der Zweckmäßigkeit die Form des Bewußtseins voraus. Aber das ist nicht erfordert, es ist die Subjektivität, welche nach außen agiert. Daß ferner solche äußere Produktionen [als] zweckmäßig erscheinen, liegt darin, daß die Gegenstände als etwas Brauchbares vorgestellt werden. Diese Brauchbarkeit ist nichts ande-res, als daß sie in dem Trieb, in der Begierde das Objekt nicht bloß verzehren, sondern es sich außer sich produzieren und bilden. Die Zweckmäßigkeit ist nichts anderes, | als daß das Tier sich selbst in äußeren Gegenständen produziert. Es ist eine Begierde. Es wird das

328 versucht ] untersucht330 Verwunderliches ] Verwundersames

320

325

330

335

340

345

344 –346 Der tierische Organismus 177

Objekt gelassen, nicht zernichtet, sondern [ihm] nur die äußerliche Form gegeben.

Hierher gehört das Verhalten der Tiere zu dem Elementarischen. Das Tier verhält sich zu dem Raum, zu der Luft, zur Erde als ein Schweres. Sein Bilden in Ansehung der Räumlichkeit besteht in der willkürlichen Bewegung oder eigentlich zufälligen. Es ist im Raum, aber diese Äußerlichkeit ist bei ihm ebenso ein Ideelles, es ist als Subjektives ein Nichträumliches. Es hebt immer diesen Ort auf und beweist so seine Zufälligkeit gegen den Raum. Ein Ort ist durchaus wie der andere. Das Tier setzt diese Äußerlichkeit als das, was sie ist: zufällige Bewegung. Die Wanderungen der Tiere gehören hierher. Es ist hier nicht nur dieses räumliche Verhältnis, es vertauscht ein Klima mit dem anderen. Das Tier bildet sich in die Luft hinein, es äußert seine reine Innerlichkeit – Stimme. Den Vögeln überhaupt gehört der Gesang an. Sie verhalten sich zu dem leeren physikali-schen Element; der Vogel gehört dem ganz Unbestimmten, und so empfi ndet er sich darin. Ein Weiteres ist dann wieder das Bereiten von Nestern und Höhlen. |

Es ist dies die Erde, die physikalische Umgebung, in die sich das Tier hineinbildet. Der Mensch ebenso wie das Tier verhält sich auch zu der Erde als ein Schweres, es ist das elementarische Verhältnis. Das Tier assimiliert es sich auch, macht es zu dem Seinigen, daß es sich einen Platz bereitet, wo es ruhen kann. Ein Ferneres ist das Bauen der Zellen, Honig bereiten, Netze weben. Hier hat man bei den Insekten dieses Wesentliche bemerkt; und man hat gefunden, daß es meist die zeugungslosen Tiere sind, wo dies hervortritt. Doch bei den Spinnen ist das nicht der Fall. Die Hauptsache ist dies, daß dieses im Verhältnis ist mit der Geschlechtlichkeit. Es ist das Zeugen mit dem Äußeren. Es perenniert sich, stößt sich von sich ab. Bei solchen Tieren ist es der Fall, daß Regelmäßigkeiten stattfi nden. Sechseckige Zellen, das ist gleichsam ein sechseckiger Instinkt. Aber bei den Bienen ist es der Fall, daß sie runde Zellen machen und daß nur die weiche Masse von selbst zum Sechseckigen wird. Man sagt, dies sei höher als die menschlichen Werke. Aber es ist gerade

365 der Vogel ] er371 Das Tier ] Dieses

350

355

360

365

370

375

380

178 Organische Physik 346 –347

das Gegenteil. Die Geschlechtslosen, die dergleichen produzieren, produzieren nur den Stoff, weiter nichts.

Überhaupt gehört der Bildungstrieb in die Weise der Assimila-tion. |

[c. Der Gattungsprozeß]

Der Bildungstrieb macht den Übergang hierzu. Es ist dies bloß nichts [wahrhaft] Synthetisches. Die wahrhafte Synthese ist in dem Geschlechtsverhältnisse erreicht.

§ 288. In dieser Synthese (dem Bildungstrieb) ist das Tier nicht befriedigt, denn es hat darin nicht seine wahrhafte Realisierung erhalten.

Sein Trieb ist, sich als Allgemeines zu setzen. Das ist Trieb der Gattung, über die Natur hinaus. Es ist an sich das Allgemeine, aber auch in seinem Gefühl. Es treibt sich damit über die Natur hinaus. Ich bin für mich, ich weiß von mir, sonst wäre ich nicht ich. Das Tier strebt also über die Natur hinaus. Der Trieb ist in der Natur als Notwendigkeit. Jedes ist ein selbständiges Lebendiges. Das Tier ist der Trieb dieser seiner Gattung, sich als Gattung anzuschauen. Aber in der Natur kommt es nur dazu, daß es die Empfi ndung seiner nur hat in dem Anderen seiner Art. Das Andere ist dasselbe, was es ist, und darin empfi ndet es sich. Sie bleiben aber dabei Selbständige, wo sie nur füreinander sind als Einzelne. Hier ist eben darin die Idee der Natur zur ihrer Würdigkeit gekommen in dem Paar. Es | ist wie die Schwere auch diese Identität. Diese Identität, die die Schwere ist, ist in dem Lebendigen herausgetreten als ein Empfundenes. Hier ist diese Idee zwar nicht als bewußt, als Idee aber doch als Empfi ndung. Das ist der Begriff des Geschlechtsverhältnisses überhaupt.

Das Individuum hat diese Empfi ndung in seiner Allgemeinheit. Der Prozeß der Gattung besteht nur in der Vermittlung, daß jeder sich im anderen empfi ndet. Der Trieb ist Spannung, daß man sich fühlt, nicht vollständig zu sein. Diese Zweiheit hebt sich auf und wird zur Einheit, zur wirklichen Empfi ndung. Die beiden Geschlechter sind auch in der Bildung als unterschieden gesetzt. Ursprünglich

388 c. Der Gattungsprozeß ] 3. Prozeß der Gattung.

385

390

395

400

405

410

415

347–349 Der tierische Organismus 179

sind sie identisch. Das Männliche ist mehr das Tätige, das Weibliche ist das Einfache, sich auf sich selbst Beziehende. Es sind für diesen Prozeß auch besondere Organe gesetzt. Der Mensch ist ursprünglich hermaphroditisch, dasselbe bildet sich nur auf verschiedene Art. In den niederen Tieren ist das Geschlecht ganz hermaphroditisch. So ist aus Hermaphroditen zu erkennen, daß die Prostata zum Uterus wird, der Hodensack [zu] den Schamlefzen. Die Zeugung ist diese Einheit der lebendigen Empfi ndung. Beide haben ihre besondere Eigentümlichkeit aufgegeben. Diese Einheit ist das in seiner Einheit wiederhergestellte Leben – das geschlechtslose Leben. |

Das Erzeugte ist zunächst nach allen Seiten hin different. Das Tier ist damit ein Gesetzes. Es ist ein einzelnes, welches die Bestimmung der Einzelheit in sich trägt. Es ist das Gefühl dieser Einheit. Es hat die Gattung sich zur Existenz gebracht. Innerhalb der Sphäre der Natürlichkeit fällt dies auseinander, und die Gattung ist deswegen selbst wieder ein Einzelnes, und die Natur fällt wieder in ihre Na-türlichkeit zurück und vollendet den langweiligen Kreislauf von Geschlecht zu Geschlecht. Das Durchlaufen dieser Prozesse ist eben das Leben.

§ 292. Die Idee des Ganzen haben wir damit erreicht, und wir sind hiermit an der Grenze des Tieres. Der menschliche Organis-mus ist das Edelste und Vollendetste. Wenn man die Tierwelt be-trachtet, so muß man nicht von dem Einfachsten anfangen, sondern von dem Ausgebildetsten. Man versteht dann das Einfache. Es sind nur Versuche da, etwas zu bilden. Der Typus der Natur treibt über-all [dazu] hervorzutreten. Aber an vielem hat es keine Bedeutung, so | z. B. Anfänge von Füßen bei Schlangen. Es sind zwei Momente: die Stufenfolge der Entwicklung und dann, wie sich dies an den Einzelnen anschmiegt. Weil das Leben ein unmittelbares Dasein hat, so ist es ein vergängliches. Der Geist ist nicht ein Unmittelbares. Das Unmittelbare hat Schranken, es bezieht sich auf anderes. Die Parti-kularisationen sind vorhanden auch als unorganische Natur. Die unorganische Natur und die Lebendigkeit entsprechen sich. Das Leben kann sich in alles hineinwerfen, es kann unter den dürftigsten Bedingungen hervortreten.

443 bei ] an

420

425

430

435

440

445

450

180 Organische Physik 349 –351

Die Art und Weise bei der Einteilung der Tiere ist die: man setzt voraus, es sind diese Tiere. Die allgemeine Ansicht setzt nun Gewäs-sertiere zusammen, z. B. Fische. Für diese allgemeine Vorstellung sucht man nun eine einfache Bestimmtheit, diese soll allen gemein-schaftlich sein. Die Regel ist die Art und Weise, wie sie existieren. Allein im Allgemeinen kann dies nicht gelingen, denn die Natur ist an solche einzelne Qualitäten [nicht] gebunden. Setzt man eine solche Bestimmtheit voraus, z. B. Atmen mit Kiemen und Lungen, so sind doch Amphibien. |

So bei der einfachen Bestimmtheit von Säugetieren: da ist aber der Walfi sch, der säugt und doch Fisch ist. Legt man eine solche einfache Bestimmung zugrunde, so ist das, was sich auf den gan-zen Habitus bezieht, nicht gefunden. Es ist hier angenommen, daß die tierische Existenz das Erste sei und das Allgemeine das Zweite. Aber man muß umgekehrt verfahren. Man muß auf den Begriff die allgemeine Bestimmtheit festsetzen und dann sehen, ob sie dieser Regel gemäß sei. Menschliche Werke sollen so sein, aber sie kön-nen auch schlecht sein. So bei der Natur kann dies noch unendlich mehr stattfi nden.

Eine Hauptsache ist, daß man jedes besondere Tiergebilde als ein Ganzes betrachten muß, aber nicht oberfl ächlich. Es ist oberfl ächlich, wenn man sagt, das Tier sei ein Ganzes, es müsse als durchgehend bestimmt angesehen werden. Cuvier zeigt, wie aus einem Zahn die Form der Kinnknochen und der Knochen der Hinterfüße zu bestimmen [ist]. Das Gerede, daß das Tier ein Ganzes sei, wird erst ein inhaltsreiches, wenn das in einem Besonderen überall gezeigt wird. Cuvier sagt: | wenn die Eingeweide geeignet sind, nur rohes Fleisch zu essen, so müssen die Zähne in der Lage sein, die Beute zu packen und zu verzehren. So die Bewegungsorgane. Die Zähne, diese müssen den Typus von Hundezähnen haben. Der Condylus muß deswegen so sein, dies zu können; [eben]so die Muskeln müs-sen stärker sein; die Vertiefungen müssen deswegen größer sein, wo die Muskeln sitzen. Dazu gehört auch, daß die Muskeln des Kopfes und Genicks größer sein müssen, so die Rückenwirbel. Die spitzen

473 – 474 als … werden ] durchgehen479 in der Lage ] so

455

460

465

470

475

*

*

485

351–353 Der tierische Organismus 181

Zähne müssen überwiegen. In den Klauen muß große Stärke sein, aus diesen bestimmen sich die Zehen. So auch die Verbindung des Schenkelbeins mit dem Schienbein: Es muß die Insinuation so sein, daß sie sich hin und her drehen können, was bei den pfl anzenfres-senden Tieren nicht sein muß. Wenn man so einen Knochen kennt, so ist die Form der anderen dadurch determiniert. Ebenso folgt, daß, wenn Tiere Hufe haben, sie nicht fl eischfressend sein können. Das Schulterbein ist so auch anders determiniert. So fi ndet sich bei den wiederkäuenden Tieren das | Zahnsystem schlecht ausgebildet. Die Rinder, welche keine Hundezähne haben, haben keine Hörner, und umgekehrt. Die nicht wiederkäuenden [Tiere] haben oben und unten Schneidezähne. Ihr Fuß ist auch ein Ausgebildetes. Wo das Zahnsystem ein ausgebildeteres ist, da ist auch der Fuß ausgebildeter. Die Rinder z. B. haben kein Wadenbein. Sie haben nur ein Bein, und so fehlen ihnen auch Knochen an den anderen Artikulationen. Das zeigt sich auch bei den Kindern. Wenn sie Zähne bekommen, so lernen sie auch gehen, lernen reden, überhaupt alles, was nach außen geht. So hat Cuvier angefangen, die vergleichende Anatomie zu betrachten.

Ein Tier ist an sich so eine Totalität. Was nun ferner die großen Abscheidungen betrifft, so ist der Hauptunterschied notwendig der der Entwicklung und Nichtentwicklung. Das beruht darauf: das System der Reproduktion macht das Tier überhaupt aus. Das macht, daß [das] System der Sensibilität und Irritabilität hervortritt. Die Spitze der Sensibilität ist eben das abstrakte Sich-in-sich-Zu-rücknehmen, d. h. das Knochensystem. |

Auf der anderen Seite ist das Blutsystem die äußerste Spitze der Irritabilität. Wir wissen nun, daß es Aristoteles war, der die Tiere eingeteilt [ hat] in Tiere mit Blut und Tiere ohne Blut. Er sah, daß alle Tiere, welche Blut (rot) haben, ein Rückgrat haben, teils knöchern, teils grätig. Erst in neueren Zeiten haben die Franzosen diesen gro-ßen Unterschied wieder festgehalten. Animaux avec ver tèbres und sans ver tèbres , dies entspricht ganz der aristotelischen Ein-teilung. Bei den Franzosen hat überhaupt auch die steife Linnésche

492 sie … können ] so können sie nicht fl eischfressend sein519 Linnésche ] Lamarcksche

490

495

500

505

510

*515

182 Organische Physik 353 –355

Einteilung nie sich festgesetzt. Dem unbefangenen, naiven Natursinn bietet [sich] dieser Unterschied dar. Zu den Tieren mit einer Rük-kenwirbelsäule gehören die Vierfüßler, Vögel, Fische. Die anderen [sind die] wärmeren Mollusken etc. Das ist der Unterschied, der auf der Natur des Begriffes beruht. Die weitere Hauptunterscheidung ist [daran festzumachen], in welches Element das Tier geworfen ist: Landtiere, Wassertiere, Lufttiere. Die Tiere ohne Rückenwirbel ge-hen hinüber und herüber, sie sind das Undeterminierte. |

Bei den Mollusken ist das Innere, bei den Insekten das Äußere mehr ausgebildet. Es gibt dann auch unglückselige Mitteldinge: die Frösche; so der Strauß, [dieser] ist Lufttier und Landtier, deswegen auch mehr das Haarige; [der] Walfi sch. Diese Mitteldinge heben aber den Grundunterschied nicht auf, solche Tiere sind Vermischun gen solcher Dinge. Ebenso wenn man mit der Musik malen will – so hat man auch eine steinerne Malerei gemacht – poetische Prosa, pro-saische Poesie – dramatisierte Historie. Der Geist kann ein solches auch vermischen, so die Natur auch. Aber die Vermischungen sind unvollkommen. So der Mensch kann Maler, Dichter, Philosoph sein, es ist [dann] aber auch danach. Das Landtier ist das Vollkommenste überhaupt. Die Vögel und Fische, die einem abstrakten Element zu-geschrieben sind, sind unvollkommen. Man hat bei den Landtieren die Säuger festgehalten. Es zeigt dies auch noch eine Empfi ndung für die Innungen, so die Vögel auch. Sie kommen daher nicht nur zur Befriedigung des Geschlechtstriebes, | sondern auch zu einer begierdelosen Empfi ndung der Einheit. Die Tiere kommen auch noch dadurch zur Anschauung dieser ihrer Einheit. Dies ist dann das Höchste, was die Tiere erreichen können, und dies können nur die Landtiere und die Vögel. Es ist hier eine positive Selbstempfi ndung, welche sich hier zeigt. Die Vögel sind geschäftiger im Füttern als die Landtiere, weil diese ihren Stoff aus sich selbst nehmen. Die Vögel, die der Luft angehören, haben eine besondere Lunge. Mit dieser steht in Verbindung der Knochenbau, er enthält kein Mark, sondern Luft. Die Fische hingegen bleiben in dieser Gedrungenheit, sie sind blässer in ihren Muskeln. Es sind dies Momente, die nicht

520 sich festgesetzt ] festgehalten

*

525

530

535

540

545

550

355 –357 Der tierische Organismus 183

bloß Merkmale sind, sondern dadurch setzt sich das Tier als ein sich Unterscheidendes.

In den Säugetieren sind drei Klassen: [1.] Tiere, welche Klauen haben; 2. [Tiere], welche Hufe haben, und [3.] Tiere, die nur ganz kurze Extremitäten haben. Die mit Klauen sind die Vollkommen-sten, und so nach unten unvollkommener. Mit dieser Ausbildung nach außen hängt auch die innere Organisation zusammen. Die Natur nimmt | immer mehr in sich zurück, so daß zuletzt nur Haut und Darmkanal bleiben. Das sind die Hauptmomente, auf die es ankommt. Die animalische Organisation ist ein solches, das sich der Bedingung der Außenwelt anschmiegt. Das Schwein z. B. ist aus Europa nach Brasilien gekommen, und dort ist es größer geworden und hat Klauen bekommen. Die Einfälle der Natur sind nicht höher zu achten als die Einfälle des Geistes.

§ 293. Das Tier ist diesem Zwiespalt unterworfen, welcher als Krankheit erscheint. Das Tier ist als ein Einzelnes dem Allgemei-nen nicht angemessen, deswegen bringt es den Keim seines Todes mit sich. Diese Unangemessenheit hat eine doppelte Seite. 1. Das Tier ist seiner Gattung nicht angemessen, und 2. das Allgemeine erscheint als eine äußerliche unorganische Natur. Indem das niedere Tier in der Begattung seine Subjektivität aufgibt, geht es bloß damit zu Grunde. Aber die höheren Tiere überleben die Hingabe ihrer Einzelheit, es überwindet seine Gattung, so auch die unorganische Natur. |

Aber indem es diese bezwingt, so ist dieser Sieg nur ein Einseitiges. Das Allgemeine muß auch den Sieg gegen die Einzelheit davon-tragen. Es ist als Naturloses dem Begriff unangemessen. Man kann also sagen, daß das Tier von Natur krank sei, aber eben diese Ne-gativität ist ein Moment seines Begriffs. Von dem Menschen kann man das ebenso sagen. Man kann [es] in dieser Rücksicht auch so betrachten: daß, weil das Menschengeschlecht als Entwicklung des Geistes verschiedene Stufen durchläuft, also die verschiedenen Geschlechter des Menschen für diesen höheren Geist, der jetzt in

572 das ] daß das573 – 575 Indem … Grunde ] Das Tier, indem es in der Begattung seine

Subjektivität aufgibt, so gehen die niederen Tiere bloß damit zu Grunde.

555

560

565

570

575

580

585

184 Organische Physik 357–359

ihnen lebt, eine andere Animalität brauchen. Aber eben der Geist schreitet fort, der Körper schreitet nicht mit fort. Dies ab[zu]tun, daß dem Geist der Körper gehört und [daß], indem jener fortschreitet, dieser unangemessen bleibt, das ist also eine natürliche Krankheit. Die Krankheiten, die vorher als Aussatz sich zeigten, haben sich in der Folge ausgebildet. Was aber sonst Krankheit heißt, so ist das Tier der Krankheit fähig, weil der Mensch | [sich] als ein Äußerliches zu der unorganischen Natur verhält und so eine Zufälligkeit statuiert. Indem die Krankheit ein Äußerliches ist, sich äußerlich verhält, in besondere Funktionen unterschieden ist, so kann eine solche beson-dere Funktion sich gegen diese Idealität halten. Herr Dr. Goeden macht ein breites Gerede über dieses Fieber, indem er sagt, es fasse dies nur das Äußerliche auf. Das meiste aber kann Herr [ Goeden] nicht verstehen. Es ist so naturphilosophisches Untereinanderreden. Er sagt, man müsse dies in der Idee erfassen und nicht [als] äußerliche Erscheinung nehmen. Aber so kommt man um keinen Schritt weiter. Was ist dann das Wesen des Organismus? Das ist doch nur die Leben-digkeit, und diese ist der ganze Organismus. Das Wesen ist eben die abstrakte Refl exion, und gar nicht die Entwicklung dieser Einheit.

Mit der Besonderheit tritt der Organismus in die Äußerlichkeit. Das Organ, das sich ausgelassen hat, muß wieder zum | Moment heruntergesetzt werden. Der Magen etc. hat nicht den Instinkt, bloß so viel aufzunehmen, wie für das Ganze nötig ist. So das Blut, die Muskeln, [die] sich nur so erhitzen, daß es dem Ganzen zuträglich ist. Tritt ein System so sehr in Tätigkeit für sich heraus, so ist Krankheit da. Das Erste ist: daß die Krankheit auf den ersten Wegen ist, wo sie leicht gehoben werden [kann]. Das Zweite ist die Koktion der Krankheit, wo die anderen Organe Notiz nehmen davon. Hier ist es, wo die Ärzte sachte [vor]gehen und die Krankheit erscheinen lassen. Ist sie herausgetreten in die Existenz, so ist sie ausgebrochen. Der Organismus hat nun seine unorganische Potenz an sich selbst,

589 jener ] er597 Goeden ] Goethe603 das ] sein609 wie ] als617 sich ] ihm

590

595

*

600

605

610

615

359 –361 Der tierische Organismus 185

so bezieht er sich als ein Unorganisches auf sich. Das Wirken nach außen ist verloren, sein Appetit, die Muskelbewegung ist weg, er zehrt sich selbst auf. Hier treten hauptsächlich chronische Krank-heiten ein. Das Fieber ist nichts anderes, als was Reproduktion ist im gesunden Körper. Diese Tätigkeiten, die in Einem sein sol len, |erscheinen nacheinander: Nervensystem angeregt (Kopfweh), Kälte, Hitze, dann die Reproduktion, wo alsdann Schweiß eintritt.

Krankheit ist eigentlich Hypochondrie. Der Mensch verhält sich nur zu sich. Die Heilung ist, daß er wieder äußerlich werden soll und sich nicht bloß auf sich beziehe.

§ 295. Durch eine Arznei wird dem Organismus ein schwer zu überwindender Reiz mitgeteilt. Er ist gezwungen, sich nach ihm zu richten mit allen Kräften; und dann kehrt er zu sich selbst zurück. Eine Hauptsache ist, daß man sagte, daß die mater ia peccans weggeschickt werden solle. Durch die Naturphilosophie ist auch viel Formalismus hineingekommen. Man hat gesagt, wenn die Sen-sibilität heruntergestimmt sei, so müsse man dafür die Irritabilität heben. Man hat noch den Stickstoff und Kohlenstoff zurückgeführt. Aber diesen chemischen Gegensatz aufzufassen, heißt nur, die Or-ganismen in ihrer äußersten Form, in ihrer Tötung nehmen. Der Organismus ist deswegen auf sich eingeschränkt und hat nichts Äu-ßerliches, wenn er krank [ist]; und es ist nicht das wahrhafte | Ver-hältnis, sondern er muß sich nach außen richten. Der Organismus ist überhaupt auch noch lebendig, aber eine lebendige Tätigkeit, die nur noch formell ist, die nicht gehindert ist. Der Organismus muß auch während der Krankheit ernährt werden, und er muß leicht verdauliche Speisen haben. Bei Kindern sieht man oft völlige Unverdaulichkeit, wo alles genossen, alles ausgebrochen wird. Da hat man nichts zu tun, als nur von Viertelstunde zu Viertelstunde einen Kaffeelöffel voll Leichtverdauliches zu geben. Durch die Arz-nei wird der Organismus gezwungen, sich aufzuraffen und sich nach außen zu wenden. Es ist ein Somnambul gewesen, der vieles verord-net: Schwalben zu verbrennen und das Pulver zu geben, Hühnerkot. Diese Mittel, so lehrte die Erfahrung, halfen. Ein animalisches Pro-

622 Am Rande oben: Sensibilität, Irritabilität, Reproduktion.623 erscheinen nacheinander ] nacheinander erscheinen

620

625

630

635

640

645

650

186 Organische Physik 361–363

dukt ist ein bestimmtes und hat besondere Eigenschaften. Worauf sich dies bezieht, dies ist eben schwer zu erkennen. In den unter-schiedlichen Formen das Identische zu fi nden, ist das Schwerste. Der Käse ist das Unverdaulichste, und doch ißt man Käse zur Verdauung, eben um den Organismus zur Tätigkeit zu spornen. |

Es ist die Hauptsache, den Organismus im allgemeinen anzuregen. Dies war es, was dem Brownianismus zu Grunde lag. Nach ihm gibt es nur zwei Arten Krankheiten, sthenische und asthenische. So kann man in einer halben Stunde Arzt werden. Da ist die spezifi sche Wirkungsweise zu sehr heruntergesetzt worden. Das Dritte ist dann, daß, indem der Organismus im allgemeinen erregt ist, er dieses Gift verdaut. Er ist so gelegt unter die Gewalt eines Zaubers. Das Mittel hat einen inneren Zusammenhang nach einer besonderen Weise der Tätigkeit des Organismus, und dann wird der Organismus besonders spezifi sch bestimmt. Auf diese Weise wird der Organismus isoliert von der Krankheit. Er wird in einen engen Kreis eingeschlossen. Aber es ist nicht die ganze Lebendigkeit des Organismus, die darin ist, sondern sie ist ein Deprimiertes. Der Organismus befi ndet sich so in der Macht eines Fremden überhaupt. Der eine Weg ist also, den Organismus nach außen zu reißen. Die Befriedigung erlangt der Organismus | durch die Verdauung der Organismen. Das ist, was im gesunden Zustand das Sattsein ist und worauf der Schlaf folgt, das Beziehen seiner auf sich selbst. Der Schlaf ist eben die Bekräftigung und Stärkung. Der Schlaf ist nicht Stärkung, weil die Glieder ruhen, sondern er ist Stärkung, weil der Organismus in das Naturleben sinkt. Antaios hat seine Kraft nur wieder bekommen, indem er die Erde berührte. Herkules hat ihn überwunden, weil er das abge-schnitten hatte, daß er die Erde berühren kann. Die Befriedigung in sich ist eben seine Stärkung. Dies ist aber wie gesagt ein Partielles und unter eine besondere Macht gesetzt, die Seite des Magischen, was am meisten im tierischen Magnetismus hervortrat.

Der Mensch wird nach außen gerissen, indem er in eine Ab-hängigkeit gesetzt wird von einem anderen Menschen. Mit diesem Herabsetzen ist verbunden dieses Zurückfallen des Organismus in

662 der Organismus ] er677 Antaios ] Anthaus

655

*

660

665

670

675

*

680

685

363 –365 Der tierische Organismus 187

sich, dieses innere Erfassen, der magnetische Schlaf. Das ist aber zugleich ein schwaches Leben, ein besonderes. Das Gesunde | ist für sich, nicht in der Allgemeinheit der Natur. Der Mensch sinkt nur herunter, insofern er seine Individualität aufgibt. Dies ist zugleich ein allgemeines Mitgefühl, welches in diesem herabgesetzten Zu-stand, in dieser Identität mit der Natur hervortritt. Und ebenso das Wissen von Gegenständen, von denen es im wachenden Zustand nichts weiß. Das Insichgekehrtsein im Schlafe ist eben dann auch das Umschlagen. Durch den Schlaf hat man die Beziehung auf sich hergestellt. Das ist der Punkt, wo die Gesundheit wieder hervortritt, die Krankhaftigkeit als ein anderes setzt, als sie ist.

§§ 296 und 297. Die Überwindung dieser Unangemessenheit ist der Tod. An dem unmittelbar Lebendigen erscheint das allgemeine Gattungsverhältnis als Tod. Die Hauptform des natürlichen Todes ist: der Mensch stirbt an der Gewohnheit des Lebens. Die Subjek-tivität macht sich ihren Leib immer angemessener, | macht sich sein Leben gewohnt. Indem das Leben ganz objektiv geworden ist, so ist die Spannung beider, die Unruhe, verschwunden. Der Körper verknöchert sich, es ist die Objektivität überhaupt, die das Ganze durchdringt. Im natürlichen Tod verschwindet die Subjektivität in der Objektivität, der Leib wird ein Allgemeines. Indem so das Un-mittelbare verschwindet, so ist, was verschwindet, diese Unruhe, was Seele heißt. Dem Begriffe nach geht die Natur in ein Höheres über. Seele und Leib scheiden sich, drückt man sich aus. Aber das, was sich so scheidet, ist dem Begriffe nach ein Identisches. Das Leben ist die Identität in der Differenz; was verschwindet, ist die Form, daß sie unterschieden gegeneinander sind. Oder es ist der Unterschied von der Empfi ndung zu dem geistigen Leben nur der, daß die Form der Räumlichkeit und Zeitlichkeit sich aufhebt. Es ist nur noch die Äußerlichkeit, welche hindert, daß das Empfi ndende nicht ein Denkendes ist. Im Tod verschwindet dies. |

Der Tod der Natur ist ein Erwachen des Geistes. Die Subjektivität verhält sich einfach zu sich selbst, d. h. sie ist ein Denkendes. Die Äußerlichkeit ist selbst ein Äußerliches. Der Geist ist aber nicht nur das Werden, sondern: das andere ist, daß die Natur das Unmittelbare

696 sie ] es

690

695

700

705

710

715

720

188 Organische Physik 365 –368

ist. Eben darum ist sie auch in der Bestimmung des Gesetztseins. Die Natur setzt den Geist voraus so wie der Geist die Natur. Hiermit haben wir die Naturbetrachtung bis an das Ende geführt. Wir woll-ten hierin die Idee in ihrer Äußerlichkeit aufgefaßt [ haben], zuerst in der Form der Schwere (Himmelskörper), zweitens in Form der Refl exion: des Fürsichseins, aber nur des relativen Fürsichseins. Indem die Individualität dies in sich hineinbildet, so bildet sie sich heraus. Die Idee kommt an die Existenz, das ist die Lebendigkeit, die herausgetretene Schwere. Das Resultat der Naturphilosophie ist: daß, indem [man] die Natur der Natur kennt, dies Versöhnung des Geistes mit der Natur ist.

