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UNIVERSITATEA „ŞTEFAN CEL MARE” din SUCEAVA FACULTATEA DE LITERE ŞI ŞTIINŢE ALE COMUNICĂRII DEPARTAMENTUL PENTRU ÎNVĂŢĂMÂNT LA DISTANŢĂ SPECIALIZAREA: Română-Germană G G o o e e t t h h e e u u n n d d d d i i e e D D e e u u t t s s c c h h e e K K l l a a s s s s i i k k : : F F a a u u s s t t CURS OPŢIONAL, ANUL III Conf. Univ. Dr. Anneliese Poruciuc

Curs Optional Germana - Goethe III-I II

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UNIVERSITATEA „ ŞTEFAN CEL MARE” din SUCEAVA FACULTATEA DE LITERE ŞI ŞTIIN ŢE ALE COMUNIC ĂRII DEPARTAMENTUL PENTRU ÎNV ĂŢĂMÂNT LA DISTAN ŢĂ SPECIALIZAREA: Român ă-Germană

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CURS OPŢIONAL, ANUL III

Conf. Univ. Dr. Anneliese Poruciuc

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1. DEFINITION

1.1. Der Begriff Klassik

1. 2. Die sozial-politische Lage Deutschlands

1.3. Die Ziele und die Wegbereiter der Klassik

2. GOETHE UND DIE DEUTSCHE KLASSIK

2.1. Goethes Weimarer Zeit

2.2. Goethes wissenschaftliche Studien

2.3. Italienreise

2.4. Goethes Altersperiode

3. DER FAUST-STOFF

3.1. Das Volksbuch

3.2. Die geistige Strömung des Jahrhunderts- Paracelsus

3.3. Der geschichtliche Faust - Johann Faust

3.4. Kurze Übersicht über die philosophischen Strömungen der Zeit

3.5. England und die Stunde der grossen Dichtung

3.6. Das Faustbuch und das Puppenspiel

3.7. Die Aufklärung und die Diesseitsbezogenheit

3.8. Der Sturm und Drang und der Faust-Stoff

4. GOETHE UND SEIN FAUST

4.1. Die Gestalt Faust bei Goethe - Kurze Zusammenfassung der Handlung

5. FAUST - EINE TRAGÖDIE

5.1. Die drei einführenden Teile des Werkes – ZUEIGNUNG

5.2. VORSPIEL AUF DEM THEATER

5.3. PROLOG IM HIMMEL

6. DER TRAGÖDIE ERSTER TEIL

6.1. NACHT

6.2. DIE WAGNER SZENE

6.3. VOR DEM TORE

6.4. STUDIERZIMMER (Faust und der Pudel)

6.5. STUDIERZIMMER (Faust mit Mephistofeles)

6.6. AUERBACHS KELLER IN LEIPZIG

6.7. HEXENKÜCHE

6.8. STRASSE

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6.9. ABEND

6.10. SPAZIERGANG

6.11. DER NACHBARIN HAUS

6.12. STRASSE

6.13. GARTEN

6.14. WALD UND HÖHLE

6.15. GRETCHENS STUBE

6.16. MARTHENS GARTEN

6.17. AM BRUNNEN

6.18. ZWINGER

6.19. NACHT

6.20. DOM

6.21. WALPURGISNACHT

6.22. WALPURGISNACHTSTRAUM ODER OBERONS UND TITANIAS GOLDENE

HOCHZEIT. INTERMEZZO

6.23. TRÜBER TAG – FELD

6.24. KERKER

BIBLIOGRAPHIE

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DIE KLASSIK Die Klassik oder der Klassizismus ist eine literarische Strömung, die nach dem Sturm und Drang folgt und seine Ideen fortsetzt. Der Begriff Klassik Der Begriff Klassik ist ein Normbegriff und ein historischer Begriff. Seit der Renaissance bedeutet "klassisch" etwas Vorbildliches in der Dichtung ( so wie die Kunst der Antike). Duden Bedeutungswörterbuch sagt: die Klassik: "Kulturepoche oder Kunstrichtung, die sich durch Ausgewogenheit, Harmonie und Vollkommenheit in den Werken auszeichnet. Künstler oder Wissenschaftler, der mustergültige Arbeiten auf seinem Gebiet geschaffen hat." Der Begriff wurde erweitert und bezieht sich heute auf alle Sphären der Kultur. Die sozial-politische Lage Deutschlands Deutschland war am Ende des 18. Jh. ein geteiltes Land, in dem die feudalabsolutistische Willkür herrschte. Im Gegensatz zu Frankreich, das durch die Revolution von 1789 eine Veränderung der alten Ordnung durchsetzte. In Deutschland war so eine Revolution nicht möglich, sie fand nur auf dem Gebiet der Ideen statt. Der Sturm und Drang kann als eine Revolution auf dem Gebiet der Ideen betrachtet werden. Die Klassiker versuchen die Ideen der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, das Humanitätsideal durch die Kunst zu lösen. Ziele der Klassik Zeitlich gesehen umfasst die Klassik zwei Jahrzehnte (1785-1805) und schließt auf dem Gebiete der Literatur die Werke von Goethe und Schiller innerhalb dieser Jahre ein. Als Theoretiker der Klassik gilt vor allem Johann Joachim Winkelmann (1717-1768). Er bemühte sich den Deutschen die Schönheit der antiken Kunst zu enthüllen. In seinem Werk "Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke in der Malerei und Bildhauerei" schreibt er, daß das Kennzeichen der griechischen "Meisterstücke eine edele Einfalt und eine stille Grösse, sowohl in der Stellung wie im Ausdruck, so wie die Tiefe des Meeres alle Zeit ruhig bleibt, die Oberfläche mag noch so wüten, ebenso zeigt der Ausdruck der Figuren der Griechen bei allen Leidenschaften eine grosse und gesetzte Seele." Das Schönheitsideal sahen die Klassiker in der antiken Kunst verkörpert, die Worte Winkelmanns 'edele Einfalt und stille Grösse' wurden für die Klassiker programmatisch. Als Wegbereiter können auch der alte Herder (Johann Gottfried 1744-1803), zum Teil Friedrich Hölderlin (1770-1843) und der Denker Wilhelm von Humbold angesehen werden. Goethe und Schiller gelangten am Ende ihrer Strum-und- Drang-Periode zum Glauben, daß die Überwindung der Widersprüche nicht durch politischen Kampf gelöst werden könne, sondern durch die Erziehung des Menschen zu einem humanen Weltbürger, einer harmonischen Persönlichkeit. Dieser Mensch sollte Natur und Geist, Sinnlichkeit und Sittlichkeit in Einklang bringen. Bei Schiller sind es Pflicht und Neigung, bei Goethe das Einmalige und das Allgemeine,

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die in Einklang stehen sollten, das Individuum, die humane Persönlichkeit, sollte sich samt in ihre Ziele einordnen und einen förderden und veredelden Einfluss auf die Umwelt ausüben. Die Klassiker sehen den Grund der Unzufriedenheit des Menschen im Kampf der Charaktere, als Kampf der Instinkte gegen die Vernunft. Sie glauben die innere Ruhe wieder hergestellt zu können und Mensch und Welt in eine Harmonie bringen zu können. Um das Ideal der Harmonie zu verwirklichen, werden verschiedene philosophische und ästhetische Systeme aufgestellt. Schiller: Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen (1795), Über Anmut und Würde(1793), Über das Erhabene (1793), die unter Kants Einfluss entstanden sind. Schiller meint, daß ein "harmonischer Charakter" durch eine ästhetische Erziehung entsteht. Diese Idee vertritt auch Emanuel Kant, der Begründer des philosophischen Idealismus. Zur Zeit der Klassik gelangte die deutsche Literatur auf einen Höhepunkt, der zur endgültigen Herausbildung einer deutsche Nationalliteratur führte. Die künstlerischen Werke der deutschen Klassiker errangen Weltgeltung. Imdem die Klassiker eine gewählte Sprache verwenden, die die mundartlichen Ausdrücke und Kraftwörter vermeiden, halfen sie der dt. Literatur die Landesgrenzen zu überschreiten und führten zur Schaffung einer gemeinsamen deutschen Nationalsprache. Der Nachteil dieser gewählten Sprache war natürlich eine begrenzte Leserschaft. Sie wurden zu ihrer Zeit nicht verstanden. Goethe sagt dazu in einem Gespräch mit Eckermann 6. Mai 1827 : "Die Deutschen sind übrigens wunderliche Leute! Sie machen sich durch ihre tiefen Gedanken und Ideen, die sie überall suchen und überall hineinlegen, das Leben schwerer als billig. Ei, so habt doch einmal die Courage, euch den Eindrücken hinzugeben, euch ergötzen zu lassen, euch rühren zu lassen, euch erheben zu lassen ... Da kommen sie und fragen, welche Ideen ich in meinem "Faust" zu verkörpern gesucht. Als ob ich das selber wüsste und aussprechen könnte! .. Daß der Teufel die Wette verliert, und dass ein aus schwerer Verirrung immerfort zum Bessern aufstrebende Mensch zu erlösen sei, das ist zwar ein wirksamer, manches erklärender Gedanke, aber es ist keine Idee, die dem Ganzen und jeder einzelnen Szene im besonderen zugrunde liegt ... Es war im ganzen nicht meine Art, als Poet nach Verkörperung von etwas Absolutem zu streben. Ich empfinde in meinem Inneren Eindrücke, und zwar Eindrücke sinnlicher, lebensvoller, lieblicher, bunter, hundertfältiger Art, ... und ich hatte als Poet weiter nichts zu tun, als solche Anschauungen und Eindrücke in mir künstlerisch zu runden und auszubilden. ..." Goethes Weimarer Zeit 1775 übersiedelt Goeth aus Frankfurt nach Weimar. Der Herzog Karl August hatte ihn eingeladen. Für Goethe beginnt in seinem literarischen Schaffen damit die klassische Periode. Goethe war ein Tatenmensch, Frankfurt wurde im zu eng, er hoffte in Weimar bessere Bedingungen für seinen Tätigkeitsdrang zu finden. Goethe war ein Freund des um acht Jahre jüngeren Herzogs. In der ersten Periode in Weimar beschäftigte er sich mit verschiedenen Staatsämtern: Geheimer Legationsrat, später Geheimer Rat und Minister. Als Verwalter des Bergwesens hatte Goethe die Möglichkeit seine Bildung zu erweitern und neue Menschen kennenzulernen. Er versuchte seine Pfilchten so gut wie möglich zu verrichten, die Finanzen des kleinen Staates in Ordnung zu bringen, der Verschwendung Einhalt zu

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gebieten. Er beschäftigt sich mit dem Verkehrswesen, er versuchte die Ilmenauer Bergwerke in Funktion zu setzten. All diese neuen Erfahrungen finden später in seinem "Faust" ihren Niederschlag. Der Herzog schenkte ihm das Gartenhaus an der Ilm; hinzu kam ein Haus auf dem Frauenplatz in Weimar. In diese Zeit fällt auch seine Bekanntschaft mit Charlotte von Stein, die sieben Jahre älter als er war und die Mutter mehrerer Kinder. Sie erweckte in ihm eine Leidenschaft, die bis zur Italienreise (1786-88) andauerte. Von allen Frauen, die Goethe nahe standen, ist Frau Stein die einzige, die ihm geistig gewachsen ist. Er hält es aber nicht lange im amtlichen Leben aus. Er sah, daß allein mit guter Absicht das deutsche Elend nicht verändert werden konnte. Seine Auseinandersetzungen mit diesen Problemen finden sich in Wanderers Nachtlied, An den Mond, Imenau wieder. Er wendet sich jetzt ganz der Dichtung zu, er als Poet, wie er zu Eckermann sagt, versucht durch die Kunst das zu tun, was ihm die praktische Tätigkeit verweigerte. Er hofft, daß die Kunst den Menschen erziehen kann. Goethes wissenschaftliche Studien Goeth hat sich auch mit der Botanik und Mineralogie beschäftigt. In der Botanik kommt er zu der Idee der Pflanzenmetamorphose, eine fortschrittlichere Idee als die von Linée. Er betreibt vergleichende Zoologie und ist auch ein Vertreter der Idee des Evolutionismus. Er wird als ein Vorgänger von Darvin betrachtet. Er erkennt die Verbindung Affe-Mensch, er entdeckt den Zwischenkieferknochen. In seinem "Faust" deuten viele verwendeten Symbole auf die Entstehung des Lebens aus dem Wasser hin. Er war einer der ersten Mineralogen. Er erarbeitet eine Farbenlehre aus. Sowohl die Farbenlehre als auch das Studium der Minerale finden sich im Faust wieder. Er spricht von der Entstehung der Gesteine und ist der Meinung, daß es nicht klar zu bestimmen ist, ob ein Vulkanismus oder ein Neptunismus zugrunde liegt. Italienreise Als Dichter hält er das enge Weimar nicht mehr aus, er fährt nach Italien. Seine erste Italienreise dauert anderthalb Jahre lang. Er verschreibt sich dem Winkelmannschen Klassizismus. Er wendet sich der Antike zu. Es entstehen Werke wie "Iphigenie auf Tauris" und der "Tasso". In der Lyrik "Venetianische Epigramme" (1796) und die "Römischen Elegien" (1795) . Diese Gedichten sind die tiefen Eindrücke, die Italien auf in hatte. Goethes Altersperiode Goethes literarisches Schaffen aus dieser Zeit beweist seine Fähigkeit sich der neuen Zeit anzupassen. Eine neue literarische Strömung - die Romantik- hatte begonnen. Er lehnte sie nicht ab, fühlte sich aber nicht mehr zu ihren Ideen hingezogen. -1808 erscheint Faust 1. Teil -1809 der Roman Die Wahlverwandschaften

