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Leseprobe aus: Borwin Bandelow Wenn die Seele leidet Mehr Informationen zum Buch finden Sie auf rowohlt.de. Copyright © 2010 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

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Leseprobe aus:

Borwin Bandelow

Wenn die Seele leidet

Mehr Informationen zum Buch finden Sie auf rowohlt.de.

Copyright © 2010 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

INHALT

1 Einleitung 11

2 Die rote Couch 13

3 Was hil� wirklich? 15

4 Wie entstehen seelische Krankheiten? 21

5 Eine Schnellanleitung für Ihr Gehirn 24Ein Haufen Weißwürste • Animalische Triebe • Nervenarzt 2.0

DIE PSYCHISCHEN KRANKHEITEN

6 Depressionen: Im Land der langen Schatten 41Woran erkennt man eine Depression? • Woran erkennt man einebesonders schwere Depression? • Woran erkennt man sogenanntewahnha�e Depressionen? • Wie entsteht eine Depression? • Wenndas Leben keinen Sinn mehr macht • Wie kann eine Depression be-handelt werden? • Ratschläge für Angehörige • Häu�ge Fragen zuDepressionen

7 Manie: Unendlicher Spaß 91Woran erkennt man eine Manie? • Wie entsteht eine Manie? • Wiekann eine Manie behandelt werden? • Ratschläge für Angehörige

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8 Manisch-depressive Erkrankung: Zwischen Gipfelund Abgrund 101Was ist eine manisch-depressive Erkrankung? • Wie entsteht eine ma-nisch-depressive Erkrankung? • Wie kann eine manisch-depressiveErkrankung behandelt werden?

9 Schizophrenie: Gehirnwäschespezialisten 108Woran erkennt man eine Schizophrenie? • Wie entsteht eine Schi-zophrenie? • Wie kann eine Schizophrenie behandelt werden? • Rat-schläge für Angehörige • Häu�ge Fragen zur Schizophrenie

10 Angsterkrankungen: Augen auf und durch 134Aus heiterem Himmel: Panikstörung und Agoraphobie • Sorgen überSorgen: Generalisierte Angststörung • Leben im Schatten: SozialePhobie • Pfui Spinne: Einfache Phobie • Wie häu�g sind Angsterkran-kungen? • Wie entstehen Angsterkrankungen? • Wie können Angst-störungen behandelt werden? • Häu�ge Fragen zu Angststörungen

11 Zwangsstörung: Magische Muster 168Woran erkennt man eine Zwangsstörung? • Wie entsteht eine Zwangs-störung? • Wie kann eine Zwangsstörung behandelt werden?

12 Posttraumatische Belastungsstörung: Nach der Katastrophe 185Woran erkennt man eine posttraumatische Belastungsstörung? • Wiekann eine posttraumatische Belastungsstörung behandelt werden?

13 Borderline-Störung: Über die Grenzlinie 198Woran erkennt man eine Borderline-Störung? • Wie entsteht eineBorderline-Störung? • Wie kann eine Borderline-Störung behandeltwerden?

14 Alkoholabhängigkeit: Kalter Schweiß 223Woran erkennt man eine Alkoholabhängigkeit? • Wie entsteht eineAlkoholabhängigkeit? • Wie kann eine Alkoholabhängigkeit behan-delt werden? • Ratschläge für Angehörige

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15 Abhängigkeit von Beruhigungsmitteln: Happy Pills 236Wie kann eine Abhängigkeit von Beruhigungsmitteln behandeltwerden?

16 Abhängigkeit von Schmerzmitteln: Rock gegen Rheuma 239

17 Harte Drogen: Orgasmus mal tausend 241Heroinabhängigkeit • Kokainabhängigkeit • Wie entsteht eine Dro-gensucht? • Wie kann eine Drogensucht behandelt werden? • Rat-schläge für Angehörige

18 Haschisch: Die Dröhnung aus der Wasserpfeife 254Wie kann ein Cannabismissbrauch behandelt werden?

19 Kleptomanie: Das Abenteuer im Supermarkt 257Was ist eine Kleptomanie? • Wie entsteht eine Kleptomanie? • Wiekann eine Kleptomanie behandelt werden?