721 Eben darum ] Ebenwarum730 –731 dies … ist ] so ist dies Versöhnung des Geistes mit der

Natur

725

730

368 Der tierische Organismus 189

Anmerkungen 191

ANHANG

192 Anhang

Editionsbericht 193

ZEICHEN, SIGLEN, ABKÜRZUNGEN

Sper rdruck einfache Hervorhebung im OriginalKursivdruck HerausgeberredeSeitenzahlen innen Paginierung des Originals| neue Seite im Original[ ] Hinzufügungen des Herausgebers und unsichere Auflö-

sungen von Abkürzungen] Abgrenzung des Lemmasdie1 tiefgestellte Ziffern im Apparat geben bei häufi gerem

Vorkommen des gleichen Wortes in einer Zeile die Rei-henfolge an

In der Einleitung, im Anhang und in den Apparaten werden folgende Siglen und Abkürzungen gebraucht:

GW Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Gesammelte Werke, in Verbindung mit der Deutschen For schungs-ge meinschaft herausgegeben von der Rhei nisch-West fäli-schen Akademie der Wissenschaften, Hamburg 1968 ff

MM G. W. F. Hegel: Werke (in zwanzig Bänden), auf der Grundlage der Werke von 1832 –1845 neu edierte Ausgabe. Re daktion Eva Moldenhauer und Karl Mar-kus Michel, Frankfurt a. M. 1969 ff

Gies G. W. F. Hegel: Natur philo sophie, Bd. 1. Die Vorle-sung von 1819/20, in Verbindung mit Karl-Heinz Ilting herausgegeben von Manfred Gies, Napoli 1982

[Kant] AA Kant’s gesammelte Schriften, herausgegeben von der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 1910 ff (Akademie-Ausgabe)

Schelling: Friedrich Wilhelm Joseph Schellings sämmtliche Sämmtliche Werke Werke, herausgegeben von K. F. A. Schelling. I. Ab-

theilung Bde. 1–10; II. Abtheilung Bde. 1–4, Stuttgart 1856 –1861

Goethe: Johann Wolfgang Goethe: Sämtliche Werke nachSämtliche Werke Epochen seines Schaffens (Münchner Ausgabe), her-

ausgegeben von Karl Richter in Zusammenarbeit mit Herbert G. Göpfert, Norbert Miller, Gerhard Sauder und Edith Zehm, 20 in 33 Bänden, München 1998

194 Anhang

Newton: Optics Isaac Newton, Optics, Opera quae exstant omnia, Bd. 4, London 1779 –1785

Petry I– III Hegel’s Philosophy of Nature, edited and translated with an introduction and explanatory notes by Michael John Petry, 3 vol., London/New York 1970

PhT Philosophical Transactions of the Royal Society of London, London

Steffens: Beyträge Beyträge zur inneren Naturgeschichte der Erde, Erster Theil, Freyberg 1801

Treviranus: Biologie Gottfried Reinhold Treviranus: Biologie, oder Phi-losophie der lebenden Natur für Naturforscher und Aerzte, 6 Bde., Göttingen 1802

EDITIONSBERICHT

I. Quelle

Philosophie der Natur, vorgetragen von Georg Wilhelm Friedrich Hegel im Wintersemester 1819/20 an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, mitgeschrieben von Johann Rudolf Ringier (im Privatbesitz von Hans Ziegler in Binnigen/Schweiz).

a) Zum Verfasser

Die Natur hat den verfallenen Tribut gefordert, die Welt geht ihren Weg wei ter; aber im Rosengarten drüben erhebt sich ein Grabhügel, vor dem der Be sucher stumm das Haupt entblößt: es ist ein Edler, der da schläft – er ruhe in Frieden. Mit diesen Worten beendete die Neue Zürcher Zeitung am 21. November 1879 ihren auf der Frontseite plazierten Nachruf auf Johann Ru-dolf Ringier, in dessen Nachlaß sich unter anderem zwei Mitschriften Hegelscher Vorlesungen (zur Rechts philosophie und Naturphilosophie) befi nden. Da Ringier in der damaligen Schweiz zu den bekannteren Personen zählte, sind sein Leben und Schaffen recht gut dokumentiert.

Johann Rudolf Ringier, ein Nachkomme des Hugenotten Jean Régnier, der im 16. Jahrhundert aus religiösen Gründen aus dem französischen Nîmes in die Schweiz einwanderte und das Bürgerrecht erhielt,1 wurde am 22. Januar 1797 im heute noch erhaltenen Familiensitz »Burghalde« im aargauischen Lenzburg gebo-ren. Seine frü hen Lebensjahre fallen in eine politisch und geistig äußerst bewegte Zeit. 1798 führte der Einmarsch der Truppen Napoleons in die Schweiz zum Untergang des eidgenös sischen Ancien régime und zur Errichtung der republikani-schen Phase, der Helvetik. Obwohl bereits 1803 die Mediationszeit und bald dar-auf eine restaurative Periode an brach, war dieser Einschnitt für die Entstehung der modernen Schweiz von nachhal tiger Bedeutung. Die aargauischen Lande, bisher eidgenössisches Untertanengebiet, erhielten 1798 die Unabhängigkeit und 1803 den Status eines eigenen schweizeri schen Kantons. Die Ringiers gehörten dabei offen kundig zu jenen Familien, welche die neuen Zustände begrüßten, ragt in ihrem Stammbaum doch ein anderer, älterer Johann Rudolf (1744 –1813) hervor, der nichts weniger als die Ämter eines Vize präsidenten des obersten Gerichtshofs

1 Vgl. E. Braun, Familiengeschichtliches aus Lenzburg, in: Lenzburger Neujahrsblätter, 1946, 47.

196 Anhang

der Helvetischen Republik sowie des Präsiden ten der »Helvetischen Gesellschaft« bekleidete.2

Nachdem er die Schulen des Kantons Aargau durchlaufen hatte, bildete sich unser Johann Rudolf an der Universität Göttingen weiter. Am 24. Oktober 1816 immatri kulierte er sich an der dortigen Juristischen Fakultät3 und studierte bis zum Ende des Sommersemesters 1818. Er hörte u. a. eine Vorlesung zur Rechts-geschichte bei Gu stav Hugo.4 Neben fachlichen Anregungen und freundschaftlichen Kontakten brachte Göttingen für Ringier auch ein negatives Erlebnis mit sich. In der traditionsreichen Universitätsstadt kam es damals zwischen den Studenten und der Einwohnerschaft wiederholt zu handfesten Auseinandersetzungen. Um Ruhe und Ordnung aufrecht zu erhalten, sandten die Behörden in Hannover ein Corps Husaren in die Stadt, was zur Folge hatte, daß es nun häufi g zu Zusammenstößen zwischen diesen und den Studenten kam. Der junge Schweizer Student wurde bei einem solchen Zusammen stoß als Unbeteiligter schwer verletzt.

Im Spätsommer 1818 verließ Ringier Göttingen und setzte das Studium in Berlin fort. Vom 24. Oktober 1818 bis zum 6. Oktober 1820 war er dort an der Juristischen Fakultät der Friedrich-Wilhelms-Universität eingeschrieben.5 Neben Hegels Vorlesungen besuchte er rechtswissenschaftliche Vorlesungen bei Friedrich Carl von Savigny,6 über welche er in einem Brief folgende Zeilen schrieb: Nun höre ich bei Savigny ein Institutions- und Rechtsgeschichts-Colleg. Bei-des habe ich zwar schon gehört, aber von diesem Mann kann man alles hören, auch wenn man es schon auswendig kennte.7 Seinem breitgefächerten wissenschaftli chen Interesse folgend, wohnte er gleichfalls einigen Vorlesungen der Philosophie und der Naturwissenschaften bei.

Auch andere, musische und gesellige Neigungen des angehenden Juristen kamen in den Berliner Jahren nicht zu kurz. Ringier war ein vielseitig talentierter und in teressierter junger Mann. Er zeichnete vorzüglich, hatte poetische Ambitionen. Vor allem aber ließ er stets wieder seine musikalischen Fähigkeiten zur Geltung kommen. Er wurde Mitglied eines von Schweizer Studenten gebildeten Quartetts, das in Berlin einen beachtlichen Bekanntheitsgrad besaß und das ihm deshalb bald die Türen zur Gelehrtenwelt dieser Stadt öffnete. Ein reicher Kaufmann, dessen Haus ein Sammel punkt von Persönlichkeiten der Kunst und Wissenschaft war, lud die Musiker zu sich ein. Ringier traf dort u. a. Hegel, Schleiermacher, Körner – den Vater Theo dor Körners –, Zelter, den Freund Goethes, den

2 Vgl. Biographisches Lexikon des Aargaus 1803–1957, 622 f.3 Vgl. Die Matrikel der Georg-August-Universität zu Göttingen 1734–

1837, hrsg. von G. von Selle, Hildesheim/Leipzig 1937.4 Davon existiert im Nachlaß ebenfalls eine Mitschrift.5 Vgl. Matrikel des 8. Rektorats an der Juristischen Fakultät der Fried-

rich-Wilhelms-Universität zu Berlin.6 Auch davon ist eine Mitschrift in Ringiers Nachlaß erhalten. 7 Zitiert nach: H. Neuenschwander, Die Burghalde und ihre drei letzten

Besitzer, Lenzburg 1998, 57 f.

Editionsbericht 197

Schauspieler Devrient, den Komponisten Berger, den Herzog von Cum-berland, späteren König von Hannover. Auch in die Zeltersche Liedertafel wurde er aufgenommen, was für den jungen Schweizer Studenten eine ganz besondere Auszeichnung bedeutete, da nur Komponisten, Dichter, Berufs-sänger aufnahmefähig wa ren und die Zahl der Mitglieder dieser berühmten Tafelrunde auf vierund zwanzig beschränkt blieb.8

Wegen einer Erbschaftsangelegenheit wurde Ringier Ende 1820 nach Hause ge rufen, so daß er sein Studium nicht wie geplant mit dem Doktorexamen ab-schließen konnte. Nach der Rückkehr nach Lenzburg übernahm er nach und nach gewichtige politische und juristische Ämter seines Kantons. So war er unter anderem Richter am Bezirksgericht in Lenzburg und am aargauischen Obergericht. Darüber hinaus stieg er in die gesamtschweizerische Politik ein und gehörte viele Jahre dem Nationalrat (der großen Kammer des Parlaments) an. Er engagierte sich im Erziehungswesen, kümmerte sich um den Weinbau und widmete sich auch weiterhin verschiedenen Wissenschaften, so vor allem der Geologie. Seit 1827 war er auswärtiges Mitglied der Naturforschenden Gesellschaft des Kantons Aargau.9 Als Sänger war er über die Landesgrenzen hinaus bekannt; Richard Wagner lud ihn gelegentlich zu Aufführungen in Zürich ein. Ringier heiratete 1826 Mar-garitha Fischer, die ihm acht Kinder schenkte. Sie starb in jungen Jahren, 1844. Wegen einer Erkältung verlor Ringier 1867 sein Ge hör und zog sich aus dem öffent lichen Leben zurück. Am 9. November 1879 erlitt er einen Gehirnschlag, an dessen Folgen er starb.

b) Zur Naturphilosophie-Vorlesung von 1819/20 und zumManuskript von Ringier

Hegels Vorlesung zur Naturphilosophie vom Wintersemester 1819/20 dauerte von Ende Oktober 1819 bis Mitte März 1820. Hegel las in diesem Semester fünfmal pro Woche, in den folgenden Jahren nur noch viermal. Die Vorlesung war auf die erste Nachmittagshälfte angesetzt, unmittelbar danach fand die Vorlesung zur Rechtsphilosophie statt. Ringier hat beide besucht und mitgeschrieben. Beide Vorlesungen wurden überdies durch Repetitorien ergänzt, die von Hegels damali-gem Repetitor Ludwig von Henning geleitet wurden.

Von Hegels Naturphilosophie-Vorlesung aus dem Wintersemester 1819/20 existiert bereits eine von Manfred Gies 1982 herausgegebene Nachschrift, die sich im Besitz der Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt befi ndet.10 Sie stammt vom Philologie-Studenten Gottfried Bernhardy, der später als Professor der Philologie in Berlin und Halle bekannt wurde. Der Mitteilung des Herausgebers

8 Vgl. ebd., 58.9 Ebd., 71, 97.

10 G. W. F. Hegel, Naturphilosophie, Bd. I, Die Vorlesung von 1819/20, in Verbindung mit K.-H. Ilting hrsg. von M. Gies, Napoli 1982.

198 Anhang

zufolge ist dieser vergleichsweise kurze Text sehr sauber und deutlich lesbar geschrieben und weist manche den Satzbau be treffende Korrekturen auf. 11 Ob-schon Hegel langsam vortrug und somit Gelegenheit für ein recht ausführliches Mitschreiben bot, sprechen nach Ansicht des Herausgebers diese Charakteristika des Textes doch eher dafür, daß wir es hier mit einer »Reinschrift«, d. h. mit einer nachträglichen Ausarbeitung, zu tun haben. Wie von anderer Seite erwähnt wurde,12 ist nicht auszuschließen, daß dieser Text auf ein Repetitorium zurückgeht. Darauf deutet beispielsweise hin, daß in ihm die von Hegel während des Vortrags angegebenen Paragraphenziffern fehlen.

Mit dem Text von Ringier steht nun ein Dokument zu Hegels Naturphilo-sophie-Vorlesung von 1819/20 zur Verfügung, das als äußerst wertvolle Ergän-zung zur Nachschrift Bernhardys zu werten ist. Zwar ist der Text Ringiers in Ausdruck, Satzbau und an einigen Stellen auch in der sprachlichen Ausformulie-rung gedrängter Gedankenfolgen weniger ausgefeilt bzw. entwickelt als jener von Bernhardy. Zudem weist er leider fünf markante Lücken auf, die auf das Fehlen des Mitschreibenden an bestimmten Tagen zurückzuführen sind.13 Da er wesent-lich umfangreicher ist als Bernhardys Text, besticht er aber durch die komplettere Wiedergabe des gesamten Hegelschen Gedankengefüges wie auch durch die grö-ßere Ausführlichkeit der einzelnen Themenbereiche. Darüber hinaus gibt es gute Gründe für die Annahme, daß Hegels Vortrag mit Ringiers Text authentischer wiedergegeben wird als mit dem Text von Bernhardy. Man darf davon ausge-hen, daß Ringiers Text eine Mitschrift von Hegels Naturphilosophie-Vorlesung darstellt. Dafür sprechen neben der Tatsache, daß sich in ihm die Angaben der Para graphen ziffern fi nden, einige, das Schriftbild sowie Duktus und Qualität der Sprache be treffende Merkmale. Diese Merkmale, die ebenfalls auf die von Ringier im selben Semester mitgeschriebene Vorlesung der Hegelschen Rechtsphilosophie zu treffen und in der betreffenden Edition festgehalten worden sind,14 seien hier nochmals erwähnt.

Erstens macht Ringier von sehr vielen Abkürzungen Gebrauch, die alle Wortarten be treffen. Ausgeschriebene Wörter sind eher Ausnahme denn Regel. Zweitens ist das Schriftbild sichtbaren Schwankungen unterworfen, so daß man oft genau den Beginn und das Ende einer Vorlesungsstunde angeben kann. Zu Beginn einer Vorlesung ist das Schriftbild fein (vermutlich, weil der Federkiel neu ist) und gleichmäßig, mit der Zeit wird es immer breiter, größer und fl üchti-ger. Dieses Muster wiederholt sich im Verlauf des ganzen Textes. Drittens sind

11 Vgl. ebd. XIV f. 12 Vgl. W. Bonsiepen, Hegels Raum-Zeit-Lehre. Dargestellt anhand

zweier Vorlesungsnachschriften, in: Hegel-Studien 20 (1985), 14.13 Ringiers Vorlesungsmachschrift zur Rechtsphilosophie weist die selben Lük-

ken auf.14 G. W. F. Hegel, Vorlesungen über die Philosophie des Rechts. Berlin

1819/20. Nachgeschrieben von J. R. Ringier, hrsg. von E. Angehrn, M. Bon-deli, H. N. Seelmann, Hamburg 2000, 214.

Editionsbericht 199

manche Sätze unvollendet oder grammati kalisch nicht ganz korrekt, was für ein eiliges Mitschreiben während einer Vorlesung typisch ist. Aufgrund des Vergleichs mit Manuskripten Ringiers, die offen sicht lich nachträgliche Ausarbeitungen von rechtswissenschaftlichen Vorlesungen sind, gewin nen diese Gründe zusätzlich an Überzeugungskraft. In solchen Manuskripten fi nden sich weder Abkürzungen und Schreibfehler noch Unregelmäßigkeiten im Schriftbild. Schließlich enthält der Text Wendungen und Sätze, welche die Frische eines münd lichen Vortrags und die Formulierungsfreude des Vortragenden wiedergeben.

Die Feststellung von M. Gies, wonach es sich bei Hegels Naturphilosophie-Vorlesung von 1819/20 um ein erstes Bindeglied zwischen Heidelberger und Berliner Enzyklopädie handelt,15 wird durch den Text von Ringier bestätigt. Be-stätigt wird dieser Befund gerade auch dadurch, daß im Text einerseits inhaltliche sowie die Gliederung be treffende Neuerungen, die in die Richtung der Berliner Enzyklopädie weisen, vorliegen, andererseits die Para graphen ziffern der Heidel-berger Enzyklopädie verwendet werden. Der Text von Ringier macht allerdings auch deutlich, daß der Umwandlungsprozeß schon weiter gediehen war, als dies durch die von Gies besorgte Edition der Nachschrift Bernhardys nahegelegt wird. Die im Einleitungsteil des Textes von Ringer vollständiger skizzierte Einteilung der Naturphilosophie zeigt, daß Hegel nicht nur in der Haupteinteilung von Mechanik, Physik und Organik, sondern bereits in wesentlichen Untereinteilun-gen die Gliederung der Berliner Enzyklopädie vorwegnahm.16 Bei der für die Edition erfolgten Setzung der Überschriften ist deshalb auch von Gies’ Vorschlag abgewichen worden. Während bei Gies die Überschriften des zweiten und drit-ten Teils nach der Heidelberger Enzyklopädie gesetzt worden und diejenigen des ersten Teils offen sicht lich einem Kompromiß aus Heidelberger und Berliner Enzyklopädie entsprungen sind, hat sich für den Text Ringiers eindeutig die Orientierung an der letzteren aufgedrängt. Dabei wurde allerdings dort, wo der Text die künftigen Differenzierungen noch nicht aufweist, auf die entsprechenden Unterüberschriften verzichtet.

c) Formales zum Manuskript von Ringier

Der Vorlesungstext Ringiers liegt zu einem Buch gebunden vor, das 21,5 cm hoch und 18,5 cm breit ist. Der Umschlag besteht aus Pappe mit einem Überzug aus grauem marmoriertem Papier. Ringier benutzte für seine Mitschrift zum Quart-format (20,5 cm hoch und 17 cm breit) gefaltete Papierbogen. Die oberen Ränder sind glatt geschnitten, die seitlichen und unteren blieben unbeschnitten. Die be-schriebenen Bogen wurden nachträglich zu einem Buch gebunden, wohl bald nach Beendigung der Vorlesung. Der Umfang des Textes beträgt (unbeschriebene Blätter eingeschlossen) 368 Seiten. Auf dem Buchrücken befi ndet sich die Bezeichnung

15 Vgl. Gies, XVI.16 Vgl. dazu die Einleitung zum vorliegenden Band, XXVIII.

200 Anhang

Naturphilosophie von Hegel. Mit großer Wahrscheinlichkeit stammt sie von Ringier selbst. Abgesehen von den erwähnten Paragraphenangaben weist der Text keine weiteren formalen Einteilungen durch Überschriften oder Ziffern auf. Einzig am Anfang der Ausführungen zur organischen Physik steht 3., die Angabe für den dritten Hauptteil. Sowohl vom äußeren Schriftbild als auch von der inhaltli-chen Wiedergabe her handelt es sich um einen sehr homogenen Text. Er enthält einige Einschübe, Randbemerkungen und Zeichnungen, die auf Ergänzungen und Erläuterungen Hegels zurückgehen dürften. Durchgestrichene Sätze und Wörter kommen ab und zu, aber insgesamt recht selten vor. Der Text weist auch etliche unterstrichene Stellen auf. Die Unterstreichungen sind sehr ungleich verteilt und haben zwei unterschiedliche Funktionen. Einige dienen der Wiedergabe inhaltli-cher Hervorhebungen, die Ringier wohl gemäß der Betonung Hegels angebracht hat. Andere, so vor allem die Unterstreichungen von isoliert stehenden Majuskeln, sind offen sicht lich als Abkürzungen zu verstehen. Unterstreichungen dieser letzteren Art werden in der vorliegenden Edition nicht vermerkt.

II. Editionsprinzipien

Die Erstellung des vorliegenden Textes konnte sich auf ein Manuskript von guter Qualität stützen. Die schwierigste Aufgabe bei der Textherstellung bestand darin, bei der Transkription der Handschrift die Abkürzungen sorgfältig zu ent ziffern. Nach der Transkription wurden unvollständige Sätze ergänzt und der Text, um Hörfehler und Mißverständnisse zu eliminieren, auf inhaltliche Stimmigkeit über-prüft. Im wei teren wurden die folgenden Regeln angewendet:

1. Alle Abkürzungen wurden ausgeschrieben.2. Offenkundige grammatikalische Fehler wie falsche Verbformen, Verwechs-

lung von Singular und Plural u. ä. wurden stillschweigend eliminiert. 3. Redundanzen wurden stillschweigend eliminiert. 4. Vermutete Hör- und Schreibfehler wurden korrigiert und die Originalan-

gabe im kritischen Apparat vermerkt.5. Fehlerhaft geschriebene Wörter – es handelt sich vor allem um Eigenna-

men – wurden stillschweigend korrigiert.6. In einigen Sätzen wurde die Satzstellung geändert und diese Änderung

im kritischen Apparat vermerkt.7. Wörter, die einen Satz unverständlich machen (z. B. falsche Konjunktio-

nen), wurden korrigiert und die Originalangaben im kritischen Apparat vermerkt.8. Die Orthographie wurde modernisiert, der Einheitlichkeit der Vorlesungs-

reihe wegen wurde aber noch die alte Rechtschreibung beibehalten.9. Ergänzungen der Herausgeber wurden in eckige Klammern gesetzt.

10. Wo es sachlich sinnvoll erschien, wurden zusätzliche Absätze angebracht.11. Die Interpunktion wurde nach heutigen Regeln neu gesetzt. Im Original

fehlt häufi g die Interpunktion, oder es stehen an der Stelle von Punkten und Kom-mata Gedankenstriche.

Editionsbericht 201

12. Einige schwer entzifferbare Stellen wurden als unsichere Lesart kenntlich ge macht.

13. Auf Sachanmerkungen der Herausgeber wird mit einem * hingewiesen. Sie können im Anhang unter der Seiten- und Zeilenzahl aufgefunden werden.

14. Die Hinweise im kritischen Apparat unterhalb des Textes beziehen sich auf die angegebene Zeilenzahl.

15. An fünf Stellen weist der Text inhaltliche Lücken auf. Diese wurde mit […] und einer Fußnote kenntlich gemacht. Zur Vervollständigung des Textes wurden die entsprechenden Passagen aus der Edition von Gies in den Sachan-merkungen wiedergegeben.

16. Eine sich zwischen leeren Seiten befi ndende zweiseitige Textpassage wurde aus inhaltlichen Gründen umgestellt.

ANMERKUNGEN

9,242 – 10,244 Proteus, ein weissagender Meergreis, ist eine Gestalt der griechi-schen Mythologie. Homer berichtet in der Odyssee über ihn. Proteus hatte die Fähigkeit, sich in verschiedene Gestalten zu verwandeln. Nur wer ihn dennoch festzuhalten vermochte, konnte von ihm Weissagung erhalten; vgl. Homer, Odys-see, IV. Gesang, V. 382 (übersetzt von Johann Heinrich Voss, Hamburg 1781):

Also sprach ich; mir gab die hohe Göttin zur Antwort:Gerne will ich, o Fremdling, dir lautere Wahrheit verkünden.Hier am Gestade schaltet ein grauer Bewohner des Meeres,Proteus, der wahrhafte Gott aus Aigyptos, welcher des MeeresDunkle Tiefen kennt, ein treuer Diener Poseidons.Dieser ist, wie man sagt, mein Vater, der mich gezeuget.Wüßtest du diesen nur durch heimliche List zu erhaschen,Er weissagte dir wohl den Weg und die Mittel der Reise,Und wie du heimgelangst auf dem fi schdurchschwimmenden Meere.Auch verkündigt’ er dir, Zeus’ Liebling, wenn du es wolltest,Was dir Böses und Gutes in deinem Hause geschehn sei,Weil du ferne warst auf der weiten, gefährlichen Reise.

14,30 – 31 Vgl. Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 42: Der Raum ist nichts anders, als nur die Form aller Erscheinungen äußerer Sinne, d. i.die subjektive Bedingung der Sinnlichkeit, unter der allein uns äußere Anschauung möglich ist. A 33: Die Zeit ist nichts anders, als die Form des innern Sinnes, d. i. des Anschauens unserer selbst und unsers innern Zustandes.14,47 Hegel spielt hier auf die berühmte Szene im Studierzimmer in Goethes Faust an. Es ist allerdings nicht Faust, der das sagt, sondern Mephistopheles: Grau, teurer Freund, ist alle Theorie, Und grün des Lebens goldner Baum.14,57 Vgl. Gies, 14,11–18,7: Das Anschauen des Raums ist Moment des Absoluten selbst. Man hat auch den Raum als Ordnung der Dinge gesetzt, Ordnung als äußerliches Verhalten der Dinge; aber Ordnung enthält Be-stimmtheit, Unterschied, aber im Raum als solchem ist das Unterschiedslose. Die Naturdinge als solche sind äußerlich und räumlich.

Ob die Materie ins Unendliche teilbar sei? Ob er eine absolute Grenze habe oder nicht? Grenze ist Unterscheidung. Man soll also eine Unterschei-dung suchen im Raum als solchem, aber der Raum ist das Unterschiedslose, das Grenzenlose. Den Raum denken heißt, seine Äußerlichkeit aufheben. Die Grenze des Raums, das Negative, ist die Zeit. Diese Grenze erscheint als ein anderes Sein. Jedes Räumliche als solches ist kontinuierlich, hat die

204 Anhang

Möglichkeit der Unterscheidung in sich. Der Raum ist also ins Unendliche teilbar, nicht geteilt.

Der Raum ist ein Begriff, die Totalität in sich. Der Begriff hat in ihm seine Darstellung, er ist das Konkrete überhaupt, das Identische mit sich. Im Raum ist der Prozeß des Identischen paralysiert. Im Raum erscheint er als abstrakte Verschiedenheit, Dimension. Der Raum ist außereinander, konti-nuierlich, mehrfach; diese Dreiheit ist Dimension. Jede [der] Dimensionen für sich ist abstrakt, nichts; wo Raum ist, hat er die drei Dimensionen. Diese Dimensionen können nicht voneinander unterschieden werden [in] Länge, Höhe, Breite, weil noch kein Unterschied ist; es ist ein bloß gemeinter Unterschied, noch nicht wahrhaft als Unterschied. Wo es bestimmte Unter-schiede gibt, ist ein Mittelpunkt das Bestimmende; aber diese Bestimmung liegt außerhalb des Raumes als eine konkrete.

Das Negative als solches muß gleichfalls im Raum gesetzt sein. Die Kon-tinuität ist die Negation des Außereinanderseins, die Identität die Negation der Verschiedenheit. Dieser Widerspruch macht das Fortgehen der Dinge, indem er sie nicht sein läßt, was sie sein sollen. Jede Stufe erzeugt aus ihr selbst ihre andere, sie ist das sich selbst Aufhebende und aus sich ein anderes Machende.