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-1810 - zwei Bände des Buches Zur Farbenlehre, eine Fortsetzung der Beiträge zur Optik aus dem Jahre 1791 Zwischen 1811-1813 arbeitet er an seinem autobiographischen Werk Aus meinem Leben, Dichtung und Wahrheit. 1819 Gedichtsammlung Westöstlicher Divan - entstanden als Folge der Liebe zu Marianne von Willemer 1823 - ergreift ihn seine letzte Leidenschaft, die Liebe zu Ulrike von Levetzow, einem 19jährigen Mädchen - Trilogie der Leidenschaft (bekannt ist der zweite Teil Marienbader Elegien) 1821-1829 - in Fragment der Romen Wilhelm Meisters Wanderjahre oder die Entsagenden ( der erste Teil des Romans, Wilhelm Meisters Lehrjahre, war zwischen 1794-1796 in der Periode der Freundschaft mit Schiller geschrieben.). Goethe wurde immer einsamer. 1816 war seine Frau Cristiane gestorben, 1828 Charlotte von Stein und der Herzog. Goethe fand einen Freund in Johann Peter Eckermann, seine Gespräche mit Eckermann erscheinen 1836-1848. Währen der ganzen Periode beschäftigt sich Goethe mit dem Faust, der kurz vor seinem Tode beendet wurde. Goethe starb am 22. März 1832 und ist in der Fürstengruft in Weimar, wo auch Schiller liegt, begraben. Der Faust-Stoff Goethe behandelt einen deutschen Stoff, der aus dem 16.Jh. stammt. 1587 ist er zum ersten Mal literarisch in dem Volksbuch behandelt. Das Volksbuch - erzählt die Geschichte eines Mannes, der mit dem Teufel einen Bund macht; das ist ein mittelalterliches Motiv. Zum Teufelsbund und dem Motiv kommt hinzu, daß dieser Mann die 'Elemente spekulieren' will. Er will nicht Reichtum und Lebensgenuss, sondern er hat den Drang nach Erkenntnis. Dieser Drang kann nur mit Hilfe des Teufels befriedigt werden. Wie kommt diese Problematik ins Volksbuch? Es ist eine geistige Stömung, die durch das Jh. zog. In Deutschland ist Paracelsus dafür verantwortlich. Bei Paracelsus war diese Sehnsucht nach Erkenntnis religiös. "Wen man erkennt wie der Gang der Gestirne geordnet ist, wie im Kosmos alles mit allem zusammenhängt, wie der Mensch hineingefügt ist in die Gesetze des Lebens - heisst das nicht, Gottes Gedanken nachdenken?" Paracelsus erkannte die christliche Lehre als "Licht der Gnade", aber daneben sah er ein "Licht der Natur", eine zweite Offenbarung Gottes, die wir mit Sinnen und Geist im Anschauen der Welt zu erfassen fähig sind . ("Philosophia sagax", 1537). Die dogmatischen Köpfe seiner Zeit hielten dieses für teuflisch, im Diesseits kann man nicht nach Ungemessenem streben. Somit war die einzige Erklärung, Paracelsus habe mit dem Teufel ein Bündnis geschlossen, er habe einen Teufel bei sich; er wurde zur Sagengestalt. In der Sage verschmolz dann sein Erkenntnisstreben, das ihn und seine Schüler beschäftigte (belebte), mit einer anderen Gestalt, die ebenfalls zur Sage wurde: Johann Faust. Der geschichtliche Faust war ein herumziehender Halbgelehrter, der sich auf den Märkten mit Zauberwesen und Horoskopen betätigte. Er lebte am Anfang des 16. Jh. und war ein Zeitgenosse von Paracelsus. Nach seinem Tod wurden viele Geschichten über ihn erzählt: er sei auf einem Fass aus einem Wirtshaus in Leipzig geritten, er habe in Erfurt den Studenten die Gestalt Homers leibhaft vorgeführt. Diese Anekdoten vermischten sich mit dem, was man von Paracelsus sprach. Der Paracelsische Geist hatte die Zukunft.

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Der alte Glaube sieht einen Teufelsbündler für böse. Die Sehnsucht sich durch das Begreifen der Welt zu erfüllen, war jedoch nicht böse. Eine dichterische Gestaltung fand diese Sehnsucht erst bei Goethe. Erst Goethes Zeit konnte eine solche psychologische Dichtung schaffen. Die Frage jedoch nach dem Wert des Erkenntnisstrebens blieb wach: Paracesus, Bruno, Kepler, Leipnitz - sie alle wollten erkennen: Was die Welt in seinem Innersten zusammenhält/ Wie alles sich zum Ganzen webt,/ Eins in dem anderen wirkt und lebt." (Faust, 1. Teil). Sie nannten es Weisheit vom All, Pansophie, sie erforschten die Gesetze der Gestirne, aber auch den Klang der Sphärenharmonie, sie durchdachten die chemischen Elemente und die geheimnisvolle Wirkung auf den Menschen. Sie bezogen die Baugesetze der Schneeflocke, die Bahnen der Planeten, die Lebenswege der Menschen und die Dogmen der Bibel wechselseitig aufeinander, sie glaubten alles sei in einer geheimen Harmonie verbunden, durch Gottes Gedanken des Weltbaus. Diese stürmische Sehnsucht durch das All zu Gott ist eine religiöse Haltung, da sie aber auch von Dingen sprachen wurde daraus eine Wissenschaft, Pansophie. Hätte sie vom Ich gesprochen wäre Dichtung daraus geworden. In Deutschland war jedoch die Stunde der großen Dichtung nicht gekommen. Die Dichtung war eine lateinische, oder eine volkstümliche. Das war anders in England: das Jahrhundertende brachte die hohe Kultur des Dramas hervor; die in Ben Jonson und Shakespeare gipfelte. Einer aus diesem Kreis , Marlowe, ergreift den Faust-Stoff. Von hier kommt der Stoff wieder nach Deutschland zurück und findet sich in Schauerdramen wieder, und später im Puppenspiel. Er lebt aber in der alten Form der volkstümlichen Prosa weiter. Hier finden ihn die Dichter des Sturm und Dranges und auch Goethe. Das Faustbuch (1587) hatte protestantische auf Sitte ziehlende Züge. Es vermischte anekdotisch-schwankhafte Züge (z.B. zauberte Faust einem Adligen ein Geweih auf den Kopf), das Pansophistische klingt auch durch: Faust wird "Weltmensch", hilfreicher Arzt (Kap. 1), sein Abfall von Gott wie die Titanen und luziferischen Engel (Kap. 5), er verbindet sich auch mit dem Geist Mephostophiles, um 'die Elemente zu spekulieren' (Kap. 6), und befragt diesen nach Hölle und Himmel, dem Lauf der Gestrine, den Jahreszeiten und nach astrologischen Zusammemhängen (Kap. 12-22). Als er einem feinlichen Adligen begegnet zaubert er eine Kriegsschar herbei und besiegt ihn (Kap. 56). Er kommt an den Hof des Kaisers und lässt auf seinen Wunsch antike Gestalten erscheinen (Kap.33), das gleiche tut er vor Studenten; er zeigt ihnen die griechische Helena (Kap. 45). Später erbittet er sie von Mephostophiles für sich selbst und lebt mit ihr zusammen; sie haben einen Sohn, und dieses Kind erzählt Faust viele zukünftige Dinge (Kap. 59). Am Ende wird Faust von Reue geplagt. Seinem Famulus vermacht er Bücher und Vermögen. Der Teufel holt ihn, und zugleich verschwinden Helena und ihr Sohn. Dieses Motiv bildet fortan den Kern der Faust-Volksbücher. Das Volksbuch von 1587 erlebt viele Auflagen und wurde auch in fremde Sprachen übersetzt -1599 wurde es von Georg Rudof Widman breiter und philiströser ausgearbeitet. -1674 tat Nikolaus Pfitzer das gleiche. -1725 eine neue Fassung, der Verfasser nennt es einen "Christlich Meinenden". Er läßt die barocken Moralpredigten fort, der Geist heisst Mephistopheles. Bei Pfitzer und auch hier verliebt sich Faust in eine arme Magd. Wichtig ist Fausts Verbindung mit Helena, die ihm einen Sohn schenkt, mit dem sie bei Fausts Tod verschwindet. Fausts Selbstmordversuche gelingen nicht, und am Ende holt ihn der Teufel. Sein Famulus Wagner aber kommt zu hohen Ehren. Diese Büchlein wurden bis Ende des 18. Jh. immer wieder aufgelegt.

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Goethe hat es früh kennengelernt. Es überliefert ihm viele Motive der Faust-Fabel. Der stürmische Gelehrtengeist war nicht mehr da, den lernte Goeth aus dem Puppenspiel kennen. Im 17. Jh. dringt Marlowes Werk nach Deutschland. Es gehört zum Repertoire der Wanderbühnen. Das Faustdrama wurde zum Marionettenspiel und dadurch wuchs die Bühnenmöglichkeit der Geisterszene und wurde breiter ausgestellt. In dieser Form hat Goethe das Werk in seiner Jugend gesehen. In Dichtung und Wahrheit sagt er: Die bedeutendste Puppenspielfabel ... klang und summte gar vieltönig in mir wider .. (Bd. 9, S. 413). Durch Goethes Faust-Fragment und 1808 durch Faust I wurde das Interesse an Faust wieder wach. Marionettenspiel und Puppenspiel entstanden, und 1846 fasst Karl Simrock sie mit Geschick zusammen. Volksdichtung hat niemals eine einzige Fassung. Es gab mehrere Volksbücher sowie Puppenspiele. Die Aufklärung interessierte sich wieder für das Diesseits - den erkenntnishungrigen Gelehrten, der das Diesseits grenzenlos zu erfassen sich sehnt. Der Mensch war nicht gemacht die ganze Wahrheit zu haben, aber das Streben nach ihr mußte man ihm lassen. Lessing schreibt: "Nicht die Wahrheit in deren Besitz ein Mensch ist oder zu sein vermeint, sondern die aufrichtige Mühe, die er angewandt hat, hinter die Wahrheit zu kommen, macht den Wert des Menschen .. Wenn Gott in seiner Rechten alle Wahrheit und in seiner Linken den einzigen immer regen Trieb nach Wahrheit, obschon mit dem Zusatz, mich immer und ewig zu irren, verschlossen hielte und spricht zu mir: 'Wähle!', ich fiele ihm mit Demut in seine Linke und sagte: 'Vater gib!' Die reine Wahrheit ist ja doch nur für dich allein." (Eine Duplik 1778). Lessing greift auch den Stoff auf, er veröffentlicht jedoch nur eine Szene in dem berühmtem 17. Literaturbrief, 1759. Als Goethe seinen Faust begann stützte er sich nur auf Voklsbuch und Puppenspiel. Auch andere Sturm und Drang Dichter haben unter seinem Einfluss sich mit dem Thema beschäftigt (der Maler Friedrich Müller und Maximilian Klinger). Nur bei Goethe ist die alte Fabel zum Stoff einer Weltbild-Dichtung geworden. Durch Kant wurde die Erkenntnisfrage zur Frage der suchenden Seele. Der Faust des 18. Jh. ist eine Schöpfung der Neuzeit, entstanden aus dem geistigen Bereich eines Paracelsus, Bruno und Kepler, zwischen 1480-1630, zwischen Florenz, Wittenberg und London. Die Schriftsteller waren Deutsche und ein Engländer. Goethe kannte als Knabe das Puppenspiel; auch eines der Volksbücher, 1818 las er Marlowe und auch Lessings, Faust Fragment. Goethe und sein Faust Faust ist ein Werk, daß Goethe 60 Jahre lang begleitet hat. Es ist sein eigener Werdegang als Dichter zur der höchsten Form seines Schaffens.

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Als Werk hat Faust keine Einheit, die Szenen sind jede für sich eine abgeschlossene Handlung, sie werden durch Faust und Mephistopheles, also die Personen zusammengehlten. Eckermann: "lauter für sich bestehende Weltenkreise, die in sich abgeschlossen, wohl aufeinander wirken" - "Kreise" aber eben solche, die zusammen eine Welt ausmachen. Goethe selbst sagt, er habe durch einander gegenübergestellt und sich gleichsam ineinander abspielende Gebilde den geheimeren Sinn dem Aufmerkenden offenbart. Er weist auf einen neuen Zusammenhang der Bilder, den wir vielleicht Symbolzusammenhang nennen dürfen. Im zweiten Teil wiederholen sich einige Szenen des ersten Teils: Monolog, Walpugisnacht. Im ersten Teil kann man vom Realismus dieser Szenen und der anderen sprechen, im zweiten Teil wird es Symbolik, gelegentlich Allegorie. Vom poetischen Standpunkt aus finden wir eine Vielfalt von Versmasen: den Knittelvers, Stanze, Alexandriner und eine besondere Versform den Madrigal. Es sind noch die Lieder, Balladen und freien Rhythmen anzutreffen, jede hat ihren ganz bestimmten Platz, wie die Noten einer Melodie. Faust wurde oft mit einer Oper verglichen, der Vergleich ist sicherlich diesen verschiedenen Versmassen zuzuschreiben. Das Faust-Drama zeigt ein Weltgeschehen zwischen Gott und Mephistopheles. Faust ist kein Durchschnittsmensch, er ist eine Ausnahme, im Sehnen und Wollen, in Verfehlen und Schuld. Faust ist ein Strebender. Mephistopheles sagt über ihn: Vom Himmel fordert er die schönsten Sterne/Und von der Erde jede höchste Lust,/Und alle Näh' und alle Ferne/Befriedigt nicht die tiefbewegte Brust.(Faust 1. Teil). Zum menschlichen Leben gehört Tätigkeit, Bewegung, Zielsetzung, doch Faust strebt ins Grenzenlose, er will die Grenzen des Menschlichen Daseins überschreiten. Die Bilder aus Fausts Leben, die das Drama verfolgt, zeigen keine Entwicklung, sondern das Problem des Strebenden, Maßlosen, Grenzenstürmenden, der sich in verschiedenen Lebensbereichen wiederholt. Das ist es was diese Bereiche zusammenhält; jedesmal ein Ausgriff ins Übermenschliche, und jedesmal die bittere Erfahrung der engen Grenzen des Ich, im Erlebnis des Erkenntnissuchenden, des Liebenden, des in die schöpferische Innenwelt Hinabsteigenden, des Herrschenden. Faust ist eine Sehnsucht, über die Grenzen des Ich hinauszugelangen. Diese Sehnsucht führt einige ins Religiöse. Faust jedoch greift fehl, er sinkt immer mehr ins Irdische. Sein Ungenügen wird ihm klar und darum kommt es zum Pakt mit dem Teufel. Dieser Pakt bestimmt dann das weitere Drama. Die Wissenschaft und die Erdgeist-Beschwörung enttäuschen ihn. Er nimmt den Vorschlag Meph. an. Es bietet sich ihm ein neuer Weg, den der Liebe, doch Faust ist schon an Meph. gebunden und sie endet in bittere Schuld. Später strebt er nach der Schönheit des griechischen Altertums, er will aber auch hier zu viel und scheitert. Schließlich erstrebt er Herrschaft und Macht, doch auch hier arbeitet Mephisto mit und es wird nichts Sinnvoll-Bleibendes daraus. In all diesen Bereichen scheint das Böse und die Vernichtung zu siegen. Faust will Gretchens Mutter einen Schlaftrunk geben, Mephisto gibt ihr Gift; Faust gerät mit Valentin in Streit, Mephisto bringt ihn um. Im zweiten Teil will Faust als Herrscher Handel treiben, Mephisto macht daraus Seeräuberei; Faust will zwei alten Leuten statt ihres Landgutes ein anderes geben, Mephisto verbrennt das Haus und die Menschen. Doch jedesmal, wenn Faust schuldig wird und Mephisto zu siegen scheint, kommt eine Wende; und nie erreicht Mephisto ganz, was er will.

