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Nervenarzt 2014 · 85:543–547 DOI 10.1007/s00115-013-3987-1 Online publiziert: 8. Mai 2014 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 E. Severus · M. Bauer Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum  Carl Gustav Carus, Technische Universität Dresden Bipolare Störungen  im DSM-5 Im DSM-5 [1] finden sich „bipolar and related disorders“ erstmalig in einem eigenen Kapitel wieder, lokalisiert zwischen den Kapiteln „schizophre- nia spectrum and other psychotic dis- orders“ sowie „depressive disorders“ [3]. Dieses neue Kapitel umfasst, wie gehabt, die Bipolar-I-Störung, die Bi- polar-II-Störung sowie die zyklothy- me Störung. Doch es gibt diagnosti- sche Erweiterungen – und nicht alle Kriterien für die etablierten bipolaren Störungen sind dieselben geblieben. Im Folgenden geben wir einen Über- blick über die wichtigsten Verände- rungen im DSM-5. (. Tab. 1) Diagnostische Erweiterungen Neu hinzugekommen sind die „sub- stance/medication-induced bipolar and related disorder“, hervorgegangen aus der „substance-induced mood dis- order“ (DSM-IV-TR), sowie die „bi- polar and related disorder due to another medical condition“, hervorgegangen aus der „mood disorder due to a general medi- cal condition“ (DSM-IV-TR). Die bisherige Kategorie der „bipolar disorder not other- wise specified“ (DSM-IV-TR: 296.80) wird weiter unterteilt in die neue Kate- gorie „other specified bipolar and related disorder“ (DSM-5: 296.89) sowie die „un- specified bipolar and related disorder“ (DSM-5: 296.80). Letztere umfasst, wie schon im DSM-IV-TR-Pendant (296.80), u. a. Situationen, in denen der Arzt auf- grund unzureichender Informationen (noch) nicht bestimmen kann, z. B. in Rahmen einer Notaufnahme, welche bi- polare Störung denn nun genau vorliegt [6]. Erstere umfasst näher spezifizierte bi- polare Störungen, die jedoch unter der bisherigen diagnostischen Schwelle für die etablierten bipolaren Störungen blei- ben (Bipolar I, Bipolar II, zyklothyme Störung), im Sinne einer „subthreshold bipolar disorder“. Als Beispiele werden vom DSM-5 Krankheitsbilder angegeben, die unterschwellige hypomanische Episo- den umfassen in Verbindung mit der(den) Episode(n) einer Major-Depression, näm- lich „short-duration hypomanic episo- des (2–3 days) and major depressive epi- sodes“ sowie „hypomanic episodes with insufficient symptoms and major depres- sive episodes“, bzw. auch ausgewachsene hypomanische Episoden, jedoch ohne bis- herige Episoden einer Major-Depression („hypomanic episode without prior ma- jor depressive episodes“). Schließlich wird auch noch eine unterschwellige zyklothy- me Störung definiert („short-duration cylothymia“ [less than 24 months]), die, wie im Namen erwähnt, das konventio- nelle Zeitkriterium von mindestens 24 Monaten nicht erfüllt. »   Probleme bereitet die  Diagnose der unterschwelligen  hypomanischen Episoden Einige kritische Anmerkungen bez. die- ser neu geschaffenen Kategorie seien hier erlaubt. Bisher wurde ein diagnostischer Code im Bereich der bipolaren Störungen ausschließlich dann vergeben, wenn das Störungsbild mit einer signifikanten Be- einträchtigung einherging (ob dieses Vor- gehen sinnvoll ist, kann zur Diskussion gestellt werden). Angeblich soll dies auch für die unter der neuen Kategorie spezifi- zierten Krankheitsbilder gelten. Doch wie können eine oder mehrere hypomanische Episoden, ohne dass es bisher zu Episo- den einer Major-Depression gekommen ist, mit einer signifikanten Beeinträchti- gung assoziiert sein – wenn, per definitio- nem, eine hypomanische Episode gerade mit keiner signifikanten Beeinträchtigung assoziiert ist? Weiterhin ist nicht logisch nachzuvollziehen, weshalb für die Katego- rie der „short duration hypomania“ min- destens zwei der letzteren Episoden gefor- dert werden, während dies für „hypoma- nia with insufficient symptoms“ lediglich eine einzige ist? Ferner: Obwohl es keinen Zweifel da- ran gibt, dass unterschwellige Bipolar-II- Störungen sehr wohl Vorläufer der eta- blierten bipolaren Störungen darstellen können [2, 14, 15, 17, 18] – wie sollen, vor dem Hintergrund der uns heute zur Ver- fügung stehenden methodischen Mög- lichkeiten (subjektive Einschätzung, An- amnese) und üblichen Praktiken (retro- spektiv, bei aktuell depressiven Patienten; [4, 5, 10, 13]) unterschwellige hypomani- sche Episoden zuverlässig diagnostiziert werden? Und wie können sie zuverlässig von hypomanischen Episoden, impulsi- vem gereiztem Verhalten bei Borderline- Erkrankungen [12, 22], sehr gutem, an- gemessenem Befinden angesichts beglü- ckender Lebensumstände (z. B. Verliebt- sein, schwere Prüfung unerwartet bestan- den, Vollremission nach depressiver Epi- sode) oder unterschwelligen, hypoma- nischen Episoden im Rahmen von z. B. Substanzgebrauch (z. B. Kokain, Alko- hol) [7] oder Antidepressivaeinnahme ab- gegrenzt werden [19, 20]? Eine signifikan- te Anzahl falsch-positiver Fälle erscheint hier vorprogrammiert [8, 21], mit poten- ziell gravierenden negativen Folgen die Leitthema 543 Der Nervenarzt 5 · 2014|

