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Das Achtzehnte Jahrhundert

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Die Stiche sind oft so genau, daß ich darin den Flek, auf dem ich stand, zu meiner nicht geringen Freude wiederfand.

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DASAchtzehnteJAhrhunDertZeitschrift der Deutschen Gesellschaftfür die Erforschung des achtzehnten Jahrhunderts

Herausgegeben im Auftrag des Vorstandesvom Sekretariat der Gesellschaft

Geschäftsführender Herausgeber: Carsten Zelle

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Das Frontispiz zeigt die zerstörte Kirche und das beschädigte Mausoleum des Rogiero Bosso in Mileto, Italien, 1783, gestochen nach einer Vorlage von Pompeo Schiantarelli von Ignazio Stile in: Istoria de’ fenomeni del tremoto avvenuto nelle Calabrie, e nel Valde­mone nell’ anno 1783. Neapel: Presso Giuseppe Campo 1784, Tafelband. Die Bildunter-schrift folgt Johann Heinrich Bartels: Briefe über Kalabrien und Sizilien. Erster Teil, Reise von Neapel bis Reggio in Kalabrien. Göttingen 1791, Vorrede, 10. Für die Ab-druckgenehmigung des Stichs sei der SUB Göttingen als Besitzerin der Vorlage (Sign.: 2 MIN III, 8700) herzlich gedankt.

Zu den Abb. im Beitrag von Pauline Pujo, in diesem Heft, Seite 43-55: Abb. 1 und 3 sind in den Anm. 33 und 35 des Beitrags nachgewiesen und werden nach der Vorlage (Sign.: DD 93 A 33536) der SUB Göttingen gedruckt. Abb. 2 ist in Anm. 34 des Bei-trags nachgewiesen. Der Druck geschieht nach der in der Bibliothèque nationale de France vorhandenen Vorlage. Den genannten Institutionen sei für die Erteilung der Ab-druckgenehmigung herzlich gedankt.

Corrigendum zu DAJ 35 (2011), H.2, 237-239:Zu unserem Bedauern haben sich in der Rezension von Simon Grote über Alexander Gottlieb Baumgarten: Metaphysica/Metaphysik. Hg. G. Gawlick, L. Kreimendahl (2011) in: Das achtzehnte Jahrhundert 35, 2011, H.2, 237-239, drei Fehler eingeschlichen, die Korrektur erfordern: (1) Der 1963 erschienene Nachdruck von Baumgartens Metaphysica (Olms, 1963, 1984) ist vergriffen. (2) Die von Kreimendahl und Gawlick edierte Aus-gabe der Metaphysica legt nicht die fünfte Auflage (1763) sondern die vierte (1757) Auf-lage, d. h. die ›Ausgabe letzter Hand‹, zugrunde. (3) Die Erläuterungen der Herausgeber zur Rezension von 1742 in den Nova acta eruditorum (Anhang 2.5.1) beziehen sich nicht auf die fünfte Auflage der Metaphysica, sondern auf die Erstauflage von 1739.

C.Z.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten

sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2012 Deutsche Gesellschaft für die Erforschung des achtzehnten JahrhundertsAlle Rechte vorbehalten

Anschrift des Geschäftsführenden Herausgebers:Carsten Zelle, Herzog August Bibliothek, D-38299 Wolfenbüttel

Verlag und Vertrieb: Wallstein Verlag GmbH, www.wallstein-verlag.de, Göttingen 2012Druck: Hubert & Co, Göttingen

gedruckt auf säure- und chlorfreiem, alterungsbeständigem PapierISBN (Print) 978-3-8353-0999-9

ISBN (E-Book, pdf ) 978-3-8353-2253-0ISSN 0722-740-X

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Inhalt

Aus der Arbeit der Deutschen GesellschaftZu diesem Heft (Carsten Zelle) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .Quo vadis Aufklärungsforschung? Eindrücke vom 13th International Congress of

Eighteenth Century Studies, 25.-29. Juli 2011 in Graz (Daniel Fulda). . . . .Aufklärung und Hofkultur in Dresden. Tagung der DGEJ, Wolfenbüttel, Herzog

August Bibliothek, 11. /12. Nov. 2011. Tagungsbericht (Roland Kanz, Johannes Süßmann) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Zwei deutsch-amerikanische Panels auf der 43. Tagung der American Society for Eighteenth-Century Studies (ASECS), San Antonio, TX, 22.-24. März 2012 (Andrew McKenzie­McHarg) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

BeiträgeMartin Mulsow: Die möglichen Grenzen möglicher Erfahrung. Weishaupt und

Kant . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .Ingrid Lohmann: Das Motiv des Bilderverbots bei Moses Mendelssohn . . . . . .Pauline Pujo: Geschichtsschreibung der Volksaufklärung im mediengeschichtlichen

Kontext: Christoph Gottlieb Steinbecks Frey­ und Gleichheitsbüchlein (1794). . . Christoph Weber: Die Katastrophe als ästhetisches Faszinosum: Das Erdbeben in Sizi-

lien und Kalabrien von 1783 im Spiegel deutschsprachiger Reiseberichte . . .Marcel Lepper: Deutsche Philologie im 18. Jahrhundert? Ein Forschungsbericht

mit Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Aus der ForschungVolker Mueller über Die Junghegelianer. Aufklärung, Literatur, Religionskritik und

politisches Denken. Hg. Helmut Reinalter (2010) . . . . . . . . . . . . . . . .Martin Fontius über Peter Jehle: Zivile Helden. Theaterverhältnisses und kulturelle

Hegemonie in der französischen und spanischen Aufklärung (2010) . . . . . . .Barry Murnane über The Cambridge Companion to German Romanticism. Hg. Nicho-

las Saul (2009). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .Barry Murnane über Susanne Kord: Murderesses in German Writing 1720-1860. Hero-

ines of Horror (2009) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .Andreas Kleinert über Georg Christoph Lichtenberg: Vorlesungen zur Naturlehre.

Gottlieb Gamauf: »Erinnerungen an Lichtenbergs Vorlesungen«. Die Nachschrift eines Hörers. Bearb. Albert Krayer, Klaus-Peter Lieb (2008) . . . . . . . . . . . .

Heiko Pollmeiner über Neil Safier: Measuring the New World. Enlightenment Science and South America (2008) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Gesa Dane über Christine Weder: Erschriebene Dinge. Fetisch, Amulett, Talisman um 1800 (2007) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Helga Meise: Aufklärerische Erziehung fürstlicher Kinder – vier Studien zu einem deutsch-französischen Vergleich. Sammelbesprechung . . . . . . . . . . . . . .

Konstanze Baron über Philipp Blom: »Böse Philosophen«. Ein Salon in Paris und das vergessene Erbe der Aufklärung (2011) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Susanne Düwell über Peter Sindlinger: Lebenserfahrung(en) und Erfahrungsseelen-kunde oder Wie der Württemberger Pfarrer Immanuel David Mauchart die Psy-chologie entdeckt (2010) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Stefanie Stockhorst über Adolph Freiherr Knigge: Werke. Hg. Pierre-André Bois, Wolfgang Fenner, Günter Jung, Paul Raabe, Michael Rüppel, Christine Schrader. 4 Bde. (2010) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Herbert Jaumann über Bernward Schmidt: Virtuelle Büchersäle. Lektüre und Zensur gelehrter Zeitschriften an der römischen Kurie 1665-1765 (2009) . . . . . . . .

