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Das Fenster zum Raum: Traktat ¼ber die Erforschung sozialr¤umlicher Transformation

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Karl-Dieter Keim Das Fenster zum Raum

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Karl-Dieter Keim

Das Fenster zum Raum Traktat über die Erforschung sozialräumlicher Transformation

Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2003

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Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier.

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Ein Titeldatensatz für die Publikation ist bei der Deutschen Bibliothek erhältlich

ISBN 978-3-8100-4050-3 ISBN 978-3-663-09540-8 (eBook) DOI 10.1007/978-3-663-09540-8

© 2003 Springer Fachmedien Wiesbaden Ursprünglich erschienen bei Leske + Budrich, Opladen 2003.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung au­ßerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages un­zulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikro­verfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Einband: disegno, Wuppertal

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Vorwort

Was kann mit "Raum" nicht alles assoziiert werden! Wie viele Wissenschaften, wie viele Schriftsteller haben philosophische, spielerische, praktische Raumfra­gen behandelt! Selbst die Beschränkung auf "gelebte Räume" erscheint uferlos. Erinnern, vorstellen, vergegenwärtigen, hervorbringen, durchmessen, einnehmen, gestalten, bewegen, gewähren - all dies kann über menschliches Tun mit Räu­men verbunden werden. Und hier? Der Autor hilft sich in dieser Darstellung mit einer Distanzillusion: Es soll gar nicht um "den Raum" gehen, sondern um ein "Fenster zum Raum"! Also befasst er sich mit einer Raum-Brille, Fenster gewäh­ren Durchblicke, manchmal klare, manchmal eher, wenn nicht richtig gezoomt wird, verschwommene, Durchblicke, die aber begrenzt sind und von ganz ver­schiedener Stelle aus riskiert werden können. Von Instrumenten der Raumer­kennung handeln die Texte demnach - nicht vergessend, dass Autor wie Rezipi­enten samt ihren Blicken stets selbst inmitten von Räumen platziert sind.

Den ersten Anlass für diese Abhandlung bieten die aktuellen Diskurse in­nerhalb der Wissenschafts- und Forschungspolitik. Mit wechselnder Argumen­tation und Überzeugungskraft wird da um das richtige Fenster für den richtigen Durchblick gerungen, geht es doch um Elementares: Wie kann und soll das Verhältnis zwischen Staat und Gesellschaft bei der Förderung von Wissenschaft und Forschung gestaltet werden? Dies betrifft auch - und in besonderer Weise­den Bereich der mit Fragen der Raumforschung, Raumentwicklung und Raum­politik befassten Wissenschaften. Es geht also um gestaltete und genutzte Räu­me, wie wir sie als "Lebensräume" , typischerweise in Städten und Gemeinden, in Regionen und Landschaften vorfinden.

In diesem Zusammenhang möchte ich Begründungen liefern für ein diszi­plinübergreifendes Programm einer raumwissenschaftlichen Forschung. Diese Forschung ist in Deutschland gewiss nicht stark ausgebaut, sie ist jedoch - was in anderen Ländern immer wieder verblüfft - in einem spürbaren Umfang außer­universitär organisiert und kann dabei weitgehend unabhängig agieren. Sie bedarf gerade in ihrem Verhältnis zur staatlichen Forschungspolitik einer ge­schärften Standortbestimmung. Die hier vorgestellte Programmatik öffnet Tü­ren für eine Anschlussfahigkeit an internationale Diskurse; sie erweitert, mit paradigmatischen Konzeptualisierungen, die traditionelle Raumforschung deut­scher Prägung. Der Wissenschaftsrat hat zudem angeregt, in den kommenden Jahren über die derzeitige Situation der raumwissenschaftlichen Forschung in Deutschland eine Gesamtbegutachtung durchzuführen. Diese Abhandlung bie­tet einen Typus einer theoretischen Strukturierung des Forschungsfeldes an.

Einen weiteren Anlass sehe ich darin, dass im Zusammenhang mit der "Philosophie" der Wissenschaftsgemeinschaft Gottfried Wilhelm Leibniz (WGL) die unter dem Etikett "Raumwissenschaften" firmierenden vier Leib­niz-Einrichtungen aufgefordert sind, ihre Forschungslinien und -schwerpunkte auch den anderen Disziplinen gegenüber zu verdeutlichen. Die Ausarbeitung

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folgt daher einer Fachsprache, die ich in einem weiteren Sinne als sozialwis­senschaftlich kennzeichnen möchte, jedoch mit der Intention, weitgehend von Angehörigen anderer Disziplinen rezipiert werden zu können. In die einzelnen Texte fließen Ergebnisse einer seit 1992 am Leibniz-Institut für Regionalent­wicklung und Strukturplanung (IRS) in Erkner bei Berlin betriebenen, multi­disziplinär angelegten Forschung ein.

Entstanden ist ein Kompendium, das Begrülldungszusammenhänge für eine raumwissenschaftliche Forschungsprogrammatik liefert. Es stellt aber gleich­zeitig einen differenzierten Überblick für die Lehre dar, und zwar für alle jene Studiengänge und Fächerangebote, in denen Fragen der räumlichen Entwick­lung behandelt werden, also vor allem sozialwissenschaftliche, human­geographische und raumplanerische Studiengänge. Die Studie wendet sich dar­über hinaus an Politik, Kultur und Öffentlichkeit. Der Raum-Bogen spannt sich von der Wirkungsgeschichte der frühen Besiedlungen bis zu neuartigen Raum­Kontextuierungen durch "Interfaces". Mit etwas Kühnheit ließe sich von Raumthematisierungen als Kulturtheorie sprechen.

Nach der Einleitung, in der die leitenden Fragestellungen sichtbar werden und das "Fenster zum Raum" vorgestellt wird, widmen sich die Beiträge des ersten Abschnitts verschiedenen Zugängen zur Charakterisierung der hier ge­wählten Forschungsperspektive: einem kursorischen Überblick über die Ge­schichte des besiedelten Raumes, Beiträgen aus der Wissenschaftsforschung und Besonderheiten der "Raumwissenschaften" . Im Zentrum stehen sodann im zweiten Abschnitt drei raumwissenschaftliche Schwerpunkte, die mit den lei­tenden Begriffen "Spacing" (als machtbestimmte Raumerschließung), "Place­Making" (als qualitative Ortsbildung) und "Governance" (als zivilgesellschaft­lich mitbestimmte Steuerung) etikettiert und breit mit ihren zentralen Konzep­ten ausgearbeitet werden. Sie bilden, wie gesagt, Schwerpunkte, sind also se­lektiv zustande gekommen. Mit den Beiträgen des dritten Abschnitts sind wei­tere Ausarbeitungen aufgenommen worden, die aus anderen Anlässen entstan­den sind und hier sowohl geeignete Anwendungen von Governance-Perspek­tiven als auch partiell normative Aussagen zu komplexen Problemsituationen enthalten. Das Schlusskapitel enthält nach der tour d'horizon, die eine klarere Sicht auf eine veränderte und sich weiter verändernde Landschaft erbracht hat, einige Kernelemente für die weiteren Raum-Diskurse.

Die Gliederung zeigt auf einen Blick, dass viele Aspekte des Gesamt Ob­jektbereichs nicht behandelt werden konnten. Ich erhoffe mir zwar bei den Le­serinnen und Lesern den Eindruck einer gewissen Schlüssigkeit in Aufbau und Argumentation des Traktats, doch sie werden enttäuscht, wenn sie die klassi­schen Themen der Raumforschung, eine Revue vieler empirischer Fallstudien oder einzelner Methoden erwarten. Auch bleiben die raumtheoretischen Bezüge der Geschichtswissenschaft, der Ethnologie, der Umwelt- und Agrarforschung, der Architekturtheorie, der Physik, der Philosophie und weiterer (Teil-) Diszipli­nen nahezu ganz ausgeblendet.

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Obwohl ich selbst Soziologe bin, habe ich mich mit dieser Abhandlung nicht speziell von der "Zielgruppe" der Soziologinnen und Soziologen, mit ihren disziplinären Erwartungen, leiten lassen. Sie ist vielmehr Ausdruck einer inter­disziplinär orientierten Soziologie, die sich verständlich machen und ihren Anteil an der Erarbeitung von Lösungen für komplexe gesellschaftliche Probleme aufzeigen will. Vertreter einer solchen anwendungsorientierten Soziologie mei­nen nicht nur, gegenüber praktischen Fragen etwas anzubieten zu haben und sich dem Risiko eines Dialogs mit anderen Disziplinen aussetzen zu können -sie betreiben dieses Geschäft in der Überzeugung, ihre eigenen disziplinären Grundlagen zwar kommunizieren, aber keinesfalls preisgeben zu sollen.

Dies ist aber auch der Ort, Dank zu sagen. Ich danke Dietrich Fürst, Ulf Matthiesen und einigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern am IRS ftir die kri­tische Durchsicht meines Manuskripts. Sie haben Anregungen beigesteuert, ihre Zweifel nicht zurückgehalten; was am Ende auf dem Blatt steht, mit seinen Am­bivalenzen oder auch sturen Einsichten, mit möglichen Schwächen oder Feh­lern, hat allein der Autor zu vertreten. Ich danke der Geschäftsftihrerin, Frau Lehmann, für die kontinuierliche, gastfreundliche Aufnahme in dem kleinen Holzhaus auf der Schwäbischen Alb, wo der größte Teil des Manuskripts, ver­teilt über einen Zeitraum von vier Jahren, entstanden ist. Und ich danke herz­lich Petra Prietzel, Petra Koch, Petra Geral, Gerhard Mahnken, Rita Berge und Barbara Christ, die zum technischen Gelingen des Vorhabens ihre je helfende Hand über meine Texte ausgebreitet haben.

ErknerlHayingen, im Juni 2003 Karl-Dieter Keim

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Inhalt

Einleitung.............................................................................................. 11

Erster Abschnitt: Charakteristika des Fensters zum Raum ................................................. 17 2 Kurze Geschichte des besiedelten Raumes .......................................... 17 2.1 Überragende Stellung der Städte .......................................................... 18 2.2 Wirtschaftsräumliche Instrumentalisierung .......................................... 21 2.3 Erstes Resümee ..................................................................................... 23 3 Forschungsfeld, Interdisziplinarität und Anwendungskontext:

Beiträge der Wissenschaftsforschung ................................................... 24 3.1 Zwei Modi der Wissensproduktion ...................................................... 24 3.2 Transformation des raumwissenschaftlichen Forschungsfelds ............ 26 3.3 Neue Beweglichkeit eines raumwissenschaftlichen

Theorieprogramms ............................................................................... 28 3.4 Interdisziplinarität der raumwissenschaftlichen Forschung ................. 32 3.5 Wissensgenerierung imAnwendungskontext ....................................... 36 3.6 Der ostdeutsche Wissenschafts- und Anwendungskontext .................. 39 4 Das Besondere der "Raumwissenschaften" .......................................... 40 4.1 Multidisziplinäre Bearbeitungen .......................................................... 41 4.2 Das "Bodenständige" im raumwissenschaftlichen Forschungsfeld ..... 42 4.3 Die gewandelten Raumauffassungen .................................................... 45 4.4 Raum-Zeit-Konfigurationen ................................................................. 47 4.5 Raumkonzepte mit Substanz ................................................................ 48 4.6 Institutionensysteme und räumliche Planung ....................................... 49 4.7 Themen der zukünftigen raumwissenschaftlichen Forschung ............. 50

Zweiter Abschnitt: Blickfänge aktueller Themen sozialräumlicher Transformation ........... 55 5 Spacing: Institutionelle Ressourcen der Regionalisierung ................... 55 5.1 Aneignungs-Konzepte .......................................................................... 58 5.2 Zugangs-Konzepte ................................................................................ 65 5.3 Netzbildungs-Konzepte ........................................................................ 68 5.4 Resümee ................................................................................................ 73 5.5 Konzeptuelle Einwände ........................................................................ 74 6 Place-making: Ortsbildungen und ihre Kodierung ............................... 75 6.1 Phänomenologisch-kulturanthropologische Konzepte ......................... 78 6.2 Sozialökologisch-funktionale Konzepte ............................................... 80 6.3 Politisch-symbolische Konzepte .......................................................... 82

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6.4 Resümee ........................................................................................... 85 6.5 Konzeptuelle Einwände.. ............................ .................. ................... 86 7 Govemance: Steuerung und Planung bei raumbildenden

Prozessen ......................................................................................... 88 7.1 Welches Konzept von Govemance? ................................................ 91 7.2 Govemance von Spacing-Prozessen .................. ...................... ........ 94 7.3 Govemance von Place-making-Prozessen ...................................... 104 7.4 Resümee...................... ... ...................................... ............................ 111 7.5 Konzeptuelle Einwände ................................................................... 112

Dritter Abschnitt: Ausgewählte Aspekte der Governance-Konzepte ................................ 115 8 Steuerungstheoretische Grundlagen für Regionale

Entwicklungskonzepte ..................................................................... 115 8.1 Zum sozialwissenschaftlichen Begriff "Steuerung" ........................ 116 8.2 Kennzeichen einer regionalisierten Steuerung ................................ 118 8.3 Steuerungsaspekte der regionalen Handlungsprogramme ............... 121 8.4 Folgerungen für die REK-Anwendung ............................................ 122 9 Regionales (Ver)Handeln als Nicht-Koordination oder

Zukunftsgestaltung ........................................................................... 125 9.1 Theoretische Zugangsweisen ........................................................... 127 9.2 Das Motivationsproblem und seine Überwindung .......................... 129 9.3 Zur Entwicklung erfolgreicher Kooperationsstrategien .................. 132 9.4 Zur praktischen Relevanz für die Regionalentwicklung ................. 135 10 Elemente einer veränderten Planungskultur .................................... 13 7 10.1 Planung als kooperative Modemisierung ........................................ 138 10.2 Planung als epistemische Kultur ...................................................... 140 10.3 Veränderte Handlungslogik ............................................................. 142 11 Aktor-Netzwerk-Theorie und Quartiersmanagement ...................... 144 11.1 Wissen und Macht in sozio-technischen Netzen ............................. 145 11.2 Wirkungen auf soziologische und stadttheoretische

Konstruktionen ................................................................................. 148 11.3 Soziale Netze als "centers oftranslation" ....................................... 150

Vierter Abschnitt ..................................................................................... 157 12 Das Fenster zum Raum: Folgerungen .............................................. 157

Literatur ..................................................................................................... 161 Quellennachweis ........................................................................................ 171

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1 Einleitung

Ausgangspunkt der folgenden Überlegungen ist die aktuelle Beobachtung, dass unsere wissenschaftlichen Grundlagen, mit denen wir bisher Prozesse der räum­lichen Entwicklung beschrieben, erklärt und beurteilt haben, ins Wanken geraten sind. Es sind neue Phänomene aufgetaucht, die sich der Zuordnung in das ver­traute System fachwissenschaftlicher Deutungen entziehen, schwer zu fassen sind. In die Arbeit mit eingespielten Begriffen und Lösungsmustem hat sich daher ein Unbehagen eingenistet. Den meisten Fachleuten ist bewusst, dass sich die bisher vorausgesetzten Probleme längst verwandelt haben. Die "normale" raumbezo­gene Wissenschaft sieht sich vor neue Fragen gestellt.

Doch was folgt daraus für die gesellschaftliche Relevanz der Themen und das damit korrespondierende theoretische Bezugssystem? Es sind Fragen wie die folgenden, die in der raumwissenschaftlichen Forschung für Unruhe sor­gen: Wird mit den globalen und technologischen Veränderungen der "Raum" mehr und mehr irrelevant oder entstehen unter ihrem Einfluss neuartige Raum­transformationen mit neuen Raumrelevanzen? Wie lassen sich die räumlichen Folgen der Umstrukturierung von Regionen und Städten im überschaubaren Le­bensbereich besser verstehen? Wie konstituieren die Menschen, variierend nach Sozialstrukturmerkmalen, heutzutage "ihre" räumlichen Handlungsbereiche? Wie können angesichts von Deregulierung und Privatisierung die politischen Rahmensetzungen und die notwendige öffentliche Mitverantwortung für die Nutzung von Grund und Boden - unter neuen Vorzeichen - aufrechterhalten werden? Solche Fragen bedürfen offenbar einer dringenden Klärung; der Stand des Wissens dazu erscheint unbefriedigend. Vor allem sprechen zahlreiche Hin­weise dafür, dass sich die Relevanzstrukturen räumlicher Sachverhalte erheb­lich gewandelt haben. Dies genauer zu erschließen, ist ein zentrales Ziel dieser Ausarbeitung.

Die verschiedenen gesellschaftlichen Teilsysteme - Ökonomie, Politik, Kul­tur, Sozialstruktur, Umwelt - haben ihre je eigenen Logiken entwickelt, nach denen sie diese Fragen aufnehmen (oder nicht), deuten und beantworten. Dabei ist in den entwickelten Gesellschaften tendenziell ein Zurückweichen der Ak­teure der räumlichen Politik gegenüber den Akteuren der anderen Teilsysteme zu beobachten. Fragen der öffentlichen Raumpolitik als einer orientierenden und koordinierenden Querschnittsaufgabe gelten als sekundär. Den gesellschaft­lichen Eigenkräften, sei es als Wirtschaftstätigkeit, als bürgerschaftliche Sozial­welt, als Vielfalt unterschiedlicher Kulturen, wird heute eher die Fähigkeit, aber auch die Legitimität zur räumlichen Entwicklung zugeschrieben als den staat­lichen Instanzen einschließlich der Planungssysteme. Vor allem eine entgrenzte Ökonomie mit ihrem Arsenal an Deutungen und Handlungsoptionen dominiert die öffentlichen Debatten.

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Diese Verschiebung im Vermögen, Themen zu besetzen und die Entwicklungen in eine gewünschte Richtung zu lenken, spiegelt sich wider in der Ausdifferen­zierung und im Rang der mit raumbezogenen Fragen befassten wissenschaft­lichen (Teil-) Disziplinen.

In Deutschland herrscht derzeit ein besonderes Muster der raumbezoge­nen Wissenschaften vor. Markantes Kennzeichen ist ein hohes Maß an Auffä­cherung.

Es gibt keine Raumwissenschaft im Sinne einer "scientific community", daher kann es auch keine sich verdichtende gemeinsame raumwissenschaftli­che Erkenntnis geben. Mindestens acht Disziplinen sind mit der Erforschung raumbezogener Fragen befasst (Geographie, Städtebau und Raumplanung, Öko­nomie, Soziologie, Politik- und Verwaltungswissenschaft, Rechtswissenschaft, Umweltwissenschaft, Geschichtswissenschaft); jede Disziplin weist je eigene theoretische Grundlagen, Untersuchungsansätze, Methoden auf, und die Dis­ziplinen besitzen einen unterschiedlichen Reifegrad. Vielfach sind sie zudem in sich nach stabilen Teildisziplinen ausdifferenziert, wie zum Beispiel die Humangeographie oder die Stadtsoziologie.

Es gibt keine einheitlichen Ausbildungsgänge, keine einheitliche Standard­literatur, nur wenig deutschsprachige Zeitschriften (wissenschaftlich eher peri­pher), Fachurteile werden nach Maßgabe der Herkunftsdisziplinen getroffen. Die Institute an den Hochschulen wie auch die außeruniversitären Institute füh­ren - trotz erster Kooperationsbemühungen - ein Eigenleben, die Einbindung in eine "community" geschieht über die disziplinären Fachorganisationen. Eine internationale Repräsentanz als Raumwissenschaften findet nicht statt, weil offenbar nur eng begrenzt arbeitende Teildisziplinen einen solchen Austausch pflegen können.

Die wenigen Formen der vernetzenden Institutionalisierung (z.B. über die Akademie für Raumforschung und Landesplanung) sind hilfreich, stützen sich allerdings auf eine selektive Rekrutierung ihrer Mitglieder, durch die einerseits der praktische Handlungsbezug zur räumlichen Planung, andererseits eine Ex­klusivität der mitwirkenden Teildisziplinen gewährleistet wird. Neuerdings haben sich auch die drei raumwissenschaftlichen Leibniz-Institute mit der ARL zu einem Netzwerk zusammengeschlossen, doch ihre übergreifenden Integra­tionsmöglichkeiten bleiben begrenzt.

Wir haben es, zumindest im deutschsprachigen Raum, mit einem institu­tionell abgesicherten Zusammenspiel von "Mandarinen" und Instituten bzw. Lehrstühlen unterschiedlicher Fachrichtungen zu tun. Vor allem ist ein seit Jahr­zehnten vertrautes Zusammenwirken zwischen Vertretern der Geographie, des Planungsrechts und der Verwaltungswissenschaften zu beobachten. Die Antei­le der anderen Disziplinen blieben seither eher peripher. Einige Spezialdiszi­plinen (so die Umweltpsychologie, die Ästhetik, die Ethnologie) fehlen bei den Bemühungen, heterogene Forschungsbeiträge zusammenzuführen, völlig.

Die Bereitschaft, sich zu öffnen und die Möglichkeiten erweiterter Bear­beitungen auszuloten, hat erfreulicherweise - nicht zuletzt unter dem Eindruck

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der seit 1990 spürbaren Transformationsprozesse - zugenommen. Doch dies bedarf der theoretisch fundierten Strukturierung, die gleichzeitig auch eine Dif­ferenzierung leisten muss. Wer daher zum Gegenstand der räumlichen Entwick­lung Neues beitragen möchte, muss zunächst einmal Standort und Perspektive angeben. Welche Konstruktion von "Raum" ist gemeint? Welche Anwendungs­orientierung interessiert besonders?

Den Zusammenhalt stiftet der gemeinsame Gegenstandsbereich: die räum­liche Entwicklung. Ich verstehe darunter die Summe aller Prozesse und Prakti­ken, durch welche komplexe sozialräumliche Sachverhalte dynamisiert und in veränderte Situationen transformiert werden; dabei soll zunächst außer Acht bleiben, ob diese Dynamisierung transitiv oder reflexiv geschieht, ob sie ge­planter oder evolutionärer Art ist. Methodologisch vielversprechend erscheint mir dabei die Arbeit an der Modellierung evolutionärer Prozesse, in welche Akteursmodelle, sozialstruktureller Rahmen und kultureller Gestaltungsraum integriert werden und die sich auch über Partialanalysen erschließen lassen (Kappelhoff 2002 mit weiteren Quellen). Vor allem auf die dynamischen Ei­genschaften evolutionärer Prozesse richtet sich das Erkenntnis- und das Ge­staltungsinteresse all derjenigen, die sich den Realanalysen der räumlichen Entwicklung zuwenden wollen.

Ein besonderes Augenmerk soll auf die Entwicklung sozialräumlicher Sach­verhalte gelenkt werden. Diese Subkategorie verwende ich im Sinne von Chombart de Lauwe (1965) in seinen frühen stadtsoziologischen Paris-Analy­sen. Nach seinem Vorschlag kann ein theoretisches Konzept "sozialer Raum" drei Elemente enthalten: a) das Ausmaß der Überlagerung verschiedener räum­licher Strukturen, das heißt, die relative Übereinstimmung in der Verteilung von Merkmalen des geographischen, demographischen, kulturellen, rechtlichen, wirtschaftlichen, politischen Raumes; je stärker diese Koinzidenz, desto wirk­samer erweisen sich die Raumstrukturen als soziale Strukturen, desto berech­tigter lässt sich von einem "sozialen Raum" sprechen; b) die Entwicklung der räumlichen Verteilung und Verflechtungen in ihrem historischen Verlauf, das heißt, die Verschiebung des "sozialen Raums" in der Zeit; hierbei wird insbe­sondere der Impact-Charakter technologisch induzierter sozio-ökonomischer Veränderungen sichtbar; c) die Verhältnisse zwischen den materiellen Formen einer Gesellschaft (in ihrem je erreichten Entwicklungsstand) und ihren kol­lektiven Repräsentationen, Symbolen, Visionen, Wünschen; hiermit wird der sozio-kulturelle Aspekt beleuchtet, das Bild, das sich kulturelle Gruppierun­gen in Stadt und Region von einzelnen Teilräumen machen. Die Räumlichkeit des Alltagslebens wechselt je nach Lebensweise. In diesem Sinne sind die kon­kret erschlossenen und gelebten Verhaltensräume ("Lebensräume") mit den in ihnen ausgebildeten Identitätsbeziehungen Bestandteil des hier vorgeschlage­nen Begriffsverständnisses.

Die so markierten sozialräumlichen Sachverhalte werden grundsätzlich in ihrer Dynamik betrachtet; sie unterliegen - als Ausdruck der gesellschaftlichen Wandlungen - stets einer mehr oder minder beschleunigten Transformation. Dies

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gilt im Kern auch für die physischen Elemente der sozialen Räume. Der Be­griff "Transformation" wird hier in einem allgemeinen Sinne verwendet, nicht eingegrenzt auf die spezifische Makro-Transformation im Zuge von gesellschaft­lichen Systemwechseln. Gerade fiir die ostdeutschen Sachverhalte liegen aller­dings in dieser Hinsicht besondere Brüche, Ungleichzeitigkeiten und Konflikt­lagen vor, die bei der Verwendung der hier vorgeschlagenen Forschungs­programmatik zu berücksichtigen sind.

In den Diskursen zur Stadt- und Regionalentwicklung sehen wir uns ge­genwärtig mit zwei synchronen, aber gegenläufigen Entwicklungs-Versionen konfrontiert: einmal mit der bitteren Version verfallender oder fragmentierter Raumstrukturen, gebeutelt von einer ökonomischen Restrukturierung, die auf lokale und regionale Pfadentwicklungen keine Rücksicht nimmt, zum Teil dra­matisiert im Bild vernachlässigter, unsicherer öffentlicher Räume und einer ein­seitigen Dominanz von Konsum und Verkehr; zum Zweiten mit der heiteren Version einer Regenerierungsdynamik, in welcher die Kraft und Persistenz von Sozialräumen, insbesondere von Städten, mitgetragen vom Engagement der "stakeholders" und zivilgesellschaftlicher Gruppen, als mobilisierbar erscheint und die mit Hilfe von Wissen und Sozial experimenten Stadt und Region neu zu erfinden verspricht.

Der raumwissenschaftliche Gegenstand wird von den meisten beteiligten Teildisziplinen gleichzeitig mit einem hohen Grad an Politiknähe in Verbindung gebracht. Raumtransformation ist häufig als Raumpolitik gemeint. Es scheint so, als bilde gerade die Politiknähe die einzig wirksame Klammer. Sie erklärt, warum solche wissenschaftlichen Fragestellungen häufig unberücksichtigt bleiben, die der politisch-planerischen Intervention nicht unmittelbar zugäng­lich sind; das gilt zum Beispiel fiir Fragen, die sich nicht auf die äußere Reali­tät räumlicher Sachverhalte beziehen, sondern auf Aspekte einer "inneren Wis­senschaft", auf Wahrnehmungen, Erlebnisfähigkeit oder auf ontologische Di­mensionen der Raumbedeutungen.

Die Politiknähe drückt sich aus in einer "Regelungssprache" (diese genaue Kennzeichnung übernehme ich von Peter Gleichmann), die oft unreflektiert fachwissenschaftlich übernommen wird, die jedoch im Kern - jenseits der ju­ristischen Diktion des Gesetzgebers - unwissenschaftlich ist. Die Übernahme der Regelungssprache scheint immer dann unvermeidbar zu sein, wenn Exper­ten im Sinne der Politikberatung an politisch-administrativen Gesetzesvorbe­reitungen, Richtlinien, Gutachten, Implementationsschritten, Erfolgskontrollen etc. mitarbeiten wollen. Allerdings vergleiche man diese Haltung einmal mit dem Auftreten der wirtschaftswissenschaftlichen Sachverständigen; sie versu­chen konsequent, der Regierung gegenüber ihre Begriffssprache, ihre Deutungs­macht zur Geltung zu bringen. Offenbar wird die Fähigkeit der beteiligten EinzeI­wissenschaften, im Beratungsgeschehen mittels ihrer eigenen Fachbegriftlichkeit zu argumentieren, in dem Maße geschwächt, in welchem sie im Verbund, also multidisziplinär, auftreten.

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Hinter der "Willfährigkeit" der raumpolitischen Experten steht vielfach die Auffassung, im Grunde handle es sich bei raumwissenschaftlicher Forschung und Lehre um eine an praktischen Aufgaben, an Gestaltung, Konstruktion, Len­kung und künstlerischem Schaffen auszurichtende Tätigkeit. Wissenschafts­systematisch lässt sich diese Orientierung nur auf ein Argument zurückführen: Es handle sich insoweit um eine angewandte Wissenschaft; die "Raumwissen­schaften" setzten sich gerade aus der Summe der angewandtenjeweiligen For­schungssegmente der beteiligten Disziplinen zusammen und seien insoweit notwendigerweise politiknah. Die Herkunftsdisziplinen als solche seien getrennt zu betrachten; sie würden, neben den praktischen Bezügen, durchaus ihre au­tonom definierten Forschungsgegenstände (nicht-raumwissenschaftlicher Art) untersuchen.

Damit ist ein entscheidender Punkt erreicht, von dem aus ich die weiteren Schritte dieser Studie entfalten möchte. In der Tat entspricht der hier verwen­dete Terminus "Raumwissenschaften" ausschließlich einer forschungsprakti­schen und einer politikpraktischen Konvention. Er kann dazu dienen, diejeni­gen Einrichtungen zu bündeln, die sich mit raumbezogenen Forschungsfragen befassen. Und er vermag einen klaren Anwendungsbezug zu den Praxisfeldern der räumlichen Politik, Entwicklung und Gestaltung auszudrücken. Mehr ist damit nicht bezeichnet.

Ich plädiere jedoch nachhaltig für eine weitere Stufe der Verwissenschaft­lichung raumbezogener Untersuchungen und Konzepte. Würde dieser Anspruch preisgegeben, bliebe es bei einer bloßen Beschäftigung mit sozialtechnischen Instrumenten und der Problematisierung ihres Einsatzes. Diese weitere Verwis­senschaftlichung, die eine multidisziplinäre und internationalisierte sein muss, lässt sich nur einleiten, wenn viele seitherige Selbstverständlichkeiten aufge­brochen werden.

Ich möchte ein Bild benutzen, das Rainer Maria Rilke für die Dichtkunst, das Ernst Peter Fischer für die Naturwissenschaften verwendet hat: Wissenschaft soll "Fenster sein, nicht Spiegel". Es gehört zu ihren wesentlichen Aufgaben, die Sachverhalte zu durchschauen, sie also für die Öffentlichkeit (über die Fach­welt hinaus) durchsichtig zu machen. Verspüren nicht viele, gerade auch junge Menschen, immer wieder das Bedürfnis, den "Durchblick zu haben"? Besteht nicht hierin ein besonderer Nachholbedarf bei den mit Raumfragen befassten Wissenschaften?

Unsere wissenschaftlichen Beiträge spiegeln in der Tat nicht den "Raum". Raum ist, in der lakonischen Wendung von Paul Valery, "ein in sich unklarer Gedanke"; er muss konkretisiert und ausdifferenziert werden, und er bezeich­net nicht die Oberfläche von Dingen. Wir "Raumforscher" wollen daher, es sei denn, es handelt sich um rein anschauliche Bestandsaufnahmen, keineswegs die sichtbaren Ausdrucksgestalten von Raum aufzeigen, sondern das, was unsicht­bar bleibt. Mit unseren Forschungsergebnissen versuchen wir, Dinge, die wir sehen, durch etwas zu erklären, was wir nicht sehen. Mit anderen Worten: Wir bringen im Bereich des Sichtbaren Fenster an, damit wir räumliche Sachver-

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halte in diesem Rahmen durchschauen können. Diese "Fenster" sollte man sich nicht starr vorstellen, sondern als mehr oder minder beweglich, je nach paradigmatischem Wechsel der Sichtweisen und ihrer Justierung.

Damit ist klar, was die folgenden Kapitel bezwecken sollen: das oder die ./Ur die raumwissenschaftliche Forschung typische(n) Fenster nach dem aktu­ellen "state ofthe art" zu charakterisieren und dann zu zeigen, wie sich einige zentrale Sachverhalte auf diese Weise durchschauen lassen. Ein (notwendiger) Nebeneffekt besteht darin, auch die beteiligten Wissenschaften selbst als Fens­ter zu sehen und so in ihren Welt- und Menschenbildern durchschaubar zu machen; das kann ich nur partiell einlösen. Ich selbst nehme hier den Stand­punkt eines Sozialwissenschaftlers ein, der von einem fruchtbaren Zusammen­fUhren des raumbezogenen Wissens mehrerer Disziplinen überzeugt ist. Wenn im Folgenden immer wieder eine sozialwissenschaftliche Sichtweise aufscheint, so verstehe ich diese jeweils als disziplinübergreifend komponierten Blick, der geeignete Anschlussfähigkeiten ftir andere Fachrichtungen enthält und sie par­tiell bereits einlöst.

Bevor ich mich dem "Fenster" (in seinen variierenden Ausgestaltungen) selbst zuwende, möchte ich einen knappen Blick auf die historische Pfad­entwicklung des raumwissenschaftlichen Gegenstandsbereichs, auf die Raum­transformationen als Teil des Zivilisationsprozesses, werfen. Es wird uns einen Eindruck davon geben, wie reichhaltig, wie vielfältig, aber vor allem: wie ver­änderlich das alles ist, was wir durch das wissenschaftliche Fenster in den Blick nehmen. Für den Nicht-Experten ist diese Sicht durchaus überraschend, da das auf die Gegenwart bezogene Alltagswissen die räumliche Umwelt häufig als etwas grundsätzlich Dauerhaftes betrachtet. Tatsächlich haben wir es beim län­geren Blick durch das (selbst schon bewegliche und ausdifferenzierte) raum­wissenschaftliche Fenster mit "moving targets" (Appadurai) zu tun, und diese unterliegen zu Beginn des 21. Jahrhunderts immer größeren Wandlungen und Beschleunigungen. Daftir gilt es zunächst ein Verständnis zu entwickeln.

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Erster Abschnitt Charakteristika des Fensters zum Raum

2 Kurze Geschichte des besiedelten Raumes

Seit den Anfangen der Zivilisation haben Menschen geeignete Landschaften besiedelt, das natürliche Vermögen von Boden, Wasser, Luft fiir ihre wirtschaft­lichen Zwecke genutzt, die besiedelten oder eroberten Territorien durch Macht zu kontrollieren versucht. So war die Bedeutung des Raumes von Beginn an mit Gesellschaft, Wirtschaft und Politik verwoben.

Oft waren die Prozesse der zivilisatorischen Evolution mit der Entstehung von Städten verbunden. Dies gilt vor allem fiir den erweiterten Mittelmeerraum, aber auch für Teile Asiens und des amerikanischen Kontinents. Wir verdanken Lewis Mumford (1961) einige eindringliche Hinweise auf die historischen Wurzeln, aus deren Nährboden die späteren Städte auftauchen konnten: das Dorf, das Heiligtum, die Werkzeuge. Aus der Vielfalt von Siedlungsweisen, Berufen, Techniken und Organisationsformen bildeten sich Städte als beson­dere Konfigurationen. Sie führten verstreute Elemente (Sachanlagen, Nutzungs­arten, Handel) zusammen und schufen in ihrer Zentralität eine wirkungsvolle Ausstrahlung. Dank der so hervorgebrachten städtischen Ordnung, der Kon­zentration physischer und kultureller Macht, kam es zur wirksamen, geregelten Zusammenarbeit vieler Menschen; sie brachte freilich stets auch eine dunkle Seite hervor: Ausgrenzung und Niedergang. Die reiche Vielfalt der städtischen Aktivitäten hat früh den Bedarf an zahlreichen öffentlichen Orten der Begeg­nung und des Austauschs wachsen lassen; sie wurden schließlich zu einem Mar­kenzeichen der Stadt insgesamt.

Kulturgeschichtlich gilt es allerdings als gesichert, dass Städte für die Ent­wicklung archaischer Zivilisationen nicht unerlässlich waren (Service 1977). Die Wirtschaftsweise und die politische Herrschaft konnten Räume kontrol­lieren, ohne dies mit der kompakten Besiedlungsform von Städten zu verbin­den. Gesellschaftliche Dauermigration ("Völkerwanderung", "Nomadenturn") ging regelmäßig mit einer entsprechenden Ausbeutung der natürlichen Ressour -cen einher. Die Bildung zentralisierter Führungspositionen (theokratisch oder erblich-aristokratisch) als Voraussetzungen politischer Herrschaft bedurfte zwar eines Sozialsystems, das jedoch vielfach ohne die räumlichen Ordnungen von Städten organisiert war. Die Kernräume der frühen Zivilisationen und die in ihnen organisierten Ge­sellschaften unterschieden sich voneinander in ihrer räumlichen Bedingtheit (Klima, Boden), aber auch jahrhundertelang in ihrer Produktionsweise (samt

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den zur Verfligung stehenden Technologien) und in den Formen politischer Herrschaft. Ein Wissensaustausch über diese Sachverhalte konnte (bis zum Beginn der Neuzeit) nur sehr begrenzt zustande kommen. Wo sich jedoch Städte ausbildeten, kam es zu einer folgenreichen Bündelung der raumbezogenen Aktivitäten wie des Wissens über räumliche Bedingtheiten und der darauf fu­ßenden Kulturen.

2.1 Überragende Stellung der Städte

Städte sind - in historischer Betrachtung - immer Produkt der Kultur, aus der sie hervorgegangen sind. Die europäischen Städte, die im Folgenden im Mit­telpunkt stehen sollen, sind Produkt des Okzidents in Gestalt seiner vielfach verzweigten und durchmischten Binnenkulturen. Diese Städte waren seit dem Mittelalter vor allem durch ein hohes Maß an freiheitlicher Entwicklung ge­kennzeichnet. Sie haben sich, getragen von Kaufleuten, Zünften und Gewerbe, vielfach nach eigenen Gesetzmäßigkeiten und ohne staatliche Abhängigkeit wirt­schaftspolitischeAußenbeziehungen aufgebaut. Sie waren auf dieser Basis nach innen integriert, schufen Bürgerrechte und boten den geschützten Raum für die allmähliche Entfaltung einer städtischen Lebensweise.

Die europäischen Städte wurden so zu besonderen ökonomischen und po­litischen Orten mit einer spezifischen sozialen und symbolischen Ordnung. Während des Mittelalters bis zur Phase des hoch entwickelten Industrialismus waren sie die Subjekte des gesellschaftlichen Wandels (Lefebvre 1972). Es waren wesentlich die großen Handels- und Regierungsstädte, die den Verlauf der weiteren zivilisatorischen Entwicklung bestimmten und ebenso die Voraus­setzungen flir Qualifikationen und Wissenserwerb boten. Diese Städte glichen, in Braudels eindrucksvoller Charakterisierung, Transformatoren: Sie erhöhten die Spannung, beschleunigten den Austausch, brachten Bewegung ins Stadt­leben (Braudei 1985, Bd. 1).

In einer Perspektive der longue duree erwies sich das Schicksal der euro­päischen Städte als überaus bunt und vielfältig. Immer wieder vermochten sie glanzvolle Rollen zu übernehmen. Diese waren vor allem - neben der geogra­phischen Lage, die eine wichtige Voraussetzung flir Prosperität darstellte - an den Ausbau des Welthandels gebunden. In dem Maße, in dem sich Städte durch Vernetzung an der Weltwirtschaft beteiligen konnten, wuchs ihre Bedeutung und damit ihr Potenzial flir das eigene Wachstum. Die Weltwirtschaft wies in ihrer regionalen Topographie bis ins 18. Jahrhundert stets ein großstädtisches Zentrum auf, das Informationen, Kapital, Güter und Menschen zusammenführ­te. DafUr waren anfangs, in historischer Folge, vor allem westeuropäische Städte gut gerüstet: Venedig, Antwerpen, Genua, Amsterdam, London. Doch die ein­mal erlangte Dominanz unterlag ebenfalls dem Wandel, neue Städte übernah­men als Ausdruck der gesellschaftlichen Entwicklung und der Staatsbildung flihrende Rollen: neben Amsterdam und London vor allem Paris, Neapel, Ma­drid, Wien, München, Kopenhagen, St. Petersburg.

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Die Raumbezogenheit des Siedeins, Wirtschaftens und Herrschens führte - als Kehrseite der bündelnden Kraft - immer auch zu Konflikten und zu gewaltsa­men Konfliktaustragungen. In den frühen Evolutionsphasen wurden häufig Eroberungskriege ausgetragen, einmal in Form von Kämpfen zwischen sess­haften Ackerbauern und kriegerischen Nomaden, zum anderen im Sinne von Konkurrenzkämpfen zwischen ähnlich starken Gesellschaften in derselben Region. Eine zivilisatorische Evolution konnte sich erst ausbilden, wenn die Mittel militärischer Gewalt abgelöst wurden durch technologisches Wissen und eine darauf fußende materielle Überlegenheit. Gab es Städte, so konnten diese innerhalb ihrer Mauem Sicherheit gewähren und so gleichzeitig Raum schaf­fen für interne soziale Differenzierungen, zum Teil in Form heftiger sozialer Konflikte. Nach und nach sind Konfliktsituationen durch die Institutionalisie­rung von Rechtsnormen und Bürokratien - also im Weber'schen Sinne Formen rationaler Herrschaft - und durch Kontrollen mittels Technik in ein zivileres Regime überführt worden.

