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Vortragstext von Claudia Reiche zu einer Videoinstallation von Susan Chales de Beaulieu in der Galerie der Gegenwart, HamburgTopologie des Möbiusbandes nach Lacan, bezogen auf Selbstdarstellungen von Frauen in ihren Küchen
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Claudia Reiche
Selbst-Durchdringungen
Einige topologische Anmerkungen zur Räumlichkeit in "DAS IST MEINE KÜCHE"
von Susan Chales de Beaulieu
Die Arbeit besteht aus
„Sechs Videos, in denen sechs Frauen den Raum ihrer Küche präsentieren. (...) Jede
der Frauen... stellt sich dem gleichen Fragenkatalog, bestehend aus etwa einem
Dutzend Fragen zu[r] Küche, den alltäglichen Arbeitsabläufen, (...) den
Ordnungssystemen, den unterschiedlichen Bewertungen von Objekten und von sich
selbst...“ (aus der Pressemappe "DAS IST MEINE KÜCHE")
Ein kühles Raster von Fragen wird über den weiblichen Traditionsraum der häuslichen Küche
ausgeworfen. In räumlich ähnlicher Anordnung, vor den Küchenzeilen der Einbauküchen mit
Hängeschränken, den Kühlschränken, Herden und Spülen erfasst der jeweilige Bildausschnitt
die Frauen, die sich wohl bereit erklärt haben müssen, ihre Küche vorzustellen und damit
mehr oder weniger absichtsvoll ihr Verhältnis zur Rolle der Hausfrau mehr noch: zu sich
selbst zu inszenieren.
Der konkrete Küchenraum ebenso wie die überdeterminierte weibliche Rolle unter der
Fragestellung von Susan Chales de Beaulieu scheinen kaum Spielraum zu bieten. So achtet
man im streng begrenzten Spielfeld umso genauer auf die Variationsmöglichkeiten und
Unterschiede, die den Raum der persönlichen Freiheiten eröffnen wie begrenzen.
Entscheidungen wie die jeweiligen Bewegungen in diesem kulturell hoch definierten Küchen-
und Weiblichkeitsfeld ausfallen, können dramatische Bedeutungsunterschiede produzieren,
laufen aber wie in einer Versuchsnordnung dabei streng vergleichbar ab.
Bei den Mitteilungen einer Portraitierten wird diese Engführung zwischen weiblichem Selbst
und Küchentätigkeit entschieden zur Durchführung kommen, wenn sie beispielsweise erklärt:
„Das ist meine Küche: meine Lieblingsstelle. (...) Geborgen, sag ich mal so. Also, die Küche
ist wirklich geborgen und mein Körper ist geborgen. Du weißt, du gehörst hier rein und die
Bewegungen auch…Ja, es ist einfach so ’ne Liebe.“ Oder wenn eine andere der porträtierten
Frauen in ähnlicher Weise sich gar als Küchenraum beschreiben wird: „Ich sage dir, dass
diese Küche inzwischen zu mir gehört. ... (der Küchenraum) hüllt mich ein und ich hab mich
wirklich arrangiert damit in all den Jahren.“
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Solch Identifizierung mit dem Raum oder den Tätigkeiten der reproduktiven Küchenarbeit
projiziert in die 3-dimensionale Räumlichkeit der konkreten Küche Bereiche des Imaginären
hinein: das Körperbild samt Choreographie der zugehörigen Bewegungen, zudem verbunden
mit Phantasmen der mehr oder weniger liebenden Erfüllung oder Umgehung der für Frauen
jeweils vorgesehenen Rollen im Küchenraum. Dies alles geschieht in Interaktion mit der
Kamera, mit der Filmemacherin – basiert auf Vorgesprächen und Bekanntschaften, erreichtem
Vertrauen, unterstellten Erwartungen der Filmemacherin, dem Konzept des Films, das sich
nicht nur die Künstlerin, sondern insbesondere die Porträtierten jeweils in technischer bis
konzeptueller Hinsicht machen – auch beeinflusst von Vorstellungen vom potentiellen
Publikum …Kurzum: Ich kann nur sagen: Es gehört Mut dazu ‚sich’ so vor der Kamera zu
inszenieren.
