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v. Graefes Archly fiir OphthMmologie, Bd. 153, S. 484--487 (1953). Aus dem Physiologischen Institug der Universitgt Wien (Vorstand: Prof. Dr. G. ScltVI~t~r). Das Elektroretinogrammbei Mangelhemeralopie. Von H. ]~ORNSCnEIN nnd V. VuI~owcI~. Mit 2 Textabbildungen. Das menschliche Elektroretinogramm (EGG) stellt unter bestimmten Reizbedingungen eine komplexe Kurve dar, deren Einzelschwankungen verschiedenen Komponenten entsprechen. Die funktionelle Zuordnung dieser Komponenten wurde yon SCHUBERT ulld ]3ORNSCHEIN n/iher untersucht, wobei sich das ERG bei kongenitaler HemerMopie als be- sonders aufschluBreich erwies. Es lag daher nahe, eine verg]eichende Ungersuchung bei der klassischen Form der erworbenen Hemeralopie durehzuffihren, wie sie als Folge ern~hrungsbedingten Vitamin A-Mangels ~uftritt. Methodik. Versuchspersonen. a) Ch. Z., 54 Jahre, Mangelhemeralopie infolge einseitiger Ern/thrung; bds. Xerose der Bindehaut; vorderer Augenabschnitt sonst normal, ~edien klar; Fun- dus : Papillen, Gefgge, Macula und Peripherie o.B.; Visus : bds. + 2,0 sph. 6/6, + 4,0 sph. Jg. I; Inversion der relativen Gesichtsfeldgrenzen fiir Blau und B.ot. Nach Untersuchung der Dunkeladaptation sowie Aufnahme des Et~G erhielt der Pat. durch 20 Tage tag]ich 48000 IE Vitamin A (Vogan) bei gleichzeitiger Kost- umstellung. Im Anschlul? an die Behandlung wurden Dunkeladaptation und ERG neuerlich untersucht. Die Bindehaut war im Zeitpunkt der Nachuntersuchung vollkommen normal, ebenso die relativen Gesichtsfeldgrenzen ffir Farben. b) R. St., 21 Jahre, kongenitule I-Iemeralopie; gleiche Versuchsperson wie bei den Untersuchungen yon ScI~rs~nT und BOn~SCI~SrN (bds. Myopie yon 3 dptr. ; Gesichtsfeld und foveale Sofortadaptation normal). Die unter Standardbedin- gungen durchgefiihrte Untersuchung yon Dunkel~daptation und ERG liefert.e die gleichen Ergebnisse wie die 15 Monate zurfickliegende erste Un~ersuchung. c) T. X., 19 Jahre, Kontrolle; norma]e Versuchsperson, frei yon ocularen Ano- m~lien. Unter,~uchung der Dunkeladaptation. Die Bestimmung der Dunkeladaptationskurve erfolgte mit einem modifizierten Adaptometer nach ElgGELKINa-HAI~Ttr~a (15 W-Lampe, Stabilisator) nnter fol- genden Bedingmlgen: 10 rain Helladap~etion bei 3000 asb (Hohlkugelausbleicher), binokulare Bestimmung der Erscheinschwelle 12 o parafoveal (roter Fixationspunkt) bei einem Reizfelddurchmesser yon 60; Vergleich der in Leuchtdich~e-Einhei~en (it asb) ausgedriickten Schwellenwerte mit den unter gleichen Versuchsbedingungen bestimmten Werten yon Normalkollektiven der entsprechenden Altersklassen (AvNI~SWALD, BOI~NSCHEINund ZWlalyEI~).

Das Elektroretinogramm bei Mangelhemeralopie

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Page 1: Das Elektroretinogramm bei Mangelhemeralopie

v. Graefes Archly fiir OphthMmologie, Bd. 153, S. 484--487 (1953).

Aus dem Physiologischen Institug der Universitgt Wien (Vorstand: Prof. Dr. G. ScltVI~t~r).

Das Elektroretinogramm bei Mangelhemeralopie. Von

H. ]~ORNSCnEIN nnd V. VuI~owcI~.

Mit 2 Textabbildungen.