Herbert Jaumann über Alexander Košenina: Blitzlichter der Aufklärung. Köpfe – Kritiken – Konstellationen (2010) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Wolfram Malte Fues über Sitten der schönen Pariser Welt. Sophie von La Roche und das Monument du Costume. Hg. Erdmut Jost (2011) . . . . . . . . . . . . . . .

Brian McInnes über Hans-Joachim Kertscher: Literatur und Kultur in Halle im Zeital-ter der Aufklärung. Aufsätze zum geselligen Leben in einer deutschen Universitäts-stadt (2007) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Michael Ströhmer über Gerhard Ammerer: Das Ende für Schwert und Galgen? Legis-lativer Prozess und öffentlicher Diskurs zur Reduzierung der Todesstrafe im Or-dentlichen Verfahren unter Joseph II. (1781-1787) (2010) . . . . . . . . . . . .

Gabriele Crusius über Torsten Sander: Ex Bibliotheca Bunaviana. Studien zu den in-stitutionellen Bedingungen einer adligen Privatbibliothek im Zeitalter der Aufklä-rung (2011) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Gisela Schlüter über Kant et les Lumières européennes. Hg. Lorenzo Bianchi, Jean Ferrari, Alberto Postigliola (2009) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Elizabeth Harding über Holger Zaunstöck: Das Milieu des Verdachts. Akademische Freiheit, Politikgestaltung und die Emergenz der Denunziation in Universitätsstäd-ten des 18. Jahrhunderts (2010) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Stefan Borchers über Simone De Angelis: Anthropologien. Genese und Konfiguration einer ›Wissenschaft vom Menschen‹ in der Frühen Neuzeit (2010) . . . . . . . .

Engelhardt Weigl über Manfred Geier: Die Brüder Humboldt. Eine Biographie (2009) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Laurenz Lütteken über Holger Böning: Der Musiker und Komponist Johann Mattheson als Hamburger Publizist. Studie zu den Anfängen der Moralischen Wochenschriften und der deutschen Musikpublizistik (2011) . . . . . . . . . . .

Martin Fontius: Raynals Histoire des deux Indes – zur kritischen Ausgabe . . . . . . .Christof Wingertszahn über Karl Philipp Moritz: Signaturen des Denkens. Hg. Anthony

Krupp (2010) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .Benedikt Mauer über Paul von Stetten d. J.: Selbstbiographie. Bd. 1: Die Aufzeichnun-

gen zu den Jahren 1771-1792. Hg. Helmut Gier (2009) . . . . . . . . . . . . .

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Aus der Arbeit der Deutschen Gesellschaft

Zu diesem Heft

Das vorliegende Heft druckt fünf Beiträge: Martin Mulsow zeigt, daß der von Adam Weishaupt 1783/84 erarbeitete höchste Mysteriengrad des Illuminaten-Systems z. T. auf Kants Kritik der reinen Vernunft reagiert, die ihm durch die Feder / Garve-Rezension be-kannt war. Ingrid Lohmann unterzieht einen Passus aus Mendelssohns Jerusalem (1783) einer interreligiösen Lektüre. Durch den Bezug auf das damalige ›Medienereignis‹ des Polynesiers Omai wird die oftmals auf Berlin begrenzte Haskala-Diskussion schlaglicht-artig global geweitet. Pauline Pujo interpretiert die Berichterstattung des Volksaufklärers Christoph Gottlieb Steinbecks in seinem Frey­ und Gleichheitsbüchlein (1794) über die Französische Revolution im Hinblick auf französisch-deutschen Kulturtransfer und Me-diengeschichte. Christoph Weber untersucht die Berichterstattung über das Erdbeben in Sizilien und Kalabrien im Jahr 1783 und macht an zwei deutschsprachigen Reiseberich-ten deutlich, zu welchen stilistischen bzw. ideologischen Bewältigungsstrategien die Un-aussprechlichkeit des gesehenen Leidens die beiden Autoren Bartels und Münter führt. Schließlich stellt Marcel Lepper einen Forschungsbericht mit einer reichen Bibliographie zur Philologie im 18. Jahrhundert mit dem Ziel zusammen, sie aus dem Schatten der Philologie des 19. Jahrhunderts heraustreten zu lassen. Damit knüpft er an eine ältere DAJ­Tradition an, in der das Genre des Forschungs- bzw. bibliographischen Berichts einen zentralen Publikationsschwerpunkt bildete. Der umfangreiche Rezensionsteil ›Aus der Forschung‹ spiegelt erneut Fülle und Vielfalt einer kritischen 18.-Jahrhundert-Forschung.

DAJ 36.2 (2012) wird im Dezember 2012 mit dem von York-Gothart Mix und Carlos Spoerhase zusammengestellten Schwerpunkt »Schöpferischer Wettbewerb? Ästhetische und kommerzielle Konkurrenz in den schönen Wissenschaften« erscheinen.

Dem Typ nach ist DAJ – dies ist an dieser Stelle in Heft 22.2, 1998, 159 f. dargelegt worden – eine Mischung aus Sollizitations- und Selektionsmodell. Jenes gilt besonders für die Themen-, dieses grundsätzlich für die ›freien‹ Hefte. Praktiziert wird eine ›peer-review‹, in deren Zuge Beitragsangebote stets von einem einschlägigen Vorstandsmitglied und vom Geschäftsführenden Herausgeber begutachtet werden, bevor über Ablehnung oder Annahme (oftmals unter dem Vorbehalt der Überarbeitung) entschieden wird.

Erwünscht sind Manuskriptangebote (max. 45.000 Zeichen) für unsere Zeitschrift, Themenvorschläge für Heftschwerpunkte (kurzes Exposé), Rezensionswünsche für die in der Rubrik ›Eingegangene Bücher‹ annoncierten Neuerscheinungen, Vorschläge für die deutsch-amerikanischen Panels auf den Jahrestagungen der ASECS ( jeweils im März bzw. April) und Manuskriptofferten für die beiden wissenschaftlichen DGEJ-Reihen (Studien bei Meiner, Supplementa bei Wallstein) sowie Anregungen für zukünftige DGEJ­Tagungen.

Carsten Zelle, Geschäftsführender Herausgeber, Das achtzehnte Jahrhundert

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Quo vadis Aufklärungsforschung? Eindrücke vom 13th International Congress for Eighteenth Century Studies, 25.-29. Juli 2011 in Graz

I. Wessen Licht?

Das strahlende Licht, das die Dunkelheit vertreibt, ist die Aufklärungs-Metapher schlechthin. Als Eye-catcher für den großen, nur alle vier Jahre veranstalteten Kongress der International Society for 18 th Century Studies (ISECS ) scheint daher nichts näher zu liegen als ein Gemälde der Auf-klärungszeit mit einem strahlenden Licht im Zentrum, das sich gegen dunkle Wolken durchsetzt, umgeben von Personifikationen der vier Erdteile, die sich in Bewunderung und Verehrung vor ihm verneigen. Auf dem Gemälde, das die Organisatoren des 13. Internationalen Aufklärungskon-gresses in Graz als »Leitbild« gewählt haben, geht dieses strahlende Licht freilich von der Heiligen Eucharistie, dem in der Hostie repräsentierten Leib Christi, aus. Es leuchtet von oben – vom mit Gottvater, dem Heiligen Geist und einigen Engeln besetzten Himmel – über die Erdkugel und die Menschen in der unteren Bildhälfte. Erhellend wirkt hier nicht das lumen naturale der mensch-lichen Vernunft, sondern ein lumen divinum, das im Opfertod Christi, des »lumen ex lumine«, aufstrahlt. Was der Mensch zu diesem Licht beizutragen vermag, sind die Flammen gläubiger Herzen, wie sie auf dem Grazer Bild von einem Engel aus der mundanen in die himmlische Sphäre emporgetragen werden.