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Mephisto will einen Pakt, in welchem er Faust sinnenhaften Lebensgenuss verspricht, Faust macht daraus eine Wette, daß er stehts ein geistiger Strebender bleiben werde. Mephisto will ihn in reine Geschlechtlichkeit führen, und bei Faust wird es Liebe. Mephisto will die ganze Helena-Welt als Trug enthüllen, doch bei Faust wird sie ein inneres geistig-schöpferisches Erlebnis. Mephisto will Faust zum Tyrannen machen, der Räuber und Mörderer in seinen Dienst beschäftigt, doch Faust kommt zu einem politischen Ziel, das edel ist. Faust weiß von den Taten Mephistos nichts, er ist dennoch schuld. Faust und Mephisto wirken immer in entgegengesetzter Richtung, Fausts Kraft erlahmt nicht, sie macht ihn jedoch nicht besser. Dieses Spiel der zwei Kräfte wird schon im Prolog im Himmel angedeutet: Ein guter Mensch in seinem dunklen Drange/ Ist sich des rechten Weges wohl bewusst. Faust bleibt der große Einsame, der mit einem Dämonen lebt. Mephisto als Materialist sieht nur Gold und Geschlechtlichkeit als Triebkräfte des Menschenlebens. Sein Bild des Menschen ist einseitig. In der Menschenwelt leuchtet das Licht des Ewigen hinein. Das Absolute kann dem Menschen nur unmittelbar erscheinen, ein Abglanz. FAUST EINE TRAGODIE Der erste Teil des Werkes beginnt mit drei einführenden Teilen: Zueignung, Vorspiel auf dem Theater, Prolog im Himmel. In jedem dieser einführenden Teile wird das Werk aus einer bestimmten Perspektive betrachtet. Die Zueignung enthält die persönliche Stellung des Dichters zum Thema Faust. Wie bekannt hat sich Goethe lange Zeit mit diesem Thema beschäftigt. Die Beziehung von Ich und Werk drückt sich in einer zarten lyrischen Sprache aus. Sie ist eine Dichtung von der Dichtung. Er spricht gleich am Anfang von der Wiederaufnahme des Werkes: Ihr naht euch wieder, schwankende Gestalten, Die früh sich einst dem trüben Blick gezeigt. Versuch' ich wohl, euch diesmal festzuhalten? Fühl' ich mein Herz noch jenem Wahn geneigt? Ihr drängt euch zu! Nun gut, so mögt ihr walten, Wie ihr aus Dunst und Nebel um mich steigt; Mein Busen fühlt sich jugendlich erschüttert Vom Zauberhauch, der euren Zug umwittert. 1. schwankende Gestalten - Goethe bezeichnet hier damit eine Gestalt, die noch nicht feste Form gefasst hat. (Es sind die Gestalten des Werkes) 2. Wahn = Phantasiegebilde. Ihr bringt mit euch die Bilder froher Tage, Und manche lieben Schatten steigen auf; Gleich einer alten, halbverklungnen Sage

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Kommt erste Lieb' und Freundschaft mit herauf; Der Schmerz wird neu, es wiederholt die Klage Des Lebens labyrintisch irren Lauf, Und nennt die Guten, die, um schöne Stunden Vom Glück getäuscht, von mir hinweggeschwunden. Sie hören nicht die folgenden Gesänge, Die Seelen, denen ich die ersten sang; Zerstoben ist das freundliche Gedränge, Verklungen, ach! Der erste Widerklang. Mein Lied ertönt der unbekannten Menge, Ihr Beifall selbst macht meinem Herzen bang, Und was sich sonst an meinem Lied erfreuet, Wenn es noch lebt, irrt in der Welt zerstreuet. Und mich ergreift ein längst entwöhntes Sehnen Nach jenem stillen, ernsten Geisterreich, Es schwebet nun in unbestimmten Tönen Mein lispelnd Lied, der Äolsharfe gleich, Ein Schauer fasst mich, Träne folgt den Tränen, Das strenge Herz, es fühlt sich mild und weich; Was ich besitze, seh' ich wie im Weiten, Und was verschwand, wird mir zu Wirklichkeiten. 1. Äolsharfe - Wunderharfe, in Goethes Zeit beliebt. Ihre Töne sind leise, ineinander übergehend, daher als lispelnd bezeichnet. Das Motiv der Träne bezeichnet nicht nur die neue Erschütterung, sondern auch das Hindurchfinden zu einer neuen Lösung durch die Erschütterung. Bei Goethe das Zurückfinden zu einer Dichtung, die tief in seinem Inneren wurzelt. Goethe zu Eckermann: "Ich empfand in meinem Inneren Eindrücke, und zwar Eindrücke sinnlicher, lebensvoller, lieblicher, bunter, hundertfältiger Art, ... und ich hatte als Poet weiter nichts zu tun, als solche Anschauungen und Eindrücke in mir künstlerisch zu runden und auszubilden ... " VORSPIEL AUF DEM THEATER Hier treten drei Personen auf: Dichter, Theaterdirektor, Lustige Person. Aus den Gesprächen dieser Personen, geht hervor, was der Faust dem Publikum bedeuten könnte. Goeth selbst dazu: "Geh nun" sagt Goethe "und lass mir das Publikum, von dem ich nichts hören mag. Die Hauptsache ist, dass es geschrieben steht. Mag nun die Welt damit gebaren, so gut sie kann, und es benutzen, so weit sie es fähig ist." (Gespräche mit Eckermann: 20. Dez. 1829). Der Theaterdirektor ist ein Geschäftsmann, dem es nur ums Geschäft und Geld geht. Die Lustige Person verkörpert den Schauspieler. Der Dichter steht zwischen beiden. Der Direktor: Ich wünsche sehr der Menge zu behagen, Besonders weil sie lebt und leben lässt. .............................. Die Masse könnt ihr nur durch Masse zwingen,

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Ein jeder sucht sich endlich selbst was aus. Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen; Und jeder geht zufrieden aus dem Haus. Lustige Person will dem Dichter Mut zusprechen: Greift nur hinein ins volle Menschenleben! Ein jeder lebt's, nicht vielen ist's bekannt, Und wo ihr's packt, da ist's interessant. In bunten Bildern wenig Klarheit, Viel Irrtum und ein Fünkchen Wahrheit, So wird der beste Trank gebraut, Der alle Welt erquickt und auferbaut. Der Dichter rechtfertigt sich er sagt zum Direktor: Geh hin und such dir einen andern Knecht! Er will Kunst darbieten, die will aber nicht zum Geld führen. Da greift die Lustige Person ein und der Dichter spricht seine Bedenken und seinen Schmerz um seine verlorene Jugend aus, die allein hätte so ein Werk schaffen können: So gib mir auch die Zeiten wieder; Da ich noch selbst im Werden war, Da sich ein Quell gedrängter Lieder Ununterbrochen neu gebar, Da Nebel mir die Welt verhüllten Die Knospe Wunder noch versprach, Da ich die tausend Blumen brach, Die alle Täler reichlich füllten. Ich hatte nichts und doch genug; Den Drang nach Wahrheit und die Lust am Trug. Gib ungebändigt jene Trieb, Das tiefe schmerzenvolle Glück, Des Hasses Kraft, die Macht der Liebe, Gib meine Jugend mir zurück! Lustige Person: Mit Mut und Anmut einzugreifen, Nach einem selbstgesteckten Ziel Mit holdem Irren hinzuschweifen, Das alte Herrn, ist eure Pflicht, Und wir verehren euch darum nicht minder. Das Alter macht nicht kindisch, wie man spricht, Es findet uns nur noch als wahre Kinder. Der Direktor schließt mit folgenden Worten ab: Der Worte sind genug gewechselt, Lasst mich auch endlich Taten sehen! Indes ihr Komplimente drechselt,

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Kann etwas Nützliches geschehen. .......................................... So schreitet in dem engen Bretterhaus Den ganzen Kreis der Schöpfung aus Und wandelt mit bedächt'ger Schnelle Vom Himmel durch die Welt zur Hölle. Nachdem in diesem Teil ein Entschluss gefasst wird und Goethe sich mit den materiellen Problemen auseinandergesetzt hat, beginnt das eigentliche Werk - Prolog im Himmel- Es beginnt vor Gottes Stuhl und endet nicht so wie der Direktor sagt : Vom Himmel durch die Welt zur Hölle, sondern am Ende stehen wir wieder vor Gottes Richterstuhl. PROLOG IM HIMMEL Der Herr, Die himmlischen Heerscharen.

Nachher Mephistopheles. Die drei Erzengel treten vor. Die Szene beginnt mit einem Chor der Erzengel, die ein Bild des ewigen Werdens des All entfalten. Hier erscheint das Motiv des kosmisch-pansophistischen Weltbildes, das ein Symbol für die Weltharmonik überhaupt ist. Mephistopheles tritt ins Gespräch mit Gott. Die echten Göttersöhne im Gegensatz zu den gefallenen Engeln, zu denen auch Mephistopheles gehört, werden gegenübergestellt. Goethe sagt in einem Sendschreiben Zum Shakespeares-Tag 1771, Das was wir bös nennen, ist nur die andere Seite vom Guten. Gott hat Luzifer geschaffen und damit ist er auch in Gott enthalten und durch ihn begrenzt. Luzifers Abfall ist die Welt der Materie. Gott schuff eine Gegenkraft, das Licht, und ein Wesen, geeignet die ursprüngliche Verbindung mit der Gottheit wiederherzustellen, den Menschen. Mephistopheles spricht mit Gott, bewusst von seinem Abfall: Da du, o Herr, dich einmal wieder nahst Und fragst, wie alles sich bei uns befinde, Und du mich sonst gewöhnlich gerne sahst, So siehst du mich auch unter dem Gesinde. Verzeih, ich kann nicht hohe Worte machen, Und wenn mich auch der ganze Kreis verhöhnt; Mein Pathos brächte dich gewiss zum Lachen, Hättest du dir das Lachen nicht abgewöhnt, Von Sonn' und Welten weiss ich nichts zu sagen, Ich sehe nur, wie sich die Menschen plagen. Der kleine Gott der Welt bleibt stehts von gleichem Schlag Und ist so wunderlich als wie am ersten Tag, Ein wenig besser würd' er leben, Hättest du ihm nicht den Schein des Himmelslichts gegeben; Er nennt's Vernunft und braucht's allein, Nur tierischer als jedes Tier zu sein. Im Gegensatz zu den Erzengeln, die von Sonn' und Welten singen, kann Mephisto nur von seinem Element sprechen, da er die Verkörperung der Materie ist. Er nennt den Menschen: Der

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kleine Gott der Welt, den er vorgibt zu bemitleiden, aber im Grunde ihn beneidet, da Gott ihm den Schein des Himmelslicht gegeben hat. Er setzt den Menschen herab, indem er seine Vernunft herabsetzt: Er nennt's Vernunft und braucht's allein,/Nur tierischer als jedes Tier zu sein. Er sieht im Menschlichen nur das triebhaft Tierische. Der Herr weist ihn zurecht: Hast du mit weiter nicht zu sagen?/ Kommst du nur immer anzuklagen?/ Ist auf der Erde ewig dir nichts recht? Seine Antwort: Nein, Herr! Ich find' es dort, wie immer, herzlich schlecht,/Die Menschen dauern mich in ihren Jammertagen,/Ich mag sogar die armen selbst nicht plagen. Der Herr macht ihn auf Faust aufmerksam. Er will ihm beweisen, daß der Mensch und die Menschheit in ihrem Vorwärtsstreben auf Irrwegen gerät, daß sie aber nicht vom rechten Wege abgebracht werden kann. Im Menschen ist sowohl das Gute als auch das Böse vorhanden, beide wurden von Gott geschaffen und stehen in seinen Grenzen. Mephisto kennt Faust er spricht folgendes über ihn aus: Führwahr! Er dient Euch auf besondre Weise. Nicht irdisch ist des Toren Trank noch Speise. Ihn treibt die Gärung in die Ferne, Er ist sich seiner Tollheit halb bewusst; Vom Himmel fordert er die schönsten Sterne Und von der Erde jede höchste Lust, Und alle Näh' und alle Ferne Befriedigt nicht die tiefbewegte Brust. Der Herr ist sich der Irrwege des Menschen bewusst: Wenn er mir jetzt auch nur verworren dient, So werd' ich ihn bald in die Klarheit führen. Weiß doch der Gärtner, wenn das Bäumchen grünt, Daß Blüt' und Frucht die künft'gen Jahre zieren. Mephisto selbstsicher bietet Gott eine Wette an: Was wettet Ihr? Den sollt ihr noch verlieren, Wenn ihr mir die Erlaubnis gebt, Ihn meine Straßen sacht zu führen! Der Herr vertraut aber auf den Schein des Himmelslicht, das er dem Menschen gegeben hat. Solang' er auf Erden lebt, Solange sei dir's nicht verboten. Es irrt der Mensch, solang' er strebt. Nach einer ironischen Bemerkung Mephistos spricht wieder der Herr: Nun gut, es sei dir überlassen! Zieh diesen Geist von seinem Urquell ab, Und führ' ihn, kannst du ihn erfassen, Auf deinem Wege mit herab, Und steh beschämt, wenn du bekennen musst Ein guter Mensch in seinem dunklen Drange Ist sich des rechten Weges wohl bewusst. Mephisto seinerseits ist sich seines Triumphes, dem Triumph der Materie über den Geist sicher: Wenn ich zu meinem Zweck gelange, Erlautb ihr mir Triumph aus voller Brust.