Der Raum ist das Andere seiner selbst, das Negative; dies ist das ganz abstrakt Negative; dies ist die Grenze des Raumes, Punkt. Der Punkt ist das abstrakt Negative des Raumes; das Räumliche selbst ist wesentlich in seiner Bestimmung enthalten. Insofern er Räumliches ist, hört er auf, Punkt zu sein. Dies ist das Anderswerden des Punktes, wodurch die Linie entsteht. Bewegung ist hier nicht, sondern der Punkt ist das Anderswerden seiner selbst. Er ist auf das Räumliche bezogen, und wie er in Wahrheit gesetzt ist, ist [er] Linie. Als das Erste ist der Punkt das Positive, die erste Negation des Punktes ist die Linie. Dem Begriffe nach ist das Anderssein des Punktes Grenze seine selbst. Die Linie ist das Negative des Negativen, des Punktes; ihre Wahrheit ist nicht bloß, das erste Negative zu sein, sondern das Ne-gative des Negativen. Dies Anderswerden der Linie ist Fläche. Die Fläche enthält zwei Dimensionen als das zweite Anderswerden, das Negative des Negativen, und sie ist die aufgehobene Negation, es ist der ganze Raum gesetzt. In ihr ist die Begrenzung des Raumes aufgehoben, die Totalität desselben gesetzt. So ist der Raum in seinen drei Dimensionen gesetzt. Es ist nicht mehr die unmittelbare Totalität des Raumes, sondern eine Un-mittelbarkeit durch Aufhebung der Vermittlung, eine aus der Negation geworfene Totalität. Sie selbst ist Oberfl äche als Moment der Grenze.

Die Linie besteht aus Anderem des Punktes, weil der Punkt aufgehoben ist; so die Fläche. Die gerade Linie ist, wo die einfachste Beziehung zwi-schen zwei Punkten ist; der kürzeste Weg zwischen ihnen.

Anmerkungen 205

[B. Zeit]

Der Raum macht den Übergang zur Zeit, aber in unserer Vorstellung lassen wir dies auseinanderfallen. Das eine ist das Erzeugen des Anderen. Der Raum ist sich selbst widersprechend und macht sich zur Zeit. Diese Negativität ist nicht bloß das Entfalten der Dimensionen, sondern keine Dimension ist ohne die andere; jede ist unmittelbar in der anderen. So ist die Wahrheit des Raumes der Prozeß des Aufhebens der Unterschiede. Die Negativität ist wesentlich, nicht gleichgültig gegeneinander [zu sein], son-dern in der Bestimmung des einen liegt notwendig das andere; im eigenen Begriff hat es sein Entgegengesetztes. Die Wahrheit der Negation ist der Prozeß des Verschwindens, identisch mit seinem Anderen, unmittelbar das Gegenteil seiner selbst [zu werden].

Der Raum in seiner nächsten Wahrheit gesetzt, in der Bestimmung der Äußerlichkeit, ist die Zeit. Sie enthält die reine Idealität überhaupt, das Außersichsein, das Außersichsein aber wesentlich als negierend, das außer sich seiende Negative. Sie ist die abstrakte Idealität. Die Zeit ist das Sein, das nicht ist, indem es ist, und das Nichtsein, das ist, indem es nicht ist.

Diese abstrakten Bestimmungen drücken das Werden aus, die sich ver-ändernde Veränderung. Die Zeit ist noch nicht Veränderung [der Dinge]. Wenn die Dinge sich verändern, haben wir eine erfüllte Zeit. Die Zeit ist ebenso kontinuierlich, als der Raum, es ist kein Unterschied des Wechsels. Der reine abstrakte Wechsel hat keinen Unterschied. [Sie ist] die Verände-rung in ihrer Abstraktion. Die Langeweile ist das abstrakte Anschauen der Zeit, die nicht erfüllte Zeit. Die Zeit ist eine reine Form der Sinnlichkeit, das Außersichsein als Anschauen, nur die Form des Anschauens, das voll-kommen Unerfüllte. Die Zeit ist die reine Subjektivität angeschaut, ich bin mir Gegenstand und bin im Gegenstande aufgehoben, so bin ich bei mir .selbst. Die Zeit ist der reine Begriff selbst in der Anschauung, das Ich ist ruhig in der Zeit. Indem die Zeit kontinuierlich ist, fi guriert sich die Vorstellung; so haben wir die Figuration der Linie und machen mit ihr Grenzen. Zugleich ist die Gleichzeitigkeit in der Breite der Fläche. Die Zeit ist selbst das Allgemeine des Entstehens und Vergehens. Werden ist das Nichtsein und Sein identisch, sich selbst aufhebend. Die endlichen Dinge sind überhaupt in der Zeit, die Zeit ist ihre abstrakte Seele oder Dialektik. Als endliche Dinge haben sie eine Grenze überhaupt. Das, was sie sind, ist ihre Bestimmtheit. Sie haben die Zeit selbst in sich. Die Zeit selbst ist das Vergehen. Sie ist ewig, weil sie das Vergehen selbst ist, diese Veränderung angeschaut in der Äußerlichkeit. Die Ewigkeit ist gegenwärtig überhaupt. Der Geist ist wesentlich ewig. Die Dauer ist nur ein relatives Nichterschei-nen der Zeit. Der Raum ist entgegengesetzt die paralysierte Zeit, die Dauer. Dauer macht keine Bestimmung aus von Vorzüglichkeit. Am Lebendigen offen bart sich die Zeit, nicht am Toten, das eben dauert. Aus dem Wechsel schlägt die Einheit heraus. Die Dauer ist etwas Formloses.

206 Anhang

Die Zeit ist die ideelle Negativität, ein Insichgehen, das Außersichsein ist, der unmittelbar sich auflösende Unterschied. Da sie nicht das gleich-gültige Bestehen wie der Raum ist, so hat die Zeit keine Dimension. Dimension[en] der Zeit (Zukunft, Vergangenheit und Gegenwart) sind nicht Unterschiede, sondern wie sie [als Unterschiedene] vorgestellt wer-den. Die Vergangenheit [ – dies] sind die zwei Seiten des Werdens [– ist] ein Sein, das gesetzt ist als Nichtsein. Zukunft ist Nichtsein, das gesetzt sein soll als Sein. Die Bestimmung des Nichtseins ist zu sein, aus welchem Über-gange die Zukunft entsteht. Diese Unterschiede sind nicht wahrhaft, denn ebenso unmittelbar geht das Sein in das Nichtsein über als das Nichtsein in das Sein. Ihre Wahrheit ist das Ineinssein, welches das Jetzt ist.15,67 Üblicherweise spricht man von Achilles und der Schildkröte. Aristoteles spricht vom Langsamsten. Vgl. Aristoteles, Physik. Vorlesung über Natur, übersetzt und hrsg. von Hans Günter Zekl, 2 Bde., Hamburg 1987 –1988, VI.9, 239 b: Die zweite ist der sogenannte »Achilleus«, der geht so: Das Langsamste wird im Lauf niemals vom Schnellsten eingeholt werden; erst einmal muß doch das Verfolgende dahin kommen, von wo aus das Fliehende losgezogen war, mit der Folge, daß das Langsamere immer ein bißchen Vorsprung haben muß. – Es ist dies jedoch auch der gleiche Beweis wie das Halbieren, er unterscheidet sich nur darin, daß die hinzugenommene Größe nicht zwei-geteilt wird. Daß das Langsamere nicht eingeholt werden kann, hat sich zwar auf Grund der Beweiskette ergeben, es kommt dies jedoch zustande infolge des gleichen Fehlers wie bei der Zweiteilung – in beiden ergibt sich doch, daß (der Gegenstand) ans Ende nicht kommen kann, indem die (zu durch-messende) Größe nach irgend einem Verhältnis durchgeteilt wird; nur tritt hier noch dazu, daß nicht einmal das mit Dichterschwung als »schnellstes« Gerühmte bei der Verfolgung des Langsamsten (dies schafft) –; also muß auch diese Auflösung die gleiche sein. Zu fordern, daß das, was den Vor-sprung hat, nicht eingeholt wird, ist ein Trug; freilich, solange es Vorsprung hat, wird es nicht eingeholt; doch trotzdem wird es eingeholt, wenn es nur zugegeben wird, daß sie (hier) eine begrenzte (Strecke) durchlaufen.16,113 –114 Der pythagoreische Lehrsatz lautet: In einem rechtwinkligen Drei-eck ist der Flächeninhalt des Quadrates über der Hypotenuse c gleich der Summe der Flächeninhalte der Quadrate über den Katheten a und b, also c 2 = a 2 + b 2.17,157 Euklid (306 –283 v. Chr.), griechischer Mathematiker, wirkte an der platonischen Akademie in Alexandria, Verfasser der Elemente (Stoicheia), des bekanntesten systematischen Lehrbuches der griechischen Mathematik, das bis zum Aufkommen nichteuklidischer Geometrien im 19. Jahrhundert kanonisches Ansehen genoß.18,172 – 174 Am Rande ist eine Zeichnung angebracht:

Anmerkungen 207

18,195 – 197 Vgl. Aristoteles, Metaphysik, XIII.3, 1077 b (zitiert nach der Übersetzung von Hermann Bonitz, neu bearbeitet, mit Einleitung und Kom-mentar hrsg. von Horst Seidl, Hamburg 1980): Daß also die Gegenstände der Mathematik nicht in höherem Sinne Wesen sind als die sinnlichen Körper, noch dem Sein nach früher als das Sinnliche, sondern bloß dem Begriffe nach, noch endlich irgendwo abgetrennt sein können, ist hiermit genügend geklärt. Da sie nun aber auch nicht in dem Sinnlichen sein konnten, so müssen sie offen bar entweder gar nicht sein oder nur in gewisser Weise und deshalb nicht schlechthin sein. Weiter unten (1078 a) führt Aristoteles Folgendes aus: Wenn den Gegenständen der Mathematik zukommt, sinnlich wahrnehmbar zu sein, sie aber nicht von ihnen handelt, insofern sie sinnlich wahrnehmbar sind, so werden deshalb die mathematischen Wissenschaften nicht Wissenschaften vom Sinnlichen sein, aber ebensowenig getrennte, selbständige Wesen außer dem Sinnlichen zu ihrem Gegenstand haben.19,221– 224 Vgl. Gottfried Wilhelm Leibniz, Hauptschriften zur Grund-legung der Philosophie, Bd. 1, übersetzt von A. Buchenau. Durchgesehen und mit Einleitungen und Erläuterungen hrsg. von Ernst Cassirer, Hamburg 31966, Schriften zur Mathematik, 54: Der Raum ist die Ordnung des Koexistie-renden, oder die Ordnung der Existenz für alles, was zugleich ist. In jeder von beiden Ordnungen – in der der Zeit wie der des Raumes – können wir von einer Nähe oder Entfernung der Elemente sprechen, je nachdem mehr oder weniger Mittelglieder erforderlich sind, um ihre gegenseitige Ordnung zu erkennen.27,503 Gemeint sind die naturphilosophischen Anfänge Schellings. In seinen ersten naturphilosophischen Schriften dient Schelling die in Kants Materietheorie zentrale Idee einer ursprünglichen Dualität von Attraktions- und Repulsionskraft als Ausgangspunkt seiner Auffassung einer organisierten Natur. Vgl. F. W. J. Schel-ling, Ideen zu einer Philosophie der Natur als Einleitung in das Studium dieser Wissenschaft (1797), Sämmtliche Werke, I/2, 23; F. W. J. Schelling, Von der Weltseele, eine Hypothese der höheren Physik zur Erklärung des allgemeinen Organismus. Historisch-kritische Ausgabe im Auftrag der Schel-ling-Kommission der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Werke, Bd. 6, Stutt gart 2000, 77 ff. 27,504 – 505 Nach Kant sind die Attraktions- und Repulsionskraft als die zwei einfachen, ursprünglichen Kräfte der Materie anzusehen. In der Allgemeinen Naturgeschichte und Theorie des Himmels, oder Versuch von der Verfas-sung und dem mechanischen Ursprunge des ganzen Weltgebäudes nach Newtonschen Grundsätzen abgehandelt (Königsberg/Leipzig 1755) versteht Kant sie als Anfangskräfte in der Entwicklung der großen Ordnung der Natur aus der zerstreuten Materie oder dem Chaos (A XLVII; AA 1. 234 f ). Die Funktionen beider Kräfte, die der Newtonschen Weltweisheit entlehnt sind, wird dabei wie folgt umschrieben: Ich sehe nach den ausgemachten Gesetzen der Attraction den Stoff sich bilden und durch die Zurückstoßung ihre Bewegung modifi cieren. (A XXIII; AA 1. 225) In der Schrift Metaphysische

208 Anhang

Anfangsgründe der Naturwissenschaft (Riga 1786) führt Kant die beiden Kräfte als Grundkräfte innerhalb der dynamischen Materietheorie ein. Hegel be-zieht sich hierbei auf den 6. Lehrsatz, insbesondere auf den Zusatz, im Kapitel »Dynamik«: Lehrsatz 6. Durch bloße Anziehungskraft ohne Zurückstoßung ist keine Materie möglich. […] Zusatz. Diejenige Eigenschaft, auf welcher als Bedingung selbst die innere Möglichkeit eines Dinges beruht, ist ein wesentliches Stück derselben. Also gehört die Zurückstoßungskraft zum Wesen der Materie eben so wohl wie die Anziehungskraft, und keine kann von der anderen im Begriff der Materie getrennt werden. (A 57/58; AA 4. 510 f ) Dabei werden die beiden Kräfte als konstitutiv für die Ausdehnung und Begrenzung von Materiellem im Raum begriffen. 30,586 – 587 Vgl. Aristoteles, Physik, VI.9, 239 b: Zenon schließt fehler-haft: Wenn ein Jedes, sagt er, immer dann im Ruhezustand ist, wenn es »in dem gleichen« (Raumstück) ist, wenn dann weiter immer das Fortbewegte in dem Jetzt ist, so wäre der fl iegende Pfeil unbewegt. – Das aber ist ein Irr-tum: die Zeit besteht ja gar nicht aus unteilbaren Jetzten, so wie auch sonst keine andere Größe (aus so unteilbaren Bestandstücken sich aufbaut).30,593 – 594 Isaac Newton (1642 –1727), Naturalis philosophiae principia mathematica, London 1687.33,703 – 705 Hegel bezieht sich hier auf verschiedene Beiträge, die Herschel in den Sammelbänden Philosophical Transactions of the Royal Society of Lon-don veröffentlicht hat. William Herschel, Astronomical Observations on the periodical Star in Collo Ceti, in: PhT, 1780, Part II, 338 –344, 338: This remarkable star, we are told, »was first observed by David Fabricius, the 13th of August, 1596, who called it the stella mira, or wonderful star; which has been since found to appear and disappear, periodically, seven times in six years, continuing in the greatest lustre for fifteen days together, and is never quite extinguished«. My own observations on this wonderful star are but few, yet suffi ciently verify the surprizing appearances that have been ascribed to it. Vgl. Petry I, 341 f. 33,706 – 707 Vgl. William Herschel (1738 –1822), On Nebulous Stars, properly so called, in: PhT, 1791, Part I, 71–88: Hegel bezieht sich wahrschein-lich auf folgende Stelle (72 f ): In the same manner we pass through gentle steps from a coarse cluster of stars, such as the Pleiades, the Praesepe, the milky way, the cluster in the Crab, the nebula in Hercules, that near the preceding hip of Bootes (a), the 17th, 38th, 41st of the 7th class of my Catalogues (b), the 10th, 20th, 35th of the 6th class (c), the 33d, 48th, 213th of the 1st(d), the 12th, 150th, 756th of the 2d(a), and the 18th, 725th of the 3d (b), without any hesitation, till we fi nd ourselves brought to an object such as the nebula in Orion, where we are still inclined to remain in the once adopted idea, of stars exceedingly remote, and inconceivably crouded, as being the occasion of that remarkable appearance. Herschel hat hierzu mehrere Kataloge veröffentlicht.33,707 – 708 Vgl. ebd., 71: Cloudy or nebulous stars have been mentioned by several astronomers; but this name ought not to be applied to the objects

Anmerkungen 209

which they have pointed out as such; for, on examination, they proved to be either mere cluster or stars, plainly to be distinguished with my large instruments, or such nebulous appearances as might be reasonably supposed to be occasioned by a multitude of stars of a vast distance. The milky way itself, as I have shewn in some former papers, consists intirely of stars, and by imper ceptible degrees I have been led on from the most evident congeries of stars to other groups in which the lucid points were smaller, but still very plainly to be seen; and from them to such wherein they could but barely be suspected, till I arrived at last to spots in which no trace or a star was to be dis-cerned. But then the gradation to these latter were by such well-connected steps as left no room for doubt that all these phaenomena were equally oc-casioned by stars, variously dispersed in the immense expanse of the universe. (71 f ) Herschel meint aber, that nebulosity about the star is not of a starry nature (73); vgl. auch: Catalogue of a second Thousand of new Nebulae and Clusters of Stars; with a few introductory Remarks on the Construction of the Heavens, in: PhT, 1789, Part II, 212 –255, 214 f: But, first of all, it will be necessary to explain what is our idea of a cluster of stars, and by what means we have obtained it. For an instance, I shall take the phaenomenon which presents itself a number of lucid spots, of equal lustre, scattered over a circular space, in such a manner as to appear gradually more compressed towards the middle; and which compression, in the clusters to which I allude, is gener-ally carried so far, as, by imperceptible degrees to end in a luminous center, of a resolvable blaze of light. To solve this appearance, it may be conjectured, that stars of any given, very unequal magnitudes, may easily be so arranged, in scattered, much extended, irregular rows, as to produce the above de-scribed picture; or that stars, scattered about almost promiscuously within the frustrum of a given cone, may be assigned of such properly diversifi ed magnitudes as also to form the same picture. Vgl. auch Herschel, Astrono-mical Observations relating to the Construction of the Heavens, arranged for the Purpose of a critical Examination, the Result of which appears to throw some new Light upon the Organization of the celestial Bodies, in: PhT, 1811, Part II, 269 –336: Hier zeigt sich Herschel nicht sicher, ob die Nebulosi-ties aus Sternen bestehen oder nicht; vgl. dazu 270: Impressed with an idea that nebulae properly speaking were clusters of stars, I used to call the nebulosity of which some were composed, when it was of a certain appearance, resolv-able; but when I perceived that additional light, so far from resolving these nebulae into stars, seemed to prove that their nebulosity was not different from what I had called milky, this conception was set aside as erroneous. In consequence of this, such nebulae as afterwards were suspected to consist of stars, or in which a few might be seen, were called easily resolvable; but even this expression must be received with caution, because an object may not only contain stars, but also nebulosity not composed of them. 33,708 – 710 Vgl. Herschel, Catalogue of a second Thousand of new Ne bu lae and Clusters of Stars; with a few introductory Remarks on the

210 Anhang

Construction of the Heavens, in: PhT, 1789, Part II, 212 –255, 217: »In my catalogues we have, I suppose, not less than one thousand of these round objects. Now, whatever may be the shape of a group of stars, or of a Nebula, which we would introduce instead of the spherical one, such as a cone, an ellipsis, a spheroid, a circle or a cylinder, it will be evident that out of a thousand situations, which the axes of such forms may have, there is but one that can answer the phaenomenon for which we want to account; and that is, when those axes are exactly in a line drawn from the object to the place of the observer. Vgl. auch Herschel, Astronomical Observations relating to the Constructions of the Heavens, arranged for the Purpose of a critical Examination, the Result of which appears to throw some new Light upon the Organization of the celestical Bodies, in: PhT, 1811, Part II, 269 –336: Am Ende dieses Aufsatzes hat Herschel zwei Karten veröffentlicht, in denen unterschiedliche Formen von Nebulosities und Nebulae abgebildet sind. Herschels Werke waren auch ins Deutsche übersetzt. Vgl. dazu Über den Bau des Himmels, übersetzt von G. M. Sommer, Königsberg 1791. 34,727 – 35,774 Die nun folgende Ausführung, vor allem über den Kometen, ist ein Einschub, der zum zweiten Teil, also zu Die Physik gehört und erst im § 223 der Heidelberger Enzyklopädie abgehandelt wird.35,750 – 753 Hegel bezieht sich wohl auf die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts geführte Diskussion, ob Kometen mit der Erde zusam men treffenkönnen. Vgl. dazu J. J. Lalande (1732 –1807), Réfl exions sur les comètes, qui peuvent approcher de la terre, Paris 1773, und P. A. Dionis de Séjour (1734 –1794), Traité analytique des mouvemens apparens des corps célestes, Paris 1786 –1789. Vor allem der letztere stellte fest, daß ein Zu sam men treffen zwar prinzipiell möglich, aber die Gefahr sehr gering sei. Vgl. dazu auch H. W. M. Olbers (1758 –1840), Über die Möglichkeit, daß ein Comet mit der Erde zusammen stoßen könne, in: Zach’s Monatliche Correspondenz, Bd. XXII, Gotha 1810. 35,776 – 779 Hier fehlt in der Aufzählung eine Bewegungsart. In den §§ 212 –215 der Heidelberger Enzyklopädie unterscheidet Hegel drei Arten von Bewe-gung: 1. die absolut freye, 2. die relativ-freye und 3. die gemein mechanische Bewegung. 38,861 – 862 Johannes Kepler (1571–1630), Harmonice Mundi, Linz 1619.38,864 – 865 Nikolaus Kopernikus (1473 –1543), Astronom und Begründer des heliozentrischen, nach ihm kopernikanisch genannten Weltbildes.38,870 Galileo Galilei (1564 –1642) trat für das 1614 vom Papst verbotene kopernikanische Weltbild ein, was 1633 zu seiner Verurteilung führte, weil er sich trotz des päpstlichen Verbotes zur Lehre Kopernikus’ bekannte. Er mußte wider-rufen. Galileo hat mehrere Werke veröffentlicht: Il saggiatore (1623); Dialogo

.– sopra i due missimi sistemi del mondo (1632); Discorsi e dimostrazioni matematiche intorno a due nuove scienze (Leiden 1638).38,876 – 877 Der von Hegel angegebene Zeitraum von 27 Jahren ist fragwürdig. Kepler selber spricht in seiner Widmung an den englischen König Jakob I., die

Anmerkungen 211

er Harmonice Mundi vorangestellt hat, von 20 Jahren. Vgl. hierzu Johannes Kepler, Weltharmonik, übersetzt und eingeleitet von Max Caspar, München/Berlin 1939, 6: Schon vor fast 20 Jahren habe ich den Stoff zu diesem Werk in meinem Geiste empfangen und seinen Titel gewählt, ehe mir die besonderen Bewegungen der Planeten bekannt waren; ein natürlicher Instinkt hatte mir nur gesagt, daß sich Harmonien darin verbergen. Selbst wenn Hegel die Jahre zwischen der Vollendung der Werke De Admirabili pro-portione orbium (1596) und Harmonice Mundi (1618) meint, beträgt der Abstand nur 22 Jahre.38,878 – 880 Hegel spielt hier auf den Umstand an, daß Kepler als kaiserlicher Mathematiker unter Rudolph II., Matthias und Ferdinand II. gedient hat. Ferdi-nand II. zahlte das Kepler versprochene Gehalt, wenn überhaupt, sehr unregel-mäßig, so daß Kepler in ständiger Geldnot lebte. Als er am 30. November 1630 in Regensburg starb, war er unterwegs nach Linz, um das ihm zustehende Geld bei der »Landschaft Österreich ob der Enns« einzutreiben. Kepler war zuletzt der »Mathematiker von Österreich ob der Enns« in Linz. 38,880 – 881 Die Angabe Ringiers, daß Kepler in Rostock gewesen sei, trifft nicht zu. Es handelt sich hier wohl um einen Fehler, der durch die verkürzte Wiedergabe einer etwas längeren Ausführung Hegels entstanden sein dürfte. Kepler hat sich nie dort aufgehalten, obgleich ihm Wallenstein in Rostock eine Professur und ein gutes Jahresgehalt in Aussicht gestellt hatte; Kepler hat dieses Angebot jedoch ausgeschlagen.38,881 – 882 Es handelt sich bei dem Fürstprimas um Karl Theodor (1744 –1817), Reichsfreiherr von Dalberg, der 1802 Erzbischof von Mainz und 1803 Kurfürst und Reichserzkanzler war. Er erhielt für Mainz Regensburg zum Erzbi-stum und wurde 1806 Fürstprimas des Rheinbundes. 1810 wurde Karl Theodor Großherzog von Frankfurt, mußte aber 1813 abdanken. Die Angabe jedoch, daß er ein halbes Jahrhundert später Kepler ein Denkmal gesetzt habe, kann nicht richtig sein, da zwischen Keplers Tod und dem Wirken Karl Theodors mehr als 130 Jahre liegen.38,888 – 39,891 G. W. F. Hegel, De Orbitis Planetarum, Jena 1801. (Hegel, Dissertatio Philosophica de Orbitis Planetarum, übersetzt, eingeleitet und kommentiert von Wolfgang Neuser, Weinheim 1986).39,903 – 904 Johann Bernoulli (1667 –1748) hat sich als einer der ersten Ma-thematiker zusammen mit seinem Bruder Jacob autodidaktisch in die Leibnizsche Infi nitesimalrechnung eingearbeitet und danach zu deren Verbreitung Wesentli-ches beigetragen. Im Streit um die Priorität der Erfi ndung vertrat er mit großem Nachdruck die Ansprüche Leibnizens gegenüber den englischen Mathematikern. Er entdeckte unter anderem in der ersten Auflage von Newtons Hauptwerk Naturalis philosophiae principia mathematica in Buch 2, Propositio 10, einen Fehler, der darin bestand, daß Newton vorschnell zwei unendlich kleine Größen gleichgesetzt hatte. Bernoulli sah darin einen Beweis für die Inferiorität des Newtonschen Fluxionenkalküls, weil dieser im Gegensatz zur Leibnizschen Differentialrechnung nicht in der Lage sei, Differentiale höherer Ordnung korrekt

212 Anhang

zu bestimmen. Diesen Vorwurf hat er in seinen Schriften vielfach wiederholt. Vgl. dazu z. B. Niccolo Guicciardini, Reading the Principia, Cambridge 1999, 233 ff. (Diese Anmerkung verdanken wir Herrn Fritz Nagel von der Bernoulli-Edition der Universität Basel.)39,916 – 917 P. S. de Laplace (1749 –1827), Exposition du système du monde, Paris 1796, Bd. 2.40,936 – 939 Die Angabe Ringiers an dieser Stelle bedarf einer Erläuterung. Hegel kann hier nicht gemeint haben, daß der Stein auf dem Mond mit genau derselben Geschwindigkeit fällt wie auf der Erde. Es handelt sich vielmehr um eine Umwandlung der berühmten Apfel-Geschichte, in der erzählt wird, wie Newton die entscheidende Einsicht in das Gravitationsgesetz gewonnen haben soll. Korrek-terweise müßte die Frage darum hier lauten: Wie wird der Stein vom Mond, d. h. von der Entfernung des Mondes, auf die Erde fallen? Newton konnte zeigen, daß man mit Hilfe des allgemeinen Gravitationsgesetzes die Fallgeschwindigkeit des Steins berechnen konnte; vgl. Richard S. Westfall, Never at rest. A biography of Isaac Newton, Cambridge 1980, 154: What then is one to make of the story of the apple? It is too well attested to be thrown out of court. In Conduitt’s version, one of four independent ones, it ran as follows: In the year 1666 he retired again from Cambridge […] to his mother in Lincolnshire & whilst he was musing in a garden it came into his thought that the power of grav-ity (which brought an apple from the tree to the ground) was not limited to a certain distance from the earth but that this power must extend much farther that was usually thought. Why not as high as the moon said he to himself & if so that must infl uence her motion & perhaps retain her in her orbit, whereupon he fell a calculating what would be the effect of that supposition but being absent from books & taking the common estimate in use among Geographers & our seamen before Norwood had measured the Earth, that 60 English miles were contained in one degree of latitude on the surface of the Earth his computation did not agree with his theory & inclined him then to entertain a notion that together with the force of gravity there might be a mixture of that force which the moon would have if it was carried along in a vortex; vgl. dazu auch die Berliner Enzyklopädie, § 270, insbesondere den Zusatz; vgl. dazu auch Petry I, 362 f. 40,943 – 950 Die Keplerschen Gesetze lauten: 1. Die Planeten bewegen sich in Ellipsen, in deren einem Brennpunkt die Sonne steht. 2. Die Strecke Planet – Sonne (Radiusvektor) bestreicht in gleichen Zeiten gleiche Flächen. 3. Die Quadrate der Umlaufzeiten zweier Planeten verhalten sich wie die dritten Potenzen ihrer großen Bahnachsen.41,975 Der § 212 der Heidelberger Enzyklopädie behandelt die absolut freye Bewegung. 44,71 – 72 Vgl. François Marie Arouet (1694 –1778), genannt Voltaire, Philosophische Briefe, 16. Brief, in: Voltaire, Erzählungen, Dialoge, Streit-schriften, 3 Bde., hrsg. von Martin Fontius, Berlin 1981, Bd. III, 86 f: Dieser Mann ist gekommen. Allein mit Hilfe des Prismas hat Newton vor Augen