Kommen wir zurück zu der Liebe, von der die eine der Frauen lächelnd spricht: „Du weißt, du
gehörst hier rein und die Bewegungen auch …Ja, es ist einfach so ’ne Liebe“ Projiziert wird
die Liebe – und das wäre nicht mehr und nicht weniger als das Trauma des Subjekts, das in
diesem Fall zu bewältigen versucht wird. Eine Erotisierung als dienende Erfüllung der Rolle
der guten Frau findet statt – stets in Korrespondenz zur Filmemacherin, ihr Verständnis
unterstellend. Oder, oder oder… dies geschieht in einem anderen Beispiel auch als
Einverleibung, im Einverleiben des beständig nachgefüllten Lebensmittelvorrats als
Lebensvorrat in der eigenen dunklen Höhle der Küche. Oder es geschieht als technisierte
Erledigung der Rollenzumutung durch eine heavy duty Küchenausstattung, die Zeitgewinn
verspricht, um der üblichen Rechnung, dass in der Küche verbrachte Arbeitszeit ein Maß an
Liebe für die Bewirteten sei, mit schwerem Kochgeschütz zuvorzukommen: Zack, ich werd
euch’s geben! Wieder ein Gericht fertig! So und anders scheint es mir in diesen
Verhältnissetzungen zwischen Frau und Küche zu sprechen. Das reicht in dieser Arbeit von
vehementer Affirmation bis zu verschiedenen Formen der Negation.
Dass die Negationen noch partiell meist vorsichtig sind, bei allen hier gezeigten Frauen in der
Küche, könnte durch ein Andy Warhol Gedicht deutlich werden, das auch eine mögliche
Antwort auf da Verhältnis zur Küchenarbeit und zum richtigen Leben darstellt.
„Das Schönste an Tokio ist McDonalds,
Das Schönste an Stockholm ist McDonalds.
Das Schönste an Florenz ist McDonalds,
Peking und Leningrad haben noch nichts Schönes.“
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(Aus: Andy Warhol: Die Philosophie des Andy Warhol von A bis B und zurück, Übersetzung
Regine Reimers, München 1991, [1975], S. 74)
Solche oder ähnlich vehemente Ablehnung der Rolle der Küchenfee oder Mamsell oder Big
Mama und Absage an das Schöne selbst zubereiteten Essens wird man vergeblich in der
Reihe der hier gezeigten Frauenporträts suchen.
Die Frage, der sich die Porträtierten in ‚Das ist meine Küche’ laut Angaben aus der
Beschreibung Susan Chales de Beaulieus ebenfalls und resümierend zu stellen hatten,
verlangte sogar explizit eine Bewertung der eigenen Person in der Küche und somit eine
entschuldigende, trotzige oder gelassene Selbstkritik. Die Künstlerin spricht in diesem
Zusammenhang gar nicht schüchtern von einem „Enthüllen“ der Persönlichkeit – beim
Reagieren auf ihre Fragen.
Ich finde, enthüllen ist von meiner Denkweise her vielleicht ein ungünstiges Bild: als würde
die nackte Wahrheit als so genannte Persönlichkeit einem beim Ansehen der sechs
verschiedenen Videos jeweils entgegen treten. Im folgenden werde ich ein abgewandeltes
Modell vorschlagen, bei dem es kein Ent- oder Verhülltes geben würde, nicht einmal ein
Innen oder Außen, Köper oder Küche, Psyche oder Physis – sondern ein ineinander
übergehendes gedachtes Modell, das diese Gegensätze durchzieht wie ein verwundenes Band
oder eine in sich verwundene Fläche.
Dies wäre bei einem hier gezeigten Objekt der Fall, schauen Sie die Abbildung an: das Innen
geht ins Außen über, es gibt nur eine Seite... Kein Enthüllen wäre möglich bei einer Hülle
ohne Inhalt, einer Oberfläche, insbesondere einer so sonderbar geformten.