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Staub soll er fressen, und mit Lust, Wie meine Muhme, die berühmte Schlange. DER HERR: Du darfst auch da nur frei erscheinen; Ich habe deinesgleichen nie gehasst. Von allen Geistern, die verneinen, Ist mir der Schalk am wenigsten zur Last. Des Menschen Tätigkeit kann allzuleicht erschlaffen, Er liebt sich bald die unbedingte Ruh; Drum geb' ich gern ihm den Gesellen zu, Der reizt und wirkt und muss als Teufel schaffen.- Im Menschen sind beiden Seiten, Gut und Böse, der Kampf der Gegensätze ist eben der Vortschritt der Menschheit. Mephisto bleibt allein und kann sich seiner ironischen Bemerkung nicht enthalten: Von Zeit zu Zeit seh' ich den Alten gerne, Und hüte mich, mit ihm zu brechen. Es ist gar hübsch von einem grossen Herrn, So menschlich mit dem Teufel selbst zu sprechen. So endet der Prolog im Himmel. Gott geht keine Wette mit Mephisto ein, obwohl dieser das glaubt, er weiss der Mensch kann gerettet werden. DER TRAGODIE ERSTER TEIL NACHT In einem hochgewölbten, engen gotischen Zimmer Faust unruhig auf seinem Sessel am Pulte Schon bei Marlowe und im Volksbuch findet sich das Motiv der Sehnsucht zur vollen Entfaltung, der grossen Sehnsucht nach Begreifen der Welt. Die Pansophie und die Naturmystik von Paracelsus über Kepler bis zu Welling und Swendborg - man suchte die Weltharmonik und die "semina rerum". Faust: Dass ich erkenne, was die Welt/In ehrem Innersten zusammenhält,/Schau' alle Wrikenskraft und Samen,/Und tu' nicht mehr in Worten kramen./ Die Sprache in Faust klingt in diesem Teil nach dem 16. und 17. Jh., und doch anders, denn hier geht es um Literatur und die Wiedergabe dieses seelischen Kämpfens sind eine grosse Leistung der Weltliteratur. Der folgende Monolog ist einer der vielen Monologe Fausts, die jeden Teil der Tragödie einleiten. Es ist einer der meist zitierten Monologe des Dramas: Habe nun, ach! Philosophie, Juristerei und Medizin, Und leider auch Teologie Durchaus studiert, mit heißem Bemühen. Da steh' ich nun ich armer Tor, Und bin so klug als wie zuvor!

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Heiße Magister, heiße Doktor gar, Und ziehe schon an die zehn Jahr' Herauf, herab und quer und krumm Meine Schüler an der Nase herum - Und sehe, daß wir nichts wissen können! Das will mir schier das Herz verbrennen. Zwar bin ich gescheiter als all die Laffen, Doktoren, Magister, Schreiber und Pfaffen; Mich plagen keine Skrupel noch Zweifel, Fürcht mich weder vor Hölle noch Teufel- Dafür ist mir auch alle Freud' entrissen, Bilde mir nicht ein, was Rechts zu wissen, Bilde mir nicht ein, ich könnte was lehren, Die Menschen zu bessern und zu bekehren. Auch hab' ich weder Gut noch Geld, Noch Ehr' und Herrlichkeit der Welt; Es möcht kein Hund so länger leben! Drum hab' ich mich der Magie ergeben, Ob mir durch Geistes Kraft und Mund Nicht manch Geheimnis würde kund; Daß ich nicht mehr mit saurem Schweiß Zu sagen brauche, was ich nicht weiß; Daß ich erkenne, was die Welt Im Innersten zusammenhält, Schau' alle Wirkenskraft und Samen, Und tu' nicht mehr in Worten kramen. Hier wir kurz das Drama des Gelehrten geschildert, der sich der Grenzen des menschlichen Erkennens bewusst wird. Faust ist sich bewusst, daß er nicht einer von denen ist, die sich in diese Grenzen einfügen und das menschliche Los annehmen. Er ist kein Durchschnittsmensch. Für Faust wird das enge, dunkle, vollgestopfte Studierzimmer Sinnbild für die Grenzen des Menschen. Er will fliehen: Weh! Steck ' ich in dem Kerker noch? Verfluchtes dumpfes Mauerloch, Wo selbst das liebe Himmelslicht Trüb durch gemalte Scheiben bricht! .................. Flieh! Auf! Hinaus ins weite Land! Und dies geheimnisvolle Buch, Von Nostradamus' eigner Hand, Ist dir es nicht Geleit genug? Er will flieh und stösst auf das Buch von Nostradamus: Nostradamus = Michel Notredame,1503-1566, französischer Astrolog und Naturforscher, über seine Prophezeiungen berichtet zu Goethes Zeit Gottfried Arnold, den Goethe gerne las. Faust schlägt das Buch auf, wo sich ihm ein Bild des Makrokosmus zeigt; Makrokosmus = der grosse Kosmus= die Natur, das All; Mikrokosmus= der Mensch.

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Nach pansophistischem Glauben ist der Mensch ein "Auszug" des Makrokosmus, und es bestehen zwischen beiden eine magische Beziehung, so daß sich Reihen solcher Bezüge ergeben, etwa: Sonne-Gold-Herz; Mond-Silber-Gehirn; Jupiter-Zinn-Leber usw. Die magische Beziehung zwischen Gestirnen, antiken Göttern, Metallen, menschlichen Organen, Menschentypen usw. oder die Beziehung zwischen Naturelememten, Motiven der Offenbarung Johannes und den Eigenschaften der Menschen lassen sich schematisch aufzeichnen, indem man sie im Kreis oder Quadrat hineinschreibt und mit Strichen verbindet, was aufeinander wirkt; so ergibt sich ein Zeichen der Weltharmonik. Wie alles sich zum Ganzen webt, Eins in dem andern wirkt und lebt! Und Himmelskräfte auf und nieder steigen Und sich die goldnen Eimer reichen! Mit segenduftenden Schwingen Vom Himmel durch die Erde dringen, Harmonisch all das All durchklingen! Welch Schauspiel! Aber ach! Ein Schauspiel nur! Wo fass' ich dich unendliche Natur? Ein solches Zeichen sieht Faust im Buch. Aber das Zeichen ist vom Menschen gedacht, nicht das Seiende selbst. Er verzweifelt, gibt auf, so wie auch das 18. Jh. den alten Traum der Pansophie aufgab. Er sucht nun nach der Wirklichkeit der Natur, er sucht den Erdgeist. Dazu sagt Erich Trunz: " Der Erdgeist ist Goethes eigene mythische Schöpfung. Während das, was er vom Zeichen des Mokrokosmos sagt, eine Zusammenfassung und Poetisierung Paracelsisch-Böhmischer Träume ist, die durch die Jahrhunderte gingen, hatte er für dieses Motiv nur ganz geringe Anregung, er gibt ja mit ihm auch gerade etwas, was über die Überlieferung, über Pansophistisch-Konstruktive, hinausgeht. Paracelsus spricht vom einem "archeus terrae", Giordano Bruno von der "anima terrae", ähnlich die für die pansophistische Mystik sehr bezeichnenden Bücher, die unter dem Namen Basilius Valentinius erschienen. Doch konnte das alles kaum mehr als Namen liefern. Goethe macht daraus einen Geist, eine Erscheinung im Drama. Der Makrokosmos ist die Weltordnung, für die man ein Zeichen schaffen kann, die man aber nicht beschwören kann." Er sieht so eine Zeichnug, sie ist eine Verkörperung des wechselseitigen Kräftespiels im All. Goethe hat in dieser Szene, das Beste, was das pansophistische Streben in drei Jahrhunderten hervorgebracht hat, aufgenommen und hier bildhaft zusammengefasst. Er kannte die Naturauffassung Newtons niemals und blieb denen des Neuplatonismus eng verbunden. Goethe hat sich eingehend mit der Pansophie beschäftigt. In seinem Faust finden sich alle seine Gedanken über diese philosophische Strömung wieder. In der Malerei finden wir auch einen Niederschlag pansophistischen Geistes und zwar bei Rembrandts Radierung eines Gelehrten, der ein magisches Zeichen sieht; mann nennt die Radierung "Faust". Dieses Bild ließ Goethe nachstechen und fügte es dem Fragment 1790 bei. Der Druck war aber nicht gelungen. . Das Zeichen des Erdgeistes wirkt anders auf Faust ein: Wie anders wirkt das Zeichen auf mich ein!

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Du, Geist der Erde, bist mir näher; Schon fühl' ich meine Kräfte höher, Schon glüh' ich wie von neuem Wein, Ich fühle Mut, mich in die Welt zu wagen, Der Erde Weh, der Erde Glück zu tragen, Mit Stürmen mich herumzuschlagen Und in des Schiffbruchs Knirschen nicht zu zagen. Er schöpft neuen Mut und Hoffnung, er verspricht sich vom Erdgeist die Antwort auf seine quälerischen Fragen. Der Erdgeist erscheint und spricht zu Faust: Du flehst eratmend, mich zu schauen, Meine Stimme zu hören, mein Antlitz zu sehen; Mich neigt dein mächtig Seelenflehn, Da bin ich! - Welch erbärmlich Grauen Fasst Übermensch dich! Wo ist der Seele Ruf! Wo ist die Brust, die eine Welt sich schuf Und trug und hegte, die mit Freudebeben Erschwoll, sich uns, den Geistern, gleich zu heben? Wo bist du, Faust, des Stimme mir erklang, Der sich an mich mit allen Kräften drang? Bist du es, der von meinen Hauch umwittert In allen Lebenstiefen zittert Ein furchtsam weggekrümter Wurm? Faust: Soll ich dir, Flammenbildung, weichen? Ich bin's, bin Faust, bin deinesgleichen. Faust fühlt sich ihm nahe, ihm gewachsen. Der Erdgeist jedoch ist der Geist des organischen irdischen Lebens. Der Menschengeist ist diesem Geist nicht gewachsen: Du gleichst dem Geist, den du begreifst. Nicht mir! (Verschwindet) Der Wille zum Erkennen, der auf dem Weg der Wissenschaft nicht vorwärts kam, wird auch hier - im Bereich der Magie- nur auf seine Grenzen hingewiesen. Nicht der Erdgeist kann bei Faust bleiben, sondern Mephistpheles, ein kleiner und ein negativer Geist, einer, der sich nur für die Menschen, nicht für die Erde als Ganzes interessiert. Der Erdgeist wurde später als Welt-und-Taten-Genius gedeutet. Faust zusammenstürtzend. Nicht dir? Wem denn? Ich Ebenbild der Gottheit! Und nicht einmal dir! Die Wagner Szene

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Wagner im Schlafrock und der Nachtmütze, eine Lampe in der Hand, Faust wendet sich unwillig.

Wagner verkörpert den Stubengelehrten, der nicht eigene Gedanken ausspricht, sondern solche der gelehrten Tradition des 16. Jh., sie werden platt und unlebendig in Wagners Geist, dem die Welt nur rational begreifbar ist (Erasmus). Faust steht ihm gegnüber als der neuzeitliche Mensch. Wagner hat die humanistische Lehre gehört, Tugend sei lehrbar und der Gelehrte solle die Menschen zur Sittlichkeit führen. Das alles liegt in der Klarheit der Begriffe und Schönheit der Darstellung, und dieses wird erzielt durch die Richtigkeit im Setzten der Worte. Die bisherige Szene stellte die ganze pansophistisch-naturmystische Geistigkeit des 16. und 17. Jh. dar, hier beginnt nun die humanistisch-rethorische - die Ideen von Erasmus. Wagner verkörpert das helle wissenschaftliche Streben, dem Goethe nicht geneigt war, er macht ein verknöchertes Zerrbild daraus, er läßt die Paracelsische in der Grossartigkeit Fausts erscheinen. Museum - im Neulateinischen der Humanisten und Barockgelehrten allgemein die Studierstube, Arbeitszimmer des Gelehrten. Wagner ist jener Gelehrte, der nicht direkt von den Quellen studierte, sondern von anderen kommentierte Bücher las. Er bezeichnet als Quellen des Wissens die humanistischen oder antiken Autoren, er zitiert gerne daraus; hier Hippokrates: "Ars longa, vita brevis" = 'Die Kunst ist lang und kurz das Leben'. Als Mephisto sich später in Faust verkleidet, hören wir dieses auch auch seinem Mund, denn Faust sollte einen von diesen Gelehrten dort verkörpern. Die Wagner-Faust Szene bietet Goethe die Gelegenheit seine Gedanken über die Geschichtschreibung, philosophischen Stömungen, Politik und ihre Rezeption im 18. Jh. anschaulich zu machen. Es sind die Grundzüge der Geistesgeschichte der letzten drei Jahrhunderte. Wagner tritt ab und Faust erinnert sich wieder an seine Begegnung mit dem Erdgeist. Über Wagner geben folgende Verse seine Meinung ab: Wie nur dem Kopf nicht alle Hoffnung schwindet, Der immerfort an schalem Zeuge klebt, Mit gier'ger Hand nach Schätzen gräbt, Und froh ist, wenn er Regenwürmer findet! Darf eine solche Menschenstimme hier, Wo Geisterfülle mich umgaben, ertönen? Doch ach! Für diesmal dank' ich dir, Dem ärmlichsten von allen Erdensöhnen, Du rissest mich von der Verzweiflung los, Die mir die Sinne schon zerstören wollte. Ach! Die Erscheinung war so riesengroß, Daß ich mich recht als Zwerg empfinden sollte. Faust wird von der Sorge geplagt und was Sorge ist sagt er selbst: Die Sorge nistet gleich im tiefen Herzen, Dort wirket sie geheime Schmerzen, Unruhig wiegt sie sich und störet Lust und Ruh;