Bipolare Störungen im DSM-5; Bipolar disorders in DSM-5;

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Page 1: Bipolare Störungen im DSM-5; Bipolar disorders in DSM-5;

Nervenarzt 2014 · 85:543–547DOI 10.1007/s00115-013-3987-1Online publiziert: 8. Mai 2014© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

E. Severus · M. BauerKlinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum 

Carl Gustav Carus, Technische Universität Dresden

Bipolare Störungen im DSM-5

Im DSM-5 [1] finden sich „bipolar and related disorders“ erstmalig in einem eigenen Kapitel wieder, lokalisiert zwischen den Kapiteln „schizophre-nia spectrum and other psychotic dis- orders“ sowie „depressive disorders“ [3]. Dieses neue Kapitel umfasst, wie gehabt, die Bipolar-I-Störung, die Bi-polar-II-Störung sowie die zyklothy-me Störung. Doch es gibt diagnosti-sche Erweiterungen – und nicht alle Kriterien für die etablierten bipolaren Störungen sind dieselben geblieben. Im Folgenden geben wir einen Über-blick über die wichtigsten Verände-rungen im DSM-5. (. Tab. 1)

Diagnostische Erweiterungen

Neu hinzugekommen sind die „sub- stance/medication-induced bipolar and related disorder“, hervorgegangen aus der „substance-induced mood dis- order“ (DSM-IV-TR), sowie die „bi-polar and related disorder due to another medical condition“, hervorgegangen aus der „mood disorder due to a general medi-cal condition“ (DSM-IV-TR). Die bisherige Kategorie der „bipolar disorder not other- wise specified“ (DSM-IV-TR: 296.80) wird weiter unterteilt in die neue Kate-gorie „other specified bipolar and related disorder“ (DSM-5: 296.89) sowie die „un-specified bipolar and related disorder“ (DSM-5: 296.80). Letztere umfasst, wie schon im DSM-IV-TR-Pendant (296.80), u. a. Situationen, in denen der Arzt auf-grund unzureichender Informationen (noch) nicht bestimmen kann, z. B. in Rahmen einer Notaufnahme, welche bi-polare Störung denn nun genau vorliegt [6]. Erstere umfasst näher spezifizierte bi-