Mich beschäftigt, wie die verschiedenen Positionierungen der porträtierten Frauen bei ihrer
Selbstinszenierung vor der Kamera zu beschreiben wären, so dass ihre psychische Verortung
hinsichtlich einer latenten Rollenerwartung genau so konkret genommen würde wie die
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Anordnung ihrer Küchenmöbel und ihre Bewegungen im Raum, korreliert zur
Kamerabewegung und dem Schnitt. Welcher Topf beispielsweise mit welcher Geste wann als
‚eigene’ Küche, ja als ‚Ich’ präsentiert würde, sollte in einer derartigen Beschreibung ganz
gleichwertig zu allen anderen Elementen behandelt werden. Genau dies tut die Videoarbeit
mit so etwas wie gleichschwebender Aufmerksamkeit. Gleichschwebend meint hier nicht:
eine Kamera wird auf ein Stativ montiert und fungierte wie eine Überwachungskamera,
sondern ein Gewebe der Worte, Blicke etc. mit den Gesten der beweglichen Handkamera
bildet sich aus, verstärkt durch den nochmals konzentrierenden Schnitt der Videos.
Also bietet sich eine Bezugnahme auf das Gebiet der Topologie an, und zwar dort auf
Operationen in vier Dimensionen. Im Gegensatz zur euklidischen Geometrie, die nur starre
Bewegungen mit ebenen und räumlichen Figuren untersucht wie Parallelverschiebungen,
Drehungen und Spiegelungen, sind die erlaubten Bewegungen der Topologie als elastische zu
bezeichnen.
„Wir können uns vorstellen, daß unsere Figuren aus vollkommen elastischem Gummi
hergestellt sind und daß wir eine Figur beim Bewegen in beliebiger Weise dehnen,
stauchen, verbiegen und verwinden dürfen. Es ist uns sogar erlaubt, eine solche Figur
aus Gummi auseinander zu schneiden und zu verknoten, wenn wir nur die beiden
Schnittstellen wieder so zusammenheften wie sie vorher waren. (...) zwei Figuren sind
nun topologisch äquivalent genau dann, wenn man die eine durch eine elastische
Bewegung mit der anderen zur Deckung bringen kann.“ (aus: B. H. Arnold,
Elementare Topologie. Anschauliche Probleme und grundlegende Begriffe, Göttingen
1964, 12f.)
Insofern wäre es auch erlaubt, eine Hohlkugel aus Gummi umzukrempeln, so dass die
Innenseite die Außenseite wäre. Eine elegantere Weise der topologischen Umkrempelung,
ohne die Vorstellung eines Aufschneidens und wieder Zusammenfügens bemühen zu müssen,
liegt in der Zuhilfenahme der vierten Raumdimension.
„Im R4 könnten wir also zum Beispiel einen linken Handschuh durch eine solche
Drehung [eine Spiegelung an einer Ebene, C. R.] zu einem rechten machen, ohne ihn
zu wenden, das heißt ohne seine Innenseite nach außen zu kehren. Wenn uns ein R4
zur Verfügung stehen würde, könnten wir uns mit einer Gattung von Schuhen
begnügen, etwa mit der rechten. Auch Schuhbänder wären überflüssig; wir könnten
mit unseren Füßen in zugeschnürte Schuhe einfach durch die 4. Dimension
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hineinschlüpfen.“ (Roland W. Weitzenböck, Der vierdimensionale Raum, Basel 1956,
67)
Topologie in vier Dimensionen zeichnet sich trotz und wegen dieser Beispiele durch seine
Unanschaulichkeit aus, die Überforderung von dreidimensional räumlich Denkenden, stets
symptomatisch quer zu räumlichen Erwartungen und Vorstellungs-Gewohnheiten. Das
Möbiusband, das als gewundenes Band, um 180 Grad und geschlossen, noch in drei
Dimensionen darstellbar ist, zwingt der Vorstellung bekanntlich einige Unglaublichkeiten auf.
Es hat nur eine Seite und nur einen Rand. Was wie eine Vorderseite wirkt, geht in die
vermeintliche Rückseite über- ohne dass ein Rand überschritten werden müsste. Ähnliches
geschieht bei der Kleinschen Flasche, die als erste Abbildung bereits gezeigt wurde, einer
geschlossenen Fläche in vier Dimensionen. Der eigentliche Name ist tatsächlich Kleinsche
Fläche, dies wurde durch einen Übersetzungsfehler ins Englische und eine Veranschaulichung
in drei Dimensionen zur Kleinschen ‚bottle’, indem Fläche als Flasche fehlübersetzt wurde.