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Sie deckt sich stehts mit neuen Masken zu, Sie mag als Haus und Hof, als Weib und Kind erscheinen, Als Feuer, Wasser, Dolch und Gift; Du bebst vor allem, was nicht trifft, Und was du nie verlierst, das musst du stehts beweinen. Er kann und will nicht mehr weiter kämpfen, er sieht im Tode, im Übergang ins All die einzige Erlösung. Diese Todessehnsucht kommt in mehreren seiner Werke zum Ausdruck, schon im frühen Werther und auch in dem späteren Werk Wahlverwandschaften. Kündet sie die Romantik an? Er greift zu der Phiole (Glasgefäss der Alchimisten, hier Behälter von Gift; das Substantiv Gift ist bei Goethe ein Maskulinum = der Gift). Wird aber zurückgehalten durch den Klang der Osterglocken, Wagner hatte schon auf das bevorstehende Osterfest hingedeutet. Durch die Widergabe der Chöre zeigt Goethe wieder seine grosse Begabung Musik in Versen hörbar zu machen; es sind leise schwebende Kurzverse, preisende Adjektive - es ist die grosse Tradition der katholischen Kultur. Die Osterglocken und der Gesang, der aus der nahe gelegnen Kirche zu ihm dringt, rufen Erinnerungen an seine Jugend in ihm wach. Der ganze folgende Monolog ist ein neuer Aufbruch, der die Jugend der Seele beweist. P. Stöcklein sagt in Wege zum späteren Goethe, Hamburg, 1949, S. 80 "Für die gesammte innere Logik des Ablaufs zeigt am meisten, daß wir die Osterglocke nicht als ein von außen hereinklingender Zufall empfinden, sie ist nicht deus ex machina, sie steht notwendig in einem inneren Bogen seelischen Ablaufs ... Weinen ist eine Kraft aus der Jugend der Seele ... Jetzt wird Atem und Blick der Seele wieder frei .. Wieder steht die Welt so richtig vor ihm, wie sie der geniale Blick des Kindes aufzufassen vermag." (S. 31) .................... Ein unbegreiflich holdes Sehnen Trieb mich, durch Wald und Wiesen hinzugehn, Und unter tausend heissen Tränen Fühlt' ich mir eine Welt entstehen. Dies Lied verkündete der Jugend muntre Spiele, Der Frühlingfeier freies Glück; Erinnerung hält mich nun mit kindlichem Gefühle Vom letzten, ernsten Schritt zurück. O tönet fort, ihr süssen Himmelslieder! Die Träne quillt, die Erde hat mich wieder! Die drei Hymnen schließen die Szene ab, sie klingen fast wie Übersetzungen aus dem Mittellateinischen, sie sind es aber nicht. VOR DEM TORE Spaziergänger aller Art ziehen hinaus Sie stammt aus der Schaffensperiode um 1800. Sie beginnt mit dem bunten Gewimmel eines Ostermorgens, wo alle ins Freie hinaus wollen. Goethe hat dadurch ein Bild des philiströsen engen Bürgerlebens zeigen wollen. Die Gespräche der einzelnen Personen haben keinen

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Zusammenhang, jede Gesellschaftsschicht hat je einen Repräsentanten, der für die ganze Schicht typisch ist. Handwerker, Dienstmädchen, Bürgermädchen, Schüler (hier wird Student gemeint) Bürger, Bettler, eine Alte, Soldaten. Wagner und Faust sehen auf ihrem Spaziergang die bunte Menge, sie heben sich aber davon ab. Erst in BAUERN unter der Linde, kommt es zum Gespräch zwischen Faust und dem Menschen, der in der Natur lebt, mit ihr im Einklang ist, und nicht mehr zu wissen braucht. Es sind die alten Bauern, die mit Faust sprechen, und mit denen Faust spricht. Ihre Verehrung bringt Faust wieder auf dunkle Gedanken. Wagner ist stolz mit so einem grossen Mann gesehen zu werden, den alle Leute verehren. Faust dazu: Der Menge Beifall tönt mir nun wie Hohn. O könntest du in meinem Innern lesen, Wie wenig Vater und Sohn Solch eines Ruhmes wert gewesen! Faust erlebt wieder einen Umschlag, der Wechsel von Euphorie zu Depression geht auch hier besonders rasch vorwärts: O glücklich, wer noch hoffen kann Aus diesem Meer des Irrtums aufzutauchen! Was man nicht weiß, das eben brauchte man, Und was man weiß, kann man nicht brauchen. Doch laß uns dieser Stunden schönes Gut Durch solchen Trübsinn nicht verkümmern! Betrachte, wie in Abendsonnenglut Die grünumgebnen Hütten schimmern. Der Sonnenuntergang ruft in ihm wieder eine Sehnsucht hervor, die ihm seine Doppelseitigkeit enthüllt. Er spricht zu Wagner: Du bist dir nur des einen Triebs bewusst; O lerne nie den andren kennen! Zwei Seelen wohnen, ach! In meiner Brust, Die eine will sich von der andren trennen; Die eine hält in, derber Liebeslust, Sich an die Welt mit klammernden Organen; Die andre hebt gewaltsam sich vom Dust Zu den Gefielden hoher Ahnen. Dieses Hinauf zu den Gefielden hoher Ahnen - lassen wieder seine Sehnsucht der Überschreitung der Menschengrenzen erkennen. Die Doppelseitigkeit des Menschen mit seinen zwei Trieben, das von Gott schon im Prolog im Himmel angedeutet wurde, kommt wieder auf. Damit ist Fausts Zurückkommen in die Welt, das durch den Klang der Osterglocken hervorgerufen wurde, angedeutet Faust und Wagner bemerken einen Pudel, der sich in der Gegend herumtreibt, und sich ihnen zu nähren versucht. Faust fühlt sich bedroht, wird aber durch die sachlichen Bemerkungen Wagners beschwichtigt. STUDIERZIMMER

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Zurück in seinem Studierzimmer wird Faust wieder ruhiger. Dieses ist eine vorübergehende Stimmung, denn er hat den Pudel mit sich ins Zimmer gebracht. Faust mit dem Pudel hereintretend. Verlassen hab' ich Feld und Auen, Die tiefe Nacht bedeckt, Mit ahnungsvollem, heil'gem Grauen In uns die bessre Seele weckt. Entschlafen sind nun wilde Triebe Mit jedem ungestümen Tun; es reget sich die Menschenliebe, Die Liebe Gottes regt sich nun. Er wird durch das unruhige Benehmen des Pudels bei den Bibelwörtern gestört. Er versucht sich weiter zu beruhigen, indem er beginnt in der Bibel Ruhe zu suchen. Er versucht die Bibel anders zu übersetzen, er setzt an den Anfang die Tat. Geschrieben steht: "Im Anfang war das Wort!" Hier stock' ich schon! Wer hilft mir weiter fort? Ich kann das Wort so hoch unmöglich schätzen, Ich muß es anders übersetzen, Wenn ich vom Geiste recht erleuchtet bin, Geschrieben steht: Im Anfang war der Sinn. Bedenke wohl die erste Zeile, Daß deine Feder sich nicht übereilte! Ist es der Sinn, der alles wirkt und schafft? Es sollte stehn: Im Anfang war die Kraft! Doch, auch indem ich dieses niederschreibe, Schon warnt mich was, daß ich dabei nicht bleibe. Mir hilft der Geist! Auf einmal seh' ich Rat Und schreibe getrost: Im Anfang war die Tat! Logos, in der antiken Philosophie "Weltgeist, Weltvernunft", war ein Wort, das im Christentum aufgenommen wurde und hier die göttliche Vernunft, das Schöpferprinzip und den fleischgewordenen Gott, d.h. Christus bedeutete. Dieser sogenannte Versuch der Bibelübersetzung Fausts wurde viel interpetiert, es ist die Frage, ob Geist oder Materie der Anfang der Welt waren. Die beiden uns bekannten philosophischen Strömungen; der Materialismus und Idealismus stehn Zeuge dafür. Bei diesen Auseinandersetzungen Fausts mit den Bibelworten beginnt der Pudel zu bellen und zu heulen. Faust weiß nun, daß es sich hier nicht um einen gemeinen Pudel handelt. Er versucht herauszufinden, um was für eine Geist es sich hier handelt. Er versucht es mit einem Zauberspruch, der Elementargeister beschwören kann. "Clavicula Salomonsis", ist ein Zauberbuch, das vorgibt, auf Salomon zurückzugehen, im 16., 17. und 18.Jh. in Handschreift und Druck vorgelegt. Der Chor der Geister, die Mephistopheles retten wollen, spotten seiner: Denn er tat uns allen

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Schon viel zu Gefallen. Es wird klar, daß es sich um einen kleinen Geist handelt. Salamander, Undene, Sylphe, Kobold - Elementargeister in Feuer, Wasser, Luft und Erde: Paracelsisch. Aber der Spruch hilft nicht, also handelt es sich nicht um einen Naturgeist. Er geht einen Schritt weiter, er gibt sich Rechenschaft, daß es um einen höllischen Geist geht. Incubus, ursprünglich Buhl-oder Quälteufel, der nachts den Menschen besucht; hier = Kobold, Elementargeist der Erde. Er versucht es nun mit einem anderen Zeichen, vermutlich das Kruzifix. Er beschwört ihn mit dem Zeichen der Dreieinigkeit und nun weiß er, daß er einen Höllengeist vor sich hat. Fliegengott: wörtliche Übersetzung des hebräischen "Belzebub". Aus dem Nebel geht Mephstopheles hervor; gekleidet wie ein fahrender Scholastikus. Faust sagt die Worte, die zu geflügelten Worten wurden: Das also war des Pudels Kern! Mephisto stellt sich vor: Ein Teil von jener Kraft, Die stehts das Böse will und stehts das Gute schafft. Faust. Was ist mit diesem Rätselwort gemeint? Mephisto: Ich bin der Geist, der stehts verneint! Und das mit Recht; denn alles, was entsteht, Ist wert, daß es zugrunde geht; Drum besser wär's, daß nichts entstünde. So ist denn alles, was ihr Sünde, Zerstörung, kurz das Böse nennt, Mein eigentliches Element. Mephistopheles schildert die Entstehung der Welt nach Luzifers Abfall, also nicht mit Gott im Anfang: Faust. Du nennst dich ein Teil, und stehst doch ganz vor mir? Mephisto. Bescheidne Wahrheit sprech' ich dir. Wenn sich der Mensch, die kleine Narrenwelt, Gewöhnlich für ein Ganzes hält-

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Ich bin ein Teil des Teils, der anfangs alles war, Ein Teil der Finsternis, die sich das Licht gebahr, Das stolze Licht, das nun der Mutter Nacht Den alten Rang, den Raum ihr streitig macht, Und doch gelingt's ihm nicht, da es, so viel es strebt, Verhaftet an den Körpern klebt. Von Körpern strömt's, die Körper macht es schön, Ein Körper hemmt's auf seinem Gange, So, hoff' ich, dauert es nicht lange, Und mit den Körpern wird's zugrunde gehen Faust. Nun kenn' ich deine würd'gen Pflichten! Du kannst im Grossen nichts vernichten Und fängst es nun im Kleinen an. (Kopieren S.48!) Er setzt der ewig regen/Der heilsam schaffenden Gewalt/Die kalte Teufelsfaust entgegen;/Die sich vergebens tückisch ballt! Faust weiß nun, daß Mephisto ein Teil des Bösen ist, daß aber bedingt ist. Er wird immer kleine Spiele gewinnen und grosse Spiele verlieren, vor allem: er wird immer spielen. In diesem Teil kommt schon die Rede auf einen Pakt: Faust. Die Hölle selbst hat ihre Rechte? Das find' ich gut, da ließe sich ein Pakt, Und sicher wohl, mit euch, ihr Herren, schließen? Mephisto. Was man verspricht, das sollst du rein genießen, Mephisto will sich entfernen und es stellt sich heraus, daß er eigentlich gefangen ist. Die konkrete Schilderung der Tatsache lockert wieder den Ton auf. Drudenfuss, Pentagramm, fünfzackiger Stern, im Schrifttum der Zauberei, von Alchimisten und Pansophen des Mittelalters und noch des Barocks viel benutzt; die fünf Zacken bedeuten die Buchstaben des Namen Jesus; ein heiliges Zeichen und damit hinderlich für böse Geister. Mephisto sieht wohl, daß Faust ihn nicht gehen lassen will, er schläfert ihn ein und durch einen Traum soll in Faust ein arkadisch, dionysische Sehnsucht geweckt werden, die ihn von seinem Grenzenüberschreiten heilen soll. Der Traum soll auf seine Sinne wirken und die Erinnerung an Mephisto soll sich mit der Traumvision verbinden, und Faust auf den Pakt vorbereiten. Faust erwacht: Bin ich denn abermals betrogen? Verschwindet so der geisterreiche Drang,

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Dass mir ein Traum den Teufel vorgelogen, Und daß ein Pudel mir entsprang? STUDIERZIMMER Faust. Mephistopheles. Hier sind die Schlusszene und die Paktszene enthalten, die das erste tragische Thema des Werkes, die Gelehrtentragödie, abschliessen. Sie wurde in Italien begonnen und in der Zeit der Freundschaft mit Schiller beendet. Die Paktszene war auch in den Volksbüchern und Puppenspielen vorhanden. Diese Kernszene ist auch bei Goethe entscheidend für den Zusammenhang der ganzen Dichtung. In den alten Fassungen schafft Mephisto Reichtum, Sinnengenuss, Zauberkunst und Antwort auf alle Fragen. Faust geht nicht einen eigentlichen Pakt ein, sondern eher eine Wette, denn er sagt, nur wenn du mich träg und genussfreudig je machen kannst, werde ich dir gehören. Er weiß jedoch, daß er das nie sein wird. Mephisto kommt nun als edler Junker verkleidet wieder und schlägt Faust vor sich selbst ebenso zu kleiden. Dieser erwidert ihm: In jedem Kleide werd' ich wohl die Pein Des engen Erdenlebens fühlen. Ich bin zu alt um nur zu spielen, Zu jung um ohne Wunsch zu sein. Was kann die Welt mir wohl gewähren? Entbehren sollst du! Sollst entbehren! Das ist der ewige Gesang, Der jedem an die Ohren klingt, Den, unser ganzes Leben lang, Uns heiser jede Stunde singt. ............ Und so ist mir das Dasein eine Last, Der Tod erwünscht, das Leben mir verhasst. Er verfällt wieder in die alte Verzweifelung des Nicht-frei-Seins, der Grenzen des Ichs und ersehnt sich wieder den Tod. Mephisto spielt auf den Selbstmordversuch an und spottet: Und doch hat jemand einen braunen Saft, In jener Nacht, nicht ausgetrunken. Faust verneint wieder die Stunde, die ihn vom Selbstmord zurückgehalten hat. Es war die Erinnerung an die Jugend, in der alles noch möglich ist. Er beginnt alles wieder zu verfluchen (wenn = wenn auch, obgleich) Wenn aus dem schrecklichen Gewühle Ein süß bekannter Ton mich zog, Den Rest von kindlichem Gefühle Mit Anklang froher Zeit betrog, So fluch' ich allem, was die Seele Mit Lock- und Gaukelwerk umspannt,

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Und sie in diese Trauerhöhle Mit Blend- und Schmeichelkräften bannt! Verflucht voraus die hohe Meinung, Womit der Geist sich selbst umfängt! Verflucht das Blenden der Erscheinung, Die sich an unsre Sinne drängt! Verflucht, was uns in Träumen heuchelt, Des Ruhms, des Namensdauer Trug! Verflucht, was als Besitz uns schmeichelt, Als Weib und Kind, als Knecht und Pflug! Verflucht sei Mammon, wenn mit Schätzen Er uns zu kühnen Taten regt, Wenn er zu müssigem Ergetzen Die Polster uns zurechtelegt! Fluch sei dem Balsamsaft der Trauben! Fluch jener höchsten Liebeshuld! Fluch sei der Hoffnung! Fluch dem Glauben, Und Fluch vor allem der Geduld! Es folgt GEISTERCHOR unsichtbar. Dieser Geisterchor wurde viel diskutiert, es war die Frage, ob es sich um gute oder böse Geister handelt oder diejenigen zwischen den beiden Bereichen. Der Chor hat die Rolle Faust wieder umzustimmen, damit der Pakt stattfinden kann. Mephisto. Hör auf, mit deinem Gram zu spielen, Der, wie ein Geier, dir am Leben frisst; ....... Ich bin keiner von den Grossen; Doch willst du mit mir vereint Deine Schritte durchs Leben nehmen, So will ich mich gern bequemen, Dein zu sein, auf der Stelle. Ich bin dein Geselle, Und mach' ich dir's nicht recht, Bin ich dein Diener, bin ich dein Knecht! Faust. Und was soll ich dagegen dir erfüllen? Mephisto. Dazu hast du noch eine lange Frist. Faust. Nein, nein! Der Teufel ist ein Egoist Und nicht leicht um Gottes willen, Was einem andern nützlich ist. Mephisto. Ich will mich hier zu deinem Dienst verbinden, Auf deinen Wink nicht rasten und nicht ruhn; Wenn wir uns drüben wiederfinden, So sollst du mir das gleiche tun.