Anmerkungen 213

geführt, daß das Licht ein Bündel farbiger Strahlen ist, die in ihrer Ge-samtheit die weiße Farbe ergeben. Ein einzelner Strahl unterteilt sich in sieben Strahlen, welche sich alle in einer Reihe auf einem Stück Leinen oder einem Blatt weißen Papiers anordnen, einer über dem anderen und in ungleichmäßigen Abständen; der erste ist von der Farbe des Feuers, der zweite von der Farbe einer Zitrone, der dritte gelb, der vierte grün, der fünfte blau, der sechste indigo, der siebente violett; jeglicher Strahl, der in der Folge von Hunderten anderer Prismen durchsiebt worden ist, wird niemals seine Farbe wechseln, ebenso wie sich gereinigtes Gold in den Schmelztiegeln nicht verändert; und als überreichen Beweis dafür, daß jeder dieser Elementarstrahlen das in sich trägt, was in unseren Augen seine Farbe ausmacht, nehmt beispielsweise ein kleines Stück gelben Holzes und setzt es dem feuerfarbenen Strahl aus, im selben Augenblick nimmt dieses Holz die Farbe des Feuers an, setzt es dem grünen Strahl aus, es nimmt die grüne Farbe an, und so weiter und so fort. […] Alle diese Wunder sind nur der Beginn seiner Entdeckungen; er hat das Geheimnis gefun-den, die Schwingungen und Stöße des Lichtes zu sehen, welche endlos kommen und gehen und das Licht je nach Dicke der Stellen, auf die sie stoßen, durchlassen oder refl ektieren; er hat es gewagt, die Dicke der Luft-partikeln zwischen zwei übereinandergestellten Linsen, die eine flach, die andere an einer Seite konvex, zu errechnen, die notwendig ist, um solche Durchlässigkeit oder Refl exion auszufüllen oder diese oder jene Farbe zu erzeugen. Vgl. dazu auch den zweiten Anhang zum 17. Brief. Hegel kann sich hier aber auf eine Stelle bei Goethe, Farbenlehre, Historischer Teil, Sämt-liche Werke, Bd. 10, 809, beziehen; dort heißt es über Voltaire: Als Flüchtling fand er in England die beste Aufnahme und jede Art von Unterstützung. Von dorther zurückgekehrt, machte er sich’s zur Pfl icht, das Newtonsche Evangelium, das ohnehin schon die allgemeine Gunst erworben hatte, noch weiter auszubreiten und vorzüglich die Farbenlehre den Gemütern recht einzuschärfen.44,84 Nikolaus Kopernikus, De revolutionibus orbium coelestium, Nürn-berg 1543.45,104 –105 F. W. J. Schelling, Betrachtungen über die besondere Bildung und die inneren Verhältnisse unseres Planetensystems, in: Werke, 12 Bde., hrsg. von Manfred Schröter, München 1960, Ergänzungsband 1.45,111 –113 G. W. F. Hegel, De Orbitis Planetarum, Jena 1801.45,115 –116 Es gab wohl unterschiedliche Schreibweisen dieses Werkes von Kepler, da es einen sehr langen Titel trug. Es wird häufi g als Harmonice Mundi (Linz 1619) zitiert. 45,121– 46,122 Hegel meint hier wohl Newtons Werk Observations upon the Prophecies of Daniel, and the Apocalypse of St. John, London 1733 (in deutscher Übersetzung erschienen 1765 in Leipzig und Liegnitz unter dem Titel: Auslegung der Offen barung St. Johannis, in Vergleichung mit dem Prophe-ten Daniel). Allerdings ist hier nicht von Ezechiel die Rede, so daß man davon

214 Anhang

ausgehen kann, daß Hegel aus dem Gedächtnis zitiert und darum die Angabe nicht ganz korrekt ist. 49,250 – 251 Vgl. René Descartes, Principia philosophiae, Amsterdam 1644, III, 46 f; Discours de la méthode, Leyden 1637, V 2 f. Siehe auch Kant, All-gemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels, oder Versuch von der Verfassung und dem mechanischen Ursprunge des ganzen Weltgebäudes nach Newtonischen Grundsätzen abgehandelt, Vorrede (A XXXI ff; AA 1. 229 f ).53,91 – 92 Vgl. Molière, Le bourgeois gentilhomme, Acte II, Scène IV (zi-tiert nach der deutschen Übersetzung: Der Bürger als Edelmann, in: Molière, Komödien, übersetzt von Gustav Fabricius und Walter Widmer, München 1970, 783 ff ):

herr jourdainWas Sie nicht sagen! Wenn ich also sage »Nicole, bring mir meine Pan-toffeln und gib mir meine Schlafmütze«, so ist das Prosa?

philosophielehrerFreilich, Herr Jourdain.

herr jourdainDa sieh mal einer! Seit mehr als vierzig Jahren rede ich nun schon Prosa, ohne daß ich’s ahnte! Ich bin Ihnen äußerst verbunden, daß Sie mir das klargemacht haben. Ich möchte ihr also in einem Briefchen schreiben: »Schönste Marquise, um Ihrer schönen Augen willen sterbe ich vor Liebe.« Aber es müßte, mein ich, so recht galant ausgedrückt, möglichst zierlich und fein gedrechselt sein!

54,125 –126 Diese Geschichte stammt aus den Wunderseltzamen, abentheur-lichen Thaten der Schildbürger in Misnopotamia. Die Geschichtensammlung wurde 1598 von Hans Kremer veröffentlicht. Beim Bau des Rathauses vergaßen die Schildbürger, Fenster einzubauen. Sie beschlossen daher, das Sonnenlicht in Säcke zu packen und ins Haus zu bringen, um die Innenräume zu erhellen. 55,153 –154 Vgl. Newton, Optics, Book I, Prop. V, 86: Whiteness, and all Grey colours between white and black, may be compounded of colours, and the whiteness of the sun’s light is compounded of all the Primary col-ours mixed in a due proportion.55,156 –158 Vgl. ebd., Book I, 100: For it has been proved (in Prop. I. Part II) that the changes of colours, made by refractions, do not arise from any new modifi cations of the rays impressed by those refractions, and by the various terminations of light and shadow, as has been the constant and general opinion of philosophers.55,158 Vgl. Goethe, Farbenlehre, Didaktischer Teil, Einleitung, Sämtliche Werke, Bd. 10, 22; vgl. Anm. 57,215 – 217.55,160 –161 Vgl. Goethe, Farbenlehre, Didaktischer Teil, Physiologische Farben, Sämtliche Werke, Bd. 10, 57 ff: § 104. Ich kannte zwei Subjekte, die damit behaftet waren, nicht über zwanzig Jahre alt; […] § 107. Nun

Anmerkungen 215

aber tritt eine auffallende Differenz ein. Man streiche mit einem genetzten Pinsel den Karmin leicht über die weiße Schale, so werden sie diese ent-stehende helle Farbe der Farbe des Himmels vergleichen und solche Blau nennen. Zeigt man ihnen daneben eine Rose, so nennen sie diese auch blau und können bei allen Proben, die man anstellt, das Hellblau nicht von dem Rosenfarb unterscheiden. Sie verwechseln Rosenfarb, Blau und Violett durchaus; nur durch kleine Schattierungen des Helleren, Dunkleren, Lebhaften, Schwächeren scheinen sich diese Farben für sie voneinander abzusondern. […] § 111. Diese seltsame Rätsel scheinen sich zu lösen, wenn man annimmt, daß sie kein Blau, sondern an dessen Statt einen diluierten Purpur, ein Rosenfarb, ein helles reines Rot sehen. 56,163 –164 Hier zitiert Hegel wohl das Gedicht Goethes Was es gilt ( Sämt-liche Werke, Bd. 13.1, 161) frei aus dem Gedächtnis:

Was es gilt

Dem ChromatikerBringst du die Natur heran,Daß sie jeder nutzen kann:Falsches hast du nicht ersonnen,Hast der Menschen Gunst gewonnen.

*

Möget ihr das Licht zerstückeln,Farb um Farb draus entwickeln,Oder andre Schwänke führen,Kügelchen polarisieren,Daß der Hörer ganz erschrockenFühlet Sinn und Sinne stocken:Nein! es soll euch nicht gelingen,Sollt uns nicht beiseite bringen; Kräftig, wie wir’s angefangen,Wollen wir zum Ziel gelangen.

56,179 –180 Vgl. Newton, Optics, Book I, Prop. I, 17: Lights which differ in Colours, differ also in degrees of Refrangibility.56,183 –186 Vgl. ebd., Book I, 24: This image or spectrum PT was col-oured, being red at its least refracted end T, and Violet at its most refracted end P, and Yellow, Green and Blue in the intermediate spaces. Which agrees with the fi rst Proposition, that lights which differ in Colour do also differ in Refrangibility. Vgl. ebd., Book I, 35: to make all the colours in this order, Violet, Indigo, Blue, Green, Yellow, Orange, Red […].57,213 – 214 Bei dem hier nicht namentlich erwähnten Mann handelt es sich um den Hofrat Christian Wilhelm Büttner. Vgl. dazu Goethe, Farbenlehre, Historischer Teil, Sämtliche Werke, Bd. 10, 908.

216 Anhang

57,215 – 217 Vgl. Goethe, Farbenlehre, Didaktischer Teil, Einleitung, Sämtli-che Werke, Bd. 10, 22 f: Gegenwärtig sagen wir nur so viel voraus, daß zur Erzeugung der Farbe Licht und Finsternis, Helles und Dunkles oder, wenn man sich einer allgemeineren Formel bedienen will, Licht und Nichtlicht gefordert werde. Zunächst am Licht entsteht uns eine Farbe, die wir Gelb nennen, eine andere zunächst an der Finsternis, die wir mit dem Wort Blau bezeichnen. Diese beiden, wenn wir sie in ihrem reinsten Zustand dergestalt vermischen, daß sie sich völlig das Gleichgewicht halten, bringen eine dritte hervor, welche wir Grün heißen. Jene beiden ersten Farben können aber auch jede an sich selbst eine neue Erscheinung hervorbringen, indem sie sich verdichten oder verdunkeln. Sie erhalten ein rötliches Ansehen, welches sich bis auf einen so hohen Grad steigern kann, daß man das ursprüngliche Blau und Gelb kaum darin mehr erkennen mag. Doch läßt sich das höchste und reine Rot, vorzüglich in physischen Fällen, dadurch hervorbringen, daß man die beiden Enden des Gelbroten und Blauroten vereinigt. Dieses ist die lebendige Ansicht der Farbenerscheinung und -erzeugung.57,218 – 220 Vgl. Goethe, Farbenlehre, Polemischer Teil, § 17, Sämtliche Werke, Bd. 10, 282: Newton behauptet, in dem weißen farblosen Lichte überall, besonders aber in dem Sonnelicht, seien mehrere farbige, (die Empfi ndung der Farbe erregende,) verschiedene Lichter wirklich enthal-ten, deren Zusammensetzung das weiße Licht (die Empfi ndung des weißen Lichts) hervorbringe. Vgl. ebd., § 18: Damit aber diese Lichter zum Vor-schein kommen, setzt er dem weißen Licht gar mancherlei Bedingungen entgegen, durchsichtige Körper, welche das Licht von seiner Bahn ablenken, undurchsichtige, die es zurückwerfen, andre, an denen es hergeht; aber diese Bedingungen sind ihm nicht einmal genug. Er gibt den brechenden Mitteln allerlei Formen, den Raum, in dem operiert, richtet er auf mannigfaltige Weise ein, er beschränkt das Licht durch kleine Öffnun gen, durch winzige Spalten, und bringt es auf hunderterlei Art in die Enge. Dabei behauptet er nun, daß alle diese Bedingungen keinen andern Einfl uß haben, als die Eigenschaften, die Fertigkeiten (fi ts) des Lichts rege zu machen, so daß dadurch sein Innres aufgeschlossen werde, und was in ihm liegt, an den Tag komme. 58,242 – 250 Vgl. Goethe, Farbenlehre, Didaktischer Teil. XIV. Bedingun-gen, unter welchen die Farbenerscheinungen zunimmt, Sämtliche Werke, Bd. 10, 83 ff, besonders §§ 212 –216.58,254 – 256 Vgl. Newton, Optics, Book I, 82: Let GM be produced […]. To be in proportion to one another, as the numbers, 1, ⁸⁄₉, ⁵⁄₆, ¾, ⅔, ³⁄₅, ⁹⁄₁₆, ½, and so to represent the chords of the key, and of a tone, a third minor, a fourth, a fi fth, a sixth major, a seventh and an eighth above that key. Vgl. auch 195. Newton erwähnt jedoch nichts von einem Freund.59,277 Vgl. Goethe, Farbenlehre, Polemischer Teil, § 178, Sämtliche Werke, Bd. 10, 346: Das Unheil solcher Reservationen und Restriktionen geht durch das ganze Werk. Erst versichert der Verfasser: er habe bei seinen

Anmerkungen 217

Vorrichtungen die größte Vorsicht gebraucht, die hellsten Tage abgewartet, die Kammer hermetisch verfi nstert, die vor trefflich sten Prismen ausgewählt; und dann will er sich hinter Zufälligkeiten fl üchten, daß Wolken vor der Sonne gestanden, daß durch eine schlechte Politur das Prisma unsicher geworden sei. Der homogenen nie zu homogenisierenden Lichter nicht zu gedenken, welche sich einander verwirren, verunreinigen, in einander greifen, sich stören und niemals das sind noch werden können, was sie sein sollen. Mehr als einmal muß uns daher jener berühmte theatralische Het-man der Cosacken einfallen, welcher sich ganz zum Newtonianer geschickt hätte. Denn ihn würde es vor trefflich kleiden, mit großer Behaglichkeit auszurufen: wenn ich Zirkel sage, so mein’ ich eben, was nicht rund ist; sag’ ich Weiß, so kann es fürwahr nichts anders heißen als schmutzig.60,293 – 296 Goethe berichtet darüber: Farbenlehre, Historischer Teil, Sämtli-che Werke, Bd. 10, 911: Das Weiße in der Mitte sei aber noch ein zusam-mengesetztes, durch Brechung nicht separiertes Licht, das aus einer ganz eigenen Vereinigung farbiger, aber stufenweise übereinandergeschobener Lichter entspringe; welches alles bei Newton selbst und in den nach seinem Sinn verfaßten Büchern umständlich zu lesen sei. 60,305 – 306 Friedrich Albrecht Carl Gren (1760 –1798), Neues Journal der Physik, Bd. 7.60,311– 312 Vgl. Newton, Optics, Book I, Prop. II, 78: All Homogeneal Light has its proper colour answering to its degree of refrangibility, and that colour cannot be changed by refl exions and refractions. 61,328 – 329 Vgl. Jakob Friedrich Fries (1773 –1843), Rezension, in: Hei-delbergische Jahrbücher 1810, IV. Abt., 7. Heft, 289 –307.61,335 – 337 Hegel bezieht sich hierbei nicht direkt auf Newton, sondern wohl auf Goethe: Farbenlehre, Historischer Teil, Sämtliche Werke, Bd. 10, 851: Bezugnehmend auf die Darstellung Eulers (vgl. die folgende Anm.) schreibt Goethe: Die Newtonsche Schule vernahm dieses, wie billig, mit Entsetzen und Abscheu; im stillen aber, wir wissen nicht, ob auf Anlaß dieser Euleri-schen Behauptung oder aus eigenem Antriebe, ließ Chester Moor Hall in England heimlich und geheimnisvoll achromatische Fernröhre zusammen-setzen, so daß 1754 schon dergleichen vorhanden, obgleich nicht öffentlich bekannt waren.61,339 Goethe berichtet in seiner Farbenlehre, Historischer Teil, Sämtliche Werke, Bd. 10, 851, über Leonhard Euler (1707 –1783) Folgendes (wahrschein-lich bezieht sich Hegel auf Goethe und nicht direkt auf Euler): Euler, einer von denjenigen Männern, die bestimmt sind, wieder von vorn anzufangen, wenn sie auch in eine noch so reiche Ernte ihrer Vorgänger geraten, ließ die Betrachtung des menschlichen Auges, das für sich keine apparenten Farben erblickt, ob es gleich die Gegenstände durch bedeutende Brechung sieht und gewahr wird, nicht aus dem Sinne und kam darauf, Menisken, mit verschiedenen Feuchtigkeiten angefüllt, zu verbinden, und gelangte durch Versuche und Berechung dahin, daß er sich zu behaupten getraute: die

218 Anhang

Farbenerscheinungen lassen sich in solchen Fällen aufheben und es bleibe noch Brechung übrig.61,341– 344 Hegel gibt wohl nur das wieder, was Goethe in seiner Farbenlehre, Historischer Teil, Sämtliche Werke, Bd. 10, 852, über John Dollond referiert: Dollond, ein berühmter optischer Künstler, widersprach gleichfalls Eulern aus Newtonschen Grundsätzen und fi ng zugleich an, praktisch gegen ihn zu operieren; allein zu seinem eigenen Erstaunen entdeckte er das Gegenteil von dem, was er behauptet; die Eigenschaften des Flint- und Crownglases werden gefunden, und die Achromasie steht unwidersprechlich da. 61,344 – 346 Vgl. Goethe, Farbenlehre, Didaktischer Teil, §§ 432 –440, Sämtliche Werke, Bd. 10, 144 ff.61,349 – 351 Vgl. Newton, Optics, Book II, 179 (Defi nition): The returns of the disposition of any ray to be refl ected I will call its Fits of easy Re-fl exion; and those of its disposition to be transmitted, its Fits of easy Trans-mission; and the space it passes between every return and the next return, the Interval of its Fits.61,357 – 358 Vgl. Christoph Heinrich Pfaff (1773 –1852), Über Newton’s Farbentheorie, Herrn von Goethe’s Farbentheorie und den chemischen Gegensatz der Farben. Ein Versuch in der experimentalen Optik von Dr. C. H. Pfaff, ordentlichem Professor der Physik und Chemie der Univer-sität zu Kiel, und Mitglied des Schleswig-Holsteinischen Sanitäts-Collegi-ums, Leipzig 1813. Es ist sehr verwunderlich, daß Hegel Pfaff als Anhänger der Goetheschen Farbentheorie ausgibt. Vielmehr hat Pfaff in seinem Buch Goethes Lehre als unbegründet abgelehnt und Newton verteidigt. Schon in der Vorrede schreibt er: Und doch erfordert es das Interesse der Wissenschaft, diesen Tri-umph zu erfechten, da der Irrtum, wenn er durch einen sonst ausgezeich-neten Mann gelehrt wird, über viele Köpfe seine Gewalt ausübt, und bereits mächtige Männer zur neuen Lehre sich bekennen. Wir haben daher denKampfplatz selbst mit allem Eifer betreten, auf welchen Herr von Goethe die Anhänger des alten Glaubens herausfordert. Wir haben nicht »jene Sandwellen über die streitigen Gegenstände hingetrieben, und sie damit zu-gedeckt«, worüber sich der Verfasser beschwert, und womit er ohne Zweifel die beschwerlichen Rechnungen und abstrusen mathematischen Formeln meint, die freilich für die Optiker vom alten Glauben ein unüberwindliches Bollwerk gegen die leichten Truppen eines bloßen Aperçu abgeben (VIII f ). Am Ende der Vorrede heißt es weiter: Welche ganz andere Empfi ndung muß in uns entstehen, wenn wir dem Herrn von Goethe in seiner Polemik gegen Newton folgen, wo wir ihn die Waffen der Sophistik, der Sarkasmen ge-brauchen sehen, wo wir die leidenschaftliche Erbitterung im Widerspiele mit dem ruhigen Ernste eines gründlichen Forschers erblicken, der nur seinen Gegenstand vor Augen hat, und weder rechts noch links sieht; wenn wir endlich auf Machtsprüche stoßen, für die wir vergebens die Beweis-gründe suchen. (Ebd., XI f ) Pfaff hat in der Tat, wie Hegel angibt, mit Linsen Versuche unternommen, allerdings um Goethe damit zu widerlegen.

Anmerkungen 219

62,363 – 364 Etienne Louis Malus (1775 –1812) entdeckte 1808 bei Versuchen zur Doppelbrechung, daß ein durch Refl exion oder Doppel-brechung erzeugter Lichtstrahl, der unter einem bestimmten Winkel auf eine refl ektierende Fläche (Wasserfl äche oder Glas) fällt, zwar gebrochen, nicht aber refl ektiert wird. Malus schreibt den Lichtsteilchen senkrecht zueinander und senkrecht zur Bewegungsrichtung des Lichts liegende Achsen zu. Angeregt durch einen Vergleich Newtons mit der Wechsel-wirkung von Magnetpolen nennt er die von ihm entdeckte Erscheinung »Polarisation« (Kommentar zu Naturwissenschaft überhaupt, Sämtliche Werke, Bd. 12, 1043); vgl. dazu auch Goethe, Naturwissenschaft über-haupt I, Geschichte der entopischen Farben. Goethe hatte von der Entdeckung Malus’ wohl Kenntnis durch Thomas Johann Seebeck (1770 –1831), der in einem Brief an Goethe ausführlich darüber berichtet. Wer Hegels Quelle ist, läßt sich zwar nicht genau ermitteln, doch ist es möglich, daß Hegel durch Goethe/Seebeck davon erfuhr; vgl. dazu Goethe, Naturwissenschaft überhaupt I, Sämtliche Werke, Bd. 12, 393: Die erste Nachricht von den interessanten Entdeckungen des Herrn Malus über Spiegelung und doppelte Strahlen-brechung erhielten wird durch das Bulletin de la Soc. Philomatique 1809 Janvier, ein Auszug aus einer Abhandlung des Herrn Malus, welche am 12ten Dezembr. 1808 im Institut de France war vorgelesen worden. 1810 erschien dessen Theorie de la double Refraction, und 1811 im Moniteur No. 72, 73, 243, 247, Aus züge aus mehreren neuern Abhandlungen der Herrn Malus, Biot und Arago über denselben Gegenstand. Diese waren mir bekannt als ich in der Mitte des August 1812 die ersten Versuche über jene merkwürdigen Erscheinungen anzustellen begann. Es war von den französischen Physikern bereits entdeckt, daß die verdoppelnden Kry-stalle die Eigenschaft besitzen, die in Malus Apparat bei sich kreuzender Lage der Spiegel aufgehobene Spiegelung, oder aufgehobene Doppel-bilder der Kalkspate wiederherzustellen, wobei von Herrn Arago zuerst an Glimmer, Gips, und Bergkrystall ein Farbenwechsel in den beiden Bildern eines Doppelspat- oder Bergkrystall-Prisma bemerkt worden war. Dieselbe Wirkung hatte Malus an mehreren organischen Körpernwahrgenommen. 62,386 – 395 Vgl. Goethe, Farbenlehre, Didaktischer Teil, VI. Farbige Schat-ten, Sämtliche Werke, Bd. 10, 45.63,416 – 420 Vgl. Goethe, Farbenlehre, Didaktischer Teil, Physiologische Farben, §§ 49 –50, Sämtliche Werke, Bd. 10, 40: § 49. Man halte ein kleines Stück lebhaft farbigen Papiers oder seidnen Zeuges vor eine mäßig er-leuchtete weiße Tafel, schaue unverwandt auf die kleine farbige Fläche und hebe sie, ohne das Auge zu verrücken, nach einiger Zeit hinweg, so wird das Spektrum einer anderen Farbe auf der weißen Tafel zu sehen sein. Man kann auch das farbige Papier an seinem Orte lassen und mit dem Auge auf einen anderen Fleck der weißen Tafel hinblicken, so wird jene farbige Er-scheinung sich auch dort sehen lassen; denn sie entspringt aus einem Bilde,

220 Anhang

das nunmehr dem Auge angehört. § 50. Um in der Kürze zu bemerken, welche Farben denn eigentlich durch diesen Gegensatz hervorgerufen wer-den, bediene man sich des illuminierten Farbenkreises unserer Tafeln, der überhaupt naturgemäß eingerichtet ist und auch hier seine guten Dienste leistet, indem die in demselben diametral einander entgegengesetzten Far-ben diejenigen sind, welche sich im Auge wechselweise fordern. So fordert Gelb das Violette, Orange das Blaue, Purpur das Grüne und umgekehrt. So fordern sich alle Abstufungen wechselweise, die einfachere Farbe fordert die zusammengesetzte und umgekehrt.63,421– 423 Vgl. ebd., § 57, 43 f: Die Purpurfarbe an dem bewegten Meer ist auch eine geforderte Farbe. Der beleuchtete Teil der Wellen erscheint grün in seiner eigenen Farbe und der beschattete in der entgegengesetzten purpurnen. Die verschiedene Richtung der Wellen gegen das Auge bringt eben die Wirkung hervor.63,424 – 425 Vgl. ebd., § 59, 44: Im umgekehrten Falle sieht derjenige, der bei einer mittleren Helle des Himmels auf Wiesen wandelt und nichts als Grün vor sich sieht, öfters die Baumstämme und Wege mit einem rötlichen Scheine leuchten.63,425 – 428 Vgl. ebd., § 55, 42 f: So wie bei den Versuchen mit farbigen Bildern auf einzelnen Teilen der Retina ein Farbenwechsel gesetzmäßig entsteht, so geschieht dasselbe, wenn die ganze Netzhaut von Einer Farbe affi ziert wird. Hievon können wir uns überzeugen, wenn wir farbige Glas-scheiben vors Auge nehmen. Man blicke eine Zeitlang durch eine blaue Scheibe, so wird die Welt nachher dem befreiten Auge wie von der Sonne erleuchtet erscheinen, wenn auch gleich der Tag grau und die Gegend herbstlich farblos wäre. Ebenso sehen wir, indem wir eine grüne Brille weg-legen, die Gegenstände mit einem rötlichen Schein überglänzt. 63,428 – 430 Vgl. ebd., § 52, 41: Als ich gegen Abend in ein Wirtshaus eintrat und ein wohlgewachsenes Mädchen mit blendend weißem Gesicht, schwarzen Haaren und einem scharlachroten Mieder zu mir ins Zimmer trat, blickte ich sie, die in einiger Entfernung vor mir stand, in der Halb-dämmerung scharf an. Indem sie sich nun darauf hinwegbewegte, sah ich auf der mir entgegenstehenden weißen Wand ein schwarzes Gesicht, mit einem hellen Schein umgeben, und die übrige Bekleidung der völlig deutlichen Figur erschien von einem schönen Meergrün. 64,433 – 435 Vgl. ebd., § 54, 41 f: Am 19. Juni 1799, als ich zu später Abendzeit bei der in eine klare Nacht übergehenden Dämmerung mit einem Freunde im Garten auf und ab ging, bemerkten wir sehr deutlich an den Blumen des orientalischen Mohns, die vor allen anderen eine sehr mächtig rote Farbe haben, etwas Flammenähnliches, das sich in ihrer Nähe zeigte. Wir stellten uns vor die Stauden hin, sahen aufmerksam darauf, konn-ten aber nichts weiter bemerken, bis uns endlich bei abermaligem Hin- und Widergehen gelang, indem wir seitwärts darauf blickten, die Erscheinung so oft zu wiederholen, als uns beliebte. Es zeigte sich, daß es ein physiologisches

Anmerkungen 221

Farbenphänomen und der scheinbare Blitz eigentlich das Scheinbild der Blume in der geforderten blaugrünen Farbe sei. 64,462 – 463 Vgl. Georges Louis Leclerc de Buffon (1707 –1788), Herrn von Buffons allgemeine Naturgeschichte. Eine freye mit einigen Zusätzen vermehrte Übersetzung nach der neuesten französischen Ausgabe von 1769 in 7 Bänden, Berlin 1771, 188: Sollte man nicht mit einem großen Schein der Wahrscheinlichkeit sich vorstellen können, daß, durch einen auf die Oberfl äche der Sonne fallenden Kometen, dieses Gestirn aus seinen Angeln gerückt, einige kleine Theile davon abgestoßen und diesen Theilen, durch eben einen solchen Stoß, auch eine fortstoßende Bewegung, nach eben der Seite, mitgetheilt werden könne? Wäre es also nicht möglich, daß die Planeten ehemals Theile der Sonne gewesen, und durch eine stoßende Kraft, die ihnen allen von je her und noch jetzo eigen ist, davon losgerissen worden wären?65,466 – 468 Jacques Alexandre François Allix (1776 –1836), Theorie del’univers ou de la cause primitive du mouvement et de ses principaux effects, Paris 1818. Allix war Generalleutnant in der französischen und lange Zeit auch in der westfälischen Armee, außerdem Mitglied der Göttinger Societät der Wissenschaften. 65,489 – 490 Theophrastus Bombastus von Hohenheim (1493 –1541), ge nannt Paracelsus, Opera Omnia Medico-Chemico-Chirurgica, 3 Bde., Genf 1658. 65,490 – 491 Vgl. F. W. J. Schelling, Zeitschrift für spekulative Physik, Jena/Leipzig 1801, Bd. I, 3. Stück: § XXIII. Das Licht müssen wir der Idee vergleichen: der Klang aber ist der Begriff, oder die besondere Seele des Dings, die sich unmittelbar nur auf dieses Ding bezieht. Wie nun das Metall das in’s Concrete aufgenommene Wesen des Lichts auf gleiche Weise ist, wie das Licht, das in’s Allgemeine gebildete Wesen des Besonderen oder der Materie, so ist auch der Glanz der Metalle, wodurch sie sich vor allen anderen Körpern auszeichnen, die Erscheinung des concreten Lichtes auf solche Art, daß je vollkommener sie das Allgemeine in sich, als Differenz, empfangen haben, wie das Gold, desto mehr der Glanz und die Farbe dem des Lichtes ähnlich wird. 69,615 – 616 Humphry Davy (1778 –1820) war einer der bekanntesten bri-tischen Chemiker und von 1820 –1827 Präsident der Royal Society. Davy be-nutzte als erster den galvanischen Strom zur chemischen Zerlegung und entdeckte die Elemente Natrium, Kalium, Calcium, Strontium, Barium und Magnesium. Er erkannte, daß Chlor ein elementarer Stoff ist, und wies nach, daß Salzsäure eine sauer stofffreie Säure darstellt. Er ist Verfasser einer Reihe von Werken über Chemie, doch ließ sich die Quelle, auf die sich Hegel bezieht, nicht ermitteln. 70,653 – 655 Alexander von Humboldt (1769 –1859) und Louis Joseph Gay-Lus sac (1778 –1850), Versuche über die eudiometrischen Mittel, und über das Verhältnis der Bestandtheile der Atmosphäre, Halle 1805. Ein Eudiometer ist ein Meß- und Reaktionsrohr aus Glas zum Auffangen von Gas