In Europa standen vor allem zwei Rechtsinstitute im Blickpunkt der Kon­trolle über den Raum: das Privateigentum an Grund und Boden (in bürgerli­chen Gesellschaften mit Verfassungsrang ausgestattet) sowie die den Gebiets­körperschaften zuerkannte Kompetenz, im Interesse des Gemeinwohls die Ver­fügung über Räume und räumliche Ressourcen bürokratisch zu lenken, was die Aufgabe einschloss, für den Rechtsverkehr der privaten Eigentümer unterein­ander Sicherheit zu gewähren. Beide Rechtsinstitute wirken komplementär, al­lerdings häufig konflikthaft, so dass ein erheblicher Teil der Steuerungsinstru­mente darauf gerichtet wurde, prozedurale Regelungen zur Lösung solcher Konflikte zu eröffnen. Es dauerte vom frühen Mittelalter bis zum 19. Jahrhun­dert, bevor in den einzelnen Staaten eine Bodenordnung (Verwertung durch Eigentum) und ein 'Landfrieden' mit Städteordnung (Kontrolle) stabil und wirk­sam verankert werden konnten. Und mit der Bildung von Territorialstaaten lie­ßen sich diese Kontrollformen ungeachtet der seitherigen Schutzfunktionen der wehrhaften Städte generalisieren. In ihren differenzierten Ausgestaltungen spie­gelten sie den je erreichten gesellschaftlichen Entwicklungsstand wider.

Eine entscheidende Rolle für die Art der Entwicklung spielten, folgen wir den Charakterisierungen des Stadthistorikers Hartwig (2000), die unterschied­lichen nationalen Ausprägungen, einerseits der Stadtsysteme, andererseits der Kommunalrechtssysteme und -praktiken sowie der Selbstbilder und -darstel­lungen der Städte. Einem auf die Hauptstädte konzentrierten Typus von Stadt­systernen wie vor allem in Frankreich, in abgeschwächter Weise auch in Eng­land und Österreich, steht eine stärker polyzentrische Form gegenüber wie in Deutschland, der Schweiz oder Italien. In Nordeuropa prägten die spezifischen Stadt-Land-Beziehungen die Entwicklung grundlegend. Dabei ergaben sich erhebliche Unterschiede aus den verschiedenen nationalen Verfassungsstruk­turen, in die die Städte über Jahrhunderte eingelassen waren und die sie ein beträchtliches Stück weit reproduzierten. Deren Folgen wirken bis heute nach, auch wenn sich die Verfassungs- und Verwaltungs formen der Städte inzwischen

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stark angeglichen haben (was z.B. das Ausmaß öffentlicher wirtschaftsstruktu­reller Steuerungsmaßnahmen und räumlicher Stadtgestaltung oder die Präsenz und Verteilung kommunaler Dienstleistungen angeht). Für England war das Prinzip des "self-government" leitend, für Frankreich der etatistisch-zentrali­stische Zuschnitt auch der städtischen Administrationen, ftir Deutschland seit der Reformära des frühen 19. Jahrhunderts das Konzept stadtbürgerlicher Selbst­verwaltung mit nach Ländern unterschiedlich stark ausgeprägten Anteilen staat­licher Aufsichts- und Kontrollrechte.

Kennzeichnend rur den europäischen Raum mit seinen langen, vielgestal­tigen urbanen Traditionen ist auch eine besondere Dialektik von Wandel und Kontinuität: Die Verstädterung wurde in steigendem Maße von den großen Städ­ten getragen, Städte mit einer längeren zentralörtlichen Funktion wurden deut­lich bevorzugt bei der entscheidenden Anbindung an wachsende modeme Ver­kehrsnetze. Trotz der großen Dynamik des Wandels blieb die Rangordnung der Städte dadurch zu großen Teilen stabil, eine Tatsache, die zeigt, dass das mo­deme Stadtsystem insgesamt bereits in der vormodemen Ära seine spätere Gestalt erlangte. Auch wenn Europa eine Vorreiterrolle im internationalen Pro­zess der Verstädterung einnahm, verlief dieser jedoch selbst in der Epoche dra­matischen und vielfach als ausgesprochen krisenhaft erlebten Städtewachstums zwischen 1850 und 1914 deutlich moderater als in außereuropäischen Staaten.

Zur Signatur der europäischen Stadt gehört wesentlich auch die Ausprä­gungjener "Urbanität", die für die ökonomische, gesellschaftliche und kulturelle Wirklichkeit von immer mehr Menschen grundlegend geworden ist - nicht zu­letzt deshalb, weil die für diese Urbanität charakteristischen Werthaltungen, Dienstleistungen und Konsumgewohnheiten die Grenzen der Stadt übersprun­gen und rur einen zunehmenden Ausgleich des Stadt-Land-Gegensatzes gesorgt haben. In den sich modernisierenden Volkswirtschaften des 19. und 20. Jahr­hunderts übernahmen die großen Städte vielfach die Organisation interregionaler Arbeitsteilung und die Lenkung interregionaler Migrationsströme. Sie wurden zudem zu wesentlichen Handlungsorten einer politischen Kultur, die Entschei­dungen freilich zunehmend von der Stadt auf die regionale und nationalstaatli­che, schließlich die transnationale Ebene verlagerte. Mit Kommunikationsme­dien wie Zeitungen, Verlagswesen, Rundfunkanstalten, mit Kommunikations­räumen wie dem Caf6, den Klubräumen von Vereinen oder Gesellschaften so­wie mit den Kultureinrichtungen wie Theater oder Museen schuf und trug die große europäische Stadt in besonderem Maße die Voraussetzungen für die sym­bolische Verarbeitung individueller und kollektiver Erfahrungen in der ge­sellschaftlich-politischen Diskussion.

Schließlich birgt die räumliche Entwicklung, insbesondere in Gestalt der Dynamik der Städte, stets auch eine soziale Dimension in sich. In den Städten traten jahrhundertelang, zugespitzt im 19. Jahrhundert, scharfe Klassenkonflikte zutage. Die Landbevölkerung galt als gesellschaftlich rückständig, als vernach­lässigbare Größe. Sozialgeschichtlich fand jedoch, je mehr die Industriegesell­schaft dominierte, eine zunehmende Aufhebung des Gegensatzes zwischen den

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typischen Stadtmenschen und den Landbewohnern statt. Heute haben die Cha­rakteristika der Stadtgesellschaft auch diejenigen Menschen erfasst, die sich für ein Leben auf dem Lande entscheiden. Und in den Städten selbst kommt es regelmäßig zu Auseinandersetzungen zwischen den besser Situierten, die in den Genuss von bevorzugten Lagen und guter Infrastruktur gelangen, und den ma­teriell Benachteiligten, die sozial und räumlich abgedrängt werden. In Staaten mit deutlicher Wohlfahrtspolitik erwiesen sich nach dem Zweiten Weltkrieg die Integrationsstrategien auf lokaler Ebene als recht erfolgreich. Dies galt inso­weit auch für die sozialistischen Städte, obwohl sich in ihnen soziale Einschrän­kungen auf andere Weise, nämlich durch Versagen ziviler Freiheiten, verfestig­ten. Gegenwärtig gibt es Anzeichen dafür, dass die globalen Restrukturierun­gen im ökonomischen Bereich die soziale Polarisierung in den größeren Städ­ten verschärfen - was die Frage aufwirft, inwieweit die Städte weiterhin die (selbstorganisierte) Fähigkeit zur sozialen Integration aufbringen können.

2.2 Wirtschaftsräumliche Instrumentalisierung

Mit der Austragung von räumlichen Konflikten und der Erfindung von Institutio­nen (samt Regeln) und kulturellen Funktionen, um sie einzuhegen, ging die ge­sellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung einher, das heißt, eine Steigerung der Produktivität, die organisierte Allokation der Güter und die freiere Gestal­tung der Lebensführung vieler Menschen, wie andererseits mit fortschreitender gesellschaftlicher Entwicklung auch die räumliche Kontrolle - sowohl im Sinne einer stärkeren Verwertung als auch im Sinne einer größeren Unabhängigkeit -anwachsen konnte, allerdings geprägt von den gesellschaftlich verfassten For­men sozialer Ungleichheit. Die okzidentale Erfahrung zeigt über Jahrhunderte hinweg, wie sich die Entwicklungskräfte mehr und mehr die räumlichen Bedin­gungen zunutze machten, sie vor allem der wirtschaftlichen Entwicklungslogik unterstellten. Die Produktion und die Verwertung des physischen Raumes wur­den auf diese Weise für angestrebte Entwicklungen instrumentalisiert.

Die Instrumentalisierung der räumlichen Bedingungen wurde zum Marken­zeichen der industriellen Entwicklung. Einserseits bildeten die Bodenschätze, Wasserläufe, Wälder etc. selbst einen Wirtschaftsfaktor erster Güte, den es ma­ximal einzusetzen galt. Andererseits traten andere Teilräume, die industriell uninteressant waren, nämlich landwirtschaftlich genutzte Flächen oder dünn be­siedelte Landschaften, in den Hintergrund. Sie gerieten in weitgehende Abhän­gigkeit von den Städten und wurden von den industriellen Akteuren nur noch in ihrer restriktiven Bedeutung wahrgenommen, insbesondere als Hindernisse oder Distanz zwischen wichtigen Standorten, die es möglichst kostengünstig zu überwinden galt. Besonders hervorzuheben sind industrialisierte Landschaften, die vordem nicht oder nur dünn besiedelt waren, dann binnen kurzer Zeit durch neue Industrie­zentren und Verkehrswege transformiert wurden, bis sie sich schließlich in einer Phase sinkender Produktivität erschöpften und nach und nach als zerstörte und

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belastete Industriebrache zurückblieben. Solche "altindustriellen Regionen" erstrecken sich in Europa auf sämtliche ehemaligen Zentren des Bergbaus und der Stahlindustrie, von Mittelengland über Nordfrankreich und das Ruhrgebiet bis zur Lausitz und nach Oberschlesien. Von Sibirien wird berichtet, dass die Bezähmung der räumlichen Unwirtlichkeiten durch industrielle Besiedlung gegenwärtig aufgegeben wird; zurück bleiben Geisterstädte, und die wenigen ausharrenden Menschen besinnen sich auf vorzivilisatorische Fähigkeiten des Erwerbs und Überlebens (ZEIT vom 27.07.2000). Ähnlich gibt es auch im eu­ropäischen Raum immer wieder regionale Entleerungen und Peripherisierungen, allerdings - wie es scheint - ohne völlige Preisgabe der Kulturlandschaften.

Der Industrialismus verwandelte die Städte nachhaltig, wie umgekehrt die Städte eine notwendige Voraussetzung ftir die industrielle Produktion bedeute­ten. Waren sie gleichzeitig Industriestandorte, erlebten sie einen kräftigen Auf­schwung. Menschen vom Lande zogen in die Städte, weil sie Arbeit suchten. Lohnarbeit krempelte die Lebensweise um, Massenwohnungsbau entstand - die Städte entwickelten sich zur hochkomplexen Gesamtmaschine mit einer klaren Dominanz der wirtschaftlichen Produktivität, der sich andere Funktionen un­terzuordnen hatten. Die noch beschränkte Verkehrs- und Kommunikationstech­nik gab den Ausschlag dafiir, dass die Städte vorerst in ihrer kompakten Gestalt erhalten blieben. Doch dann trat das Automobil seinen Siegeszug an und er­wies sich als eigenständiger Faktor der räumlichen Entwicklung: Jetzt konnten individuelle Standortentscheidungen, zum Beispiel über das Wohnen außerhalb der dichten Stadt, getroffen und drastisch erweiterte Formen räumlicher Mobi­lität erprobt werden.

Industrielles Wachstum, das im 20. Jahrhundert für viele europäische Län­der kennzeichend wurde, stieß nach und nach an problematische Grenzen, die sich auch als "Grenzen der Stadt" (Bookchin) niederschlugen. Während das private Eigentum als Instrument zur Kontrolle des Raumes unangefochten sei­ne Wirksamkeit zeigen konnte, blieben die anderen Kontrollinstrumente mehr und mehr wirkungslos. Keine der kapitalistischen Gesellschaften vermochte seit den 60er Jahren eine öffentliche Bodenordnung einzuführen, die belastenden Auswirkungen des rasant ansteigenden motorisierten Verkehrs wurde nicht ein­gedämmt, die Zersiedelungen in der Umgebung von Städten stießen kaum auf Widerstand, die rechtlichen Planungsinstrumente und die eigenverantwortliche Selbstorganisation (in Deutschland in Form der kommunalen Selbstverwaltung) wurden geschwächt durch überörtliche Abhängigkeiten. Mit einem Male stand die "Krise der Städte" auf der Tagesordnung. Und diese Krise erwies sich gleich­zeitig als Krise des Bildes von der Stadt, denn mit dem nachlassenden Zwang zur städtischen Dichte wuchs ein "urban sprawl" an, mit ihm das Ende der in­dustriellen Verstädterung einläutend. Heute resultieren aus neuartigem Flächen­bedarf und vieWiltigen Verkehrs beziehungen mehr und mehr Dezentralisierun­gen und unterschiedliche Varianten von Suburbanisierung.

Damit einher ging ein dramatischer Bedeutungszuwachs der ökologischen Frage. In den 70er Jahren trat ins Bewusstsein, dass die meisten Städte in ihrer

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praktischen Funktionsweise auf einem zu hohen Ressourcenverbrauch, auf ins­gesamt einem ineffizienten und unverträglichen Stoffwechsel fußten, der so nicht beibehalten werden konnte. Doch ging es der Kritik nicht nur um eine Senkung von einzelnen Umweltbelastungen, vielmehr standen bald die städtische Le­bensweise selbst und Fragen der Organisierbarkeit hochkomplexer Systeme im Zentrum der Auseinandersetzungen. Verschwendung einerseits, mangelnde Fle­xibilität andererseits führten neuartige Konflikte herbei - und eine um sich grei­fende Ratlosigkeit, da wirksame Steuerungsinstrumente zu fehlen schienen oder ihr Einsatz an den Machtverhältnissen scheiterte. Das zugrunde liegende Span­nungsverhältnis zwischen der technisch hochgerüsteten Stadt und der unter (human-)ökologischen Kriterien umzubauenden Stadt ließ sich keineswegs nach einem einfachen Entweder-oder-Schema lösen. Bis heute sind Handlungsvor­schläge zur stadtökologischen Verbesserung und einer so qualifizierten städ­tischen Lebens- und Wirtschaftsweise nicht hinreichend wirksam geworden. Die in den 80er Jahren aufkommende regulative Idee der Nachhaltigkeit konnte immerhin so viel Resonanz erlangen, dass sich unter ihrem Dach ökologische, wirtschaftliche und soziale Dimensionen räumlicher Entwicklung bündeln lassen.

2.3 Erstes Resümee

Was lernen wir aus diesem kursorischen Rückblick? Er mag in einem ersten Schritt dazu dienen, uns zu verdeutlichen, worin eigentlich die "Raumfrage" besteht. Bei der Vielfalt und Komplexität der aufgezeigten Entwicklungen wächst der Wunsch, einen Anker zu finden, von einem festen Standort aus immer wieder solche Sachverhalte herauslösen zu können, die einer raum­wissenschaftlichen Analyse zugänglich sind. Es kann j a nicht damit sein Be­wenden haben, den raumwissenschaftlichen Gegenstand entweder mit den For­mulierungen der räumlichen Politiken oder mit den Forschungsfeldern der ein­zelnen Disziplinen gleichzusetzen. Zentral scheint vielmehr zu sein, danach zu fragen, wie Siedlungen, Städte. Landschaften, Regionen in ihrer territo­rialen Ausbreitung, in ihrer physischen Gestaltung. in ihren Nutzungsmög­lichkeiten. in ihren sozialräumlichen Handlungs-. Konflikt- und Integrations­potenzialen beschaffen sind. wodurch diese Beschaffenheit bestimmt wird (hierzu gehört die Rolle der Planung) und wie sie schließlich im Sinne eines "guten Lebens" weiter entwickelt werden können. Die Gesamtheit dieser Aspekte bildet die "Raumfrage" , wobei sofort hinzuzufügen ist, dass die Konvention hierüber nicht von allen Raumexperten geteilt wird und selbst­verständlich auch von der jeweiligen disziplinären Herkunft geprägt ist. Doch bei aller Vorläufigkeit und fließenden Variationsbreite: Mit der Konzentration auf solche Themen finden die Raumwissenschaften ihr "Proprium", ihren spezifischen Gegenstand, ihr disziplinübergreifendes Selbstverständnis. Im Kapitel 4 wird dies näher konkretisiert.

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Ein zweiter Ertrag des Rückblicks besteht in der Erkenntnis, dass in verschie­denen Epochen die Vorstellungen von "Raum" immer wieder unterschiedlich sozial konstruiert worden sind. Es wird daher zwingend, aus der Sicht, wie wir sie zu Beginn des 21. Jahrhunderts einnehmen können, das raumwissenschaft­liche "Fenster" genauer zu charakterisieren. Dazu sollen in den folgenden bei­den Kapiteln einige relevante Ergebnisse der Wissenschaftsforschung (Kapitel 3) sowie Verständigungen über besondere Kennzeichen der "Raumwissenschaf­ten" (Kapitel 4) nutzbar gemacht werden.

3 Forschungsfeld, Interdisziplinarität und Anwendungskontext: Beiträge der Wissenschaftsforschung

Die Wissenschaften befinden sich insgesamt in einer tief greifenden Umstruk­turierung ihrer eigenen Bedingungen, unter denen sie wissenschaftliches Wis­sen generieren. Damit steht auch jene lapidare Einsicht der wissenschaftlichen Arbeitsweise zur Disposition: dass nämlich die Wissenschaften vor allem die Fragen beantworten können, die sie sich selbst ausgedacht haben; und das ge­schieht jeweils gesondert in den einzelnen Disziplinen. In ihnen konnte sich vielfach ein in sich geschlossenes Theoriesystem herausbilden, wie es zum Beispiel bis heute für die Disziplin der Wirtschaftswissenschaften kennzeich­nend ist. Es blieb lange unbemerkt oder wurde dogmatisch geleugnet, dass sich die zu lösenden Probleme nicht an die Einteilung der Disziplinen und nicht an die Logik der Theoriebildung halten.

3.1 Zwei Modi der Wissensproduktion

Kennzeichnend waren üblicherweise allgemeine, nach Disziplinen geordnete Erklärungsmuster, hierarchisch strukturiert, definiert (und verwaltet) durch wissenschaftliche Eliten, ausgerichtet an einheitlichen Qualitätskriterien und akademischen Standards. Daraus erwuchs - angetrieben vor allem durch die rasante Entwicklung der Natur- und Technikwissenschaften - eine riesige Flut neuen und ausdifferenzierten fachwissenschaftlichen Wissens. Dieses bildete auch ein Reservoir ftir die Raumforschung, selektiv genutzt und kombiniert, da sie ihre wesentlichen Fragestellungen und Konzepte aus der räumlichen Politik und dem Planungsrecht bezog. Das wissenschaftliche Wissen galt vor allem dann als relevant, wenn es sich auf praktische, in normativer Absicht zu beantwor­tende Raumfragen erstreckte.

Die lange Traditionslinie, durch wissenschaftlich-technische Ergebnisse neue Antworten auf fundamentale menschliche Bedürfuisse zu finden - die in-

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soweit auch Gegenstände der räumlichen Planung wie Wohnungsbau oder Trans­portwesen einschloss -, liest sich zum großen Teil als Erfolgsgeschichte. Es waren die internen Maximen und Methoden der Wissenschaften selbst, die als Garanten einer gesellschaftlichen Modernisierung galten und lediglich in ra­tioneller Weise "angewandt" werden mussten. Sie schufen auch die Vorausset­zung dafür, dass sich im Wege des selbstorganisierten "peer review" wissen­schaftsimmanente Maßstäbe der (objektivierten) Bewertung von Forschungs­leistungen herausbilden konnten. Bis heute ist das Vertrauen in eine solche Gültigkeit allgemeiner wissenschaftlicher Kriterien die Grundlage fiir das Funk­tionieren des wissenschaftlichen Expertensystems.

Ein wichtiger Teil der Wissenschaftsgeschichte und die Wissenschafts­forschung zeigt uns nun, dass etwa seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts der bis dahin selbstverständlich akzeptierte Modus der Wissensproduktion re­flexiv in Frage gestellt wird (Shapin 1982, Heintz 1993, Callon 1994, Gibbons u.a. 1994, Nowotny 1995). Der Hauptargumentation dieser Richtung möchte ich genauer nachgehen.

Die These lautet, dass mit dem Aufkommen eines ganz anders beschaffe­nen Modus der Wissensproduktion die bisherigen Selbstverständlichkeiten auf­gestört worden seien. Mehr und mehr werde mit den Befunden der Wissen­schaftsforschung die Auffassung verknüpft, die Generierung wissenschaftlichen Wissens folge völlig heterogenen Mustern, sie finde oftmals zwischen den Dis­ziplinen statt, der Forschungsprozess verlaufe offen, es gebe keineswegs ein­deutige Beurteilungskriterien, und wichtige Ergebnisse (damit auch Impulse fiir die Theoriebildung) würden im Kontext der Anwendung des Wissens erzeugt (Gibbons u.a. 1994). Auch wenn es nicht an relativierenden und streitigen Dis­kursen über diese These mangelt, so vennag diese Sichtweise meiner Meinung nach doch einige neue Aspekte der raumwissenschaftlichen Generierung von Wissen zu erhellen.

Die daraus entstandene Aktor-Netzwerk-Theorie - als ein Strang dieses neu­en Wissensmodus - geht davon aus, dass neue wissenschaftliche Erkenntnisse und deren soziale Umweltbedingungen, mit denen sie als untrennbar verfloch­ten gelten, von den Forschern synchron konstruiert werden (Nowotny 1995, S. 140ff.). Entscheidende Pointe ist, dass die Ergebnisse aus den Netzwerk-Akti­vitäten bereits im Prozess der Generierung des Wissens transferiert werden, denn die primären Adressaten sind am Netzwerk beteiligt. Die systematische Tren­nung zwischen Generierung von Wissen und Verwendung von Wissen ist inso­weit aufgehoben. Damit entfallen auch alle Regeln für Perzeption, Selektion und Vermittlung von Wissen zwischen getrennt agierenden Akteursgruppen.

Auch wenn sich ein solcher Paradigmawechsel nur allmählich vollzieht, so hat er doch - allein schon durch das Aufzeigen der möglichen Alternative -weit reichende Konsequenzen. Die wichtigste Konsequenz besteht darin, das System der Wissensproduktion als sozial konstituiert anzuerkennen. Mehr und mehr gilt es als nachweisbar, dass viele wissenschaftliche Aussagen das Resul­tat sozialer Aushandlungsprozesse sind (Nowotny 1995). Das wird vor allem

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von den naturwissenschaftlich arbeitenden Labors vehement bestritten. Und es ließe sich auch von jenen Raumforschern bestreiten, die dem Raumbild einer äußerlich realen Welt, mit partiell ontologischer Bedeutung, anhängen. Es scheint aber so zu sein: Ohne Einbettung in eine geeignete soziale Umwelt bleiben empirische Befunde ohne Resonanz; es ist, als existierten sie gar nicht. Also suchen Forscherinnen und Forscher Fachkollegen oder Vertreter der Wirt­schaft, der Politik, der Medien, bei denen sie Interesse wecken können. Die so inszenierte soziale Konstituierung führt dann zu Konsequenzen für die Metho­dik. An die Stelle einer prinzipiell von anderen Forschergruppen wiederholba­ren Durchführung von Experimenten - seither eine der zentralen Methoden zur Objektivierbarkeit von Ergebnissen - tritt jetzt nolens volens die strikte Selbst­kontrolle der Forscher einschließlich der Offenlegung ihres Vorgehens.

Den Sozialwissenschaften - mithin auch der sozial wissenschaftlichen Raumforschung - ist dieser Umstand freilich vertraut, verfügen sie doch von vornherein über keine Untersuchungsgegenstände, deren Randbedingungen voll­ständig (labormäßig) kontrolliert werden könnten. Sie wissen auch, dass ihr Forscherverhalten nicht ohne Einfluss auf den Untersuchungsgegenstand bleibt. Neu ist aber, dass mit der Bildung solcher Aktor-Netzwerke auch Akteure (oder gar nicht-menschliche Aktoren wie Computer) beteiligt werden, die nicht über das methodologische Grundwissen der Fachwissenschaften verfügen.

Aus der Tatsache der sozialen (bzw. im Falle der nicht-menschlichen Mit­wirkung: der relationalen) Konstituierung der Wissensproduktion folgt somit eine ambivalente, in ihrem Potenzial noch nicht voll erkennbare Herausforde­rung: Einerseits können Fragen der sozialen Verantwortung, der praktischen Ethik mitbehandelt werden (denn die isolierte, objektivierte Ergebnisermittlung findet nicht mehr statt); andererseits bleibt aber recht unklar, aufweiche Weise die Gültigkeit und die Zuverlässigkeit des generierten Wissens kontrolliert werden können. Auf jeden Fall gilt: Allgemein anerkannte Bewertungskriterien brechen weg, klassische Zuordnungen und die Überlegenheit von Facheliten werden bezweifelt. Eine Ahnung von diesen Veränderungen spiegelt sich seit einiger Zeit auch in den Medien wider, deren Berichte über wissenschaftliche Expertisen von Skepsis und erheblicher Ratlosigkeit gekennzeichnet sind.

3.2 Transformation des raumwissenschaftlichen Forschungsfelds

Ich werde im Folgenden mit diesen Umwandlungen in der Generierung von wis­senschaftlichem Wissen dem bisherigen Feld der Raumforschung einen anderen paradigmatischen Zuschnitt eröffnen. Erst mit diesem veränderten paradigmatischen Zuschnitt spreche ich sodann im Weiteren nicht mehr von "Raumforschung", son­dern von "raumwissenschaftlicher Forschung". Ihre breitere Fundierung und ihre interdisziplinäre Ausrichtung folgen zwingend aus den zuvor erwähnten raum­wirksamen Transformationsprozessen sowie aus dem offenen Modus der Wissens­produktion. Werden diese Neuorientierungen aufgenommen, werden sich nicht nur

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die Datengenerierung und die Analysen verändern, sondern aus ihnen wird ebenso eine tief greifende Umstrukturierung der Politikberatung gegenüber der Raumord­nung, der Stadtentwicklung und der räumlichen Planung resultieren.

Worin besteht dieser Wechsel? Vor allem in der Entwicklung neuer bzw. reformulierter Konzepte von "Raum", in denen die Anerkennung der Öffnung, Dehnung und Verflüssigung von räumlichen Strukturen und Beziehungen, zum Beispiel nach "flows" und "paces" , ebenso zum Ausdruck kommt wie die An­erkennung einer grundlegenden Mehrdimensionalität von Raumkonzepten (Läpple 1991, Matthiesen 2003). Das macht die Existenz von territorialen Raum­elementen, von konkreten physischen Raumgestalten nicht hinfallig, aber es verleiht ihnen eine andere Relevanz. Und das fordert die Planungsexperten von räumlichen Entwicklungen dazu heraus, sich mit den Fragen der Steuerbarkeit dynamisierter räumlicher Sachverhalte auseinanderzusetzen.

Die modeme Physik selbst, beginnend mit der Quantenphysik, hat, wie Jeremy Rifkin zu Recht hervorhebt (Rifkin 2000), die Dekonstruktion der harten physi­schen Realität der modemen Welt eingeleitet. Die Vorstellungen von Raum nach passiven, geometrischen Verhältnissen gelten nunmehr als völlig unangemessen. Wenn Materie eine Form der Energie ist und Energie reine Aktivität ist, dann existieren - entgegen der Anschaulichkeit des Alltagslebens - keine festen Sub­stanzen in einem statischen Behälter-Raum. Denn so gesehen ist es unmöglich, das, was etwas ist, von dem zu trennen, was es tut. In räumlicher Betrachtung (nicht in ingenieurwissenschaftlicher Betrachtung!) existieren Objekte, auch Flä­chen und Gebäude, nur durch die Zeit, sind also nicht statisch. Doch seither sind sie in der Raumforschung meist als statische behandelt worden, wie überhaupt eine starke Neigung besteht, räumliche Sachverhalte zu reifizieren, das heißt, den festen Sachanlagen die entscheidende Bedeutung beizumessen.

In den letzten Jahrzehnten haben sich unsere Raumvorstellungen in einem unglaublichen Maße verschoben. Es eröffnet sich uns ein "Wissensraum" , der sich in 42 Zehnerpotenzen umreißen lässt (Morrison 1984). In der einen Rich­tung liegen die "Räume" der Mikrobiologie und die unvorstellbar winzigen "Räume" der Teilchenphysik (die kurioserweise, um ihre Objekte überhaupt er­kennbar zu machen, riesige Versuchsanlagen benötigen), in der anderen Rich­tung beginnt die unendliche Ausdehnung des Universums - in beiden Berei­chen gelten anscheinend dieselben Gesetzmäßigkeiten, insbesondere Abhän­gigkeiten zwischen Raum und Zeit. Dazwischen befindet sich der uns vertraute "Raum" des menschlichen Daseins. Er umfasst etwa sechs Größenordnungen (in Zehnerpotenzen). In diesem Bereich liegen sehr komplexe Gegenstände der wissenschaftlichen Forschung, allen voran die Menschen in ihren - räumlich verfassten - Lebenszusammenhängen. Worauf also erstrecken sich die "Raumwissenschaften"? Geographisch be­trachtet auf den Teilbereich zwischen 1 mund 1000 km? Das klingt plausibel. Doch als Folge der Informationstechnologie, der gestiegenen Mobilität und der globalen Verflechtungen hat sich ein gewaltiger Wandel ereignet, der die ge­samte Erde in ihren Ausmaßen und Verästelungen umspannt. Die "terrestrische"

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Dimension muss heute und in Zukunft bei vielen wissenschaftlichen Fragestel­lungen berücksichtigt werden. Wird sich so auch die Reichweite der "Raum­wissenschaften" erheblich ausdehnen? Und, falls ja, bedeutet dies, dass dann die uns vertrauten Lebensräume zur bloßen Provinz herabsinken? Mit solchen Fragen muss sich eine neu justierte Raumwissenschaft beschäftigen.

Die neue Welt, als zu reformulierender Gegenstand der raumwissenschaft­lichen Forschung, ist nicht objektiv, sondern weitgehend kontingent. Die Struk­turierung des Objektbereichs nach physischen Merkmalen von "Gebieten" oder "Flächen" wird daher ebenso in den Hintergrund treten wie die Ausrichtung an starren Ordnungsvorstellungen, die ein Entweder-oder und Pseudo-Eindeutig­keit vorgeben.

Stattdessen ist eine Perspektive zu entwickeln, die die bisherigen Gewiss­heiten und Selbstverständlichkeiten preisgibt und in einer genauen Erkundung veränderter sozialräumlicher Sachverhalte vielfaltige neue Erklärungsansätze, bisher verdeckte Optionen und Szenarien, neue Konzepte hervorbringt. Dass die Raumpolitik (wenn wir einmal alle verschiedenen Ressortaufgaben, die raumbedeutsam sind, mit diesem Begriff zusammenfassen) mit dieser In-Frage­Stellung erhebliche Probleme hat, weil ihre bisherigen Grundlagen und ihre Instrumente weiter gelten, in tagtäglicher Praxis zu vollziehen sind und nur be­hutsam politisch reformiert werden, kann und darf ftir die mit Raumfragen befassten Wissenschaften kein Hinderungsgrund sein. Es bleibt immer eine sys­tematische Differenz zwischen Politik und Wissenschaft.

3.3 Neue Beweglichkeit eines raumwissenschaftlichen Theorieprogramms

Der Weg zu einer beweglicheren raumwissenschaftlichen Forschung wird durch die Preisgabe bisheriger Selbstverständlichkeiten eröffnet. Ein dekonstruieren­des Vorgehen wird hier nicht, etwa im Sinne von Derrida, als methodologisches Prinzip verstanden. Meine Haltung ist bescheidener, es geht mir vor allem um einen spezifischen kritischen Blick auf das Forschungsfeld, wie er sich wegen der grundsätzlichen Bedeutung des neuen Wissensmodus im Zusammenhang mit den veränderten Relevanzstrukturen der "Raumfrage" ergibt. Der daraus (hoffentlich) resultierende Such- und Lernprozess unterzieht die bisherigen dis­ziplinären und fachlichen Sicherheiten einem epistemologischen Zweifel. Dieser Zweifel wirkt allerdings auf meine eigenen Überlegungen zurück; ich kann Vor­schläge machen, aber sie werden prinzipiell zu keinen "gesicherten" Aussagen führen. Es bedarf, in einem weiteren Schritt, zusätzlich des geeigneten In-Be­ziehung-Setzens zwischen pluralen Theoriefragmenten wie zwischen Theorie­und Praxiskontexten, damit eine anwendungsorientierte Wissenschaft konkret ihre Forschungen anzulegen weiß. Und es bedarf, im Sinne der Aktor-Netzwerk­Theorie, der professionellen Gefolgschaft und konstruktiven Kritik, um neuen Ansätzen die notwendige Aufmerksamkeit zu verschaffen. Mit diesen wenigen

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Hinweisen eröffnen sich komplexe epistemologische Fragen, die hier weder ausgebreitet noch gar zufriedenstellend beantwortet werden können. Doch zur Begründung sei wenigstens auf die wissenschaftstheoretische Traditionslinie der über den Popper'schen Kritischen Rationalismus hinaus greifenden anarchi­stischen (Paul K. Feyerabend) und programmatisch-rationalistischen (Imre Lakatos) Beiträge hingewiesen. Beide Stränge wirken in den methodologischen Diskursen bis heute nach (Chalmers 2001).

Die Bilder, die Wissenschaftler, gestützt auf ihre fachliche Sozialisation und ihre professionelle Einbindung, sich von ihrem Forschungsgegenstand ma­chen, weichen häufig erheblich von den "realen Sachverhalten" ab, mit denen sie es zu tun haben. Doch es wäre ein Trugschluss, anzunehmen, dass prinzi­piell, das heißt in eindeutiger Weise, eine "bessere" Erkenn- und Lesbarkeit dieser Realitäten erreicht werden könnte. Allmählich hat sich, befördert durch die Basisaussagen der modernen Physik, die epistemologische Einsicht durch­gesetzt, dass keine Welterkenntnis möglich ist, ohne die Rolle des Beobachters einzubeziehen. Es sind unsere Fragen, es sind unsere tief verwurzelten Selbst­verständlichkeiten, die je für uns die "realen Sachverhalte" konstituieren, also den Bildern von ihnen, wie wir sie als Beobachter erzeugen bzw. übernehmen, eine prominente Stellung verleihen.

Die "Lösung" kann nicht darin liegen, die Betrachtung der "realen Sach­verhalte" an die Bilder anzunähern, deren erkenntnistheoretische, wenn nicht gar ideologische Dominanz dadurch zu stärken, sondern vielmehr neue Wege der Deutung und der Erkenntnisgewinnung zu suchen. Gerade die Abweichung von den orthodoxen Methodologien, das Aufstellen von Ad-hoc-Hypothesen, das spontane Vorgehen der Forscher, das "Chaos" ihrer Suchprozesse, bildet offenkundig immer wieder günstige Vorbedingungen für den wissenschaftlichen Fortschritt. Bei Feyerabend heißt es lakonisch: "Ohne 'Chaos' keine Erkennt­nis." (Feyerabend 1976, S. 250). Er war es auch, der voller Sarkasmus den "bejahrten Fachleuten" zubilligte, dass sie einer Auflockerung der Wissenschaft oder einer Vorstellung von Wissenschaft als geistigem Abenteuer misstrauisch gegenübertreten; der sich aber darüber erstaunt zeigte, dass sich selbst Studen­ten und andere Noch-nicht-Etablierte "an hohle Phrasen und abgedroschene Prinzipien klammern" (aaO., S. 253). Fürwahr ein konsequenter Zweifler!

Der Grundgedanke des freien Suchprozesses und der Auflockerung ist später von Clifford Geertz und in Deutschland von WolfLepenies weitergeführt wor­den (Geertz 1980, Lepenies 1985, 1997). Geertz konstatierte ein "Maskenspiel der Fächer", hinter welchem sich ein essentieller Wandel des Fächerzusammen­hangs verberge: Theorieaussagen stecken kaum erkennbar in Reiseberichten, literarische Phantasien treten als empirische Sozialforschung auf, historische Erzählungen kleiden sich in quantitative Datenanalysen etc. Die Ausdrucksweise folgt demnach nicht mehr der Logik und Sprache, die auf Grund des Sachver­halts selbst, wie er üblicherweise in disziplinärer Sicht erschlossen wird, er­wartet werden könnte. Eine strikte Trennung von Theorie und Daten wird ebenso obsolet wie die ideale Fachsprache oder die moralische Neutralität der Wis-

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senschaftler. Lepenies sieht darin eine "Mischung der Genres"; sie sei "auch Folge einer tiefgreifenden anthropologischen oder interpretativen Wende in den Sozialwissenschaften" (1997, S. 59). Da es - trotz der Ökonomie-Dominanz in der Öffentlichkeit - keine anerkannte Leitdisziplin gebe, habe sich eine freie Konkurrenz der Fächer ausbreiten können. Der Traum von einer Großtheorie der sozialen Physik sei ausgeträumt.

Lakatos hält sich im Vergleich zu Feyerabend etwas bedeckter und versuchte bereits vor dreißig Jahren, eine verbesserte Forschungsstrategie angesichts tief sitzender Ungewissheiten zu entwickeln. Er plädiert dafür, die Suche nach alter­nativen aussagekräftigen Theoriebeiträgen durch hierfür geeignete Forschungs­programme zu strukturieren sowie den Ideen, die wir untersuchen möchten, immer wieder "Atempausen" zu gönnen, damit sie in einzelnen Studien entfal­tet und nicht vorschnell ad acta gelegt werden. Derartige Programme seien im Fortschritt, solange ihre theoretische Ausarbeitung ihre zusätzlichen empirischen Befunde vorwegnimmt, sie also mit einem gewissen Erfolg neue Tatsachen voraussagen können (Lakatos, History of Science, zit. bei Feyerabend 1976, S. 256). Davon zu unterscheiden seien stagnierende und degenerierende Pro­gramme, die prinzipiell überwunden werden müssten (ohne sie jeweils sofort über Bord zu werfen).

Tatsächlich sind wir aufgefordert, das zu betreiben, was Lakatos mit dem Kri­terium eines ''positive problem shifl" bezeichnet hat, d.h. komplexe Forschungs­programme so anzulegen, dass durch sie (durch ihre Ergebnisse) alte fach­wissenschaftliche Positionen entthront und neue Erfahrungen der Wissens­generierung gemacht werden können (Lakatos/Musgrave 1970). Mit "F orschungs­programmen" sind Abfolgen von Theorien, ist also eine Geschichte der Theorie­bildung gemeint, deren Bezugspunkt in einem theoretischen Problem besteht. Das könnte man vereinfacht als "innovative Forschung" bezeichnen.

Damit ist in wenigen Strichen ein methodologisches Gerüst skizziert, das den Gedanken des teils dekonstruierenden, teils rekonstruierenden Vorgehens stützen kann. Die Organisation dieser Art von raumwissenschaftlicher Wissens­generierung könnte einem "scientific managerial concept" entsprechen, das die Durchlässigkeit von disziplinären Grenzen wie von Theorie-Praxis-Grenzen ermöglicht und das von forschungspolitischen "brokers" (zum Beispiel in Aka­demien) unterstützt wird. Die Nähe zu den gesellschaftlichen Problemen und zu den Akteursgruppen der räumlichen Entwicklung wird nach diesem Kon­zept vertieft und in ihren Resultaten reflektiert.

Nochmals: Wir als Forscherinnen und Forscher beobachten nicht die phy­sische Realität als solche, sondern eine Realität, wie sie unserer Art zu fragen und unserer gewählten Sichtweise ausgesetzt wird. Das ist unser "Fenster" zum Raum. Und dieses "Fenster" ist, wie erwähnt, nicht starr, sondern dynamisch­mehrgestaltig. Es könnte und sollte nach den hier zur Diskussion gestellten Gesichtspunkten weiter "umgebaut" und beweglich gemacht werden. Das bringt uns allerdings immer dann in Nöte, wenn wir es mit Fragen zu tun haben, die wir gerade im Rahmen der disziplinären Kanons nicht mehr beantworten kön-

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nen. Und das ist bei komplexen Raumfragen häufig der Fall. Dann wird sicht­bar, dass wir die disziplinären Grenzen überschreiten müssen, dass das Ideal der wissenschaftlichen Objektivität (nach klar abgrenzbaren Gegenständen) brüchig geworden ist. Sobald Aussagen zu den komplexen Fragen (Was wird aus der europäischen Stadt? Wie entstehen handlungsfahige Regionen?) gefor­dert sind, müssen wir normative Urteile fallen, kommen emotional besetzte und ideologisch aufgeladene Konzepte ins Spiel, die der sozialen Konvention un­terliegen und sich historisch verändern.

Am Beispiel der europäischen Städte als Forschungsgegenstand lässt sich dies verdeutlichen. Hier zeigt sich eindringlich, dass kaum abgesicherte Erkennt­nisse aus den Einzelwissenschaften vorliegen, die sich zu einem Gesamtbild zusammenfUgen lassen. In der Forschung des frühen 20. Jahrhunderts zogen die europäischen Städte ein besonderes Interesse im Kontext übergeordneter zentraler Fragestellungen auf sich (etwa in der Diskussion um die Formierung der westeuropäischen Modeme) oder sie bildeten den Ausgangspunkt für die Formulierung generalisierender Konzepte von "Stadt". Doch wenig Spezifi­sches. Auch in der neueren historischen Forschung wird keine spezifische Ty­pologie der "europäischen Städte" im interkulturellen Vergleich diskutiert. Denn die geographischen und kulturellen Grenzen schienen sich in der entscheiden­den Phase der Herausbildung der "modemen Stadt", die gemeinhin als tenden­ziell globales Phänomen betrachtet wird, zu verwischen. Überall schienen ähn­liche Bedingungen vorzuliegen. An vorderer Stelle zu nennen sind beschleu­nigtes Wachstum und die Mobilisierung der Bevölkerung sowie Industrialisie­rung und technologischer Wandel. Nur die Gestalt der Städte mochte weiterhin deutlich differieren, weshalb auch nach wie vor singuläre Stadtkonzepte kur­sieren (z.B. die kompakte historische Stadt in Mitteleuropa), die sich bevor­zugt an den äußeren Gestaltmerkmalen orientieren.