polare Störungen, die jedoch unter der bisherigen diagnostischen Schwelle für die etablierten bipolaren Störungen blei-ben (Bipolar I, Bipolar II, zyklothyme Störung), im Sinne einer „subthreshold bipolar disorder“. Als Beispiele werden vom DSM-5 Krankheitsbilder angegeben, die unterschwellige hypomanische Episo-den umfassen in Verbindung mit der(den) Episode(n) einer Major-Depression, näm-lich „short-duration hypomanic episo-des (2–3 days) and major depressive epi- sodes“ sowie „hypomanic episodes with insufficient symptoms and major depres-sive episodes“, bzw. auch ausgewachsene hypomanische Episoden, jedoch ohne bis-herige Episoden einer Major-Depression („hypomanic episode without prior ma-jor depressive episodes“). Schließlich wird auch noch eine unterschwellige zyklothy-me Störung definiert („short-duration cylothymia“ [less than 24 months]), die, wie im Namen erwähnt, das konventio-nelle Zeitkriterium von mindestens 24 Monaten nicht erfüllt.

»  Probleme bereitet die Diagnose der unterschwelligen hypomanischen Episoden

Einige kritische Anmerkungen bez. die-ser neu geschaffenen Kategorie seien hier erlaubt. Bisher wurde ein diagnostischer Code im Bereich der bipolaren Störungen ausschließlich dann vergeben, wenn das Störungsbild mit einer signifikanten Be-einträchtigung einherging (ob dieses Vor-gehen sinnvoll ist, kann zur Diskussion gestellt werden). Angeblich soll dies auch für die unter der neuen Kategorie spezifi-zierten Krankheitsbilder gelten. Doch wie

können eine oder mehrere hypomanische Episoden, ohne dass es bisher zu Episo-den einer Major-Depression gekommen ist, mit einer signifikanten Beeinträchti-gung assoziiert sein – wenn, per definitio-nem, eine hypomanische Episode gerade mit keiner signifikanten Beeinträchtigung assoziiert ist? Weiterhin ist nicht logisch nachzuvollziehen, weshalb für die Katego-rie der „short duration hypomania“ min-destens zwei der letzteren Episoden gefor-dert werden, während dies für „hypoma-nia with insufficient symptoms“ lediglich eine einzige ist?

Ferner: Obwohl es keinen Zweifel da-ran gibt, dass unterschwellige Bipolar-II-Störungen sehr wohl Vorläufer der eta-blierten bipolaren Störungen darstellen können [2, 14, 15, 17, 18] – wie sollen, vor dem Hintergrund der uns heute zur Ver-fügung stehenden methodischen Mög-lichkeiten (subjektive Einschätzung, An-amnese) und üblichen Praktiken (retro- spektiv, bei aktuell depressiven Patienten; [4, 5, 10, 13]) unterschwellige hypomani-sche Episoden zuverlässig diagnostiziert werden? Und wie können sie zuverlässig von hypomanischen Episoden, impulsi-vem gereiztem Verhalten bei Borderline-Erkrankungen [12, 22], sehr gutem, an-gemessenem Befinden angesichts beglü-ckender Lebensumstände (z. B. Verliebt-sein, schwere Prüfung unerwartet bestan-den, Vollremission nach depressiver Epi-sode) oder unterschwelligen, hypoma-nischen Episoden im Rahmen von z. B. Substanzgebrauch (z. B. Kokain, Alko-hol) [7] oder Antidepressivaeinnahme ab-gegrenzt werden [19, 20]? Eine signifikan-te Anzahl falsch-positiver Fälle erscheint hier vorprogrammiert [8, 21], mit poten-ziell gravierenden negativen Folgen die

Leitthema

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zukünftige Behandlung betreffend [19]. Hiervon unberührt, und angesichts nicht vorhandener kontrollierter Daten voll-kommen unklar, bleibt zudem die Frage: Wie wären diese „other specified bipolar and related disorders“ denn, selbst wenn korrekt diagnostiziert, dann eigentlich, gerade prophylaktisch, psychopharmako-logisch zu behandeln [16]? Ein pragma-tischer Ansatz könnte in den sowohl für unipolare als auch für bipolare Erkran-kungen zugelassenen Behandlungsoptio-nen bestehen, wie z. B. Lithium.

