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375 In Bd. 5, Heft 2 der ,,Annalen der Physik" (1930) erschien eine Arbeit von J. Schechtniann, die eine Reihe von Fragen betreffend die Intensitatsmessung der Rontgenstrahlen nach der Ionisationsmethode behandelt. Zahlreiche Messungen dieses Autors veranschaulichen deutlich, wie grofl bei der Unter- suchung mittels der Ionisationsmethode die Fehler sein konnen, die von den geometrischen und elektrischen Versuchsbedin- gungen abhangen. In dieser Hinsicht ist die Arbeit zweifels- ohne von Iuteresse. Was dagegen einige Schluflfolgerungen des Verfassers betrifft, mufl manches eingewendet werden. Es la& sich vor allem vermerken, daB der Autor zu einer vie1 zu weitgehenden Verallgemeinerung der Bedeutung jenes Faktors neigt, den er als die Feldverzerrung im Mefl- raume der Ionisationskammer bezeichnet. Er scheint zu glauben, dafl bei allen absoluten Messungen in r-Ninheiten die Forderung gilt, dafl die Kraftlinien perpendikular zur Achse der zylindrischen Ionisationskammer verlaufen. Aus diesem Grunde schlagt der Autor sogar vor, die Definition der r-Einheit durch die Forde- rung einer ,,Vermeidung der Kraftfeldverzerrung in dem Mefl- raume der Ionisationskammer" zu erganzen (S. 194). Tatsachlich kommt aber der Form des Feldes bei der- artigen Messungen gar keine prinzipielle Bedeutung zu: wie bekannt, gilt die Forderung, daB die Kraftlinien im Gebiete der Meflelektrode in den zur Achse der Kammer perpendiku- laren Ebenen liegen sollea, nur in Fallen, wo die sogenannten Schutzelektroden angewendet werden, da sich unter dieser Be- dingung der Raum der primken Ionisation auflerst einfach be- rechnen la& - als Produkt der Oberflache der Offnung im

Bemerkungen zu der Arbeit von J. Schechtmann: „Über die Intensitätsmessung der Röntgenstrahlen nach der Ionisationsmethode”

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Page 1: Bemerkungen zu der Arbeit von J. Schechtmann: „Über die Intensitätsmessung der Röntgenstrahlen nach der Ionisationsmethode”

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In Bd. 5, Heft 2 der ,,Annalen der Physik" (1930) erschien eine Arbeit von J. Schechtn iann , die eine Reihe von Fragen betreffend die Intensitatsmessung der Rontgenstrahlen nach der Ionisationsmethode behandelt. Zahlreiche Messungen dieses Autors veranschaulichen deutlich, wie grofl bei der Unter- suchung mittels der Ionisationsmethode die Fehler sein konnen, die von den geometrischen und elektrischen Versuchsbedin- gungen abhangen. In dieser Hinsicht ist die Arbeit zweifels- ohne von Iuteresse. Was dagegen einige Schluflfolgerungen des Verfassers betrifft, mufl manches eingewendet werden.

Es la& sich vor allem vermerken, daB der Autor zu einer vie1 zu weitgehenden Verallgemeinerung der Bedeutung jenes Faktors neigt, den er als die Feldverzerrung im Mefl- raume der Ionisationskammer bezeichnet. Er scheint zu glauben, dafl bei allen absoluten Messungen in r-Ninheiten die Forderung gilt, dafl die Kraftlinien perpendikular zur Achse der zylindrischen Ionisationskammer verlaufen. Aus diesem Grunde schlagt der Autor sogar vor, die Definition der r-Einheit durch die Forde- rung einer ,,Vermeidung der Kraftfeldverzerrung in dem Mefl- raume der Ionisationskammer" zu erganzen (S. 194).