Die Fehlübersetzung setze sich jedoch durch und wurde aus dem englischen ‚bottle’ zur
kleinschen Flasche rückübersetzt. Felix Klein war übrigens ein deutscher Mathematiker, der
im neunzehnten Jahrhundert unter anderem entscheidende Beiträge zur Geometrie leistete.
Die Kleinsche Flasche ist eine geschlossene, nichtorientierbare Fläche im vierdimensionalen
Raum ohne Innen- oder Außenseite und ohne Rand. Sie entsteht durch Verbinden der beiden
gegenüber liegenden Kanten eines Rechtecks, und Verbinden der beiden anderen Kanten mit
einer halben Drehung.
Nur modellhafte Darstellung im dreidimensionalen Raum möglich: mit Selbstdurchdringung.
Jede Darstellung als Flasche wie auch in den Zeichnungen und Animationen zeigt eine Art
Durchstoßen einer Fläche, was mathematisch eine Durchdringung heißt.
Denkt man sich die kleinsche Fläche in einer Verwendung als Flasche ergibt sich Folgendes:
Wenn man eine Flüssigkeit hineingießt, schiene diese durch sich selbst hindurchzulaufen und
scheinbar in einem sonderbar umschlossenen ‚Außen’-raum zu gelangen Diese Eigenschaft
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heißt topologisch: Selbstdurchdringung und tritt wie gesagt nur in dreidimensionalen
Modellen der Kleinschen Flasche auf.
Sie sei als Modell vorgeschlagen, die 6 verschiedenen Weisen der Selbst-Positionierung in
und mit dem vermeintlichen ‚Gefäß’ der ‚eigenen’ Küche zu beschreiben, die eigentlich eine
ununterbrochene Fläche mit der Selbstdarstellung bildete. Ja es geht darum, die Präsentation
als diese mathematische Fläche zu denken.
Wie jeweils die Selbst-Bewertung der Frauen auch ausfällt, dies auferlegte hausgemachte
‚Jüngste Gericht’ in den eigenen Küchenwänden, die zu den Phantasmen erfüllter oder
verweigerter Weiblichkeit werden, dies zu beschreiben, ist der Versuch: gleichermaßen
formalisiert und vergleichbar.
Er sei der Raum, der bei der Symbolisierung entsteht und all das beinhaltet, was sich nicht
symbolisiert ist und sich nicht symbolisieren lässt. Es gehört unmittelbar zum Subjekt, es ist
eine Art "Organverlängerung", eine Heraussetzung von etwas, was aus dem Körper des
Subjekts stammt, was aber immer schon von ihm getrennt ist. Jacques Lacan formulierte 1965
hier auch topologisch und in Bezugnahme auf die Kleinschen Flasche „Das Subjekt ist, wenn
man so sagen kann, in innerem Ausschluss seinem Objekt eingeschlossen." (aus: „Die
Wissenschaft und die Wahrheit“, in: Jacques Lacan, Schriften II, Weinheim/Berlin 1991,
239.)
Hier heißt dass für die auf die porträtierten Frauen: halten sie sich fest: in innerem Ausschluss
in ihrer Küche eingeschlossen. Dies ist die Formel.
Die Frauen in den Videos wären also in innerem Ausschluss ihrer Küche eingeschlossen.
Im Folgenden werden sechs verschiedene konkrete Modelle von Kleinschen Flaschen mit
stummen Ausschnitten aus den 6 Videos kombiniert, und die jeweilige Weise des inneren
Ausschlusses im Einschluss in die Küche darzustellen.