222 Anhang

zu Analysezwecken, vor allem bei Dampfdichte- und Molekulargewichtsbestim-mungen; im Prinzip eine Gasbürette, in die das Gas unter einer Sperrfl üssigkeit eingeleitet wird. 77,899 – 902 Hegel bezieht sich wohl auf einen Vorfall, der sich am 26. April 1803 in Aigle in Frankreich ereignete; an diesem Tag fi elen Steine vom Himmel. J. B. Biot (1774 –1862) wurde dorthin entsandt, um den Vorfall wissenschaftlich zu untersuchen. Das Ergebnis wurde publiziert: Relation d’un voyage fait dans le département de l’Orne pour constater la réalité d’un météore observé à l’Aigle, Paris 1803. Hegel hat wahrscheinlich den Vorfall aus dem Gedächtnis vorgetragen, so daß seine Angabe von 20 Jahren nicht als eine genaue Wiedergabe zu nehmen ist. Über diesen »Steinregen« wurde damals ausführlich diskutiert. Vgl. auch den Zusatz zum § 288 der Berliner Enzyklopädie: Wenn Livius sagt, lapidibus pluit, so hat man nicht daran geglaubt, bis vor dreißig Jahren bei Aigle in Frankreich den Leuten Steine auf den Kopf fi elen; da glaubte man’s. Nun wurde das Phänomen öfter beobachtet; man untersuchte die Steine, verglich damit ältere Massen, die auch als Meteorsteine angegeben waren, und fand, daß sie gleicher Be schaffen heit waren. Man muß beim At-mosphäril nicht fragen, wo diese Nickel- und Eisenteile herkommen. Einer sagte, der Mond habe etwas fallen lassen; ein anderer führte den Chaussee-Staub, die Hufe der Pferde an usf. Die Atmosphärilien zeigen sich bei der Explosion der Wolken, eine Feuerkugel macht den Übergang; sie erlischt und zerspringt mit einem Knall, und dann folgt der Steinregen. Vgl. dazu auch Petry II, 277 f. 81,39 – 41 Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 207 und 215.82,47 – 48 Zum Zusammenhang von Attraktivkraft und Schwerkraft bzw. Schwere bei Schelling siehe: System des transzendentalen Idealismus, Sämmt-liche Werke, I/3, 444, sowie: System der gesammten Philosophie und der Naturphilosophie insbesondere (1804), Erster Theil, Sämmtliche Werke, I/6, 267 ff .82,52 Hinter dem Wort man steht ein Wort, das sich nicht entziffern läßt. Es scheint jedoch unerheblich für das Verständnis des Satzes zu sein.87,216 – 218 Vgl. F. W. J. Schelling, Zeitschrift für spekulative Physik, Jena/Leipzig 1801, Bd. II, Heft 2: § 72. Die Zu- und Abnahme der Cohäsion steht in einem bestimmten umgekehrten Verhältnis zu der Zu- und Abnahme des specifi schen Gewichts. Schelling bezieht sich hierbei wohl auf die Ausfüh-rungen von Steffens. In Anm. 1 zum § 72 heißt es: Die bestimmtere Ausfüh-rung und Aufstellung dieses von ihm zuerst aufgefundenen Gesetzes ist in Hn. Steffens ›Beiträgen zur Naturgeschichte des Erdkörpers‹ zu erwarten. Wir bemerken vorläufi g bloß Folgendes. – Das ideelle Princip liegt mit der Schwerkraft im Krieg, und da diese im Mittelpunct das größte Überge-wicht hat, so wird es ihr in der Nähe desselben auch am ehesten gelingen, beträchtliches specifi sches Gewicht mit Starrheit zu vereinigen, also A und B schon bei einem geringen Moment der Differenz unter ihre Herrschaft zurückzubringen. Je größer dieses Moment wird, desto mehr wird die spe-

Anmerkungen 223

cifi sche Schwere überwunden, aber in desto höherem Grade tritt nun auch die Cohäsion ein bis zu einem Puncte, wo mit abnehmender Cohäsion wieder die größere specifi sche Schwere siegt, und endlich beide zugleich und gemeinschaftlich sinken. So sehen wir nach Steffens in der Reihe der Metalle die specifi sche Schwere von Platina, Gold usw. bis auf Eisen fallen, die (active) Cohäsion aber steigen, und in dem letzten ihr Maximum errei-chen, hernach wieder einer beträchtlichen specifi schen Schwere weichen, (z. B. im Bley), und endlich in den noch tiefer stehenden Metallen zugleich mit dieser abnehmen. – Sehr schön wird Steffens zeigen, wie auf diese Art die Natur, da sie das specifi sche Gewicht fortwährend vermindert, genötigt ist, durch das Maximum der Cohäsion zu gehen, und sie also als Magne-tismus hervortreten zu lassen. Vgl. dazu auch Schelling, Neue Zeitschrift für spekulative Physik, Bd. I, 3. Stück, III. Die vier edlen Metalle: § IV […], und bekanntlich hat Steffens das Gesetz aufgestellt und geltend zu machen gesucht: daß die specifi sche Schwere oder Dichtigkeit der Metalle mit der Cohärenz in einem umgekehrten Verhältnis stehe. 87,232 – 234 Vgl. dazu die vorige Anm.; Henrik Steffens (1773 –1845), Beyträge, 129: Die specifi sche Dichtigkeit der Metalle steht in beyden Reihen mit der Cohärenz in einem umgekehrten Verhältnisse, so daß die Reihe mit dem schwersten Metalle anfängt, und mit dem leichteren endigt. Auf Seite 130 heißt es weiter: Die Reihe der specifi schen Dichtigkeit dieser Metalle, ist nach den bewährtesten Schriftstellern folgende: Gold = 19.3, Silber = 10.474, Platina = 20.6, Kupfer = 9.324, Eisen = 7.2. 88,252 – 254 Vgl. A. A. Hamberger (1737 –178?), Kurzer Entwurf einer Naturlehre, worinnen alles aus dem einzigen Begriffe, daß Kraft nichts an-deres als Druck sey, erwiesen ist: zum Gebrauche seiner Zuhörer bestimmt, Jena 1780, 128: Je dichter also ein fl üssiger Körper ist, der den anderen festen umgiebt, desto weniger muß der feste unter den Umständen wiegen, und die Verminderung des Gewichts eines solchen Körpers muß allemal so viel betragen, als das Gewicht des fl üssigen Körpers, unter der Größe des festen, der in ihm enthalten ist, betragen würde. Hieraus kann man die specifi sche Schwehre eines jeden Körpers fi nden. 92,409 – 410 Georg Joseph Vogler (1749 –1814), genannt Abbé Vogler, war Komponist und Musiktheoretiker. Er studierte in Italien und wurde in Rom zum Priester geweiht. 1776 gründete er die Mannheimer Tonschule, 1784 wurde er Hofkapellmeister in München, 1786 in Stockholm und 1807 in Darmstadt. Zu seinen Schülern gehörten C. M. von Weber und G. Meyerbeer. Auf Konzertreisen erregte er Aufsehen durch seine Improvisationen auf der Orgel und seinem trans-portablen »Orchestrion«. Mit seinen Kompositionen gehört er zur Mannheimer Schule. Größere Bedeutung hatte er als Musikschriftsteller, u. a. mit Tonwissen-schaft und Tonsetzkunst (1776) und Betrachtungen der Mannheimer Ton-schule (1778).93,447 – 448 Ernst Florens Friedrich Chladni (1756 –1827) promovierte zum Doktor der Rechte und der Philosophie und beschäftigte sich in der Folge als Privat-

224 Anhang

gelehrter mit der Akustik. Er gilt als Begründer der experimentellen Akustik; so untersuchte er die mechanischen Schwingungen zahlreicher Körper, entdeckte die nach ihm benannten Chladni-Figuren und zeigte, daß (v. a. bei Saiten und Stä-ben) nicht nur transversale Schwingungen auftreten, sondern auch longitudinale Schwingungen (anhand deren er erstmalig die Geschwindigkeit des Schalls in festen Körpern und Flüssigkeiten bestimmte) und Drehschwingungen. Nachdem Chladni erstmalig 1787 über seine Klangfi guren und die Töne longitudinal angeregter Sai-ten publiziert hatte, legte er 1802 sein Hauptwerk vor, das Lehrbuch der Akustik, das nachhaltigen Einfl uß hatte. Im Zusammenhang mit seinen wissenschaftlichen Arbeiten hat Chladni zwei neue Musikinstrumente erfunden, 1792 das Euphon und 1800 den Clavizylinder, die er virtuos spielte; vgl. dazu Goethe, Naturwissenschaft überhaupt I, XXX Chladnis Tonfi guren, Sämtliche Werke, Bd. 12, 501 f.

95,496 – 497 Benjamin Thompson Count of Rumford (1753 –1814), An inquiry concerning the source of the heat which is excited by friction, in: PhT, 1798.99,648 – 649 Goethe erwähnt Hogarth in Naturwissenschaftliche Schriften 1, Morphologie, Sämtliche Werke, Bd. 12, 257: Im allgemeinen werde hier be-merkt: das Lebendige, wenn es ausläuft, so daß es, wo nicht abgestorben,

95,494 Zu Hegels Zeit sprach man von »Lichtstoff«, »Wärmestoff« und »Schall-materie«. Hegel selbst verneint die Existenz sowohl des »Wärmestoffs« als auch der »Schallmaterie«. Im Zusammenhang mit dem Licht spricht er jedoch davon, daß es auch Materie sei, allerdings eine abstrakte, die der gängigen Vorstellung der Materie nicht ganz entspricht. Zur Thematik des Licht- und Wärmestoffs vgl. Jo hannGottfried Voigt, Beobachtung und Versuche über farbigtes Licht, Farben und ihre Mischung, in: Neues Journal der Physik, hrsg. von F. A. C. Gren, Bd. III, Heft 3, Leipzig 1796, 235–298, 237: Das Licht ist keine einfache Substanz, sondern aus Wärme- und Lichtstoff, oder Lichtmaterie zusam-mengesetzt. Die Lichtmaterie hat an sich keine Expansionskraft, und doch bemerken wir, daß ein beleuchtender Punct nach allen Seiten zu Erleuch-tung zuwege bringt, sich also das Licht nach allen Seiten zu ausdehnen kann, wie Radien einer Kugel. Diese Eigenschaft hat die Lichtmaterie dem Wärmestoff, womit sie chemisch verbunden ist, zu verdanken, welcher sie zu einer expansibeln Flüssigkeit macht. Dieser Wärmestoff kann das Ther-mometer und unser Gesicht nicht affi zieren; daher es allerdings möglich ist, daß man im Mondlichte selbst durch die größten Brenngläser keine Spur von Wärme fi nden kann, indem die Masse des Mondes die bey dem Son-nenlichte befi ndliche freye Wärmematerie aufnimmt, und blos einen Theil des erhaltenen Lichtstoffs mit chemisch gebundenen Wärmestoff wieder zurückschickt.Vgl. dazu auch M. van Marum, Versuche zum Erweise, daß in dem elektrischen Fluidum Wärmestoff zugegen ist, in: Neues Journal der Physik, Bd. III, Heft 1, Leipzig 1796, 1–17, 16: Da nun diese Verwandlungen der nicht elastischen Substanzen in elastische Flüssigkeiten durch das elektri-sche Fluidum in unsern Versuchen so schnell geschehen, so scheinen sie zu beweisen, daß im elektrischen Fluidum Wärmestoff enthalten ist.

Anmerkungen 225

doch abgeschlossen erscheint, pfl egt sich zu krümmen, wie wir an Hör-nern, Klauen, Zähnen gewöhnlich erblicken; krümmt nun und wendet sichs schlängelnd zugleich, so entsteht daraus das Anmutige, das Schöne. Diese fi xierte, obgleich noch immer beweglich scheinende Bewegung ist dem Auge höchst angenehm; Hogarth mußte beim Aufsuchen der einfachsten Schönheitslinie darauf geführt werden, und welchen Vorteil die Alten bei Behandlung der Füllhörner auf Kunstwerken aus diesem Gebilde gezogen, ist jedermann bekannt. Im Zusatz zum § 310 der Berliner Enzyklopädie (MM 9. 201) nennt Hegel N. J. Möller als Quelle. Vgl. N. J. Möller, Über die Entstehung der Wärme durch Reibung, in: Neue Zeitschrift für spekulative Physik, Bd. I, 3. Stück, 1803, 42 ff. 101,699 – 700 Die Bezeichnung der anorganischen und organischen Naturstufen als »Potenzen« fi ndet man bei Schelling seit dem Ersten Entwurf eines Systems der Naturphilosophie von 1799. Dabei drängt sich auf der Basis dieser Schrift eine Zuordnung des Magnetismus zur ersten Potenz insofern auf, als gleichzeitig eine die anorganische Natur betreffenden Stufenfolge von 1. Magnetismus, 2. elek-trischem und 3. chemischem Prozeß skizziert wird. Im System des transzen-dentalen Idealismus von 1800 fällt der Magnetismus unter das erste Moment in der Konstruktion der Materie (vgl. Sämmtliche Werke, I/2, 444 ff ). In den naturphilosophischen Entwürfen von 1800 –1806 ist die Zuordnung der Schwere zur ersten Potenz signifi kant. 103,768 – 770 Vgl. Alexander von Humboldt, Über den polarisierenden Serpentinstein, in: Chemische Annalen, hrsg. von L. Crell, Helmstädt 1797, Bd. 1, 99 –104, 101: Dazu zeigt sich der Magnetismus hier unter anderen Gesetzen, als wir ihn im Eisen, Nickel und Kobalt erkennen. Das räthsel-hafte Fossil wirkt nur auf magnetisches Eisen. Derselbe Serpentin, welcher so viele Fuß weit die Pole der Magnetnadel fortreißt, zieht auch nicht ein Stäubchen unmagnetisierte Eisenfeile an. Vgl. ders., Über die merkwürdige magne tische Polarität einer Gebirgskuppe von Serpentinstein, in: Neues Journal der Physik, 1797, Bd. 4, 136 –140, 136 f: Auf einer geognostischen Tour, welche ich mit zween Freunden, Herrn Münzmeister Gödeking und Herrn Oberbergmeister Killinger durch das oberpfälzische und angränzende Gebirge machte, stieß ich auf eine Gebirgskuppe von Serpentinstein, dessen Fallungswinkel ich mit der Boussole bestimmen wollte. Kaum näherte ich dieselbe dem anstehenden Gestein, so sah ich den Südpol meiner Magnet-nadel mit Heftigkeit aus ihrer Lage und in den wahren Norden gerissen. Ich glaubte das Phänomen der Harzer Schnarcher, (an denen ein magnetischer Streifen herab läuft), hier erneurt zu sehen. Meine Freunde traten herzu und wir erstaunten nun über alles, was wir sahen. […] Doch muß ich Ihnen vorläufi g folgende Verhältnisse entwickeln. Die Kuppe ist dergestalt gegen die Erdachse gerichtet, daß das Gestein, am nördlichen Anhange, bloße Südpole, am südlichen Anhange bloße Nordpole zeigt. Gegen Westen und Osten liegen Indifferenzpuncte. Die Masse besteht aus reinem Serpetinstein, meist von lauchgrüner Farbe, der hier und da in Chloritschiefer übergeht.

226 Anhang

Einzelne Puncte sind so magnetisch, daß sie in einer Entfernung von 22 Fuß die Magnetnadel aus ihrer natürlichen Lage reißen.103,786 –104,788 Im Manuskript steht der Name Ritter, von der Sache her sollte aber offen bar von Richter die Rede sein. Die Ortsangabe Jena deutet zwar auf Ritter, der inhaltliche Zusammenhang jedoch eindeutig auf Richter. Johann Wilhelm Ritter (1776 –1810) immatrikulierte sich im Frühjahr 1796 an der Jenaer Universität und trat dort bis 1805 mit Vorträgen in der Naturforschenden Gesellschaft zum Galvanismus sowie mit ausgeklügelten galvanischen Experi-menten oder »Aktionen« ins Rampenlicht. Nachdem er zunächst in Auseinan-dersetzung mit Galvani, Volta und Alexander von Humboldt die tierische und pfl anzliche Elektrizität in den Mittelpunkt seiner Untersuchungen stellte, vertrat er bald darauf die These eines universellen Galvanismus. 1799 hielt er in der Naturforschenden Gesellschaft Jenas einen Vortrag mit dem Titel Beweis, daß der Galvanismus auch in der anorganischen Natur zugegen sey. Siehe dazu den informativen Beitrag von Lothar Müller: Der totale dynamische Prozeß. Zur experimentellen Universalisierung des Galvanismus bei Johann Wilhelm Ritter, in: Evolution des Geistes: Jena um 1800. Natur, Kunst, Philosophie und Wissenschaft im Spannungsfeld der Geschichte, hrsg. von F. Strack, Stutt-gart 1994, 636 –659. Jeremias Benjamin Richter (1762 –1807) studierte in Kö-nigsberg bei Kant Mathematik und Philosophie und promovierte mit einer Arbeit zur mathematischen Chemie. Er betätigte sich sodann in Schlesien als Landmesser, Instrumentenbauer und Übersetzer chemischer Literatur. Später war er Chemiker in einem Fachlabor in Berlin. Er untersuchte den Vorgang der Neutralisation und die Verbindungsverhältnisse chemischer Stoffe (vgl. auch Anm. 133,811). Für die im vorliegenden Text angesprochene Thematik des Magnetismus könnte entschei-dend sein: J. B. Richter, Über die bisher sicherste Reinigungsmethode des Kobalts und Nickels, in: Gehlen’s Neues Allgemeines Journal der Chemie, Bd. 20, Berlin 1804, 61–72 (vgl. Gies, 71 f ).105,860 –106,861 René-Just Haüy (1743 –1822), Professor der Mineralogie in Paris und Begründer der wissenschaftlichen Kristallographie. Den Prozeß der Kristal lisation hat Haüy sehr ausführlich und akribisch im Traité de Minéralogie, 4 Bde., Paris 1801, untersucht. Von diesem Werk ist ab 1804 eine mit Anmerkun-gen, Ergänzungen und Anhängen versehene fünfteilige deutsche Ausgabe erschienen: Lehrbuch der Mineralogie, hrsg. vom Bürger Haüy, aus dem Französischen über-setzt und mit Anmerkungen versehen von D. L. G. Karsten (ab Teil 3: mit Anmer-kungen vermehrt hrsg. von D. L. G. Karsten und C. S. Weiss), Teile 1 und 2, Paris/Leipzig 1804; Teil 3, Paris/Leipzig 1806; Teile 4 und 5, Paris/Leipzig 1810. 106,861 Der Herausgeber der deutschen Übersetzung von Haüys Traité de Minéralogie, D. L. G. Karsten, spricht von einer atomistischen Vorstellungsart des Autors, welche zugleich einer strengen geometrischen Methode unterworfen ist: Diese Vorstellungsart unseres Verfassers ist a tomis t i sch; indessen ist solche der geometrischen Konstruktion nicht allein fähig, sondern auch bereits derselben von Herrn Haüy mit auffallendem Erfolg unterworfen worden (vgl. Lehrbuch der Mineralogie, Teil 1, XVII). Haüys Vorgehensweise

Anmerkungen 227

wird damit nicht zuletzt in Kontrast gesetzt zur dynamischen Ansicht der Kristallisation von C. S. Weiss, welche von der Grundthese ausgeht, daß Kristal-lisation auf chemischer Repulsion beruht (vgl. ebd. Anhang, 365 ff ).106,861– 863 Haüy selbst unterscheidet bei der Beschreibung der Struktur der Kristallisation hauptsächlich zwischen primitiver Gestalt (forme primitive) und sekundären Gestalten (formes secondaires): Da wir den Namen pr imit ive Gesta l t gewählt haben, um den Kern der Krystalle zu bezeichnen, so wer-den wir sekundäre Gesta l ten die Form der Varietäten nennen, welche von der Kerngestalt abweichen. ( Lehrbuch der Mineralogie, Teil 1, 79, vgl. auch ebd., 318 ff ) Dabei verwendet der Übersetzer für forme primitive erklär-termaßen primitive Form oder Kerngestalt. Der von Hegel erwähnte Gegensatz von innerer und äußerer Gestalt stammt vermutlich ebenfalls aus einer Äußerung des Übersetzers (ebd., Vorrede III f ): Durch die erste Operation (gemeint ist die mechanische Zergliederung) gelangt man anschaulich zur Enthüllung eines Ker ns , der sich in allen noch so verschieden gebildeten äußeren Formen, sobald sie einer und derselben Gattung von Fossilien zukommen, g le ich ble ibt . Vgl. auch Haüy, Über die doppelte Brechung des durchsichtigen Kalkspaths, in: Neues Journal der Physik, Bd. II, Heft 4, Leipzig 1795, 403 –415; vgl. ebenso ders., Abriß der Theorie von der Structur der Krystalle, in: Neues Journal der Physik, Bd. II, Heft 4, Leipzig 1795, 418 –454. 106,865 – 866 Vgl. Haüy, Lehrbuch der Mineralogie, Teil 1, 218 ff.113,124 –126 Vgl. J. W. Ritter, Physisch-Chemische Abhandlungen in chronologischer Folge, Leipzig 1806, Bd. I, 295 f: 20. Auch habe ich bey dieser Gelegenheit eine Vermuthung bestätigt gefunden, die ich bereits vor 2 ½ Jahren gehabt, die nämlich, daß außerdem, was ich, positive und negative Lichtzustände genannt habe, bey der Einwirkung des Galvanismus auf das Auge noch eine Farbenerzeugung in demselben vorgehen, deren Produkt verschieden sey nach der Verschiedenheit der Construction der Bedingun-gen, unter denen sie Statt haben kann. Indem ich nämlich eines Abends bey Halbdunkel Versuche über die erzählten Lichterscheinungen im Auge anstellte, und zur Hervorbringung des positiven Zustandes eben den Knopf eines mit dem obern Zink (a) der Batterie in Berührung stehenden Drathes ins Auge, und den nassen Finger der einen Hand mit dem untern Silber (b) der Batterie in der Stellung meines Körpers in Verbindung brachte, daß das genannte Auge gegen die vier ungefärbten Glassäulen des Apparates ge-richtet war, erschienen die mit dem Augenblicke der Schließung sogleich in einem sehr deutlichen bläulichen Lichte, und behielten diese Farbe so lange, als die Kette geschlossen blieb; gleich nach dem Moment ihrer Trennung aber erschienen sie mit einer röthlichen Farbe, die nach und nach schwächer wurde, und endlich ganz wieder verschwand. Stand dasselbe Auge auf ähnli-che Weise mit dem Silber (b), die Finger der Hand aber mit dem Zink (a), in Verbindung, so erschienen die Glasstäbe mit der Schließung in röthlichem, vom Augenblicke der Trennung an aber in einem allmählich abnehmenden und zuletzt gänzlich verschwinden bläulichen Lichte. Vgl. auch von Ritter:

228 Anhang

Beyträge zur nähern Kenntnis des Galvanismus, 4 Bde., Jena 1800 –1805; Das Electrische System der Körper. Ein Versuch, Leipzig 1805.113,126 –127 Vgl. J. W. Ritter, Physisch-Chemische Abhandlungen in chronologischer Folge, Bd. I, 293: Brachte ich statt des einen Fingers die Zunge mit dem einen der beyden Haken der Batterie in Verbindung, so fühlte man jedesmal empfi ndlich mit den bekannten Arten von Geschmack begleitete Schläge, und zwar so, daß der in der Verbindung Zink, Zunge […], Finger, Silber mit starkem saueren Geschmack begleitete, bey aller seiner Stärke viel milder und stumpfer war, als der stechende, schneidende oder gleichsam bohrende mit sogenannt alkalischem Geschmacke beglei-tete in Silber, Zunge […], Finger, Zink. Beyde Empfi ndungen dauerten, wie zu erwarten war, das ganze Geschlossenseyn der Kette durch fort. Beym Eintritte beyder zeigte sich ein starker, sich über das ganze Gesicht verbrei-tender Lichtschein, und bey genauer Aufmerksamkeit bemerkte man auch hier fortdauernde entgegengesetzte Lichtzustände, von denen der erstere bey Zink, Zunge etc. positiv, oder eine Erhöhung, der andere hingegen bey Silber, Zunge etc. negativ, oder eine Verbindung der im Auge vorher gegenwärtigen Lichtmasse war. 113,130 –131 Vermutlich bezieht sich Hegel nur indirekt auf Georg Chri-stoph Lichtenberg (1742 –1799), Anfangsgründe der Naturlehre, Göttingen 61794. Die Angabe scheint eher von Ritter zu stammen, der seinerseits ausführ-lich Lichtenberg referiert. Vgl. hierzu J. W. Ritter, Das Electrische System der Körper, 130: Endlich gehören hierher auch noch diejenigen Versuche, in denen man zwey verschiedene Substanzen in Pulverform mischt, und diese Mischung mit oder ohne Sieb, Pudertuch u. s. w., auf positiv und negativ geladene Stellen einer Glas-, Harzplatte, u. s. w., streut oder siebt. Dasjenige der beyden gemischten Pulver, welches an dem andern negativ geworden ist, ziehen darauf die positiven, das, was positiv geworden, die negativen Stellen an; jene stellen Sterne, diese runde Flecken dar. 114,165 –166 J. W. Ritter, Das Electrische System der Körper, 114 f: Wir nehmen jetzt die Tabelle, in welcher Lichtenberg in Erxleben’s Anfangs-gründen der Naturlehre, Sechste Auflage, 1794, 478, die Electricitäten, wel-che eine Menge Körper beym Reiben an einander wechselseitig annehmen, auf eine musterhafte Weise zusammengestellt hat, zur Hand, und setzen, zuerst von zwey Körpern, von denen der eine ganz vorzüglich zu + E, der andere zu – E, geneigt ist, wie Glas und Schwefel, den bey ihrem Reiben gegen einander positiv werdenden Körper, das Glas, für irgend eine zu er-richtende Reihe tief nach unten, den negativ werdenden, den Schwefel aber, sehr weit nach oben. Wir suchen hierauf einen Körper, der unter allen in der Tabelle angeführten dem Glase an Positivität am nächsten kommt, d. i. bloß mit ihm negativ, mit allen andern aber positiv wird; dieses ist Wolle. Sie wird sogleich nach dem Glase, zwischen dieses und den Schwefel gesetzt. Ritter hat auch mehrere Tabellen erstellt. Hegels Ausführungen beziehen sich wahrscheinlich auf die folgende Tabelle:

Anmerkungen 229

114,170 –172 Im Zusatz zum § 324 der Berliner Enzyklopädie (MM 9. 281) wird dieser Sachverhalt, der von Ringier nur sehr knapp berichtet wird und daher unverständlich bleibt, etwas näher geschildert: Stehen zwei Personen isoliert (denn sonst teilt sich ihre Elektrizität der ganzen Erde mit, und sie sind nicht als Individuen), hat die eine ein Katzenfell in der Hand und reibt damit die Kleider der anderen, so erhält die erste positive, die andere negative Elektri-zität. Der Unterschied kommt durch die Aktivität der einen Person.115,188 Vgl. Gies, 81,23 –82,30: Elektrizität zeigt sich auch an Kristallen, die durch Erwärmung elektrisch werden; die Wärme scheint nichts zu sein, als eine Herstellung der Kontinuität in diesen Körpern. Auch durch einen elektrisierten Körper wird einem anderen [Körper] Elektrizität mitgeteilt, ohne daß nur eine Berührung vorgeht; nur an den Enden ist diese elektri-sche Tätigkeit vorhanden. Die elektrische Tätigkeit ist durchaus nur an der Oberfl äche eines leitenden Körpers. Wird ein dritter Körper [mit diesem] in Verbindung gesetzt am entgegengesetzten Ende, so wird auch dieser elek-trisch. Wenn elektrisierte Körper immer nähergebracht werden, neutralisiert sich ihre Spannung, und sie wird immer geringer. Ein elektrisierter Körper, überladen, wenn er mit der Luft in Verbindung steht, verliert dadurch seine Spannung. Das positive Ende des Prozesses ist das Zusammenstürzen bei-der Elektrizitäten. Dies bringt große Wirkungen hervor; Metalle werden verfl üchtigt, der elektrische Schlag schmelzt Metalldrähte. Dies scheint

230 Anhang

ein chemisches Moment zu sein, allein die nächste Wirkung ist bloß die Erschütterung; alles, was ihm im Wege steht, sucht es zu zertrümmern und sich als Licht Bahn zu machen, um mit seinem Entgegengesetzten zusam-menzukommen. Die chemisch-scheinenden Er schüt te run gen sind Folgen dieses Prozesses; es ist bloßer mechanischer Druck. Das Schmelzen und der-gleichen sind sekundäre Wirkungen. Als eine nähere chemische Wirkung erscheint die Wasserzersetzung; aber das Wasser ist überhaupt das neutrale Element, worin kein chemischer Gegensatz vorhanden ist; dieser Gegensatz der Zersetzung ist nur formell; das Wasser läßt sich in Gasform auflösen. Das ganze Wasser ist in einer solchen entgegengesetzten Form gesetzt.