Tatsachlich kommt aber der Form des Feldes bei der- artigen Messungen gar keine prinzipielle Bedeutung zu: wie bekannt, gilt die Forderung, daB die Kraftlinien im Gebiete der Meflelektrode in den zur Achse der Kammer perpendiku- laren Ebenen liegen sollea, nur in Fallen, wo die sogenannten Schutzelektroden angewendet werden, da sich unter dieser Be- dingung der Raum der primken Ionisation auflerst einfach be- rechnen la& - als Produkt der Oberflache der Offnung im

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Diaphragma und der Lange der MeBelektrode. In anderen Fallen, beispielsweise wenn der Raum der primaren Ionisation durch die E’enster zum Ein- und Austritt der Rontgenstrahlen begrenzt wird, ist die Form der Kraftlinien vollig bedeutungslos. Solche Bedingungen lagen eben bei Becke r und Ho l thusen’ ) und bei Kus tner2) in seiner Arbeit uber die absolute Messung der Rontgenstrahlendosis vor. Der von S c h e c h t m a n n an H o l t h u s en gerichtete Vorwurf, die Kraftfeldverzerrung nicht in Betracht gezogen zu haben (S. 155) darf also nicht als be- griindet bezeichnet werden.

Pem Vorschlage des Autors, die Forderong der Ver- meidung einer Feldverzerrung in die Definition der r-Einheit aufzunehmen, kann man keineswegs zustimmen, d s die Definition zweifelsohne nur Bedingungen von prinzipielleni Charakter ent- halten darf, die ausnahmslos in allen Fiillen erfullt werden mussen. Der Verlauf der Kraftlinien perpendikular zu der Kammerachse ist dagegen, wie bereits erwiihnt, nur in Spezial- fiillen erforderlich, wenn man sich einer einfachen Formel zur Berechnung des Tonisationsraumes in Iiammern mit Schutz- elektroden bedient.

Was den Einflufl betrifft, den die Feldverzerrung im Innern der Kanimer auf die Messungsresultate bei der Arbeit rnit Schutzelektroden ausiiben kann, so wurde dieser EinfluB bereits in der ersten Arbeit uber die Messung der Rontgen- strahlendosis in r-Einheiten, namentlich in der Arbeit von Behnken und Jage r s ) aufs ernstlichste beriicksichtigt, worauf auch der Autor der zu bespreclienden Mitteilung hinweist. Es liiiBt sich nicht bezweifeln, daB die samtlichen Fehlerquellen, die von S c h e c h t m a n n behandelt werden, - namentlich die Wirkung der Potentialdifferenz der MeBelektrode und der Schutz- elektroden, der Differenz im Purchmesser dieser Elektroden und der Abstand der Enden der MeBelektrode von den Stirnflachen der Kammer - in der Arbeit von Behnken und J a e g e r auf vollig genugende Weise ausgeschaltet waren.

1) A. Becker und H. H o l t h u s e n , Ann. d. Phys. 64. S.625. 1921. 2) H. Kuetner , Strahlenther. 27. 2. S. 331. 1927. 3) H. B e b n k e n und R. J a e g e r , Ztechr. f. tecbn.Phys. 12. S. 563.

1926.

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Behnken und J a e g e r haben auch ein Kriterium fest- gestelltj welches das Ausbleiben einer Feldverzerrung im Innern der Kammer verbiirgt, namentlich die Proportionalitat des Ioni- sationsstromes der Lange der MeBelektrode. Dieses Kriterium wird auch vom Verfasser der zu besprechenden Arbeit benutzt.

Es ist also schwer verstandlich, aus welchen Grunden der Verfasser die Forderung: ,,Bei der Feststellung der Standard- methoden fur r-Einheitsmessungen mup man die Moglichkeit der Kraftfeldverzerrung in der Kammer in Betracht ziehen" - als eine SchluBfolgerung aus seiner Arbeit betrachtet (S. 194).

Im 0 4 (S. 178) werden Messungsresultate angefuhrt, welche zeigen, daB bei starken Feldverzerrungen (infolge einer Difforenz im Durchmesser der MeBelektrode und der Schutzelektroden oder infolge von Erdung der Stirnflachen der Kammer) der Sattigungsstrom in der Kammer bei bedeutend haheren Span- nungen erreicht wird als beim unverzerrten Felde. Indem der Verfasser annimmt, daB bei der Verzerrung des Feldes, d. h. bei einer Verkrummung der Kraftlinien der mittlere Potential- gradient in der Kammer bei unveranderter Spannung an der Kammer ebeufalls unverandert bleibt, kommt er zum Schlusse, dab ,,der Satiltigungsstrom nichi! von der gesamfen Poiential- differenz zwischen der Wand und der Mebelektrode und nicht %om mittleren Potentialabfall pro Zenlimeter abhiingt, sondern com Potentialabfall auf der Strecke.. . , welche der Breiie des Ronigenbiindels entspicht" (S. 178). Solch eine SchluBfolgerug ist vom Standpunkte der modernen Vorstellungen uber den Mechanismus des Ionisationsstromes in der Kammer wenig wahrscheinlich, und die Beweisfuhrung des Verfassers nicht iiberzeugend. Indem er vom mittleren Potentialabfall spricht, meint er zweifelsohne den Abfall in der Richtung des Radius der Kammer, wahrend im betreffenden Fall unbedingt die Gradienten langs des Weges der Gasionen zu beriicksichtigen sind, da die Ioneigeschwindigkeiten eben durch diese Gra- dienten bedingt werden.