Eine solche Betrachtung kann den Auftakt fUr die künftige Strukturierung des Forschungsfeldes markieren. Bleiben wir beim Untersuchungsgegenstand der europäischen Stadt. Die allgemeinen Betrachtungen müssen einerseits auf bearbeitbare Fragen "heruntergebrochen" werden; andererseits müssen sie zu einem Weg fUhren, wie die unvermeidbar wertbezogenen Aussagen zu dem disziplinübergreifenden relevanten Phänomen "Stadt" begründet und zusam­mengefUhrt werden können. Der Weg der dekonstruierenden "Auflösung" von Stadtbegriffen fUhrt sowohl über die generalisierenden Konzepte als auch über die zu eindeutigen, singulären Konzepte hinaus. Ins Blickfeld rückt so eine multidisziplinäre Erforschung von Städten (etwa zwischen Historikern, Geo­graphen, Soziologen und Ökonomen) nach einem auszuhandelnden Konzept, das Entscheidungen über die historisch wesentlichen Merkmale trifft sowie die in Städten organisierten funktionalen Differenzierungen mit ihren physisch­räumlichen Substraten aufzeigt. Sie bleibt aber hierbei nicht stehen, sondern fragt zusätzlich nach Kontingenzen und spezifischen Pfadabhängigkeiten (zum Beispiel im Osten Deutschlands gegenwärtig nach den Charakteristika der Schrumpfungsprozesse ), weil sie darauf abzielt, die jeweiligen Eigenarten und

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Geschwindigkeiten der Entwicklung einzelner Typen von Städten in ihrem Vergleich herauszuarbeiten und zu erklären. Dazu können sozial- und kultur­wissenschaftliche Ansätze, aber auch steuerungs- und planungstheoretische Konzepte beitragen. Zusätzlich kann erprobt werden, inwieweit im Anwendungs­kontext stadttheoretischer Konzepte ausgewählte Repräsentanten der Verwal­tung, Wirtschaft, Kultur und aus Bürgergruppen an der Produktion der praxis­bezogenen Ergebnisse mitwirken.

Insgesamt ist damit eine Richtung eröffnet, die auf durchaus neue Weise­mit einem so gestrickten Forschungsprogramm im Sinne von Lakatos - zu raum­wissenschaftlichen Theoriebeiträgen und vergleichenden Analysen fuhren kann. Ein solches Forschungsprogramm hebt auch nicht ab in die wolkigen Höhen des bloßen sozialen Konstruktivismus. Es zieht zwar die Statik der herkömm­lichen Sichtweisen und Termini in Zweifel, sieht und anerkennt aber auch eine Eigenlogik und Widerständigkeit in der Ausprägung der physischen Räume. Dies ermöglicht eine - im besten Sinne - "Bodenhaftung", die für die raumwissen­schaftliche Forschung unverzichtbar erscheint.

3.4 Interdisziplinarität der raumwissenschaftlichen Forschung

Es ist ein alter Wunschtraum, komplexe Fragestellungen durch interdisziplinä­re Forschung besser beantworten zu können. Der Wissenschaftsrat plädiert seit Jahren in seinen Expertisen für den Ausbau der interdisziplinären Forschungs­organisation, in erster Linie bei der außeruniversitären Forschung, aber auch mehr und mehr bei den Hochschulen. Einerseits wird dabei auf die auszudeh­nenden Wechselwirkungen zwischen Wissenschaft und Gesellschaft, anderer­seits auf eine notwendige Erweiterung des thematischen Spektrums der geistes­und sozialwissenschaftlichen Forschung im Zusammenhang mit der steigenden Internationalisierung hingewiesen. Interdisziplinäres Arbeiten gilt in beiden Kontexten als produktiv. Für die raumwissenschaftliche Forschung erscheint dieses Anliegen besonders zwingend.

Doch nur ein nüchterner Blick legt in dieser Frage eine Spur, die zum Ge­lingen fUhrt. Zunächst impliziert das Attribut "interdisziplinär" eine klare Vor­stellung von "Disziplin". Was aber sind ihre unverwechselbaren Merkmale und vor allem ihre Grenzen gegenüber den Nachbardisziplinen, zum Beispiel bei der Geographie? Heckhausen hat vor Jahren hierzu vorgeschlagen, die Diszi­plinen als einheitsstiftenden Rahmen für einzelne Fächer anzusehen, wobei sie vor allem durch paradigmatische Theorien und Methoden bestimmt sind (Heck­hausen in: Kocka 1987). Dies eröffnet eine interessante Perspektive, die in der praktischen Forschungstätigkeit eine Rolle spielt: Ein und dasselbe Fach, zum Beispiel die Stadtsoziologie, könnte danach mehreren Disziplinen zugehören, je nachdem, welche Paradigmen der konkreten Forschungsarbeit zugrunde ge­legt werden; sie könnte etwa disziplinär der Logik der empirischen Sozialfor­schung und den empirisch gehaltvollen Theoriebeiträgen folgen oder aber der

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Hermeneutik und den phänomenologischen bzw. sozialphilosophisch ausgerich­teten Theoriebeiträgen.

Leider hilft diese Klärung noch wenig weiter. Denn die "Raumwissenschaf­ten" bilden keineswegs selbst eine Disziplin im Heckhausen'schen Sinne. Wäre dies so, dann könnten wir einfach die Vielfalt der fachspezifischen Bearbeitun­gen insgesamt unter das breite paradigmatische Dach dieser Einheitswissenschaft packen. Doch das geht nicht; die "Raumwissenschaften" sind zu breit und he­terogen angelegt. Die andere Entscheidung, Interdisziplinarität dann nach me­thodologischen Paradigmen zu bestimmen, also eine Kooperation zwischen unterschiedlichen Paradigmen zu postulieren, stellt uns jedoch auch vor fast unüberwindbare Hindernisse. Denn genau zwischen diesen fundamentalen Rich­tungen finden erfahrungsgemäß die schwächsten Austauschprozesse statt. Zu­dem sind deutliche Abgrenzungen zwischen den Disziplinen bzw. Paradigmen inzwischen eher die Ausnahme. Wir können zwar in grober Charakterisierung im Blick auf die Raumwissenschaften zumindest drei, nämlich ein naturwis­senschaftlich-ingenieurwissenschaftliches, ein empirisch-sozialwissenschaftli­ches und ein geisteswissenschaftliches Paradigma unterscheiden. Doch dazwi­schen werden zahlreiche Hybridformen praktiziert, die längst ein relatives Ei­genleben führen - vielleicht ist dieser Paradigmen-Mix bereits die adäquate Antwort auf die Sprachlosigkeit zwischen hermetischen Disziplinen.

Um die berechtigte Forderung nach Internationalisierung und nach thema­tischer Öffnung aufzugreifen, empfiehlt es sich (im Sinne einer Arbeit an einer "grounded theory"), die herkömmlichen Schwerpunkte der Raumforschung um eine breit verstandene kulturelle Dimension zu erweitern. Viele Theorieanstöße der letzten beiden Jahrzehnte lassen sich einem kulturwissenschaftlichen Kon­text zuordnen. Darin drücken sich neuere Markenzeichen des gesellschaftlichen Wandels aus (Informations- und Kommunikationstechnologien, Pluralisierung der Lebensstile, multi ethnische Heterogenität und Trennung etc.), aber auch deren Folgen für die Steuerbarkeit öffentlicher Aufgabenbereiche. Insgesamt plädiere ich daher auf Grund der Überlegungen zur Interdisziplinarität für ei­nen "cultural turn" der raumwissenschaftlichen Forschung - ein Votum, das die bereits vor längerer Zeit eingeleitete kulturelle Wende bei der (angelsächsischen) Geographie aufnimmt, aber auch die raumbezogene Ökonomie und Soziologie (Aydalot/Keeble 1988, Martin 1999, Noller 2000, Matthiesen 2002) mit ins Schlepptau nimmt. Zur forschungspraktischen Einlösung einer multi- bzw. in­terdisziplinären Arbeitsweise möchte ich vor dem Hintergrund der Erfahrun­gen in einem außeruniversitären Forschungsinstitut folgendes pragmatisches Vorgehen empfehlen:

(a) Einmal bieten sich immer wieder Gelegenheiten (innerhalb der Institute oder in Kooperation mit Fachkolleginnen und -kollegen in den Hochschulen oder im Ausland), gekoppelt an raumwissenschaftlich relevante Themen die her­kömmlichen Disziplinaritäten auf neue Weise wiederherzustellen. Das be­deutet, dass sich etwa Regionalgeographen, Wirtschafts geographen und

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Humangeographen, deren Gebiete sich wie Einzelfächer ausdifferenziert haben, im Zuge der Forschungsprozesse zusammenfinden und die Frage nach der Einheitlichkeit ihrer Disziplin fallweise zu beantworten versuchen. Dasselbe gilt für Stadtsoziologen, Kultursoziologen und Agrarsoziologen; ebenso für Stadtplaner, Raumplaner und Planungshistoriker. Das Interesse an einer gemeinsamen disziplinären Identität, die auf gemeinsam geteilten Theoriegrundlagen und Methodologien beruht, steht im Vordergrund.

(b) Hinzu tritt ein zweiter Typus, dass nämlich eine Kooperation zwischen un­terschiedlichen Fächern, die gemeinhin unterschiedlichen Disziplinen zu­gerechnet werden, jedoch mit ähnlichen Grundlagen ausgestattet sind, prak­tiziert wird. In diesem Sinne könnte Interdisziplinarität - ich folge einem Vorschlag von Jürgen Mittelstraß - als Erweiterung wissenschaftlicher Wahrnehmungsfähigkeiten verstanden werden (Mittelstraß 1998, S. 43). Am Beispiel der Zusammenarbeit zwischen Planungswissenschaftlern und Soziologen lässt sich dies verdeutlichen. Innerhalb des Metiers der Pla­nungswissenschaft gibt es einen Teilbereich, der als Bestandsaufnahme und Datengewinnung als Vorstufe der Planungsprozesse gekennzeichnet wird. Dieser Teilbereich wird von vielen Fachvertretern als der eigentliche Sek­tor der Forschungstätigkeit in Verbindung mit Planung definiert. Das heißt, um praktische Situationen für Planungszwecke zu erschließen, bedarf es der erforschenden Tätigkeit, der Datengenerierung, -auswertung und -ana­lyse. Wenn nun gleichzeitig eine Soziologin an einem solchen Forschungs­thema mitwirkt, könnte Interdisziplinarität dadurch zustande kommen, dass Planungswissenschaftler und Soziologin sich auf eine einheitliche Metho­dik verständigen, also zum Beispiel mit Methoden der empirischen Sozial­forschung arbeiten. Dies eröffnet gleichzeitig den Blick aufProblemlagen und Problementwicklungen, deren Besonderheit womöglich ohne diese Kooperation unerkannt bliebe. Eine Bereitschaft, so vorzugehen, sehe ich auch bei jenen Vertretern der Geo­graphie, die einer Kultur- bzw. Humangeographie mit epistemologisch plu­raler Ausrichtung das Wort reden (vorsichtig Blotevogel1997, konsequent Thrift 1996). Sie verfügen damit über die Voraussetzungen, um in einen frucht­baren Dialog mit Soziologie und Kulturwissenschaften zu treten. In ähnlicher Weise könnten im Hinblick auf normative Planungskonzepte interdisziplinäre Kooperationen zwischen Planungswissenschaftlern und Verwaltungswissenschaftlern praktiziert werden. Hierbei steht nicht, im Un­terschied zu (a), die disziplinäre Identität im Vordergrund, sondern das am Problem ausgerichtete, bewusst herbeigeführte Beschreiten neuer Wege, um das Problem besser verstehen, erklären und womöglich einer Lösung zuführen zu können.

(c) Ein dritter Weg knüpft stärker an die multidisziplinäre Vorgehensweise an.

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Hier geht es, im wohlverstandenen Sinne, um eine der Fragestellung ange­messeneArbeitsteilung zwischen Beteiligten aus mehreren Fachrichtungen.

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Ein Beispiel hatte ich zuvor bei den Überlegungen eines Forschungspro­gramms zu den europäischen Städten bereits erwähnt: Geographen, Ökono­men, Soziologen, Planer (oder andere) konstruieren aus den je disziplinä­ren Aspekten ein gemeinsames Konzept für eine Studie, die nach einer ebenfalls auszuhandelnden Methodik durchgeflihrt wird. Ähnlich können Studien zum Thema der "responsiven Regulierung", insbesondere zwischen Juristen, Ökonomen, Politikwissenschaftlern und Philosophen, konzipiert werden (ausführlich Bizer/FührlHüttig 2002). Im Mittelpunkt steht hierbei angesichts der Komplexität des Themas eine Vereinbarung zu Beginn des Vorhabens, der zu erzielende Synergieeffekt als Ziel wird Teil des Projekt­managements, muss aber systematisch offen bleiben, bis auch ggf. über die Gewichtung und Interpretation der Ergebnisse eine ähnliche Vereinbarung erreicht wird.

Dies sind drei Formen, wie interdisziplinäres Forschen im raumwissenschaft­lichen Kontext definiert werden kann. In allen Fällen wird sich herausstellen, dass der Erfolg dabei von der inneren Bereitschaft der beteiligten Wissenschaft­ler abhängt, sich interdisziplinär öffnen zu wollen; das Wagnis hierzu beginnt im Kopf. Und diese innere Haltung, die übrigens auch mitbedingt wird durch das "tacit knowledge", das in Fragen der wissenschaftlichen Arbeitsweise ver­fligbar ist, bildet sinnvollerweise auch den Maßstab flir die Intensität der inter­disziplinären Kooperation; Erfahrung lehrt, dass es allemal besser ist, die Er­wartungen nicht zu überfrachten.

Es wird sich aber noch ein Zweites herausstellen: Aufvielfaltige Weise sind die Chancen zum Austausch und zur Zusammenarbeit in den Zwischenräumen dessen angesiedelt, was uns nach der herkömmlichen Fächergliederung und Disziplinarität vertraut ist. Der Mut, sich auf solche Zwischenräume einzulas­sen, sie als Quelle adäquaterer Problemwahrnehmung und Lösungssuche zu begreifen, macht eine so verstandene Interdisziplinarität zum wertvollen kom­plementären Prinzip (denn disziplinäres Forschen wird es weiterhin auch geben). Und wenn die raumwissenschaftliche Forschung diesen Weg beschreitet und die dabei gemachten Erfahrungen kritisch auswertet, kann sie vielleicht einmal in den Einzugsbereich der letztlich wünschenswerten Transdisziplinarität ge­langen: "Als Forschungsprinzip verbindet die Transdisziplinarität die disziplinär organisierten Wissenschaften mit ihrer wissenschaftlichen Zukunft und zugleich mit einer Lebenswelt, deren innere rationale Form selbst eine wissenschaftli­che, d.h. eine durch den wissenschaftlichen Fortschritt bestimmte, ist." (Mit­telstraß 1998, S. 48)

3.5 Wissensgenerierung im Anwendungskontext

Ich möchte unter den neuen Elementen eines besonderen Typs der Wissenspro­duktion flir die raumwissenschaftliche Forschung vor allem die Generierung von Wissen im Anwendungskontext hervorheben. Dessen Bedeutung resultiert

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aus den Beobachtungen der faktischen Veränderungen in der Praxis der Wis­senschaft, die in heuristischer Weise zu allgemeinen Merkmalen eines neuen Modus der Wissensproduktion gebündelt werden (Nowotny 1990, Gibbons u.a. 1994). Eine für die raumwissenschaftIiche Forschung relevante Frage bezieht sich darauf, zu prüfen, inwieweit die Probleme der Theoriebildung mit dem Anwendungskontext der raumbezogenen Forschung verknüpft sein können.

(a) Üblicherweise wird wissenschaftliches Wissen im akademischen Kontext generiert, bestimmt von den Interessen einer spezialisierten "scientific com­munity". Problembezüge bestehen insoweit über die akademischen Praxis­Codes, sofern sie relevant sind für ein bestimmtes Fachgebiet. Dagegen wird im Fall inter- oder transdisziplinär ausgerichteter Forschung, die an kom­plexen Problemstrukturen ansetzt, ein breit verstandener, sozial strukturier­ter Anwendungskontext als 'Raum' der Generierung von Wissen bevorzugt. Traditionell war dies die Raumplanung (und hier existierte schon immer ein recht enger Anwendungsbezug), doch muss dieses Praxisfeld, wie ich zu zeigen versucht habe, erweitert werden. Der relevante Kontext kann im erweiterten Modus allgemein durch politisch-administrative, ökonomische oder gesellschaftliche Institutionalisierungen samt ihren Mischformen cha­rakterisiert sein. Problemlösungen werden dann im direkten Bezug zu sol­chen Anwendungsbereichen organisiert. Ein so erweiterter Anwendungs­kontext realisiert die soziale Tatsache, dass in der Wissensgesellschaft pro­fessionelles Wissen gerade nicht mehr Monopol der wissenschaftlichen Forschung sein kann. Wissen wird stattdessen von höchst verschiedenarti­gen Professionen an vielerlei Orten produziert, und es sind diese "epistemic cultures" (Knorr-Cetina), die auch das Feld der raumwissenschaftlichen Forschung prägen und konstruktiv aufgegriffen werden sollten. Doch wie steht es dann um die spezifische Wissenschafts-Rolle?

(b) Das so produzierte Wissen soll für einen angebbaren Adressatenkreis (in den Anwendungsbereichen) nützlich - oder zumindest nutzbar - sein (Nuissl 2000). Und dieser Imperativ soll von Anfang an den Forschungsprozess prägen.

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Die Nutzenkalküle in der Forschung, also die Verwendung raumwissen­schaftlichen Wissens, sind in unserem Feld vor allem an die Handlungslo­gik der staatlichen Instanzen und hier vor allem der für die räumliche Pla­nung eingesetzten "öffentlichen Stellen" gebunden. Diese Bindung unter­liegt jedoch gegenwärtig, wie bereits erwähnt, einer erheblichen Verände­rung. Die öffentliche Verwaltung ist gewiss weiterhin ein zentraler Adres­sat der Forschung, sie agiert jedoch mehr als früher kooperativ, moderie­rend und übernimmt im neuen Modus der Wissensgenerierung eine mit­konstituierende Rolle. Zudem ist die Wirksamkeit ihres Handeins erheb­lich davon abhängig, welchen Stellenwert die Raumpolitik im jeweils ak­tuellen Regierungsprogramm einnimmt. Die beteiligten Wissenschaften bieten insoweit forschungsbasierte Beratungs- und Serviceleistungen an.

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Gelten sie auf der Seite der Raumpolitik als willig (und kompetent), Pro­blemlösungskapazitäten für die Praxis bereitzustellen, erleichtert dies of­fenkundig ihre öffentliche Förderung. Hinzu treten andere Anwendergruppen, insbesondere aus bürgergesell­schaftlichen, wirtschaftlichen oder kulturellen Bereichen. Mehr Gewicht scheint in Zukunft die Mitwirkung - vielleicht sogar Kontrolle - der Öf­fentlichkeit an der Verwendung wissenschaftlichen Wissens zu erlangen. Es kann als ein Merkmal der anwendungsorientierten Forschung gelten, dass sie grundsätzlich akzeptiert, auf Wünsche und Befürchtungen aus dem Kreis der Öffentlichkeit, weniger der Medien- Öffentlichkeit als vielmehr der ge­sellschaftlichen Öffentlichkeit, zu hören und sich jeweils auch um einen entsprechenden Wissenstransfer zu bemühen. Das Maß der Bindung an alle Adressatengruppen ist nunmehr wesentlich offener gestaltet und muss von Fall zu Fall bestimmt werden.

(c) Wie können Verknüpfungen zwischen mehreren Wissens-Kulturen organi­siert werden? Das Wissen im Anwendungskontext wird in Aushandlungs­prozessen unter den beteiligten Akteuren und Gruppen gewonnen. Nur wenn deren heterogene Sichtweisen, Meinungen, Interessen berücksichtigt wer­den, kann diese Art von Wissensgenerierung gelingen. Wissenschaft stellt "links" her zu neuen Partnerschaften und muss, um diese Kooperationen pflegen zu können, die Fähigkeit entwickeln, nach unterschiedlichen Lo­giken und Strategien zu agieren. Dieses Vorgehen erscheint allerdings schwer einlösbar. Die Wissenschaft wird selbst die Verantwortung für die zu gewinnenden wissenschaftlichen Aussagen beibehalten wollen (und müssen); die Mitwirkung der Aushandlungspartner bleibt somit auf methodenfreie Wissensgenerierung begrenzt und es ist dann Sache der beteiligten Wissenschaftler, die Relevanz dieses neuen Wissens für die wissenschaftlichen Aussagen zu formulieren. Ein Ausweg bietet sich da­durch an, dass das zu gewinnende Wissens-Produkt von vornherein als nicht­wissenschaftlich definiert wird, auch wenn Wissenschaftler daran mitwirken (das knüpft an die Tatsache an, dass ohnedies in der öffentlichen Verwal­tung und in staatlichen Einrichtungen Mitarbeiter beschäftigt sind, die sehr wohl über qualifizierte wissenschaftliche Ausbildungen, Theorie- und Methodenkenntnisse verfügen). Doch auch dann bleibt die Praktizierbarkeit solcher Aushandlungsprozesse begrenzt. Aufkeinen Fall werden sie konti­nuierlich praktiziert werden können. Es wäre - im Sinne von Sozial­experimenten - bereits viel gewonnen, wenn sich im Kontext einzelner Projekte oder Expertisen solche Aushandlungen mit bescheidenen Teilzielen hinsichtlich gemeinsamer Ergebnisse organisieren ließen. Im Aushandlungs­prozess spiegeln sich dann - im Sinne eines Wissens-'Marktes' - sowohl Angebots- als auch Nachfragefaktoren wider. Die begrenzte Mitwirkung relevanter Gruppen ermöglicht, dass das entstehende Wissen sozial diffun­diert, dass es insbesondere, geeignet vermittelt, einsickern kann in die ge-

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seIlschaftlichen Kreise. In der Raumforschung liegen hierzu erste Erfah­rungen vor durch Mitarbeit von Forschergruppen an "Runden Tischen", durch Vorhaben des Experimentellen Wohnungs- und Städtebaus (allerdings unter staatlicher Regie), durch die Mitgestaltung und Auswertung von in­formellen Regionalkonferenzen oder durch praxisorientierte Forschungs­vorhaben der Europäischen Union.

(d) Am Prozess der Wissensgenerierung im Anwendungskontext sind verschie­dene Fachgebiete beteiligt. Sie tragenje eigene Leistungen bei, naturwissen­schaftlich geprägt, ingenieurwissenschaftlich, rechtswissenschaftlich oder sozial- und kulturwissenschaftlich; letztere sind den Aspekten der sozialen Distribution von Wissen besonders eng verbunden, nicht nur reflexiv, son­dern auch im Hinblick auf die Herstellung von Bedeutungen. Hier erweisen sich die verschiedenen Objektbereiche der mitwirkenden Fächer als konsti­tutiv für die Mitgestaltung der Anwendungsvorgänge. Planungsrecht und Städtebau werden stark instrumentell auftreten und die Praktikabilität ihres Fachwissens hervorheben. Soziologie, Sozialpsychologie und Ethnologie werden darlegen, dass sie Aussagen über das Handeln von Menschen in ihren sozialen Verhältnissen in den Vordergrund rücken. Die Humangeographie wird die räumliche Verteilung von relevanten Sachverhalten aufzeigen und Ver­bindungslinien zu den beiden erstgenannten Fachgruppen zu ziehen versu­chen. Die raumbezogene Ökonomie wird sich, in Abkehr von den nach wie vor dominanten Modellaussagen, der Begründung von normativen, insbe­sondere dem Nachhaltigkeitsprinzip verpflichteten Konzepten zuwenden. Daneben zählen, wie erwähnt, nicht-wissenschaftliche Akteure zu den Be­teiligten; sie vertreten staatliche, wirtschaftliche oder bürgergesellschaftli­che Interessen, bringen Problemsichten, Erfahrungswissen, technisches Know-how ein. Aus dem Zusammenspiel der heterogenen Beteiligten kann sich nach und nach eine besondere (hybride) "community" herausbilden; sie ist in unterschiedlicher Ausprägung kennzeichnend für den raumbezogenen Anwendungskontext. Doch wir vermögen kaum anzugeben, wie dieses kom­plizierte Zusammenspiel am effektivsten organisiert werden sollte.

Für die beteiligten Wissenschaften bedarf es einer guten Ausbalancierung zwischen einer disziplinär verankerten, stabilen Identität und der sich entwi­ckelnden inter- und transdisziplinären Kompetenz. Dies erfordert individuell eine hohe Bereitschaft zu Anpassungsfahigkeit. Was im interdisziplinär ange­legten Anwendungsfeld entsteht, erscheint anfangs unstrukturiert und bunt ge­mischt; der Forschungsprozess bedarf einer Organisationsweise, die diese Ele­mente verdichten und gewichten hilft. Ich möchte diesen Modus insgesamt nicht "induktiv" sondern "reflexiv" nennen, denn durch die Anwendungsfelder sieht sich die Wissenschaft mit ihren eigenen Resultaten konfrontiert und sie erkennt komplexe Praxissituationen, die sie zu weiteren wissenschaftlichen Analysen und Vorschlägen auffordern.

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3.6 Der ostdeutsche Wissenschafts- und Anwendungskontext

Einen besonderen Anwendungskontext bieten seit 1990 die Situationen in den ostdeutschen Ländern. Ausgelöst durch die Umbruchprozesse sind regionale und gebietsbezogene Themen in teilweise neuen Ansätzen und in multidiszi­plinärer Methodik bearbeitet worden. In der Forschungsarbeit begegneten sich zwei unterschiedliche Kulturen: Ost und West; nicht nur zwei Wissenschafts­kulturen, sondern auch zwei Raumkulturen, denn beide Seiten erlebten die Pro­duktion wie die Aneignung von politischen, ökonomischen, sozialen Räumen sehr verschieden. Dass produktive wissenschaftliche Arbeiten den Umweg über oft mühsame Verständigungsprozesse zu nehmen hatten, beleuchtet nur eine Seite dieser Erfahrungen. Schlagartig wurde den Beteiligten auch ein neues Fenster aufgemacht, nämlich - in den Worten von AdolfMuschg aus dem Jahr 1982 (!) - "Deutschland als Aufgabe, als unerledigtes Geschäft aller Deutschen" zu begreifen. Das gilt auch flir die unterschiedlichen Dimensionen der "Raum­frage".

Der ostwärts gerichtete Blick hat interessante Untersuchungen zur räumli­chen Restrukturierung und den damit verbundenen Steuerungsaufgaben (mit einem besonderen Schwerpunkt in den Grenzregionen) erbracht. Es ist umfang­reiches empirisches Wissen über die spezifischen Situationen der ostdeutschen Städte, Landschaften und Regionen aufbereitet worden - ein Wissen, das auch flir Realisierungsschritte einer nachhaltigen Entwicklung nutzbar gemacht wer­den kann.

Bei der öffentlichen räumlichen Planung dominiert bisher eine gebiets­bezogene und geometrische Planungsauffassung, die auf den seinerzeitigen Import des westdeutschen Planungssystems zurückzufiihren ist, allerdings of­fenbar auch einem ausgeprägten Regelungsbedürfnis der ostdeutschen Planer­profession entgegenkommt. Dennoch gelang es der raumwissenschaftlichen Expertise partiell, im Anwendungskontext die Nachfrage nach einem breiteren raumwissenschaftlichen Wissen zu wecken oder in gemeinsamen Verhandlungen neben den formalen Planungserfordernissen neues Wissen zu generieren. In zahlreichen Studien, die oft gleichzeitig politikberatenden Charakter hatten, wurde die Arbeit an Fragen der räumlichen Entwicklung in Netzwerken und informellen Arbeitsgruppen unterstützt, wurde zudem die Leistungsfähigkeit solcher Handlungsformen kritisch ausgewertet.

Was freilich in den spezifischen Anwendungskontexten noch nicht himei­chend entwickelt zu sein scheint, ist - im lokalen und regionalen Maßstab -ein bfugergesellschaftliches Selbstbewusstsein. Es ist fast mit Händen zu greifen, dass die jahrzehntelangen Defizite an Partizipation und eigenveratwortlicher kommunaler Selbstverwaltung sich negativ auf die Handlungsfähigkeit gegen­über Problemen der Stadtentwicklung, der Wohnungswirtschaft, der regionalen Stabilisierung auswirken. Darauf ist in einem späteren Kapitel über die Mög­lichkeiten erweiterter Governance-Formen zurückzukommen. Hier ist der Be­fund entscheidend, dass die raumwissenschaftlichen Strategien, gerade wenn

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sie sich gegenüber Anwendungskontexten öffnen, sofort auf Hindernisse tref­fen oder ins Leere laufen.

In einer Studie des Berliner Wissenschaftszentrums (GläserlHöppnerlPuls 1995) ist vor allem eine "Widerspenstigkeit der Substanz" als Grenze des wis­senschaftlichen Institutionentransfers (und damit des Transformationsprozes­ses) herausgestellt worden. Damit sind die besonderen Kompetenzen, Wissen­schaftsauffassungen, Methoden und Mentalitäten der ostdeutschen Wissen­schaftskollegen gemeint. Im Hinblick auf eine gewünschte "Passfahigkeit" ge­genüber dem vom Westen übergestülpten formalen System hätte sich diese "Sub­stanz" als sperrig erwiesen. Kann solche "Widerspenstigkeit" als bloße Ein­schränkung interpretiert werden? Sind das mithin "constraints", die ein Institut daran hindern, so zu forschen, wie dies unter allgemeinen wissenschaftlichen Kriterien geboten wäre?

Hier fanden und finden wechselseitige Prozesse der Entzauberung statt. Das ehemalige Selbstverständnis der DDR-Wissenschaftler mit raumwissenschaft­lichem Bezug wurde, unvermittelt dem rauen Wind der entgrenzten wissen­schaftlichen Dispute ausgesetzt, schwer erschüttert, und bis heute konnte diese Erschütterung nicht von allen in der Forschung Tätigen kompensiert werden. Auf der anderen Seite unterlagen auch die aus dem Westen kommenden Wis­senschaftlerInnen durchaus spürbaren Verunsicherungen und Einschränkungen, als es um die angemessene Erfassung und Interpretation eines spezifischen Transformationsgeschehens ging. Es verdient somit bei Forschungsvorhaben von Fall zu Fall eine sorgfaltige Prüfung, unter welchen Bedingungen sich eine "sperrige Substanz" (die ja selbst ihren Wandlungen unterliegt) auch als vor­teilhaft für die neu gestellten Aufgaben erweisen kann. In diesem Sinne ist auf viele spannende Lernprozesse zu verweisen.

4 Das Besondere der "Raumwissenschaften "

Das spezifische "Fenster" zum Raum, in seiner Vielgestalt und paradigmatischen Veränderbarkeit, soll hier noch etwas näher charakterisiert werden. Es handelt sich zum Teil um Folgerungen, die sich aus den beiden vorangegangenen Kapi­teln gewinnen lassen, zum Teil geht es um zusätzliche Argumentationsstränge.

4.1 Multidisziplinäre Bearbeitungen

Von raumwissenschaftlicher Forschung zu sprechen macht nur Sinn, wenn da­mit von vornherein die Mitwirkung mehrerer Disziplinen gemeint wird. Das bedeutet nicht, dass jede raumbezogene Frage multidisziplinär bearbeitet wer­den muss. Es gibt immer wieder Einzelfragen, die aus guten Gründen disziplinär

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zu untersuchen sind. Doch konstitutiv fiir raumwissenschaftliche Forschung soll die Multi- oder Interdisziplinarität sein. Die in der Einleitung problemati­sierte Heterogenität in unserem Forschungszusammenhang wird somit nicht preisgegeben; sie muss allerdings qualifiziert und zusammengeführt werden.

Der gemeinsame Bezugspunkt liegt in der Spezifität des Forschungsfeldes, wie es in Kapitel 3 charakterisiert wurde. Und darauf gründet sich ein besonde­res langfristiges Forschungsprogramm, das sich auf die räumlichen Lebensbe­dingungen sowie die räumlichen Entwicklungschancen unterschiedlicher Sied­lungsformen und Gebiete erstreckt. Hierfür geeignete Raumbegriffe sind nach meinem Verständnis in einem weiten Sinne sozialwissenschaftlicher Art. Sie umspannen die Beiträge aus mehreren Disziplinen, zu denenje nach Fragestel­lung weitere Spezialfächer hinzutreten sollten (z.B. Ästhetik oder Sozialpsy­chologie). Doch immer geht es um Fachbeiträge, die sich aufräumlicheAspek­te in ihren sozialen Bezügen richten, das heißt, die das Leben, das Wirtschaften, die Mobilität der Menschen betreffen. Die "Raumwissenschaften" rücken da­her zu Recht in die unmittelbare Nähe der Wirtschafts- und Sozialwissenschaf­ten. Rein ingenieurwissenschaftliche (bauliche) oder rein naturwissenschaftli­che (geologische, biologische) Sachverhalte, ebenso philosophisch-geisteswis­senschaftliche Reflektionen zum "Raum" (mit Ausnahme der Planungs- und Stadtgeschichte) sind nicht konstitutiv - wenn auch manches Mal als ergän­zende oder provozierende Sicht willkommen. Schnittmengen gibt es zu den Umweltwissenschaften, die im mitteleuropäischen Kontext überwiegend natur­wissenschaftlich ausgerichtet sind; bei den "environmental studies" im angel­sächsischen Bereich oder bei der Humanökologie zeichnet sichjedoch eine eher raumwissenschaftliche Akzentuierung ab.

Eine zentrale Stellung nimmt die Human- oder Sozialgeographie ein. Sie hat sich in den letzten Jahrzehnten mehr und mehr von einer deskriptiven zu einer analytisch arbeitenden und normative (Planungs-)Konzepte entwerfen­den Teildisziplin entwickelt. In Verbindung mit den anderen raumwissenschaft­lich relevanten Disziplinen kommt es zu spannenden Hybridformen, so bei der Neuen Ökonomischen Geographie oder der Politischen Geographie. In ähnli­cher Weise hat sich die Ökonomie "hybridisiert". Die Regionalökonomie oder die klassische Raumwirtschaftstheorie haben zwar an Bedeutung eingebüßt; dafür sind mit der Ökologischen Ökonomie oder der Geographischen Ökono­mie neue Forschungszugänge entstanden. Und die Soziologie hat mit der Pla­nungssoziologie, der Stadt- und Regionalsoziologie, Soziologie und Ökologie, Wirtschaftssoziologie seit längerem raumbezogene "links" aufgebaut. Ein ge­meinsames Merkmal solcher hybriden Feld-Definitionen besteht in der ambi­valenten Haltung der betreffenden Forschergruppen: zwar sich auf die multi­disziplinär zu bearbeitenden Raumthemen einzulassen und doch an den disziplinär typischen Theorie- und Methodensets festzuhalten. So erweisen sich die praktizierten Forschungsansätze als ein Such- und Lernprozess ohne klares Terrain.

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4.2 Das "Bodenständige" im raumwissenschaftlichen Forschungs/eId

Der Untersuchungsgegenstand der raumwissenschaftlichen Forschung beginnt (und endet) mit den territorial-physischen Sachverhalten. Darüber wölben sich mehrere Schichten räumlicher Beziehungen mit weiteren Raumkonzepten, die jedoch immer einen Bezug zu den Raumkonzepten mit "Bodenhaftung" auf­weisen sollten. Tun sie dies nicht, zerfließt das Spezifische der "Raumwissen­schaften" und die Abgrenzung zu (nicht-physischen) disziplinären Objekt­bereichen ist nicht mehr möglich. Mit den zusätzlichen Schichten räumlicher Beziehungen (dem eigentlichen Gegenstand sozialräumlicher Transformation) ist jedoch gleichzeitig eine Alternative zur Nähe einer besonderen Ressortpolitik als dem bestimmenden Merkmal der herkömmlichen Raumforschung aufgezeigt (ohne dass der Anwendungsbezug der Forschung deshalb aufgegeben werden müsste). Diese Differenz ist für alle diejenigen Einrichtungen konstitutiv, die wie an den Hochschulen oder den außeruniversitären Instituten ihrem Auftrag nach keine Ressortforschung betreiben.

Ich beziehe mich im Folgenden auf Positionen des Planungsrechts und der Sozialgeographie einerseits, der Grundlagen zu einem gesellschaftlichen Raum­konzept (Läpple 1991) andererseits.

• Anknüpfend an die früheren Staatswissenschaften und an den Begriff des Staatsgebiets richtet sich - typisch für die deutschsprachigen Länder - die hoheitlich regulierende und ordnende raumwirksame Tätigkeit auf" Ge­biete" unterschiedlicher Art. Lendi (2000) weist nachdrücklich auf diesen ursprünglichen Bezug hin, auch wenn er sieht, dass inzwischen mehrere Raumbegriffe dabei sind, dem Begriff "Gebiet" den Rang abzulaufen. Es sind in Deutschland die Gebietskörperschaften (Bund, Länder, Kommu­nen), denen die Aufgabe zukommt, das für "ihr" jeweiliges Gebiet Erfor­derliche zu veranlassen bzw. zu lenken, also Flächenplanungen, Standort­ausweisungen, Infrastrukturinvestititionen zu betreiben und so die rechtli­che Qualität des Bodens verbindlich zu regeln (insoweit auch mit einem direkten Bezug zu Art. 74 Nr. 18 des Grundgesetzes). Auf diese Weise er­klärt sich die Dominanz der flächenbezogenen, hie und da dreidimensio­nalen Raumauffassungen; die Räume als "Behälter" werden jeweils durch Grenzen gerahmt und enthalten örtliche Fixierungen - zwei Merkmale, die schon bei Georg Simmel als Raum-Merkmale genannt werden (Simmel 1995). Immer dann, wenn die politisch gesetzten Grenzen eine Rolle spie­len, erscheinen die Handlungsräume als Gebiete. Je mehr die Bedeutung der politischen Grenzen sinkt, desto weniger bleiben Gebiete untersuchungs­bzw. gestaltungsrelevant.

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Gebiete umschließen weiter die Gesamtheit des materiell-physischen Sub­strats aus meist standortgebundenen Artefakten, der materiellen Naturan­eignung sowie der dort angesiedelten Menschen selbst in ihrer Leiblich­keit. Gebiete mit ihrer territorialen Beschaffenheit, mit ihren Orten und ihrer

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physisch-materiellen Ausstattung bilden somit die erste Ebene des raum­wissenschaftlichen Gegenstands.

Eine zweite Ebene bilden die an Flächen, Standorte und Gebäude gebun­denen Nutzungs/ormen. Durch ein kompliziertes Geflecht an rechtlichen Regelungen wird bereits der Grundstücksverkehr, auch wenn er grundsätz­lich dem privaten Eigentumsrecht unterliegt, gelenkt, und zwar insoweit, als öffentliche Interessen berührt werden. Nutzungsentscheidungen werden sodann, die privaten Verfügungsrechte ergänzend bzw. bindend, durch Festlegungen der räumlichen Planung (Baunutzung, Landnutzung, Wege­nutzung) getroffen. Das betrifft Standorte fiir Wohnen, fiir Gewerbe, für Infrastruktur und Verkehr, fiir Freizeit und Naherholung, alles Teilberei­che, die seitens der räumlichen Planung als "Funktionen" bezeichnet wer­den. Diese Aneignung von Sachanlagen geschieht üblicherweise zum Zwe­cke ihrer (meist ökonomisch definierten) Nutzung. Bei "Nutzungen" han­delt es sich allerdings meist um soziale Sachverhalte der daran beteiligten Menschen, um Formen sozialer Syntheseleistungen, die unter anderem an physische Gegebenheiten gebunden sind; es wird gewohnt, gearbeitet, ge­reist. Wir haben es daher mit einer Subklasse allgemeiner Interaktions- und Handlungsstrukturen zu tun. Und mit diesen Nutzungsweisen entstehen selbstverständlich Freiräume und Flexibilitäten. Dennoch ist auf dieser Ebene die (mehr oder weniger intensive) Bindung der Nutzungen an phy­sisch-materielle Sachanlagen konstitutiv. Eine besondere Aufmerksamkeit verdienen die öffentlichen Räume: Landschafts- und Freiräume, Stadträume, neuerdings informationstechnisch vemetzte Räume (auch wenn bei ihnen die Hardware-Seite kaum noch ins Gewicht fallt). Ihre Nutzung bringt stän­dig komplexe Fragen nach dem Charakter und Umfang privater Verfügungs­rechte oder aber nach der Notwendigkeit öffentlicher Regulierung hervor. Kapitel 5 wird diese Aspekte vertiefen.

Eine weitere Ebene bilden die mit dem materiellen Substrat und den Nut­zungen verbundenen räumlichen Zeichen-, Symbol- und Repräsentations­systeme. Sie ermöglichen das perzeptive oder kognitive Identifizieren von sozialen Funktionen, zum Beispiel von Eigentümer-Botschaften, von Macht­interessen, von ästhetischen Qualitäten, von historischen Raumtraditionen. Sie verkörpern darüber hinaus - darauf hat insbesondere Linde (1972) hin­gewiesen - spezifische "Gebrauchsanweisungen" fiir die Nutzung, ohne die das Verhalten im Raum, die Raumaneignung als individuelle und kollektive Syntheseleistung nicht rational, nicht koordiniert zustande kommen könnte. In einer medialen Welt übernehmen gerade die öffentlichen Räume eine Rolle als "Werbeträger", die hie und da andere Nutzungszwecke in den Hintergrund treten lässt und daher oftmals umstritten ist. Oder aber sie büßen, bei einem weiteren Bedeutungszuwachs virtueller Räume, partiell genau diese Zeichen­und Symbolfunktion ein, verbunden mit dem Trend, die öffentliche Aufmerk­samkeit an ihrer Qualität und Funktionalität abzuziehen.