20 Spielsucht: Das Haus der drei Sonnen 260Wie entsteht eine Spielsucht? • Wie kann eine Spielsucht behandeltwerden?

21 Internet- und Computersucht: Der Avatar 265Wie entsteht eine Internet- und Computersucht? • Wie kann eine In-ternet- und Computersucht behandelt werden?

22 Demenz: Fassade erhalten 271Woran erkennt man eine Demenz? • Erscheinungsformen der De-menz • Wie entsteht eine Demenz? • Wie kann eine Demenz behan-delt werden? • Praktische Tipps für Betro�ene und Angehörige

23 Magersucht: Eine Scheibe Gurke 283Woran erkennt man eine Magersucht? • Wie entsteht eine Mager-sucht? • Wie kann eine Magersucht behandelt werden?

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24 Bulimie: Wurstsalat und Pralinen 296Woran erkennt man eine Bulimie? • Wie entsteht eine Bulimie? • Wiekann eine Bulimie behandelt werden?

25 Psychisch bedingtes Übergewicht: SchwarzwälderKirschtorte 301Wie entsteht psychisch bedingtes Übergewicht? • Wie kann psychischbedingtes Übergewicht behandelt werden?

26 Somatoforme Störungen und Hypochondrie:Elektrosmog und Wasseradern 313Woran erkennt man eine somatoforme Störung? • Wie entsteht einesomatoforme Störung? • Wie kann eine somatoforme Störung behan-delt werden?

27 Dissoziative Störungen: Ohne Befund 323Woran erkennt man eine dissoziative Störung? • Wie entsteht einedissoziative Störung? • Wie kann eine dissoziative Störung behandeltwerden?

28 Schlafstörungen: Kein Auge zugetan 329Wie können Schlafstörungen behandelt werden?

29 Ganz normal verrückt 336

ANHANG

Wege durch den Psycho-Dschungel 341Psychotherapeutische Methoden und Entspannungsverfahren 343Beurteilung der Wirksamkeit von �erapien 357Nebenwirkungen der Medikamente 363Wörterbuch der Seele 371Literatur 381 • Register 403 • Danksagung 411

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HINWEIS

Alle Angaben zu Medikamenten sowie Behandlungsmethoden wurden mitgrößter Sorgfalt und nach dem aktuellen Wissensstand verfasst. Dennochkönnen Autor und Verlag keine Gewähr für die Richtigkeit der Angabenübernehmen. Wissenscha�liche Erkenntnisse sind einem ständigen Wandelunterworfen. Daher ist es möglich, dass die dargestellten Informationennicht auf dem neuesten Stand sind. Unabhängig vom Inhalt des Buchesentscheiden im Einzelfall immer Arzt, �erapeut und Patient gemeinsamüber die individuelle Behandlung. Irrtümer sind vorbehalten. Ein Rechts-anspruch ist ausgeschlossen. Informationen über Medikamente sind derjeweiligen aktuellen Fachinformation zu entnehmen.

In dem Buch sind einige Medikamente und �erapieformen erwähnt,die von der European Medicines Agency (EMEA; für Deutschland undÖsterreich) oder dem schweizerischen Heilmittelinstitut Swissmedic nichtoder nicht für eine spezielle Indikation zugelassen sind. Mit solchen Arznei-mitteln können Ärzte einen «�erapieversuch» machen, wenn andere, zu-gelassene Medikamente nicht wirksam waren oder nicht vertragen wurdenund wenn wissenscha�liche Studien vorliegen, die einen solchen Versuchrechtfertigen. Es kann möglicherweise medizinrechtliche Probleme bei derVerordnung von Medikamenten in nicht zugelassenen Indikationen geben.

Die Selbsttests für psychiatrische Erkrankungen sind nicht durch wis-senscha�liche Untersuchungen auf ihre Tre�sicherheit überprü� worden.Sie können nur ungefähre Anhaltspunkte ergeben. Die Diagnose muss voneinem Arzt oder Psychologen gestellt werden.