Als »Leitbild« für den ISECS-Kongress vermochte das im Steirischen Landesmuseum Joanneum verwahrte, Johann Wolfgang Baumgartner (1709/12-1761) zugeschriebene Gemälde1 deshalb durchaus zu überraschen, auch wenn Aufklärung und Religion von der Forschung seit längerem als interferierende und keineswegs nur feindliche Mächte ausgewiesen werden. Denn auf diesem Gemälde kommen nicht christliche Substrate aufklärerischer Selbst- und Weltverbesserungser-wartungen oder eine deistische Vernunftreligion zum Ausdruck, sondern Theologie und Weltbild eines traditionell trinitarischen Katholizismus. Im frühen 17. Jahrhundert setzte der spätere Kaiser Ferdinand II. von Graz aus die Gegenreformation in Gang. Sollte von hier nun eine Gegenaufklä-rung ausgehen? Dies zu befürchten wäre natürlich Unsinn – was die Organisatoren hätten klarstel-len können, wenn sie das Spannungsfeld zwischen Aufklärung und katholischer bzw. traditioneller Religiosität offensiv thematisiert und direkt etwa gefragt hätten, ob Religionen etwas leisten, was Aufklärung nicht vermag. In Graz jedoch liefen fast 1000 Konferenzteilnehmer sechs Tage lang mit einer lichtstrahlenden Mon stranz mit dem Allerheiligsten sowohl auf dem Programmheft als auch auf dem ausgegebenen Beutel für die Tagungsunterlagen durch Stadt und Universität, ohne dass ihnen dafür eine einlässlichere Begründung gegeben wurde als der Hinweis darauf, dass das ausgewählte Bild »einerseits den zeitgenössischen Globalisierungsgedanken widerspiegelt und an-dererseits das Licht der Gemeinsamkeit in den Mittelpunkt rückt« (so die Kongress-Website <http://www.18thcenturycongress-graz2011.at/leitbild.html>, 14.11.2011).

Dass es den einen oder anderen guten Grund gibt für eine stärkere Berücksichtigung traditio-nell kirchlicher Religiosität bei der Erforschung des 18. Jahrhunderts, war in manchen Sektionen zu erfahren. So wurde darauf hingewiesen, dass die Josephinischen Reformen vom katholischen wie orthodoxen Klerus unterstützt worden seien, selbst wo sie sich gegen religiöse Lebensgewohn-heiten wie Heiligenfeste richteten. Als forschungsgeschichtliche Legitimation einer katholischen Perspektive auf die Aufklärung ließ sich außerdem – mit etwas Kombinationslust – der hochinter-essante, von Thomas Wallnig veranstaltete Workshop zu Eduard Winter und Fritz Valjavec verste-

1 Kritisch zu dieser Zuschreibung Hubert Hosch: »Mit kühnen Pinselstrichen. Barocke Öl skizzen der Alten Galerie in Graz« <http://freieskunstforum.de/hosch_2009_graz.pdf> [08.02.2012], 5 f.

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hen, denn diese beiden um die Mitte des 20. Jahrhunderts führenden deutschsprachigen Aufklä-rungsforscher vertraten nicht nur eine nationalistische Interpretation des Josephinismus, sondern engagierten sich massiv für den Nationalsozialismus, bei Winter verbunden mit ebenso massiver Kirchenkritik. Dem kirchentreuen und im NS verfolgten Benediktiner Hugo Hantsch wurde im Grazer Workshop dagegen die ausgewogenere Sicht auf die josephinische Politik attestiert. Da die drei genannten Autoren alle in der Habsburgermonarchie gebürtig waren und über diese geforscht haben, scheinen es zunächst einmal spezifisch österreichische Verhältnisse zu sein, die eine ›katho-lischere‹ Sicht auf das Aufklärungszeitalter nahelegen. Fragen nach dem Weiterleben kirchlicher Traditionen und Institutionen, nach der Reformfähigkeit der geistlichen Staaten oder nach dem Verhältnis von Religion und Moral wurden in Graz jedoch nicht allein mit Blick auf das katho-lische Ostmitteleuropa diskutiert.

II. Unreine Aufklärung

Der Themenschwerpunkt Mittel­ und Osteuropa im Zeitalter der Aufklärung war von der Kongress-leitung vorgegeben worden, ebenso der weitere Schwerpunkt Die Zeit in der Ära der Aufklärung: Gegenwartsvorstellungen und Zukunftskonzepte. Der erstgenannte Schwerpunkt wurde sehr gut an-genommen und trug wie beabsichtigt zur Integration der mittelosteuropäischen in die internationale Forschung bei. Der zweite Schwerpunkt wurde vornehmlich mit Vorträgen über die Geschichts-schreibung und -philosophie des langen 18. Jahrhunderts, also über Vergangenheitsdarstellungen bespielt. Überhaupt scheint Aufklärung immer stärker als rein historisches Phänomen begriffen zu werden. Beiträge zum Aufklärungsdiskurs in unserer Gegenwart waren seltene Ausnahmen. Ob es weiterhin einen Aufklärungsbedarf gibt und, wenn ja, wie dieser sich heute näherhin darstellt, wurde in Graz – jedenfalls im Programm – ebenso wenig diskutiert wie eventuelle Möglichkeiten unserer Forschung, zu einer heutigen und künftigen Aufklärung beizutragen. Auch in der Aufklä-rungsforschung denkt man heutzutage offensichtlich lieber nicht an die Zukunft.

Aber lässt sich überhaupt so etwas wie eine allgemeine Tendenz der auf dem Kongress präsenten internationalen Aufklärungsforschung benennen? Entgegen steht dem, dass selbst der eifrigste Kongressbesucher nur einen winzigen Teil der Vorträge hören konnte, die in bis zu 18 Parallel-sektionen gehalten wurden. Wenn ich aus vielen punktuellen Eindrücken gleichwohl eine Summe ziehen sollte: Weiterhin beliebt ist es, das ›Andere der Vernunft‹ aufzuweisen, man könnte auch sagen: die unreine Seite der Aufklärung, also das Rednerische oder Graziöse statt der bloßen Ver-nunft, das Machtkalkül der Fürsten statt der moralischen Forderungen der Intellektuellen, natio-nalistische Diskursmuster statt kosmopolitischer oder patriotischer Postulate, Spiel und Spektakel statt Regelhaftigkeit und Reform (etwa im Theaterbereich), Frömmigkeit statt Säkularisierung usw. Die eine große Erzählung über das 18. Jahrhundert, die von Aufklärung als planvoll ins Werk gesetztem Emanzipationsprozess handelte, ist offensichtlich weit in den Hintergrund gerückt, wenn nicht überhaupt zersplittert. An ihre Stelle sind viele kleine Erzählungen mit meist viel ge-ringerer Teleologisierung getreten.