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Ich beschränke mich zunächst auf diese dreistufige Mehrebenen-Beschreibung, denn alle weiteren, darauf aufbauenden Teilsysteme - seien es Norm- und Re­gelungsformen (Institutionen), seien es Handlungs-, Integrations- und Konflikt­potenziale - beziehen sich auf Raumkonzepte, die meiner Einschätzung nach jenseits des "Proprium" der Raumwissenschaften angesiedelt sind: juristische Raumkonzepte (Runkel 1994, Ritter 1998), soziale Raumkonzepte (Giddens 1988, Bourdieu 1991), gesellschaftliche Raumkonzepte (Läpple 1991, Castells 1994, Noller 2000), ökonomische Raumkonzepte (Krugman 1995, Martin 1999, Spehl 2000). Doch gerade in Verbindung mit ihnen verwandeln sich die anson­sten rudimentär bleibenden drei Ebenen in eine spannungsreiche, die For­schungshorizonte öffnende Programmatik.

Die deutsche Raumforschung hat sich immer wieder auf die Sichtweisen und Sprachregelungen der raumpolitischen Praxis eingelassen. Sie untersuchte daher überwiegend einen je dreidimensionalen geometrischen (euklidischen) Raum. Dieser Raum wurde, vor allem wegen der damit verbundenen Funktionszu­schreibungen und Planungsaufgaben, als in sich geschlossene, in ihrer Gestalt und Nutzung fixierte, mit klaren Bedeutungen ausgestattete Konfigurationen begriffen. Im Mittelpunkt standen und stehen daher Standorte, Zentrale Orte, 'Achsen' und 'Korridore', 'Ringe' und 'Gürtel', Zonierungen, Bebauungsraster etc. Nur die Raumordnung, inzwischen häufiger transnational ausgerichtet, geht von offeneren, auf Austauschbeziehungen gründenden Raumkonzepten aus. Heute kann es im Zuge der europäischen Gesamtentwicklung nur um erweiterte und dynamisierte Konzepte der räumlichen Entwicklung gehen. Unter dem Blickwin­kel sozialräumlicher Sachverhalte käme es vor allem darauf an, im Sinne einer "fraktalen Geometrie" die Tatsache zu akzeptieren, dass das Alltagsleben wie das Handeln relevanter Akteursgruppen in splitterhaften Räumen mit höchst unter­schiedlichen Strukturen, Dynamiken und Werteordnungen organisiert wird.

Die Raumplanerinnen und Raumplaner, disziplinär meist auf dem Städte­bau fußend, sehen durchaus hinter den physisch-räumlichen Eigenschaften auch andere Bedeutungs- und Praxisschichten. Doch sie befassen sich mit ihnen nur indirekt. Das rächt sich, denn die damit verbundenen Fragen bleiben so expli­zit von den Gestaltungs- und Konfliktentscheidungen ausgeklammert. So wird zum Beispiel einfach unterstellt, dass räumliche Konzepte für die sozialen Beziehungen, auf die sie einwirken, geeignet seien. Oder man orientiert sich eher an der räumlichen Organisation individueller Verhaltensroutinen, so dass auf relationale Aspekte nicht geachtet zu werden braucht. Ebenso wird unter­stellt, dass die durch räumliche Konzepte bewirkten physischen Bedingungen rur die Bewegung menschlicher Körper geeignet seien. Die Rede vom "Men­schen als Maßstab" fiir Architektur und Städtebau meint diesen Aspekt, wird jedoch üblicherweise nicht zur Diskussion gestellt. Selten kommt es auch zu einer ausdrücklichen Thematisierung der hinter den konkreten Raumkonzep­ten wirkenden gesellschaftlichen Kräfte, die letztlich die Produktion des Rau­mes bestimmen und für die zeitliche Geltung räumlicher Entscheidungen ver-

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antwortlich sind. Alle derartigen Bezüge sind aber für eine gehaltvolle Analyse räumlicher Prozesse und Konzepte erforderlich.

Mein Vorschlag sieht daher vor, das Besondere der Raumwissenschaften genau in der ZusammenjUhrung der drei "bodennahen" Konzept-Ebenen mit den sie überschreitenden, sie jedoch durchdringenden weiteren disziplinären Raumkonzepten zu sehen. Auf diese Weise wird es gelingen, die gesellschaft­liche Relevanz der "Raum frage" , das heißt, der Auseinandersetzung mit Fra­gen der räumlichen Entwicklung stärker hervorzuheben. Wenn wir Politik und Öffentlichkeit entschlossener durchs Haus der Wissenschaften führen, dann sollten wir auf das "Fenster zum Raum" besonders aufmerksam machen und nicht stumm bleiben, wenn achtlos vorübergegangen wird. Auch "unser Fens­ter" macht das Haus heller!

Welche Überlegungen auf diese Weise deutlicher ins Zentrum der Aufmerk­samkeit rücken, zeigen die nachfolgenden Abschnitte.

4.3 Die gewandelten Raumauffassungen

Die Geschichte des besiedelten Raumes sowie die zuvor skizzierten konzeptu­ellen Überlegungen geben uns Hinweise darauf, dass im Zeitablauf in unter­schiedlicher Weise über "Räume" gesprochen wurde. Das Raumverständnis, die (bildhaften) Repräsentationen von Raumeinheiten und die Konstruktion fachlicher Raumkonzepte haben sich erheblich gewandelt. Ich knüpfe hier un­mittelbar an die klärenden Vorarbeiten von Georg Simmel (1995, ursprünglich 1903), Alexander Gosztonyi (1976) und Dieter Läpple (1991) an. Neuerdings sind hierzu innerhalb des deutschen Diskurses einige weitere Grundlagentexte erschienen (Wentz 1991, Nol1er 1999, Sturm 2000, Löw 2001, Matthiesen 2002), die anzeigen, dass sich die Fachwissenschaften wieder verstärkt der Theoriebildung zu Raumdynamiken zuwenden. Die ursprünglichen Raumkonzepte entstanden historisch aus der existenziellen Auseinandersetzung mit den Eigenschaften und Bedrohungen des "Naturraums" . Die Menschen lernten, durch technische Mittel und geplantes Vorgehen die widrigen Umstände so zu beeinflussen, sie so zugänglich zu machen, dass aus ihnen räumliche Strukturen im Sinne zivilisatorischer Produkte entstanden. In vielen Situationen der Dritte-Welt-Länder findet sich dieser Ausgangszustand heute noch vor, wie wir andererseits in den fortentwickelten Gesellschaften immer wieder durch Naturereignisse auf die Brüchigkeit der erzielten "Zivili­sationsräume" gestoßen werden.

Nach und nach sind dann vor allem über Konzepte der Geometrisierung Modelle für Raumstrukturen entwickelt worden, und diese bildeten die Grund­lage für Gestaltungsregeln, für rechtliche Instrumente, für räumliche Planung. Der "geometrische Raum" wird im Allgemeinen als dreidimensional aufgefasst, erst neuerdings erweitert um die vierte, zeitliche, Dimension. Er liegt, wie ich gezeigt habe, bis heute vielen Auffassungen zugrunde, die uns mitteilen wollen, wie die Gegenstände der räumlichen Gestaltung und Nutzung beschaffen seien.

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Und der größte Teil des fachwissenschaftlichen Wissens, das rur die Steuerung und Kontrolle der Raumstrukturen eingesetzt wird, fußt auf Annahmen über geometrische Eigenschaften (obwohl sie nur in einer Annäherung an die Sub­stanz-Qualitäten von "Raum" heranruhren können). Solche Auffassungen er­scheinen für die neuen Fragestellungen nicht mehr himeichend.

Notwendig ist eine überschreitende Sicht auf die soziale Konstruktion von Räumen. Seit Einsteins Relativitätstheorie und seinem Konzept des "Feldes" betrachtet die Physik die (objektivierte) Raumstruktur und die (subjektive) Raumkonstruktion, die die zeitliche Dimension einschließt, als zwar analytisch unterscheidbare, aber theoretisch nicht mehr trennbare Aspekte. Die Geome­trisierung kann zwar zu Aussagen fUhren über die physikalische Innenseite räum­licher Sachverhalte einerseits, deren technisch-rationale Strukturierung (von Landkarten bis zu virtuellen Beziehungsräumen) andererseits. Doch dazwischen liegt der weite Bereich der sozialen Anschauungen, der räumlichen Erfahrun­gen, der raumwirksamen Praxis - kurz: der sozialen Raumkonstruktion in vie­lerlei Facetten. Gerade die lebensbezogene, soziale Qualität räumlicher Ver­hältnisse bleibt geometrischen Konzepten entzogen.

Der Weg zu einer Neuorientierung der raumwissenschaftlichen Forschung ruhrt daher nur über Raumkonzepte, die das einlösen, was Gosztonyi etwas wolkig "geistige Matrix" genannt hat und was als weiterruhrender Vorschlag von Läpple als "Konzept gesellschaftlicher Räume" formuliert worden ist. Hier­bei kann zusätzlich an humangeographische Vorschläge von Nigel Thrift (1996) angeknüpft werden, der von Kontextanalysen im Sinne sozial konstruierter Zeit­Räume ausgeht, in die Objekte und Subjekte in bestimmter Weise eingebunden sind, und der Theorien der Praxis, vor allem Interaktions- und Akteurstheorien, als entscheidende Erklärungsmuster rur räumliche Entwicklungen auffasst.

Angesichts der Dynamik moderner Entwicklungen sind die Geschichts- und Gesellschaftswissenschaften aufgefordert, die Gefahr der "retrospektiven Illu­sion" (Merleau-Ponty) zu vermeiden, also nicht mit Hilfe abstrakt-logischer Begriffiichkeit eine Präsenz zu konstruieren, von der aus frühere Sachverhalte betrachtet, analysiert, interpretiert werden. Wir verHiIschen die menschlichen Erfahrungen früherer Epochen, wenn wir sie mit dem heutigen Blick betrach­ten. Noch wichtiger erscheint mir allerdings die Aufforderung, auch eine Art von "prospektiver Illusion" zu vermeiden. Wir kleben an einem Instrumentari­um von Begriffen, Methoden und Theorien, die wir im Allgemeinen ohne wei­tere Begründung rur geeignet halten, um neu auftretende Phänomene erfassen, erklären und verstehen zu können. Diese Haltung ist auch in der traditionellen Raumforschung verankert; sie muss unter dem Eindruck veränderter Raum­relevanzstrukturen dringend korrigiert werden.

Im Ergebnis bedeutet dies eine radikale Transformation der geometrisierten Raumkonzepte. Es wird zu einem anders konstituierten Typus von raumwissen­schaftlicher Forschung kommen.

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4.4 Raum-Zeit-Konfigurationen

Die räumlichen Entwicklungen verlaufen stets zeitgebunden. Auch wenn räum­lichen Verhältnissen häufig eine hohe Dauerhaftigkeit zugeschrieben wird (und dies nicht selten der Ursprung ist fur Erinnerungen einerseits, fiir bauliche Ver­mächtnisse andererseits), so ist doch bei der Betrachtung der menschlichen Interaktionen prinzipiell von einer starken Verschränkung zwischen Raum und Zeit auszugehen. Bei der Unterscheidung verschiedener Ebenen sollte daher nicht nur von Raumkategorien, sondern von unterschiedlichen Raum-Zeit-Kon­figurationen gesprochen werden (z.B. der metropolitane Raum, definiert nach dem Maß einer zeitlichen Erreichbarkeit von Orten fiir einzelne Kategorien von Nutzern). Es zeigt sich dann, dass sowohl geographische Einheiten als auch zeitliche Einheiten entweder gedehnte oder geschrumpfte Ausprägungen zei­gen können und dass die so entstehenden Konfigurationen ihrerseits wiederum einem Strukturwandel unterliegen. Die versteinerten Verhältnisse des Raumes - so eine durch Nigel Thrift geschickt abgewandelte berühmte Metapher -können dadurch zum Tanzen gebracht werden, dass man ihnen die Melodie der Zeit vorspielt.

Wir unterliegen heute dem Eindruck einer sich permanent weiter beschleu­nigenden räumlichen Entwicklung. In diesem Sinne gilt es festzuhalten, dass der Realprozess der "Globalisierung", oft noch unbemerkt, zu einer Trennung von Raum und Zeit gefuhrt hat: Im selben Augenblick können riesige Entfernungen überbrückt werden, zumindest bezogen aufInformationen und Bilder. Dadurch hat sich eine bisher unbekannte Dynamik der Modeme aufgetan, die zu dem fuhrt, was Anthony Giddens "disembedding", d.h. die Auflösung der "Einbettung" in die Spezifik der Anwesenheitszusammenhänge, genannt hat. Es sind spezielle neue Institutionen entstanden, die Raum und Zeit auf ganz neue Weise zu koordinie­ren haben (z.B. Internet, Börsenberichte, Fernseh-Aktualitäten) und die so die ortsgebundenen Gewohnheiten und Praktiken "leer" machen. Die Maßeinheit Zeit verflüssigt alle ökonomischen Vorgänge, Logistikprobleme treten an die Stelle der ortsgebundenen Organisation, menschliche Interaktion wird ebenfalls mobiler und dank technischer Mittel wesentlich beschleunigt. Damit stellen sich neuartige Anforderungen an die Gestaltung und Kontrolle der so ausgefullten räumlichen Gelegenheitsstrukturen.

Der historische Rückblick in Kapitel 2 zeigt noch eine andere raum-zeitli­che Erfahrung. Manche Erscheinungsform der räumlichen Entwicklung erwies sich im historischen Verlauf als einmal bedeutsam, dann wieder als nebensäch­lich. So haben die Marktplätze in den Städten bis zur beginnenden Industriali­sierung mit Recht die Aufmerksamkeit der Händler wie der Stadtbaumeister auf sich gezogen, denn sie übernahmen fiir die Stadtökonomie eine zentrale Funktion. Heute gelten sie vor allem als kulturelle und touristische Besonder­heit, während die Zentralität der Stadtökonomie über ganz andere Raum-Zeit­Muster organisiert ist. Das lässt sich fur andere Teilbereiche ebenso aufzeigen, fur Industriestandorte, für Einrichtungen der Infrastruktur, fur Dienstleistun-

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gen, für die markanten Wahrzeichen der Städte, für das Wohnen, für Freizeit und Naherholung etc. Die Dynamik der räumlichen Verhältnisse, die ihre Viel­fältigkeit, ihre Spannungsrnomente, ihre Planbarkeit, ihre Verfalls- und Neu­bildungsprozesse einschließt, erweist sich so als eine wichtige Dimension des allgemeinen Zivilisationsprozesses.

4.5 Raumkonzepte mit Substanz

Eine der wesentlichen Grundeinsichten zum Thema "Raum" liegt darin, dass nur durch Hinzufügen qualifizierender Attribute eine hinreichend konkrete Begriffiichkeit entsteht, mit der gearbeitet werden kann. Dann wird die Kate­gorie "Raum" substanziell gefüllt ("substantive concepts"), wird sie mit Hilfe von Attributen nach einzelnen Dimensionen (wirtschaftlich, politisch, sozial, kulturell, physisch) und Funktionen (Siedlung, Freiraum, Verkehr etc.) auf ge­fächert. Es zeigt sich, dass die strukturprägenden gesellschaftlichen Formatio­nen immer ihren spezifischen räumlichen Ausdruck fanden. Politischer, öko­nomischer, kultureller und sozialer Wandel vollzieht sich wesentlich auch in räumlichen Entwicklungen, in Raumbildungen, oder stellt veränderte räumliche Anforderungen. Veränderte räumliche Rahmenbedingungen zeitigen ihrerseits Wirkungen (impacts) auf die konkreten ökonomischen, sozialen und kulturel­len Lebensverhältnisse. Daraus resultiert ein gesellschaftlicher Bedarf an räum­lichen Ordnungen sowie an öffentlich verantworteter (häufig staatlicher oder kommunaler) Steuerung und Planung. Diese Gesamt-Kennzeichnung ist durch die neueren Entwicklungen nicht hinfällig geworden.

Die zentrale Herausforderung sehe ich darin, Raumkonzepte zu entwickeln, die geeignet sind, um die Impacts der umfassenden globalen Strukturwandlun­gen, partiell auch deren Mitgestaltung, disziplinübergreifend zu untersuchen. Hier ist insbesondere an den wegweisenden Theoriebeitrag von Henri Lefebvre zu erinnern (Lefebvre 1991, urspr. 1974): Die "Produktion von Raum" geschieht nach diesen globalen Impacts, die sich nach abgestuften "scalings", das heißt, auf den verschiedenen Maßstabsebenen bis hin zur lokalen Ebene durchsetzen, dabei aber auch modifiziert, ergänzt oder erwidert werden können. Lokalität steht also nicht in einem alternativen Gegensatz zu Globalität, sondern beide Merkmale sind als einander wechselseitig durchdringend zu analysieren.

Die so induzierten Veränderungen können in ihrer Tragweite und in ihren Transformationsfolgen noch lange nicht überblickt werden. Ungehinderte Kapital­flüsse, die Entflechtung lokal verankerter Herrschaftsverhältnisse zwischen öf­fentlicher Hand und wirtschaftlichen Akteuren, die Herausbildung neuer Qualifikationsstrukturen und die Neuformierung von lokal entbundenen strate­gischen Allianzen oder Netzwerken führen insgesamt zu massiv veränderten Akteurskonstellationen. Durch die dramatisch aufgeworfenen Fragen nach öffent­licher Sicherheit haben diese ökonomisch bedingten Impacts eine zusätzliche, eigenständige Dimension erhalten; konzeptuelle Antworten hierzu werden ohne

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Zweifel räumliche Bezüge einschließen. Und alle diese Wandlungen bewirken eine Neubestirnrnung der Orte, der Gemeinden, Städte und Stadtregionen.

Die Untersuchung von "flows", von netzartigen Beziehungsmustern und von kulturellen Gehalten räumlicher Strukturen bedarf eigener räumlicher Be­griffe und geeigneter Analysekonzepte. Bisherige vertraute Begriffe gehören auf den Prüfstand und müssen gegebenenfalls reformuliert werden. Was kann unter den neuen Bedingungen eigentlich gemeint sein mit 'Stadt', mit 'Zentrali­tät', mit 'Peripherie', mit 'Gemeinwesen', mit 'Mobilität', mit 'Region', mit 'Res­sourcen', mit 'Raumplanung' etc.? Institutionentheoretische Ansätze scheinen einen Teil dieser Forschungsperspektive einlösen zu können; doch weitere Kon­zepte, wie sie insbesondere zwischen den Disziplinen entstehen, werden erfor­derlich sein. Im nachfolgenden Kapitel 5 sind dazu einige Vorschläge enthal­ten. Theorien der Praxis, d.h. Handlungs- und Akteurskonzepte, werden viel­leicht ergiebiger werden als strukturalistische oder funktionalistische Beiträge.

Bei diesen Strukturwandlungen handelt es sich, wie erwähnt, keineswegs um einseitige Top-down-Vorgänge. Zu beobachten ist seit einigen Jahren ein steigendes Interesse an der Bedeutung von "Plätzen" und "Iocal districts". Die lokalen und regionalen Kontexte erhalten zwar durch neue überörtliche Mus­ter eine andere Funktionszuweisung. Doch umgekehrt scheinen die örtlichen Qualitäten nicht nur eine unverziehtbare Voraussetzung für die entgrenzten Deh­nungen räumlicher Beziehungen zu bilden, sondern auch einen Eigensinn des besonderen Ortes anzuzeigen. Zu dessen Charakterisierung wie zur Handha­bung der damit verbundenen Steuerungsfragen benötigen wir revidierte Raum­konzepte; einige davon werden im Kapitel 6 skizziert. Die kulturellen, sozialen und symbolischen Bedeutungen treten offenbar gegenüber den materiellen (harten) Funktionen von Flächen, Standorten und Distanzüberwindungen in den Vordergrund. Gleichzeitig stellen sich durch ökologische GeHihrdungen, orga­nisatorische Überlastungen und öffentliche Unsicherheit zusätzliche Anforde­rungen an den "Ordnungsfaktor Raum", wie er po litisch gestaltet und im Alltags­leben der Menschen synthetisiert werden muss.

4.6 Institutionensysteme und räumliche Planung

Die Zivilisierung der räumlichen Entwicklung verlief immer auch über Steue­rungs- und Regelungsinstrumente. Hierbei variieren die Pfadentwicklungen stark nach demjeweiligen Staatsverständnis der einzelnen Gesellschaften. Das deut­sche System fußt auf einern relativ hohen Anteil staatlicher Regulierung - inso­fern mit Bezügen zum französischen, österreichischen oder auch niederländi­schen System - und erweist sich nun seit der weiteren Ausgestaltung ab 1960 als überfordert und zu kompliziert. Dies zeigte sich unter anderem an der En­bloc-Übertragung des westdeutschen Planungsrechts auf die ostdeutschen Län­der ab 1990; sie brachte ambivalente Resultate hervor, wenig räumliche Ord­nung und Rechtssicherheit auf kommunaler Ebene, wenig wirksame, weil um-

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ständliche Planungsprozesse aufüberörtlicher Ebene. In den kommenden Jahren wird auf die zusätzlichen institutionellen Ausgestaltungen auf der Ebene der Europäischen Union zu achten sein. Diese scheinen sich stärker an den Merk­malen der angelsächsischen Planungstradition, mit einer Betonung der Verfah­rensaspekte, auszurichten. Insgesamt werden heute mehr und mehr informelle Planungen oder andere (indirekte) Steuerungsformen eingesetzt, so dass die Konturen einer stärker deregulierten Planungskultur in Europa sichtbar werden.

Gerade veränderte Planungskulturen öffnen den Blick fiir einen Bedeutungs­zuwachs der substanziellen Raumkonzepte. Sie sind weniger fixiert auf die formalrechtlichen Regelungsbereiche, sondern vermögen als Ordnungsfaktor und als Ressource fiir flexible, aber auch effiziente institutionelle Arrangements zu wirken (Held 1999).

Hinzu treten die Konsequenzen, die sich aus den veränderten Raumkon­zepten im Zuge der globalen Strukturwandlungen ergeben. Durch die europäi­sche Integration, durch die wachsende Rolle der Fachplanungen sowie durch eine stärkere Steuerungskompetenz privater Eigentümer oder Investoren steI­len sich insgesamt Anforderungen an die Fortentwickung der räumlichen Pla­nung.

Das Verhältnis zwischen Forschung und Anwendung, zwischen Wissen­schaft und Politikberatung gerät durch die Veränderungen im Staatsverständnis und in den staatlichen Institutionensystemen ins Trudeln. Die deutlichere Öff­nung staatlichen Handeins gegenüber zivilgeseIIschaftIichen Formen von Selbst­steuerung und Selbstorganisation bleibt nicht ohne Wirkung auf die anwendungs­orientierte Forschung. Geforscht wird nämlich nicht mehr rur die Politik (als staatliche Steuerung), Forschung selbst ist Teil von Politik (als "enabling state"), und zwar häufig auch in einem wesentlich erweiterten (europäischen) Zusam­menhang. Also muss auch das Verhältnis zwischen raumwissenschaftlicher Forschung und Politik neu bestimmt werden. Einen Beitrag dazu liefert das Kapitel 7 über Governance-Formen.

4.7 Themen der zukünftigen raumwissenschaftlichen Forschung

Das räumlich Offene spielt sich - im beginnenden 21. Jahrhundert tritt dies mit moderner Mobilitäts- und Kommunikationstechnik immer klarer zutage - in den Metropolräumen, in den Stadtregionen, in den Peripherien, in den vernetz­ten Wirtschaftsregionen ab. Hierüber benötigen Akteure und Planer Wissen aus genauen Fallstudien, aus verlässlichen Beobachtungsdaten (Zeitreihen) und internationalen Vergleichen.

(a) Ausgelöst durch die urbane Dezentralisierung und die europäische In­tegration stellen sich neuerdings fiir die besiedelten Räume auf der Ebene von Regionen eigenständige Aufgaben. Mehr und mehr haben Verflech­tungsbeziehungen in ökonomischer und sozialer Hinsicht zur Antwort auf regionale Fragmentierungen und zur Regionenbildung beigetragen; viele

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ökologische Probleme lassen sich nur regional erfassen und bearbeiten. Re­gionaleArrangements dienen mehr und mehr den Akteuren der EU-Politik als Terrain für eine top-down-initiierte Steuerung, die meist mit einem In­stitutionenwandel einhergeht. Die Bildung von Regionen, ihre Handlungs­fähigkeit, ihre Übernahme von Funktionen gegenüber den Kommunen ei­nerseits, den nationalen bzw. transnationalen Stellen andererseits werfen komplexe Fragen auf, die der Erwiderung mittels neuer raumbezogener Konzepte bedürfen. Das Bewusstsein, über differente Regionalisierungsprozesse wieder Sub­jekteigenschaften erlangen zu können, ist bei zahlreichen Akteursgruppen gewachsen. Freilich bleibt bis jetzt unklar, wie politische Steuerungen einer so verstandenen Regionalpolitik - strategisch ausgerichtet, legitimiert und verbindlich - etabliert werden können (falls Regionen nicht identisch sind mit den Ländern der Bundesstaaten, die ja ihr hoheitliches Planungssystem zur Verfügung haben).

(b) Die Städte bleiben herausragende "Räume", schon allein deshalb, weil etwa in West- und Südeuropa nahezu achtzig Prozent der Bevölkerung in Städ­ten leben. Betrachtet man die Städte als ein engmaschiges Gitter, in wel­chem Ströme des Austauschs fließen, so scheinen sie den wesentlichen Ort der gesellschaftlichen Dynamik zu verkörpern. Ihr gegenwärtiger Wandel erstreckt sich weniger aufbauliche Maßnahmen (vom beschleunigten Auf­und Abbau kommerzieller Einrichtungen und von einer Anpassung der Woh­nungskapazitäten in schrumpfenden Regionen abgesehen) als vielmehr auf veränderte Funktionen, auf ökologische Probleme und neue Formen der räumlichen Organisation. Es wird in den kommenden Jahrzehnten vor allem in den osteuropäischen Ländern zu untersuchen sein, wie sich dort die Städtesysteme entfalten und vernetzen werden, um für die tief greifenden Veränderungen, die mit dem EU-Beitritt verbunden sind, gewappnet zu sein. Offenbar erhalten viele Städte einen anderen Status durch die sozialexpe­rimentellen Formen einer sich vernetzenden urbanisierten Gesellschaft; dazu besteht Forschungsbedarf. Dieser muss die Frage einschließen, ob die mit der neuen technologischen Entwicklung einhergehenden Restrukturierun­gen womöglich an den Städten vorbei Fuß fassen und ungeachtet der her­kömmlichen Raumstrukturen das gesellschaftliche Leben prägen. Zu erin­nern ist an die kulturgeschichtliche These, dass Städte keineswegs uner­lässlich waren für die zivilisatorische Evolution. Das soziale System, das Wirtschaft und Politik benötigen, kann möglicherweise losgelöst von den räumlichen Mustern der Städte organisiert werden - eine, zugegeben, dra­matische Frage, denn sie fordert dazu heraus, sich (prospektiv) mit Fragen alternativer Raummuster, aber auch von Verfall, Desintegration und Ge­walt in den herkömmlichen Städten zu befassen.

(c) Eine besondere Aufmerksamkeit in der Forschung verdienen - ich folge hier den Vorschlägen von Castells (2002) - die verschiedenen symbolischen

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Kodierungen, wie sie als neue Erfindungen gesellschaftlicher Kommuni­zierbarkeit in städtischen Kontexten wirksam werden. Unterscheidbar sind danach physische Texturen (z.B. neue Formen von baulicher Monumenta­lität oder symbolischer Zentralität, andere Erkennungsmarken für "Plätze"), soziale Muster der Kommunikation (z.B. in Orten oder Räumlichkeiten mit "Soziabilität", die öffentlich oder teil-öffentlich zugänglich sind), elektro­nische Netzwerke als Kommunikationsformen (z.B. aufbauend auf den Internet-Möglichkeiten). Besonders die Schnittstellen ("interfaces"), das Zusammenwirken dieser drei Aspekte, können neuartige räumliche Entwick­lungen kenntlich machen, die in ihrer Kommunikation fördernden als auch, über segmentierte Infrastruktur, soziale Fragmentierungen auslösenden Charakteristik näher untersucht werden sollten. Diese dreifache Kodierungs­typik kann um die Frage nach veränderten Netzen räumlicher Mobilität erweitert werden. Castells spricht insgesamt von "Hybrid-Städten", resul­tierend aus dem Ineinandergreifen von "Flows"- und "Platz"-Eigenschaf­ten. Wie funktionieren sie? Wer nimmt wie daran teil? Wer übt wie Macht aus? Welche Herausforderungen entstehen hieraus für die Instrumentarien der Steuerung und Planung?

(d) Die seit den 90er Jahren einsetzende Neuausrichtung der Planungskulturen, partiell in ihrer europäischen Gestalt, erfordert erweiterte Planungsanalysen (siehe Kap. 10). Die hermetische Logik der öffentlich-rechtlichen Planungs­systeme, wie sie rur den deutschsprachigen Raum kennzeichnend waren, wird durch die zunehmende Rezeption der Governance-Konzepte aufge­brochen. Neue Akteurskonstellationen und offene, über Netzwerkaktivitäten organisierte Konsensbildungen mit Steuerungswirkungen treten häufig als informelle Instrumentarien zur formellen Planungs- und Steuerungspraxis hinzu. Auf diese Weise geraten die Prozessmerkmale im Vergleich zu den Zielen stärker in den Blick. Meiner Auffassung nach findet, noch meist unbemerkt, dadurch eine langsame Annäherung an das angelsächsische Pla­nungsverständnis statt. Solche Trends sind keineswegs unproblematisch, schaffen sie doch neue Herausforderungen für die Legitimation und Ver­bindlichkeit von Steuerungsentscheidungen. Unklar bleibt bisher auch, in­wieweit auf den verschiedenen Maßstabsebenen neue Kompetenz­regelungen getroffen werden, deren Folgen wiederum zu erforschen sind. Ein konstruktiver Beitrag zur Neubestimmung leitender Begriffe entsteht dadurch, dass in wichtigen Basistexten "dekonstruierend" die ihnen häufig unterlegten Sub-Texte aufgedeckt werden, so dass sie "frei" werden für ver­änderte Formulierungen und Semantiken.

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Ein Beispiel liefern Sätze aus der an praktischen Planungsfragen ausgerichteten Ausarbeitung eines anerkannten Experten (Lendi 2000). Er schildert die Differenz zwischen der auf"Gebiete" bezo­genen räumlichen Planung und der durch Raumbegriffe (ohne Be-

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zug zu staatlichen Grenzen) erweiterten Sichtweise, die er zwar für verständlich. aber planungsinstrumentell nicht beherrschbar hält. Dann heißt es abschließend· "Die Gegenüberstellung von Gebiet und Raum, von Staatsgebiet und Räumen, ist theorierelevant und theorie­wirksam . ... Die Theorienwelt der Raumplanung muss lernen, mit der staatlich gebietsbezogenen und der echt räumlichen, also grenzunabhängigen Planung zu arbeiten. Sie muss darüber hinaus verstehen, wie sehr wachsende Entstaatlichung und Entrechtlichung der Raumplanung zu schaffin machen. " In doppelter Hinsicht lässt sich den Sätzen ein Sub-Text entnehmen: Einmal spricht hier die Sorge des mit rechtlichen Normen arbeitenden Planers, der versucht, die (theorierelevanten) erweiterten Raumbegriffo mit dem vertrau­ten Korsett der gebietsbezogenen Planung in Einklang zu bringen (ohne angeben zu können, wie das gehen könnte); zum Zweiten dis­tanziert er sich vom Geschäft der Theoriebildung, insofern dieses nicht sens ibel die Not berücks ichtigt, die sich für die Planungs praxis aus den Deregulierungstrends ergibt. Die Frage ist, ob sich aufdiese Weise die Konsequenzen aus einem veränderten Raumverständnis hinreichend einlösen lassen; ich denke, eher nein, denn es dominiert eine defensive Haltung.

(e) Weitere Themen er~eben sich selbstverständlich aus den Relevanzen der Einzeldisziplinen. Uber diese ist hier aber nicht zu referieren.

Drei verschiedene "Blickfänge"

Es bleibt die Aufgabe der folgenden drei Kapitel, beispielhaft darzulegen, wel­che aktuellen, multidisziplinär konstruierten Ansätze und Konzepte uns zur Ver­fUgung stehen, um die erweiterten Fragen einer raumwissenschaftlichen Forschung einlösen zu können. Damit wird Folgendes deutlich: Das "Fenster zum Raum" fcillt als Metapher komplex aus - es gewährt und eröffnet mehrere Durchblicke oder "Blickfange", es lenkt die Blicke auf selektive Ausschnitte räumlicher Sach­verhalte, es impliziert eine synchrone und eine diachrone Komponente, das heißt, je nach Dauer oder Zeitpunkt der "Fensteröffnungen" geraten Dynamik, Prozessualität und Pfadentwicklungen der räumlichen Sachverhalte in den Blick.

So konstruierte "Blickfänge" werden mit Hilfe von drei heuristischen Leit­begriffen näher entfaltet, einmal als "Spacing" (Kapitel 5), anschließend als "Place-making" (Kapitel 6) und drittens als "Govemance" (Kapitel 7). Es han­delt sich nicht um Zugangsweisen, die sich gegenseitig ausschließen. Vielmehr entstehen analytisch unterscheidbare Blickrichtungen ("Scheinwerfer"), durch welche die Gegenstände der raumwissenschaftlichen Forschung inje besonde­rer Weise ausgewählt und gefärbt werden. Oft erweisen sich die Konturen kom­plexer Sachverhalte als besser erkennbar, wenn mehrere "Scheinwerfer" ein­geschaltet werden.

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Zweiter Abschnitt: Blickfänge aktueller Themen sozialräumlicher Transformation

5 Spacing: Institutionelle Ressourcen der Regionalisierung

Mit dem leitenden Begriff des "Spacing" sollen alle Bestrebungen bezeichnet werden, die raumrelevante Akteure für eine inszenierte Raumbildung ergrei­fen. Sie verfolgen damit die Absicht, eine funktional unzureichende räumliche Organisation zu verbessern oder sie nach eigenen Interessengesichtspunkten umzuändern.

Ich fasse den Begriff "Spacing" somit breiter, als er etwa im raumsoziolo­gischen Diskurs hie und da Verwendung findet (Löw 2001). Konstitutiv für Raumbildungen sind in meiner Sicht nicht nur das Platzieren von sozialen Gütern und Menschen bzw. das Positionieren symbolischer Markierungen (die die Situiertheit von Gütern und Menschen anzeigen), auch nicht in erster Linie das Errichten, Vermessen oder Bauen, um diese Platzierungen zu realisieren. Als konstitutiv für "Spacing"-Prozesse soll vielmehr jede Art und Weise der pro­zessualen raumstrukturierendenAusgestaltung oder Ordnung gelten, insbeson­dere durch Regelsysteme oder durch Institutionengefüge der raumbildenden Akteure, wobei die jeweiligen Fixierungen (Platzieren, Positionieren) deren Bestandteil sind.

"Spacing" findet auf allen drei Ebenen statt, die als typisch für das "Bo­denständige" der Raumwissenschaften benannt wurden (Kapitel 4): als Neu­bestimmung, Widmung und Abgrenzung von Gebieten oder Flächen, als Insze­nierung von Nutzungsformen durch Verfügungsrechte oder Zugangsregelungen, als Kodierung von (oft machtbestimmten) Repräsentationssystemen oder Ge­brauchsanweisungen. Im Mittelpunkt stehen insbesondere wirtschaftliche und öffentliche (kommunale) Räume. Für Raumbildungen besonders relevant er­scheint die institutionelle Organisation von Gemeinschaftsgütern. Durch Spa­cing-Prozesse werden solche Räume gewissermaßen "zugerichtet", für den an­gestrebten Zweck in Szene gesetzt, präpariert, mit Qualitäten ausgestattet. Es handelt sich um Prozesse zur "Produktion von Raum" (Lefebvre 1991). Das zentrale Produktionsmittel, neben Kapital und Arbeit, sind die institutionellen Bedingungen, unter denen Raumproduktion herbeigeführt werden kann.

Spacing-Prozesse werden hier in erster Linie auf der Maßstabsebene der Regionalisierung konzeptualisiert. Damit knüpfe ich einerseits an das Giddens'sche Konzept der "regionalisation" (bei dem die Frage der Maßstäb­lichkeit allerdings unklar bleibt) als raumproduzierendem Prozess an, anderer­seits beziehe ich mich auf die seit etwa einem Jahrzehnt vermehrt stattfindende

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Debatte um die Herausbildung regionalisierter Raumstrukturen. Unterhalb der nationalstaatlichen Ebene, jedoch die lokale Ebene übergreifend, haben sich auf neue Weise Raumformierungen mit Koordinierungs- und Steuerungs­versuchen entwickelt. Sie stehen offenbar unter dem Ziel, die Voraussetzungen fiir eine bessere TragHihigkeit regionaler Teilräume, fiir die Stabilisierung regio­naler Fragmentierungen sowie für eine eigene regionale Handlungsfähigkeit zu klären. Ein wichtiger Teil dieser Voraussetzungen umfasst die mobilisierbaren Ressourcen. Darüber hinaus scheinen - wie die bisherigen Analysen erkennen lassen - die Bemühungen vor allem von den regionalen Entwicklungspfaden wie auch vom regional verfiigbaren "sozialen Kapital" abhängig zu sein. Diese drei Faktoren sind institutionell verfasst und geben einen Korridor vor, inner­halb dessen die Spacing-Prozesse stattfinden und der bei Regionalanalysen zu berücksichtigen ist.

Was insbesondere die Ressourcenfrage angeht, so sind in der Perspektive der Politischen Ökonomie nach wie vor grundlegend die Aussagen zur konsti­tuierenden Rolle von Gütern, Kapital und Information bei der Strukturierung von (regionalisierten) Räumen und den in ihnen entwickelten sozialen Bezie­hungen (Lerebvre 1991, Merrifield 1993, Harvey 1993, Smith 1990). Diese Pro­zesse bei der Produktion von ökonomischen und sozialen Räumen verlaufen simultan über mehrere Maßstabsebenen. Sie sind heute mehr und mehr durch globale Verflechtungen sowie in unserem Umfeld durch europäische Binnen­marktstrategien gekennzeichnet. Sie begünstigen selektiv einzelne ("starke") Regionen oder Konzentrationen, ermöglichen deren" Aufstieg", lösen dadurch gleichzeitig in benachbarten Teilräumen (oder sogar verdeckt in den prosperie­renden Zentren selbst) Prozesse der Peripherisierung aus, in deren Folge sich disparitäre Entwicklungen festsetzen (Smith 1990). Ihren je konkreten Ausdruck finden diese Prozesse vor allem in der Funktion von "places" (einschließlich der darin realisierten Baustruktur). Die "places" bilden Kristallisationsorte, die aufweiträumige Beziehungen ausstrahlen. Sie sind in unterschiedliche Raum­strukturen eingefaltet, und die miteinander verbundenen "places" bringen den strukturierten Raum als Ganzes hervor (siehe dazu weiter Kapitel 6).

Es ist wichtig, sich in dieser Sicht klarzumachen, dass die Güter-, Kapital­und Informationsströme transregional oder gar global zirkulieren und jeweils auch Momente ihrer fixen Bindung an "places" realisieren, diese aber auch wieder aufgeben können. Die lokalen oder regionalen Fixierungen dürfen je­doch im Bezug auf Spacing-Prozesse nicht in ihrem isolierten (reifizierten) Eigenleben betrachtet, sondern müssen in ihrer Abhängigkeit von übergreifen­den Makroprozessen analysiert werden. Es zeigt sich, dass es der Forschung oft schwerfällt, den Impact solcher Prozesse in den häufig durchgefiihrten Vor­Ort -Studien herauszuarbeiten.

Die Regionalwissenschaften, da von vornherein multidisziplinär angelegt, bieten zu "Spacing" ein recht uneinheitliches Bild. Einige Stränge mit theoreti­schen Konzepten lassen sich als institutionentheoretisch orientiert zusammen­fassen (BenkolDunford 1991, Krätke 2001). Neuere raumsoziologische Struk-

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turierungsansätze beziehen sich auf Giddens' Makrotheorien und verbinden diese mit der Konstruktion neuer raum-zeitlicher Konzepte (LashlUrry 1994, Löw 2001). Die inzwischen deutlicher erkennbare Ökonomische Geographie ver­steht sich als konzeptuelle Antwort auf eine neoklassische Ökonomie, die ihre Modellkonstruktionen zäh verteidigt und kaum bereit ist, räumliche Dimensio­nen einzubeziehen. Die Geographen betonen daher seit einigen Jahren die kul­turellen und sozialen Konstitutionsbedingungen von Wirtschaftsräumen (Lee/ Wills 1997, Martin 1999), verstehen insbesondere die wirtschaftlichen Aktivi­täten als eingebunden in kulturelle, soziale und politische Kontexte.