Die in dem Buch vorgestellten Fallbeispiele sind so verändert worden,dass das Wiedererkennen der betro�enen Personen nicht möglich ist.

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E I N L E I T U N G

Kapitel 1EINLEITUNG

Claudia G., eine Sekretärin, hat Panikattacken. Ihre Hausärztin emp-�ehlt Johanniskraut, der Psychiater ein Antidepressivum, die jungePsychologin eine Verhaltenstherapie, der ältere weißhaarige Psycho-loge eine Psychoanalyse, die Heilpraktikerin homöopathische Kügel-chen und der braungebrannte, graumelierte, aber jugendlich wirkendeSo�ie-Tanzlehrer Power-Yoga-Übungen. In der Psychologiezeitschri�werden Eye Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR),Mindfulness-�erapie, Reiki, körperorientierte �erapie oder Bio-feedback angeboten. Wie kann Claudia G. wissen, welche �erapie fürsie die beste ist?

Rolf J., Berufsschullehrer, leidet seit mehreren Jahren unter chro-nischen Depressionen. Die Ärzte haben verschiedene Medikamenteausprobiert, ohne dass sich die Depression entscheidend gebessert hat.Er hat drei ambulante Psychotherapien hinter sich, und zweimal warer für mehrere Monate in einer psychosomatischen Klinik. Was kannihm noch helfen?

Heute gibt es zahlreiche Möglichkeiten, seelische Krankheiten zubessern. Neben psychotherapeutischen Gesprächen und Medikamen-ten steht heute auch eine Anzahl von neuen, noch recht experimen-tellen elektrischen Methoden zur Verfügung, wie etwa die Magnet-stimulation. In diesem Buch werden die verfügbaren �erapien für diewichtigsten seelischen Leiden auf den Prüfstand gestellt, auf der Basisvon Leitlinien, die von den jeweils besten internationalen Experten aufihrem Gebiet entwickelt wurden. Welche Psychotherapien sind wis-

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senscha�lich nachgewiesen, welche neuen Medikamente helfen? Kannman auf Psychopharmaka verzichten? Gibt es alternative, schonende,natürliche Verfahren? Wie steht es um die Wirksamkeit von Omega-3-Fettsäuren, Melatonin, Lichttherapie, Hypnose, Homöopathie oderSport? Was kann man tun, wenn alle gängigen Methoden versagt ha-ben? Welche Verfahren sind unwirksam, unseriös oder gar gefährlich?Wie kann ich mich vor Scharlatanen schützen?

Dieses Buch soll Ihnen auf dem Weg durch den Psycho-Dschungelhelfen. Sie �nden in den folgenden Kapiteln zu den wichtigsten psy-chischen Erkrankungen:

• Fallbeispiele• Tests zur Selbsterkennung von psychischen Erkrankungen• Tipps zur Selbsthilfe• �erapieempfehlungen, die auf internationalen Leitlinien der welt-

weit führenden Experten beruhen• Neue �erapien, die dann helfen können, wenn bisherige Behand-

lungen nicht angeschlagen haben• Bewertung alternativer �erapien wie Naturheilkunde oder Homöo-

pathie• Tipps für die Angehörigen von psychisch Kranken• Häu�g gestellte Fragen• Typische Irrtümer über psychische Erkrankungen

Zu guter Letzt bekommen Sie wertvolle Hinweise, wie Sie mitPsychiatern umgehen müssen.