Veränderungen gibt es ferner sowohl was die diagnostischen Komponenten für bipolare Erkrankungen angeht also auch die sie definierenden Episoden und deren inhaltliche Ausgestaltung.

Gemischte Episode: „mixed specifier“

Bisher konnte eine Bipolar-I-Störung bei Vorliegen einer einzigen gemischten Epi-sode diagnostiziert werden. Diese Mög-lichkeit besteht in DSM-5 nicht mehr – da es keine gemischte Episoden mehr gibt – dafür jedoch, auf hypomanische, depres-sive und manische Episoden anwend-bar, „mixed specifiers“ [11]. Die bisheri-ge gemischte Episode wäre nunmehr eine manische Episode, mit „mixed features“. Diese neuen Specifiers erlauben nun auch „mixed hypomania“ und „mixed depres-sion“ zu diagnostizieren, was praktisch hilfreich und prognostisch wesentlich sein kann, da z. B. (hypo)manische Symptome während einer Episode einer Major-De-pression (bei bisher unipolarem Verlauf) einen Risikofaktor für die Entwicklung einer Bipolar-I- oder Bipolar-II-Störung darstellen.

Als einen weiteren neuen Specifier für die aktuelle oder zuletzt aufgetrete-ne Episode gibt es zudem „with anxious features“, aus dem Wissen heraus, dass ängstliche Krankheitsmerkmale häufig vorkommen und mit einer schlechteren Prognose assoziiert sind [9].

Neue Kriterien für bekannte Diagnosen

Aus unserer Sicht zu begrüßen ist auch, dass nunmehr neben einer gehobenen, expansiven oder gereizten Stimmungsla-

ge eine Zunahme zielgerichteter Aktivität bzw. von Energie ein obligatorisches Sym-ptom für eine hypomanische oder mani-sche Episode darstellt. Wir begrüßen die-sen Schritt insofern, als er der charakte-ristischerweise anzutreffenden Symptom-konstellation einer (hypo)manischen Epi-sode, im Sinne eines aufgedrehten, über-drehten Zustandes, sehr nahe kommt und

damit gleichzeitig eine Abgrenzung von mit exzellenter Stimmung, aber niedri-gem Aktivitätsniveau einhergehenden Zu-ständen, wie sie z. B. mitunter im Urlaub anzutreffen sind, erlaubt. Eigentümlich ist allerdings, dass das Kriterium der Zu-nahme zielgerichteter Aktivität (oder al-ternativ auch „psychomotor activa- tion“) weiterhin eines der „B-Symptome“

Zusammenfassung · Summary

Nervenarzt 2014 · 85:543–547   DOI 10.1007/s00115-013-3987-1© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

E. Severus · M. BauerBipolare Störungen im DSM-5

ZusammenfassungHintergrund.  Im Frühjahr 2013 ist die 5. Auf-lage des Klassifikationssystems Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM-5) der American Psychiatric Association erschienen. Das DSM-5 hat auch einige wich-tige Neuerungen auf dem Gebiet der bipola-ren Störungen mit sich gebracht.Ziel der Arbeit.  Ziel der Arbeit ist es, die we-sentlichen dieser Neuerungen darzustellen und in ihren Implikationen zu bewerten.Material und Methoden.  Hierfür wurden so-wohl die diagnostischen Kriterien als auch die weitergehenden Ausführungen im Fließ-text einer aufmerksamen Durchsicht unter-zogen.Ergebnisse.  Wesentliche Veränderungen be-treffen die erstmalige Formulierung diagnos-tischer Kriterien für verschiedene bisher als unterschwellig anzusehende bipolare Stö-rungen, der Wegfall gemischter Episoden zu-gunsten der Neueinführung eines „mixed 