In einem theoretisch breit fundierten raumwissenschaftlichen Ansatz der Raum-Zeit-Geographie (Thrift 1996) werden zahlreiche relevante Konzepte zur Untersuchung des Spacing vorgeschlagen. Hervorzuheben ist vor allem die be­deutsame Rolle von "agencies", das heißt, die Anerkennung der akteurtheore­tischen Seite, neben der historisch-institutionellen Seite, bei der Rekonstruk­tion von Raumbildungen. In Verbindung mit der Aktor-Netzwerk-Theorie (CalIon 1991, Law 1986, Latour 1991) kann Thrift zeigen, wie sich die "Über­setzung" alltäglicher Praktiken in umfassendere Prozesse der sozialen Forma­tion, die von Macht geprägt und mittels sozio-technischer Intermediäre struk­turiert werden, rekonstruieren lässt. Ich komme auf diesen Theoriebeitrag zu­rück (Kapitel 6.3 und 10).

Doch insgesamt betrachtet sind diese Beiträge außerordentlich heterogen. Immerhin lässt sich als eine ihrer zentralen Thesen festhalten (Lee/Wills 1997), dass die Einbettung lokaler und regionaler Ökonomien eine Schlüsselrolle bei der Erklärung gelingender oder aber reduzierter regionaler Entwicklung spie­le. Dies drücke sich vor allem aus durch das Maß an "institutional thickness", womit die Dichte und Bandbreite der formalen Organisationen sowie der in­formellen Regeln, Routinen, Normen und Praktiken bezeichnet wird, an denen sich die regionalen Akteure ausrichten. Die so gezähmten Kräfte des ökonomi­schen Spacing stünden allerdings immer wieder im Konflikt mit raumwirksamen Ausgestaltungen, die "eigensinnig" kulturell oder sozial geprägt sind. Neben dieser zentralen These geraten durch die Kontextuierung der Regionalisierun­gen historische Rekonstruktionen, insbesondere von Pfadentwicklungen, stärker in den Blick wirtschaftsgeographischer Analysen.

Die Bedeutung der Pfadabhängigkeit sowie der "institutionellen Ordnung" bei Spacing-Prozessen im Sinne der Regionalisierung wird in der deutschen Debatte von Rehfeld (1998), Kujath (2000) oder Krätke (2001) hervorgeho­ben. Sie verweisen insbesondere auf die wichtige Rolle von regionalen Ver­flechtungsbeziehungen, von Netzwerken und Kooperationen, die es den indivi­duellen wirtschaftlichen Akteuren erst zu ermöglichen scheinen, stabile Pro­duktionsbedingungen zu entwickeln. Mit dieser Sicht wird das Konzept regio­naler Produktionssysteme rezipiert, wie es in der kalifomischen Wirtschafts­geographie vertreten wird (Storper 1997, Scott 1998). Offen bleibt derzeit noch die Frage, ob dies auch rur den Dienstleistungsbereich so gelten kann. Auf die unterschiedlichen Netz-Konzepte komme ich noch zu sprechen.

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Bei allen konzeptuellen Bemühungen um interrelationale Regionalisierungen darf der Blick nicht auf die häufige Konfliktstruktur der Spacing-Prozesse verdeckt werden. Das Eigentümerrecht, Land zu nutzen und zu entwickeln, also auf diese Weise auch zur Raumbildung beizutragen, kollidiert oft mit öffentlichen, über­geordneten Gesichtspunkten. In der Regel sind es spezielle planungsrechtliche Verfahrenskonzepte, die als geeignet für ein Konfliktmanagement angesehen werden (Healey 2001). Dies gilt auch für regionale Raumbildungen, zum Bei­spiel in Gestalt eines Flussgebietsmanagements, bei dem es vor allem darum geht, zwischen einem politisch inszenierten Handlungsraum und den konfligierenden Interessen der beteiligten Kommunen vermittelnde Lösungen zu finden (Moss 2000). So erweist sich der Konfliktcharakter von Spacing-Prozessen als ein we­sentliches Merkmal der Raumbildung, das in einem Spannungsverhältnis steht zu den eher kooperativ angelegten Regionalisierungsstrategien.

Ich konzentriere mich im Folgenden auf eine genauere Explikation der in­stitutionellen Spacing-Aspekte. Dazu werde ich drei Typen von theoretischen Konzepten genauer schildern, mit deren Hilfe wesentliche Strategien zur Ge­staltung der Spacing-Prozesse rekonstruiert werden können: Aneignungs-Kon­zepte (5.1), Zugangs-Konzepte (5.2) und Netzbildungs-Konzepte (5.3). Sie werden am Schluss auf einige aktuelle Konfliktthemen angewandt sowie hin­sichtlich zentraler Aussagen bzw. Variablensets, wie sie für Modellierungen wichtig sind, zusammengefuhrt. Die Folgerungen, die sich hieraus für die Raum­politik und die Steuerungs formen ziehen lassen, sind im Governance-Kapitel 7 enthalten.

5.1 Aneignungs-Konzepte

Diese Konzepte nehmen ihren Ausgang von der als essentiell zugrunde geleg­ten "Bodenhaftung" der raumwissenschaftlichen Analyse. Es geht in erster Li­nie um Formen der Aneignung von physischen Ressourcen. Solche Aneignun­gen fußen vielfach aufVerfugungsrechten an Grund und Boden, an Gebäuden, an Gewässern, ebenso an anderen Güter- und Vermögenswerten. Sie können sich aber auch, ohne rechtliche Legitimation, durch faktische Inbesitznahme und deren Duldung herausbilden. "Aneignung" soll hier in einem finalen Sinne verwendet werden: Die Verfugenden eignen sich physische Bestandteile der Umwelt an, um sie im Hinblick auf erwünschte Raumproduktionen einzuset­zen. Die Summe der so gebildeten Raumproduktionen interessiert hier vor allem als regionalisierter Zusammenhang.

Von vornherein zu ergänzen ist, dass es dabei in regionalwissenschaftlicher Sicht nicht nur um Verteilungs- oder Nutzungsaspekte von Ressourcen geht. Die Raumproduktion mittels Aneignung von Grund und Boden oder bewegli­chen Gütern stellt vielmehr komplizierte Anforderungen an institutionelle Lö­sungen, mit deren Hilfe organisatorisch-betriebliche Vorteile sowie häufig auch Repräsentationen von Status und Macht realisiert werden sollen.

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Als Ausgangspunkt wähle ich einige ökonomische Konzepte aus den Property­Rights-Theoriebeiträgen. Diese sehen ihre Schwerpunkte in Rechtsfragen, die mit der Verrugung über Sachanlagen verbunden sind. Die Leistungsfähigkeit dieser Theorierichtung rur die Analyse von Spacing-Prozessen soll hier kritisch ge­prüft werden. Sie kann hierrur jedoch nur einen ersten Schritt bedeuten.

Das von mir ausgewählte Modell enthält drei zentrale Variablen: den oder die Inhaber der Verrugungsrechte, den oder die Träger von daraus entstehen­den Verpflichtungen sowie die Objekte oder Sachwerte, durch die Rechtsinhaber (Aneignungsberechtigte ) und Verpflichtete in eine ökonomische und/oder recht­liche Beziehung zueinander eintreten (Bromley 1991).

Das ökonomische Verfügungsrecht bezeichnet die begründete Erwartung des Rechtsinhabers, von anderen Personen oder der Allgemeinheit darin respek­tiert zu werden, dass er/sie einen Nutzeneffekt aus einem Objekt erzielen möchte, über das er legitim verrugen kann. Ausgehend von den ursprünglichen philoso­phischen Begründungen, insbesondere bei Locke, Adam Smith und Kant, gilt es daran zu erinnern, dass diese Fähigkeit des Verrugen-Könnens ihrem Grun­de wie ihrer Erscheinungsform nach einem historischen Prozess unterliegt. Erst mit dem Aufkommen der betriebsförmigen Landwirtschaft bildeten sich zum Beispiel die property rights am Boden heraus. Erst mit dem Aufkommen der kommerziellen Handelsbeziehungen entstand die Vorstellung von der prinzipi­ellen Tauschbarkeit der Eigentumsrechte; sie bestimmt nach wie vor einen zen­tralen Mechanismus der kapitalistischen Wirtschaft. Seit der historischen Durchsetzung des Modells der bürgerlichen Gesellschaft (im Sinne von Bourgeoisie) gelten private Eigentumsrechte als deren markan­tes Kennzeichen. Der Zweck der ökonomischen Verwertung von Sachen wird durch formales Recht abgesichert. Wer als Eigentümer über Objekte verfügt, besitzt - von der Verfassung geschützt - das exklusive Recht, solche Objekte sich anzueignen, sie zu nutzen, auf dem Markt zu veräußern oder mit ihnen in anderer Weise nach eigenem Gutdünken zu verfahren, sie also auch zu verbrau­chen, zu verändern oder zu zerstören. Das schließt die Fähigkeit ein, andere vom Gebrauch auszuschließen. Eine Grenze wird lediglich darin gesehen, dass andere Personen nicht in ihren Rechten verletzt werden und dass mehr oder we­niger ausgeprägt eine Sozialpflichtigkeit hinzugerugt wird, deren Wesenskern jedoch kulturell stark differiert. Auf diese Weise wird auch der Grundcharakter dieser Rechte erkennbar: Sie beruhen keineswegs nur auf der realen physischen Verrugbarkeit über die Sachen, vielmehr auf einer sozialen Konvention, die (in der Regel über die Gesetzgebung) gesellschaftlich verankert wird.

Daher treten zum Inhaber der Verrugungsrechte jeweils einer oder mehre­re andere Personen hinzu, die ihrerseits verpflichtet sind, die Art und Weise, wie der Inhaber mit seinem Eigentum verfährt, hinzunehmen. Der Ausübung der Rechte der einen Seite entspricht eine Duldungspflicht der anderen Seite. Diese ist in der Regel mit Kosten verbunden, sei es in Gestalt von Options­einbußen, sei es in Gestalt von Belastungen, die seitens des Eigentümers externalisiert werden. Im Verhältnis zwischen dem Inhaber der Rechte und dem

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zur Duldung Verpflichteten bildet sich so ein Machtdifferential heraus, das den Rechteinhaber privilegiert. Allerdings besitzen die zur Duldung Verpflichteten die Chance, auf dem Markt ihrerseits als Käufer von Eigentumsrechten aufzu­treten und auf diese Weise eigene Verfiigungsvorteile zu erzielen - vorausge­setzt, dass die in Betracht kommenden Objekte auf den Markt gelangen und die Interessenten zahlungskräftig sind (zwei, wie sich immer wieder zeigt, un­erbittliche Bedingungen).

Das Objekt (Grundstück, Gebäude, Anteilsrecht) liefert dem Inhaber der Rechte die Chance zur Erzielung von "benefit stream", von materiellem oder ideellem Nutzen. Diese Erwartung wird staatlich, das heißt rechtlich, gewähr­leistet. In ökonomischer Sicht verbindet sich so mit der Aneignung von Objek­ten das Ziel, einen messbaren Vorteil zu erwirtschaften. Die rechtlichen Garan­tien dienen als Mittel für diesen Zweck. Hinsichtlich der Nutzung des Bodens handelt es sich vor allem um die Realisierung der Grundrente, also der zu er­wartenden Rendite. Dies zeigt, dass es mithin nicht um das physische Objekt selbst geht, sondern um die mit ihm verknüpften Aussichten, als wirtschaftlicher Akteur erfolgreich auf dem Markt aufzutreten, Einkommen zu erzielen oder den bereits erreichten wirtschaftlichen Status abzusichern. Tatsächlich bedingt dies eine zumindest partielle Abwälzung (Externalisierung) der negativen F olge­kosten auf andere Personen oder die Allgemeinheit. Daraus entstehen kompli­zierte Fragen der Kompensation bzw. der notwendigen öffentlichen Regulierung.

Die Property-Rights-Literatur unterscheidet vier Arten solcher Verfiigungs­rechte:

(a) Privateigentum: Individuen besitzen das Recht auf sozial akzeptablen Gebrauch und haben die Pflicht, sich eines sozial inakzeptablen Gebrauchs zu enthalten. Andere (genannt "Nicht-Inhaber") haben die Pflicht, sich der Verhinderung des sozial akzeptablen Gebrauchs zu enthalten und besitzen das Recht zu er­warten, dass nur ein sozial akzeptabler Gebrauch stattfinden wird.

(b) Gemeinschaftseigentum: Eine Managementgruppe (die "Inhaber") besitzt das Recht, Nicht-Mitglie­der auszuschließen, und Nicht-Mitglieder haben die Pflicht, sich mit dem Ausschluss abzufinden. Individuelle Mitglieder der Managementgruppe (die "Mitinhaber") besitzen sowohl Rechte als auch Pflichten bezüglich des Ge­brauchs von Anteilen und bezüglich der Erhaltung des Objekts, das ihnen gehört.

(c) Staatseigentum (Gemeineigentum):

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Individuen haben die Pflicht, Gebrauchs- und Zugangsregeln zu befolgen, wie sie von einer (öffentlichen) Kontroll- oder Verwaltungsagentur bestimmt werden. Agenturen besitzen das Recht, Gebrauchs- und Zugangsregeln zu bestimmen.

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(d) Nicht-Eigentum: Niemand kann über eine definierte Gruppe von Nutzern oder "Inhabern" und über einen Nutzeneffekt verfügen. Individuen besitzen einerseits das Privileg, andererseits kein Recht bezüglich des Gebrauchs von Anteilen und der Erhaltung des Vermögens. Das Vermögen besteht in einer Ressource mit freiem Zugang.

(leicht abgeändert aus: Bromley 1991, S. 31)

Nach welchen Relevanzgesichtspunkten kann nun der strategische Einsatz der Verfügungsrechte mit der Garantie für raumbildende Aneignung untersucht werden? Hier interessiert insbesondere die Analyse des Verhältnisses zwischen den privatrechtlich eröffneten Aneignungen und den öffentlichen Ressourcen­Management-Regimes, deren Institutionalisierung zur partiellen Regulierung bzw. Beschränkung der freien Verfugbarkeit aus allgemein geteilten Gründen erforderlich erscheint. Im Zusammenwirken beider Regimes entstehen die raum­bildenden (Makro-) Dynamiken, die sich je konkret in den Regionalisierungen niederschlagen. (1) Ausgangspunkt ist zunächst die Tatsache, dass Privateigentümer an Grund

und Boden (oder ähnlichen Objekten) mit wirtschaftlichen Interessen auf dem Immobilienmarkt mit dem Ziel auftreten, durch Verwertung der Ob­jekte, durch Spekulation oder durch Zukauf chancenreicher neuer Objekte den eigenen wirtschaftlichen Vorteil zu erhöhen. Sie wählen danach ihre Standorte, ihren Gebäudetyp, ihre Investitionshöhe etc. aus. In der deut­schen Tradition gilt dabei der gesellschaftliche Grundkonsens, dass freie (ungebundene) Immobilienaneignungen mit den öffentlichen Belangen ("Gemeinwohl") in Einklang gebracht werden müssen. Diese Auffassung resultiert aus dem Charakter von Grund und Boden als prinzipiell nicht ver­mehrbaren Gütern, die für die Allgemeinheit eine Umweltressource dar­stellen. Private Verfügungsrechte bedürfen dann einer öffentlichen Beschränkung, wenn sie zu Effekten führen, die gesellschaftlich nicht positiv bewertet werden oder wenn der Eigentümer unzumutbare externe Effekte an die Nicht-Inhaber abwälzt. Dies ist der Grund, warum die Optionen auf der Angebotsseite vielfach durch die öffentliche Kredit- und Steuerpolitik mit­bestimmt werden. Häufig werden Negativfolgen jedoch in Kauf genom­men, wenn der Eigentümer den öffentlichen Stellen gegenüber glaubhaft machen kann, dass sein Objektgebrauch zu wirtschaftlichem Aufschwung beiträgt. Offenbar hängt die Beurteilung letztlich davon ab, wie man den erwartbaren sozialen Nutzen einschätzt. Besondere Aufmerksamkeit bei Analysen verdient ein Sachverhalt, wenn die Behörden die Zustimmung erteilen, ohne dem Berechtigten - auf Grund von allgemeinen Rechten oder von Förderprogrammen - ein Risiko aufzuerle­gen, das er im Falle des Verfehlens des sozialen Nutzens zu tragen hätte. Das

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ist gerade in den "strukturschwachen" Regionen eine häufig geübte Praxis. Auf diese Weise stärken immense staatliche Investitionszuschüsse die Verfügungs- und Gestaltungsmacht von Investorengruppen (mit einer spezi­ellen Rolle der öffentlichen Banken und Sparkassen), tragen so zum investiven Spacing bei, lösen dadurch weitere regionale Umstrukturierungen aus und münden schließlich nicht selten in Insolvenzen. Nicht nur werden in solchen Fällen öffentliche Gelder in den Sand gesetzt; gravierender ist die Folge, dass der damit gestartete Spacing-Prozess abgebrochen wird und die verbleiben­den regionalen Akteursgruppen diese Brüche kompensieren müssen.

(2) Ein besonderes Management-Regime bietet das Gemeinschafiseigentum.

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Es handelt sich meist um private Verfügungsrechte für eine Gruppe von Mitinhabern, die anteilig individuelle Rechte besitzen, jedoch durch den gemeinsamen Zweck des Objekts jeweils in ihren freien Möglichkeiten ein­geschränkt sind. Die Einschränkung gehen sie üblicherweise freiwillig ein, indem sie eine Mitgliedschaft begründen. Damit werden gleichzeitig an­dere Personen vom Gebrauch ausgeschlossen. Immer wenn also der Zu­gang zu einem Objekt durch Auswahl reguliert wird, gelten die Spielre­geln der gemeinschaftlichen Verfügungsrechte, sonst (ohne Ausschluss) handelt es sich um Formen des Staats- oder Kommunaleigentums. Häufige Beispiele beziehen sich auf gemeinsames Wohneigentum (Genossenschaf­ten, Eigentumswohnungen), auf gemeinsame Flächen bei Nachbarschaften (Mietergärten, Garagen, Parks) oder auf gemeinsame Rechte an Einkaufs­märkten oder Verkehrsanlagen (durch Institute des Gesellschaftsrechts ). Es wird in solchen Fällen unterstellt, dass sich ein Objekt besser und preis­werter nutzen lässt, wenn es gemeinschaftlich betrieben wird. Dieses Modell entspricht im Falle gemeinnütziger Aufgaben zusätzlich der zivilgesellschaftlichen Wertvorstellung, dass durch Einbindung in die Gruppenprozesse eine wünschenswerte Abstimmung und Aushandlungs­bereitschaft unter den Beteiligten geweckt wird. Gemeinschaftseigentum kann insoweit als Vehikel zur Stärkung von "sozialem Kapital" (Bourdieu) betrachtet werden. Von erheblicher symbolischer Bedeutung ist dann die Art und Weise, wie die staatlichen Instanzen dem zivilen (nicht auf Kapitalertrag ausgerichte­ten) gemeinschaftlichen Eigentum gegenüber auftreten. Während wir in Deutschland auf lokaler Ebene angesichts der langen Tradition mit der Allmende und mit der kommunalen Selbstverwaltung insgesamt eine rela­tive Vertrautheit mit solchen Formen erwarten können, sieht es bei den hierarchischen staatlichen Ebenen anders aus. Insbesondere bemisst sich die Haltung der Behörden daran, ob sie den Gemeinschaften beistehen, wenn von außen massive Interventionen zu erwarten sind (Kaufangebote, Verdrängungseffekte, Externalitäten). Solche "Commons" scheinen gegen­über den individuellen Verfügungsrechten oder der Dominanz der Banken und Versicherungen oft im Nachteil zu sein.

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Einen Sonderfall des Gemeinschaftseigentums bilden die Anlagen der privat organisierten Infrastrukturanbieter (Wasser, Abwasser, Energie, Telekommu­nikation). Ihre Gebäude und Leitungssysteme werden als Ressourcen für ihre Leistungserbringung eingesetzt und unterliegen insoweit einer konkreten Fest­legung ihrer Benutzung. Mit den Konsumenten werden Abnahmeverträge ge­schlossen. Ich werde die damit verbundenen Spacing-Aspekte mit Hilfe der nachfolgenden Zugangs-Konzepte beschreiben (5.2).

(3) Ein besonders umstrittenes Feld sind die Verfügungsrechte gegenüber Umweltressourcen, gegenüber Wasser, Naturlandschaften, Biotopen etc. (ebenso gegenüber Bodenschätzen, die jedoch hier außer Betracht bleiben, da ihre Verwertung über spezielles Recht reguliert wird). Üblicherweise unterliegen diese Ressourcen zunächst dem öffentlichen Eigentum; die staat­lichen Stellen bieten sie jedoch gerne privaten Nutzern an, wenn diese den Gebrauch mit eigenen wirtschaftlichen Interessen verknüpfen können und sich daraus fiskalische Vorteile ziehen lassen. Dann werden die Verfügungs­rechte zu einem Policy-Instrument. Entscheidend ist hier zu fragen, wer solche Verfügungsrechte übertragen bekommt, welche Interessen damit verfolgt werden und wer aus welchen Gründen dabei staatliche Protektion genießt. Da gleichzeitig Schutzmaß­nahmen im öffentlichen Interesse ergriffen werden müssen - Schutz des Grundwassers, Schutz der Naturlandschaft -, ist damit häufig ein Interes­senkonflikt vorprogrammiert. Nach welcher Rationalität wird von den Berechtigten gehandelt? Hierzu sind mit den Arbeiten von Elinor Ostrom inzwischen einige grundle­gende Aussagen so reformuliert worden (Ostrom 1986, 1987, 1999; Ostroml GardnerlWalker 1994), dass sie über die früheren Property-Rigths-Ansätze hinausweisen. Sie beziehen sich auf Allmende-Ressourcen. Diese umfassen solche großen Ressourcen-Systeme, bei denen Aneigner prinzipiell nicht aus­geschlossen werden können (Flusseinzugsgebiete, Fischgründe, Landschafts­schutzgebiete, aber auch Bestandteile der öffentlichen Räume wie Parkhäu­ser, Brücken, Hauptstraßen etc.). Nach der seitherigen Theorie der common­pool resources (Allmende-Ressourcen) galt die Annahme als gesichert, dass die Aneigner solcher Ressourcen ausschließlich nach einer kurzfristig orien­tierten Entscheidungsrationalität handelten und dabei schädliche Folgen oder verpasste Kooperationen in Kauf nähmen. Ostroms Studien (Experimente, Feldforschungen) zeigen stattdessen in überzeugender Weise, dass Beteiligte, wenn sie miteinander kommunizieren, abgestimmte Problemlösungen ent­wickeln und zu gemeinsam vereinbarten Überwachungsschritten bzw. Sanktionsmaßnahmen bereit sind. Hier ergeben sich unmittelbar Verbindungs­linien zum Konzept des "sozialen Kapitals", das auf eingespielte soziale Beziehungen und Vertrauen zwischen den Akteuren Bezug nimmt. Das Regelsystem für Allmende-Ressourcen lässt sich nach den drei Ebe­nen der konstitutionellen, der kollektiven und der operativen Entscheidun-

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gen aufspreizen. In Verbindung mit den Analyseebenen, auf denen die Menschen Entscheidungen treffen und agieren, unterscheidet Ostrom (1999, S. 69) drei verschiedene Typen von Prozessen: Formulierung, Kontrolle, Beurteilung, Änderung (konstitutionelle), Wahl der Verfahrensweisen, Be­wirtschaftung, Beurteilung (kollektive) sowie Aneignung, Bereitstellung, Überwachung und Durchsetzung (operative). Ein zukunfts fähiges Beispiel fiir das Zusammenspiel von kollektiven und operativen Entscheidungen ist die Einrichtung einer regionalen Agentur. Die Agentur besitzt die Befugnis, Verfiigungsrechte vergeben zu können. Private Interessenten an Immobilien oder an öffentlich bedeutsamen Flä­chen geben gegenüber der Agentur finanzielle Gebote ab; die Agentur ver­gibt die Verfiigungsrechte nach Maßgabe öffentlich ausgehandelter Kriterien. Mit den Ostrom'schen Konzeptualisierungen ist die Relevanz von institu­tionellen Lösungen, die auf Kommunikation angelegt sind, für die rationa­le Ausgestaltung der Aneignung kollektiver Güter belegt. Bei den Komm­unikationen sind auch deren Kosten und Erträge zu ermitteln. Es ist so­dann von Fall zu Fall zu prüfen, inwieweit ein Nebeneinander von privat­rechtlichen Verfügungsrechten und einem öffentlichen Gemeineigentum realisiert werden kann - wobei die Lösungen offensichtlich wesentlich von den Wertepräferenzen abhängig sind. Institutionenökonomisch, aber auch hinsichtlich geeigneter Policy-Modelle stellen sich dadurch konzeptuelle Herausforderungen. Sie scheinen insbesondere die Probleme der Institu­tionen-Transformation bzw. -Erfindung lösen zu müssen; Ostrom benennt dabei die Bereitstellung neuer institutioneller Formen, die Selbstverpflich­tung der beteiligten Akteure und die Vereinbarung von Überwachungsmaß­nahmen als entscheidende Voraussetzungen. Die Ostrom'schen Befunde sind für die Theoriebildung wesentlich und müssen in ihrer Tragweite - nicht nur fiir die Analyse der Organisation der "commons", sondern der Spacing-Prozesse insgesamt - erst noch ins Be­wusstsein gerückt werden. Die Autorin plädiert vehement für die Konzep­tualisierung von Modellen der rationalen Entscheidung der zweiten Gene­ration, in denen - fußend auf Vertrauen, Reputation und Reziprozität -vertraglich gebundenes Handeln die zentrale konstituierende Rolle einnimt. Dem (mit Aggregationen arbeitenden) "Rational-choice"-Ansatz bleibt sie dennoch verhaftet. Er sollte, dafiir wird hier plädiert, um die Kontextuierung durch ModelIierungen evolutionärer Prozesse einschließlich historischer Entwicklungspfade sowie durch die zusammenfiihrenden bzw. fragmentie­renden Wirkungen von Raumstrukturen erweitert werden.

Im Hinblick auf die Spacing-Prozesse kommt es weniger auf die Ausweisung und Widmung entsprechender Flächen an (Reservate, Landschaftsschutzgebiete etc.), sondern auf die damit gleichzeitig installierten Strategien und Nutzungs­regeln. Dies zeigt, wie wichtig es bei Prozess-Rekonstruktionen ist, ausfindig zu machen, welche mittel- und langfristig wirksamen Praktiken von weIcher

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Kategorie von Eigentümern eingesetzt werden, um zu einer veränderten Orga­nisation des regionalisierten Wirtschaftsraums zu gelangen. Dies kann über die Analyse von Pfadentwicklungen rekonstruiert werden. Insbesondere geht es um die Untersuchung institutioneller Verknüpfungen zwischen den vier unterschied­lichen Property-Regimes, um die Bedingungen für eine tragfähige Ausbalancie­rung zwischen ökonomischen und öffentlichen Interessen gewinnen zu können.

5.2 Zugangs-Konzepte

Die Property-Rights-Debatte bedarf heute einer Dynamisierung durch Raum­Zeit-Konzepte. Diese richten sich auf aktuelle Trends, wie sie insbesondere durch die Dienstleistungsökonomie ausgelöst werden. Gemeint sind Strategi­en, mit denen angestrebt wird, anstelle des Bezugs auf Eigentum Optionen des Zugangs zu Mitgliedschaften und damit verbundenen Dienstleistungen anzu­bieten (Rifkin 2000). Die damit verbundenen Fragen prägen gegenwärtig auch die Auseinandersetzungen in der EU und in Deutschland um die Bereitstellung und Organisation der öffentlichen Dienstleistungen (Daseinsvorsorge ). Hier ist von einem Paradigmenwechsel hin zu mehr gemischt- oder privatwirtschaft­lichen Formen die Rede, wobei die Versorgung in möglichst großem Umfang unter Markt- und Wettbewerbsbedingungen erfolgen soll (Cox 2001).

Die Logik ist folgende: Eigentum und damit Verfügungsrechte wird es zwar weiterhin geben, aber sie werden seltener getauscht. Stattdessen wird das, wor­über man verfügen kann, ausgeliehen oder verpachtet und durch Gebühren einer befristeten Nutzung zugeführt. Anbieter und Kunden tauschen nicht das Eigen­tum, sondern werden durch Mitgliedschaft-Netze miteinander verbunden, mit dem Nebeneffekt, dass die Inhaber von Verfügungsrechten zusätzliche Geschäfte tätigen können. Wer solchen Netzwerken nicht beitritt, ist von entsprechenden Angeboten ausgeschlossen. Wo dies bei privaten Dienstleistungen unproble­matisch erscheint, resultieren daraus erheblich Probleme bei solchen Leistun­gen der Daseinsvorsorge, deren Bezug seitens des Gesetzgebers für alle garan­tiert werden soll. Zudem bleibt die Frage ungeklärt, wie das Gemeinwohl ge­wahrt werden kann, wenn die privat angebotenen Dienstleistungen mangelhaft ausfallen.

(I) Vorläufer dieser Trends sind Verträge zwischen Privateigentümern (Barzel 1997). So ist es seit längerem üblich, dass Automobilhersteller mit ande­ren Unternehmen spezielle Verträge schließen, die diesen einen exklusi­ven Auftrag verschaffen, sie aber umgekehrt mit ihren Produkten wieder an den Auftraggeber binden. Ein anderes Beispiel liefern die Developer von Wohnanlagen. Sie bieten den späteren Käufern ganze Pakete von Op­tionen und Dienstleistungen an, die sie zusammen mit dem Teileigentum an einer Wohnung erwerben können. Mit der Wahlfreiheit sind jedoch in der Regel Bindungen an Mitgliedschaften, Gemeinschaftsregeln und Pflich­ten verbunden, deren Kosten oft höher liegen als in Fällen individuellen

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Eigentums. Das Interesse an solchen Arrangements nimmt offenbar zu. Mit den raumwissenschaftlichen Studien kann gezeigt werden, inwieweit die dynamische Verfügbarkeit über Objekte im Verbund mit Tertiarisie­rungsprozessen steht. Offenbar, so die Anbieter, soll man in zunehmendem Umfang Wohnungen, Gärten, Telefone etc. nicht mehr kaufen, sondern auf sie (über Serviceangebote ) zugreifen können. Für die Analyse solcher neu­en Trends ist es wichtig zu sehen, dass damit die Menschen mit ihren Vor­lieben, ihren Lebensstilen, ihren Wünschen unmittelbar ins Blickfeld der Akteure geraten. Sie werden individuell umworben, aber auch gelenkt und versorgt - über Kreditkarten, Mitgliedsausweise, Leasing-Verträge und Abonnements. Eine Exklusivität der Netze rückt gegenüber einer breiten, solidarischen Vorsorgepolitik in den Vordergrund. Die Dienstleistungsöko­nomie tritt als Mediator des sozialen Lebens auf. Regionalisierung bedeutet in diesem Zusammenhang die Etablierung sol­cher Dienstleistungs-Netzwerke, sofern sie sich dabei auf einen bestimm­ten Einzugsbereich begrenzen lassen. Wohnungsunternehmen vermieten nicht nur Wohnungen, sondern liefern Service-Pakete und organisieren das öffentliche Siedlungsleben. Anbieter von Freizeit und Naherholung vermie­ten nicht nur einzelne Betten oder Boote, sondern überreden mit Freizeit­pässen, mit Schnupperkursen und Sammelangeboten zu intensiverer, mög­lichst exklusiver Nutzung. Zunehmend entdecken auch privatisierte Betriebe mit Infrastrukturangeboten, zum Beispiel Wasserbetriebe oder Telekom­munikationsunternehmen, wie sie unter dem Zwang des seitens der EU forcierten Wettbewerbs ihre Leistungen für die Kunden attraktiver gestal­ten müssen (Sondertarife, ergänzender Service). Auch die Verfügung über Wissen, über Ideen und Geschäftskonzepte lässt sich zunehmend in diesem Sinne einsetzen. Wer über Zugang verfügt, kann daran teilhaben; kulturelles Kapital wird zum Objekt des Zugriffs durch Begünstigte. Doch scheint dieser Trend jeweils an die Erwartung ökono­mischer Vorteile gebunden zu sein. Anderes Know-how tritt demgegenüber in den Hintergrund.

(2) Es schälen sich einige neue Formen der Dienstleistungsökonomie heraus, die auf der "place" -Ebene erheblich zu einem wirtschaftsräumlichen Struk­turwandel beitragen. Zu nennen sind Einkaufszentren (Malls), Unterhal­tungszentren, Themenparks (Sorkin 1992), überregionale Gourmet-Einrich­tungen, globale Tourismuskonzepte, Time-Sharing-Gemeinschaften, Pro­fisport-Veranstaltungen, Wellness-Einrichtungen, Golf-Hotels, aber auch virtuelle Räume (Cyberspace). Die Anbieter technischer Infrastruktur lassen sich im Moment nur dadurch noch von exklusiven Leistungspaketen ab­halten, dass ihnen ein breiter Versorgungsauftrag erteilt worden ist, doch das kann sich unter Wettbewerbsbedingungen rasch ändern. Alle diese Formen lassen sich als Netzwerke organisieren und mit dem Hauch der ex­klusiven Mitgliedschaft ausstatten (obwohl sie teilweise durchaus massen-

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haft angelegt sind, doch das wird ungern thematisiert). Aus der Praxis die­ser Einrichtungen mit speziellem physischem Substrat folgen erhebliche Konsequenzen für den Flächenbedarf, für die Leitungssysteme wie für die räumlichen Mobilitätsströme. Mit der Nutzung virtueller Räume setzt zu­mindest partiell ein Rückzug von den physischen Wirtschaftsräumen ein. Eine besondere Funktion nehmen dabei die Gatekeepers wahr. Pförtner (vgl. zu deren gesellschaftlicher Bedeutung schon Lewin 1946) definieren und praktizieren die Zugangs bedingungen. Nicht die Verfügung über ein Ob­jekt oder die gesetzlich definierte Zuständigkeit bestimmen die Handlungs­chancen, sondern der erreichte Zugang und die reale Mitwirkung in exklu­siven Netzen. Pförtner regeln die Aufnahme, die Absprachen und Normen, also auch die Rechte und Pflichten der Teilnehmer. Nur mit Billigung der Pförtner wird innerhalb der Netze das eröffnet, was sich viele Akteure er­hoffen, nämlich neue Optionen, verwertbares Wissen, kurz- bis mittelfri­stige Erfolge. Bedeutsamer dürfte jedoch sein, dass die kulturellen Gemeinsamkeiten der in einer Region lebenden Menschen durch Zugang zu solchen Anbietern fragmentiert werden. An die Stelle öffentlicher Erfahrungszusammenhänge und regionaler Eigenheiten tritt das jeweilige Detailprofil des Erfahrungs­Dienstleisters. Je stärker dieser Trend ansteigen wird, desto eher zerfallen öffentliche Identitätsangebote zugunsten privat organisierter In-Groups. Das sind allerdings hypothetische Annahmen. Bei der genaueren Analyse mit­tels der Zugangs-Konzepte müssten sowohl der Ertrag für die wirtschafts­räumliche Entwicklung als auch die sozialen Kosten ermittelt werden. Der Umfang der sozialen Kosten bildet ein wichtiges Indiz dafm, dass die Ein­richtung von öffentlichen Regulierungsagenturen erforderlich werden könnte.

(3) Mit den neuen Zugangs- und Zugriffsformen geht offenbar ein schleichen­der Verlust öffentlicher Räume einher. Auch dieser Aspekt muss konzeptuell erfass bar werden. Die öffentlichen Räume galten lange als Gewähr für ein Gemeineigentum, das allen Menschen offen steht und zu allgemeinen In­teraktionen und Bewegungen wie zu gemeinsam geteilten Anlässen (Fe­sten, Umzügen, Sport, Unterhaltung, Demonstrationen, bürgerschaftlichem Engagement etc.) genutzt wird. Es gab kaum Begrenzungen, und Eintritts­geld wurde nicht verlangt. Heute unterliegen immer mehr Flächen, die von einer großen Anzahl von Menschen gemeinsam genutzt werden, der kom­merziellen Kontrolle. Teilflächen werden privatisiert, es gibt Pförtner und private Wachdienste, bestimmte Personen gelten als unerwünscht, Öffnungs­zeiten werden nach dem Interesse des Anbieters festgelegt. Der öffentliche Stadtraum wird kommerziell inkorporiert; der stadtregionale Umlandraum wird kommerziell besetzt. So gezähmt, können alle, denen der Eintritt gewährt wird, zahllose Dienste und Erfahrungen käuflich erwerben. Nur - das Bild der offenen Stadt und

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der offenen Landschaft, in der sich unterschiedlichste Gruppen von Men­schen mit unterschiedlichen Interessen und kulturellen Eigenarten begeg­nen (dabei auch Probleme verursachen), wird mit dieser Entwicklung durch ganz andere Bilder ersetzt. Wer sich über die Teilhabe an öffentlichen Stadt­räumen die Wirklichkeit erschließt, sieht sich nun abgedrängt auf exklusi­ve Teilarrangements oder aber zurückgelassen in mehr und mehr unwirtli­chen Residualräumen. Die neuen Bilder müssen rekonstruiert und dekodiert werden. Es liegen einige Umfragen vor, die zeigen, dass viele dieser Eimichtungen von den Verbrauchern auch angenommen werden; die aktuellen Bilder wecken po­sitive Ameize. Auch die Kommunen scheinen positive Bilder damit zu verbinden; man will an den neuesten Moden teilhaben. Sie sind aber wenig wachsam, wenn es darum geht, eine besondere urbane Qualität von öffent­lichen Räumen, die nicht nur aus Kommerz und Entertainment besteht, zu gewährleisten. Man könnte sich vorstellen, auch hierfür ein spezielles Aus­gleichsprinzip anzuwenden: Wer der Stadt öffentliche Zugangschancen nimmt, wird vertraglich dazu verpflichtet, dafür andere öffentliche Räume zu verbessern und der städtischen Gesellschaft wieder zuzuführen.

Insgesamt verweisen die Zugangs-Konzepte auf einen aktuellen Trend in der Ausgestaltung von Spacing-Prozessen. Privatisierungen und Exklusivität sind deren markante Kennzeichen. Die raumwissenschaftliche Forschung tut - neben der Analyse solcher Neuformierungen - gut daran, wenn sie die damit häufig einhergehende Schwächung der öffentlichen Güter im Vergleich zur Dominanz des Privatsektors im Blick behält und gegebenenfalls die problematischen Wir­kungen aufzeigt.

5.3 Netzbildungs-Konzepte

Sowohl die Aneignungsformen gegenüber physischen Ressourcen (5.1) als auch die Zugangsregelungen gegenüber Dienstleistungen (5.2) haben einen Trend zur stärkeren Netzbildung erkennen lassen. Netzbildungs-Konzepte bilden aber auch einen eigenständigen Strang der Spacing-Analysen. Einige der institutio­nellen Besonderheiten von Netzbildungen sollen hier näher dargestellt werden.

Durch Vernetzungen bilden wirtschaftliche Akteure gegenseitige Abhän­gigkeiten, in denen sie im Hinblick auf gemeinsam vereinbarte Zwecke einen Teil ihrer Aktivitäten miteinander teilen. Unterscheiden lassen sich insbeson­dere Anbieter- und Produzentennetze (Castells 1996), auf Seiten der Haushalte bzw. Bürgergruppen entsprechend Konsumentennetze und soziale Netze (die eigene Sozialleistungen erbringen). Die so entstehende Netz-Ökonomie zeich­net sich (intentional) durch eine beschleunigte Dynamik von Wissen und Inno­vation aus, ist aber prinzipiell auf Zeit angelegt, so dass sich kaum (dauerhafte) Strukturen ergeben. Akteure aus Politik und Verwaltung sind vielfach durch un-

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terstützende Aktivitäten beteiligt. Die Erwartung einer leistungsfahigeren re­gionalen Ökonomie liefert bei allen Beteiligten oft den Motor zur Netzwerk­Bildung.

Den Begriff "Netzwerk" verwende ich immer dann, wenn die gebildeten Netze eine organisatorische Dauerhaftigkeit annehmen und eigene Steuerungs­größen enthalten. Keineswegs kann jedoch von vornherein mit der Arbeit von Netzwerken eine produktive Wirkung verbunden werden. Die mehr und mehr kompetitiv agierenden Unternehmen bzw. Kommunen mit ihren individuellen Handlungskonzepten lassen die effektive Arbeit in Netzwerken (die ja auch immer mit Kosten verbunden ist) eher zu einer Ausnahme werden. Daher rückt die Aufgabe in den Mittelpunkt, die Bedingungen rur gelingende Netz- und Netzwerkbildungen ausfindig zu machen.

Im Folgenden möchte ich vom Konzept der gerichteten Netzwerke aus­gehen. Gerichtete Netzwerke bestehen aus zielorientierten Verflechtungen von Akteuren und sind vor allem in Politik und Wirtschaft anzutreffen. Die Ziel­orientierung bezieht sich auf ein gemeinsam angestrebtes Ergebnis, das von einer Projekt-Kooperation über regionale Infrastrukturaktivitäten bis zu aufzustel­lenden Entwicklungskonzepten reichen kann. Nicht-gerichtete Netzwerke sind stattdessen auf die Produktion sozialer Stabilisierung, aufTauschbeziehungen und soziale Kohäsion orientiert; sie werden hier lediglich über das Konzept der "kreativen Milieus" thematisiert, doch bleibt hervorzuheben, dass nicht-gerich­tete Netze vielfach flankierend die Bildung gerichteter Netzwerke begünstigen können.