Das menschl iche E l e k t r o r e t i n o g r a m m (EGG) s te l l t un te r be s t immte n Re izbed ingungen eine komplexe K u r v e dar, deren E inze l schwankungen verschiedenen K o m p o n e n t e n entsprechen. Die funkt ione l le Zuordnung dieser K o m p o n e n t e n wurde yon SCHUBERT ulld ]3ORNSCHEIN n/iher un te rsuch t , wobei sich das E R G bei kongen i ta le r HemerMopie als be- sonders aufschluBreich erwies. Es lag daher nahe, eine verg]eichende Ungersuchung bei der k lass ischen F o r m der e rworbenen Hemera lop ie durehzuff ihren, wie sie als Folge e rn~hrungsbed ing ten Vi t amin A-Mangels ~uf t r i t t .

Methodik.

Ver suchsper sonen. a) Ch. Z., 54 Jahre, Mangelhemeralopie infolge einseitiger Ern/thrung; bds.

Xerose der Bindehaut; vorderer Augenabschnitt sonst normal, ~edien klar; Fun- dus : Papillen, Gefgge, Macula und Peripherie o.B.; Visus : bds. + 2,0 sph. 6/6, + 4,0 sph. Jg. I ; Inversion der relativen Gesichtsfeldgrenzen fiir Blau und B.ot. Nach Untersuchung der Dunkeladaptation sowie Aufnahme des Et~G erhielt der Pat. durch 20 Tage tag]ich 48000 IE Vitamin A (Vogan) bei gleichzeitiger Kost- umstellung. Im Anschlul? an die Behandlung wurden Dunkeladaptation und ERG neuerlich untersucht. Die Bindehaut war im Zeitpunkt der Nachuntersuchung vollkommen normal, ebenso die relativen Gesichtsfeldgrenzen ffir Farben.

b) R. St., 21 Jahre, kongenitule I-Iemeralopie; gleiche Versuchsperson wie bei den Untersuchungen yon ScI~rs~nT und BOn~SCI~SrN (bds. Myopie yon 3 dptr. ; Gesichtsfeld und foveale Sofortadaptation normal). Die unter Standardbedin- gungen durchgefiihrte Untersuchung yon Dunkel~daptation und ERG liefert.e die gleichen Ergebnisse wie die 15 Monate zurfickliegende erste Un~ersuchung.

c) T. X., 19 Jahre, Kontrolle; norma]e Versuchsperson, frei yon ocularen Ano- m~lien.

Unter,~uchung der Dunkeladaptation. Die Bestimmung der Dunkeladaptationskurve erfolgte mit einem modifizierten

Adaptometer nach ElgGELKINa-HAI~Ttr~a (15 W-Lampe, Stabilisator) nnter fol- genden Bedingmlgen: 10 rain Helladap~etion bei 3000 asb (Hohlkugelausbleicher), binokulare Bestimmung der Erscheinschwelle 12 o parafoveal (roter Fixationspunkt) bei einem Reizfelddurchmesser yon 60; Vergleich der in Leuchtdich~e-Einhei~en (it asb) ausgedriickten Schwellenwerte mit den unter gleichen Versuchsbedingungen bestimmten Werten yon Normalkollektiven der entsprechenden Altersklassen (AvNI~SWALD, BOI~NSCHEIN und ZWlalyEI~).

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Registrierung des Elelctroretinogramms.

Die Ableitung des El~G erfolgte mittels der KAm, sschen H~ftglaselektrode nach Vorbeh~ndlung des Auges mit Kom~tropin und P~ntoeain. Es wurden weil~e Liehtreize yon 25 msee D~uer und meBbar ~bgestufter Intensifier (maximal 140000 asb) vel~wendet, der Durehmesser des zentrM fixierten lZeizfeldes betrug 8 ~ Die El~G-Aufn~hmen wurden n~eh mindestens 15 rain Dunkel~dapt~tion (ohne vorhergehende Ausbleiehung) durehgeftihrt. Hinsiehtlieh teehniseher Einzel- heiten fiber die Vers~arkung und t~egi- strierung der retinMen Potentiale sowie fiber die optisehe Reizvorrichtung wird auf die Ver6ffentliehung yon SC~UB~gT und BORNSCKEIN verwiesen.

Ergebnisse.