specifiers“, das Hinzukommen einer Zunah-me zielgerichteter Aktivität/Energie als ob-ligatorisches Symptom für (hypo)manische Episoden sowie ein Leitfaden, um zwischen antidepressivainduzierten und lediglich im zeitlichen Zusammenhang mit Antidepressi-va auftretenden (hypo)manischen Episoden unterscheiden zu können.Diskussion.  Während einige dieser Neuerun-gen, insbesondere was den Zusatz der zielge-richteten Aktivität/Energie als obligatorisches Symptom für (hypo)manische Episoden an-geht, als sinnvoll angesehen werden müssen, bleibt dies für andere, z. B. bez. der Definition verschiedener unterschwelliger bipolarer Stö-rungen, erst noch zu zeigen.

SchlüsselwörterBipolare Störungen · DSM-5 · Unterschwellige bipolare Störungen · Antidepressiva · Hypomanische Episoden

Bipolar disorders in DSM-5

SummaryBackground.  In spring 2013 the fifth edi-tion of the Diagnostic and Statistical Manu-al of Mental Disorders (DSM-5) edited by the American Psychiatric Association was pub-lished. The DSM-5 has also brought some im-portant changes regarding bipolar disorders.Objectives.  The goal of this manuscript is to review the novelties in DSM-5 and to evalu-ate the implications of these changes.Materials and methods.  The diagnostic cri-teria as well as the additional remarks provid-ed in the running text of DSM-5 were careful-ly appraised.Results.  For the first time diagnostic criteria are provided for disorders which up to now have been considered as subthreshold bipo-lar disorders. Furthermore, mixed episodes were eliminated and instead a mixed speci- fier was introduced. An increase in goal- directed activity/energy is now one of the 

obligatory symptoms for a (hypo)manic  episode. Diagnostic guidance is provided as to when a (hypo)manic episode that has de-veloped during treatment with an antide-pressant has to be judged to be causally re-lated to antidepressants and when this ep-isode has only occurred coincidentally with antidepressant use.Conclusions.  While some of the novelties are clearly useful, e.g. addition of increased goal-directed activity/energy as obligatory symptom for (hypo)manic episodes, this re-mains to be demonstrated for others, such as the definition of various subthreshold bipo-lar disorders.

KeywordsBipolar disorders · DSM-5 · Subthreshold bipolar disorders · Antidepressants · Hypomanic episode

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(hypo)manischer Episoden darstellt – und dieses Merkmal somit sozusagen „doppelt zählt“.

»  Eine Zunahme zielgerichteter Aktivität ist nun obligatorisches Symptom

Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass nunmehr auch (hypo)manische Episo-den, selbst wenn sie unter Antidepressi-va erstmalig auftreten, prinzipiell als rich-tige (hypo)manische Episode zählen kön-nen und damit die Diagnosestellung einer bipolaren Störung, bei früher stattgehab-ter depressiver Episode (im Fall einer Bi-polar-II-Erkrankung), möglich ist – vo-

rausgesetzt, die Dauer der (hypo)mani-schen Episode geht in voller Ausprägung über die physiologische Wirkung des Antidepressivums (nach dessem Abset-zen) hinaus. Dies ist sicherlich ein zu be-grüßender und praktikabler Schritt, ins-besondere für den prospektiven Verlauf von Patienten mit Major-Depression. Zu-dem weist das DSM-5 vernünftigerweise auch noch darauf hin, dass das Vorhan-densein von lediglich ein oder zwei Sym-ptomen (insbesondere wenn es sich le-diglich um eine Zunahme von Gereizt-heit, Nervosität oder Agitiertheit handelt, wie sie z. B. im Rahmen der Behandlung mit bestimmten Antidepressiva auftreten können) nicht die Diagnose einer (hypo)manischen Episode rechtfertigt. Weniger nachzuvollziehen ist allerdings, weshalb, wie im begleitenden Text des DSM-5 be-merkt wird, eine vollständige hypoma-nische Episode, die unter Antidepressiva auftritt und vollständig syndromal auch nach deren Absetzen bestehen bleibt, nur dann als richtige hypomanische Episode zählt, wenn ihr eine Episode einer Major-Depression vorausging.