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Diese Frau spricht direkt vom Einschluss in die Küche: Die Küche sei ein dunkler Raum von
9 1/2 qm. „„Ich sage dir, dass diese Küche inzwischen zu mir gehört. ... (der Küchenraum)
hüllt mich ein und ich hab mich wirklich arrangiert damit in all den Jahren.“ Der Raum sei
ihr bequem, weil sie nicht einmal aufstehen brauche. Sie betont das Genussvolle, das Essen
wird als das „Schöne“ ja Rauschhafte im Leben dargestellt. Hier wird versucht sich zum
Geheimnis des Lebens sozusagen erkennend durchzuessen. „Ich muss noch nicht einmal
aufstehen, um mich zu bewirten. Das alles schafft einen so herrlich erreichbaren Nistplatz, ja
Nestplatz.“ Das erreicht dann radikale Züge, wenn vom Leben selbst die Rede ist und man
sieht, wie Eier während des Kochens zerschlagen werden. „Ei ist Leben“ sagt sie. Und kaum
kann man umhin die Küche als eine Gebärmutter zu sehen, in der die Mutter im
Forscherdrang selbst eingedrungen und zuhause wäre und die Eier aufäße. Gewissermaßen in
kannibalischer Forschung. Selbstdurchdringung in sinnlich anschaulicher Weise: der Weg
durch die Kleinsche Flasche wird wie ein neuer Tunnel durch den eigenen Körper (in seinen
Repräsentationen) gegraben und gerät an die vermeintliche Außenseite wie an die Innenseite
in der um 180° verdrehten Tour mit wechselnden, übergehenden Positionierungen.
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„Küche ist für mich eigentlich ein Raum, der eine Erholung ist, weil ich das ganz alleine bin.“
Die Porträtierte lässt keinen Zweifel, dass sie die Herrscherin in ihrer Küche ist, deren
Elemente wie bei ihrer Großmutter und Mutter immer am gleichen Platz zu finden sind wie
die Sterne am Himmel. Sie stellt sich unter eine private kosmische Ordnung, an deren
allgemeiner Aufrechterhaltung sie schon sehr selbstbewusst beansprucht mitzuwirken. „Es
gibt sogar manchmal Zeiten wo abends die Stille eintretet, mein Mann schläft, mein Kleiner
schläft, und abends ist für mich so ne Phase, da kann ich ganz in Ruhe und in Liebe kochen,
...Die Menschen schlafen ..., und da ist das Kochen irgendwie liebevoller.“ Daraus folgt:
„Geborgen, sag ich mal so. Also, die Küche ist wirklich geborgen und mein Körper ist
geborgen. Du weißt, Du gehörst hier rein und die Bewegungen auch: Du kannst in der Küche
nicht grob sein! Also keine komischen Bewegungen machen. ...ja, es ist einfach so ne Liebe!“
Ein höherer Auftrag wird da beansprucht und Gehorsam. Ein vormodernes Subjekt entwirft
sich sowohl ohne Selbstzweifel, als auch ohne Zweifel an dieser Welt, die schon als beste
aller Welten von einem göttlichen Wesen eingerichtet scheint. Ihre Augen suchen weniger
den Kontakt zur Kamera, oft schaut sie, ganz bei ‚sich’ mit viel Sendungsbewusstsein in die
Leere etwas über ihrer Augenhöhe und öffnet den Mund schon vor dem Sprechen bei der
Arbeit der Artikulation, wie in Empfangsbereitschaft für das richtige Wort. Die Kleinsche
Flasche würde von dieser Porträtierten wie mit einem Stöpsel verschlossen gedacht, eine
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vermeintlich sichere Grenzziehung auf der randlosen Fläche wird vertreten, die allenfalls im
3d Glasmodell als praktischer Haltepunkt gelten könnte.
Diese Frau zeigt sich in der Selbstverortung erfrischend uneinig, fast entzweit mit ihrer Küche
– als wolle sie sich außerhalb der kleinschen Flasche als Beobachterin ihrer Rollenzumutung
als externe Beobachterin positionieren. Jedoch sieht sie sich veranlasst für die
Aufnahmesituation - während die Kamera läuft - noch schnell die Küche in Ordnung bringen.
Sie unterscheidet zu Unrecht zwischen der Person, die sie verrauensvoll adressiert und der
aufnehmenden Kamera. Sie agiert so als würde sie fotografiert. Die Vorstellung eines
statischen Bildes passt zu der Vorstellung eines Ichideals, das diese Frau mit kleinen
Korrekturen für die filmische Situation erfüllen will. So bittet sie um Erlaubnis ihren
Kühlschrank noch putzen zu dürfen, obwohl die Kamera ja längst läuft. Es spricht für die
Künstlerin, hier nicht geschnitten zu haben...