Dieser Veränderung in unserer Vorstellung von ›Geschichte‹ – ihrem Stringenzschwund – ent-spricht wiederum die gesamtgesellschaftlich zu beobachtende Abschwächung unserer Zukunftser-wartungen: Je weniger konturiert der Geschichtsprozess in der Vergangenheit erscheint, desto schwieriger ist es, aus ihm bestimmte Zukunftserwartungen abzuleiten. Nun ist es der historiogra-phischen Genauigkeit gewiss dienlich, an die Stelle der einen großen Erzählung von immer weiter fortschreitender Menschheitsemanzipation viele kleine Erzählungen zu setzen. Wünschenswert scheint mir gleichwohl, dass man sich mehr Gedanken machte, wie die vielen einzelnen Erzählun-gen zueinander sowie zu jener ›Aufklärung‹ stehen, die nach wie vor das einzige Makrointerpretat wie -interpretandum der Epoche bildet. Die Jahrestagung Aufklärung und Hofkultur in Dresden,

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die die DGEJ 2011 unter Leitung von Roland Kanz und Johannes Süßmann veranstaltet hat, er-füllte bereits diesen Wunsch, indem sie sich ein vorderhand aufklärungsfernes Thema wählte, um jedoch nach aufklärerischen Intentionen oder Effekten auch im höfischen Milieu zu fragen.

Beobachten ließen sich auf dem Grazer Kongress auch nationale Unterschiede hinsichtlich der bevorzugten Forschungsstrategien. Für englische und französische Forscher stellen die großen Auto-ren der beiden westeuropäischen Leitnationen des 18. Jahrhunderts weiterhin Fixpunkte dar. Zahl-reiche Vorträge bis hin zu ganzen Sektionen waren Montesquieu und Voltaire, Diderot und Rous-seau, Locke, Hume und Adam Smith und sogar Jane Austen gewidmet. Als deutsche Autoren ragen nur Kant und Goethe in diesen Prominenz bereich. Dieses Ungleichgewicht hat sicherlich Gründe in der Sache, denn nicht einmal Lessing, der herausragende deutsche Aufklärungsdichter, erreichte seinerzeit nennenswerte internationale Resonanz; seine vielen Lebensstationen spiegeln vielmehr das Dezentrierte der deutschen Verhältnisse, das ebenfalls eine Zerstreuung von Aufmerksamkeit zur Folge hat, im 18. Jahrhundert wie heute. Eine Rolle mag jedoch auch spielen, dass die deutsche Forschung über weniger ›Mut zum Autor‹ verfügt. Das entspricht der derzeitigen literaturtheo-retischen Correctness, führt im internationalen Vergleich aber zu Sichtbarkeitseinbußen. Denn an Autornamen knüpfen sich historisch-kritische Textausgaben und wissenschaftliche Gesellschaften ebenso wie die öffentliche Aufmerksamkeit anlässlich von Jubiläen. Demgemäß bilden Les œuvres complètes de Voltaire und die Oxforder Voltaire Foundation nach wie vor den wichtigsten Kristallisa-tionspunkt der internationalen Aufklärungsforschung. Editionsvorhaben und -fragen wurden in Graz für eine ganze Reihe französischer Autoren diskutiert, während die große neue Wieland- Ausgabe nur am Stand des de Gruyter-Verlags präsent war. Oder Schiller: Es war der französische Germanist Jean Mondot, der ihn in seinem Plenarvortrag als noch heute heranzuziehende Reflexions-instanz der späten Aufklärung profilierte. Bezeichnend auch, dass das »Tricentenaire Diderot 2013« bereits seine Schatten vorauswarf, während vom ›Friedrichjahr 2012‹ nichts zu vernehmen war (die publizistische Friedrich-Feier, die wir derzeit in Deutschland erleben, ändert nichts an diesem Desinteresse der internationalen Forschung). Etwas mehr ›Mut zum Autor‹ könnte der deutschen Forschung gut tun, wenn darunter kein diskurstheoretisches Rollback, wohl aber mehr Sinn für Aufmerksamkeitsökonomien verstanden wird.

III. Muss es denn so groß sein?

Lohnt es sich eigentlich, zu solch einer Riesentagung zu fahren? Fehlt da nicht der rote Faden, so-dass sich die vielen hundert Vorträge zu keinem Ertrag summieren? Solche Bedenken sind nicht grundlos, und trotzdem möchte ich antworten: Ja, es lohnt auf jeden Fall, sich einen (wie immer kontingenten) Überblick über die Forschung in so vielen Ländern und Fächern zu verschaffen; ja, es lohnt sich, bekannte Forscher endlich einmal kennenzulernen oder auf vielversprechenden Nachwuchs aufmerksam zu werden; ja, es lohnt sich, neue Forschungsansätze einem unkalkulier-baren internationalen Publikum zur Diskussion zu stellen. Zudem muss ein großer Kongress nicht in unzählige kurze Einzelvorträge auseinanderfallen. In Graz wurde das immer dort vermieden, wo den Sektionen eine mit Gewinn diskutierbare Forschungsfrage zugrunde lag und die Beiträge plan-voll zusammengestellt waren. In den meisten Sektionen und Workshops, die ich besucht habe, war das in hohem Maße der Fall. Vielfach war hier wirklich pulsierende Forschung zu erleben. Schade nur, dass die Vortragszeit nicht immer so rücksichtsvoll eingehalten wurde, dass anschließend auch diskutiert werden konnte.

Zusätzlich angenehm machte den Kongress die perfekte Vorbereitung durch das Organisations-komitee unter der Leitung des Grazers Historikers Harald Heppner. Ihm und der gesamten Öster-reichischen Gesellschaft ist für die jahrelange Vorbereitungsarbeit nachdrücklich zu danken. Als hervorragend geeigneter ›Austragungsort‹ erwies sich die steirische Hauptstadt mit ihrem überaus

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reichen Kulturerbe aus der Frühen Neuzeit. Dass es viel regnete, musste man als Wissenschaftler fast begrüßen: Bei Sonnenschein hätte man manchmal vielleicht einem Straßencafé den Vorzug vor dem Hörsaal gegeben.