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Mephisto bietet ihm seine Dienste an, Faust kümmert das drüben wenig, er will das Göttliche im Irdischen erleben. Er verhöhnt Mephisto geht aber die Wette trotzdem ein. Faust. Was willst du armer Teufel geben? Ward eines Menschen Geist, in seinem hohen Streben, Von deinesgleichen je gefasst? Doch hast du Speise, die nicht sättigt, hast Du rotes Gold, das ohne Rast, Quecksilber gleich, dir in der Hand zerrinnt, Ein Spiel, bei dem man nie gewinnt, Ein Mädchen, das an meiner Brust Mit Äugeln schon dem Nachbar sich verbindet, Der Ehre schöne Götterlust, Die, wie ein Meteor, verschwindet? Zeig mir die Frucht, die fault, eh' man sie bricht, Und Bäume, die sich täglich neu begrünen! Faust entscheidende Worte folgen, die beweisen, daß er nicht einen Pakt, sondern eine Wette eingeht: Werd' ich beruhigt je mich auf ein Faulbett legen, So sei es gleich um mich getan! Kannst du mich schmeichelnd je belügen, Daß ich mir selbst gefallen mag, Kannst du mich mit Genuss betrügen, Das sei für mich der letzte Tag! Die Wette biet' ich! Er weiß genau, daß Faulheit, Selbstzufriedenheit, Genuss, Genügefinden im Augenblicklichen ihn nicht befriedigen. Werd' ich zum Augenblicke sagen: Verweile doch! Du bist so schön! Dann magst du mich in Fesseln schlagen, Dann will ich gern zugrunde gehen! Dann mag die Totenglocke schallen, Dann bist du deines Dienstes frei, Die Uhr mag steht, der Zeiger fallen, Es sei die Zeit für mich vorbei! Faust geht die Wette ein und damit entsteht Spannung: Wird Faust je einen Augenblick erreichen, der so ist, dass Mephisto gewinnt? - H.A. Korff, Geist der Goethezeit, bd. 2. S. 409: " Es war eine höchst geniale Idee ... , dem alten Teufelspakt die Gestalt einer Wette zu geben, durch die sich Faust dem Teufel nur bedingungsweise verschrieb ... Aber freilich musste diese formuliert sein, daß eine schließliche 'Rettung trotz alledem' noch möglich würde ... Und nie genug kann man auch die feine Mischung von Helle und Dunkelheit bewundern, in der sowohl bei ihrem Abschluss wie bei ihrem Ausgange, aber auch während der ganzen Dichtung die Wette verbleibt. Es ist eine der vielen Merkwürdigkeiten der Faustdichtung, daß sie, trotzdem ihre ganze Entwicklung von dem dramatischen Knoten der Wette ideell zusammengehalten wird, diese Wette im weiteren Verlauf überhaupt nicht mehr erwähnt .."

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Die Wette gibt dem Ganzen eine neue Wendung, die der Goethezeit entspricht. Sie geht nicht mehr von dem Gedanken aus die Welt als eine Ganzheit zu betrachten, sondern sie wendet sich dem Menschen zu und spricht von der Ganzheit des Menschen. Es fogt nun auf die Gelehrtentragödie, die des Liebenden, des Künstlers und des Herrschers. Faust wird nach der Wette wieder von seiner Verzweifelung überkommen. Mephisto tröstet ihn auf seine Art, indem er ihm die Vorteile der irdischen Welt vorhält. Er will Faust fortführen und seine bewegenden Worte: Wir gehen eben fort. Was ist das für ein Marterort? Was heißt das für ein Leben führen, Sich und die Jungens ennuyieren? Laß du das dem Herrn Nachbarn Wanst! Was willst du dich das Stroh zu dreschen plagen? Das Beste, was du wissen kannst, Darfst du den Buben doch nicht sagen. Die letzten Verse spielen auf die Tatsache an, daß gewisse Errungenschaften der Wissenschaft nicht hätten bekannt gemacht werden sollen. Schon früher hatten einige (Bruno, Galillei) ihr Leben dafür geben müssen. MEPHISTOPHELES in Fausts langem Kleide. Verachte nur Vernunft und Wissenschaft, Des Menschen allerhöchste Kraft, Laß nur in Blend- und Zauberwerk Dich von dem Lügengeist bestärken, So hab' ich dich schon unbedingt- Ihm hat das Schicksal einen Geist gegeben, Der ungebändigt immer vorwärts dringt, Und dessen übereiltes Streben Der Erden Freuden überspringt. Den schlepp' ich durch das wilde Leben, Durch flache Unbedeutenheit, Er soll mir zappeln, starren, kleben, Und seine Unersättlichkeit Soll Speis' und Trank vor gier'gen Lippen schweben; Er wird Erquickung sich umsonst erflehen, Und hätt' er sich auch nicht dem Teufel übergeben, Er müsste doch zugrunde gehen! Ein Schüler tritt auf. Die Szene wird durch das Auftreten des Schülers beendet. Nach alter Sitte mußten die Studenten aller Fakultäten etwa zwei Semester an der philosophischen Fakultät, der "Artisten-Fakultät", durchgehen, um die lateinische Sprache und die Gesetze wissenschaftlichen Denkens zu üben. Daher zu Beginn die Logik, die oft zu geisttötendem Formalismus wurde.

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In den Ratschlägen, die Faust (Mephisto) dem Schüler gibt, liegt immer ein ironischer Ton, der das Ganze zu einer Satyre macht. Hier kommen wieder geflügelte Worte zum Ausdruck: Gebraucht der Zeit, sie geht so schnell von hinnen, Doch Ordnung lehrt uns Zeit gewinnen. Eucheresis naturae, wörtlich "Handschrift der Natur", ein Ausdruck von Goethes Lehrer, dem Chemiker Spielmann, er meint damit Mittel und Verfahren der Natur, die in Zusammensetzung und Aufbau, die vom Menschen nicht künstlich nachgemacht werden können. Im 16. und 18. Jh. war die akademische Lehrmethode diejenige ein Lehrbuch, das man paragraphenweise durchsprach. Mephisto wird des trocknen Tons nun langweilig, er spielt den Teufel und es ergeben sich burlesque Szenen. Schüler geht. Faust tritt auf. Wohin soll es nun gehen? Mephistopheles. Wohin es dir gefällt. Wir sehen die kleine, dann die grosse Welt. Auf einem Zaubermantel geht es nun weiter. (Lies S. 67!) AUERBACHS KELLER IN LEIPZIG Zeche lustiger Gesellen Gorthe kannte diesen Keller aus seiner Studentenzeit. An den Wänden gab es zwei Wandgemälde, die Faust darstellten, eins zeigte ihn zwischen pokulierenden Studenten, das andere auf einem Fass reitend. pokilieren = zechen, stark trinken Mephisto hat Faust hergebracht, er bleibt bei all dem Getue passiv, er will sogar so schnell wie möglich abreisen, den diese Art von Unterhaltung sagt ihm nicht zu. Mephisto hat ihn diesmal ganz falsch verstanden, wie könnte auch Faust so etwas gefallen? Die Szene aber an und für sich wurde mit einer Orgie von Klang verglichen, in Ton-Malerei. Die vier lustigen Gesellen sind ein wahres Quartett - Frosch und Brander - Tenor; Siebel und Altmayer: Bass; ein Quartett der komischen Oper. In dieses Quartett ist die 'Romanze' eingefügt, gesungen vom Bariton Mephisto. Das Flohlied - es folgen die Zauberkunststücke Mephistos, die wie in einem 'Crescendo' von Bewegung und Klangstärke, an den Rhythmus einer musikalischen Fuge erinnert. (E. Trunz, S. 516).

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Beutler S. Sagt dazu: "Die Wagnerszene stellt die Persönlichkeit des Lernenden bloss, die Schülerszene die Schwäche des Fakultätswissens, die Szene in Auerbachs Keller die Plattheit und Leere der Studenten." (Trunz E. S. 517). Rippach, Dorf zwischen Leipzig und Naumburg; "Hans Arsch von Rippach" Figur der Leipziger Studentenwitzes. Frosch nimmt an, dass die Fremden (Faust und Mephisto) nichts davon wissen und dass nur seine Kameraden die Anspielung verstehen; aber Mephisto schlägt zurück, indem er Froschs Worte so deutet, als sei jener mit Herren Hans verwandt. Das 'Flohlied' ist ein politisches Lied, die Karikatur ist bildhaft künstlerisch. Es war einmal ein König, Der hat' einen grossen Floh, Den liebt' er gar nicht wenig, Als wie seinen eignen Sohn. Da rief er seinen Schneider, Der Schneider kam heran; Da, miss dem Junker Kleider Und miss ihm Hosen an! In Sammet und in Seide War er nun angetan, Hatte Bänder auf dem Kleide, Hatt' auch ein Kreuz daran, Und war sogleich Minister, Und hatt' einen grossen Stern. Da wurden seine Geschwister Bei Hof' auch grosse Herrn. Und Herrn und Fraun am Hofe, Die waren sehr geplagt, Die Königin und die Zofe Gestochen und genagt, Und durften sie nicht knicken, Und weg sie jucken nicht. Wir knicken und ersticken Doch gleich, wenn einer sticht. Mephisto beginnt nun mit seinen Zauberstückchen, die lustigen Gesellen geraten in Panik, sie schimpfen auf Mephisto los un nennen ihn einen Zauberer. Zauberer durfte man ungestraft angreifen, darum zücken die Studenten ihre Messer. Faust und Mephisto machen sich schnell aus dem Staube. HEXENKÜCHE Auf einem niederen Herd steht ein grosser Kessel über dem Feuer. In dem Dampf, der davon in die Höhe steigt, zeigen sich verschiedene Gestalten. Eine Meerkatze sitzt bei dem Kessel und schäumt ihn, und sorgt, dass er nicht

überläuft. Der Meerkater mit den Jungen sitzt daneben und wärmt sich. Wände und Decken sind mit dem seltsamsten Hexenhausrat ausgeschmückt.

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Begonnen wurde diese Szene wahrscheinlich in Rom; beendet vermutlich in der Schiller-Zeit; damals wurden einige zeitsatirischen Züge eingestreut. Mephisto braucht die Hexenküche als Weg in die Sinnlichkeit und die Welt. Faust scheint nicht daran teilzunehmen, und dennoch ist er innerlich nicht passiv. In dieser Szene wird Faust verjüngt. Faust beginnt schon in der Hexenküche eine Wandlung, er hat Visionen, eine davon ist die Helena, diesmal aber nur als die schönste, begehrenswerte aller Frauen. Nach kein Hinweis auf die Helena des 2. Teils. Das Sieb: Im Volksaberglauben kommt das Motiv des Siebs in vielerlei Zusammenhängen vor. Der Zauberspielel ist ebenfalls Motiv des Volksaberglaubens. Mephisto. Was soll das Sieb? Der Kater holt es herunter: Wärst du ein Dieb, Wollt' ich dich gleich erkennen. Er läuft zur Kätzin und lässt sie durchsehen: Sieh durch das Sieb! Erkennst du den Dieb, Und darfst ihn nicht nennen? Die Hexe, die nicht zu Hause war, kommt und beschimpft die Gäste. Mephisto gibt sich zu erkennen, sie zeigt ihm gleich Untergebenheit.Die Sprache ist in diesem Teil sehr derb. Sie braut Faust den Zaubertrank. Faust hat die ganze Zeit in den Spiegel geschaut in dem sich ihm ein herrliches Frauenbild zeigte, er ist ganz betört und trinkt den Zaubertrunk ohne Bedenken. Mephisto zu Faust nachdem er den Zaubertrunk getrunken hat: Komm nur geschwind und lass dich führen; Du musst notwendig transpirieren, Damit die Kraft durch Inn- und Äussres dringt. Den edlen Müssiggang lehr' ich hernach dich schätzen, Und bald empfindest du mit innigem Ergetzen, Wie sich Cupido regt und hin und wider springt. Faust. Lass mich nur schnell noch in den Spiegel schauen! Das Frauenbild war gar zu schön! Mephisto. Nein! Nein! Du sollst das Muster aller Frauen Nun bald leibhaftig vor dir sehen. Leise. Du siehst, mit diesem Trank im Leibe, Bald Helenen in jedem Weibe. Mephisto ist es gelungen in Faust die Sinnlichkeit zu wecken. STRASSE Faust. Margarete vorübergehend