Das normale menschliche E R G besteht bei mitt lerer lgeizinten- sitar (Abb. l, A ) aus einer einfachen posit iven Schwankung (b-Wel[e), die wegen ihrer Abh~ngigkeit yore Adapta t ionszus tand ( K A ~ und TA~SL~:Y) als Ausdruck der St~b- chenfunkt ion gilt. Bei hoher Reiz- intensit~t (Abb, 1, B) t re ten eine initiale negative Schwankung (a-Welle) sowie eine rasche positive Sehwankung (x-Welle) hinzu. Bei Reizung mit wei~em Lieht erseheint die x-Welle der b-Welle iiberlagert, wghrend sie bei Verwendung l~ng- welligen Liehtes yon letzterer ge- t renn t werden kann (MoToxAwA und MITA; AD~IA~; S C ~ T und BOgNSCKmN). Alle bisherigen Untersuchungen, darunter auch. elektroret inographische Befunde

C. D.

/. F.

5. H.

z If

Abb. 1. Elekgroretinogro~mme. A--/~: Ver- suchsperson T.K. (norma3); C--D: Ver- suehsperson R. St. (kongen[tale Hemera- lopie); E--F:Versuchsperson Ch.Z. (Mangel- hemeraloDie); G--H: VersuchsDerson Ch. Z. (hath Vitamin A-Behandhmg); T: }Zeiz- markiermlg nnd Eichung (Zei~: 50 Hz, Span- aunt: 0,1 mV). Reizirtbellsi~tg: linke Reihe (A, C, E, G): 1400 ash, rechte tleihe (B, D, F, H): 140000 ash. Reizdauer: 25 msec.

bei Achromasie (VvI<OVlCi~), lassen schlieBen, dab a-Welle und x-Welle zumindesL teilweise yon S t ruk turen erzeugt werden, die unter der Dominanz des Zapfenapparates stehen.

I m E R G des kongenital Hemeralopen (Abb. I, C und D) fehlt unter Mlen ~eizbedingungen die b-Welle, so da~ d~s E g G bei mitt lerer P~eiz- intensitgt ausgel6scht ist und bei hoher In tens i tg t ausschlieglich aus einer der a-Welle entsprechenden Negativit~Lt und der x-Welle besteht. Die im vorliegenden Fall erstmMig durchgefiihrte elektroretinographisehe Untersuchung eines Falles yon Mangelhemeralopie ergab unter allen

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486 H . B o m c s e ~ r u n d V. V ~ K o v z e ~ :

Umst~nden, also such bei Verwendung der h6ehsten zur Verffigung s~ehenden Reizintensit/~t (140000 ash), ein vollkommen ausgelSsehtes EI~G (Abb. 1, E und F). Naeh einer 20t/~gigen Vitamin A-Behandlung war das EgG in quMitativer Hinsieht dnrehaus normal, da numnehr Mle Komponenten (a-, x-, b-~relle) naehweisbar waren, wenn aueh mit auffallend niedriger Amplitude (Abb. 1, G und H). Dies galt vor allem

t0~ ~ fiir die b-Welle, deren Maximalwert

g' 10 .~0 dO rain ~0

A b b . 2. D u n k e l a d ~ p t a t i o n s k u r v e n . O Ver- s t l chspe r son Ch. Z. : ~ i ange lhemer a lopie (1) bzw. n a e h V i t a m i n A - B e h a n d l u n g (2). • V e r s u c h s p e r o n R . S t . : X o n g e n i t a l e

H e m e r a l o p i e . O V e r s u c h s p e r s o n T. K . : N o r m a l . R e c h t s tmtei t die N o r m a l v e r t e i - l u n g e n t ier 40 min-Schwel lenwer~e ffir 2 A l t e r s l d a s s e n (20 - -30 u n d 4 0 - - 5 0 J ah re ) .

bei 0,15 mV lag, w/s der ent- sprechende Wert bei der parallel untersuchten normalen Versuchs- person 0,35 mV betrug.

Die Deutung dieser Befunde er- gibt sieh aus der Charakteristik der parafovealen Dunkeladaptations- kurven (Abb. 2). Bei der kongenital hemerMopen Versuehsperson zeigte die Kurve in den ersten Minuten einen vollkommen normalen Verlauf, w/~hrend die schlieglieh erreiehte Endsehwelle 2,041og Einheiten fiber der Norm lag. Bei der Mangel- hemeralopie betraf die Sehwellen- erh6hung aueh den ersten Absehnitt der Kurve; im Bereieh der End- sehwelle entspraeh der Empfindlich- keitsverlust gegenfiber der Norm 3,54 log Einheiten. Naeh der Vit- amin A-Behandlung war der Verlauf der Dunkelgdaptationskurve weir-

gehend normal, wobei die Endschwelle nur mehr 0,45 log Einheiten fiber dem normalen Mittelwert lag.