Die Netzwerk-Konzepte haben sich in den letzten Jahren, unterschiedlichen Theoriesträngen folgend, stark ausdifferenziert. Es ist unmöglich, auch nur an­satzweise allen Typisierungen gerecht zu werden. Für Zwecke der Spacing-Ana­lysen, soweit sie sich auf regionalisierte Wirtschaftsräume und Daseinsvorsorge­Räume beziehen lassen, halte ich insbesondere folgende Konzepte fi.ir relevant:

(a) Policy-Netzwerke: Sie gelten als inzwischen weitgehend akzeptierte Hand-lungsalternative fi.ir die Bearbeitung (regional-)politischer oder administra­tiver Aufgaben sowie rur die Impulssetzung und Koordinierung regionali­sierter Entwicklungsstrategien. Häufig anzutreffen sind Stadt-Umland-Ko­operationen oder Städte-Netze mit regionalen Aufgaben. Ihre Arbeitswei­se und ihre Legitimation differieren erheblich und müssen von Fall zu Fall definiert werden (Van Waarden 1992, Jansen/Schubert 1994, Krumbein 1994, Jähnke/Gawron 2000).

(b) Regionale Akteurs-Netzwerke: Sie scheinen dann erfolgreich operieren zu können, wenn es ihnen gelingt, bisher getrennt agierende Akteure zu ver­binden, so dass neue Impulse und Ideen hervorgebracht, politische als auch gesellschaftliche (wirtschaftliche) Akteursgruppen eingebunden und durch "schwache" Bindungen weitere Kontakte zum sozialen Umfeld im Hinblick auf einen günstigen Informations- und Wissenstransfer aufgebaut werden können (Granovetter 1973, Fürst/Schubert 1998).

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(c) Regionale Innovations-Netzwerke: Sind günstige Bedingungen der Quali­fikation des Humankapitals, der Wissensgenerierung, des Austauschs nicht­kodifizierten Wissens in sozial-räumlichen Milieus verankert, so vermö­gen die so engagierten Akteure daraus innovative Netzwerke zu konzipieren. Diese Netzwerke werden neuerdings mehr und mehr mit Lern-Konzepten ("Lernende Organisation", "Lernende Region") verknüpft, wobei Art und Weise der Lernprozesse genau definiert werden müssen (Braczyk/Cookel Heidenreich 1998, RattilBramanti/Gordon 1997, Sternberg 1999).

(d) Netzwerke als regionale Produktions-Cluster: Sie entstehen aus regional vernetzter Produktion kooperierender Unternehmen, indem das Erfahrungs­wissen der beteiligten Branchen ausgetauscht und zusammengefiihrt wird. Spezialisierte Produktionsketten, als Cluster koordiniert, gelten als wett­bewerbsfähiger und leisten zudem einen Beitrag zur Stärkung der regio­nalwirtschaftIichen Leistungsfähigkeit. Räumliche Nähe scheint insoweit eine strukturell interessante Erwiderung auf die allenthalben unterstellten Prozesse der "Dislozierung" zu bieten (Porter 1998, Schamp 2000, Krätke 2002).

Die meisten Netzwerk-Bildungen werden institutionentheoretisch vor allem anhand ihrer informellen Entstehungs- und Arbeitsweisen und ihrer eher schwa­chen Bindungen der Beteiligten untereinander charakterisiert. Zudem verlan­gen sie höchst anspruchsvolle Akteurs-, Strategie- und Effektivitätskonzepte. Die bereits erwähnte Aktor-Netzwerk-Theorie (CaIIon, Latour u.a.) setzt zum Beispiel darauf, dass erst über die Bildung und die Arbeit von Netzwerken handlungsfähige Akteure hervorgebracht werden. Das eröffnet eine ungewöhn­liche Sicht auf die Vernetzungsarbeiten und bedeutet in der Konsequenz eine klare Präferenz zugunsten neuer Akteursidentitäten. Die Reorganisation über Netzbildungen rückt eine Funktion ins Zentrum der Aufmerksamkeit: die Funk­tion des Promotors. Promotoren initiieren und treiben voran; sie gewährleisten, dass tatsächlich grundlegende Veränderungen im Habitus, in der Situationsde­finition, in der Strategiewahl, in den Problemlösungsarten zustande kommen. Dazu benötigen sie die Fähigkeit, Motivationen bei den Beteiligten zu wecken und aufrechtzuerhalten, also auch Gratifikationen anzubieten.

Regionale Kooperation scheint dann eher erfolgreich inszeniert werden zu können, wenn a) eine bedrängende Krisensituation zusätzliche Motivationen schafft, b) die Freiwilligkeit der Zusammenarbeit betont wird (was konkret bedeutet, dass oft nur ein kleiner aktiver Kern kooperativ beginnt), c) vertrau­ensbildend agiert wird, wobei die "starken" Akteure sich ihrer üblichen Domi­nanzhaltungen enthalten, d) die Beteiligten sich auf die machbaren Issues be­schränken und e) eine Rückkopplung (durchaus auch im Sinne von "weak ties") mit den politischen Instanzen gesucht wird. Hinzu kommt: Sind ganz oder über­wiegend politisch-administrative Akteursgruppen an Netzwerken beteiligt, so empfiehlt es sich zu prüfen, inwiefern dabei Transparenz und Wirksamkeit der politischen Verantwortlichkeiten in negativer Weise beeinträchtigt werden. So

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hilfreich von Fall zu Fall die stimulierende oder koordinierende Arbeit in Policy­Netzwerken erscheint, so problematisch wären die Folgen, wenn durch sie po­litische Legitimation, Verbindlichkeit, Verantwortung und Kontrolle in ein dif­fuses Licht geraten würden. Eine Policy-Netzwerk-Strategie bedarf daher der Abstützung durch institutionelle Berechenbarkeit und müsste unter demokratie­theoretischen Gesichtspunkten zurückgefahren werden, wenn diese nicht ga­rantiert werden kann.

Aus bisherigen Netzwerk-Analysen lässt sich vorsichtig die These ableiten, dass regionale Netzwerke (also Netzbildungen in Spacing-Prozessen) dann regionale Wirtschaftsentwicklungen befördern können, wenn sie a) Akteure miteinander verbinden, die seither unverbunden gehandelt haben; b) Wissens­mängel und Unsicherheit durch kontinuierliche Kommunikation abbauen, c) Anstöße zu einer paradigmatisch veränderten Wahrnehmung und Interpretation der Situation und zu kreativen Problemlösungen liefern (Fürst/Schubert 1998). Nach meiner Einschätzung lassen sich diese Kriterien auch auf die intrastädti­schen und die interkommunalen Netzwerke anwenden.

Stehen oftmals die regionalökonomischen Akteure im Mittelpunkt der Netzwerk-Analysen, so richtet sich neuerdings der Blick auch auf die Rolle der vernetzten städtischen und regionalen Infrastruktur. Sie wird in ihrer institutio­nellen Verfasstheit sowie in ihrer Bedeutung für die (verbundene) Daseinsvor­sorge und Lebensqualität der Menschen untersucht (Guy/Marvin/Moss 2001). Einen anderen vernetzten Praxisbereich bilden die verschiedenen Formen der interkommunalen Kooperation - mit der brisanten Frage, inwieweit sektoral­übergreifende Arbeitsformen organisiert werden können (Jähnke/Gawron 2000). Ebenso haben durch die jüngeren Diskurse über Wissensmilieus und "know­ledge cities", konzeptuell zusätzlich angetippt (wenn auch erst wenig ausgear­beitet) durch das Etikett "lernende Regionen", die Netzwerk-Bildungen einen weiteren Ankerpunkt erhalten (Matthiesen 200 I). Mit ihnen wird der Versuch unternommen, anhand der Verknüpfungs- und Ausstrahlungspotenziale von Wis­sens-Einrichtungen einen eigenständigen Faktor von Spacing-Prozessen aus­zumachen.

Inwieweit finden Netzbildungen in geographischen Räumen statt? Sie ver­körpern befristete, locker geknüpfte Verflechtungsbeziehungen, die sich zwar immer wieder als "Cliquen", "Zirkel" oder "Cluster" zu effektiv arbeitenden Netzwerken, zu intermediären Organisationen verdichten können, jedoch im Prinzip wenig strukturbildend wirken und wenig gegenseitige Abhängigkeiten schaffen. In dieser Gestalt bilden sie zusammen wirtschaftliche, politische oder soziale Räume im Sinne von Handlungsregionen. Diese finden in einem be­stimmten Einzugsgebiet ihre Konzentration. Doch sie sind nicht mehr zwin­gend an ein abgrenzbares Territorium gebunden, sondern perforieren diese Grenzen immer wieder zugunsten erweiterter räumlicher Beziehungen. Auf diese Weise verändert sich der Regionsbegriff: "Eine Region wird heute nicht mehr als geographischer Standort wirtschaftender Einheiten begriffen, sondern als spezieller Zusammenhang räumlicher Kooperations- und Interaktionsbeziehun-

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gen, für die Traditionen, Institutionen, soziale Bezüge und generell das regio­nale Humanpotenzial relevant sind." (FürstiSchubert 1998, S. 353; Fürst 1993).

Es hat sich als fruchtbar erwiesen, auch den Aufbau von grenzüberschreiten­den Kooperationen unter dem Blick der Netzwerk-Bildung zu untersuchen. Hierbei erscheinen zwei Sachverhalte als bedenkenswert. Zum einen k1affi: offenbar eine beträchtliche Lücke zwischen den offiziellen, politisch betriebenen gemeinsamen Grenzraum-Prograrnmen und der tatsächlichen Annäherung zwischen Angehöri­gen beider Seiten auf örtlicher Ebene (Scott 1999). Zum anderen spielen Ressen­timents und Mentalitäten bei der Herausbildung produktiver gemeinsamer Netze über die Grenze hinweg eine zentrale, oftmals behindernde Rolle (Matthiesen 2002). Für die Erforschung grenzüberschreitender Netzwerke bedarf es im Übri­gen des geeigneten "settings", eines formalen Institutionensystems mit Regeln und Standards, damit die Forschergruppen überhaupt den Zugang zu forschungs­relevanten Daten und Aussagen erlangen können.

Spacing-Prozesse können durch regionale Netzwerke auch blockiert oder verlangsamt werden. Das gilt offenbar dann, wenn diese eine "Philosophie" des Status quo vertreten und keinen hinreichenden Integrationszusammenhang oder aber Negativ-Allianzen bilden (Grabher 1993, Läpple 1994, FürstiSchubert 1998). Ebenso sind kontraproduktive Wirkungen dann zu erwarten, wenn die Netzwerke zu restriktiv von hierarchischen Prozessen bestimmt werden oder wenn sie rur die Teilnehmer mit zu hohen Kosten, insbesondere Transaktions­kosten für Information, Kontaktpflege und Ressourcen, verbunden sind (Messner 1994, Keim 1998). Regionale Analysen werden daher mehr und mehr auch darauf auszurichten sein, herauszufinden, warum regionale Netzwerke nicht funktionieren bzw. in welcher Hinsicht sie nicht-produktiv wirken.

Noch einige Hinweise zur komplementären Bedeutung "kreativer Milieus". Die These gilt inzwischen als bewährt, dass sowohl die Leistungsfahigkeit der regionalen Ausstattungen und Strukturelemente als auch der regional organi­sierten Netzwerke in einem gewissen Umfang von der Art und Wirksamkeit der informellen, zum Teil persönlichen Beziehungen zwischen den Vertretern der regionalen Organisationen mitbestimmt wird (BergmannJMaier/Tödtling 1991, Fromhold-Eisebith 1995). Die Beziehungsmuster bilden sozialräumliche Mi­lieus, mit reziproken Austauschformen, mit "tacit knowledge" und "sozialem Kapital". Durch deren Mobilisierung, deren punktuelle Einbindung in die Netz­werk-Aktivitäten kann es gelingen, einen gemeinsamen Raum von Wahrneh­mungen, Kognitionen und Know-how sowie von gemeinsamen kreativen For­men vernetzten HandeIns und Lernens zu schaffen (Maillat 1992). Das Pro­blem besteht darin, Untersuchungsansätze zu entwickeln, mit denen die Wirk­samkeit so definierter kreativer Milieus von den Einflüssen anderer Merkmale isoliert und somit nachgewiesen werden kann; auf die methodologischen Fra­gen hierzu kann ich im Einzelnen nicht eingehen.

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5.4 Resümee

Zur Charakterisierung von Spacing-Prozessen schlage ich folgende Merkmale vor:

eine Vielzahl von wirtschaftlichen und öffentlichen Akteuren, die standort­suchend, zugangschaffend und/oder netzbildend handeln;

eine Mobilisierung machtbestimmender Ressourcen in Form von Property Rights, Zugangs- und Zugriffschancen sowie robusten Netzbildungen, wobei gegenwärtig eine Verschiebung von ersteren hin zu letzteren Platz greift;

eine Ansammlung prinzipiell unkoordinierter raum wirksamer Aktivitäten (Strategien und Praktiken) nach Regeln und Normen, die uneinheitlich sind;

eine Akzeptanz- und Folgebereitschaft eines größeren Teils der Konsumen­ten bzw. der Citizens (Gemeinwesen-Bürger) gegenüber der so bestimm­ten Raumstrukturierung;

ein jeweils erreichter Zustand in Form von lockeren Verknüpfungen örtli­cher bzw. vernetzter Handlungsräume mit partiell physischen Struktur­elementen; diesen Zustand nenne ich Sozialräumliche Strukturen, Typ I.

Wir sind in unserer physischen Existenz an soziale Räume, an Boden, an Was­ser und Luft gebunden. Spacing entwirft uns eine Imagination davon, solche Bindung abzustreifen, von der Erdenschwere wegzukommen, im raum­greifenden Streben neue Regionen des Wirtschaftens, der Kulturen, des Lebens zu schaffen. Das können individuelle, kulturell inspirierte Imaginationen sein; das können mehr und mehr kommerzielle Imaginationen sein. So dient die "Bodenhaftung" zwar weiter als Ankerpunkt, vor allem in den Aneignungs­Konzepten, doch wird sie konzeptuell nachhaltig überschritten und in institu­tionelle Arrangements überführt, deren Regelwerke jeweils erst auszuhandeln sind und die die gewohnten Planungskulturen transformieren werden.

Es bedeutet eine gewaltige Herausforderung an die politischen Kräfte, an das Gemeinwesen, in geeigneter Weise und zum geeigneten Zeitpunkt sicher­zustellen, dass sowohl für die Unternehmen und andere Akteure als auch für die Bürger und Konsumenten immer Optionen offen stehen. Deshalb soll an dieser Stelle auch eine normative Aussage stehen: Für eine zukunftsfähige Re­gionalentwicklung muss anstelle der Aussicht, unsere Vorstellungen und Le­bensformen durch kommerzielle Netze zu kolonisieren, das Bemühen um trag­fähige Ausbalancierungen treten. Dies allerdings bedarf konkreter Entwicklungs­konzepte, nicht des abstrakten Rückgriffs auf das Verfassungsprinzip der "Her­stellung gleichwertiger Lebensbedingungen".

Unsere Auffassungen von Eigentum und Besitz werden sich weiter wan­deln. Der Grundgedanke, mittels der Verfligungsrechte andere vom Gebrauch ausschließen zu können und sich so eine eigene Sicherheit zu verschaffen, wird

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schrittweise abgelöst werden von dem Bestreben, nach eigener Präferenz Zu­gangs- und Zugriffschancen zu den Netzwerken zu erhalten, die einem wesent­lich erscheinen. Diese inklusive Form des Eigentums können wir derzeit in ih­rem Regimecharakter und in ihren Konsequenzen noch nicht hinreichend ver­stehen. Sie wirft die Frage auf, ob sich damit der Schritt zu einem neuen Ord­nungsprinzip der Gesellschaft verbindet, bei dem die bindende Kraft des terri­torial verfassten Gemeinwesens zurücktritt.

Mit Hilfe der Analyse der hier vorgeschlagenen Spacing-Dimensionen las­sen sich Aussagen treffen über die Chancen aufstrebender bzw. peripherisier­ter Regionen. Dabei geht es nicht nur um Intensitäten, etwa um die Dichte von Allmende-Regelungen oder Netzbildungen, die eine größere Chance zur Pros­perität anzuzeigen scheinen, sondern es geht ebenso um Spacing-Differenzen, die erklären helfen, welche einzelnen Praxis-Formen für konzentriert-aktive bzw. rur nischenartige Regionen besser geeignet sind. Zu warnen ist vor einer vor­schnellen Bevorzugung der Netzwerk-Konzepte; ohne Thematisierung der bei­den anderen Spacing-Dimensionen entsteht die Gefahr eines abstrakten Regionenbildes, das mit der bodenständigen Realität wenig zu tun hat.

Selbstverständlich bedürfen die hier in den Mittelpunkt gestellten Spacing­Prozesse einer konzeptuellen Ergänzung durch die Instrumente der öffentlichen Steuerung und Planung. Dies wird in dem gesonderten Kapitel 7 aufgegriffen. Und dass andere Instrumente der seitherigen Vorstellungen von räumlicher Ent­wicklung (Leitbilder, Modelle etc.) weiterhin ihre praktische Relevanz besitzen, sei nur der Vollständigkeit halber nochmals erwähnt. Sie erhalten allerdings durch die hier vorgenommende Reformulierung einen anderen Stellenwert.

5.5 Konzeptuelle Einwände

Im Zusammenhang mit der ökonomischen Geographie (Lee/Wills 1997, Martin 1999) in ihrem Bezug zu Prozessen der Regionalisierung sind mehr­fach Vorbehalte zur Sprache gekommen, die eine neue Art von "Regionalis­mus" befürchten. Die Konzentration auf die Bildung von Regionen und ihre Handlungsfähigkeit könnte ideologischen Charakter annehmen, wenn sie vor­schnell von einer Eigenständigkeit der so konstituierten Regionen ausgeht. Statt­dessen sollte der methodologische Zweifel jeweils dazu beitragen, dass immer wieder auf die Impacts von" außen", auf die starke Abhängigkeit der Regiona­lisierungen von globalen Restrukturierungen oder von politischen Hierarchien geachtet wird - mit entsprechenden Folgen für die Konzeptualisierung der re­gionalen Entwicklungschancen. Ich sehe allerdings, so berechtigt dieser Aspekt generell sein mag, keinen Anlass, deshalb die von mir beispielhaft thematisier­ten Spacing-Konzepte weiter in Frage zu stellen.

Ein zweiter Einwand könnte sich darauf richten, dass es in Wirklichkeit ent­scheidend die regionalen Strategien und Optionen der wirtschaftlichen Akteure sind, die Regionalisierungen bestimmen, dass mithin Aneignungs- und Zugangs­Konzepte lediglich Sachverhalte beleuchten, die erst in zweiter Linie relevant wer-

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den. Diesem Verdacht möchte ich mit folgendem Argument begegnen: In den von mir bearbeiteten Konzepten mit ihren Gegenständen, Maßstäblichkeiten und Reichweiten finden bereits die ökonomischen Handlungslogiken ihren konkrete­ren Ausdruck. Zusammen mit dem Konzept der Netzwerk-Bildung können Spa­cing-Prozesse durchaus so rekonstruiert werden, dass sich dabei die wirtschaft­lichen Strukturierungen und Institutionenbildungen als dominant erweisen - nur ist dies nach meinem Verständnis in erster Linie eine empirische Frage.

Drittens kann eingewandt werden, in den Spacing-Prozessen gehe es oft um mehr oder weniger verdeckte Verflechtungen mit dem politisch-rechtlichen Instrumentarium. Das ist, wie bereits erwähnt, völlig richtig. Die Aneignungs­Konzepte stehen und fallen mit dem Eigentumsrecht. Die Zugangs-Konzepte "leben" von den (recht freizügigen) Regelungen der ökonomisch definierten Access-Bedingungen, durch welche sowohl Verbraucherschutzrechte berührt als auch Verkehrsformen, teilweise im öffentlichen Raum, definiert werden. Die Netzwerke werden ihrerseits erheblich mitgeprägt von den rechtlichen Vorga­ben und Handlungsräumen der daran beteiligten politisch-administrativen Ak­teure. Dennoch war es in diesem Kapitel wichtig, zunächst in einem analytisch getrennten Vorgehen überhaupt den Horizont der Spacing-Prozesse mit ihren Institutionalisierungen aufzuspannen. Durch die später (Kapitel 7) thematisierten Governance-Aspekte treten dann jene Bindungen hinzu, die in der Praxis das regionale Geschehen mitgestalten.

6 Place-making: Orts bildungen und ihre Kodierung

In Zeiten der Globalisierung, des Internet und einer kaum begrenzten Mobili­tät geraten Orte und Plätze fast zwangsläufig ins Abseits. Die räumlichen Di­mensionen unserer Berufs- wie unserer Lebenswelten haben sich drastisch er­weitert. Viele Menschen scheinen eine solche, durch modeme Technik ermög­lichte "Emanzipation vom Raum" bereitwillig, manchmal geradezu gierig auf­zunehmen, organisieren ihre Lebensführung mehr und mehr losgelöst von ört­lichen Bindungen und Abhängigkeiten - ein Schritt zu mehr Freiheit, zu unge­ahnter Horizonterweiterung. Das Lokale verschwindet, wenn nicht real, so doch nach seiner Relevanz und so auch in der öffentlichen Aufmerksamkeit.

Dieser Trend zeitigt selbstverständlich Folgen für den praktischen Umgang mit den Orten und Plätzen, sowohl im Hinblick auf ihre gegebenen Situationen als auch auf ihre Planung. Verändert sich dadurch der Charakter der lokalen räumlichen Politik oder wird sie gar hinfallig?

Der erweiterte räumliche Blick beschäftigt aber auch die Wissenschaften. Seit den 90er Jahren versuchen sozial- und raumwissenschaftliche Forschungen die neuen Phänomene von Globalisierung und Zeit-Raum-Kompression zu er­klären und theoretisch einzuordnen - mit wechselndem Erfolg. Auch hier scheint

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sich der Blick oft im Sog der weiträumigen Betrachtung von den "niederen" Sachverhalten abzuwenden. Doch parallel hierzu haben sich auch andere Stim­men zu Wort gemeldet. Sie postulieren eine mit der Globalisierung einherge­hende steigende Bedeutung des Lokalen, insbesondere der "Plätze". Dieser Spur möchte ich mit diesem Kapitel nachgehen. Können Orte und Plätze tatsäch­lich, im Zusammenhang mit globalen Veränderungen, eine spezifische Rele­vanz beanspruchen? Mit welchen Begriffen und Konzepten ließe sich diese Sichtweise re-konstruieren? Und welche Folgen hätte dies für raumbezogene Analysen und flir die räumliche Politik?

In der deutschsprachigen Diktion weisen unsere üblichen Auffassungen von "Plätzen" den physischen Bedingungen eine zentrale Bedeutung zu. In Marx'scher Diktion ließe sich geradezu von einem Fetischcharakter der phy­sisch gestalteten Räume sprechen, deren funktionaler Gehalt überbetont und deren Beziehungsgehalt geleugnet wird. Plätze gelten als physische Lokalität innerhalb eines besiedelten Gebietes, mit bestimmten gestalterischen Merkmalen und mit einer zentralen Verkehrsfunktion (für Passanten, für Fahrzeuge, flir Märkte). Doch im alltäglichen Sprachgebrauch werden auch andere Platz-Kon­notationen verwendet. Das "erste Haus am Platze" signalisiert eine hervorge­hobene Stellung in der Gesamtstadt, bezogen auf Gäste oder Kunden, die sich an diesem Ort aufhalten wollen. Ausdrücke wie "Finanzplätze", "Schauplätze" oder selbst "Wohnplätze" implizieren eine Fülle unterschiedlicher Charakteri­stika, unter denen physische Merkmale nur ein Charakteristikum unter mehre­ren darstellen. Der griechische topos kommt dieser Bedeutung recht nahe; er zeigt einen "cultural turn" im Sprechen über Orte und Plätze an.

An einen so erweiterten Begriff von "Platz" wird im Folgenden angeknüpft. Um jedoch die ständige Gefahr der semantischen Verwirrung zu vermeiden, spreche ich meistens von "Orten" und von "Ortsbildung" (place-making). Ich denke, dass auf diese Weise die zentrale Bedeutung der hier zu referierenden Fachdiskurse am ehesten erfasst werden kann. Im Sinne eines (zuvor dargeleg­ten) Such- und Lernprozesses möchte ich dabei flir ein erweitertes, offenes Verhältnis zwischen "Raum" und "Ortsbildung" plädieren.

Der Kontext: Vorstellungen von Orten im Zeichen des Globalismus

Ein um sich greifender Globalismus - damit sind Prozesse der Globalisierung als Ideologie gemeint - beansprucht immer deutlicher auch die Definition von Raumauffassungen: Raum schrumpft, Raum bildet Schnittstellen, immer mehr Raum wird peripher. Neue Begriffe verbreiten sich rasch: "global village", "space of flows", Raumbarrieren, Beschleunigung, Horizonterweiterung etc. Kein Wunder, dass bei solcher Meinungsflihrerschaft eine erhebliche Unsicher­heit darüber erwächst, welche anderen Begriffe überhaupt noch wichtig sein können und ob sie womöglich anders zu fassen wären. Was also sind "Orte", was sind "Plätze", was bedeutet "lokal", was "Gemeinde", was "place-making"? Es sei hier wiederholt, dass es nicht weiter hilft, wenn die lokalen Bezüge räum-

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lich-konzeptuelI in einen Gegensatz zu den globalen Bezügen gebracht wer­den. Als gebe es real die "bodenständigen" räumlichen Strukturen und Prozesse, mit ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten, Funktionen und Gestaltungsaufgaben, und "darüber" erhebe sich, nach eigener Logik, die globale Welt der Zeit-Raum­Kompression, der nahezu unbegrenzten "Dislozierung". Auf diese Weise gerät der AlItags-Raum unweigerlich in eine defensive RolIe, denn er gilt in erster Linie als Barriere, die man überwinden muss, in zweiter Linie als (eher tradi­tionelIes) Refugium. Dann aber bleibt er mit dem Makel des Rückständigen behaftet, während das Neue, das rasante Modeme in der "oberen Liga" spielt. Es wird wichtig sein zu zeigen, unter welchen Umständen auch der kleinteilige Alltags-Raum eine fortschrittliche Bedeutung erlangen kann.

Aus der Sicht des Globalismus ist es einerseits konsequent, das "Lokale" als Bestandteil eines (global erweiterten) Raum-Begriffs zu verstehen, als Subkategorie, die ein kleinmaßstäbliches Abbild gedehnter Raumbeziehungen liefert und in sich als Einheit unterschiedliche Dimensionen enthält. Anderer­seits bringen Orte in ihren Verknüpfungen untereinander die erweiterten Spa­cing-Strukturen hervor, bilden also deren raum schaffende Elemente. Insofern leiten das "Globale" und das "Lokale" ihre Bedeutungen je voneinander ab (Lefebvre 1993, Massey 1996, Bauman 1998, Dirlik 1999).

Doch damit ist noch nicht das Besondere von "place-making" ausgedrückt. Dieser Begriff ist überhaupt nur deshalb zusätzlich einzuführen, weil mit ihm substanziell andere Raumqualitäten (und ihre Entstehung) bezeichnet werden, die sich nicht bereits mit dem Attribut "lokal" zum Ausdruck bringen lassen. Je höher der Anteil solcher Qualitäten, wie sie über place-making entstehen, de­sto eher wird "place" (nochmals: im Sinne von Ortsbildung) als ein eigensinni­ges Konzept gelten können, das für den Globalismus eine Herausforderung darstellt. So wichtig es ist, dabei alle jene Kräfte und Aktivitäten in den Blick zu nehmen, die mit ihren Ressourcen und Fähigkeiten zum "place-making" beitragen, so klar ist aber auch festzuhalten, dass diese Vorgänge in einem tech­nischen Sinne nicht herstellbar sind, bestenfalIs über "enabling processes" oder über kooperative Bündelung verstärkt werden können.

Mit "global" ist offenbar nicht gemeint, dass der ganze Erdkreis (als terri­toriale Einheit) erfasst wird, sondern dass sich Beziehungsmuster in weite trans­nationale Räume erstrecken, also zum Beispiel internationale Finanzmärkte auf Beziehungen zwischen New York, Tokio und Frankfurt. Das bedeutet jedoch gleichzeitig, dass andere Teilräume weltweit von solchen Beziehungsmustern überhaupt nicht erfasst werden; diese sind somit keinesfalls universell. Je häu­figer allerdings derartige globale Beziehungsmuster etabliert werden - seien sie wirtschaftlicher, kultureller oder auch politischer Art -, desto stärker wer­den nationale, regionale und lokale Beziehungsmuster in Frage gestellt oder einfach überlagert und damit entwertet. Auch dies gilt freilich nur unter der zusätzlichen Bedingung, dass der Zugewinn an Macht und Gratifikationen, der mit der globalen Kooperation verbunden ist, denjenigen der räumlich begrenz­teren Organisationsweise übersteigt. Mit anderen Worten: Erst ein Substanz-

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verlust des Lokalen bringt die vom Globalismus behaupteten Vorteile des Glo­balen zur Geltung. Dies tritt verständlicherweise um so eher ein, je mehr sich auch die lokalen Akteure am Globalen orientieren, je mehr also das Lokale als (inhärenter) Gegensatz zum Globalen verstanden wird.

Für die weitere Argumentation ist es daher entscheidend, inwieweit es ge­lingen kann, "place-making" als räumliche Strukturierung eigener Art, mit ei­gener Substanz, aber eben nicht im Gegensatz zur globalen Strukturierung, zu kennzeichnen. Das Konzept "place-making" bewerte ich als interdisziplinäres Schlüsselkonzept, das von Humangeographie, Stadt- und Regionalsoziologie, Policy-Forschung und Ethnologie wie auch von den darauf aufbauenden Pla­nungswissenschaften gleichermaßen aufgegriffen und nutzbar gemacht werden kann. Es wird im Folgenden nach drei zentralen Argumentationslinien mit ihren Konzepten entfaltet.

6.1 Phänomenologisch-kulturanthropologische Konzepte

Mit dieser Zugangsweise wird zugunsten einer primären Bedeutung von "Ort" Partei ergriffen. Orte sind von Anfang an da, dann erst bilden sich Räume. Casey sagt lapidar: "Wir finden uns immer in Orten wieder." (1996, S. 17) Insofern sind Orte Bestandteile unserer Existenz; wir bewegen uns in Orten, und sie bieten uns Aufenthalt; wir machen von Anfang an und ständig "emplaced experience". Es sind Orte, die uns ermöglichen, uns im Raum zu positionieren, einen Stand­ort einzunehmen, von da aus Ausschau zu halten.

Eine solche fast archaische Bedeutung von "places" findet ihren Ursprung im lebendigen menschlichen Körper. Er bewegt sich im Raum mit Hilfe von strukturierten Orten. Und das scheint der menschlichen Natur (soweit wir sie heutzutage noch zu kennen meinen) zu entsprechen. Der menschliche Körper ist der" Agent", der Orte sucht, Plätze einnimmt, auf diese Weise die Existenz von "places" ermöglicht und garantiert. Wo sich keine Menschen aufhalten, kann "place" nicht entstehen, lediglich ein geographischer oder virtueller Punkt-Ort. Umberto Ecos Überzeugung lautet, "dass es begriffliche Vorstellungen gibt, die allen Kulturen gemeinsam sind, und dass sie sich alle auf die Positionen unse­res Körpers im Raum beziehen" (Eco 2000).

Das bereits bezeichnet einen Aspekt jenes Eigensinns, mit dem der "Place"­Diskurs auf den Globalismus einwirkt. Wenn die Raum-Zeit-Kompression als Totalität verstanden, wenn Mobilität als prinzipiell grenzenlos wahrgenommen, wenn der Alltag über Internet und Multimedia-Technik organisiert wird (Mey­rowitz 1985), dann bleibt es doch unverzichtbar, dass wir als Körperwesen, Platz suchend und einnehmend, uns im Raum bewegen. Und dieser körperlich ange­eignete Raum bedarf einer spezifischen technisch-organisatorischen Ausstat­tung, die wiederum fur die "Ausstattung" des menschlichen Körpers geeignet sein muss. Diese Körper-Geeignetheit wiederum wird stark kulturell bestimmt sein, das "emplacement" bezieht sich wesentlich auf die Verortung der Men­schen in ihrem Lebensumfeld nach kulturellen Vorzeichen.

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Angesichts der anschwellenden Debatten über "Menschenzucht" taucht hier die Frage auf, ob die kulturanthropologische Definition der Körper-Bindung von "places" in Zukunft nicht ebenfalls als disponibel anzusehen ist. Dieser Hin­weis zeigt, wie rasch wir bei diesem Thema an anthropologische und ethische Grenzfragen stoßen und die Hoffnung auf ein einfaches re-konstruktives Vor­gehen begraben müssen.

Die folgenden Merkmale eines phänomenologisch hergeleiteten "Place"­Konzepts erscheinen mir wesentlich (Casey 1993, 1996; Dirlik 1999):

(I) Orte gewinnen ihre spezifische Qualität durch ein bewusstes Bewirken, durch Arbeit oder künstlerisches Schaffen sowie durch ein dadurch zum Ausdruck gebrachtes Naturverhältnis. "Ort" bezeichnet somit einen histo­risch konkretisierten Raum. Orte gewinnen ihre Qualität aber zusätzlich über ihre Aneignung. Erst der menschliche Körper, die Benutzer, die einander Begegnenden schaffen Orts-Eigenschaften, indem sie sich eine räumlich­physische Konstellation handelnd aneignen. Falsch ist es danach, von ge­gebenen Lokalitäten (Behälter-Raum) auszugehen und zu meinen, inner­halb dieser Gegebenheiten ereigneten sich soziale und historische Aktivi­täten. Die mit Arbeit und Aneignung verbundene Orts-Qualität lässt sich an Beispielen wie Wohnweise, Arbeitsplatz-Beziehungen, Kneipenkultur, Theaterleben oder Konferenzwesen aufzeigen. Es geht dabei nicht um den einzelnen konkreten physischen Ort, die Wohnung, die Kneipe, sondern um übergreifende Arrangements. In ihnen finden Tätigkeit und Aneignung ei­nen raumgebundenen kulturellen Ausdruck.

(2) Orte weisen üblicherweise konkurrierende interne Merkmale, ebenso Kon­flikte und Spannungen auf; ihre Identität erscheint fragil. Solche Differen­zen treten häufig zwischen ihren lokalen und translokalen Elementen auf, falls beide Seiten ihre Fürsprecher haben. Ein Beispiel bilden Konflikte in Stadtteilen, die entweder nach den Vorgaben internationaler Konzerne und Ladenketten oder aber nach den Vorlieben der heimischen Gewerbetrei­benden erneuert werden sollen. Es kann aber auch innerhalb der lokalen Bestandteile zu divergierenden Identitätsauffassungen kommen, so zum Beispiel anhand der Frage, ob ein Stadtteil in erster Linie als Wohnplatz oder als Platz der Unterhaitungsindustrie dienen soll. Das Thema der "Place"-Identität erweist sich so als konflikthafter Suchprozess mit in sich oft widerstrebenden, in jedem Fall provisorischen Eigenschaften. Das hat Folgen flir die Art der zu organisierenden räumlichen (Place-)Politik. Meiner Auffassung nach sollte man allerdings von "Orten ohne Identität" nicht sprechen. Wenn kein Kampf um Identitäten stattfindet, wenn weder lokaler Eigensinn noch trans lokales Interesse artikuliert werden, verblas­sen die ort-konstituierenden Merkmale so stark, dass banale Räume, Leer­räume ("voids") oder Brachen zurückbleiben. Das sind keine "places" , son­dern Räume ohne Gehalt.

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(3) Orte weisen immer einen territorialen Bezug auf, sei es durch besondere Topoi, durch Bauten, Strecken und Zwischenräume oder durch öffentliche Zeichensysteme. Das bedeutet keinen geographischen Determinismus, son­dern bildet einen wesentlichen Aspekt der "groundedness" von "places", und zwar einer Verankerung von unten. Dazu gehört, als zweiter Aspekt neben der Topographie, die Erkenntnis, dass wir Menschen Halt brauchen, ganz im Sinne der kulturgeschichtlichen Aussage des Alten Testaments (Psalm 31) "Du stellst meine Füße auf weiten Raum": Der weite Raum bezeichnet die Vervielfachung der Optionen und Gefährdnungen, die Füße aber brauchen einen guten Stand. Weiter zählt zur "groundedness" die räumliche Begrenzung. Auch wenn Orte definitionsgemäß nicht als abgeschlossen, sondern als offen und po­rös konzeptualisiert werden, so bedeutet dies längst keine völlige Entgren­zung. Die Grenzen bilden sich durch die Reichweite der als Schnittstelle fungierenden sozialen Interaktionen, wobei allerdings die unmittelbaren, überschaubaren sozialen Interaktionsnetze ein Übergewicht zeigen sollten (das bleibt, zugegeben, unscharfund wird auch sozialstruktureIl variieren). Das Alltagsleben, die alltäglichen Aktionsräume ausgewählter Gruppen könnten den Maßstab bilden für diese Grenzziehungen; sie unterliegen selbst der Dynamik und Revision.

Insgesamt: Die phänomenologischen Ansätze (die auch kulturanthropologische und ethnologische Aspekte einschließen) gehen intentional vor: Sie wollen durch ihre Klärungen einen neuen Kontext dafür liefern, dass wissenschaftliches Wissen und räumliche Politik überdacht und ggf. reformuliert werden. Es han­delt sich daher durchaus um eine anwendungsorientierte Betrachtung.

6.2 Sozialökologisch-junktionale Konzepte

Mit dem Hinweis auf die konstituierende Bedeutung von sozialen Interaktio­nen ergibt sich der Übergang zu einer zweiten Betrachtungsweise: der sozial­öko 10 gisch-funktionalen Argumentation.

(1) Durchgängig wird auf die konstitutive Bedeutung von sozialen Beziehun­gen für die Ausprägung räumlicher Strukturen hingewiesen, auf die Ver­hältnisse von Klassen, Ethnien, Lebensstilen, Geschlechtern mit ihren da­rin verankerten Macht- und Bedeutungsaspekten. Da diese sozialen Bezie­hungen immer dynamisch sind, sich im Allgemeinen über Muster von Ak­tivitäten äußern, folgt daraus auch eine grundlegende Dynamisierung ihrer räumlichen Ausdrucksformen. Insofern ist die Zeitdimension mit der Raum­dimension untrennbar verbunden.

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Es ist allerdings nicht so, dass soziale Beziehungen sich jeweils in lokali­sierten sozialen Interaktionen ausdrücken, also sichtbar werden. Im Gegen­teil scheint die modeme gesellschaftliche Entwicklung die öffentlich wahr­nehmbare Kommunikation mehr und mehr zurückzudrängen. Das macht

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den Blick auf die Kodierungen der sozialen Beziehungen zwingend. Inso­weit sind die physischen Bestandteile von Orten in einern nicht-statischen Sinne, nämlich als Kodierungen der dynamischen sozialen Beziehungen und Machtdifferentiale einzubeziehen; sie mögen sich als relativ dauerhaft oder sperrig erweisen, doch sie fUhren kein losgelöstes Eigendasein. Städte­bau, Architektur und Baugestaltung sind die Lieferanten solcher Kodierun­gen und lassen sich dementsprechend dekodieren. Durch die Akzentuierung der dynamischen Ort-Konstituierung als Ausdruck sozialer Beziehungen ist zudem sichergestellt, dass auch Aussagen von Geschichte und Politik zur Rekonstruktion und Interpretation von "places" verwendet werden können.

(2) Eine besondere Ausprägung erfahrt diese Sichtweise durch die Eigenschaf­ten von Orten fiir die Organisation wirtschaftlicher Beziehungen. In der früh­kapitalistischen Ökonomie (Adam Smith u.a.) wurde die Orte-Vielfalt kon­sequent reduziert auf "Marktplätze"; die geographische Dimension umfasste im Übrigen lediglich ein mehr oder weniger ausgedehntes Terrain ftir den Kreislauf von Arbeit, Kapital oder Waren. Je nach den Bedingungen der Arbeitsteilung entfaltete sich in der Folgezeit eine differenzierte Nachfra­ge nach unterschiedlichen Typen von solchen "Marktplätzen". Nur in "gro­ßen" Plätzen (heute würde die Raumordnung sagen: in Oberzentren) lassen sich bestimmte Berufe ausüben und Renditen erzielen, während "kleine" Plätze vor allem über bestimmte Formen der indidividuellen und kollekti­ven Konsumtion zu definieren sind. In wirtschaftshistorischer Sicht betrieb die Ökonomie mehr und mehr ei­nen Abbau von Restriktionen ftir den ungehinderten Fluss von Arbeit und Kapital, wobei die daraus entstehenden Nachteile vor allem von ausgegrenz­ten Teilgruppen der lokal gebundenen Sozialmilieus zu tragen waren. "Places" sind insoweit zu differenzierten Ensembles fiir Investitions- und Beschäftigungsgelegenheiten geworden, die jedoch im Zuge der technolo­gischen Entwicklung die spezifischen örtlichen Bindungen abzustreifen vermochten, das heißt, sie wurden vielfach austauschbar. Die Standort­Optionen der Unternehmen sind heute ungleich reichhaltiger als noch vor vierzig Jahren. Die Orte scheinen in dieser Argumentationsweise ihre Be­sonderheiten einzubüßen.