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Mit dieser Szene beginnt die Gretchenszene, die eine geschlossene Folge ist, die nur durch die Walpurgisnacht unterbrochen wird. Sie schliesst den ersten Teil der Tragödie ab. Von Anfang an hat Mephisto die Hand im Spiel. Er will nun Faust Sinnlichkeit bieten, doch bei Faust wird es Liebe. Mephisto will alles in Unbedeutende ziehen, bei Faust wird es Seligkeit. Faust nimmt die Dienste Mephistos an und dadurch gerät er immer mehr in Schuld. Gretchen ist auch betroffen, aber im Inneren bleibt sie rein. Sie wird zu einer Gegenspielerin des Teufels, hier geht es um eine menschliche Tendenz, dem Bösen nicht zu unterliegen. Die bisherigen Szenen waren ganz von Faust beherrscht, männlich, gedanklich, düster und stürmisch. In der Gretchenszene tritt das Weibliche, Gefühlte, Lichte und Sanfte ein. Dem strengen Gelehrten folgt das Volksliedhafte. Faust und Gretchen sind Polaritäten, die sich anziehen. Gretchen und Mephisto Gegensätze, die sich fliehen. Die erste, der vielen kurzen Szenen der Gretchentragödie geginnt mit den bekannten Versen: Faust. Mein schönes Fräulein, darf ich wagen, Mein Arm und Geleit Ihr anzutragen? Margarete. Bin weder Fräulein, weder schön, Kann ungeleitet nach Hause gehen. Die Anrede für bürgerliche Mädchen war "Jungfrau". Wenn Faust sie Fräulein nennt, hält er sie für eine Adlige. Daher Gretchens schnippische Antwort, um Fausts eigene Worte zu gebrauchen. (Schimpf=Scherz). Als Mephisto sich zu Faust gesellt, beginnt Faust wie ein heissblütiger Jugendlicher zu sprechen, ein krasser Gegensatz zu dem bisherigen Faust: Hör, du musst mir die Dirne schaffen! Mephisto, dem dieser Ton sehr zusagt, drückt dennoch seine Bedenken aus, um sich zu vergesicher, dass Faust diesmal angebissen hat. Mephisto. Du sprichst ja wie Hans Liederlich, Der begehrt jede liebe Blum' für sich, Und dünkelt ihm, es wär' kein' Ehr' Und Gunst, die nicht zu pflücken wär'; Geht aber doch nicht immer an. Faust spricht in demselben Ton weiter: Mein Herr Magister Lobesan, Lass' Er mich mit dem Gesetz in Frieden! Und sag' ich Ihm kurz und gut: Wenn nicht das süsse junge Blut Heut nacht in meinen Armen raht, So sind wir um Mitternacht geschieden. Das Gespräch geht in demselben Ton weiter. Reüssieren = Erfolg haben, sein Ziel erreichen; revidieren = überprüfen, ein Urteil nach eingehender Prüfung ändern. ABEND

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Ein kleines reinliches Zimmer Hier ändert sich die Sprache radikal. Magarete ganz allen bereitet sich zum Schlaf vor und denkt anden Fremden von heute. Mephisto und Faust treten auf, das Zimmer von Unschuld und Gottesfürtigkeit durchzogen ruft lyrische Stimmungen in Faust hervor, die Sprache in ihrer Ausdruckskraft erinnert an den Sturm und Drang. Faust (er hebt einen Bettvorhang auf) Was fasst mich für ein Wonnegraus! Hier möcht' ich volle Stunden saumen. Natur! Hier bildetest in leichten Träumen Den eingebornen Engel aus! Hier lag das Kind, mit warmem Leben Den zarten Busen angefüllt, Und hier mit heilig reinem Weben Entwirkte sich das Götterbild! Und du! Was hat dich hergeführt? Wie innig fühl' ich mich gerührt! Was willst du hier? Was wird das Herz dir schwer? Armsel'ger Faust! Ich kenne dich nicht mehr. Umgibt mich hier ein Zauberduft? Mich drang's, so grade zu geniessen, Und fühle mich in Liebestraum zerfliessen! Sind wir ein Spiel von jedem druck der Luft? Am Anfang scheint er, als wisse er mehr von dem Göttlichen als sie, doch dann zeigt sich, dass sie mehr davon weiss. Beide sind immer polare Ergänzungen: männlich-weiblich, bewusst und unbewusst, einsam und gemeinschaftsgebunden, welterfahren und kindlich, der Teufelsbündler und die Fromme. Margarete kommt mit einer Lampe ins Zimmer 'Sie fühlt, dass in ihrem Schlafgemach etwas anderes ist. Die Luft ist belagert, ihr Schicksal hat schon begonnen, sie weiss und versteht es nicht, aber es ist da, spricht aus ihr selber, und sie fährt zusammen. Sie singt den König in Thule. Ein fremdes, altes Lied. Das betroffene Herz ist anderes als sonst, sehr alten oder auch ganz neuen Dingen und dem Bereich aller Geister aufgetan. Da fallen uns Lieder ein, oder wir machen sie gar selber; Lieder, von denen wir nichts wussten, dass sie in uns waren ... ein einsamer, von geahntem Schicksal betroffener Mensch ... wird von der Ballade angeweht; weil sie ihm fremd ist, löst sie die Bangigkeit seines Herzens. Ein Mensch entzückt sich selbst, wenn er so etwas singt ... " (Trunz E., München, 1972, S. 519). Sie findet das Schmuckkästchen, dass Mephisto Faust verschafft hat, sie kann dem Schmuck nicht widerstehen, hat aber doch Angat ihn zu behalten. SPAZIERGANG Faust in Gedanken auf und ab gehend.

Zu ihm Mephistopheles.

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Mephisto berichtet Faust, Gretchens Mutter habe das Schmuckkästchen einem Pfaffen übergeben. Er schimpft auf die Habsucht der Kirche. Hier kommen auch Goethes eigene Gedanken über Kirche als religiöse Institution zum Ausdruck, er setzt sie Mephisto in den Mund. DER NACHBARIN HAUS frau Marthens Mann ist ins Ausland gegangen, die Ursache bleibt unklar. Mephisto hat ausgekundschaftet, dass er nicht heimgekommen ist, und benutzt diese Tatsache, um Frau Marthe zu besuchen unter dem Vorwand ihr den Tod ihres Mannes zu bezeugen. Da nach Rechtsgebrauch zwei Zeugen nötig sind, kann er dann das nächste Mal Faust mitbringen und ihn mit Gretchen zusammenführen. Die Szene Mephisto-Frau Marthen hat viel Humor und teuflische Ironie. Die Handlung der Szene findet sich in vielen Bauernschwänken wieder. STRASSE Faust. Mephistopheles. Mephisto unterrrichtet Faust über seinen Plan. Er sagt ihm, dass er als Zeuge bei Frau Marthen stehen müsse. Faust gefällt der Plan nicht, er hat seine Bedenken, er will nicht falsch Zeugniss ablegen. Mephisto spotten über seine plötzlichen Skrupeln, da er ja vorher so vieles getan hat, was nicht eben recht war. Die Szene endet, Faust gibt nach, denn eine innere Glut treibt ihn dazu, weil ich muss. GARTEN Margarete an Faustens Arm. Marthe mit Mephistopheles auf und ab spazierend. häufig bedeutet hier = einen Haufen, viel; unanständig - etwas zu was zu mir nicht passt. Die Gespräche der beiden Pärchen sind sehr verschieden. Marthe und Mephisto kennzeichnet nüchterne Sinnlichkeit. Faust und Margarete Liebe, Unschuld. Faust beginnt zu schwärmen, Mephisto: Mit Frauen soll man sich nicht unterstehen zu scherzen. Sein Ton ist nüchtern, sachlich und teuflisch zugleich. Die Abwechslung der Gespräche der beiden Paare wird nicht angekündigt, der Leser ist einem Zuschauer gleich andem diese beiden Paare vorbeispazieren. Diese Tatsache gibt der ganzen Szene eine Dynamik, der nüchterne Ton der beiden und der überschwengliche der anderen ist so krass, dass daraus eigentlich eher eine Ironie durchklingt. Die Unschuld Gretchens am Ende der Szene ist rührend: Du lieber Gott! Was so ein Mann Nicht alles, alles denken kann! Beschämt nur steh ich vor ihm da, Und sag' zu allen Sachen ja. Bin doch ein arm unwissend Kind, Begreife nicht, was er an mir find'.

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Gretchen ist aus dem Kreis aller Gestalten herausgehoben; in vielem ist sie ein Mädchen wie viele andere, doch in ihrer Religiosität ist sie mehr. WALD UND HöHLE Faust allein. Es handelt sich hier wieder um einen der grossen Monologe, er zeigt uns das Bild seines Seelenzustands, es ist das Bild des Ruhelosen, Masslosen. Er fühlt sich der Natur, dem Irdischen näher, er findet Ruhe in ihr bis wieder Mephisto auftaucht. O dass dem Menschen nichts Vollkommenes wird, Empfind' ich nun. Du gabst zu dieser Wonne, Die mich den Göttern nah und näher bringt, Mir den Gefärten, den ich schon nicht Entbehren kann, wenn gleich, kalt und frech, Mich vor mir selbst erniedrigt, und zu Nichts, Mit einem Worthauch, deine Gaben wandelt. Er facht in meiner Brust ein irdisch Feuer Nach jenem schönen Bild geschäftig an. So tauml' ich von Begierde zu Genuss, Und im Genuss verschmacht' ich nach Begierde. Mephisto:Wie hättest du armer Erdensohn, Dein Leben ohne mich geführt? Vom Kribskrabs der Imagination Hab' ich dich doch auf Zeiten lang kuriert: Und wär' ich nicht, so wärst du schon Von diesem Erdball abspaziert. Mephisto sieht, dass Faust wieder von seinem Drang der Überschreitung seiner Menschengrenzen, dem sich Gott- gleich- Stellen ergriffen ist: Faust: Verstehst du, was für Lebenskraft Mir dieser Wandel in die Ode schafft? Ja, würdest du es ahnen können, Du wärst Teufel genug, mein Glück mir nicht zu gönnen. Mephisto antwortet ihm auf seine Art indem er seinen Worten eine unanständige Gebärde folgen lässt. Mephisto berichtet ihm von Gretchens Liebeskummer und spottet wieder über die Liebe. Ein aus Salomonons Hohelied (Goethe hat 1775 Teile des Hohenlieds übersetzt, darunter auch die Stelle: Deine beiden Brüste wie Rehzwillinge, die unter Lilien weiden, Luther: "die unter Rosen weiden". Mephisto' Gar wohl, mein Freund! Ich hab' Euch oft beneidet Ums Zwillingspaar, das unter Rosen weidet. Das Sinnliche wird wieder geweckt. Faust gibt sich Rechenschaft, dass er etwas begonnen hat, was nicht gut enden wird, weil er nicht Herr der Sache ist, ergibt er sich in seinem Schicksal: Du, Hölle, musstest dieses Opfer haben! Hilf, Teufel, mir die Zeit der Angst verkürzen! Was muss geschehen, mag's gleich geschehen!

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Mag ihr Geschick auf mich zusammenstürzen Und sie mit mir zugrunde gehen! Mephisto ironisch: Wie's wieder siedet, wieder glüht! Geh ein und tröste sie, du Tor! Wo so ein Köpfchen keinen Ausgang sieht, Stellt er sich gleich das Ende vor. Es lebe, wer sich tapfer hält! Du bist doch sonst so ziemlich eingeteufelt. Nichts Abgeschmackters find' ich auf der Welt Als einen Teufel, der verzweifelt. GRETCHENS STUBE Gretchen am Spinnrade allein Faust und Gretchen sind getrennt. Seinen Monolog haben wir gehört, nun folgt ihrer. Er spricht über weltanschaulich-wissenschaftliches Denken, wilder Leidenschaft, männlich, ausgreifend, zerrissen (Madgigalverse). Gretchens Monolog ist wie ein Lied, ein Volkslied, wirklich, gerundet, seelenhaft. Sie weiss nicht wie was er gesagt hat: Was ist die Himmelsfreud' in ihren Armen? Lass mich an ihrer Brust erwarmen! Fühl' ich nicht ihre Not? Bin ich der Flüchtling nicht? der Unbehauste? Der Unmensch ohne Zweck und Ruh', Der wie ein Wassersturz von Fels zu Felsen brauste Begierig wütend nach dem Abgrund zu? Und seitwärts sie, mit kindlich dumpfen Sinnen, Im Hüttchen auf dem kleinen Alpenfeld, Und all ihr häusliches Beginnen Umfangen in der kleinen Welt. Und ich, der Gottvergasste, Hatte nicht genug, Dass ich die Felsen fasste Und sie zu Trümmern schlug! Sie ihren Frieden musst' ich untergraben! Gretchens Schlussworte sind: Mein Busen drängt Sich nach ihm hin. Ach dürft' ich fassen Und halten ihn, Und küssen ihn, So wie ich wollt', An seinen Küssen Vergehen sollt'! Sie will in Liebe Vergehen, er will sie mit sich in den Abgrund reissen.

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MARTHENS GARTEN Margarete. Faust. Gretchen ahnt welches Bündnis zwischen Faust und Mephisto besteht. Sie fragt ihn: Nun sag, wie hast du's mit der Religion? Du bist ein herzlich guter Mann, Allein ich glaub', du hältst nicht viel davon. Sie ist besort um Faust, er sieht das ein, seine Antworten aber sind eher ein Ausweichen, leere Phrasen. Auf die Frage: Glaubst du an Gott? Faust: Mein Liebchen, wer darf sagen: Ich glaub' an Gott? Magst Priester oder Weise fragen, Und ihre Antwort scheint nur Spott Über den Frager zu sein. Gretchen: So glaubst du nicht? Faust. Misshör mich nicht, du holdes Angesicht! Wer darf ihn nennen? Und wer bekennen: Ich glaub' ihn. Wer empfinden, Und sich unterwinden Zu sagen: icg glaub' an ihn nicht? Der Allumfasser, Der Allerhalter, Fasst und erhält er nicht Dich, mich, sich selbst? Wölbt sich der Himmel nicht dadroben? Liegt die Erde nicht hierunten fest? Und steigen freundlich blickend Ewige Sterne nicht herauf? Schau' ich nicht Aug' in Auge dir, Und webt im ewigen Geheimnis Unsichtbar sichtbar neben dir? Erfüllt davon dein Herz ,so gross es ist, Und wenn du ganz in deinem Gefühle selig bist, Nenn es dann, wie du willst, Nenn's Glück! Herz! Liebe! Gott! Ich habe keinen Namen Dafür! Gefühl ist alles; Name ist Schall und Rauch, Umnebelnd Himmelsgut. Goethes Auffassung von Pansophismus und seine Neoplatonistischen Ideen klingen hier wieder durch. Die Idee vom Abglanz. Faust bittet sich von Gretchen ein Stündchen aus, Gretchen sagt zu.