Der Anfangsteil der Dunkeladap~ationskurve gilt bekanntlich im Sinne der Duplizitgtstheorie als Ausdruek der Zapfenadapta~ion. Dies erkl/*rt den normalen Verlauf dieses Kurvenabschnittes bei kongenitaler Hemeralopie. Bei erworbener I-Iemeralopie beschrgnkt sieh die StSrung nicht auf die Stgbchenfunktion allein, wie H~ss bereit,s 1909 erkannte. Bei Vit.amin A-Mangel verhglt sich nach WALD, JEGI-IERS und Aura-me die SchwellenerhShung ffir Zapfen und Stgbchen etwa wie 1:2 (aus- gedriickt in log Einheiten), wobei fiir alle Absehnitte der Dunkeladapta- ~ionsknrve eine lineare l~egression zwisehen Sehwellenerh6hung und Dauer des Vitaminentzuges besteht. Dadurch erfghrt die Dunkel- adaptationskurve eine ctmrakteristische Verschiebung, wie sie such im �9 vorliegenden Fall beobachtet werden konnte.

Die Verschiedenheit des ERG bei den beiden Hemeralopieformen finder damit eine einfaehe Erklgrung. Bei der kongenitMen ttemerMopie

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Das Elektroreginogramm bei MangelhemerMopie. 487

en~spricht das ausschliel~liche Fehlen der b-Welle einer auf das St~bchen- system isoliertert StSrung. Die bei MangelhemerMopie beobaehtete zu- si~tzliche AuslSschung von a- und x-WeUe ist in einer gleichzeitigen ErhShung der Zapfensehwelle begriindet, womit die Zuordnung dieser Teilschwankungen zum Zapfensystem eine weitere Stfitzung erf~hrt. Eine wesentliche Voraussetzung fiir die Aufdeekung dieses Untersehiedes war die Verwendung entsprechend hoher I~eizintensiti~ten, da bei mitt- leren Reizintensit~ten, wie bereits eingangs erw~hnt, nur das VerhMten der b-Welle beurteilt werden kann.

SchlieBlich sei noch kurz auf die Frage eingegangen, inwieweit die bei Versuchsperson Ch. Z. naeh der Vitamin A-Behand]ung festgestellten Werte als normal betraehtet werden k5nnen. Ein Vergleich mit alters- mi~ftig entsprechenden NormMkollektiven (AuERSWALD, BOt~NSCHEIN und Z W I A U E R ; KARI'E, RICKElgBACH und TKOMASSON) ergab eine norma]e l~berschreitungswahrschein]ichkeit yon 99,4% fiir die erreichte Empfind- lichkeit (reziproke tte]ligkeitsschwelle) und von 98,9% ffir die Amplitude der b-Welle. Die Werte lagen somit iibereinstimmend an der auftersten Grenze der Norm.

Die Ergebnisse der vorliegenden elektroretinographisehen Unter- suchung bei Mangelhemeralopie stehen mit den gegenw~rtigen Anschau- ungen fiber die funktionelle Zuordnung der ERG-Komponenten vol]- kommen in Eink]ang. Abgesehen vom rein theoretischen Interesse erscheint auch vom klinischen Standpunkt die Feststel]nng nicht ohne Bedeutung, daft HemerMopieformen verschiedener Genese in verschie- denen AnomMien des ERG ihren Ausdruck finden.

Zusammen/assung. Bei einer durch Vitamin A-Mangel verursaehten Hemera]opie kommt

es zu einer reversiblen AuslSschung s~mtlieher Teilsehwankungen des Elektroretinogramms (a-, x-, b-Welle), w~hrend bei kongenitMer Heine- rMopie aussehlieftlieh die b-Welle fehlt. Der Versehiedenheit des Elektro- retinogramms bei beiden HemerMopieformen entspreehen eharakteristi- sche Unterschiede im Ver]auf der Dunkeladaptationskurve. Die Ergeb- nisse bilden eine weitere Stiitze fiir eine funktionelle Zuordnung der Teilkomponenten des Elektroretinogramms im Sinne der Duplizit~ts- theorie.

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Dr. I-I. BoI~SC~IEII% Wien, Physiologisches Institut der Universit~tt.