Angemeldet hatten sich 957 Teilnehmern aus 48 Ländern. Das größte Länderkontingent stellte das Ausrichterland (145). Aus Deutschland sollten 123 Teilnehmer kommen, aus Frankreich 112, aus den USA 89. Im Tagungsprogramm fiel der hohe Anteil deutschsprachiger Teilnehmer nicht ganz so auf, da nicht wenige auf Englisch oder Französisch vortrugen, um ein größeres Publikum anzusprechen. Generell gilt weiterhin, dass die ISECS hauptsächlich von anglo- und frankophonen Forschern getragen und geprägt wird, so wie das Deutsche diesmal auch nur ausnahmsweise neben den beiden offiziellen Sprachen der ISECS akzeptiert war. Über diese Nachrangigkeit braucht man, mit Blick sowohl auf die Verhältnisse im 18. Jahrhundert wie auf die Geschichte des 20. Jahrhun-derts, keine Klage zu führen. Ausgleichen lässt sie sich nur dadurch, dass sich die deutsche Auf-klärungsforschung noch stärker als bisher um internationale Resonanz und Präsenz bemüht. Der Vorstand der DGEJ sieht sich hier durchaus in der Verantwortung. An manchen Stellen gibt es offen-kundigen Nachholbedarf: So haben sich, wie in Graz berichtet wurde, in den vergangenen Jahren unverhältnismäßig wenige deutsche Nachwuchswissenschaftler um Teilnahme an den ISECS Inter­national Seminars for early career scholars beworben. Übrigens bietet die Website der ISECS jeder-zeit zahlreiche Hinweise auf internationale Tagungen, Call for Papers und Stipendien (http://www.isecs.org/index.html).

Im Exekutivkommittee der ISECS ist die deutsche Aufklärungsforschung seit den Wahlen im Sommer 2010 wieder an vorderer Stelle vertreten, denn Hans-Jürgen Lüsebrink wurde zum Ersten Vizepräsidenten gewählt. Der neue Präsident ist Marc André Bernier, der einen Forschungslehr-stuhl für Rhetorik an der Université du Québec à Trois-Rivières innehat. Gelegenheit, ihn kennen-zulernen, besteht auf der Jahrestagung der DGEJ 2012 in Potsdam: dort wird er den Eröffnungs-vortrag halten. Auch in der ehemaligen preußischen Residenz wird sich die DGEJ als Teil einer internationalen Forschergemeinschaft präsentieren!

Daniel Fulda, Halle (Saale)

Aufklärung und Hofkultur in Dresden. Tagung der DGEJ in der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, 11. /12. November 2011. Tagungsbericht

Beinahe wäre Lessing nach Dresden gegangen. Nach Vorgesprächen hätte er dort vielleicht Gene-raldirektor der Kunstakademien Sachsens werden können, doch als der Amtsinhaber Christian Ludwig von Hagedorn 1780 starb, war Lessing selbst schon von Krankheit gezeichnet. Vielleicht hätte ihn gefreut, dass an seiner letzten Wirkungsstätte in Wolfenbüttel über Aufklärung und Hof-kultur in Dresden nachgedacht wurde. Die kleine Tagung, ausgerichtet von Roland Kanz (Bonn) und Johannes Süßmann (Paderborn), rückte einen Zug von Dresdens Physiognomie ins Licht, der bei der Wahrnehmung der Stadt bislang kaum eine Rolle spielt: Dresden war auch ein Ort der Aufklärung. Das gilt bereits, wenn man die ausdrücklich aufklärerischen Bestrebungen nach dem Siebenjährigen Krieg ins Auge fasst. Nicht nur bei Hofe hatten sie ihre Förderer (im Umkreis Friedrich Christians von Sachsen und seiner Gemahlin Maria Antonia Walpurgis), in der Verwal-tung gelangten eine Zeit lang aufklärerische Reformer ans Ruder; Adlige wie der Graf Bünau tra-ten als Aufklärungshistoriker hervor; an der Akademie übten Aufklärer maßgeblichen Einfluss auf Kunsttheorie, Kunstkritik und künstlerische Praxis aus. Der epochale Umbruch vom rhetorischen Kunstverständnis der Vormoderne zum vermeintlich sinnlich unmittelbaren des bürgerlichen Zeit-alters ging in Deutschland von Dresden aus. In diesem Umfeld hat Winckelmann seine bahnbre-chenden Frühschriften verfasst. Ein bloßer Zufall? So müsste es scheinen, wenn man der Forschung

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folgt, die den aufklärerischen Zug in Dresden (sofern sie ihn überhaupt zur Kenntnis nahm) für marginal erklärte und in Gegensatz zur exorbitanten Hofkultur des augusteischen Zeitalters (wie übrigens auch zur Romantik) rückte. Ziel der Wolfenbütteler Tagung war es stattdessen, die Auf-klärung in Dresden in einen Konnex vor allem mit dem ersten diesen beiden ungleich bekannteren Momenten der Stadtgeschichte zurückzuholen. Nach Kontinuitäten und Bedingungsverhältnissen wurde von den Veranstaltern gefragt, nach strukturellen Zusammenhängen auch jenseits von ex-plizit aufklärerischen Programmen. Forscherinnen und Forscher aus der Geschichtswissenschaft, der Kunsthistorie, der Musikwissenschaft, der Philosophie und der Wissenschaftsgeschichte prä-sentierten dazu vor Zuhörern, die zum Teil aus Dresden angereist waren, Fallstudien und Material.

Den Anfang machte Cordula Bischoff (Dresden), die sich dem »höfische(n) Familienporträt zwischen Staatsrepräsentation und Empfindsamkeit« widmete. Bischoff bekräftigte eingangs die in der Kunstgeschichte gängige Annahme, dass um 1770 allgemeine Tendenzen zu einer zwanglose-ren Darstellung im Porträt festzustellen seien. Für Sachsen und insbesondere Dresden skizzierte sie, wie bereits in den 1750er Jahren in Dresden besondere Aufmerksamkeit auf die Porträts der königlich-kurfürstlichen Familie gerichtet wurde und vor allem der junge Anton Raphael Mengs neue Maßstäbe setzte. Hervorgehoben wurde sein 1750 gemaltes Porträt von Maria Antonia Wal-purgis von Bayern, die seit ihrer Heirat 1747 mit Friedrich Christian Kurprinzessin und nach dessen frühem Tod 1763 Kurfürstinwitwe in Sachsen war. Vergleiche mit anderen Hofmalern (Johann Georg Ziesenis, Georg Desmarées) machten Mengs’ Fortschrittlichkeit im Verzicht auf übliche Idealisierungen des Gesichts deutlich. Die Rolle der Kurfürstinwitwe, die ihre durch Wissen er-langte Politikfähigkeit nach dem Siebenjährigen Krieg geltend machte, demonstriert das Familien-bild, das Johann Eleazar Zeissig genannt Schenau 1772 malte. Hierin offenbart sich ein aufgeklärt zu nennendes Verständnis von Familiensinn und »patriotischer« Herrschaftsallegorie.