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Als Mephisto wieder auftritt, der das Gespräch belauscht hat, spricht Faust wieder seine Zweifel über sein Vorhaben aus. Mephisto, der weiss, dass er über Gretchen keine Macht hat, spricht seinen Hass gegen sie aus. Er willigt sehr gerne ein, Faust einen Schlaftrunk für die Mutter zu besorgen, er kann endlich indirekt Gretchen Leid antun. Der Schlaftrunk ist ein Gift. AM BRUNNEN Gretchen und Lieschen mit Krügen. Die zwei Mädchen sprechen über eine von ihren Gefärtinnen, die sich auch in der Liebe vergangen hat. Die Vorurteile der Gesellschaft, die soziale Ächtung lassen sich hier klar hören. Gretchen sieht ein, dass sie von denselben Vorurteilen besessen war. Gretchen nach Hause gehend. Wie konnt' ich sonst so tapfer schmälen, Wenn tät ein armes Mägdlein fehlen! Wie konnt' ich über andrer Sünden Nicht Worte gnug der Zunge finden! Wie schien mir's schwarz, und schwärzt's noch gar, Mir's immer doch nicht schwarz gnug war, Und segnet' mich und tat so gross, Und bin nun selbst der Sünde bloss! Doch - alles, was dazu mich trieb, Gott! War so gut! ach war so lieb! ZWINGER Zwinger = Raum zwischen innerer und äusserer Ringmauer der Stadt, also meist einsam; in Nischen Andachtsbilder, so hier ein Madonenbild. Gretchen betet zur Mutter Gottes, sie versteht erst jetzt ihren Schmerz. Ihr flehen ist ein Gebet, schlicht und dadurch ergreifend. Sie fleht um Hilfe, denn sie weiss, sie kann allein sich nicht mehr helfen. Hilf! Rette mich von Schmach und Tod! Ach neige, Du Schmerzensreiche, Dein Antlitz gnädig meiner Not! NACHT Strasse vor Gretchens Türe. Valentin, Gretchens Bruder, ist über Gretchens Taten unterrichtet worden, er spricht, als Repräsentant der bürgerlichen Gesellschaft, dasselbe aus wie Lieschen am Brunnen. Die soziale Ächtung, die sich auf Gretchen auswirken wird, wird auch ihn nicht verschonen. Und man weiss nicht wen er mehr beweint, sich oder seine Schwester. Mephisto und Faust treten auf, es gibt ein Gefecht, Faust erlegt Valentin, durch Mephistos Hilfe. " Durch Valentins Tod verliert Gretchen, gerade da sie am meisten der Hilfe bedarf, ihre einzigen Beschützer, den Geliebten und den Bruder zugleich. Faust flieht als Mörder. Der Bruder fällt für den Schutz Gretchens und mehr noch für seine eigene Geltung. Im Tod brandmarkt er - bei

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weitem nicht so ehrenhaft, wie er glaubt, dass er sei - die eigene Schwester gegen Wahrheit und Wissen vor den Mitbürgern als öffentliche Dirne und stösst sie durch diesen Verrat noch tiefer ins Unglück. Gretchen ist allein, verfemd, allem und jedem preisgegeben.: (S.524). Das Lied, das Mephisto vor Gretchens Fenster singt, ist eine Anlehnung an das Lied Opheliens in "Hamlet". Mephisto verhöhnt sein Opfer; Goethe zu Eckermann: "Dämonischer Hohn Mephistos über das Schicksal seines Opfers." Mephisto könnte auch die Polizei lahmlegen, so wie er Valentins Hand lahm gemacht hat. Er kann jedoch nicht hindern, dass die Gerichtsbarkeit den Blutbann über Faust ausspricht und er also als Mörder fortan vogelfrei ist. Mephisto erreicht es dadurch Faust fortzuführen. Gretchen kann den Vorwürfen des Bruders nichts entgegenbringen, sie weiss nur, dass sie alles aus Liebe tat: Doch- alles, was dazu mich trieb,/ Gott !war so gut! Ach war so lieb!/. Die sozialen Begriffe ihres Lebens waren sehr religiös, dem Geist der Zeit entsprechend. DOM Amt, Orgel und Gesang. Gretchen unter vielem Volke. Böse Geister hinter Gretchen. Gretchen hört die Worte des Hymnus von den Posaunen des Jüngsten Tags, der Auferweckung der Toten und dem Gericht. Sie kennt den Inhalt dieses Textes und ist jetzt persönlich tief davon betroffen. Die lateinischen Verse in deutscher Übersetzung: "Der Tag des Zorns, jener Tag löst unser Zeitalter in Asche." "Wenn der Richter auf seinem Richterstuhl sitzen wird, wird offenbart werden, was verborgen ist, und nichts wird ohne Vergeltung bleiben." "Was soll ich Elender dann sagen? Wen als Fürsprecher anflehn? Da doch nicht einmal der Gerechte sicher ist." Die Bösen Geister tun das ihrige und Gretchen ganz verwirrt in ihrem Inneren fällt in Ohnmacht. Das Riechfläschchen gehört wurde sehr oft auch in anderen Werken der Zeit erwähnt, zum 18. Jh. gehören auch die häufigen Ohnmachten. Es ist eine Modeerscheinung der Zeit. WALPURGISNACHT Harzgebirge. Gegend von Schierke und Elend.

FAUST. MEPHISTOPHELES. Die Walpurginacht ist die Nacht zum 1. Mai, in der sich nach altem Glauben die Hexen am Brocken treffen. - Die Szene entstand zwischen 1797 und 1805. Im Februar 1801 entlieh Goethe aus der Weimarer Biblithek mehrere Bücher über Faust und Zauberwesen. Dort ist das Fleischliche schlechthin das Böse, Teuflische. Goethe wandelt das Bild im Sinne einer Polarität von Licht und Materie, und das Mephistophelische ist eine Kraft, die, indem sie wirksam wird, eine andere, sonst latente deutlich werden lässt. (Trunz E. S.526). Bis jetzt hatte der ganze Teil Handlung, die Fausts Leidenschaft anhanh von konkreten Taten, Worten wiedergab. In der Walpurgisnacht kann man von keiner Handlung sprechen, es ist ein Traum, eine Vision, in der verschiedene Personen auftreten, die aber nicht zur realen Welt gehören, sie sind Geister, vom menschlichen Geist geschaffen.

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Der menschliche Bereich, die Realität wird verlassen, es geht nun in den Bereich der Geister, die Fausts Geschlechtlichkeit symbolisieren sollen. Walpurgisnacht ist Sinnlichkeit; nicht an sich böse, sondern durch das, was der Mensch daraus macht. Faust auf seinem Weg zum Brocken erlebt wieder die Kräfte der Natur, der Elemente, die ausserhalb von seinem Wesen sind, auf dem Berg erlebt er das Naturhafte, Geschlechtliche, das in seinem Inneren ist. Er sieht Lilith, er tanzt mit der jungen Hexe. Der Tanz symbolisiert die Sexualität. Diesem Geschehen gegenüber erscheint Gretchen als das reine in seiner Brust, als wahre Liebe, die aber auch nicht von Geschlechtlichkeit frei ist. Und darum ist Sinnlichkeit nicht böse, sondern es kommt darauf an, was der Mensch daraus macht. Einige Erklärungen zu den Namen aus dem Text: Irrlicht = ein Flämmchen, aus Sumpfboden aufsteigend; im Volksglauben ein irreführender Dämon; als magisch-symbolische Gestalt in Goethes Märchen. Masern = Knorren. Mommon, ursprünglich "Geld", in Pfitzers Faustbuch Name eines Teufels; bei Milton ein Teufel, der Satan einen Palast mit feurigen Goldadern baut.Goethe entwickelt diese Vorstellung weiter in einem Bild magischer Welt; die Erde glüht auf als Teufelspalast; denn das Gold ist wie das Geschlecht Teufelsbereich, Satans Lieblingsmittel. Herr Urian = der Teufel. Baubo, eine Hexe. Ursprünglich in der antiken Sage Name einer alten Dienerin, die Demeter derbe Witze erzählt, um sie abzulenken. Hexenmeister, da Hexenprozesse und Hexenbücher im 15. Bis 18. Jh. ausschliesslich von Männern gemacht wurden, hören wir fast nur von weiblichen Hexen, ihre Unzucht mit dem Teufel (incubus); nur ganz selten von männlichen Hexenmeistern und ihrem Umgang mit Lilith, dem Teufel in Weibsgestalt (succuba). Goethe, die Schuld nicht so einseitig verteilend wie die alten Jahrhunderte, zieht absichtlich auch dieses seltene Motiv heran. Goethe in Faust lässt den Hexenmeister folgendes sagen: Wir schleichen wie die Schneck' im Haus, Die Weiber alle sind voraus. Denn, geht es zu des Bösen Haus, Das Weib hat tausend Schritt voraus. ruscht, lautmalend, heute noch mundartlich-niederdeutsch "ruscheln'; raschelnde Bewegung hin und her. Junker Volant = der Teufel, altes Wort. Mittelhochdeutsvh hiess der Teufel vâlant. Ein Knieband = der Hosenbandorden.

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Zu Lilith : Da Gott I. Moses "ein Männlein und Fräulein" (Luther) erschafft, dann aber aus Adams Rippe Eva entstehen lässt, bildet sich die altrabbinische Sage von Adams erster Frau, Lilith. Sie trennt sich im Streit von ihm und verbindet sich mit dem obersten der Teufel; ihre Kinder sind Gespenster; sie selbst ist der weibliche Satan (succuba) Mephisto; Adams erste Frau. Nimm dich in acht vor ihren schönen Haaren, Vor diesem Schmuck, mit dem sie einzig prangt. Wenn sie damit den jungen Mann erlangt, So lässt sie ihn sobald nicht wieder fahren. Volksaberglaube: Macht der Hexen in ihren Haaren. Xenien, die satirischen Distichen Goethes und Schillers aus dem "Musenalmanach für das Jahr 1797". Es sind kurze Sinngedichte auf die zeitgenössische Literatur, die so viel Staub aufgewirbelt hatte. WALPURGISNACHTSTRAUM oder OBERONS UND TITANIAS GOLDENE HOCHZEIT INTERMEZZO Dieser Teil der Faust-Dichtung hat keinen direkten Zusammenhang mit dem ganzen Werk. Goethe hatte dieses kleine in sich geschlossene Werk vor Faust geschrieben und dachte es in den Xenien zu veröffentlichen, da es eine Satire auf gewisse Persönlichkeiten der Zeit, die Goethe und Schiller nicht gut gesinnt waren, gemünzt ist. Die ganze Geschichte ist schön zu lesen, sie kann aber nicht klar gedeutet werden, ohne eine genaue Kenntnis der literarischen und philosophischen Streite jener Zeit. TRÜBER TAG - FELD Faust. Mephisto. Es ist die einzige Szene, die auch schon im "Urfaust" vorhanden war, die nicht in Versform geschrieben wurde. Nach der poetischen Seelenwelt der Gretchenszene und der magischen Geisterwelt der Walpurgisnacht ist hier plötzlich nackteste ( und darum "prosaische") Wirklichkeit: Gretchen im Kerker, hilflos, unter schwerer Anklage ( sie hat ihr Kind ersäuft). Faust ist entsetzt, Mephisto macht eine nüchterne Bemerkung, es sei schon vielen anderen so ergangen. Im Text: Sie ist die Erste nicht. Nie ist Faust sein Gefährte so zuwider gewesen wie in diesem Augenblick. Er will sich von ihm lossagen. Er ruft wieder den Erdgeist um hilfe an, ihn von Mephisto zu befreien. Mephisto antwortet auf seine Art: Nun sind wir schon wieder an der Grenze unseres Witzes ( Verstand, Scharfsinn), da wo euch Menschen der Sinn überschnappt. Warum machst du Gemeinschaft mit uns, wenn du sie nicht durchführen kannst? Willst fliegen und bist vorm Schwindel nicht sicher? Drangen wir uns auf, oder du dich uns? Faust hatte einen höheren Geist ersehnt, aber der Erdgeist stand zu hoch. Bittere Erkenntnis. Mephisto jedoch entsprach ihm. Er bittet von diesem diesem befreit zu werden, doch im gleichen Augenblick nimmt er wieder seine Hilfe an.

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Er gebietet Mephisto Gretchen zu befreien. Mephisto stellt sich wieder in seine Dienste, denn so ein Unternehmen kann nur mit Zauberkraft gelingen. Er stellt die Zauberpferde bereit, er will den Türmer umnebeln, Faust muss sie jedoch mit Menschenhand befreien. NACHT - OFFEN FELD KERKER Die Kerkerszene war schon im "Urfaust" in Prosa vorhanden, durch die Umarbeitung in Versform gewinnt die ganze Szene, sie macht sie - Edmond Vermeil " das tragische Grauen dieser in der Weltliteratur einzig dastehenden Szene." Gretchen ist im Kerker und weiss, dass sie morgen hingerichtet werden wird. Sie ist gleichzeitig geistesverwirrt und hellsichtig. Sie löst sich von den früheren Bindungen, sie übergibt sich dem Gericht Gottes. Sie weiss, dass sie selbst entscheiden kann, sie wird immer selbstsicherer, sie findet zu sich zurück, sie kann jetzt auch in Mephistos Nähe beten, damit schiebt sie ihn und Faust von sich. "Gretchens Entwicklung und Entscheidung führt zu der Grenze, wo das Menschliche aufhört und das Göttliche anfängt. Und hier werden wir erinnert, das Faust ein Weltspiel ist, das im Himmel begann. Was hier im menschlichen Bereich geschah, wird zugleich auch aus göttlichem Bereich gedeutet durch die Stimme von oben als Vorklang des Endes des 2. Teils, wo Gretchens Gestalt verklärt in jenen Sphären erscheint, welche hier diese Stimme nur andeutet."(Trunz E. S. 534) In dieser Szene hat Goethe Lieder eingeführt, Gretchen singt sie, sie sind ein Zeichen ihrer Verwirrung, denn es sind Lieder aus dem Märchen. Es ist eine Vermischung von Erlebtem, Kindlichem, Magischem und Märchenhaftem. Die Sammlung von Märchen geschah im Zuge der romantischen Märchenbegeisterung (Runge, Arnim, die Gebrüder Grimm). Aus diesem Teil wurden zu geflügelten Worten: Der Menschheit ganzer Jammer fasst mich an. (Faust sieht Gretchen in ihrer Verwirrung und ist erschüttert); ironisch- neckisch werden die letzten Worte Gretchens gebraucht: Heinrich! Mir graut's vor dir.

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BIBLIOGRAPHIE - Goethe - Gedichte, hrsg. und kommentiert von Erich Trunz, Verlag C. H. Beck, München,1974, Sonderausgabe. - Goethe über seine Dichtung. Hrsg. v. H. Gräf. 2. Teil, 2. Band. Frankfurt a. Main, 1904. - Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, hrsg. von H. Bächtold-Stäubli, 10. Bde. Bln. 1927-1942. - Schneider, Herrmann, Urfaust ?, Tübingen, 1949. - Trunz, E., Goethe . Faust. Der Tragödie erster und zweiter Teil. Urfaust. Hrsg. und kommentiert von Erich Trunz. Verlag C. H. Beck, München, 1972