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D I E R OT E C O U C H

Kapitel 2DIE ROTE COUCH

Juliane F. klingelt an der Tür des Psychiaters. Ihre Hausärztin hatte sieüberwiesen, weil sie an Magenschmerzen litt, für die keine medizinischeUrsache gefunden werden konnte. Der kleine Mann mit dem wirremHaar, einer Nickelbrille und einem abgetragenen Jackett mit Leder-schützern an den Ellbogen ö�net die Tür. Wortlos weist er sie an, sichin seinem Zimmer niederzulassen, in dem Hunderte alte Bücher einenGeruch aus einem anderen Jahrhundert ausströmen. Der �erapeut legtihr mehrere Tafeln mit Tintenklecksbildern vor. Zum ersten Mal sagter jetzt etwas mit sehr leiser Stimme: «Was sehen Sie da? Denken Sienicht lange nach, sagen Sie, was Ihnen spontan dazu einfällt.» Währenddie junge Frau ihre Phantasien berichtet, zieht der �erapeut hin undwieder die buschigen Augenbrauen hoch. «Einen Penis, meinen Sie, ahja?» Nach diesem Test deutet er, wieder wortlos, mit seiner schmächtigenHand auf einen mit einem deutlich mu�g riechenden Orientteppichbelegten Diwan, und Juliane F. legt sich nieder. «Was kommt Ihnen inden Sinn? Erzählen Sie alles, egal ob es Ihnen unangenehm, peinlich,unsinnig oder bedeutungslos erscheint.» Fast eine Stunde schweigt derPsychiater, während Juliane F. redet.

Dieses Klischee eines Psychiaters gibt es nicht nur in Kino�lmen,Krimis oder Kalauern. Viele Menschen haben immer noch die Vor-stellung, dass Psychiater sich vorwiegend mit unbewussten Kon�ik-ten befassen, die in der Kindheit entstanden sind, und versuchen, dieHintergründe aufzudecken, nach der Devise: «Es ist nie zu spät, sich

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eine schöne Kindheit zu bescha�en.» Dabei, so vermutet man, sinddie Seelenklempner vorwiegend an verdrängten sexuellen Inhalteninteressiert. Alternativ stellt man sich einen Psychiater wie eine Artmodernen Doktor Frankenstein vor, der seine Patienten in Zwangs-jacken oder Gummizellen steckt oder sie mit Handschellen an eineisernes Bettgestell fesselt. Im günstigsten Fall nimmt man an, dassdie Diagnosen eines Psychiaters beliebig und willkürlich sind und dieBehandlung nach Gutdünken erfolgt.

Die Psychiatrie ist eine moderne Wissenscha� geworden. SeelischeKrankheiten werden mit Hilfe neuer Methoden erforscht, Gehirnewerden durchleuchtet und neue Medikamente entwickelt, die mit im-mer weniger Nebenwirkungen immer rascher psychische Probleme inden Gri� bekommen. Und vor allem werden heute alle Behandlungs-methoden genauestens auf ihre Wirkung überprü�.

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Kapitel 3WAS HILFT WIRKLICH?

Über den Nutzen psychiatrischer �erapien wird gern gestritten. Indiesem Buch werden die Wirksamkeitsnachweise aller Behandlungs-methoden kritisch beurteilt. Um dem Vorwurf vorzubeugen, dass dieseBeurteilung subjektiv oder parteiisch ist, soll hier die Vorgehensweiseerläutert werden, wie die �erapiemöglichkeiten auf den Prüfstandkamen. Um den E�ekt von bestimmten Behandlungen zu belegen,werden klinische Studien durchgeführt. Nun gibt es gute und schlech-te Untersuchungen. Wenn zum Beispiel ein Herr Gustaf Gustafsonfünfzehn Patienten mit einer von ihm neu entwickelten Gänseblüm-chen-Aroma-�erapie gegen Nervosität behandelt und bei vierzehnPersonen eine deutliche Besserung konstatiert hat (wobei er selbstauch derjenige war, der den Erfolg der Behandlung beurteilte), so soll-ten Sie diesem Resultat so viel Vertrauen entgegenbringen wie einerWerbung, die sofortigen Flirterfolg bei Verwendung eines bestimmtenDeosprays verspricht. Nehmen Sie dagegen eine Doppelblindstudie,die von einunddreißig Wissenscha�lern an vierundzwanzig interna-tionalen Universitätskliniken an zweitausend Patienten durchgeführtwurde, bei der ein neues Medikament mit einem Placebo und einembewährten Medikament verglichen wurde und die Untersuchungs-ergebnisse von Ethikkomitees und europäischen, amerikanischen undjapanischen Medizinbehörden bestätigt wurden, so können Sie sicheinigermaßen in Sicherheit wiegen.