„Hier ist der Kühlschrank. Darf ich noch mal schnell? Das ist halt wenn man viel arbeitet! Ok,
hier gibt’s kein System.... Also hier passen halt Flaschen rein, deswegen sind die hier. ...Das
ist hier Kosmetik und es ist immer ganz gut, wenn man die auch kühl hält, dann hält die sich
nämlich länger. Hier sind Tabletten, die hab ich auch im Kühlschrank. Die brauch ich
eigentlich gar nicht mehr, kann ich auch wegschmeißen, nehm’ ich eh nicht. Auch noch mal
Vitamintabletten. Hier auch. Die sind leer. – Ich hab gerade nicht viel eingekauft, wie man
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sieht, deswegen ist es ziemlich leer. Hier würde ansonsten...was steht da?“ Als gesonderte
Instanz stellt das Ichideal ein Vorbild dar, an das das Subjekt sich anzugleichen sucht, in nie
zu erreichender Annäherung. Die kritische Selbstkommentierung erschafft während der
Präsentation indirekt die Küche, wie sie ideal wäre: Ein sauberer, ordentlicher und mit
Lebensmitteln gefüllter Kühlschrank, aus dem Überflüssiges und Überlagertes regelmäßig
entfernt würde. Die Lohntätigkeit wird als Grund für das Versäumnis angeführt, dass der
Kühlschrank nicht solch selbst wiedergegebenem Ideal entspricht. Ein terroristisches Regime,
das hiermit implizit erschaffen wird, ein Perpetuum mobile an schuldig gebliebener
Erreichung des Ideals. In Hinblick auf die Kleinsche Flasche als Modell würde hier eine
analytische, stets vergleichende Spaltung eingeführt. Die Möglichkeit aus zwei
Möbiusbändern, die man am Rand zusammen klebt eine Kleinsche Flasche zu konstruieren
wird so deutlich. Beide Hälften sind allerdings gegenseitig konstitutiv: qua Vergleich von Ist
und Soll immer wieder sich – fast – zusammenfügend, im dreidimensionalen Modell. Haben
Sie übrigens gesehen, wie die Kühlschranktür der Protagonistin bei ihren Bemühungen in den
Rücken fällt?
„Ja also, mein absolutes Lieblingsstück in der Küche ist die Kaffeemaschine. Ich liebe sie
deswegen, nicht nur, weil sie den Kaffee kocht, den ich brauche morgens, um wach zu
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werden, sondern, weil sie einfach schnell ist... Und das ist genau meine Maschine, weil sie
schnell macht!“
Vorsprung durch Technik ist hier das Stichwort. Eine Liebe zur maschinellen Überbietung
und behaupteten Erfüllung dessen, was als unerfüllbare Forderung nach Erreichung des
Objektes besteht... ich wiederhole: ein Objekt, von dem es hieß, dass es in innerem
Ausschluss in das Subjekt eingeschlossen ist. Die kleinsche Flasche wird hier durch eine
maschinelle Black box oder eine doppelte Kaffeemaschine im Design von 2 verbundenen
Metallröhren zu ersetzen versucht, die mit Knopfdruck vermeintlich die Verschlingungen und
Unerreichbarkeiten auf der kleinschen Fläche beendet: durch die dunkle Flüssigkeit, die ein
pünktliches Aufwachen und Wachbleiben ebenfalls wie auf Knopfdruck ermöglicht. Man
könnte auch sagen: Ein mehrfach determiniertes vermeintliches Gegengift gegen die
Todestriebe und – qua Produktkonsumtion und Koffeinwirkung.
„ Küche ist der alchemische Ort der Verwandlung, also wo der Durchgang zwischen Welt und
Mensch ne Mitte findet. Die Welt tritt ja im Essen in mich ein, geht in mich über.“ „Also, am
liebsten mag ich Schneewittchenzwiebeln, oder Rotkäppchenzwiebeln.
Schneewittchenzwiebeln sind solche mit einer weißen Pelle.“
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Hier wird gewissermaßen in der kleinschen Flasche gekocht, wie im umgebauten
Erlenmeyerkolben mit der Alchemie der Worte.
Denn bei den Lebensmitteln geht es vielleicht mehr um Märchenfiguren, die auf der Bühne
der Sprache wieder zu Worten zerfallen. In Schnee und Rot, statt in Zwiebelringe.