Bei der starken Verkrummung der Kraftlinien werden die Ionenwege ebenfalls stark verkrummt und verllngert, so da8 der mittlere Potentialabfall langs der Wege der Gasionen bei unveranderter Spannung an der Kammer keineswegs konstant bleibt, sondern eine Verminderung erfahrt; urn den Gradient

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wieder bis zur urspriinglichen zur Erreichung des Sattigungs- stromes genugenden Grofie zu steigern, mu6 die Spannung an der Kammer erhoht werden. Die Beobachtungen des Ver- fassers widersprechen also keineswegs der Auffassung, daB die xur Erreichung des Sattigungsstromes erforderliche Spannung durch die GroBe des mittleren Potentialgradienten langs der Wege der Gasionen bedingt wird: diese Auffassung wird im GegenteiI durch die Beobachtungen nochmals gestiitzt.

Die Messungsergebnisse des Autors, die in der Tab. 4 (S. 181) angefuhrt werden, zeigen, daB die Ablesungen an seiner Kammer im Vergleich zu einer solchen von Ki i s tne r sogar bei sehr geringem Abstand der Mefielektrode von den Stirn- flichen innerhalb der Fehlergrenzen seiner Messungen un- veraindert bleiben , wenn die effeektive Wellenlange der ein- wirkenden Strahlen von 0,8 bis 0,16 AE variiert wird. Nach der Meinung des Autors sollen diese Versuche beweisen, dab sich ,,die Eetrachtungen von B e c k e r und H o l t h u s e n iiber den Wandwirkungsausfall nicht bestatigenr6 lassen, und daB also ,,die wirkliche Reicltweite der Photoelektronen und Ionen bei Atnzospharendruck und gegebenen Versuchbedingungen in der Ionisaiionskammer s e k gering sein nrup (S. 194).

Man wird aber kaum zugeben, daB die angefuhrten experi- mentellen Daten tatsachlich einen geniigenden Grund zu der- artigen SchluBfolgerungen liefern. Wird namentlich nur die Liinge der Schutzelektroden, mit anderen Worten - der Ab- stand der Stirnflachen von den Enden der Mefielektrode Fer- mindert, wobei aber die Lange und der Durchmesser der Kammer grog genug bleiben - so werden dabei offenbar nur die Wege eines geringen Teiles der siimtlichen am Vorgang beteiligten Elektronen beschrankt. Die uberwiegende Mehr- zahl dieser Elektronen durchlauft dagegen Wege von geniigen- der Lange und wird nicht der abschirmenden Wirkung der Stirnflachen ausgesetzt: und zwar sind es' 1. alle Elektronen, die sich zu der zylinclrischen Oberflache der Kammer be- wegen, 2. die Elektronen, die sich zu den Stirnflachen aus den zentralen Teilen des durchstrahlten Raumes bewegen, und 3. solche, die aus den Randteilen dieses Rtiumes zu ent- fernteren Punkten der Stirnflachen wandern. Es ist also yer- standlich, daB unter solchen Bedingungen eine Veranderung

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der abschirmenden Wirkung der Stirnflachen abhangig von der Wellenlange der einwirkenden Strahlung nur einen sehr geringen Bruchteil der Gesamtgrofie des Ionisationsstromes in .der Kammer beeinflussen kann, und zwar auch in dem Fall, wenn die samtlichen in der Kammer entstehenden Ionen die MeBelektrode erreichen konnten. Der Verfasser entfernt aber die Schutzelektroden nicht und erteilt den Stirnflachen der Kammer eine Hilfsspannung, die nach seinen Befunden bei jeder Lange der Schutzelektroden die geringste Iiraftfeldver- zerrung zulaBt: die Ionen, welche in der unmittelharen Nahe der Stirntlachen der Kammer entstehen, d. h. eben diejenigen Ionen, die allein die abschirmende Wirkung dieser Flachen aufdecken konnten, vermogen also die MeBelektrode nicht zu erreichen. Dadurch wird verstandlich, w a r n die unter solchen Bedingungen unternommenen Messungen die abschirmende Wirkung nicht wahrnehmen lassen.