Der erste Placeboversuch wurde im Jahr 1784 durchgeführt. In die-ser Zeit machte ein Wunderheiler, der Deutsche Franz Anton Mesmer,

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überall in Europa Furore, indem er Menschen mit «Magnetismus» heil-te. Vielerlei Krankheiten wurden besser, wenn er die Patienten mit Hilfeeines Waschbottichs, aus dem Metallstäbe herausragten, «mesmerisier-te». Während die französische Königin Marie Antoinette eine begeis-terte Anhängerin Mesmers war, blieb ihr Mann skeptisch. Der Königsetzte eine Untersuchungskommission ein, der ein gewisser BenjaminFranklin angehörte – der Er�nder des Blitzableiters und spätere Prä-sident der Vereinigten Staaten. Diese Kommission entlarvte Mesmerals Scharlatan. Man teilte Versuchspersonen (fälschlicherweise) mit,dass sich hinter einer Tür ein Angestellter Mesmers, ein gewisser HerrCharles d’Eslon, befand und sie durch die Tür magnetisierte. Die Ver-suchskandidaten berichteten über eine starke Wirkung, obwohl sichkein Mensch hinter der Tür verbarg. Somit konnte gezeigt werden, dassdie Methode allein durch Vorspiegelung falscher Tatsachen wirkte.

Seit jener Zeit gibt es Zweifel an Methoden, die nur mit Hilfe derSuggestion wirken. Doch erst seit den fünfziger Jahren wurden syste-matisch kontrollierte Studien durchgeführt. In einer solchen Unter-suchung werden zum Beispiel hundert erkrankte Personen mit einemneuen Medikament und hundert weitere mit einem Scheinmedika-ment behandelt. Psychiatrische Krankheitsbilder unterliegen einemstarken Placeboe�ekt; das heißt, dass bei Patienten mit Depressionenoder Angsterkrankungen, die mit einer Scheinpille behandelt werden,zu 40 bis 60 Prozent eine Besserung eintritt. Daher kann nur mittels ei-ner kontrollierten Studie die Wirksamkeit einer Behandlung zweifels-frei bewiesen werden. Auch die E�ektivität einer Psychotherapie mussmit einer Kontrollgruppe überprü� werden. Eine Gruppe bekommtsofort eine Behandlung, eine andere wird auf eine Warteliste gesetzt(zur näheren Erklärung siehe Anhang S. 360). Oder man vergleichtmit einem «psychologischen Placebo»: Hier erhält die eine Häl�e derPatienten nur unstrukturierte Gespräche über seelische Probleme, dieandere die wirkliche Behandlung durch professionelle �erapeuten.Nur wenn sich ein bedeutsamer Unterschied ergibt, kann man davonausgehen, dass die Behandlung mehr bewirkt als das Gespräch miteinem guten Freund.

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Unter «o�enen» Studien versteht man solche, bei denen nur eineGruppe von Patienten im Vorher-nachher-Vergleich untersucht wird,ohne dass man eine Kontrollgruppe mitbeurteilt. Die Ergebnisse sol-cher Untersuchungen sind nicht besonders aussagekrä�ig und dahermit Zurückhaltung zu bewerten. Unter Umständen können sie aberhilfreich sein, zum Beispiel, wenn keine kontrollierten Studien exis-tieren oder wenn bei einem Patienten mehrere von den Medizinbe-hörden zugelassene Behandlungen nicht gewirkt haben. Daher wer-den in diesem Buch in den Abschnitten «Neue �erapien» manchmalAlternativen genannt, die bisher nur durch o�ene Studien gestütztwerden.