Fazit für die Praxis

F  DSM-5 hat einige wichtige Verände-rungen hinsichtlich der Diagnostik  bipolarer Störungen gebracht.

F  Krankheitsbilder, die die Kriterien für bipolare Störungen erfüllen, je-doch im Rahmen von Substanzkon-sum oder körperlichen Erkrankungen auftreten, finden sich nunmehr auch in dem neu geschaffenen Kapitel „bi-polar and related disorders“. Dies gilt auch für Krankheitsbilder, die bisher als „subthreshold bipolar disorders“ bezeichnet wurden und sich nunmehr in der Gruppe „other specified bipolar and related disorder“ wiederfinden.

F  Eine Zunahme zielgerichteter Aktivi-tät bzw. Energie ist, neben einer ge-hobenen, expansiven bzw. gereizten Stimmung, nunmehr ein obligatori-sches Symptom für (hypo)manische Episoden.

F  Unter Antidepressiva sich entwickeln-de (hypo)manische Episoden können jetzt, sofern die Symptomatik in un-veränderter Form auch nach Abset-zen des Antidepressivums über den 

Tab. 1  Änderungen im DSM-5 in Bezug auf bipolare Störungena

Thematik DSM-IV-TR DSM-5

Substanzinduzierte affektive Störung mit manischen bzw. gemischten Merkmalen

Substance-induced mood disorder– With manic features– With mixed features

Substance/medication-induced bipolar and related disorder

Affektive Störung aufgrund eines medizinischen Krank-heitsfaktors mit manischen bzw. gemischten Merk-malen

Mood disorder due to a general medical con-dition– With manic features– With mixed features

Bipolar and related disorder due to  another medical condition

Nicht näher bezeichnete  bipolare Störung

Bipolar disorder not  otherwise specified

1. Other specified bipolar and related disorder– Short-duration hypomanic episodes (2–3 days) and major depressive epi-sodes– Hypomanic episodes with insufficient symptoms and major depressive  episodes– Hypomanic episode without prior major depressive episodes– Short-duration cyclothymia  (less than 24 months)2. Unspecified bipolar and related disorder

Kriterium A, manische Episode

A distinct period of ab-normally and persistent-ly elevated, expansive, or irritable mood, lasting at least 1 week (or any du-ration if hospitalization necessary)

A distinct period of abnormally and per-sistently elevated, expansive, or irritable mood and abnormally and persistently increased goal-directed activity or ener-gy, lasting at least 1 week and present most of the day, nearly every day (or any duration if hospitalization necessary)

Kriterium A, hypomane Episode

A distinct period of ab-normally and persistent-ly elevated, expansive, or irritable mood, lasting throughout at least 4 days, that is clearly different from the usual nondepressed mood

A distinct period of abnormally and per-sistently elevated, expansive, or irritable mood and abnormally and persistently increased activity or energy, lasting at least 4 consecutive days and present most of the day, nearly every day

Gemischte Episode Mixed episode Manic episode, with mixed features

„Mixed depression“ Major depressive  episode

Depressive episode, with mixed features

„Mixed hypomania“ Hypomanic episode Hypomanic episode, with mixed  features

Affektive Episode begleitet von Angstsymptomen

Major depressive  episodeManic episodeHypomanic episodeMixed episode

Depressive episode, with anxious  distressManic episode, with anxious distressHypomanic episode, with anxious distress

aFür Begrifflichkeiten aus dem DSM-5 liegen bisher keine konsentierten deutschen Übersetzungen vor. Auf eine Übersetzung wurde daher verzichtet

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Leitthema

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physiologischen Effekt des Antide-pressivums hinaus in gleicher Ausprä-gung bestehen bleibt, für die Diag-nosestellung einer Bipolar-I- bzw. -II-Störung herangezogen werden.