»Winckelmann in Dresden« wandte sich dann Elisabeth Décultot (Paris / Berlin) zu. Sie zeigte zunächst, dass einige Stereotype der Winckelmann-Forschung, wie die (ab)wertende Entgegenstel-lung von Winckelmanns Dresdner Zeit mit seinen römischen Jahren und – damit verbunden – sei-ner Kunstaneignung über Lektüre mit der über sinnlich-unmittelbare Erfahrung, unkritisch Win-ckelmanns eigener nachträglichen Selbststilisierung folgen. Betrachte man die Primärquellen über Winckelmanns Dresdner Zeit: seine Exzerpthefte, so falle der vermeintliche Gegensatz in sich zu-sammen. Denn über Lektüre habe Winckelmann die empirische Kunstphilosophie kennengelernt, die ihn auf die unmittelbare Sinneserfahrung als Kern der Kunstwahrnehmung verwiesen habe. Und aus der Lektüre fremder Rezeptionszeugnisse habe Winckelmann große Teile seiner eigenen, scheinbar unmittelbaren Beschreibungen antiker Skulpturen zusammenexzerpiert. Nöthnitz also, wo er als Bibliothekar des Grafen Bünau tätig war und Dresden verdanke Winckelmann seine auf Lektüre beruhende epochemachende Wendung der Kunstbeschreibung. Dass er selbst diese Prägung eher zu verwischen suchte, hatte, so Décultots zweite These, politische Gründe. Denn Pöppelmanns Zwinger und der Dresdner Barock seien von Winckelmann als Fortsetzung von Versailles aufge-fasst worden, politisch also, als Ausdruck monarchischen Despotismus, gegen den Winckelmann sich in Bünaus Bibliothek durch die Lektüre englischer Publizisten der Glorreichen Revolution munitioniert habe. Noch die Abwertung Dresdens gehe also auf Argumente zurück, die Winckel-mann über die aufklärerische Republikanismusrezeption in Dresden empfangen habe.

Analog argumentierte Steffi Roettgen (Florenz) in ihrem Vortrag über »Reiffenstein, Winckel-mann und die deutsche Ornamentkritik um 1750«. Auch sie zeigte, dass die unkritische Übernah-me einzelner Winckelmann-Aussagen die Vielschichtigkeit seiner Position verdeckt. Besonders die Rolle von Johann Friedrich Reiffenstein gelte es hierbei neu zu konturieren. Die »Zierrathe« des Rokoko waren um 1750 Ziel früher Kritiken gegen die Unsinnigkeiten der Rocaille und aller von ihr abgeleiteten Ornamentphantasien, nicht nur bei Raumausstattungen, sondern auch im Orna-mentstich, insbesondere solcher mit Augsburger Provenienz. Reiffenstein und etwas später auch

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Winckelmann hätten Luxuskritik und Ornamentverzierungen mit Dekorumfragen verbunden, für die immer noch Vitruv als antike Autorität ins Spiel gebracht werden konnte. Freilich habe Win-ckelmann 1763 die Partei der Verzierer ergriffen, soweit es sich bei Ornamenten um Nachahmun-gen des Spiels der Natur handle. Die Natur bzw. Natürlichkeit als Maßstab auf der einen Seite und die neue Rezeption antiker Ornamente durch die Ausgrabungen von Herkulaneum und Pompeji hätten schließlich in den 1760er Jahren eine allgemeine Abkehr von Rocailleornamenten bewirkt.

Dorit Kluge stellte die Frage »Frankreich als Inspirationsquelle oder längst überholtes Modell?« und beleuchtete die »Berichterstattung zu den Dresdner Kunstausstellungen«, die nach der Refor-mierung der sächsischen Kunstakademien 1764 durch Hagedorn vor allem zu den Akademieaus-stellungen in Dresden den neuen Typus der Kunstkritik allmählich etablierte. Kluge unterzog die einschlägigen Zeitschriften einer quantitativen Auswertung nach Jahrgängen und konnte dadurch Konjunkturen ermitteln, die in den ersten Jahren möglicherweise – so eine These – mit dem Netz-werk von Generaldirektor Hagedorn zu erklären wären. Die Autoren blieben meist anonym, ein Faktum, das bislang noch unzureichend zu erklären sei. Wohl nur verlagshistorische Quellenfor-schung könne hier weiterhelfen. Ob nun in qualitativer Hinsicht Frankreich, das heißt die Pariser Berichterstattung zu den Salonausstellungen in den französischen Gazetten, das Muster abgegeben habe, konnte Kluge nach ihrer Auswertung insoweit verneinen, als die deutschen Kunstkritiken andere Intentionen und Artikelstrukturen aufwiesen. In den 1780er Jahren, einer Zeit, die ein stabiles Artikelaufkommen erwarten ließe, sei jedoch vergleichsweise wenig über die Kunstaus-stellungen publiziert worden.

Ein umfassendes Bild von »Dresden im 18. Jahrhundert« zeichnete Winfried Müller (Dresden) mit seinem Abendvortrag in der Augusteerhalle. Dabei entwarf er zugleich einen Rahmen, der es erlaubte, die einzelnen Fallstudien einzuordnen und angemessen zu gewichten. Von der Stellung der sächsischen Kurfürsten, die in der ersten Jahrhunderthälfte zugleich die Königskrone von Polen-Litauen errangen, dafür die Konfession wechselten und zu Akteuren im europäischen Mächtesys-tem wurden, misstrauisch beäugt von einem auf Eigenmächtigkeit bedachten Adel und der sich über die Verteidigung ihrer lutherischen Konfession neu zusammenschließenden Bürgergemeinde, leitete Müller die Akteure und Strukturbedingungen ab, die das Leben in der Residenzstadt Dres-den prägten – auch über die Katastrophe des Siebenjährigen Krieges und den Verlust der polnischen Königswürde hinaus. Dass der Hof sich zumindest in der ersten Jahrhunderthälfte auf europäische Vorbilder und Konkurrenten bezog, vor Ort aber Adel und Stadtbürger ihm eigene Ausdrucksfor-men entgegenstellten, habe die Stadtgesellschaft in Bewegung gebracht, traditionale Sozialbeziehun-gen in Frage gestellt und bei allen beteiligten Gruppen ein gesteigertes Bedürfnis nach Repräsenta-tion geweckt. Das sei den zahlreich herbeiströmenden Künstlern und Musikern zugutegekommen, nicht nur weil sie Aufträge von allen Seiten erhielten, es habe sie auch in eine Schlüsselposition versetzt: Einerseits wurden sie zu Experten für die je eigene visuelle und musikalische Selbstdarstel-lung – und damit auch Selbstverständigung – von Hof, Ritterschaft und Stadtgemeinde, anderer-seits mussten die Künstler ständig (und aus Geschäftsgründen auch versiert) in allen Fraktionen der Dresdner Gesellschaft verkehren. Das könnte erklären, warum den Künsten in Dresden größe-re Bedeutung zukam als andernorts; warum die Akademie zu einer Kontaktzone unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen und Tendenzen wurde; warum die gesellschaftliche Dynamisierung sich in eine beschleunigte künstlerische Entwicklung umsetzte. Im Schlussteil des Vortrags erörterte Müller, wie diese Sozialstruktur, die sich in der ersten Jahrhunderthälfte herausgebildet hatte, mit den aufklärerischen Tendenzen der zweiten Jahrhunderthälfte zusammenhing. Sorgfältig unter-schied er Gruppen, die sich programmatisch auf die Aufklärung beriefen, von sozialstrukturellen Bedingungen, die anonym und ungeplant Aufklärung ermöglichten oder verstärkten. Obwohl erstere die offizielle Politik in Dresden nur für kurze Zeit bestimmt hätten, sei ihre Bedeutung bislang unterschätzt worden und bleibe in vieler Hinsicht zu erforschen.