Ein Arzt wiederum kann solche nicht amtlich zugelassenen Medi-kamente nur im Rahmen eines «Heilversuchs» verordnen, wenn diesdurch wissenscha�liche Studien begründet ist und Alternativen aus-geschöp� sind. Allerdings gibt es absolut keine Erfolgsgarantie. O�handelt es sich dabei um Medikamente, deren Nebenwirkungen schonbekannt sind, weil Erfahrungen aus der Behandlung anderer Erkran-kungen vorliegen.

Am Ende werden die Resultate einer Studie in einer wissenscha�-lichen Zeitschri� verö�entlicht. Hier gibt es wiederum gute undschlechte Zeitschri�en, für deren Qualitätswert eine Art Hitliste er-stellt wird – wie bei den Tophits in den Charts. Unabhängige Gutach-ter auf der ganzen Welt müssen die eingereichten Artikel auf Herz undNieren prüfen. Wenn diese gestrengen Prüfer Fehler �nden, wird dieVerö�entlichung abgelehnt – auf diese Weise �ndet eine zusätzlicheKontrolle statt.

Nun kann es sich ergeben, dass zu einer �erapiemethode mehrerewidersprüchliche Studien existieren. Die eine zeigt eine starke Wir-kung, eine andere keinen E�ekt und eine dritte nur schwache Verände-rungen. Daher werden von Zeit zu Zeit Leitlinien für die Behandlungpsychischer Erkrankungen erstellt, die auf einer Zusammenschau allerverfügbaren Untersuchungen beruhen. O� wird dabei die Technik der«Metaanalyse» angewendet – das heißt, dass die Ergebnisse mehrererStudien in einen Topf geworfen werden, zum Beispiel, um bei von-

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einander abweichenden Resultaten zu einer Lösung zu kommen. DieCochrane Collaboration etwa ist ein angesehenes gemeinnütziges In-stitut, das Metaanalysen mit höchster Qualität verö�entlicht. Die indiesem Buch vorgeschlagenen �erapien basieren auf internationalenLeitlinien, die von Fachgremien erstellt wurden, deren Mitglieder sichdurch hochrangige Publikationen in dem jeweiligen Fachgebiet aus-zeichnen. Falls keine Leitlinien oder Metaanalysen für eine Erkran-kung existierten, die vorhandenen veraltet waren oder sich zwischenverschiedenen Leitlinien Widersprüche ergaben, wurden die verö�ent-lichten Studien einzeln analysiert. Es werden hier also nicht die pri-vaten Meinungen hochgeschätzter Fachleute dargestellt, denn für jede�erapie gibt es einen derartigen Experten, der sie über den grünenKlee lobt, und einen, der sie verdammt. Solche Standpunkte könnennämlich einer Verzerrung unterliegen, denn manche Kapazitäten er-zählen genau das, was die Pharmaindustrie hören will, während andereihr Lebenswerk darin sehen, exakt diese Meinung zu bekämpfen. Auchim Bereich der Psychotherapie wird gern über die richtigen Metho-den gestritten, wobei die Bewertungen der Eminenzen nicht immerauf belastbaren Daten beruhen. Deswegen soll hier die Mainstream-Richtung dargestellt werden, also eine Synthese aus den vorliegendenStudien ohne Beein�ussung in die eine oder andere Richtung.

In der unten folgenden Tabelle wird das System beschrieben, mitdem die Wirksamkeitsnachweise der �erapien in diesem Buch inKategorien eingeteilt wurden. Im Anhang 3 (siehe S. 357 �.) wird ge-nau beschrieben, welche Qualitätsmerkmale die verwendeten Studienhaben mussten.

Manche hier beschriebenen Erkenntnisse mögen Anlass zu Enttäu-schungen sein, wenn scheinbar ho�nungsvolle Medikamente oder�erapien von den Experten sehr kritisch beurteilt werden. Das Prin-zip lautet: Keine �erapie soll schöngeredet werden, die die Crashtestsnicht bestanden hat. Daher wird in diesem Buch an manchen Stellenehrlich gesagt, welche psychiatrischen Behandlungen nicht sinnvollsind. Leider gibt es in der Geschichte der Psychiatrie zu viele Beispiele

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