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. Dr. M. BauerKlinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie,  Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, Technische Universität DresdenFetscherstr. 74, 01307 [email protected]

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt.  E. Severus und M. Bauer geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.   Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren.

Literatur

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15.  Leopold K, Ratzer S, Correll CU et al (2014)  Characteristics, symptomatology and naturalistic treatment in individuals at-risk for bipolar  disorders: baseline results in the first 180 help- seeking individuals assessed at the Dresden high-risk project. J Affect Disord 152–154:427–433

16.  Pfennig A, Bschor T, Baghai T et al (2012) S3 guide-lines on diagnostics and therapy of bipolar dis- orders: development process and essential recom-mendations. Nervenarzt 83:568–586

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18.  Severus E (2012) Are bipolar disorders much more common than previously assumed? Against. Ner-venarzt 83:904–906

19.  Severus E, Bauer M (2013) Diagnosing bipolar  disorders in DSM-5. Int J Bipolar Disord 1:14

20.  Severus E, Bauer M (2014) The impact of treatment decisions on diagnosis of bipolar and related  disorders. Int J Bipolar Disord 2:3

21.  Zimmerman M (2012) Would broadening the dia-gnostic criteria for bipolar disorder do more harm than good? Implications from longitudinal  studies of subthreshold conditions. J Clin Psychia-try 73:437–443

22.  Zimmerman M, Martinez JH, Morgan TA et al (2013) Distinguishing bipolar II depression from major depressive disorder with comorbid border- line personality disorder: demographic, clinical, and family history differences. J Clin Psychiatry 74:880–886

Schizophrenie zunehmend stigmatisiert

Laut Ergebnissen einer bundesweiten 

Studie von 2011 ist die Bereitschaft im Ver-

gleich zu 1990 gesunken, mit Menschen in 

Kontakt zu treten, die unter Schizophrenie 

leiden. Der Umgang mit depressiven oder 

alkoholabhängigen Menschen hingegen 

ist gestiegen. Die professionelle therapeu-

tische Behandlung (sowohl Pharmakothe-

rapie als auch Psychotherapie) ist generell 

von den Studienteilnehmern anerkannter 

verglichen zu 1990.

Obwohl 2011 die biologischen Ursachen-

vorstellungen zur Schizophrenie zu-

nahmen, lehnten es 31% ab, mit einer an 

Schizophrenie erkrankten Person zusam-

menzuarbeiten; 1990 waren es nur 20%. 

Bei Depressionen äußerten die Studienteil-

nehmer 2011 hingegen mehr Mitleid und 

Hilfsbereitschaft und weniger Befangen-

heit. Außerdem rückten bei Depressionen 

psychosoziale Gründe als Ursache für die 

Krankheit in den Vordergrund, insbeson-

dere Stress am Arbeitsplatz und Burnout. 

Insgesamt erfahren alkoholabhängige 

Menschen die stärkste Ablehnung der drei 

Krankheitsbilder.

Die Studienleiter fordern, dass neue Wege 

der Aufklärung von psychischen Erkran-

kungen und im Umgang mit Betroffenen in 

der Gesellschaft und Öffentlichkeit gesucht 

werden. Sie schlagen vor, Anti-Stigma-Akti-

vitäten zu etablieren, die Begegnungen mit 

Schülern, Polizisten, Lehrern und Kranken-

hauspersonal einschließen. 

Literatur: Angermeyer MC, Matschinger H, 

Schomerus G (2013) Attitudes towards psy-

chiatric treatment and people with mental 

illness: changes over two decades. Br J Psy-

chiatry. doi: 10.1192/bjp.bp.112.122978.

Quelle: Ernst-Moritz-Arndt-Universität

Greifswald, www.uni-greifswald.de

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