(3) Eine weitere Dimension des place-making kann mit Hilfe einer Renaissance des Konzepts der" opportunity structures" gewonnen werden. Entstanden im Zusammenhang mit Theorien abweichenden Verhaltens (Cloward/Ohlin 1970), öffnet es den Blick darauf, dass örtliche sozialräumliche Verhält­nisse mit ihren Merkmalen entsprechende Gelegenheiten bieten ftir Ver­haltensweisen: Einzelne Verhaltensweisen werden eher begünstigt oder er­leichtert, andere werden verhindert oder erschwert. Dieser Aspekt steht ins­besondere in den Gender-Forschungen im Vordergrund (Massey 1994, Walby 1997). Geschlechter-Verhältnisse variieren räumlich in ihren Ver­haltensmustern, sind also in vielfacher Weise kontextuiert. Einen be sonde-

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ren Typ von Gelegenheitsstrukturen liefern nach den USA-Erfahrungen die "gated communities" (Dill on 1994, Blakeley/Snyder 1999). Auch wenn Formen dieser Ausprägung (die von einer prinzipiellen Privatisierbarkeit städtischer Räume ausgehen) in Europa und Deutschland noch selten sind, so zeigen sie doch schlaglichtartig, dass durch scharfe Kontrollen von "Access" zu Siedlungsräumen bestimmte Kategorien von Nutzern bzw. Besuchern ausgeschlossen werden können, während den anderen innerhalb solcher Teilräume zusätzliche Mobilitätschancen und mehr öffentliche Si­cherheit offen stehen. Die Qualität einer Ortsbildung wird durch die Art der Gelegenheitsstrukturen stark mitbestimmt.

(4) Die Einzigartigkeit (Authentizität) eines Ortes ergibt sich immer weniger aus den örtlichen Merkmalen selbst, sondern zunehmend aus der besonde­ren Ausprägung der "links", der lokal gebundenen Eigenschaften zu den jenseitigen, das heißt entfernteren, vielleicht globalen Bezügen. "Places" sind so lokale Schnittstellen von Beziehungen in ihren Verbindungen zum Translokalen, d.h. sie sind lokal versammelte Arrangements, in denen im­mer auch translokale Elemente wirksam sind. Sie weisen daher keine star­ren Grenzen auf, sondern sind offen oder porös. Die Tragweite dieser definitorischen Konvention kann kaum überschätzt werden, bedeutet sie doch, dass einerseits globalisierte Inhalte oder Bezie­hungen zum Bestandteil von Orten werden können, dass sich andererseits auf diese Weise defensive Schließungen von Orten vermeiden lassen. Dazu gehören etwa die Bejahung einer "Transkulturalität" (Welsch 1996) oder die Bereitschaft zur Internationalisierung der lokalen Ökonomie. "Starke" Orte vermögen so auszustrahlen, Projektionen zu bilden, ihrerseits Impacts auf Globalität auszuüben, freilich gebunden an die in ihnen wirkenden Akteure. "Schwache" Orte verfügen über wenig Eigensinn und sind somit den externen Einflüssen stärker ausgeliefert. Es bedarf von Fall zu Fall der Untersuchung, in welcher Intensität und mit welchen Folgen lokale und translokale Einflüsse die Bedeutung eines Ortes ausmachen.

6.3 Politisch-symbolische Konzepte

Zahlreiche Beiträge für ein multidisziplinär rekonstruiertes Konzept von "place" fußen auf der Intention raum bezogenen Hande\ns, wobei physische Orte den sozial-räumlichen Handlungskontext bilden.

(I) Ein erstes Augenmerk richtet sich auf den Identitäts-Aspekt. Vielfach scheint in Städten und Gemeinden mehr an gemeinsamer Identität, an gemeinsam geteilten Grundlagen vorhanden zu sein, als oft sichtbar wird. Es handelt sich um latente kollektive Orts-Zuschreibungen. Durch explizit gemachte Herausforderungen und öffentlich thematisierte Aufgaben lässt sich ein sol­cher "common ground" aktualisieren, lassen sich darauf gründend situativ Anhänger für eine Strategie des place-making mobilisieren.

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Gerade die mit den überlokalen und transnationalen Bedeutungsverschie­bungen einhergehenden Folgen für die eigenen Lebenswelten rufen offen­bar vermehrt ein Bedürfnis hervor, sich der eigenen sozial-räumlichen Zu­gehörigkeit zu versichern, die partiellen Einbettungen neu zu stabilisieren, sich die Besonderheiten und Werte bewusst zu machen, die an "places" ge­bunden sind. Dass dies nicht hermetisch geschieht, sondern im offenen Aus­tausch und im Bemühen, den "common ground" anderen gegenüber sicht­bar zu machen, stellt eine eigene institutionelle Fähigkeit jeder Kodierung von Ortsbildungen dar. Dies gilt sowohl im Hinblick auf ökonomische Stra­tegien als auch im Hinblick aufpolitische, also öffentliche Entscheidungen.

(2) Die vielen räumlich organisierten Modi des Strukturierens und Ordnens sind zentraler Objektbereich der Aktor-Netzwerk-Theorie (insbesondere Law 1994). Danach werden vor allem Netzwerke des Sozialen, in die jeweils auch technische Mittel eingebunden sind, als Subjekte für die Beförderung intentionaler und reflexiver Strategien betrachtet. Erst die Bildung robu­ster Netzwerke schafft die fUr besondere Problemlösungen erforderliche Handlungsfähigkeit. Die Stabilisierung der Netzwerk-Konstituierung ge­schieht wesentlich über Prozesse der "Übersetzung" (translation), das heißt, der gegenseitigen Angleichung der beteiligten heterogenen" Aktoren" (die auch technische Geräte sein können), wobei es zu einer Aushandlung zwischen mehr oder weniger dauerhaften Komponenten (Gebäuden, Ma­schinen, Körper, Stimmen, Texte u.Ä.) kommen muss. Gelingt dies, kann ein sozio-technisches Netzwerk "seinen Platz einnehmen" (stay in place) und von da aus versuchen, die teils widerstrebenden Komponenten auf Linie zu bringen. Solche Netzwerke vermögen sodann eigenständig "pi aces" und "Knoten" zu generieren, mit deren Hilfe andere Akteure Fuß fassen können. Solche Netzwerk-Fähigkeiten werden in der Diktion der Aktor-Netzwerk-Theorie als "centers of translation" bezeichnet. Die Aufgaben der "Übersetzung" konzentrieren sich vor allem auf Aspekte der Problematisierung durch die initiierenden Akteure, auf die Stiftung eines gemeinsamen Interesses (Ein­bindung von KooperationswiIligen), auf eine geeignete Rollenbeschreibung und -verteilung der Mitwirkenden sowie auf die Mobilisierung aller Netz­werk-Mitglieder im Hinblick auf die Zielstellung. Dabei spielen Macht­aspekte insofern eine bedeutsame Rolle, als die Arbeit an der Robustheit und Produktivität von Netzwerken von den "Treibern" in den Netzwerken vorangetrieben und durchgesetzt wird, so dass im Ergebnis auch die Place­Netzwerke selbst einen Zuwachs an relativer Macht erzielen können.

(3) Mit der Figur des "stakeholder" (Bryson/Crosby 1992, Healey 1998) wird eine in der Zivilgesellschaft fußende, aber auf die Arbeit am lokalen poli­tischen Gemeinwesen orientierte Rolle konzipiert. Akteure lassen sich so etikettieren, wenn sie sich in Fragen der räumlichen Entwicklung engagie­ren, ihre eigene "Marke" setzen, auch wenn sie nicht an diesem Ort ihren

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Lebensmittelpunkt haben oder auch gar nicht überblicken können, in weI­cher komplexen Situation sie handeln. So kann auch ein Unternehmen, das global agiert, als "stakeholder" auftreten. Das Bild von den "stakeholders" ist relativ offen; sie gelten nicht als fixiert in ihren Positionen, stattdessen als aushandlungsbereit und lernfahig. Auf diese Weise erhofft man sich durch ihr Mitwirken eine wirksame, erweiterte Steuerung der "Place"-Entwick­lungen. Wenn allerdings nur einige wenige "stakeholders" die öffentlichen Debatten bestimmen, entsteht die Gefahr, dass die kooperativen Formen des "place-making" auf etwas zurückfallen, was in der Community-power­Forschung eine zentrale Rolle gespielt hatte: die Bedeutung lokaler Eliten und Korporationen. Auch hier kommt es mithin auf die "richtige" Kodie­rung an.

(4) "Common ground", Aktor-Netzwerke und Stakeholder-Rollen bieten gleich­zeitig Wissen und Handlungsgrundlagen für politisch-administrative Ak­teursgruppen. Mit Hilfe von sprachlichen Metaphern, von Bildern und Al­legorien, von Mitteln symbolischer Politik entsteht ein die materiellen Ver­hältnisse überwölbender "Place"-Raum. Er vermag selbst als Antriebskraft für öffentliches Handeln zu wirken. Die Formulierung von Stadtpolitik konstituiert den besonderen "Platz" mit, insofern ihre Vertreter Bezug nehmen auf die lokalen Spezifika in ihren überlokalen Kontexten und Sprachspielen (siehe dazu näher Kapitel 7).

Hinzu tritt die Rolle der Architektur und der öffentlichen Zeichensysteme. Wie schon erwähnt, symbolisiert die physische Gestaltung häufig - und meist kon­kurrierend - lokal situierte, aber überlokal ausstrahlende Herrschaftsverhält­nisse, signalisiert Geltungs- und Integrationsansprüche. In ihrer symbolischen Gestalt sind "places" insoweit auf Dominanz und Kohäsion angelegt. Und der Blick auf die Symbolisierungen führt zu Fragen nach Macht, Einfluss und Un­terordnung. Wie wird zum Beispiel ein privilegierter Platz symbolisiert? Wes­sen Interessen, wessen Identitäten gelangen dabei in den Vordergrund, und wessen Interessen und Identitäten nicht? Durch Hervorhebung bestimmter Komponenten, durch deren Zusammenspiel können eine Vorrangstellung, eine Besonderheit, ein" Alleinstellungsmerkmal" symbolisiert werden. Andere mög­liche Komponenten verbleiben dann im politisch-symbolischen Diskurs auf der Schattenseite.

Eine kleine Place-Geschichte ...

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Der Präsident einer Hochschule in einem der ostdeutschen Län­der entwickelte die Idee, einen Kreis wichtiger Persönlichkeiten aus der Region seiner Hochschule nach Württemberg einzuladen. Die Landräte, Oberbürgermeister, Verbandsvorsitzenden, Kam­mer- und Gerichtspräsidenten und anderefuhren in einem Bus ins

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Remstal bei Stuttgart, eine traditions reiche Weingegend. Es wur­de gemeinsam gegessen und getrunken, eingeladene Vertreter der Region erzählten von ihrer Tätigkeit, einige Orte, Siedlungen und Betriebe wurden besichtigt. Und siehe da - es kam, wie der Prä­sident berichtet, zu einer Reihe von wichtigen Aha-Erlebnissen, die offenbar etwas mit den "Place"-Eigenschaften dieser Kultur­landschaft zu tun hatten: Beispiele eines angepassten Bauens in der Landschaft (bei der relativ hohen Siedlungs dichte in dieser Region kein Selbstläufer); der Stolz der Weingärtner über ihren jahrhundertealten Weinbau mit seinem spezifischen "terroir", ihr selbstverständliches Eingebundensein in die Traditionen, ihre (durchaus modernisierte) Weinkultur; die gastfreundliche Offen­heit der Menschen, wie sie sich in der einheimischen Küche, in den bereitwillig gewährten Erläuterungen, in den geschilderten Exportbeziehungen zeigten. Ein "common ground", ein Kulturlandschafts-Platz gewann hier vor den Augen der Besucher Profil, sie ließen sich anstecken, wurden aber auch nachdenklich im Vergleich mit den eigenen Verhältnissen zu Hause. "Plätze" brauchen Zeit.

6.4 Resümee

"Place-making" -Vorgänge, wie sie hier konzeptualisiert wurden, werden - um Formulierungen von Casey und Dirlik aufzugreifen - als Ereignisse und Pro­jekte verstanden, nicht als physische Gegenstände. Sie geschehen; sie sind so­mit lebendig, dynamisch, in eine bestimmte Richtung weisend, zumindest par­tiell steuerbar. Und sie dienen, so konstruiert, als Kontexte für eine ortsbezogene Wissensgenerierung wie rur politisches Handeln.

Das Konzept des "place-making" verkörpert bei der Transformation des Raumes eine teils beharrende, stabile Verankerung, teils ein Kaleidoskop von Bildern, Geschichten und Symbolen, die je nach Situation und Interesse der beteiligten Akteursgruppen aktualisiert und inszeniert werden können. Sie kön­nen Beispiele fiir Halbwachs' kollektives Gedächtnis sein, sie können Beispiele rur neue kognitive Entwürfe sein, die zur Selbstvergewisserung und zum "empowerment" der lokal gebundenen Menschen und Organisationen beitra­gen. Sie vermögen einen Beitrag zur Ordnung des Lebens am konkreten Ort zu leisten.

So kodierte Ortsbildungen enthalten nach diesem Konzept zwei wesentli­che Strukturmerkmale: die Fähigkeit, heterogene Elemente zeit-räumlich zu­sammenzurugen, und die Fähigkeit, Menschen im Raum kulturell zu platzieren, kulturelle Spuren zu bilden. Mit diesen Merkmalen vermögen "places" Unter­schiedliches zu leisten, nämlich zum einen Kompensation zu bieten gegenüber Globalisierungsverlusten (wieviel Auflösung erträgt der Mensch?), zum Zwei­ten als Beförderer von (kollektiven) Prozessen der Identitätsbildung und -

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vergewisserung, der eigenen Stärken und Profile aufzutreten, zum Dritten bild­hafte Fiktionen hervorzubringen, die im Sinne nahezu beliebiger "Benutzer­oberflächen" die Interessen von Menschen und Unternehmen auf bestimmte vermeintliche Kapazitäten lenken. Ich nenne die kodierten und verankerten Orts bildungen dieser Art Sozialräumliche Strukturen, Typ Il.

Die aufgezeigten Komponenten von "places" legen es nahe, von einer prin­zipiellen "Platzdiversität" auszugehen. Sie lässt sich einerseits nach den beson­deren Eigenschaften (kulturell-historisches emplacement, linkages, groundedness, Symbolik u. Ä.), andererseits nach einzelnen Handlungsdimensionen (sozial, ökonomisch, politisch, kulturell) bestimmen und so nach verschiedenen Typen auf fächern. Die Vielfalt der Ortsbildungen legt es nahe, sie bei gegebenem An­lass als Ereignisse oder Projekte konkret empirisch zu (re-)konstruieren, hinge­gen mit generalisierbaren Aussagen vorsichtig zu sein. Dies bleibt jedoch im Hinblick auf normative Überlegungen unbefriedigend. Wir brauchen Aussagen, die uns helfen können, trotz der Individualität der Orte strukturelle Merkmale zu identifizieren und Orientierungen flir raumpolitisches Handeln zu gewinnen.

Damit ist ein Bogen geschlagen zu einer der Kernfragen der aktuellen Raum­diskurse in globaler Perspektive. Die häufig unterstellte "Enträumlichung" so­zialer Beziehungen wird immer wieder gleichgesetzt mit einem rasanten Be­deutungsverlust des Ortes. Doch bei näherer Betrachtung wird erkennbar, dass die lokalen oder zunehmend regionalen Gelegenheitsstrukturen unverzichtba­re Bestandteile der (post)modernen Entwicklung darstellen; sie lassen sich auf innovative Weise nutzen und können demgemäß für neue Aufgaben organisiert und gestaltet werden. Hieraus erklären sich die immensen Investitionsmittel, die innerhalb des tertiären oder des quartären Sektors in attraktive Standorte oder in geeignete "Netzknoten" fließen. Was dies für die Zukunft des besiedel­ten Raumes bedeuten wird, lässt sich derzeit nicht sagen; doch "places" wer­den aus mehreren Gründen immer wieder entstehen: als Gelegenheitsstrukturen, als persistente Sinnzonen und Symbole, als Basis flir soziale Zugehörigkeit.

6.5 Konzeptuelle Einwände

Es gibt einen gravierenden Einwand gegen ein sozialräumlich re-konstruiertes Konzept des "place-making". Dahinter verberge sich nämlich regelmäßig eine konservative, ja oftmals reaktionäre Grundhaltung, die über die Konstruktion von "place" mobilisiert werde, um die entgrenzenden Modernisierungsphäno­mene in Misskredit zu bringen. Dies gelte im Grunde auch für den wissenschaft­lichen Diskurs. Die Konzentration auflokale Studien spiegele eine ideologisch­begrenzte Sichtweise auf Sachverhalte wider, die es so in modernen Gesell­schaften einfach nicht mehr gebe. Doreen Massey hat diese Argumentation ausführlich referiert (Massey 1994); ich möchte zeigen, inwieweit sie sich wi­derlegen lässt.

Sowohl in Europa als auch weltweit sind immer wieder Stimmen zu ver­nehmen, die einen exklusiven Anspruch auf bestimmte "places" erheben, und

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diese Stimmen argumentieren nationalistisch, regionalistisch oder auch lokali­stisch. Sie vertreten eine ideologische Position, von der aus sie, meist histo­risch begründet, einen ausgewählten Teilraum mit einer fixierten Bedeutung, mit einer geschlossenen Identität belegen. Prominente Beispiele sind etwa die "Bundesstadt Bonn", die ihre vorherige Identität möglichst ohne größere Ab­striche aufrechtzuerhalten versucht, oder die Erwartungen nationalistischer Gruppen gegenüber dem früheren Königsberg, die bei ihren Vorschlägen zur Stadterneuerung weiterhin vom Bild eines Kolonial-Platzes ausgehen.

Man versucht, die Zeit anzuhalten, indem ein statisches Verständnis von Raum vertreten wird. Oft dienen dann Orte auch dazu, mit ihnen, als "Erbe", eine bestimmte Erinnerung oder Sehnsucht, eine nostalgische Stimmung zu ver­binden, um explizit einzelnen Prozessen der Umwandlung zu widerstehen. Man­ches Denkmalschutzprogramm lässt sich solchen Grundpositionen zuordnen. Auf diese Weise werden insgesamt statische Auffassungen favorisiert und nicht selten bei Auseinandersetzungen um künftige Entwicklungsschritte offensiv verfochten. Das Motiv dahinter besteht nicht nur darin, um eines Vorteils wil­len Einfluss auf die Ortsbildungen auszuüben, sondern auf diese Weise vermeint­lich einen wichtigen kulturellen Beitrag zur Stabilisierung von Raum-Zeit-Kon­figurationen leisten zu können, die ansonsten als chaotisch gelten, voller Auf­lösung und Entfremdung.

Durch "place-making" findet somit ein Kampf um die Etikettierung von Orten statt. Das belegt bereits eindringlich, dass von einer starren Charakterisierung der "places" nicht die Rede sein kann. Ihre Identitäten sind von vornherein und wei­terhin umstritten und damit unfixierbar. Wer dies leugnet, tritt dogmatisch auf und will womöglich flir einen Rückzug aus den realen Änderungprozessen wer­ben - mit welcher Legitimation? Ist es zwingend, dass Änderungen entlang der Raum-Zeit-Kompression Unsicherheit hervorrufen? Wird mit statischen Auffas­sungen über Orte nicht, wider besseres Wissen, auf populistische Effekte gesetzt?

Könnte man sich nicht Besonderheiten und Eigenarten des "place-making" vorstellen, ohne dass das Vorgehen mit statischen und reaktionären Auffassun­gen gleichgesetzt wird? Also "places" mit einer offenen Persistenz? Wir brau­chen nichts weiter zu unternehmen, als im eigenen Umfeld Beispiele auszu­wählen und narrativ zu versuchen, deren Charakteristik zu schildern bzw. schil­dern zu lassen. Es wird sich dann rasch zeigen, in welchem Maße geschlosse­ne, einseitige oder offene, multiple Identitäten den Ton angeben. Grundsätz­lich werden zum Beispiel großstädtische "places" keine kohärente Identität, keine homogene Gemeinschaftlichkeit, keine Begrenzungen zwischen innen und außen aufweisen. Die Erwartung, aufreaktionär "gefüllte" Orte zu treffen, wird demnach eher gering ausfallen.

Wer in Berlin vom "Prenzlauer Berg" spricht, verbindet damit nicht nur eine angebbare geographische Lage, sondern vor allem eine bestimmte Lebens­art, und diese gründet sich unter anderem auf eine bunte Mischung von Bewohnergruppen, auf eine bestimmte lokale Ökonomie und Kultur sowie auf ein Infrastruktur-"setting" als Ergebnis politisch-historischer Planungen. Der

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zusätzlich einsickernde Anteil translokaler, globaler Einflüsse wird im Stadt­teil selbst, d.h. je nach Zugehörigkeit zu zivilgesellschaftIichen Gruppen, als zwiespältig empfunden, teils mit Abwehrhaltungen, teils mit Neugier beantwor­tet. Im Ergebnis (und sehr dynamisch) bildet sich eine Orts-Qualität aus, die sowohl durch eine eigene Charakteristik als auch durch eine poröse Interaktion mit "jenseitigen" Wirkungszusammenhängen gekennzeichnet ist.

In ähnlicher Weise kann die Frage nach einer problematischen, rückwärts­gewandten Identität regionaler "places" überprüft werden. Aus meinem Hand­lungshorizont nenne ich als Beispiele die "Lausitz" oder die "Prignitz". Sie weisen beide Bemühungen um ein adäquates "place-making" auf, haben Platz­Eigenschaften in unterschiedlicher Kombination, in unterschiedlicher Ausdeh­nung und mit besonderer "Gangart" ausgebildet: eine meist kleinstädtische Wohn- und Lebensweise, eine vor allem gewerblich geprägte lokale Ökono­mie (die zu wenig Arbeitsplätze beibringt), eine über (Aus-)Bildungs-Angebote unterschiedlicher Stufen und über regional verankerte Spielstätten veranstalte­te Kultur, eine eher homogene Sozialstruktur mit deutlichen Ausgrenzungs­Merkmalen gegenüber Fremden, eine vielfältige, teils noch landwirtschaftlich, teils über Freizeit-Aktivitäten genutzte Landschaft - wobei die Lausitz gegen­wärtig möglichersweise im Vergleich etwas leistungsstärker und im Hinblick auf Außeneinflüsse poröser (das heißt: auch gastfreundlicher) agiert, doch das bedürfte einer genaueren Rekonstruktion entlang einiger Prüfkriterien: Ausmaß der prozessualen Elemente (was heißt "making"?), Verhältnis zu außenseitigen Bereichen, Art und Intensität interner Differenzen bzw. Konflikte, "grounded­ness" nach Topographie und Grenzziehungen, eigene Zeitrhythmen zur organi­satorischen Zusammenführung von Bewohnern und lokalen (Infrastruktur-) Ausstattungen, Symbolik der Zeichensysteme etc.

Im Ergebnis möchte ich festhalten, dass der eingangs erwähnte konzeptu­elle Einwand triftig erscheint, jedoch bei näherer Prüfung nicht gegen die rekonstruktive Analyse von "place-making" verwendet werden kann. Entschei­dend scheinen mir die Prämissen zu sein, dass "places" nicht als Objekt, son­dern als Ereignis und dass sie als Fokus einer je unterschiedlichen Mischung aus weit gedehnten und nur lokal verankerten sozialen Beziehungen aufgefasst werden. Es ist dann eine empirische Frage, inwieweit statische oder reaktionä­re Elemente in konkreten Profilen enthalten sind.

7 Governance: Steuerung und Planung bei raumbildenden Prozessen

Die Bildung von Governance-Konzepten resultiert aus den Neubestimmungen der raumwissenschaftlichen Themen, aus der Dynamisierung der Raum-Kon­zepte und dem Bezug auf eine veränderte Steuerungs- und Planungspolitik, die

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auf Steuerungsschwächen innerhalb der herkömmlichen Institutionensysteme neue Antworten sucht. Auf diese Weise kommt es im Feld der Beziehungen zwischen Staat und Gesellschaft zu einer Neugestaltung der Steuerungsformen. Neben die Formen staatlicher Regulierung ("government") treten Aushandlungs­prozesse mit vieWiltigen gesellschaftlichen Akteursgruppen; diese bilden, ge­meinsam mit den staatlichen bzw. kommunalen Vertretern, eigenständige Hand­lungseinheiten (Arrangements). Die Aushandlungsprozesse bedürfen der geeig­neten Strukturierung und ergebnisorientierten Lenkung ("guidance"). Es sind die daraus entstehenden Handlungs- und Steuerungsmodi, die mit dem Kon­zept "governance" bezeichnet werden.

Die Gründe für eine Transformierung der traditionellen Formen des Re­gierungs- und Verwaltungshandelns sind vieWiltig. Mit den meisten Argumen­ten soll aufgezeigt werden, dass über veränderte Steuerungsinstrumente eine notwendige Anpassung an durchgreifende ökonomische und soziale Struktur­wandlungen erfolgt, die auf eine essentielle Neubestimmung des Wohlfahrts­staates hinausläuft (Mayntz 1993, Kooiman 1993, Cars et al. 2002). Viele Mit­arbeiterinnen und Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung machen inzwischen Erfahrungen mit informellen und kooperativen Arbeitsformen, in der planen­den Verwaltung erleben sie eine allmähliche Transformation des bisher vertrau­ten Systems der räumlichen Planung. Eine weitere Quelle veränderter Steue­rungskonzepte ist durch Arbeiten zu einer "responsiven Regulierung" entstan­den, mit denen - interdisziplinär ausgerichtet - auf die Tatsache reagiert wird, dass über bloße Instrumente der regulativen Politik weder bei hochkomplexen noch bei gesellschaftlich strittigen Fragen eine hinreichende Akzeptanz der Steuerungsentscheidungen erreicht werden kann (BizerlFührlHüttig 2002).

Auch auf der EU-Ebene sind in den letzten Jahren Ausarbeitungen zu Go­vernance-Konzepten durchgeführt worden, offenbar mit der Intention, Chan­cen für eine verbesserte Steuerbarkeit komplexer Entwicklungen ("good go­vernance") sowie für alternative Demokratie-Modelle aufzuzeigen. Die so ent­stehenden Papiere wurden einem außerordentlich intensiven Mitwirkungspro­zess zahlreicher Einrichtungen und Experten unterzogen. Die Ergebnisse in Form eines "White Paper" (Grote/Gbikpi 2002a) spiegeln eine deutlich staats­zentrierte Sicht auf Governance wider und sollten lediglich als Ausgangspunkt für weitere Aktivitäten betrachtet werden. Dennoch enthalten sie zahlreiche wertvolle Anregungen. Vor dem Hintergrund der bisherigen EU-Arbeiten ha­ben die genannten Autoren einen Sammelband mit weiterführenden Empfeh­lungen herausgegeben (Grote/Gbikpi 2002b); er kann im Sinne eines Gegen­stromverfahrens für die weiteren Diskurse nutzbar gemacht werden.

Auf der Ebene der Städte und Regionen ist zunächst daran zu erinnern, dass die seitherige Rolle der räumlichen Planung ein gelungenes Beispiel dafür bot, wie das Verhältnis zwischen Staat und Gesellschaft durch einen relativ hohen und vielfältigen Anteil an öffentlicher Partizipation sowie durch geeignete Ver­fahren der Konfliktregulierung gestaltet werden konnte. Seit Jahren ist bereits erkennbar, dass vielfach neben oder vor den Planungsverfahren informelle

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Ausarbeitungen und Absprachen stattfinden. Oftmals besteht die Funktion der formellen Planung gerade darin, diese anders zustande gekommenen Ergebnisse zu billigen und mit Bindekraft auszustatten. Doch heute bedarf diese Rolle einer weiteren Neubestimmung. Räumliche Planung wird sich, im Sinne der Organi­sation sozialräumlicher Prozesse, neu verorten und sich dabei grundlegend wandeln. Ihre Aufgaben sind - so wird in diesem Kapitel argumentiert - durch eine Wechselbeziehung zu den offenen, strategischen Formen der öffentlichen Steuerung von räumlichen Entwicklungen zu reformulieren, und das sind die Governance-Konzepte.

Dies folgt aus der Tatsache, dass die hier thematisierten neuen Raument­wicklungen ein wesentlich breiteres Spektrum an Handlungen erfordern, als sie über Planungssysteme betrieben werden können. Governance-Konzepte eröff­nen den Blick auf eine Vielzahl erweiterter Strategien und Praktiken. Die Su­che nach erweiterten Handlungsinstrumenten mag fiir Städte und Regionen auch darin begründet liegen, dass es keinen einheitlichen kollektiven Akteur rur die Stadtentwicklung oder fiir die Regionalentwicklung gibt, so dass die Frage zen­tral wird, wie es im Interesse der Gesamtentwicklung überhaupt zu einer abge­stimmten, konsensualen und legitimierten Steuerung kommen kann.

Bisher waren die Handlungslogiken im staatlichen Sektor und im gesell­schaftlichen Sektor prinzipiell voneinander getrennt. Mit den politischen Steue­rungsinstrumenten intervenierten die öffentlichen Amtsinhaber in die (zu er­wartenden) Auswirkungen der gesellschaftlich-ökonomischen Praxis. Oft musste registriert werden, dass die Eingriffe zu wenig Wirksamkeit entfalteten oder sich lediglich an neu geschaffene Tatsachen anglichen. Das verspricht mit Hil­fe der Governance-Konzepte, zumindest partiell, anders zu werden. Es gibt darin zwar weiterhin auch den strikten Typus der Intervention, mit einem Übergewicht der staatlichen bzw. kommunalen Regulierung, doch kennzeichnend und inno­vativ sind andere, abgestufte Typen, die einen Handlungsrahmen zwischen Selbststeuerung und institutionellem Zusammenwirken vielfältiger Akteursgrup­pen abdecken (Kooiman 2002).

Orientiert man sich daran, die ökonomischen Modi der Raumaneignung mit den sozial-kulturellen und politischen Aneignungsformen in Einklang zu bringen oder sie von vornherein in ihren Externalisierungen zu begrenzen, so lassen sich die Governance-Konzepte als Versuch verstehen, bereits im Steuerungsmodell selbst diese divergierenden Anforderungen zusammenzuführen. Das bedeutet zum Beispiel, dass die Ausgestaltung von stadtregionalen Aneignungs- oder Zugangs­chancen (im Sinne der Spacing-Prozesse) nicht über Gebote und Verbote und auch nicht nur über einseitige PlanfestIegungen, sondern über Aushandlungsprozesse, allerdings mit verbindlichen Ergebnissen, organisiert wird. Insofern schließt die Ausarbeitung von Governance-Konzepten eine kritische Auseinandersetzung mit den vorhandenen Regelwerken der räumlichen Planung mit ein.

Die Reichweite und Leistungsfähigkeit von Governance-Konzepten soll im Folgenden im Hinblick auf die Verbesserung der "steering capacity" geprüft werden. Dies geschieht überwiegend nach argumentativen Kriterien. Empirische

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Analysen zu einzelnen Governance-Formen in dem hier behandelten For­schungsfeld sind bisher spärlich. Netzwerkanalysen, spieltheoretische Model­le oder Wirkungsstudien wären geeignete Untersuchungsmethoden. Üblich ist, in verwaltungswissenschaftlicher Betrachtung, Steuerungsabläufe nach Pla­nungs-, Implementations- und Evaluationsforschung zu typisieren; auch daraus ensteht bereits eine bestimmte Verengung der Empirie (hierzu GörlitzlBurth 1998). Die Raumforschung begnügt sich häufig mit der Beschreibung von Pla­nungen und anderen raumwirksamen Aktivitäten und misst dem Umstand, dass sie überhaupt stattfinden, mehr Bedeutung bei als ihren Konditionen und Wir­kungen. Die empirische Untersuchung von Governance-Arrangements und -Formen eröffnet somit ein reiches Betätigungsfeld.

Bei dem Kriterium der "steering capacity" geht es um eine bessere institutio­nelle Fähigkeit für kollektives Handeln im regionalen und städtischen Maßstab. Woran aber kann eine verbesserte Steuerungsfähigkeit gemessen werden? Da die städtische Gesellschaft es insoweit mit einer Vielzahl von Akteuren (mit je spezi­fischen Interessen und Ressourcen) zu tun hat, bedarf es neuer Wege des Verhan­deins, um gemeinsam ausfindig zu machen, wie auf die Praxis einzelner Akteure, eine sozialräumliche Transformation zu betreiben, Einfluss genommen werden kann. Beispielsweise ist seitens der EU seit einigen Jahren der erklärte Wille er­kennbar, die Aspekte des place-making, insbesondere in Städten, zu stärken und dabei die Bürgerschaft an der Ausarbeitung integrierter Konzepte zu beteiligen (Moulaert 2000, AndersenNan Kempen 200 I). Auf der politischen Ebene von EU, Nationalstaat oder einzelnen Ländern und Kommunen tritt die Arbeit mit Governance-Konzepten zunächst neben die formalen Institutionensysteme; doch können diese, falls positive Governance-Effekte auftreten, davon nicht unberührt bleiben. Dies ist durchaus als Kampfansage zu werten. Die traditionellen Me­chanismen der regulativen Politik sowie der rechtlich verfassten räumlichen Pla­nung werden sich vor erhebliche Herausforderungen gestellt sehen. Es bleibt offen, welche Reformen daraus entstehen werden.

7.1 Welches Konzept von Governance?

In einem allgemeinen Sinne verstehe ich im Kontext dieser Abhandlung unter dem Begriff "Governance" ein Spektrum an Formen sozialer Handlungs­steuerung unter Mitwirkung von Vertretern öffentlicher wie semi-öffentlicher oder privater Akteure zum Zwecke der Steuerung von regionalen und städtischen Entwicklungen.

Der Forschungsstand zeigt ein sehr heterogenes Bild der Governance-Kon­zepte. Bevorzugt man eine robuste Definition, so hilft es, sich eng an die Policy­Forschung zu halten und "governance" mit besonderen Issues und regulativen Instrumenten in Beziehung zu setzen, also auch die Verbindung zum vorhande­nen Institutionensystem (polity) herzustellen. Auf diese Weise steht die Rück­bindung an die angestammten Relevanzen der politikwissenschaftlichen For­schung im Vordergrund, die dann allerdings überschritten werden. So misst

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Mayntz die Governance-Formen eines stadtpolitischen Förderprogramms da­ran, inwieweit sie eine vertikale Integration (zwischen den Hierarchie-Ebenen Bund, Länder, Kommunen) sowie eine horizontale Integration (zwischen ver­schiedenen öffentlichen Ämtern, aber auch zwischen Kommunalpolitik und Eigentümern bzw. Bevölkerung) zu leisten im Stande sind (Schader-Stiftung 200 I). In einem anderen Governance-Beitrag auf der Ebene der Stadtpolitik wird danach gefragt, wie kollektives Handeln im öffentlichen Bereich unter Bedingungen erreicht werden kann, die ohne Rückgriff auf die staatliche Auto­rität auskommen (Stoker 2000); auf Deutschland bezogen, heißt das wohl, dass die Kommunen noch dabei sind. Oder es wird im Feld der Stadtentwicklung und Stadtplanung "governance" von Pierre (1998) gesehen als "Prozess, in welchem lokale politische Institutionen ihre Programme im Zusammenwirken mit Akteuren der Zivilgesellschaft durchfUhren, wodurch diese Akteure und Interessen einen (potentiellen) Einfluss auf Stadtpolitik erlangen" (S. 5).

Daneben gibt es mehrere Autoren, die eine grundlegende Re-Konstruktion des Managements kollektiver Angelegenheiten mit "governance" verbinden. So kontrastiert zum Beispiel Jessop (2000) die gängigen Sphären von Markt und Staat mit einem heterarchischen Modell im Sinne der "horizontalen Selbstor­ganisation unter wechselseitig interdependenten Akteuren" (S. 15), wie sie in Netzwerken, interorganisatorischen Verhandlungssystemen oder dezentralen Steuerungsformen zum Ausdruck kommt. Die Rationalität von "governance" sei dialogisch, pluralistisch und heterarchisch; einen idealen Steuerungs­mechanismus könne es aber nicht geben. Das kommt dem Vorschlag recht nahe, von vornherein den Begriff "governance" mit einem Netzwerk-Modell zur Steue­rung kollektiver Angelegenheiten gleichzusetzen (AminlHausner 1997). Diese Autoren halten den Umgang mit Komplexität nur für erfolgversprechend, wenn ein Ansatz der "strategischen Interaktion" zwischen vielen Akteuren mit ihrem Wissen und ihren Fähigkeiten organisiert wird. Noch weiter geht die Definition von Rhodes (1997), der von "kontinuierlichen Interaktionen zwischen Netz­werk-Mitgliedern (spricht), die durch das Bedürfuis nach Ressourcen-Austausch und nach dem Aushandeln gemeinsam geteilter Zwecke ... zustande kommen" (S. 15). Die Mitwirkung staatlicher Akteure ist fUr dieses Konzept nicht mehr konstitutiv; es wird aber eingeräumt, dass sie mit ihren Mitteln durchaus in der Lage seien, Netzwerke zu steuern.

In der Literatur werden mehrere Sub-Konzepte vorgeschlagen: "urban gover­nance", "regional governance", "territorial govemance", "participatory govemance", "creative govemance" etc. Betrachtet man alle Definitionsversuche zusammen, so lassen sie sich nach mehreren Gesichtspunkten gruppieren. Daraus lässt sich eine Skala von Govemance-Konzepten bilden, bei der auf der einen Seite solche mit hohem Gewicht staatlicher bzw. öffentlicher Akteure stehen, während am anderen Skala-Ende solche mit einem klaren Übergewicht der zivilgesellschaftlichen Ak­teure angeordnet sind. So gesehen, steht die Frage im Zentrum, inwieweit es zu einer Reziprozität zwischen politischem und zivilgesellschaftlichem Handeln kom­men kann und ob daraus systemevolutionäre Folgen resultieren.

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Nach meiner Auffassung wird das "Fenster zum Raum" neben den öffentlichen Steuerungs aufgaben mehr und mehr den Blick auf die konstitutive Rolle zivil­gesellschaftlicher Mitwirkungen eröffnen, wobei diese breiter angelegt sind als die Formen der Partizipation an Planungsverfahren. Die Auswahl des jeweils geeigneten Governance-Konzepts wird dann einerseits von dem Charakter der Issues, andererseits von dem erkennbaren Handlungsrepertoire der Beteiligten abhängen.

Unabhängig hiervon messen nahezu alle Governance-Konzepte - implizit anknüpfend an den einbezogenen Begriff "guidance" - der Frage der zielstre­bigen und verantwortlichen Leitung eine hohe Bedeutung bei. Damit ist mehr gemeint als professionelle Moderation oder Beratung. Nur wenn diese Funk­tion mit Autorität und wirksam ausgefüllt wird (die Leitung also auch Befug­nisse und Sanktionschancen besitzt), sind effiziente Outputs zu erwarten und lässt sich jenes "Auf-Linie-Bringen" einlösen, das aus Sicht der Aktor-Netz­werk-Theorie besonders hervorgehoben wird.

Was darüber hinaus benötigt wird, ist jeweils ein Akteur-Modell, das mit den einzelnen Governance-Konzepten kompatibel gemacht wird. Die Frage des "leadership" ist ein Teil davon. Als zentral erweist sich hierbei ein entsprechen­des Konzept von "citizenship", von neu definierten Bürger-Rollen. Mit dem Bezug auf Bürgergesellschaft wird nicht nur das herkömmliche ehrenamtliche Engagement gewürdigt, sondern es wird eine prinzipielle Ermächtigung von Bfugerinnen und Bürgern favorisiert, die in der Konsequenz einen Steuerungs­verzicht der staatlichen Instanzen bedeutet (Enquete-Kommission 2002, Lier­mann 2001). Zudem lässt sich zeigen, wie in Folge der globalen Dehnungen von Handlungsräumen auch neue Bürgerrollen mit Bürgerrechten entstehen (ökologische, kulturelle, Minderheiten-, kosmopolitische, mobilitätsbezogene, vgl. Urry 1998; zur Verbindung mit dem "Gender" -Konzept Walby 1997). Weit verbreitet sind inzwischen auch die "Holder"-Konzepte, insbesondere die Fi­gur der "stakeholder" (Healey 1998, Schmitter 2002). Auf diese Weise können die Inhaber von Rechten, von Eigentum, von Fähigkeiten, von Wissen, von Res­sourcen etc. als aktive Partner in die konkreten Governance-Handlungsformen einbezogen werden.

Zu Recht weist Kooiman (2002) daraufhin, dass drei "governing orders" unterschieden werden sollten: einmal die erste Ordnung des einzelnen Gover­nance-Typs, mit dessen Hilfe konkret definierte Issues bearbeitet und gesteuert werden, zum anderen die zweite Ordnung des Institutionensystems, über wel­ches Governance-Formen arrangiert werden, zum Dritten schließlich die Meta­Ebene, vorzugsweise im Rahmen der EU-Politik, die Vorgaben macht für die nationalen bzw. regionalen Institutionensysteme. Auf diese Weise gerät die Ab­hängigkeit der Governance-Handlungsräume von politischen Rahmenbedin­gungen in den Blick.

Die breite Streuung an Konzepten macht es sinnvoll, "Governance" zunächst in einem heuristischen Sinne zu entfalten und anzuwenden. Das kann freilich nicht ausreichen. Falls es um Vorschläge geht, die Steuerungs- und Planungs-

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praxis neu zu bestimmen, muss das jeweils geeignete Governance-Konzept, in Abhängigkeit von Issue und Zielen, konkretisiert werden. Das kann ein Traktat nicht leisten, aber die Art und Arbeitsweise von Governance-Arrangements soll an einigen Beispielen illustriert werden.

"Urban governance" und "regional governance" werden von mir konzeptuell flir deskriptiv-analytische Zwecke benutzt. Dieses Kapitel stellt die Analyse von Steuerungen und Planungen in den Vordergrund. Dabei widme ich mich vor allem der Handlungsfähigkeit und den Steuerungswirkungen von Governance­Arrangements. Dass "governance" auch normativ eingesetzt werden kann, bil­det in diesem Beitrag eher die Ausnahme und wird an den betreffenden Stellen explizit angesprochen; dazu zählen auch die vorliegenden Überlegungen zu einer "good governance" (HalllPfeiffer 2000 u.a.).