Bei anderen Spanndngen an den Stirnflachen, bei denen eine grofiere Feldverzerrung im Innern der Kammer statt- findet, und also ein Teil der in der Nahe der Stirnflachen ent- stehenden Ionen die Mefielektrode erreichen kann, muBte die abschirmende Wirkung zum Vorschein kommen, obschon nach dem Gesagten nur in geringem Grade. In den Tab. 5 und 6 (S. 182) lassen einige Messungen bei Veranderung der Rellen- lange von 0,8 bis 0,16 AE noch tatsachlich Stromverande- rungen um 3, urn 4 und sogar um 6 Proz. erkensen, und zwar immer in der Richtung, wie dies nach den Befunden von Becker und Ho l thuseu der Fall sein muB. Nach der Be- hauptung des Verfs. liegen jedoch diese Veranderungen in den Grenzen seiner Mefifehler.

Wir sehen also, dafi die Bedingungen der Versuche eben diejenige Wirkung zum Minimum reduzierten oder gar ganz- lich ausschaltoten, deren Esistenz die Versuche nachpriifen sollten, und daS andererseits die Mefigenauigkeit so gering war, daS Veranderungen des Resultats um 6 Proz. noch inner- halb der Fehlergrenzen lagen. Es laBt sich kaum bezweifeln, daB man auf Grund solcher Versuche nicht berechtigt ist, die Schlufifolgerungen der klassischen Arbeit von Be c ke r und Ho l thusen abzulehnen, ebensowenig wie die Befunde, welche die Reichweite der primaren Elektronen betreffen und, wie be-

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kannt, durch unmittelbare, zuverlassige und genaue Messungen begriindet werden.

Aus der Tab. 10 (S. 185) ersieht man, daB die Angaben der Kammer von 12 cm Durchmesser im Vergleich zu der K u s t n e r schen Kammer eine Veranderung um 6,5 Proz. (von 130 auf 139) bei der Veranderung der Wellenlange der ein- wirkenden Strahlen von 0,8 bis 0,16 AE zeigen. DerVerfasser zieht daraus den SchluS, daS die Angaben der 12 cm-Kammer unabhangig von der Wellenlange seien. Auch hier mu6 her- vorgehoben werden, daB eine MeSgenauigkeit, bei welcher eine Differenz von 6,5 Proz. noch innerhalb der Fehlergrenzen liegt, zweifelsohne nicht ausreicht, um die vom Autor aufgestellte Frage zu en tscheidsn.

Die soeben gestreifte Frage nach der Genauigkeit der Messungen in der zu besprechenden Arbeit erweckt iiberhaupt gewisse Bedenken: einerseits gibt der Autor an (S. 163), da6 der mittlere Fehler des Resnltats bei seiner Messungsmethode nicht groSer ist als f 2,8 Proz., wenn man sowohl zufallige, als auch systematische Fehler in Betracht zieht, wahrend die zufalligen Fehler nicht mehr als f 1 Proz. ausmachen; anderer- seits bezeichnet er aber bei der Losung der geschilderten, augerst wichtigen Fragen eine Streuung der Resultate, die 6 und 6'1, Proz. erreicht und nur von zufalligen Fehlern ab- hangen konnte, als eine solche, die innerhalb der Fehler- grenzen liegt.

Auf Grund dieser samtlichen oberlegungen kommen wir zum Schlusse, daS die vom Autor aufgestellte These uber die Notwendigkeit ,,den Begriff der ,FaBkammer' nach Hol t- husen und die Anwendung der Druckluftkammer nochmals diirchzusehen" (S. 194) keine geniigende Stiitze in den Er- gebnissen seiner Arbeit findet.

K i e w , Physikalisches Laboratorium des Staatsrontgen- instituts, 30. Juli 1930.

(Eingegangen 9. September 1930)