[c. Der Prozeß der Vereinzelung]

Der reale Prozeß ist der chemische, dessen eine Form der Galvanismus ist, der ganz elektrische Erscheinungen zeigt und chemische Wirkungen hat. Der elektrische Prozeß kann daran gegen den chemischen zurückgedrängt werden. Der galvanische Prozeß ist ein perennierender elektrischer Prozeß; dieses Perennieren macht ihn zu einem materiell-wirksamen Prozeß. Der elektrische Prozeß ist als ideell durchaus nur momentan in der Zeit; das Perennieren ist ein materielles; das Momentane des Lichtes wird ein Be-stehendes, ein stoffartiger Prozeß. Der chemische Prozeß ist ein Analogon des Lebens, eine Tätigkeit, die frei heraustritt an der materiellen Körper-lichkeit.119,314 Vgl. Jakob Joseph Winterl (1732 –1809), Darstellung der vier Be-stand theile der anorganischen Natur, Jena 1804, Anm. 7 zu § 8 (23): Wenn man den Säuren oder Basen ihr begeistendes Prinzip abnimmt, so bleibt öfters ein neutraler Körper übrig, welcher das Substrat der Säure oder Base ausmacht. Ich will zu Beispielen keine Fälle aufdrängen, die noch zweifelhaft sind, worunter die meisten vegetabilischen Säuren gehören, deren Wasser-base wahrscheinlich erst in Zerlegung gebildet wird; die Benzoe- und die Bernsteinsäure, welche nach ihrer Zerstörung basische Erden hinterlassen, unterliegen jener Einwendung nicht; die Kieselerde reagiert als eine wirk-liche Säure, sie besteht aber, wie ich in der zweiten Prolusion gezeigt habe, ganz aus Kalkerde und einem sauren Stoffe, den ich unter dem Namen Andronie in eben derselben aufstellte. Winterls Theorie wurde in Deutschland von Johann Schuster (1777 –1839) verbreitet: System der dualistischen Che-mie des Prof. Winterl, 2 Bde., Berlin 1807, 282: Andronie. Diese im Wasser unauflösliche Säure ist durch ihre Reakzion gegen salzige Basen schwach, gegen erdige stark, gegen metallische sehr stark. Sie ist nur der sauern Begei-stung fähig, jedoch für sich nur einer minderen, aber mit Wasser vermengt geht sie am säuernden Pole der voltaischen Säule in die (starke) Salzsäure über […]. Weiter unten (283) heißt es über die Andronie: Für sich ist sie starr und wird nur durch Säuren luftförmig, besonders durch die Wassersäure. Sie

Anmerkungen 231

verfl üchtigt sich in freier Atmosphäre von selbst, schnell, ohne Rückstand; ist im Wasser und der Essigsäure unauflöslich.119,315 Der hier von Hegel bzw. Ringier verwendete Terminus Andronie ( andronia) kam offenkundig durch die Übersetzung der lateinischen Werke Win-terls durch Johann Schuster sowie durch einige Schriften Schuberts in Umlauf. Zum Thema der Andronie siehe auch Petry (II, 399 ff ).119,318 Vgl. Gotthilf Heinrich von Schubert (1780 –1860), Ahndungen einer allge meinen Geschichte des Lebens, 2 Bde., Leipzig 1807 –1821, Bd. 1, 132: Die erste Materie der Alten, welche ein gemeinschaftliches Auflö-sungsmittel aller Metalle, und der meisten andern Körper ist, und das Wasser schnell zu Fäulniß bringt, ist dieselbe, welche als Andronie mit Säuren ver-bunden, ein so gewaltiges und unwiderstehliches Auflösungsmittel ist, und welche, im Wasser der Themse aufgelöst, in diesem eine so vollkommene Scheidung durch die Fäulniß hervorbringt, daß aus ihm ein reiner und brennbarer Geist, wie aus dem Weingeist erhalten wird. Es würde möglich seyn, durch ein so schnelles Gährungsmittel des Wassers, dem menschlichen Geschlecht auf etwas kürzerem Wege des Nachts Licht, und in der kalten Zeit Wärme zu verschaffen, als in einigen neueren Versuchen (mit den Thermoöfen) geschehen ist. 121,396 – 397 Vgl. Anm. 87,216 – 218 (Schelling) und 87,232 – 234 (Steffens).121,405 Vgl. Hermann Boerhaave (1668 –1738), Anfangsgründe der Chemie, Danzig 1791. 122,436 Alessandro Giuseppe Volta (1745 –1827) vermutete schon 1792, daß für die Erregung der von Galvani entdeckten »tierischen Elektrizität« le-diglich die Berührung von zwei Leitern erster Klasse (metallische Leiter) mit einem solchen zweiter Klasse (elektrolytische Leiter) oder die zweier Leiter zweiter Klasse mit einem solchen erster Klasse erforderlich ist. Während der folgenden Jahre baute er diese »Kontakttheorie« weiter aus und machte 1800 als wichtigste und folgenreichste seiner Entdeckungen den »Säurenapparat« und die »Tassenkrone« bekannt. Beide Vorrichtungen lieferten als die ersten Formen der galvanischen Batterie Elektrizität von höherer Spannung auf anderem Wege als dem der Erzeugung durch die Elektriziermaschine. Ihm zu Ehren wird die Einheit der elektromotorischen Kraft als »Volt« bezeichnet. Vgl. dazu Volta, Untersuchungen über den Galvanismus 1796 bis 1800, Leipzig 1900 (Ostwald’s Klassiker der exakten Wissenschaften, Nr. 118), 30: Sie sehen jetzt, worin das ganze Geheimnis, die ganze Magie des Galvanismus, besteht. Sie ist nichts, als eine durch die Berührung heterogener Leiter in Bewegung gesetzte künstliche Electricität. Diese verschiedenen Leiter sind es, welche hierbey thätig, welche die wahren Erreger derselben sind, und dies Gesetz gilt nicht etwa bloß für die Metalle oder die Leiter der ersten Klasse, wie man hätte glauben sollen, sondern, mehr oder weniger, für alle, nachdem sie ihrer Natur und Güte nach, mehr oder weniger von einander verschieden sind, und folglich auch in einigem Grade für die feuchten, oder die Leiter der zweyten Klasse. So lange Sie von diesen Gesetzen ausgehen, werden

232 Anhang

Sie alle bisher angestellten Erfahrungen leicht erklären können, ohne zu irgend einem eingebildeten anderen Princip einer activen thierischen und den Organen eigenthümlichen Electricität Ihre Zufl ucht nehmen zu dür-fen; Sie werden mit Hülfe derselben sogar neue Versuche erfi nden, und ihren Erfolg vorher sagen können, wie ich es gethan habe, und noch täglich thue. Bei dieser Ver öffent lichung handelt es sich um drei Briefe von Volta an Gren, die in J. W. Ritter, Beyträge zur näheren Kenntniß des Galvanismus, Jena 1800, erschienen sind, und weiter um einen Brief Voltas an Joseph Banks, der 1800 in den Philosophical Transactions of the Royal Society unter dem Titel On the Electricity excited by the mere contact of conducting sub-stances of different kinds erschien. Hegel selber hat mit großer Wahrscheinlich-keit diese Ver öffent lichun gen gekannt, zumal Ritter in diesem Zusammenhang auch erwähnt wird und Hegel mit der Reihe Philosophical Transactions gutvertraut war. 122,443 Am Rande ist die folgende Zeichnung angebracht:

123,461 Luigi Galvani (1737 –1798), ein italienischer Arzt und Naturforscher, entdeckte 1780 die Kontraktion präparierter Froschmuskel beim Überschlag elek-trischer Funken. 1786 fand Galvani in weitergehenden Experimenten, daß diese Reaktion auch dann eintritt, wenn der Muskel lediglich mit zwei verschiedenen, miteinander verbundenen Metallen in Kontakt gebracht wird. Diese Erscheinung, deren Entdeckung Galvani 1791 bekanntgab und die er fälschlich für tierische Elektrizität hielt, gab Anlaß zu Spekulationen über die »Lebenskraft«; sie führte jedoch auch zur Entdeckung der elektrochemischen Elemente und zur Entwick-lung des Galvanismus, da Galvanis Zeitgenosse A. Volta den sogenannten Frosch-muskelversuch korrekt erklärte. Vgl. Luigi Galvani, Abhandlungen über die Kräfte der thierischen Elektrizität auf die Bewegung der Muskeln nebst einigen Schriften der H. H. Valli, Carminati und Volta über eben diesen Ge-genstand. Eine Übersetzung vom D. Johann Mayer, Prag 1793, 3 f: Mit dieser Entdeckung gieng es so zu. Ich zerschnitt einen Frosch, und bereitete ihn, wie in Fig. Taf. 1. zu sehen; legte ihn ohne etwas anders zu vermuthen, auf die Tafel, worauf die elektrische Maschine Fig. 1. Taf. 1. stand, die gänzlich vom Konduktor getrennt, und ziemlich weit davon entfernt war; als aber einer meiner Zuhörer die Spizze des Messers von ungefähr ein wenig an den inneren Schenkelnerven des gedachten Frosches D. D. brachte, so wur-den die Muskeln aller Glieder so gleich so zusammengezogen, als ob sie von heftigen Konvulsionen er griffen würden. Ein anderer, von den Gegenwär-tigen, glaubte zu bemerken, es geschähe nur zur Zeit, wenn der Konduktor

Anmerkungen 233

Fig. 1. B. einen Funken gäbe. Er bewunderte die Neuheit der Sache, und machte mich, der ich eben ganz was anders vorhatte, aufmerksam darauf. Ich wurde auch so gleich von der Begierde das nemlich zu erfahren, und das Verborgene davon zu erforschen hingerissen. Ich berührte also selbst mit der Messerspizze bald den einen bald den anderen Schenkelnerven, zur Zeit, wenn einer der Gegenwärtigen einen Funken aus dem Konduktor wahrnahm. Die Erscheinung geschah auf eben dieselbe Weise, heftiges Zu-sammenziehen er griff jede Muskel aller Glieder, als ob das Thier von einem heftigen Tetanos in den nemlichen Augenblick er griffen würde, wenn die elektrische Maschine Funken gab. 123,462 – 464 Vgl. ebd., 25: Zuletzt kommen bei dieser Art von Versu-chen, mit kaltblütigen sowohl als warmblütigen Thieren, einige besondere, und wie ich glaube nicht unnüzze Dinge, die sich uns manchmal darboten, anzumerken. Erstens sind etwas ältere Thiere, deren Muskeln ganz weiß sind, und die von allen Blut vollkommen entleeret, die besten zu diesen Versuchen. Die Muskelzusammenziehungen gehen vielleicht daher in kal-ten Thieren geschwinder und leichter vor sich, und halten länger an, als in warmen, weil jene ein dünneres und schwer gerinnendes Blut haben, welches um so leichter von den Muskeln abfl ießt.123,466 – 467 Vgl. ebd., 35: Ich versuchte nun alsogleich das nemliche, mit anderen Metallen an verschiedenen Orten, zu verschiedenen Stunden und Tagen, aber der Erfolg war immer derselbe; außer daß die Zusammenzie-hungen nach der Verschiedenheit der Metallen, auch verschieden waren, mit einigen nemlich heftiger mit anderen schwächer.123,471 Vgl. Volta, Neue Abhandlung über die thierische Electrizität. In Briefen an Herrn Abbé Anton Maria Vassali, Professor zu Turin, in: Neues Journal der Physik, Bd. II, Heft 2, Leipzig 1795, 141–172, 141 f: Was hal-ten Sie von der vermeynten thierischen Electrizität? Was mich be trifft, so bin ich seit geraumer Zeit überzeugt, daß die ganze Action ursprünglich von den Metallen herrührt, welche irgend einen feuchten Körper oder das Wasser selbst berühren, kraft welcher Berührung das electrische Fluidum in dem feuchten oder wässerichten Körper von eben diesen Metallen, von dem einen mehr, vom anderen weniger (am mehresten vom Zinke, am wenigsten vom Silber) vorgedrängt wird (viene spinto avanti); wird dann eine nicht unterbrochene gute Leitung angebracht, so wird dieß Fluidum in einen Kreislauf gesetzt. Wenn nun die Cruralnerven eines präparierten Frosches von diesem leitenden Kreise in irgend einem Theile desselben ein leitendes Stück ausmachen, so daß die ganze oder fast die ganze strö-mende Electrizität durch sie allein, oder auch durch irgend einen anderen zur Bewegung eines Gliedmassen dienenden Nerven gehen muß, und die Nerven noch einen Rest von Vitalität haben; so werden die Muskeln oder die den Nerven gehorchenden Gliedmassen in Zuckungen gesetzt, sobald die Herstellung des Kreises der Leitung einen solchen electrischen Strom veranlaßt, und so oft man nach Unterbrechung desselben ihn gehörig wie-

234 Anhang

der herstellt. Weiter unten (ebd., 144) heißt es: Kann aber das, was hier eine thierische Electrizität anzeigt, wohl eine den Organen eigenthümliche und ursprüngliche genannt werden? Ist es nicht vielmehr weit wahrscheinlicher, daß diese sich bloß leidend verhalten, bloß sehr empfi ndliche Electrometer sind, und dass dagegen eigentlich die Metalle activ sind; daß nämlich bey Berührung der letzern dem electrischen Fluidum ein Impulsus gegeben wird; daß überhaupt diese Metalle nicht bloße Conductoren oder Leiter, sondern wahre Erreger (motori) der Electrizität sind? Was sage ich wahr-scheinlicher? Es ist ganz offen bar, daß hier alles von den Metallen abhängt, und von ihrer verschiedenen Be schaffenheit, indem es zum Gelingen der Versuche nothwendig ist, daß beide Metalle ungleichartig sind. Anstatt also thierische Electrizität zu sagen, hätte man eben so gut ein Recht, sie metallische Electrizität zu nennen. Vgl. auch ders., Zweytes Schreiben des Herrn Alexander Volta an den Herausgeber über die sogenannte thierische Electrizität, in: Neues Journal der Physik, Bd. IV, Heft 1, Leipzig 1797, 107 –135; vgl. dazu auch W. C. Wells, Beobachtungen über den Muskelreiz bey Thieren in den Galvanischen Versuchen, in: Neues Journal der Physik, Bd. IV, Heft 1, 441–457.123,474 – 476 Vgl. J. W. Ritter, Physisch-Chemische Abhandlungen in chronologischer Folge, Bd. I, 147: Brachte er aber auf die nemliche Art Zink und Silber zusammen, so war der Effect sehr stark. Der Zink schien sich zu oxydieren, und die ganze Oberfl äche der angefeuchteten Silber-platte war mit einem feinen weißen Staube, mit Zinkkalk, bedeckt. Vgl. auch 151: Aber nicht bloß diese beyden Metalle, Zink und Silber, brachten diese Wirkung hervor. Ich sah sie, nur nach Verhältniß ihrer Galvanischen Wirksamkeit bald in stärkerem, bald in schwächerem Grade, bey Zink und Graphit, Zink und Wismuth, Zink und Kupfer, so wie Bley und Silber, erfolgen, und bey Zinn vorzüglich wird der Versuch um so entscheidender, da sich dieses in einer Zeit von der Länge der Dauer des Versuchs, wenn es mit keinem fremden Metalle in Berührung ist, fast gar nicht mit Wasser verkalkt, indeß es sogleich geschieht, als Zinn mit Silber in Berührung ge-bracht, und beyde am entgegengesetzten Ende durch einen Tropfen Wasser verbunden werden.123,478 Vgl. J. W. Ritter, Beyträge zur näheren Kenntniß des Galvanis-mus, Jena 1800. 126,568 Um das Phlogiston (gr.: phlogistos = verbrannt) bildet sich im 17. Jahr-hundert eine wissenschaftliche Theorie, die die Brennbarkeit chemischer Stoffe zu erklären versucht, um eine Systematisierung der Stoffe und ihrer Reaktionen zu erreichen. Auf der Grundlage der alchimistischen »Prinzipien« Schwefel, Queck-silber und Sal entwickelte J. J. Becher 1667 erste Vorstellungen über die Existenz einer »brennlichen Erde«, die Bestandteil aller brennbaren metallischen Körper sein sollte. Diese Vorstellungen wurden ab 1697 von G. E. Stahl syste ma tisch zu einer Lehre ausgebaut, nach der alle brennbaren Substanzen das Phlogiston, ein stoffli ches, brennbares »Prinzip«, enthalten, das bei Verbrennung an der Luft ent-

Anmerkungen 235

weicht. Auf Grund seiner Theorie deutete Stahl u. a. die Brennbarkeit der Metalle dahingehend, daß sie zusammengesetzt sind aus Phlogiston und einem Metallkalk (phlegma), der beim Verbrennen zurückbleibt. Am Ende des 18. Jahrhunderts mehrten sich jedoch die Widersprüche, die sich aus der Phlogistontheorie ergaben. Hauptprobleme waren die Gewichtsvermehrung der Metalle beim Verbrennen, die Tatsache, daß man Phlogiston nicht rein zu isolieren vermochte und diesem Stoff Unwägbarkeit oder gar negative Schwere zuschreiben mußte. 1774 –1783 entwik-kelte demgegenüber Antoine-Laurent Lavoisier (1743 –1794) die Oxydations-theorie, die besagt, daß beim Verbrennen eines Stoffes keine Substanz abgegeben, sondern Sauerstoff aufgenommen wird. 126,569 – 570 Zu Lavoisier siehe die vorige Anm. 127,606 – 607 Vgl. A.-L. Lavoisier, System der antiphlogistischen Chemie, aus dem Französischen übersetzt und mit Anmerkungen und Zusätzen versehen von D. Sigismund Friedrich Hermstädt, Berlin und Stettin 1792, 70 f: Wir haben gesehen, daß die atmosphärische Luft vorzüglich aus zwei luftför-migen Flüssigkeiten oder Gasarten besteht: aus einer respirablen, die das Leben der Thiere zu unterhalten vermag, in welcher Metalle kalzinirt werden, und die entzündlichen Körper brennen können; und aus einer anderen, welche grade entgegengesetzte Eigenschaften hat, in welcher die Thiere nicht athmen können, und die das Verbrennen nicht zu unterhalten vermögend ist u. s. w. Dem Grund stoffe der respirablen Luft geben wir den Namen säurezeugend (oxygène), der von zwei griechischen Worten (ÑxÚj) sauer, und (ge…nomai) ich erzeuge hergeleitet ist; weil es wirklich eine der hauptsächlichsten Eigenschaften dieses Grund stoffes ist, durch die Verbin-dung mit den mehresten Substanzen, Säuren zu erzeugen. Wir wollen also die Verbindung dieses Stoffes mit dem Wärme stoff säurezeugendes Gas (Gaz oxygène) nennen.127,613 Sehr wahrscheinlich bezieht sich Hegel hierbei auf den Beitrag von Humphry Davy, The Bakerian Lecture. On some of the Combinations of Oxymuriatic Gas and Oxygene, and on the chemical Relations of these Principles, to infl ammable Bodies, in: PhT, 1811, 1–35, 32: To call a body which is not known to contain oxygene, and which cannot contain muriatic acid, oxymuriatic acid, is contrary to the principles of that nomenclature in which it is adopted; and an alteration of it seems necessary to assist the progress of discussion, and to diffuse just ideas on the subject. If the great discoverer of this substance had signifi ed it by any simple name, it would have been proper to have recurred to it; but, dephlogisticated marine acid is a term which can hardly be adopted in the present advanced area of the science. After consulting some of the most eminent chemical philosophers in this country, it has been judged most proper to suggest a name founded upon one of its obvious and characteristic properties – its colour, and to call it Chlorine, or Chloric Gas. Vgl. auch Humphry Davy, Elemente des chemischen Theils der Naturwissenschaft, aus dem Englischen übersetzt von Friedrich Wolff, Berlin 1814, 210: III. Chlorine, oder oxydirt salzsaures Gas.

236 Anhang

1. Diese Substanz wurde von Scheele im Jahr 1774 entdeckt. Man erhält sie durch ein, dem im vorhergehenden Abschnitte beschriebenen, ganz ähnliches Verfahren, durch welches das Sauer stoff gas dargestellt wurde, nur mit dem Unterschiede, daß der Braunstein mit Kochsalz gemengt, und das Vitriolöl mit einer gleichen Menge Wasser verdünnt werden muß. Das zweckmäßigste Verhältnis ist folgendes: drei Theile Kochsalz, dem Gewichte nach, ein Theil fein gepulverter Braunstein, und zwei Theile Vi triol öl. Statt des Braunsteins, kann man sich auch des rothen Quecksilber-oxyds, oder des fl ohfarbenen Bleioxydes, und statt des Kochsalzes und Vi-triolöls, einer Auflösung der Salzsäure im Wasser bedienen. 2. Die Chlorine hat eine gelblich-grüne Farbe; von dieser wurde der Name dieser Substanz (von clwrÒj grün) entlehnt. Ihr Geruch ist äußerst unangenehm, sie läßt sich nicht einathmen, und selbst wenn sie in äußerst geringe Menge der atmosphärischen Luft beigemischt ist, bringt sie einen höchst nachtheiligen Einfl uß auf die Lungen zuwege. 128,651– 653 Offenbar gibt der Mitschreibende hier in verkürzter und etwas veränderter Form das folgende galvanische Phänomen wieder: Wenn man in einer Salpetersäure Silber auflöst und Kupfermetall hineinsteckt, so löst das Kupfer sich auf, und das Silber wird in dendritischer Form abgeschieden.130,724 –131,727 In diesem Abschnitt bezieht sich Hegel auf die Ausführun-gen von Steffens, Beyträge, 1: Daß Kalk, Baryth und Strontian mit Natron, Kali und Ammoniak eine Reihe bilden, ist jetzt wohl keinem Zweifel mehr unterworfen. Nicht allein die Eigenschaft, die blauen Pfl anzensäfte grün zu färben, den durch Säuren gerötheten ihre ursprüngliche Farbe wieder mitzutheilen, im reinen Zustande kaustisch zu seyn u. s. w., sondern auch das chemische Verhalten dieser Erden gegen die Öle, Schwefel und Phosphor, ihre Auflösbarkeit im Wasser und Chrystallisirbarkeit sprechen sehr laut für diesen Satz.131,728 Vgl. ebd., 14: So viel läßt sich schon aus dieser groben Ansicht der Erscheinungen mit Recht schließen: daß die Erden nicht (wie man Grund hat von den Metallen zu schließen) eine, sondern vielmehr zwey sich entgegengesetzte Reihen bilden, von welchen ich die eine die kiese-ligte, die andere die kalkigte nennen werde, daß man mit Wahrscheinlich-keit voraussetzen kann, daß die Grundmischung der Stoffe dieser Reihen (wenn es sich zeigen sollte, daß die Erdarten componirt seyen) nicht bloß dem Verhältnisse, sondern selbst der Qualität nach verschieden seyn muß, endlich daß der Talk das vermittelnde Glied beyder entgegengesetzter Rei-hen auszumachen scheint.131,731– 732 Wahrscheinlich hat Ringier bei der Zuordnung die Angabe ver-tauscht, denn bei Steffens gehört der Ton nicht der kalischen Reihe an. Vgl. dazu Steffens, Beyträge, 9: Daß Kiesel und Thon ebenfalls zu einer von der ange-führten alkalischen verschiedenen Reihe gehört, läßt sich auf dem niedern Standpunkte, aus welchem ich hier die Erscheinungen ansehe, hauptsäch-lich aus der gemeinschaftlichen Entgegensezzung dieser Erde gegen die

Anmerkungen 237

alkalische Reihe darthun. Vgl. aber auch ebd., 10: Was die Verwandschaft des Thons und des Kiesels gegen die Alkalien auf dem trocknen Wege angeht, so ist diese hinlänglich bekannt.133,801– 803 Ringier hat die Angaben von Sauerstoff und Metall vertauscht. Zu Hegels Zeit ließen sich die Anteile von Sauerstoff und Metall im Oxydations-prozeß noch nicht genau ermitteln.133,810 Der Schwede Jöns Jacob Berzelius (1797 –1848) gilt als der eigent-liche Begründer der quantitativen Chemie. Seine Hauptwerke sind: Lärbok i Kemien (Stockholm 1808 –1818) und Lärbok i Organiska Kemien (1827 –1830). Seine Schriften wurden auch in andere Sprachen übersetzt, so u. a. An attempt to determine the defi nite and simple proportion, in which the constituent parts of Unorganic Substances are united with each other, in: Philosophical Magazine, Bde. 41–43, 1813/14; vgl. auch seinen Essai sur la Théorie des Proportions chimiques et sur l’infl uence chimique de l’élec-tricité, Paris 1819.133,811 Offensichtlich wird hier auf die damaligen profi lierten Versuche Bezug genommen, die Verbindungsverhältnisse der chemischen Elemente quantitativ zu bestimmen. Während Gay-Lussac und A. von Humboldt die Volumenverhält-nisse verbindbarer chemischer Elemente, J. B. Richter die Mengenverhältnisse sich gegenseitig neutralisierender Säuren und Basen festzulegen versuchten, operierte J. Dalton mit Gewichtsverhältnissen. Er untersuchte die Schwere der verbindbaren chemischen Elemente und stellte auf der Basis von 1 g Wasserstoff eine Skala der relativen Gewichte anderer Elemente (Stick stoff, Kohlen stoff usw.) auf. Zudem übertrug er die atomistische Sicht auf die Chemie und gab dadurch den Anstoß, die chemischen Elemente als Atome zu fassen. Dem schwedischen Chemiker J. J. Berzelius, der die bis heute gültigen Abkürzungen für die chemischen Elemente einführte, war es sodann vorbehalten, die Ergebnisse Daltons konsequenter und präziser darzustellen. Er berechnete auf der Grundlage von Sauer stoff = 100 und Wasser stoff = 1 die Atomgewichte und die Verbindungsverhältnisse zahlreicher chemischer Elemente (siehe Hans E. Fierz-David, Die Entwicklungsgeschichte der Chemie. Eine Studie, Basel 1945, 183 ff, 195 ff ).133,811– 812 Vgl. John Dalton (1766 –1844), A new System of Chemi-cal Philosophy, London 1808 (zitiert nach der deutschen Ausgabe: Ostwald’s Klassiker der exacten Wissenschaften, Nr. 3: Die Grundlagen der Atomtheorie, hrsg. von W. Ostwald, Leipzig 1889, 15): wir können daher schließen, daß die letzten Theilchen aller homogenen Stoffe völlig gleich in Gewicht, Gestalt etc. sind. Mit anderen Worten, jedes Atom Wasser ist gleich jedem ande-ren Atom Wasser; jedes Atom Wasser stoff ist gleich jedem anderen Atom Wasser stoff u. s. w. Hegel bezieht sich wohl explizit auf die folgende Stelle, ebd., 16 f: Nun ist es einer der großen Gegenstände dieses Werkes, die Wichtig-keit und den Vortheil der Bestimmung der relativen Gewichte der letzten Theilchen sowohl der einfachen wie der zusammengesetzten Stoffe, die Zahl der einfachen Elementaratome, welche ein zusammengesetztes Atom bilden, und die Zahl von weniger zusammengesetzten Atomen, welche in