Wenn wie behauptet ‚die Welt im Essen in die Sprechende hinein und übergeht – wie viel
mehr gilt dies für Nahrung der Worte, die ganz im Modell der Kleinschen Flasche, in die
Adressierten wie die Sprechende ein und übergeht. Hier wird die Kleinsche Flasche als
Requisit benutzt und zugleich als Bühne, zum gleichberechtigt gereihten sich stets weiter
schlingenden Auftritt von Gesten, Bekleidungen, Kunstgemüse, verbunden durch die gesagten
und ausgelassenen Worte.
Die Küche als Mitte, würde auf der Kleinschen Flasche wohl auch lustig ausgelassen werden
müssen, würde sich mit verschieben, denn wo sollte in der Sprache eine Mitte sein, dem
alchemischen Ort der beständigen Verwandlung in Bedeutungen und mit größter
Kunstfertigkeit auch zurück.
Bei dieser Porträtierten habe ich das gestrickte Modell einer Kleinschen Flasche ausgewählt.
Diese wird als Mütze verwendet. Es ist ein ganz gleichberechtigtes Modell wie die gläsernen,
allerdings mit dem Vorteil dass es flexibel und durch die Strickmaschen löcherig ist – so
könnte es vielleicht bewusster halten, dass es sich um eine bloße Vorstellungshilfe im 3 D
Raum handelt. Sie sagt:
„Meine Unordnung ist einfach...die ist mein Wesenszug zum Teil. ... Es ist die Gewohnheit,
die das nun eben macht, dass man dauernd diese Sachen behält. Dies zum Beispiel, dieses
Ding. Das ist wie ein Kunstwerk allmählich geworden. Pralinépapier.“
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Es ist hier der Blick mit dem sie die Kamera auf das in Blütenform gefaltete Pralinepapier
lenkt, die Rückkehr der Kamera erwartet, um dann zu lächeln und selbst wieder auf die
Blumen aus Pralinepapier zu blicken, Das funktioniert in dieser spontanen Choreographie wie
die Schleife mit einer Drehung, einem Twist, in dem Moment, wo nach dem Blick die Augen
niedergeschlagen werden, um dann wieder auf das Objekt zu blicken, von dem sie sich nicht
trennen kann und will --- eine Bewegung wie sie als Möbiusband der Kleinschen Flasche
eingeschrieben ist. In doppelter Durchführung, nämlich in leicht zeitversetzter Korrelation zur
Kamerabewegung.
Diese Frau lässt in meiner Sichtweise das Enge und Gewaltsame und Selbstbeschränkende,
der Identifikation von Frau und Küche ganz leicht verschwinden. Sie tut es einfach nicht. Sie
zeigt das Pralinepapierchen an der Wand – alles andere wird ebenso zu zufälligem Krempel,
von dem sie sich gerade darum nicht trennen will und der vielleicht auch brauchbar ist. Die
Kategorien geraten selbstironisch und freundlich in diese gleitende Bewegung, die jeder
Zumutung, die in der Frage nach der Selbstdarstellung von ‚sich’ in der Küche liegen könnte,
mühelos entgeht und sie an die zurückgibt, die sie stellen., die sie sich stellen.
Letzte Folie
Das letzte Bild zeigt ein zerbrochenes Glasmodell einer kleinschen Flasche. So habe ich
Gelegenheit zu sagen, dass dies Modell eben nur ein Modell ist, das genauso sein Objekt in
innerem Ausschluss einschließt, wie es gerade diesen Zusammenhang symbolisieren soll.
Es hat übrigens darum nie Recht, weil es als generalisiertes Modell angelegt ist, und ist nur
dann brauchbar, wenn es methodisch unsauber angewendet wird. Sie haben das sicher schon
bemerkt....
Es ist ebenso wie bei der Verballhornung der Fläche zur Flasche von Klein, die erst in Gestalt
dieser reduzierten Vorstellungshilfe die Phantasien freigesetzt haben wird.
So etwas habe ich versucht – um die Arbeit „das ist meine Küche“ von Susan Chales de
Beaulieu vielfältig und kontrovers diskutierbar zu machen und zu genauer Wahrnehmung
einzuladen.
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