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Wie die Dresdner Akademie dazu beitrug, aufklärerischen Kunstgeschmack und ein aufkläreri-sches Kunstverständnis hervorzubringen, zeigte Roland Kanz (Bonn) in seinem Vortrag über den Akademiedirektor »Christian Ludwig von Hagedorn als Kunsttheoretiker der Aufklärung«. Ein-gangs erläuterte Kanz Hagedorns Bildung als Kunstkenner und Künstlerdilettant in den Jahrzehn-ten seiner Tätigkeit als sächsischer Diplomat bis 1752. Die eigenhändigen Radierungen belegten Hagedorns starkes Interesse an holländischen Landschaftsbildern in Malerei und Druckgraphik. Überhaupt sei Hagedorns Rolle in Bezug auf den deutschen Hollandismus kaum zu überschätzen. Dies habe sich auch in Hagedorns theoretischen Schriften niedergeschlagen, die in Buchform 1755 und 1762 erschienen. Vor allem in seinen Betrachtungen über die Mahlerey habe sich diese aufgeklärte Geschmacksposition in einer neuen Betonung der Landschafts- und »Gesellschafts-mahlerey« geltend gemacht. Hagedorn ziele im Kern auf ein Erziehungsprogramm, in dem durch das Wirken rechtschaffener Künstler eine moralästhetische Bilderbildung das Individuum in seiner Persönlichkeit erheben solle.

Dresdner Aufklärung und Hofkultur in der Musik – insbesondere in einer Hofmusik – war Thema des musikhistorischen Vortrags von Gerhard Poppe (Dresden / Koblenz). Zu Beginn konsta-tierte Poppe, dass Aufklärung in der Musik selbst denkbar schwer zu fassen sei. Aus prinzipiellen methodischen Erwägungen seien zwei Umwege einigermaßen praktikabel – über die Institutionen-geschichte und über einen vorsichtigen stilistischen Vergleich. Während sich für die Geschichte der Musikinstitutionen am Dresdner Hof Kontinuität und Diskontinuität einigermaßen zuverlässig be-schreiben ließen, stehe ein stilistischer Vergleich zwischen Werken ähnlicher Bestimmung auf wacke-ligen Füßen. Dies demonstrierte Poppe anhand von drei Kompositionen des Bußpsalms »Miserere« von Zelenka (1738), Hasse (1730er Jahre) und Naumann (1779) mit Hörbeispielen. Insgesamt blei-be, so Poppe, Aufklärung in der Dresdner Hofmusik des 18. Jahrhunderts ein »luftiges Wesen« – auch und gerade wegen des gewichtigen Anteils der Kirchenmusik an den Aufgaben der Hofkapelle.

Nicht nur die Künste erhielten durch die spezifische Dresdner Situation einen besonderen Stellenwert, auch die Wissenschaften profitierten von besonderer Wertschätzung. Das zeigte Andre Wakefield (Claremont / CA) in seinem Vortrag über die Bergakademie Freiberg am Beispiel der Montanindustrie. Deren Förderung hatte in Sachsen schon aus praktisch-politischen Gründen Tradition, verschaffte das Bergregal den Kurfürsten doch Einnahmen, unabhängig von den Geld-bewilligungen der sächsischen Stände. Am Beispiel der Planetenfeste von 1719 zeigte Wakefield nun, dass die Vorführung echter Maschinen und Verhüttungsprozesse darüber hinaus demonstra-tiv in die Selbstdarstellung Augusts des Starken einbezogen wurde. Das heißt, ihre Rechtfertigung bezog dessen mehrfach unselbstverständliche Herrschaft auch daraus, dass sie fähig war, spekta-kuläre Naturgewalten zu zivilisieren und einer gewerblichen Nutzung zuzuführen. Analog wurde die Porzellanproduktion politisiert und als zivilisatorischer Triumph der augusteischen Herrschaft präsentiert. Daraus ergab sich eine materielle Förderung der Technikwissenschaften – das Auguste-ische Stipendienprogramm für Bergleute schuf die Voraussetzungen für die 1765 erfolgende Gründung der Bergakademie – , vor allem aber brachte es ein neues Berufsbild hervor. Freiberg professionalisierte die Bergbaupraxis, verknüpfte sie mit Theorie und dem Bildungsideal stände-übergreifender Weltläufigkeit. Insofern war es kein Zufall, dass hier neben den Montan- auch die Kameralwissenschaften gelehrt wurden. Die hier ausgebildeten Bergmanager sollten einen neuen Beamtentypus verkörpern. Idealtypisch zeigt sich an diesem Beispiel, wie die Dresdner Hofkultur Aufklärung erzeugte, von der sie dann im Gegenzug scharf kritisiert wurde. Eine der Pointen von Wakefields gedankenreichem Vortrag bestand in dem Nachweis, dass die vernichtende Verur-teilung der augusteischen Hofkultur durch die preußische Historiographie und die DDR-Historie in Arbeiten von Freiberger Kameralisten vorweggenommen ist.

In der Schlussdiskussion wurden die Beiträge mit der Frage verbunden, ob der Siebenjährige Krieg eine Wende auch für das Tagungsthema die Aufklärung in Dresden gebracht habe. Zwar

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komme man nicht umhin zu konstatieren, dass der Krieg einen tiefen Einschnitt auch im Kultur-leben bewirkt habe, doch ließen sich für Dresden wichtige Aspekte der Aufklärung schon vorher feststellen. Während strittig blieb, ob man die strukturelle Tendenz hin zur Aufklärung bereits dieser zurechnen sollte, gelte es festzuhalten, dass Dresden als Residenzstadt und Kunstzentrum für die Aufklärungsforschung ein lohnenswertes Terrain darstelle.

Roland Kanz, Bonn, und Johannes Süßmann, Paderborn

Zwei deutsch-amerikanische Panels auf der 43. Tagung der American Society for Eighteenth­Century Studies (ASECS), San Antonio, TX, 22.-24. März 2012

The Opacity of the Public Sphere: Anonymity in the Eighteenth Century: Das Thema Anonymität stellt ein Angebot dar, andere angrenzende Themen wie Öffentlichkeit, Publizität, Vertrauen und Vertrautheit von ihrer Kehrseite her zu denken. Wenn sich beispielsweise Öffentlichkeit über ein geteiltes oder allgemein zugängliches Wissen konstituiert, handelt es sich bei Anonymität um eine Art personenbezogenes Wissen, das der Allgemeinheit vorenthalten wird. Zwei Panels auf der dies-jährigen Tagung der American Society for Eighteenth­Century Studies (ASECS) nahmen sich dieses Angebotes an. Darin spiegelt sich die gesteigerte Aufmerksamkeit wider, die Anonymität als For-schungsthema in neueren Zeit gewonnen hat – beispielsweise ist 2011 im deutschsprachigen Be-reich ein von Stephan Pabst herausgegebenen Sammelband mit dem Titel Anonymität und Autor­schaft erschienen. Allerdings war an mehreren Beiträgen das Bemühen erkennbar, das Thema nicht nur im Rahmen einer solchen literaturtheoretischen Dichotomie zu behandeln, sondern ihm eine sich über das Literarische hinaus erstreckende Breite zuzuerkennen, die dann einen kulturwissen-schaftlichen Ansatz nahelegte. Anonymität wurde also nicht nur als rein literarisches Phänomen behandelt.