238 Anhang

die Zusammensetzung eines complicierten eingehen, zu zeigen. Seien A und B zwei Stoffe, welche sich zu verbinden vermögen, so fi ndet folgende Ordnung statt, nach welcher die Verbindung stattfi nden kann, mit der ein-fachsten beginnend, nämlich: 1 Atom von A + 1 Atom von B = 1 Atom von C, binär, 1 Atom von A + 2 Atome von B = 1 Atom von D, ternär, 2 Atome von A + 1 Atom von B = 1 Atom von E, ternär, 1 Atom von A + 3 Atome von B = 1 Atom von F, quaternär, 3 Atome von A + 1 Atom von B = 1 Atom von G, quaternär u. s. w. 133,818 Vgl. Jeremias Benjamin Richter (1762 –1807), Anfangsgründe der Stöchyometrie oder Meßkunst chemischer Elemente, 3 Bde., Breslau und Hirschberg 1792 –1794. Richter gibt darin die folgende Defi nition der Stöchiometrie: Die Stöchyometrie (stöchyometria) ist die Wissenschaft die quantitativen oder Massenverhältnisse zu messen, in welchen die chymi-schen Elemente gegen einander stehen. Die bloße Kenntniß dieser Verhält-nisse könnte man quantitative Elementenlehre (stöchyologia quantitativa) nennen.133,820 – 824 Vgl. Jöns Jacob Berzelius, Versuch, die bestimmten und einfachen Verhältnisse aufzufi nden, nach welchen die Bestandteile der un organischen Natur miteinander verbunden sind (1811/12), hrsg. von W. Ost wald, Leipzig 1892, 5: Man wird aus dem Folgenden sehen, daß, wenn zwei Kör per, A und B, s ich in ver schiedenen Verhäl tni s sen mite inander verbinden, dieses immer nach fo lgenden fes ten Propor t ionen geschieht : 1 A mit 1 B (Zusammensetzung im Mini-mum) ; 1 A mit 1 ½ B (oder vielleicht richtiger 2 A mit 3 B); 1 A mit 2 B; 1 A mit 4 B. Unter meinen Versuchen fi ndet man aber kein einziges Beispiel von 1 A mit 3 B.133,825 –134,827 Vgl. ebd.: Man wird ferner ersehen, wenn zwei Kör-per, A und B, beide zu zwei anderen, C und D, Verwandtschaf t haben, die Menge von C, wodurch A gesät t igt wird, s ich zu der Menge von D, wodurch A gesät t igt wird, genauso wie die Mengen von C und von D, wodurch B gesät t igt wird, zueinan-der verha l ten. Wenn z. B. 100 Th. Blei im Minimum 15,6 Th. Schwefel und 7,8 Th. Sauer stoff, – ferner 100 Th. Eisen, der Analyse zufolge, die ich weiter unten angeben werde, im Minimum 58,8 Th. Schwefel aufnehmen, so läßt sich die Mischung des Eisenoxyduls durch die einfache Proportion 15,6 : 7,8 = 58,8 : 29,4 berechnen, und es müssen darin 100 Th. Eisen mit 29,4 Th. Sauer stoff verbunden sein.134,858 Leider ließ sich die Quelle bei Heinrich Friedrich Link (1767 –1851) nicht feststellen.135,870 – 872 Petry (II, 402 f ) geht ausführlich auf die Herkunft dieser Ge-schichte ein: Hegel is here refering to the famous account of Archimedes’ calculations given by Marcus Vitruvius Pollio in his »De Architectura«, a work which was translated into German by A. Rode (2 vols., Leipzig 1796). Die von Hegel wiedergegebene Stelle lautet nach Petry (II, 402) wie folgt: Hieron,

Anmerkungen 239

after gaining the royal power in Syracuse, resolved, as a consequence of his successful exploits, to place in a certain temple a golden crown which he had vowed to the immortal gods. He contracted for its making at a fi xed price and weighed out a precise amount of gold to the contractor. At the appointed time the latter delivered to the king’s satisfaction an exquisitely fi nished piece of handiwork, and it appeared that in weight the crown cor-responded precisely to what the gold had weighed. But afterwards a charge was made that gold had been abstracted and an equivalent weight of silver had been added in the manufacture of the crown. Hiero […] requested […] Archimedes to consider the matter. He made two masses of the same weight as the crown, one of the gold and the other of silver. After making them, he fi lled a large vessel with water to the very brim and dropped the mass of silver into it. As much water ran out as was equal in bulk to that of the silver sunk in the vessel. Then, taking out the mass, he poured back the lost quantity of water, using a pint measure, until it was level with the brim as it had been before. Thus he found the weight of the silver corresponding to a defi nite quantity of water. After this experiment, he likewise dropped the mass of gold into the full vessel and, on taking it out and measuring as before, found that not so much water was lost, but a smaller quantity; namely, as much less as a mass of gold lacks in bulk compared to a mass of silver of the same weight. Finally, fi lling the vessel again and dropping the crown itself into the same quantity of water, he found that more water ran over for the crown than for the mass of gold of the same weight. Hence, reasoning from the fact that more water was lost in the case of the crown than in that of the gold and made the theft of the contractor perfectly clear. Nach der Quelle war Archimedes dem Künstler gegenüber nicht ungerecht. Vgl. dazu den Zusatz zum § 327 der Berliner Enzyklopädie (MM 9. 293): Ebenso nehmen Gold und Silber zusammengeschmolzen einen kleineren Raum ein, wes-halb der Goldschmied, dem Hieron Gold und Silber zu einer Krone gab, in den Verdacht des Betrugs kam, als habe er etwas für sich behalten, indem Archimedes nach dem spezifi schen Gewicht beider Körper das Gewicht des ganzen Gemenges berechnete; Archimedes kann aber dem Goldschmied sehr wohl Unrecht getan haben. 138,986 – 988 Die Auffassung, daß Kant mit dem in der Kritik der Urteils-kraft erörterten Begriff der zweckmäßigen Natur der aristotelischen Idee einer der Natur immanenten causa fi nalis erneut zum Durchbruch verhilft, ist gängig und wird auch von Hegel häufi ger vertreten (vgl. z. B. MM 20. 376). Außergewöhn-lich ist vielleicht, daß hier eine Denkfi gur, welche an Aristoteles’ Überlegungen zum ersten Prinzip eines unbewegten Bewegers (vgl. Metaphysik, XII.6) an-schließt, als Begriff des Aristoteles von der Natur bezeichnet wird.141,100 Hegel bezieht sich hier wohl auf die zahlreichen Schriften von Abraham Gottlob Werner (1749 –1817) über die Geologie. Er ver öffent lichte u. a.: Von den äußeren Kennzeichen der Fossilien, Leipzig 1774; Classifi cation der Gebirgsarten, Dresden 1787; Neue Theorie von der Entstehung der Gänge,

240 Anhang

Freiberg 1791; Oryktognosie, oder Handbuch für die Liebhaber der Minera-logie, Leipzig 1792; vgl. den ausführlichen Kommentar von Petry (III, 226).145,227 – 229 Vgl. Steffens, Beyträge, 22 f: Die der Schieferformation ei-genen Versteinerungen scheinen hauptsächlich von Pfl anzen, so wie dieder Kalkformation eigenen, von Seethieren herzurühren. Denn die Kno-chen der großen Landthiere kommen meist in den Leimlagern der auf-ge schwemm ten Gebirge vor. – So weit die sichern, auf Beobachtungen ge gründeten Resultate der Wernerschen Geognosie. – Vgl. auch ebd., 32: Dieses überzeugte mich nun vollkommen davon, daß die Vegetation Kiesel produziert, wie die Animalisation Kalk.145,233 – 238 Vgl. ebd., 58: Die ganze kieseligte Reihe, die in den ältesten und mächtigsten Gebirgen unserer Erde die Hauptmasse ausmacht, durch alle Perioden hindurchgeht, durch die öhlichten Substanzen uns die Über-reste einer vergangenen Vegetation zeigte, noch immer sich an die ganze bestehende Vegetation als ein lebendiges Glied (durch die Torfmoore) anschließt, wird hauptsächlich durch Kohlen stoff und Wasser stoff, als das Characterisierende ihrer Mischung, ausgezeichnet. Über die kalkige Reihe heißt es ebd., 69: Die ganze kalkigte Reihe, die in den ältesten Gebirgen un-serer Erde anfängt, durch alle Perioden hindurchgeht, und in den jüngeren immer mächtiger wird, durch die Versteinerungen uns die Trümmer einer vergangenen Animalisation zeigt, noch immer sich an die bestehende Ani-malisation, als ein lebendiges Glied, (durch die Corallenbänke) anschließt, wird hauptsächlich durch Stick stoff und Wasser stoff, als das Characterisie-rende ihrer Mischung ausgezeichnet. 145,241– 242 Vgl. ebd., 26 f: Aber was sind denn jene ungeheuren Coral-lenbänke, jene merkwürdigen Anhäufungen von Madreporen und Millepo-ren, die in der Südsee so weit verbreitet sind, zu einer unermeßlichen Höhe anwachsen, ganze Inseln bedecken und den Seefahrenden so oft gefährlich werden? Sind es nicht offen bar Fortsetzungen jener in der Urzeit angefan-genen Kalkformationen durch Thiere, so wie die Torfmoore, Fortsetzungen der alten Schieferformationen, durch Pfl anzen? 145,243 –146,245 Vgl. ebd., 157 f: Die Metalle der erwähnten Reihe, die sich dem Eisen am meisten nähern, wie z. B. Nickel und Kobald, scheinen sich in der Natur am meisten von diesem Metalle getrennt zu haben. Sie kommen fast immer miteinander vor, obgleich sie wohl selten, in der Natur, ganz eisenfrey seyn möchten. Es verdient vielleicht bemerkt zu werden, daß mehrere Metalle aus dieser Reihe gerade unter die seltenen gehören, die in der allerältesten Periode, die uns die Geognosie kennen lehrt, vor-kommen. So fi nden wir Molybdän eingesprengt im Granit an mehreren Orten, wie z. B. in Norwegen, Schweden, […] Das Eisen ist das einzige Metall, welches durch alle Perioden und alle Formationen hindurchgeht. Vgl. auch ebd., 164 f: Über das Silbervorkommen führt Steffens Folgendes aus: Das Vorkommen des Silbers mit fast allen Metallen der weniger cohä-renten Reihe ist allgemein bekannt. Das Bley begleitet das Silber wie der

Anmerkungen 241

Braunstein das Eisen. Das fast durchgängige Zusammenseyn dieser Metalle, zumahl in geschwefeltem Zustande, ist in der That ein höchstmerkwürdiges Phänomen, welches uns über die, bis jetzt unbekannte, Natur dieser Metalle in der Zukunft Aufschlüsse verspricht. Man fi ndet das geschwefelte Bley fast nie vollkommen silberfrey; und es ist bekannt genug, daß fast aller Sil-berbergbau mit Bleyglanz getrieben wird. 146,276 –147,280 Vgl. Karl Asmund Rudolphi (1771 –1832), Anatomie der Pfl anzen, Berlin 1807: § 10. Ehe ich mich, nachdem ich dies voraus-geschickt habe, zur Pfl anzenanatomie selbst wende, fi nde ich es nöthig, mich näher über die Körper zu erklären, welche ich zum Gewächsreich rechne. In einer der reichhaltigsten Schriften nämlich, welche die allge-meine Naturgeschichte aufzuweisen hat, in Treviranus’ Biologie fi nden wir eine Menge der gewöhnlich für Pfl anzen gehaltenen Naturkörper einem eigenen Reiche, dem der Zoophyten einverleibt: so sehr ich es mir aber sonst zur Ehre rechne, mit dem scharfsinnigen Verfasser einer Meinung zu seyn, so kann ich ihm doch hierin nur zum Theil beystimmen. Er gesteht den Pfl anzen thieren denselben inneren und äußeren Bau zu, wie den Ge-wächsen, nennt ihre Mischung aber thierisch. Es fragt sich, ob dieser Grund hinreichend seyn würde? Dem Naturforscher und Anatomen gewiß nicht, eigentlich nur dem Chemiker. Bey den mehrsten ist aber diese thierische Mischung ganz und gar nicht bewiesen, sondern nur hypothetisch ange-nommen, da doch der Pfl anzenbau schon auf eine andere Vermuthung hin-leiten könnte. Treviranus rechnet zu den Pfl an zen thieren Jussieu’s Acotyle-donen mit einer etwas anderen Eintheilung, nämlich die Pilze, Wasserfäden, Tange, Flechten, Lebermoose, Laubmoose, Farrnkräuter und Najaden. Ich werde diese Familien in Hinsicht seiner Behauptung einzeln durchgehen, nur in umgekehrter Ordnung. Rudolphi schreibt über die von Hegel erwähn-ten Fruktifi kationsteile im Zusammenhang mit Flechten Folgendes: § 14. Daß ihre sogenannten Fructifi cationstheile dies wirklich sind, fi nde ich nirgend erwiesen, und es ist vielleicht wahrscheinlich, daß es Knospenkeime oder Seitenverlängerungen sind, wodurch sich die Flechten auf ähnliche Art, wie manche Thiere, aber auch wie mehrere wahre Vegetabilien fortpfl anzen, so daß dieses gar nichts beweist. Im § 18 folgt dann die Zusammenfassung: Es sind also keineswegs alle Kryptogamen vom Gewächsreich zu trennen, son-dern die Farrnkräuter, die Laub- und Lebermoose gehören ganz bestimmt zu demselben, so wie ich auch nicht die Tange davon trennen möchte. Bey den Conferven wage ich nichts zu entscheiden; die Flechten mögen leicht Afterorganismen eigener Art seyn; die Pilze sind es ohne Zweifel.147,284 – 289 Vgl. ebd.: § 17. Die Pilze endlich weichen in ihrem Bau ganz von den Gewächsen ab: ich habe mehrere Agarici, Boleti, Pezizae, Hel-vellase und Hydna genau und oft untersucht, und finde ihre Substanz von der Art, daß man sie mit Recht thierisch nennen kann. Bey den weicheren Pilzen sieht man ein fadiges Schleimgewebe, das dem der Thiere sehr nahe kommt, von dem starren zelligen Bau der Pfl anzen aber durchaus verschie-

242 Anhang

den ist; bey dem Boletus ceratophorus findet sich ein wolliges Gewebe, das keineswegs pfl anzenartig, sondern von den weichen Pilzen einen deutlichen Übergang zu den holzartigen (z. B. Merulius quercinus) macht, deren Sub-stanz ich mit dem Stamm der Gorgonien vergleichen möchte. Betrachtet man die thierische Mischung der Pilze und ihr Verhalten beym Galvanisiren, wird man auch noch leichter die Meinung fahren lassen, daß die Pilze zum Gewächsreich gehören und wahre Pfl anzen sind, und sieht man endlich auf ihre Entstehungsart, scheint es mir völlig ausgemacht zu seyn, daß sie nur für Afterorganismen gelten können. Indem thierische oder Pfl anzen-Theile ver-derben oder zergehen, bringt eben diese Verderbnis durch die entweichen-den Theile neue Gestalten hervor, die aus ähnlichen Theilen in ähnlicher Gestalt entspringen, wie z. B. bey jedem verderbenden Holz beynahe ein eigener Pilz jedesmal entsteht, aus unähnlichen Dingen aber auch ganz ver-schieden gebildet werden; so entsteht der Schimmel aus vielerley, an feuch-ten Orten, zergehenden Substanzen, so entspringt die Clavaria militaris blos auf todten Raupen, so der Hausschwamm am feuchten Holz in den Häusern, und alle Pilze auf ähnliche Art. Sollte man hier glauben, daß der Saame von der Clavaria so lange in der Luft herumtriebe, bis er eine todte Raupe träfe? Wie voll Saamen dieser Pilze müßte die Luft seyn, da ich jeden Augenblick in meinem Zimmer und überall Pilze hervorbringen kann, wo ich thierisch oder vegetabilische Theile in feuchter Luft langsam verderben lasse!152,449 – 450 Vgl. Goethe, Die Metamorphose der Pfl anzen, Sämtliche Werke, Bd. 12, 29: 4. Die geheime Verwandtschaft der verschiedenen äuße-ren Pfl anzenteile, als der Blätter, des Kelches, der Krone, der Staubfäden, welche sich nach einander und gleichsam aus einander entwickeln, ist von den Forschern im allgemeinen längst erkannt, ja auch besonders bearbeitet worden, und man hat die Wirkung, wodurch ein und dasselbe Organ sich uns mannigfaltig verändert sehen läßt, die Metamorphose der Pfl anzen genannt. 152,452 – 453 Vgl. ebd., 32: 11. Es sind diese ersten Organe unter dem Namen Kotyledonen bekannt; man hat sie auch Samenklappen, Kernstücke, Samenlappen, Samenblätter genannt, und so die verschiedenen Gestalten, in denen wir sie gewahr werden, zu bezeichnen gesucht.

12. Sie erscheinen oft unförmlich, mit einer rohen Materie gleichsam ausgestopft, und ebenso sehr in die Dicke als in die Breite ausgedehnt; ihre Gefäße sind unkenntlich und von der Masse des Ganzen kaum zu unter-scheiden; sie haben fast nichts Ähnliches von einem Blatte, und wir können verleitet werden, sie für besondere Organe anzusehen.152,464 – 465 Vgl. ebd., 34: 20. Doch breitet sich die fernere Ausbildung unaufhaltsam von Knoten zu Knoten durch das Blatt aus, indem sich die mittlere Rippe desselben verlängert und die von ihr entspringenden Ne-benrippen sich mehr oder weniger nach den Seiten ausstrecken. Diese ver-schiedenen Verhältnisse der Rippen gegeneinander sind die vornehmste Ursache der mannigfaltigen Blattgestalten. Die Blätter erscheinen nunmehr

Anmerkungen 243

eingekerbt, tief eingeschnitten, aus mehreren Blättchen zusammengesetzt, in welchem letzten Falle sie uns vollkommen kleine Zweige vorbilden.152,470 Sorbus bezeichnet die Gattung der Rosengewächse mit rund 100 Arten in den nördlichen gemäßigten Zonen; Bäume oder Sträucher mit ungeteilten oder gefi ederten Blättern. Blüten sind klein und weiß. Die kleinen apfelartigen Früchten sind rot, braun, gelb, grünlich oder weiß. Bekannte Arten sind Eberesche, Elsbeere und Mehlbeere. Hybrid bedeutet Mischbildung, und eine Hybride ist eine aus Kreuzung hervorgegangene Pfl anze.152,475 – 478 Vgl. Goethe, Die Metamorphose der Pfl anzen, Sämtliche Werke, Bd. 12, 38: IV. Bildung des Kelches. 31. Oft sehen wir diese Um-wandlung schnell vor sich gehen, und in diesem Falle rückt der Stengel, von dem Knoten des letzten ausgebildeten Blattes an, auf einmal verlängt und verfeinert, in die Höhe; und versammlet an seinem Ende mehrere Blätter um eine Achse.153,488 Canna (Kanna) indica stellt eine Unterart der canna dar. Canna ist die einzige Gattung der Blumenrohrgewächse mit etwa 50 Arten an sumpfi gen, sonnigen Standorten im tropischen Amerika. Einige Arten sind in Afrika und Asien als verwilderte Kulturpfl anzen verbreitet. Einige Arten sind beliebte, nicht winterharte Zierpfl anzen, so die canna fl accida, eine Warmwasserpfl anze aus den südlichen USA, mit einzelnen, hell schwefelgelben 6 –8 cm langen Blüten. Fer-ner gibt es die unter dem Namen canna generalis zusammengefaßten Hybriden mehrerer Arten (darunter canna indica), von denen zahlose, bis 1,5 m hohe oder nur bis 70 cm hohe Sorten mit grünen, braun-roten oder rötlichen Blättern und Blüten in vielen Gelb- und Rottönen gezüchtet werden. 154,519 Hier fehlen die Manuskriptseiten 284 bis 288 und 291 bis 296. Die beschriebenen Seiten 289 und 290 schließen thematisch an Seite 268 an, so daß sie für unsere Edition umgestellt wurden. Diese Verwirrung scheint erst nachträglich beim Binden entstanden zu sein. Zu den fehlenden Seiten vgl. Gies, 122,19 –124,1: Sie ist immer das Hinaussein, das sich als ein Gleichgül-tiges darstellt. Die Pfl anze hat es nur mit den Elementen zu tun, sie ist Subjektivität, die in der Weise der Individualität existiert; ihr Ansich ist ihre unorganische Natur. Sie ist nicht des Gefühls und der animalischen Wärme fähig. Die einfache Subjektivität verhält sich in dieser einfachen Bestimmtheit. Die Pfl anze fällt in ihre Leiblichkeit hinaus. Die Reizbarkeit der Pfl anzen ist etwas von animalischem Gefühl, aber dies ist noch nicht Empfi ndung; es ist die einfache Abwechslung ihrer Lebendigkeit. Elastisch sind ohnehin mehrere Pfl anzenteile; dies ist nicht unter ihrer Reizbarkeit gemeint. Man hat zwar eine eigene Artikulation des Blattes bemerkt, aber Link hat gezeigt, daß diese Reizbarkeit bleibt. Eine Pfl anze kann an eine solche Erschütterung gewöhnt werden. Es ist eine Lebenserscheinung, daß Blumen bei Tage sich eröffnen, bei Nacht sich schließen.

Die Pfl anze ist ohne animalische Wärme. Sie hat die Auflösung der Ko-häsion in sich nicht, sondern ihr inneres Leben ist Erstarrung. Die Wärme der Gewächse ist ganz abhängig von der äußeren Temperatur nach Fontana.

244 Anhang

Das Holz ist ein schlechter Wärmeleiter; Temperaturveränderungen durch-dringen das Holz sehr spät. Die Gestalt der Pfl anze steht dem Mineralogi-schen viel näher als die tierische Gestalt. Die Zahl bei der Pfl anze ist etwas Bestimmteres als bei den Tieren.

Lebensprozeß der Pfl anze. Sie ist in ihrer Realität der Prozeß der orga-nischen Entwicklung in dieser Sphäre. Das Leben ist [erstens] als einfache Beziehung auf sich, als Prozeß eingeschlossen auf sich selbst, [zweitens] der Prozeß des Unterschiedes, der Prozeß des Lebendigen nach außen; das Dritte ist der höhere Prozeß, nicht gegen eine unorganische Natur, sondern die Einheit von beidem, Unterschied in sich, aber in dieser Einheit sich auf sich beziehend, der Gattungsprozeß. Die Gattung hat die beiden Seiten ihres Gegensatzes und bringt das Allgemeine zur Existenz.

In der Pfl anze sind diese drei Prozesse des einen Lebensprozesses einfacher Natur, sie gehen unmittelbar ineinander über. Das Erste ist der Prozeß der Identität, Beziehung auf sich, das Individuum für sich; zweitens ist es gespannt gegen ein anderes. Der erste Prozeß ist der innere Gestaltungsprozeß der Pfl anze. Was die Pfl anze unmittelbar für sich ist? Sie setzt sich als organischen Punkt und geht in die Länge hinaus, sie zeigt sich als eine Vielheit von Run-dungen und Fäden. Man hat nur Zellengewebe und holzige Fasern entdeckt; dies macht ihre Anatomie aus. Sie ist besonders in neueren Zeiten gefördert worden; besonders Treviranus, Rudolphi, Link; weniger Sprengel. Das Zell-gewebe ist [ein] Haufen von Zellen, die mikroskopisch erscheinen. Der Bast ist ein strafferes Zellgewebe. In unvollkommenen Pfl anzen ist ein sehr verwor-renes Zellgewebe. Diese Zellen sind zum Teil mit Flüssigkeiten erfüllt, zum Teil leer; alle sind voneinander getrennt, geschlossen für sich, so daß sie mit zwei Wänden aneinanderstoßen. Das Zweite sind die Gefäße, einfache Fäden; andere sind spiralförmig gewunden. Dann hat man Rinngefäße entdeckt.154,521 Vgl. Lorenz Oken (1779 –1851), Lehrbuch der Naturphiloso-phie, Jena 1809:

1022. Die Pfl anze ist aber nicht bloß Urorganismus, nicht bloß Planet, sondern auch Lichtorganismus; es muß daher auch ein anatomisches System in ihr sich entwickeln, welches mit dem Lichtprocesse zusammenfällt.

Solche Pfl anzentheile sind höher als die bloßen Zellgewebstheile.1023. Pfl anzentheile, welche außer dem Zellsysteme noch ein anderes

enthalten, haben die Function des Lichtprocesses, des Beherrschens, des Polarisierens in sich.

1024. Außer dem Zellsystem kann nur noch ein einziges System in der Pfl anze zur Ausbildung kommen. Denn die Pfl anze ist der Organismus, welcher nur in seiner letzten Vollendung das Kosmische in sich aufnimmt, die Pfl anze ist nichts als Planet, welcher den Lichtpol nur in sich hat, als abhängig vom Lichte; das Licht ist ihr nur geborgt, sie ist nicht selbst Licht-organismus. […]

1027. Dasjenige System, welches außer dem Zellgewebe noch vorhan-den ist, muß mithin, welches es auch sein mag, das Lichtsystem sein.

Anmerkungen 245

1028. Außer dem Zellsystem sind nur noch die Spiralgefäße als eigen-thümliche Formation in der Pfl anze. […]

1030. Die Spiralgefäße sind das Lichtsystem in der Pfl anze. […]1035. Das Wesen der Spiralgefäße liegt nur in der Faser. Sie sind und

sollen heißen Spiralfasern.1036. Die Spiralfaser entsteht aus dem Gegensatze des Lichts mit dem

Zellgewebe, oder aus dem Gegensatze der Sonne zum Planeten. Es läßt sich einigermaßen denken, wie die Spiralfaser entsteht. Ein Lichtstrahl fährt durch das Pfl anzenbläschen oder durch den Keim, eine polare Linie entsteht von oben bis unten. Die Bläschen oder Zellen, oder die Schleimpuncte ordnen sich allmählich nach dieser polaren Linie an einander. […]

1037. Die Spiralfaser ist Zellgeweb, welches nicht mehr von irdischen Elementen, nicht mehr von Wasser angefüllt, und durch die Erde und die Luft sollicitirt wird. Sondern Zellgeweb, welches das Materiale, die drei irdischen Elemente abstreift, und dem Licht entgegenwächst. […]

1041. Nothwendig muß ein Organ edler sein, je mehr es Spiralfasern erhält. Auch muß die Pfl anze höher stehen, welche mehr Spiralgefäße, und diese vorzüglich geordnet enthält.

Daher bestehen die niedersten Pfl anzen, Flechten und Pilze ganz aus Zellgeweb, daher tritt in den Moosen nur ein einziges Bündel von Spiral-fasern hervor. […]

1043. Die Idee des ganzen Pfl anzenbaues ist äußerst einfach.Ursprünglich ist die Pfl anze ein Bläschen, oder ein Zellgeweb im Samen.

Stamm und Wurzel ist Zellgeweb, welches man Parenchym nennt. Darinn liegen bloß die drei Planetenprocesse verschlossen. Eine solche Pfl anze ist noch in der Bedeutung des Urorganismus. In der Folge tritt aber durch die Einwirkung des Lichtes im Parenchym die Polarität zwischen Licht und Finsternis hervor, das Zellgeweb erhält eine innere Richtung, und es wird in Spiralfasern verlängert.154,528 – 529 Daß Oken unter dem Einfl uß Schellings steht, kommt nicht nur in seiner spekulativen Naturphilosophie zum Ausdruck, sondern läßt sich schon an der Widmung seines Buches erkennen, die wie folgt lautet: Seinen Freunden Schelling und Steffens. 155,575 – 579 Vgl. Steffens, Beyträge, 30: Am interessantesten sind in dieser Rücksicht die Versuche, die Davy anstellte. Er fand, daß mehrere Rohrarten (Bambusa arundinacea, Arundo phragmites), auch Getreidearten und Gräser (als Anthoxanthum odoratum, Poa pratensis u. m.) mehr oder weniger Kiesel enthalten, daß dieser Kiesel sich in der Epidermis oder der zweyten Rinde besonders befi ndet, daß sie hier ein Leuchten durch Reiben mit harten Steinen verursacht, daß, wenn die Epidermis vorsichtig gebrannt wird, sie ihre Gestalt behält, und daß man also die kieselhaltige Epidermis als ein Knochengerüste ansehen kann. 157,633 – 634 Vgl. H. F. Link, Grundlehren der Anatomie und Physiologie der Pfl anzen, Göttingen 1807, 13: Der Übergang des Saftes aus einer Zelle

246 Anhang

in die andere kann also nur durch unsichtbare Poren, als ein Durchschwit-zen geschehen. Man darf sich darüber nicht wundern; auch im thierischen Körper dringen unsichtbare Oeffnun gen, und die älteren Anatomen irr-ten sich oft, indem sie überall Kanäle und offene Wege für Flüssigkeiten suchten.157,636 Carl von Linné (1707 –1778), Systema naturae, Leiden 1735; Philosophia Botanica, Stockholm 1751.159,719 Vgl. Gies, 128,4 –129,24: In der Blume kehrt die Pfl anze in sich zurück; sie wird ein Differentes gegen sich selbst. In der Mitte ist der Keim und die Frucht. In den Keim und die Frucht legt sie die ganze Fülle ihres partikularisierten Seins. Die Frucht zeichnet sich aus durch das in ihr ent-haltene Verbrennliche, das Weinige und Geistige. Die Traube ist die letzte Frucht im Sommer, die früheren Früchte sind die wässrigen, Erdbeeren u. a. Die verschiedenen Teile der Pfl anzen unterscheiden sich durch Wur-zel und Korn als Nahrhaftes; Rinde und Holz sind vornehmlich wirksam in Rücksicht auf die Reproduktion, stärkend, substantielle Wirkung. Die Blüte und Samenfrüchte sind fl üchtige Reize, die vornehmlich Nerven-wirkungen haben.

Im Keime nimmt sich die Pfl anze in sich zurück; der Keim ist unfrucht-bar, das Leben der Pfl anze entsteht im Verhältnis zu Anderem. Indem sie die Beziehung auf sich wirklich setzt, ist sie die Subjektivität. So ist dieser Punkt des Lebens für sich, und dies ist der Tod der Pfl anze; kommt sie zur Frucht, so hat sie ihre Bestimmung überschritten. Indem sie sich selbst berührt, hebt sie die unmittelbare Einzelheit, in der sie ist, auf; sie setzt sich als solches, das wesentlich nur ist als identisch mit einem andern. Sie ist ein Vermitteltes, negiert sich in ihrem Allgemeinen oder ihrer Gattung. Die Pfl anze fängt diesen Kreislauf von vorn an: dies ist die Langeweile der Natur, ein und dasselbe zu wiederholen. Diese Wiederholung ist nur in der Existenz, im Begriff geht sie in eine höhere Sphäre, und dies ist das animalische Leben, die Lebendigkeit als solche. Die Pfl anze hat ihr organisches Leben nur als unmittelbare Einzelheit; diese hebt sich im Hervortreten der Gattung auf, die Pfl anze hat ihre Wahrheit erreicht.

[C. Der tierische Organismus]

Das Dritte ist das Lebendige als solches, erst hier ist die Lebendigkeit wirk-lich, weil dies Leben an und für sich nur das Dritte ist. Im Tiere ist das Reale subjektiv geworden, das subjektive System der Sonne. Das Tier hat die Totalität des Systems in seine Idealität aufgenommen; es kann durchaus nur spekulativ gefaßt werden. Es ist lauter Leben, Moment des Prozesses, die Subjektivität kommt zu ihrer Wirklichkeit. In dieser Wirklichkeit refl ektiert es unmittelbar auf sich; dies ist Allgemeinheit, die unmittelbare Einzelheit oder Subjektivität ist; die sich auf sich beziehende Negativität; dies ist das

Anmerkungen 247

Positive, die Identität; die Unruhe, ein Sein, das immer schlechthin Werden ist. Die animalische Natur ist ein Subjekt, die Seele, der Begriff, der existiert. Die Seele ist der Begriff selbst als das Begreifende. Das Animalische ist leiblich, hat ein äußerliches Dasein, das Leben der Idee. Diese Leiblichkeit drückt die Momente des Begriffs aus; ein Glied, abgetrennt, ist nicht mehr, was es ist. Das Tier ist in seiner Körperlichkeit zugleich in sich, ein Sein, das sich immer negiert, aufhebt, was zum gleichgültigen Sein kommen will. Dies ist das Tier nicht für sich, sondern für uns, sonst wäre es selbst Geist, selbst Denkendes. Das Tier ist an keinen bestimmten Inhalt gebunden; es wird sich objektiv nur mit einem bestimmten Inhalt. Diese unbestimmte Form ist das Allgemeine.166,945 – 946 Hegel meint wohl hier die Abhandlung Goethes Dem Men-schen wie den Tieren ist ein Zwischenknochen der obern Kinnlade zuzu-schreiben. Diese Abhandlung wurde 1820 in den Morphologischen Heften ver öffent licht.167,981 Es scheint, daß Hegel sich an dieser Stelle nicht direkt auf Paul Erman (1764 –1851) bezieht, sondern den Ausführungen Treviranus’ folgt, der seinerseits ausführlich über Erman spricht. Dabei stammt die Theorie der Veränderung der Kohäsion in den Muskeln eher von Treviranus als von Erman. Vgl. dazu G. R. Treviranus (1776 –1837), Biologie, Bd. V, 238: Die Zunahme an Dicke bey der Verkürzung ist indeß nicht allgemein. Sie scheint nicht bey den reitzbaren Pfl anzen und auch nicht bey allen thierischen Bewegungsorga-nen, z. B. beym Uterus, statt zu fi nden, und da, wo sie eintritt, nicht so beträchtlich zu seyn, daß der zusammengezogene Theil eben so viel an Dicke gewinnt, als er an Länge abnimmt; es ist vielmehr wahrscheinlich, daß mit der Zusammenziehung eine wirkliche Zunahme der Cohäsion verbunden ist. Weiter unten (ebd., 243) berichtet Treviranus über den Versuch Ermans: Erman verschloß einen, an beyden Enden offe nen Glas cylin der unten mit einem Kork, durch welchen ein Platindrath ging, und füllte ihn mit Wasser. In dieses brachte er ein Stück von dem Schwanz eines leben-den Aals, und verstopfte dann die obere Oeffnung des Cylinders ebenfalls durch einen Kork, durch welchen auch ein Platindrath und außerdem noch eine, an beyden Enden offene, enge Glasröhre ging. Bey dem Eindrücken des letzteren Korken trat etwas Wasser in die Röhre, dessen Stand genau bezeichnet wurde. Als hierauf Erman das Rückenmark mit dem einen, die Muskeln mit dem anderen Drath verband, und beyde Dräthe mit den Polen einer Voltaischen Säule in Berührung setzte, fi el jedesmal das Wasser in der kleinen Röhre bey der Zusammenziehung der Muskeln um 4 bis 5 Linien, und zwar stoßweise. Während des Geschlossenseyns der Kette stieg dasselbe wieder auf den vorigen Punkt, aber viel langsamer als es gefallen war, und auf diesem erhielt es sich, so lange das Geschlossenseyn dauerte. Bey der Trennungszuckung fi el es von neuem eben so schnell und eben so tief, wie bey der Schließung, und kehrte nachher auf den vorigen Stand zurück. Schließlich folgert Treviranus (ebd., 246 f ): Inzwischen diese unrich-

248 Anhang

tige Analogie thut den Erfahrungen Erman’s keinen Eintrag. Sie beweisen allerdings in Verbindung mit den von Gruithuisen und Swammerdamm gemachten Beobachtungen, daß bey der Zusammenziehung des Muskels eine Zunahme der Cohäsion desselben eintritt, und reihen sich an die, von Borelli entdeckte und von Carlisle bestätigte Tatsache, die ohne sie schwer zu erklären seyn würde, daß die Muskeln während des Lebens im zusam-mengezogenen Zustand Lasten tragen, wovon sie nach dem Tode zerrissen werden, so wie an Carlisle’s Erfahrung, daß zusammengezogene Muskeln eine größere specifi sche Schwere als er schlaffte haben.167,990 Hier bezieht sich Hegel wahrscheinlich nicht direkt auf Albrecht von Haller (1708 –1777), sondern auf die Ausführungen von Treviranus, Biologie, Bd. IV, 264: In einer Schrift von C. F. Daniel fi ndet sich die Zergliederung eines Kindes, welches ohne Herz und Lungen gebohren wurde, dennoch aber Arterien und Venen hatte. Daniel schloß mit Recht aus diesem Fall, daß das Herz nicht die einzige Triebfeder des Blutumlaufs seyn könne. Haller suchte dagegen seine Meinung durch die ganz willkürliche und höchst unwahrscheinliche Voraussetzung zu retten, daß ursprünglich ein Herz vorhanden gewesen wäre, daß dieses aber zerstört worden sey, und daß nach dem Verlust desselben das Blut die unentbehrliche, obgleich schwache Bewegung von der Natur erhalten hätte. Weiter unten (ebd., 273) heißt es: Le Gallois scheint gar nicht geahnet zu haben, daß eine andere Theorie der Bewegung des Bluts möglich wäre, als die Hallersche, nach welcher das Herz die einzige Triebfeder dieser Bewegung ist. Der oben erwähnte C. F. Daniel (1714 –1771) ver öffent lichte eine Abhandlung mit dem Titel Sammlung medicinischer Gutachten und Zeugnisse […] samt einer Abhandlung über eine besondere Mißgeburt ohne Herz und Lungen, Leipzig 1776. 168,5 –10 Hegel benutzt auch hier wohl nicht die direkte Quelle, sondern das, was er über Julien Jean César Legallois (1770 –1814) ausführt, entnimmt er den Ausführungen von Treviranus, Biologie, Bd. IV, 272 f: Es läßt sich also kein anderes Resultat ziehen, als dieses, daß das Blut eine eigene bewegende Kraft hat, die von dem Nervensystem abhängt, und zu deren Fortdauer der ungestörte Einfl uß dieses Systems, besonders des Rückenmarks, nothwen-dig ist. Von den Erfahrungen, worauf dieses Resultat beruht, gehören die-jenigen, welchen der Einfl uß der Zerstörung des Rückenmarks auf den Kreislauf be treffen, einem neuern Schriftsteller, Le Gallois. Dieser hat aus denselben Folgerungen gezogen, welche von den meinigen sehr abweichen. Seine Hypothese scheint in Frankreich den allgemeinsten Beyfall gefunden zu haben. Ich bin daher genöthigt, sie hier zu beleuchten. Nach Le Gallois ist das Herz die einzige Triebfeder der Bewegung des Bluts. Dieses erhält seine Kräfte aus allen Theilen des Rückenmarks durch den sympathischen Nerven. Der Herzschlag ist nicht, wie Haller glaubte, unabhängig von dem Einfl uß des Nervensystems. Die nach der Zerstörung des Rückenmarks im Herzen übrig bleibenden Bewegungen der Hallerschen Irritabilität sind sehr verschieden von denen, welche den Blutumlauf hervorbringen.

Anmerkungen 249

Treviranus berichtet von dem Versuch Legallois’ (ebd., 274 f ): Le Gallois stellte in Beziehung auf diesen Schluß mehrere Versuche an. Er unterband an ei-nigen Kaninchen die Aorta in der Gegend der Lendenwirbel, und zerstörte das Rückenmark zwischen dem letzten Rückenwirbel und dem ersten Lendenwirbel; anderen Kaninchen schnitt er den Kopf ab, unterband die Carotiden und die Jugularvenen, zerstörte den Halstheil des Rückenmarks, und ersetzte das Athmen durch Einblasen von Luft in die Lungen; bey noch anderen nahm er die ganze untere Hälfte des Körpers bis auf die Brust, den Magen, die Leber und den zu diesen Organen gehörigen Theil des Rückenmarks, und oben den Kopf weg, legte Ligaturen um die Gefäße, und setzte die Lungen durch Einblasen in Bewegung. In allen drey Fällen dauerte der Kreislauf zwischen dem Herzen und den Ligaturen eine län-gere oder kürzere Zeit fort, wenn die Versuche mit der gehörigen Vorsicht angestellt waren, unter anderem bey einem dreytägigen Kaninchen, woran der dritte Versuch gemacht war, länger als drey Viertelstunden. 170,104 –109 Christoph Ludwig Friedrich Schultz (1781–1834), Staatsrat und Regierungsbevollmächtigter bei der Berliner Universität, später Privatgelehrter, ver öffent lichte Über physiologische Gesichts- und Farbenerscheinungen, in: J.-S. C. Schweigger’s Journal für Chemie und Physik, Bd. XVI, Nürnberg 1816, 121–157. Hegel bezieht sich wohl auf folgende Paragraphen: § 26. Zum normalen Sehen mit beiden Augen gehört das gleiche Normiren der Dimensionen in beiden Augen, § 27. also auch das Durchschneiden der beiden Augen-Achsen in einem und demselben Puncte. § 28. Jeder Punct, welcher nicht dieser Durchschnitts- oder Bereinigungs-Punct der beiden Augen-Achsen selbst ist, liegt also vor oder hinter demselben. § 29. Er muß also, in so fern er mit beiden Augen gesehen wird, doppelt erscheinen; alles abnorme Sehen mit beiden Augen ist also ein Doppelsehen.172,149 –151 Vgl. Goethe, Farbenlehre, Didaktischer Teil, Sämtliche Werke, Bd. 10, 199 f: § 660. Die Einwirkung des Lichts auf die Federn und ihre Far-ben ist durchaus bemerklich. So ist z. B. auf der Brust gewisser Papageien die Feder eigentlich gelb. Der schuppenartig hervortretende Teil, den das Licht bescheint, ist aus dem Gelben ins Rote gesteigert. So sieht die Brust eines solchen Tiers hochrot aus; wenn man aber in die Federn bläst, erscheint das Gelbe. § 661. So ist durchaus der unbedeckte Teil der Federn von dem im ruhigen Zustand bedeckten höchlich unterschieden, so daß sogar nur der unbedeckte Teil, z. B. bei Raben, bunte Farben spielt, der bedeckte aber nicht, nach welcher Anleitung man die Schwanzfedern, wenn sie durch-einandergeworfen sind, sogleich wieder zurechtlegen kann. 174,227 – 229 Die Geschichte mit den englischen Matrosen stammt aus der Reise-beschreibung William Blighs (1754 –1817), A Voyage to the South Sea, […] including an account of […] the subsequent voyage […] in the ship’s boat, from Tofoa […] to Timor, London 1790, 191 f: With respect to the pres-ervation of our health, during a course of sixteen days of heavy and almost continued rain. I would recommend to every one in a similar situation, the

250 Anhang

method we practised, which is, to dip their clothes in salt-water, and wring them out, as often as they become filled with rain: it was the only resource we had and I believe was of the greatest service to us, for it felt more like a change of dry clothes than could well be imagined. We had occasion to do this so often, that at length all our clothes were wrung to pieces: for, except the few days we passed on the coast of New Holland, we were continually wet either with rain or sea. […] Extreme hunger was […] too evident, but no one suffered from thirst, nor had we much inclination to drink, that desire, perhaps, being satisfi ed through the skin. Vgl. dazu auch den Zusatz zum § 365 der Berliner Enzyklopädie (MM 9. 486 f ): Weiter herauf bei höher gebildeten Tieren findet sich ebenfalls diese unmittelbare Verdauung. Es ist eine bekannte Erfahrung beim Drosseln- und Krammetsvögelfang, daß, wenn sie ganz mager sind, sie nach einem nebligen Morgen in der Zeit von einigen Stunden ganz fett werden; das ist eine unmittelbare Verwandlung dieser Feuchtigkeit in animalischen Stoff, die ohne weitere Abscheidung und Durchgang durch die vereinzelten Momente des Assimilationsprozesses geschieht. Auch der Mensch verdaut unmittelbar, wie die Geschichte des englischen Schiffes auf der See beweist, dessen Matrosen, nachdem ihnen das Wasser ausgegangen und auch das sehr mühsam in Segeln aufgefangene Regenwasser nicht ausreichte, ihre Hemden naß werden ließen, auch sich selbst ins Meer getaucht und so den Durst gestillt haben, so daß die Haut also aus dem Meer das bloße Wasser ohne das Salz eingesogen hat.174,237 Es scheint, daß hier die Quelle Hegels nicht das Werk Georges Cuviers (1769 –1832) selber ist, sondern eher die Ausführungen von Treviranus, Biologie, Bd. IV, 348: Die auflösende Kraft ist auch nicht dem Magensaft ausschließ-lich eigen. Im minderen Grade besitzt jeder Theil des thierischen Körpers das Vermögen, fremdartige Substanzen zu verzehren. Knochen, Fleisch und andere thierischen Theile, die P. Smith in die Bauchhöhle, oder unter das Fell lebender Thiere brachte, wurden hier völlig aufgelöst. Hieran läßt sich eine merkwürdige Beobachtung erklären, die Cuvier an der Salpa Octo-fora machte. Er fand bey mehreren dieser Thiere im Innern derselben, aber außer halb ihrem Magen, Theile einer Anatifa, woran alles, bis auf die äußere Haut, zerschmolzen und verschwunden war, und die vermuthlich durch die Oeffnung, wodurch die Salpen Wasser einziehen, hereingekommen waren. Diese Thiere haben zwar einen Magen. Vielleicht aber verdauen sie eben so viel außerhalb, als innerhalb demselben, und machen den Uebergang zu denjenigen Organismen, bey welchen das Athemholen, die Verdauung und mehrere andere Funktionen durch einerley Organe geschehen. Vgl. auch Hermann Friedrich Autenrieth (1772 –1835), Handbuch der empirischen menschlichen Physiologie. Zum Gebrauche seiner Vor lesungen, 3 Bde., Tübingen 1801, Bd. II, § 597: Man hat gesehen, daß Stückchen von Fleisch, in kleinen Beuteln von Leinwand eingeschlossen, und in die Bauchhöhle einer lebenden Katze gebracht, sich auf ähnliche Art wie im Magen bis auf kleine Knochenstückchen in einen Brey auflösten. Eben dieses geschahe,

Anmerkungen 251

wenn solches Fleisch unter die Haut lebendiger Thiere auf die bloße Mus-keln gebracht, und eine Zeitlang daselbst gelassen wurde. Hierher scheint auch zu gehören, daß bey Beinbrüchen die Natur, während sie eine Menge Feuchtigkeit um den Ort des Bruchs ergießt, die scharfen Knochenenden erweicht und ganz auflöst; daß ferner das geronnene Blut in geschlossenen gequetschten Stellen des Körpers nach und nach wieder aufgelöst, fl üssig, und zuletzt wieder eingesogen wird. 174,241 Ipecacuanha ist als Brechwurzel bekannt und ist die Wurzel der bra-silianischen Pfl anze Cephaelis ipecacuanha. Sie enthält die brechenerregenden Alkaloide Emetin und Cephaelin und wird zur Behandlung der tropischen Amö-benruhr und als auswurfförderndes Mittel bei Bronchialkatarrh verwendet. 176,294 – 295 Vgl. Cuvier, Vorlesungen über vergleichende Anatomie, ge-sammelt und unter seinen Augen hrsg. von C. Mumeril. Aus dem Französischen übersetzt und mit Zusätzen versehen von Gotthelf Fischer, 4 Bde., Braunschweig 1801, Bd. I, 48: Der Chylus, welcher durch die Wirkung der Verdauungsor-gane auf die nährenden Substanzen hervorgebracht wird, wird den Theilen auf zwo verschiedene Arten überliefert: er schwitzt entweder ganz einfach durch die Wände des Darmkanals hindurch, um den ganzen innern Körper zu besetzen, oder wird von besonderen Gefäßen angesogen, welche den-selben in die Masse des Bluts bringen. Der erste Fall ist der der Zoophyten, und, wie ich glaube, auch der gewöhnlichen Insekten, welche keine Art von Gefäßen, welche zum Kreislauf tauglich wären, zu haben scheinen. Was die anderen Thiere be trifft, nämlich die Mollusca und alle Thiere mit Wirbelbeinen, welche absorbierende Gefäße haben, so bieten diese zwo neue Verschiedenheiten dar. Die letzteren haben rothes Blut, und weiße Lymphe und Chylus; die anderen haben fast alle diese beiden Flüssigkeiten von einerlei Farbe.176,300 – 307 Vgl. Treviranus, Biologie, Bd. IV, 617: Allein bey näherer Untersuchung ergeben sich Mißverhältnisse zwischen den Bestandtheilen der Nahrungsmittel, den assimilirten Materien und den Aus wurfs stoffen, die sich mit jener Annahme nicht vereinigen lassen. Besonders zeigen sich diese an der Phosphorsäure und der Kalkerde. Fourcroy und Vauquelin finden im Mist der Pferde mehr phosphorsauren Kalk, so wie im Koth der Vögel mehr kohlensauren und phosphorsauren Kalk, als sich aus dem Futter abscheiden ließ. Bey den Vögeln verschwindet dagegen eine gewisse Quantität im Fut-ter befi ndlicher Kieselerde. An dem Schwefel würde sich vielleicht dasselbe zeigen, wenn dessen Ursprung im thierischen Körper genau untersucht würde. Das Natrum aber findet sich auch in dem Körper pfl anzenfressender Thiere, in deren Nahrungsmitteln keine bedeutende Quantität dieses Salzes enthalten ist. Hingegen liefert der Urin des Löwen und Tigers, worin man weit eher Natrum erwarten solle, nach Vanquelin’s Versuchen Kali, und zwar in großer Menge.181,474 – 476 Vgl. Cuvier, Vorlesungen über vergleichende Anatomie, Bd. I, 95: Die fl eischfressenden Thiere, welche durch die Stellung ihrer

252 Anhang

Nägel von den nagenden Thieren nicht sehr abweichen, haben ein un-gleich vollkommenes Gebiß; ihre Schneidezähne sind kurz und stark, ihre Eckzähne groß und spitzig, und ihre Backenzähne angezackt und schnei-dend, und diese drei Arten von Zähnen zusammengenommen, bilden eine ununterbrochene Reihe. Der Darmkanal ist kurz bei den fl eischfressenden Thieren, ihr Magen und ihr Blinddarm klein; dieser letztere fi ndet sich gar bei denjenigen unter ihnen nicht, welche auf die ganze Fußsohle auftre-ten, oder deren Körper sehr lang und auf sehr kurze Füße gestellt ist. Alle haben einen mehr oder weniger dünnen Leib, wegen der Kleinheit ihrer Eingeweide.181,478 – 480 Vgl. ebd., Bd. I, 67 f: Ein Thier also, welches nur Fleisch verdauen kann, muß, unter Strafe der Vernichtung seiner Gattung, die Fähigkeit besitzen, sein Wildpret zu entdecken, zu verfolgen, zu ergreifen, zu überwinden, zu zerstückeln. Es ist ihm also ein durchdringendes Ge-sicht, ein feiner Geruch, ein schneller Lauf, Geschicklichkeit und Stärke in den Klauen und Kinnladen außerordentlich nöthig. Also wird niemals ein scharfer Zahn, welcher geschickt ist, das Fleisch zu zerlegen, in derselben Gattung mit einem Fuß zugleich sich fi nden, welcher mit Horn überzogen ist, welcher das Thier wohl unterstützen, mit welchem es aber nicht ergrei-fen kann. Daher die Regel, daß jedes Thier mit Hufen graßfressend ist; und die noch mehr einzelnen Regeln, welche nur Folgerungen aus der erstern sind, daß Hufen an den Füßen Backenzähne mit platter Krone, einen sehr langen Darmkanal, einen weiten und vielfachen Magen, und eine große Menge andere Verhältnisse derselben Art, anzeigen.182,513 – 514 Vgl. Aristoteles, Historia animalium, I,4; III,7. Aristoteles unterteilt die Tiere in Bluttiere und blutlose Tiere.182,519 –183,520 Im Manuskript steht: die steife Lamarcksche Einteilung. Diese Bezeichnung dürfte auf einen Fehler Ringiers zurückgehen, denn in der Regel wurde die Linnésche Einteilung als »steif« empfunden. Die neuzeitliche Einteilung in Wirbeltiere und wirbellose Tiere, die sich mit jener des Aristoteles von Tieren mit und ohne Blut weitgehend deckt, geht zentral auf den schwedischen Naturforscher Carl von Linné zurück. Linné unterteilt die Tiere in sechs Klassen: Säugetiere, Vögel, Amphibien, Fische, Insekten und Würmer. Die Franzosen Jean-Baptiste Antoine Pierre de Monnet, Chevalier de Lamarck (1744 –1829) und Georges Cuvier haben zwar an Linné angeknüpft, aber die zunehmend als zu steif empfundene Einteilung Linnés zugunsten einer als ›natürlicher‹ angesehenen Einteilung aufgegeben. Lamarck hat die Gattung der wirbellosen Tiere, die bei Linné eine Rumpelkammer geblieben war, zu klassifi zieren begonnen; vgl. La-marck, Philosophie zoologique, ou Exposition des Considérations relatives à l’histoire naturelle des Animaux, Paris 1800, 117: Pour éviter toute équi-voque, ou l’emploi d’aucune considération hypothétique […] je divisai la totalité des animaux connus en deux coupes parfaitement distinctes, savoir: Les Animaux à vertèbres, Les Animaux sans vertèbres; ders., Système des animaux sans vertèbres, Paris 1801; Histoire naturelle des animaux sans ver-

Anmerkungen 253

tèbres, 7 Bde., Paris 1815 –1822. Lamarck berücksichtigte bei seiner Klassifi zie-rung auch das Gefühls- und Empfi ndungsvermögen sowie die Intelligenz der Tiere. So unterteilte er diese in drei Klassen: apathische, empfi ndsame und intelligente Tiere. Cuvier hingegen betonte den funktionalen Zusammenhang der verschie-denen Körperteile eines Tieres und teilte die Tiere in vier Klassen ein: Animalia Vertebrata, Animalia Mollusca, Animalia Articulata und Animalia Radiata; vgl. dazu auch den ausführlichen Kommentar von Petry (III, 366 ff). 185,597 Die Rede ist von Hans Adolf Goeden (1785 –1820). Hegel erwähnt ihn wohl deshalb, weil Goeden seinen Begriff der Krankheit kritisiert hat. Goeden arbeitete als Arzt und ver öffent lichte daneben verschiedene theoretische Abhand-lungen wie Andeutung der Idee des Lebens (Berlin 1808), Ein Fragment zum System der Krankheiten des Menschen (Berlin 1806) und Theorie der Ent-zündung (Berlin 1811).Vgl. dazu Goeden, Über Hegel’s Begriff vom Wesen der Krankheit und der Heilung, in: Isis oder Encyclopädische Zeitung von Oken, Bd. II, Jena 1819, Hefte VII –XII, 1127 –1138, 1129 f: Diese Bestim-mung vom Wesen der Krankheit ist nicht erschöpfend und die Idee davon aussprechend, sondern verfehlt. Sie genügt nicht einmal zur Bestimmung der einen Classe von Krankheiten, und ist für die zweite geradezu falsch. Das Wesen der Krankheit ist nicht dadurch begründet: daß ein System oder Organ in seiner besonderen Thätigkeit gegen die des Ganzen beharret, und durch seine Selbstsucht die freye Lebensbewegung des Ganzen trübt; dies ist erst äußere Folge der Krankheit, ihr Zeichen in der Erscheinung, die Bedeutung des Symptoms; nicht mit dem Organismus kommt durch die Krankheit das Gebilde in Widerspruch, sondern zuerst und unmittelbar mit sich selbst, mit seinem eigenen Wesen; die gehemmte Thätigkeit des Gan-zen ist erst Folge und Refl ex von der Hemmung der freyen Bewegung im Einzelnen. Goeden kritisierte des weiteren Hegels Ausführungen über das Fieber. Vgl. dazu ebd., 1133: Hiedurch ist das Wesen des Fiebers nicht bestimmt, mehr seine äußere Erscheinung, sein Symptom. Es giebt keinen Kampf der Totalität gegen die vereinzelte Thätigkeit, denn diese Vereinzelung einer Thätigkeit ist nicht im Ganzen gegeben, sondern nur in einem Gebilde, in einem System, daher kann auch nur von diesem, aus seiner Selbstkraft die Bewegung gegen den Fieberreiz, gegen das fremde Element ausgehen. Auch hat das Fieber sein Wesen nicht in der Vereinzelung einer Thätigkeit, sondern in dem selbstsüchtigen Triebe eines Elements, der nur äußerlich als Thätigkeit erscheint, insofern er die innere organische Kraft zur Reaction und zur Bewegung gegen das sich heterogen entwickelnde und aus der organischen Bahn abweichende Element erregt. Vgl. auch Petry III, 371 f. 187,658 Die Bezeichnung »Brownianismus« geht auf den englischen Medizi-ner John Brown (1735 –1788) zurück. Das nach ihm benannte System besagt: Alle Leiden sind durch ein Mißverhältnis zwischen Reizstärke und Erregbarkeit gegeben, durch das eine zu schwache (Asthenie) oder zu starke Erregung (Sthenie) ausgelöst wird. Diese Lehre war von großem Einfl uß auf die Heilkunde ihrer Zeit; die neuzeitliche Lehre vom Reiz erkennt sie im Kern an.

254 Anhang

187,677 In der griechischen Mythologie war Antaios einer der Giganten, gegen den Herakles im Bunde mit den olympischen Göttern kämpfte. Herakles konnte ihn trotz seiner ungeheuren Kraft nicht besiegen, weil dieser, wenn er niedergewor-fen wurde, durch die Berührung mit der Erde – seiner Mutter – immer wieder neu belebt und sogar gestärkt wurde. Herakles konnte Antaios nur überwinden, indem er ihn hochstemmte und tötete.

PERSONENVERZEICHNIS

Das Personenregister gilt für den Textteil und ausschließlich für historische Perso-nen. Adjektivisch gebrauchte Namen sind unter den entsprechenden Namen mit-verzeichnet.

Allix 65Aristoteles 18, 138, 182Bernoulli 39Berzelius 133, 134Boerhaave 121Brown 187Buffon 64(Büttner) 57Chladni 93Cuvier 174, 181 fDalton 133Davy 69, 127Descartes (Cartesius) 49 fDollond 61Erman 167Euklid 17Euler 61Fries 61Galilei 38, 42Galvani 123Goeden 185Goethe 14, 55 – 57, 59 – 63, 110,

152 f, 166, 172, 185Gren 60Haller, A. von 167Hamberger 88Haüy 105Herschel 33(Hieron) 135Hogarth 99Humboldt, A. von 70, 103Kant 14, 27, 81, 138

Kepler 38 – 41, 44 – 46Kopernikus 38, 44Lamarck 182Laplace 39Lavoisier 126 fLe Gallois 168Leibniz 19, 38Lichtenberg 113Link 135Linné 157, 182Malus 62Newton 27, 30 f, 38 – 41, 44 f,

55 – 62, 110, 113Oken 154Paracelsus 65Pfaff 61Pythagoras 16, 18, 26Richter 133Ritter 103, 113, 123Rudolphi 147Rumford 95Schelling 27, 45, 65, 82, 87,

101, 121 f, 154Schubert 119Schultz, Ch. L. F. 170Steffens 87, 121, 131, 145Vogler 92Volta 118, 121–123Voltaire 44Werner 141Winterl 119Zeno(n) von Elea 15, 30