Dabei war es allen Teilnehmern wichtig, dem Phänomen keine kontextunabhängige Konsistenz von heute aus zu geben. Statt dessen versuchte man über Anonymität nicht im Sinne einer Entität, sondern eher im Sinne einer Unterscheidung nachzudenken und zu berücksichtigen, wie die Un-terscheidungslinie zwischen Wissen und Nicht-Wissen je nach der spezifischen Situation und der individuellen Perspektive unterschiedlich gezogen werden konnte. In diesem Sinne ließ sich der Beitrag von Olaf Simons (Forschungszentrum Gotha): »Degrees of Anonymity in Ordering the Market of Fiction«, als ein Argument für eine Verabschiedung von einer simplen binären Gegen-überstellung namentlich markierter Autorschaft und Anonymität verstehen. Im 18. Jahrhundert realisierte sich Anonymität erst vollständig, wenn der Name des Druckers dem Käufer, dem Leser und dem Zensor vorenthalten blieb, ansonsten war der Drucker natürlich der erste Ansprechpart-ner bei Versuchen Autoren, dingfest zu machen. In anderen Fällen wurde die Anonymität durch Vermarktungsstrategien vermindert, wo ein Autor seinen Namen verschwieg aber den Umsatz eines Werks durch den Hinweis auf ein früheres Werk zu steigern versuchte. Ein synchroner Vergleich zwischen dem englischen und deutschen Buchmarkt wurde in dieser Hinsicht angestellt, während aus einer diachronen Perspektive gefragt wurde, wie sich international die gegenwärtigen Markt- und Sozialverhältnisse durchsetzten, die den Autor zu einem namentlichen Bekenntnis zu seinem Werk ermutigen. Auf diesen Beitrag folgte Kyle Malashewski (University of Waterloo) mit einer Perspektivierung des Athenian Mercury, einer Londoner Zeitschrift des späten 17. Jahrhunderts, die eine interessante Kommunikation mit der Großstadt aufbaute: Die Zeitschrift rief ihr Publi-kum dazu auf, Fragen anonym einzureichen, deren Beantwortung wiederum anonym im nächsten Blatt erfolgte. Malashewski fragte, wie unter diesen Bedingungen eine ›imagined community‹ ent-stehen konnte. Trotz dieser Konstituierung einer neuen Gemeinschaft fällt der Befund für Mala-shewiski ambivalent aus – an dem Ideal einer unmittelbaren Gemeinschaft gemessen, wird das

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Element der Entfremdung erkennbar, die die Interaktion zwischen allen Menschen, die sich ir-gendwie am Athenian Mercury beteiligten, durchdrang.

Anne Wallen (University of Minnesota) führte die Diskussion in einen Bereich, der jenseits der textuellen Produktion lag. Anhand von deutschen und skandinavischen Beispielen zeigte sie, wie auf Maskenbällen des 18. Jahrhundert mit einer Anonymität experimentiert wurde, die eine potentiel-len Nivellierung sozialer Unterschiede suggerierte. Andrew McKenzie-McHarg (Forschungszentrum Gotha) untersuchte Im Anschlussbeitrag, wie es dazu kam, dass Apologeten der alten Ordnung, die die soziale Hierarchie und die Institutionen von Thron und Altar in Schutz nahmen, sich vor allem in der Spätaufklärung zunehmend für das anonyme Publizieren entschieden. Dabei schilderte er, wie sie eine höchst ambivalente Haltung zur öffentlichen Meinung hegten: einerseits übernah-men sie den Topos der Spätaufklärung, die in der öffentlichen Meinung eine unabhängig und souve-rän agierende Urteilsinstanz sah, andererseits wähnten sie hinter der öffentlichen Meinung anony-me Mächte, die die Öffentlichkeit für ihre eigenen Zwecke zu steuern und nutzen wussten.

Im zweiten Panel wurde an allen Beiträgen noch einmal deutlich, wie Anonymität nicht allein unter dem Aspekt einer sich dem Autor bietenden Option untersucht werden kann. Statt dessen gilt es, das Thema in dem breiten publizistischen Umfeld zu betrachten, das Leser, Verleger und Distributionsnetzwerke umfasst. Michael Multhammer (Forschungszentrum Gotha) brachte in seinem Beitrag (»The Value of Anonymity. Rare Books, Rarissima and their Collectors«) sogar die Perspektive von Buchsammlern in die Diskussion ein: Wie wirkte sich die Anonymität eines Werks auf seine Wertschätzung unter den Menschen aus, die von der Begeisterung für das Sammeln rarer Werke angesteckt waren? Multhammer stellte dabei die These zur Diskussion, dass gerade die Ano-nymität eines Werkes eine Sichtweise förderte, von der aus ein Buch weniger als Beitrag zur Dis-kurs der Gelehrtenrepublik und mehr als sammelwertes Objekt betrachtet werden konnte. Robert Griffin (Texas A & M University) lenkte die Aufmerksamkeit auf einen der großen satirischen Tex-te der Weltliteratur: Guilliver’s Travels. Jonathan Swift war bei der Erstausgabe peinlich darum be-müht, seine Autorschaft zu verbergen, musste aber für die damit erkaufte Anonymität mit weniger Kontrolle über den Text bezahlen. Wie Swift mit Unmut konstatierte, trug der Verleger wenig Be-denken, besonders provokante Passagen des bei ihm eingereichten anonymen Manuskripts zu ent-schärfen. Mark Vareschi (University of Texas) integrierte ebenfalls die Rolle des Verlegers und des Kontexts der Publikation in seine Erläuterungen zur höchst vielschichtigen Bedeutung von Ano-nymität im Falle des 1778 erschienen Romans Evelina von Frances Burney. Wie Vareschi betonte, war Anonymität die Norm für die vielen ephemeren Publikationen, die in Leihbibliotheken zirku-lierten, aber gerade durch die Thematisierung dieser Anonymität im Vorwort des Romans setzte Burney ein Zeichen für ihre Bemühungen, ihre Produktion aus diesem Milieu herauszuheben. Guido Naschert (Forschungszentrum Gotha) rundete das Panel ab mit einer Vorschau in ein lau-fendes Projekt, das verschiedenen Berliner Untergrundkulturen um 1800 gewidmet ist. In dem hier vorgestellten Ausschnitt wurde am Beispiel der erotischen Literatur des Verlags von Christian Friedrich Himburg ein im Untergrund agierendes Netzwerk von Verlegern, Autoren und Illustra-toren im mitteldeutschen Raum und in Berlin zutage gefördert. Indem Naschert auf die möglichen Korrelationen zwischen Textproduktion und Anonymität in anderen kulturellen Bereichen und dabei nochmal auf die Notwendigkeit eines differenzierten Blicks verwies, der die verschiedene Grade des Wissens bzw. Nichtwissens würdigt, griff er einige Leitgedanken beider Panels wieder auf und lieferte damit den passenden Abschluss zu einer anregenden Diskussion. Dieser Diskussion, der ein fruchtbarer Austausch zwischen den deutschen und angelsächsischen Forschern zugrunde lag, soll in nächster Zeit ihren Niederschlag in einer gemeinsamen Publikation finden.

Andrew McKenzie­McHarg, Erfurt/Gotha