7.2 Governance von Spacing-Prozessen

Ich plädiere dafür, Governance-Konzepte zur Untersuchung der öffentlichen Steuerung von Spacing-Prozessen anzuwenden ("spacing governance"). Dies ist bisher eher die Ausnahme. Die brisanten Entwicklungen, wie sie anhand der Aneignungs- und der Zugangs-Konzepte untersucht werden können - etwa zu Fragen des nach wie vor steigenden Flächenverbrauchs oder der Exklusion verschiedener Bürgergruppen von Infrastrukturangeboten -, bedürfen ohne Zweifel ebenfalls einer geeigneten, neu bestimmten öffentlichen Steuerung. Alle Erfahrungen zeigen jedoch, dass das klassische Steuerungsinstrumentarium, insbesondere über die Steuerpolitik und das Planungsrecht, dafür nicht ausreicht. WeIche zusätzlichen Leistungen können somit über Governance-Arrangements erzielt werden?

Für die kritische Bewertung der mit den Property Rights und mit privaten Zugangsregelungen zu kennzeichnenden Spacing-Prozesse bedarf es einer po­litisch-ökonomischen Sicht. Die Konflikte, wie sie fiir die raumbildenden Vor­gänge in Städten und Regionen kennzeichnend sind, können als Konflikte über die Produktion, das Management und die Nutzung der physischen Strukturen verstanden werden. Es handelt sich hierbei um einen zentralen Widerspruch der kapitalistisch bestimmten Urbanisierung (und Regionalisierung), nämlich zwischen dem prinzipiell sozialen Charakter des Bodens und der Infrastruktur und ihrer privaten Verfiigung und Kontrolle (F oglesong 1997 unter Hinweis auf die Arbeiten von Harvey, Preteceille und Castells). Die folgenden Governance­Überlegungen müssen sich daher daran messen lassen, inwieweit sie angesichts dieses grundsätzlichen Konfliktcharakters die Frage einer vertretbaren Austa­rierung der Positionen und Interessen einbeziehen können.

Folglich machte Healey (2001) fiir das Beispiel Großbritannien geltend, Spacing-Prozesse, insbesondere Fragen der Steuerung der Flächenwidmung und -nutzung, seien in erster Linie durch Governance-Formen als Konfliktmanage­ment gekennzeichnet und dieses werde am besten im Rahmen von klar defi­nierten Verfahren und Vollzugsschritten geleistet. Die informellen, kooperativen

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Steuerungs formen und somit auch die Netzbildungen seien hingegen typisch rür "Place-making"-Prozesse. Doch die Frage einer solchen Trennung möchte ich hier zunächst noch offen halten, vor allem, wenn sie nicht nur empirisch, sondern auch konzeptuell gemeint ist. Es geht vielmehr darum zu untersuchen, wie kollektives Handeln im regionalen Maßstab so organisiert werden kann, dass die relevanten Spacing-Prozesse durch eine geeignete und effektive insti­tutionelle Kapazität, und zwar im Zusammenwirken öffentlicher und privater Akteure, gesteuert werden. Dies wirft Fragen auf, die drei entscheidende Voraus­setzungen für das Zustandekommen von Governance-Arrangements betreffen:

(1) Zusammenruhrung ausgewählter Akteursgruppen Da wir es in Deutschland und den meisten west- und mitteleuropäischen Ländern mit einer Zersplitterung regionaler Akteursgruppen zu tun haben (wirtschaftliche Gruppen und Verbände, Instanzen hierarchischer Staats­gliederungen, Fachleute in mehrstufigen Planungssystemen, heterogene Nicht-Regierungs-Organisationen etc.), hängt jeder Erfolg bei der Insze­nierung "regionaler Regimes" davon ab, wie sich die Zusammenruhrung ausgewählter Akteursgruppen bewerkstelligen lässt. Auf diese Weise ent­scheidet es sich, ob ein Issue in der Stadt, in der Region verhandelbar ist (Böhret 1991). Die Gretchenfrage der Verhandelbarkeit bedarf institutio­neller Spielräume, aber ebenso eines Promoters und Leadership-Modells sowie der Motivation der Akteure und der Erkennbarkeit regional wirksa­mer Outputs. Also: Wer ergreift die Initiative und bringt - je nach Aufgabe und Ziel- die relevanten Akteure zusammen? Wer gehört dann dazu, wer bleibt ausgeschlossen? Ist die Vorstellung von einem steuerungs fähigen kollektiven Akteur überhaupt aufrechtzuerhalten (hierzu skeptisch Cars et al. 2002, S. 19ff.)?

(2) Interessen an öffentlichen Gütern Staatliche bzw. kommunale Interventionen, zum Beispiel über räumliche Planung, beruhen auf der Tatsache des öffentlichen oder kollektiven Cha­rakters des Bodens wie der Infrastruktur. Das Interesse hieran beruht auf zwei verschiedenen Begründungen: Zum einen verfolgt das Kapital durch­aus ein objektives Interesse daran, diesen öffentlichen Gebrauchswert zu sichern, wird aber selbst gebremst durch die begrenzenden Effekte des Pri­vateigentums. Die wirtschaftlichen Akteure wollen zwar die Vorzüge einer intakten Infrastruktur genießen, setzen aber auch ihr "property capital" rur ihre individuellen Interessen ein. Zum Zweiten stehen die kapitalorientierten Steuerungsmechanismen in einem Spannungsverhältnis zu demokratischen Prinzipien, insbesondere zur Mitwirkung breiter Schichten der Bevölke­rung an der kollektiven Definition von Bodenverteilung und -nutzung so­wie von Infrastrukturqualität und -zugang. Daraus folgt ein zwangsläufig janusköpfiger Charakter der öffentliche Steuerung: erwünscht, benötigt und abgelehnt, eingeschränkt. Wenn diese knappe Analyse Zustimmung findet, wäre dann nicht ein erkennbares Interesse an den öffentlichen Gütern (Kon-

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trolle des städtischen Grundstücksverkehrs, Gemeineigentum, Infrastruk­tur etc.) die Voraussetzung daftir, Governance-Arrangements bilden zu können? Wer kann und wird ein solches Interesse aufbringen, und wer steht auf der Gegenseite?

(3) Bildung kreativer Milieus Eine dritte Frage bezieht sich auf die sozialen, insbesondere kreativen Milieus als Voraussetzung für Governance-Effekte. Gibt es ein Wissen über die Qualität des aktivierbaren "sozialen Kapitals"? Lassen sich Lernpro­zesse inszenieren, die einerseits an die vorhandenen Besonderheiten an­knüpfen, andererseits eine stetige Fortentwicklung der wechselseitigen sozialen Beziehungen, des Vertrauens, des "tacit knowledge" ermöglichen können? Lassen sich Gratifikationen vereinbaren, die mehr wiegen als die aufzubringenden Transaktionskosten?

Trotz der Relevanz dieser Fragen kann der Blick auf die Governance-Chancen auch günstige Bedingungen entdecken. So erweist sich seit dem letzten Jahr­zehnt die regionale Ebene (vor allem: die meso-regionale Ebene unterhalb des Maßstabs einzelner Flächenstaaten bzw. Bundesländer) als besonders dafür prädestiniert, eine Kooperation zwischen öffentlichen und privaten Akteursgrup­pen aufzubauen (Fürst I 999a). Dies liegt vor allem daran, dass in dem "Raum" zwischen Land und Kommunen kaum formal geregelte Steuerungsaufgaben wahrgenommen werden; die Handelnden sind also weitgehend frei, neue ko­operative Wege zu beschreiten. Außerdem liegen bereits Erfahrungen mit neu­en Handlungsmodellen vor - allerdings mit wenig Wissen über die tatsächlich erzielten Wirkungen.

Wenn regional, auch stadtregional über Governance-Formen gehandelt wer­den soll (und kann), bedarf es frühzeitig einer Klärung der anzusteuernden Ziele, Entwicklungsrichtungen und Programme. Vorrangig geht es um die Auswahl des geeigneten Typus von Governance: Wie könnte, wie sollte er arrangiert werden? Streben die Akteure eine Balance der Aneignungs- und Zugangs-Me­chanismen in der Weise an, dass private und öffentliche Interessen austariert werden, oder wird an die Vormachtstellung der Privateigentümer bzw. der Ent­wicklungsträger nicht gerührt, weil ihre Wettbewerbsfähigkeit, ihr ökonomi­scher Erfolg gestärkt werden soll (in der Hoffnung, dass dann auch etwas für Stadt und Region abfällt)? Sodann gibt es weitere Optionen: Verständigen sich die beteiligten Akteursgruppen zum Beispiel auf eine Stärkung der endogenen Potenziale oder auf eine Implantation externer Problemlösungen? Nehmen sie eine Orientierung am Prinzip der Nachhaltigkeit ernst, also eine gleiche Be­rücksichtigung sozialer, ökologischer und wirtschaftlicher Belange, oder geben sie einer je pragmatisch erreichbaren Einseitigkeit den Vorrang mit dem Argu­ment: "Hauptsache, es kommt eine Entwicklung in Gang"?

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Govemance-Arrangements fiir Bodenpolitik und Flächenmanagement

Soweit es um Steuerungen gegenüber Property Rights geht, sind robuste Go­vemance-Konzepte gefragt. Die staatlichen Instanzen und/oder die kommuna­len Ämter nehmen eine unverzichtbare Steuerungs funktion wahr. Dies geschieht zum einen über die Instrumente der räumlichen Planung (auf den verschiede­nen Maßstabsebenen), zum anderen über ein Bodenmanagement, das partiell als Umsetzung der durch Planung gesetzten Vorgaben zu sehen ist. Ohne die rechtlichen Grundlagen beider Instrumentarien wäre - angesichts der macht­vollen Position der privaten Eigentümer und Investoren - das Problem der kol­lektiven Lenkung der Verteilung und Nutzung des Bodens nicht lösbar.

Bodenpolitik sowohl im Interesse einer wirtschaftlichen Entwicklung wie einer sozial gerechten und an Kriterien der Nachhaltigkeit orientierten Vertei­lung und Nutzung ist ein in Deutschland umstrittenes und stets aufs Neue fru­strierendes Politikfeld. Schon seit den 60er Jahren gab es immer wieder poli­tische Vorstöße, insbesondere in Verbindung mit dem Bundesbaugesetz und dem späteren Städtebaurecht (beispielhaft referiert in ConradilDieterichlHauff 1973), doch die Lösungen wurden immer in mehr staatlicher Intervention gesehen, und diese war und ist politisch nicht durchsetzbar. Sie ist auch nicht mehr zeitge­mäß. Heute beginnt endlich eine breitere Debatte über die Chancen, diese Issues dem Risiko und der Chance von Govemance-Arrangements zu unterziehen und sie so in Bewegung zu versetzen.

Da die räumliche Planung in Deutschland stark an den Boden gebunden ist, verfügt sie dementsprechend über viele bodenpolitische bzw. boden­rechtliche Instrumente. Baulandproduktion, Wertzuwachs, Umlegungsverfahren, Enteignungs- und Entschädigungsrecht, Erbbaurecht, laufende Diskussionen um den kaum zu bremsenden Flächenverbrauch und um eine andere Bodenwert­steuer bilden typische Boden-Themen. "Raumplanung mit starkem Bodenbezug ist Baulandproduktion durch Verfügungsrechte. Ihr Tätigkeitsfeld wird durch die Festsetzung von zulässigen Bodennutzungen, die Verteilung von planungs­und maßnahmenbedingten Bodenwertänderungen und die Beeinflussung des Bodenmarkts durch planerische Interventionen bestimmt." (Davy 1999, S. 102) Seltsam nur, dass die bodenrechtlichen Instrumente, die zur öffentlichen Len­kung eingesetzt werden könnten, auf der kommunalen Ebene weitgehend igno­riert werden. Die Positionen der Eigentümer und Investoren sind in der Regel stärker. Planung ist zwar häufig mit Eingriffen in das private Verfügungsrecht verbunden. Sie lähmt sich aber dadurch selbst, dass sie als Teil des Bodenrechts auch nur Sachverhalte regeln kann, die auf die Gestaltbarkeit von Boden­nutzungen bezogen sind. Andere Raumaspekte, wie die sozialen Beziehungen zwischen Nutzergruppen oder regionalökonomische Aspekte, bleiben daher ausgeblendet.

Einen Ausweg aus dieser Sackgasse eröffnet die Erkenntnis, dass über die räumliche Planung auch spürbare Leistungen erbracht werden, nämlich eine Auf­wertung von Grundstücken sowie eine rechtliche Verbindlichkeit und damit ein

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Schutz von Nutzungen. Von da aus eröffnen sich Wege, auch nach nicht-ho­heitlichen Maßnahmen Ausschau zu halten und diese kooperativ zu vereinba­ren. Dies wird in Deutschland dadurch erleichtert, dass seit 1997 in das Raum­ordnungs gesetz des Bundes ausdrücklich ein Mitwirkungsrecht von "Personen des Privatrechts" an den öffentlichen Aufgaben der Raumordnung aufgenom­men wurde. Es reicht freilich nicht aus, auf die Selbstregulierungskräfte der Rechteinhaber zu setzen. Neuerdings wird in einem Bodenmanagement, ein­gebunden in das Ziel einer nachhaltigen städtebaulichen Entwicklung, ein ge­eignetes Governance-Arrangement gesehen (zusammenfassend Davy 1999).

In der Frage nach der Bildung möglicher Allianzen zwischen öffentlicher Hand und Beteiligten spiegelt sich der zuvor skizzierte Eigentums-Widerspruch wider. Er kann, so lautet mein Vorschlag (der insoweit über analytische Aussa­gen hinausgreift), insbesondere dadurch überwunden werden, dass eine Dop­pe/strategie verfolgt wird, die - wie im Folgenden argumentiert wird - zu zwei einander ergänzenden Typen von Governance-Arrangements führt. Um jedoch Missverständnisse zu vermeiden: In beiden Fällen bedarf es nach wie vor einer möglichst klaren politischen Aussage über die Zielrichtung der legitimen Be­einflussung von Property Rights wie der räumlichen Planung, erst darauf auf­bauend können Aushandlungsprozesse institutionalisiert werden.

(a) Nach dem ersten Modell wird die öffentliche Lenkung von Property Rights im Interesse der regional- und stadtökonomischen Entwicklung verhandelt. Eine Umsetzung der räumlichen Planung geschieht über Allianzen oder Ver­einbarungen zwischen Betrieben, Investoren, Entwicklungsträgem, priva­ten Eigentümern und den zuständigen Vertretern der Kommunal- und/oder (soweit handlungsfähig) Regionalpolitik. Public-Private-Partnerships oder städtebauliche Verträge bilden Handlungsformen, über welche bereits Er­fahrungen vorliegen. Die staatlichen bzw. kommunalen Mitwirkenden ver­gewissern sich zwar der Mitwirkungsbereitschaft der Privaten, doch sie be­einflussen die Verhandlungen daraufhin, das verfügungsrechtliche Instru­mentarium zu verändern und dabei die öffentlichen Interessen an der Steue­rung der Bodennutzung wahrzunehmen. Stellt sich heraus, dass diese Sach­verhalte nicht verhandelbar sind (zu diesem Kriterium Böhret 1991), muss die Kommune bzw. das Ministerium die Aufgabe mit Mitteln der regulati­ven Politik wahrnehmen und durchsetzen. Getroffene Vereinbarungen be­dürfen zusätzlich der Billigung durch die formalen Gremien. Darüber hin­aus gibt es bei einigen Autoren (Mayer 1997, Davy 1999) den bedenkens­werten Vorschlag, hinsichtlich der offenen Frage des Umgangs mit Wert­zuwachs bei Grundstücken ein Bodenwertmanagement einzurichten, das auf Verhandlung und Vereinbarung fußt und im Einzelfall normalerweise vor den rechtsverbindlichen Festsetzungen der Bauleitplanung praktiziert werden sollte.

(b) Da in dem ersten Modell die Zusammenarbeit in der Regel auf die Gemein­den bzw. Regionen und die privaten Investoren bzw. Eigentümer beschränkt

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bleibt, bedarf es unter den Aspekten der demokratischen Willensbildung eines zweiten Modells. Schon die genannten Privaten selbst sollten auch in ihrer Rolle als Bürger oder "stakeholders" mobilisiert werden. Hinzu treten jedoch die vielfältigen Gruppierungen von Nicht-Eigentümern und Nicht-Betrieben (kleine Selbstständige). Sie entwickeln, je nach Situation, ebenfalls ein In­teresse an der öffentlichen Lenkung und Kontrolle der Property Rights mit ihren Folgen für die räumliche Entwicklung. Hier sind Governance-Arrange­ments auf Zeit denkbar, um zu wichtigen Punkten der städtischen bzw. re­gionalen Entwicklung eine von breitem Konsens getragene Boden- und In­frastrukturpolitik mit mittelfristiger Perspektive zu vereinbaren. Die forma­len Gremien können durch Selbstbindung diesen Verhandlungen zusätzliches Gewicht verleihen, bleiben aber letztlich entscheidungsbefugt.

Einen besonderen Fall des öffentlich gelenkten Flächenmanagements stellt die Umsetzung von EU-Richtlinien auf örtlicher und regionaler Ebene dar (Moss 2003). Am Beispiel der Anwendung der Wasser-Rahmenrichtlinie der EU lässt sich zeigen, wie es dabei zur Herausbildung von Verhandlungsformen, vor allem zum institutionellen Zusammenwirken zwischen Wasser- und Bodenmanage­ment, kommt. Dies erweist sich als notwendig, weil die vorgesehenen Neu­definitionen von Handlungsräumen rur ein besseres Flussgebietsmanagement zunächst auf ein anderes institutionelles Muster in den Regionen treffen. Je weniger ein "institutional fit" vorliegt, desto wahrscheinlicher sind Umsetzungs­und Kommunikationskonflikte oder aber ein Ausweichen auf minimalistische Lösungen. Die Studie kann einen paradoxen Effekt nachweisen: Die Wasser­Manager wollen mehrheitlich durchaus an ihren traditionellen institutionellen Arrangements festhalten, gerade dadurch evozieren sie jedoch einen erhebli­chen Bedarf an Abstimmungen und Austausch. Es kommt also zu breit gestreu­ten Governance-Formen, vor allem im Sinne des Beginns eines öffentlichen Res­sourcen-Management-Regimes, und damit zu einer Dynamisierung der seithe­rigen Praxis. Offenbar kann auf diese Weise ein differenzierter Lernprozess entstehen, der mit der Zeit auch zu institutionellen Veränderungen beitragen wird. Eine zivilgesellschaftliche Mitwirkung an solchen Fragen liegt aber wohl noch jenseits der Handlungshorizonte.

Governance-Arrangements für Zugangsregelungen

Wenn der Zugang zu Einrichtungen des Handels, des Verkehrs, der Infrastruk­tur, der Freizeit mehr und mehr privat und exklusiv, gebunden an Mitgliedschaf­ten, geregelt wird, stellen sich andere Steuerungs fragen als bei den Verrugungs­rechten gegenüber Grund und Boden. Wir stoßen hier auf einen Bereich, der bisher keiner einheitlichen Regelungsweise unterliegt. Da aber offensichtlich übergreifende Interessen bestehen und zudem Fragen des Gemeinwesens be­rührt sind, lohnt es sich, nach Chancen rur Governance-Formen zu fragen. Dies werden vor allem Formen interaktiver Governance sein. Sie setzen eine Prä-

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senz unterschiedlicher Akteure und "stakeholders" voraus, die je nach Issue mobilisiert werden können.

Ausgangspunkt ist der breite Umfang an Privatisierung und dezentraler Or­ganisation bei solchen Anbietern. Zu prüfen ist daher in einem ersten Schritt, inwieweit trotz der dabei erkennbaren (und wohl auch erwünschten) Selbstor­ganisation ein öffentlicher Regulierungsbedarf festzustellen ist. Wovon hängt dieser ab? Nach dem Prinzip der Verantwortungsteilung (BlankelBandemer 1999; Reichard 1998) sollte die staatliche bzw. kommunale Verantwortung in den Sektoren beibehalten werden, in denen es um die Garantie von Freiheit, Sicherheit und Rechtsschutz geht. Hingegen erscheint es angemessen, zusätz­liche Aufgaben der Leistungsgewährung, etwa im sozialpolitischen Sektor oder bei der technischen Infrastruktur, an Private abzugeben, wenn die öffentliche Hand für Qualität und Quantität der Services eine entsprechende Gewährleis­tungsverantwortung übernimmt. Alle weiteren Bedarfe können vollständig von Privaten selbstständig organisiert werden.

Bei den Sachverhalten, die über die Zugangs-Konzepte beschrieben wer­den können, wäre eine öffentliche Regulierung dann gerechtfertigt, wenn die Frage einer Gewährleistungsverantwortung zu bejahen wäre. Dies bedarf bei jedem Typus von Angebot mit Zugangsregelung einer eigenen Prüfung: a) Die Gewährleistung würde sich demnach vor allem erstrecken auf die Sicherung des Zugangs für alle Kreise der Bevölkerung, die auf eine Leistung angewie­sen sind (z.B. Wasser, Post). Das Sozialstaatsgebot rechtfertigt insoweit eine begrenzt dauerhafte Regulierung. b) Die Gewährleistung könnte aber auch weitere Qualitätsmaßstäbe wählen, nämlich welche Art und Güte der öffent­liche Raum in Stadt und Region im Sinne des Gemeinwesens aufweisen sollte oder ob durch ein bestimmtes System von Angeboten die Situation der benach­teiligten sozialen Schichten zumindest nicht verschlechtert wird. Solche Maß­stäbe aber, das leuchtet unmittelbar ein, dürften höchst unterschiedlich inter­pretiert werden und lassen sich daher nur von Fall zu Fall in einem inszenierten Kommunikationsvorgang ermitteln. Eine dauerhafte Regulierung scheidet da­her bei dem zweiten Typ von Maßstäben aus.

(a) Die Gewährleistungsverantwortung lässt sich beim ersten Typ theoretisch mit dem Konzept der "responsiven Regulierung" fassen (BizerlFührlHüttig 2002 mit weiteren Quellen). Es stammt aus der juristischen und politik­wissenschaftlichen Theoriebildung. Das responsive Recht ergänzt den hier­archischen, staatsgebundenen Ansatz des regulativen Rechts, und zwar um prinzipienorientierte, kooperative und plurale Elemente. Die Mitwirkung zahlreicher Akteure soll gewonnen werden, um die Ziele und Zwecke eines Gesetzes verwirklichen zu helfen. Diese Akteure haben sich an den nor­mativen Vorgaben zu orientieren, geben jedoch durch ihre konkrete Praxis Antworten auf diese Vorgaben. Umgekehrt sieht das Response-Konzept vor, dass auch die recht- und rahmensetzenden Instanzen aufUmsetzungsmängel reagieren und die Steuerungsimpulse verändern.

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Damit entsteht eine legitime Grundlage für die Inszenierung interaktiver Govemance-Formen auf örtlicher und regionaler Ebene. Bei Issues mit den privatisierten Infrastrukturangeboten, mit privaten Trägern des öffentlichen Verkehrs oder mit nicht-inklusiven Services, auf die jedoch alle angewie­sen sind (z.B. Post), kommt die Einrichtung von Regulierungs-Kommis­sionen in Betracht. Sie werden häufig aufüberörtlicher Ebene gebildet (z.B. als Regulierungsbehörde für Telekommunikation-Anbieter), doch kommen je nach Konfliktlage auch dezentrale Regulierungs-Kommissionen in Be­tracht. Sie werden mit einem rechtlich abgesicherten Mandat ausgestattet. Unter dem Eindruck der Gewährleistungsfragen, wie sie in Folge von Priva­tisierung und Deregulierung im Bereich der Infrastruktur aufgekommen sind, hat sich in den letzten Jahren auf Seiten der Anbieter einiges bewegt. So lässt sich zum Beispiel im Falle Berlin zeigen, dass die Betreiber von städtetechnischen Leitungssystemen (Wasser, Abwasser, Strom, Gas) da­mit begonnen haben, sich vermehrt auf die lokalspezifischen räumlichen Bedingungen einzulassen (Moss 2003). Die Manager der Einrichtungen sind bereit, zusammen mit Planem oder wirtschaftlichen Entwicklungsagentu­ren auf neue Weise zusammenzuarbeiten und sich so selbst als Akteur der Stadtentwicklung zu begreifen.

(b) In allen übrigen Fällen, in denen es nicht um gesetzlich garantierte Zugangs­rechte und Sozialstaatsgarantien geht, ist auf den sozialexperimentellen Weg zu verweisen. Dieser ist so abwegig nicht, denn die Tradition der kommu­nalen Selbstverwaltung (wo sie denn Bestand hat) kommt in zivilgesell­schaftlicher Sicht den zu organisierenden Aushandlungsprozessen entge­gen. Für die praktisch wirksame Gewährleistung wirkt es sich allerdings erschwerend aus, dass es insoweit keine rechtlich kohärenten Regelungen gibt: Partiell ist das Städtebaurecht berührt, auch das Gewerberecht und das Umweltrecht, ebenso das Kommunalverfassungs- und Landesplanungs­recht. In allen diesen Gesetzen wäre zu prüfen, was bei privaten Aktivitä­ten an öffentlichen Belangen garantiert wird bzw. zu berücksichtigen ist. Die zunehmende Tendenz einer wirtschaftlichen Tätigkeit unter den Ge­sichtspunkten des freien Wettbewerbs, also der marktförmigen Angebote für Einzelhandel, Wohnen und Freizeit, führt zwar häufig zu entsprechen­den Verhandlungen zwischen dem Anbieter und der zuständigen Behörde. Doch fehlt es bisher an breit inszenierten interaktiven Arbeitsgremien, zum Beispiel "Runden Tischen", in denen eine Vielstimmigkeit der Bürger­gruppen und eine Vielfalt von "stakeholders" auf Zeit zusammenwirken können. Sind diese mobilisierbar? Sind die Anbieter verhandlungs bereit? In diesem Feld stehen auch alle jene Fragen auf der Tagesordnung, die sich aus der besonderen Sicht des "gender-mainstreaming" ergeben. Frauen ver­treten vielfach eigene Vorstellungen von angemessenen Zugangs definitionen für Angebote des Einzelhandels, der Freizeit, des Wohnens etc., sind zu­dem oft Fürsprecherinnen für die Bedürfnisse der Kinder und der alten

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Menschen. Es kann als wichtiges Kriterium für die Governance-Formen betrachtet werden, wie ihre Sichtweisen zur Geltung gelangen können. Ein kleines Beispiel: Wie kann interaktiv eine Gewährleistung beim Be­trieb von Einkaufspassagen mit ihren Zugangsdefinitionen vereinbart wer­den? Einerseits geht es dabei um Vereinbarungen darüber, wie trotz des privaten Interesses (und der Akzeptanz eines großen Teils der Konsumen­ten) die Qualität des öffentlichen Raumes und seine freie Zugängigkeit gesichert werden können. Hierbei können allgemeine "Gender"-Aspekte berücksichtigt werden. Zum anderen geht es um eine sinnvolle Verantwor­tungsteilung hinsichtlich des Schutzes von Einrichtungen und der Sicher­heit der Benutzer (Evers/Leggewie 1999). Hierbei sollten die speziellen Sicherheitsbedürfuisse von Frauen und Kindern eine elementare Rolle spie­len. Die Vertreter der Stadtverwaltung können eine initiierende, unterstüt­zende und womöglich auch konfliktregulierende Rolle gegenüber den an­deren Beteiligten wahrnehmen. Verbrauchergruppen, Frauen, Jugendver­treter etc. wirken ebenfalls mit. Wohlgemerkt: Es soll nicht um die einzelne Einkaufspassage gehen, vielmehr um ein Arrangement, das die betreffen­den Steuerungsfragen interaktiv für alle Einkaufspassagen in einer Stadt oder Region zum Gegenstand wählt.

Weitere Governance-Arrangements, insbesondere zu Netzbildungen

Zwei weitere ausgewählte Handlungsfelder für Governance-Arrangements im Rahmen von Spacing-Prozessen sollen hier ergänzend skizziert werden: (a) das Aushandeln von Nachhaltigkeits-Zielen; (b) die kooperative Regionalisierung der Strukturpolitik.

Zu (a): Mit Hilfe der Vereinbarung von Zielen der Nachhaltigkeit kann auf die Praxis der Property Rights und der Zugangsdefinitionen unter einer langfristi­gen Perspektive Einfluss genommen werden. Zum einen lassen sich dazu all­gemeine internationale Messverfahren auf das eigene Handlungsfeld anwen­den: zum Beispiel das aus den Niederlanden stammende Tragfähigkeits-Kon­zept, der in Graz entwickelte "Sustainable Process Index" oder der Flächen­bedarf anhand des" ökologischen Fußabdrucks" (dazu insgesamt KleinIKrüger 1998 mit weiteren Hinweisen). Die Ergebnisse lassen sich sodann nutzen ftir Governanve-Arrangements unter breiter Mitwirkung vielfältiger Akteursgrup­pen. Zum anderen können die beabsichtigten Verteilungswirkungen einer nach­haltigen Entwicklung vor allem mit Hilfe von Aktionskonzepten betrieben werden, also über Modellprojekte, Public-Private-Partnerships, Runde Tische etc. (Fürst I 999b). Es geht hierbei um die freiwillige und projektbezogene Mit­wirkung relevanter Akteure, deren Auswahl- unter Würdigung der regionalen oder städtischen Eigenkräfte - je nach angestrebtem Ziel und je nach der Qua­lität und den Ressourcen der Akteure unter koordinierender Beteiligung staat­licher bzw. kommunaler Vertreter erfolgt. In dieser Weise können prinzipiell

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auch Aushandlungsprozesse über Mobilitätsbegrenzungen organisiert werden, soweit diese als Issue auf regionaler Ebene vordringlich (und rechtlich zuläs­sig) erscheinen. Von der Stadt München ist bekannt, dass sie bewusst inner­städtische Gewerbeflächen fiir Baufirmen oder Spediteure ausweist, um so die Zunahme des Verkehrs mit dem Umland zu vermeiden (Tagesspiegel vom 29.03.1998) - eine typische Govemance-Aufgabe.

Der Anwendungsfall Nachhaltigkeit zeigt, wie wenig ein solches Vorge­hen mit der bisherigen Steuerungs logik der räumlichen Planung kompatibel ist. Sie müsste sich öffnen im Hinblick auf qualitative Aussagen, auf eine stärkere Informalisierung des Vorgehens sowie aufumsetzungsorientierte Management­ansätze. Dann ist sie möglicherweise der kompetente Antreiber oder Modera­tor, vielleicht aber auch lediglich einer unter mehreren Mitspielern. Problema­tisch erscheint die mögliche Vielstimmigkeit von Akteuren, wie sie gerade ftir die Nachhaltigkeits-Diskurse typisch ist. Hier hilft die geschickte Vereinbarung von Auswahlregeln weiter, zum Beispiel die Mitwirkung nur von "stakeholders" (die sich engagieren und zu Opfern bereit sind) oder die Begrenzung auf eine untere Schwellengröße von Mitgliedern, die nötig ist, um die gestellte Aufgabe zu erfiillen und die gleichzeitig alle wichtigen, auch kontroversen Standpunk­te, zu berücksichtigen erlaubt (Schmitter 2002).

Zu (b): Bei den neueren Regionalisierungskonzepten geht es weniger um die dezentral organisierten Formen politischer Herrschaft und auch nicht um eth­nisch bzw. kulturell begrenzte Zusammenhänge (hierzu wäre besser von "Re­gionalismus" zu sprechen), sondern in erster Linie um die Bildung von Funk­tions- und Handlungsräumen auf einer regionalen Maßstabsebene (Müller 1994, Benz u.a. 1999, Diller 2002). Kennzeichnend sind dynamische, strategische Elemente, verbunden mit einer kooperativen Aufgabenerfiillung unter Mitwir­kung staatlicher, kommunaler und gesellschaftlicher Akteure.

Ich möchte diesen besonderen Charakter an einem Beispiel verdeutlichen. In Sachsen-Anhalt soll seit einigen Jahren über Regionale Entwicklungskon­zepte (REK) und über Regionale Aktionsprogramme (RAP) eine veränderte Steuerung der regionalen Entwicklung im Sinne einer veränderten Strukturpo­litik erzielt werden (Benzlisw 1997). Nach den ersten Jahren des Aufbaus in dem neuen Bundesland stellte sich dringlich die Frage nach einer geeigneten Institutionalisierung der regionalen Kooperation und Planung. Nach dem ge­wählten Modell beteiligen sich die Akteure freiwillig an solchen "Kooperations­räumen", gehen dann aber Selbstbindungen ein. Arbeitsgruppen und die Land­räte als "Treiber" bilden bisher die offenbar notwendigen, jedoch keinesfalls hinreichenden institutionellen Lösungen. Über den Stand der je erreichten Regio­nalisierung berichtet im Auftrag des Landtags ein jährliches Fachgutachten im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitforschung. Darin werden weitere Hand­lungsempfehlungen formuliert.

Nach meiner Einschätzung dominiert bei diesem Handlungsmodell eine zen­tral (auf Landesebene) verortete strategische Lenkung mit einem Übergewicht

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der Gebietskörperschaften. Dies ist dann gerechtfertigt, wenn die macht­bestimmten Instrumente der Property Rights, der Zugangsdefinitionen und der privat organisierten robusten Netzwerke in eine breitere Strategie der konsen­sualen Strukturpolitik eingebunden werden sollen. Denn hier bedarf es, über Verhandeln hinaus, auch des "Schattens der Hierarchie". Es ist nicht erkenn­bar, ob eine solche strukturpolitische Strategie angestrebt wird. Weitere Go­vernance-Schritte, nämlich als dezentrale Einbeziehung freiwilliger Zusammen­schlüsse von Organisationen bzw. Gruppen, bleiben bisher aus. Sie könnten eine stärkere Balancierung ermöglichen. Zu fragen ist, ob die Bedingungen dazu vorliegen oder aber geschaffen werden könnten, um über die konkret zu ver­einbarenden Leitprojekte bzw. Aktionen eine solche Erweiterung und Umsteue­rung zu erreichen.

Auch in zahlreichen anderen Ländern wird mit Regionalisierungskonzepten gearbeitet. Die Variationsbreite ist groß. Es wird dabei deutlich, dass mit Re­gionalisierungen unter wesentlicher Mitwirkung der staatlichen bzw. kommu­nalen Akteure immer häufiger auf Defizite oder externe Effekte bei marktwirt­schaftIich angebotenen Leistungen zu reagieren ist (beispielhaft HeinrichlKu­jath 2002). Dies gilt zugespitzt fiir das Schicksal von peripherisierten Regio­nen, die zu den Verlierern der ökonomischen Restrukturierungen zählen, für die aber gleichwohl geklärt werden sollte, welche Zukunfts chancen ihnen - in unterschiedlich regionalisierten Allianzen - offen stehen.

Zweierlei sei hier festgehalten: Zum einen bedurften offenbar die ostdeut­schen Länder eines Top-down-Anstoßes, um die regionale Ebene als Handlungs­raum zu erkennen und dann Zug um Zug auch die Möglichkeiten der intraregio­nalen Kooperation zu entdecken. Die klassische Wahrnehmung der Regional­planung stand diesem Vorgehen eher im Wege; sie band zu viel Arbeitskapazität, so dass dynamischere Konzepte kaum initiiert werden konnten bzw. sektoral in den Wirtschaftsressorts stattfanden. In den westdeutschen Ländern ist eine ei­genständigere Konzipierung der regionalen Organisation zu erkennen. Zum Zweiten wissen wir bisher zu wenig darüber, welche nachhaltigen Struktureffekte tatsächlich über solche Inszenierungen von Regionalisierung erreicht werden können. Oft scheint es sich um den improvisierten Rahmen fiir mühsame Struk­turanpassungen zu handeln, doch die Anstöße zu neuen, zusätzlichen Entwick­lungschancen sind dadurch noch nicht gewonnen. Dies ist aber auch eine Frage des "Klimas" und der Mentalitäten. Hier können durch das ergänzende Gover­nance-Konzept der "Lernenden Region" entsprechende Impulse gesetzt werden.

7.3 Governance von Place-making-Prozessen

In zwei der neueren Publikationen wird die "Place"-Fokussierung in Verbindung mit Mobilisierungschancen für Steuerung in den Mittelpunkt gerückt (Madani­pourlHulV Healey 200 I, Cars et al. 2002). Mit diesem Bezug ("urban governance") geht es insbesondere um dynamische und konflikthafte Interaktionen auf Zeit, anhand derer - unter Beachtung ihrer Geschichte - neue Vorstellungen darüber

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entwickelt werden sollen, welche kollektiven Fragen Aufmersamkeit erfordern und wie diese unter Bildung von Allianzen und Koalitionen gestärkt werden können. Diese Ansätze greifen unter der Perspektive von "agencies" die Frage nach der Reformulierung lokaler Identitäten (als Antwort auf Globalisierungs­folgen) auf. Sie lassen sich zudem sehr gut anwenden auf die aktuelle Problema­tik der Schrumpfungsprozesse in den ostdeutschen Städten und auf die Chancen, praktische Konzepte zu ihrer Regenerierung zu entwickeln (Keim 2001).

Fragen über die Gestaltung und Nutzung von Räumen sind fast immer um­stritten und daher politischer Natur. Die dynamisch-prozessuale Auffassung von "place-making" ist unvermeidlich mit Überlegungen zu politischem Handeln verbunden. Wer "Platz nimmt", kann sich nicht neutral verhalten. Das wird zum Beispiel daran deutlich, ob im Zuge einer Politik der Stadtentwicklung grund­sätzlich alle translokalen Eigentümer- oder Investoreninteressen mit Vorzug be­handelt werden, da sie wirtschaftlichen Nutzen für die Stadt erwarten lassen. Geschieht dies so, dann werden die lokalen Besonderheiten, ihre Herkunft, ihr Profil, ihre Färbung den überregionalen oder globalen Prozessen einverleibt. Das heißt nicht, dass sie ignoriert werden; doch sie sind eher Manövriermasse als conditio sine qua non. Es wird unterstellt, dass die durch externe Kräfte vor­angetriebene Entwicklung im Interesse der Stadt liege, auch wenn sie vielleicht mit Verlusten einhergeht. Doch wer ist "die Stadt"?

In Fragen des "place-making" empfiehlt es sich, von vornherein offene, in­teraktive Governance-Konzepte zu verwenden, wie etwa bei den Vorschlägen von AminlHausner (1996) oder von Rhodes (1997). Sie heben vor allem die Rolle von kooperativen Allianzen oder Netzen auf lokaler Ebene hervor. Sol­che horizontal angesiedelten Aktivitäten werden sodann im Kontext eines Modells der Verhandlungsdemokratie oder auch der deliberativen Demokratie diskutiert. Kennzeichnend für dieses Modell ist, dass öffentliche Beratungs­prozesse für die Legitimation politischer Entscheidungen eine wesentliche Funktion übernehmen (Becker 2000). Es hängt von den realen institutionellen Formen und Praktiken der Stadtpolitik ab, inwieweit im Rahmen der Fragen der künftigen Stadtentwicklung solche Arbeitsformen eingesetzt und dabei auch die "Platz"-Qualitäten himeichend thematisiert werden können. In ähnlicher Weise lassen sich diese Überlegungen auf der regionalen Ebene anstellen.

Place-making-Akteure in Governance-Arrangements

Eine Basis-Erkenntnis der Place-Ansätze besagt, dass "Plätze" nur mittels eines Selbst-Konzepts, das heißt, nur mittels der Subjekte ihre integrierende Bünde­lung entfalten können, wie umgekehrt solche Orte zum Verständnis von sozialer Identität oder von Wir-Beziehungen beitragen (Entrikin 1999). Deshalb sollen am Anfang der Governance-Beiträge die Elemente eines Akteurmodells stehen. Wer tritt in welcher Rolle, mit welchen Bildern und Wünschen, aktiv auf und beteiligt sich an der Ortsbildung? Wie kann auf Zeit ein Interaktionszusammen­hang organisiert werden?

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Ein erster Impuls für die Inszenierung von "place-making" folgt aus der verän­derten Rolle staatlicher Akteure. Aus unterschiedlichen theoretischen Kontex­ten sind hierzu Begriffe wie "enabling state" (GilbertiGilbert), "facilitative state" (AminlHausner), "kooperativer Staat" (Benz, Voigt) oder "ermunternder Staat" (Evers/Leggewie) vorgeschlagen worden. Gemeinsam ist ihnen, dass damit -ganz im Sinne der Governance-Konzepte - eine grundlegende Ent­Hierarchisierung des staatlichen Handeins und ein eigener Steuerungsverzicht der politisch-administrativen Instanzen propagiert wird. Dieses gewandelte Verständnis hat sowohl innerhalb der wohlfahrtsstaatlichen Diskurse als auch innerhalb der Planungsdiskurse relativ viel Resonanz gefunden. Bei den Ortsbildungs-Prozessen bedeutet dies für staatliche Vertreter vor allem, hinsicht­lich des Zustandekommens von institutionellen Arrangements und ihren Regeln eine initiierende und moderierende Funktion wahrzunehmen, dann aber darauf zu drängen, dass wirksame Kooperationen und eine produktive Form von Verantwortungsteilung vereinbart werden. Dies betrifft in erster Linie örtliche Allianzen im Sinne einer Mobilisierung zivilgesellschaftlicher Kräfte.

Die Prozesssteuerung bedarf offenbar einer eigenen, den Governance­Aufgaben angemessenen Interaktionsgrammatik. Hierfür ist insbesondere mit den Konzepten des "interactive social designing" und der "strategie guidance" (AminlHausner 1996) vor dem Hintergrund der europäischen Entwicklung aufgezeigt worden, wie aus der Sicht der (kreativen) Akteure das intermediäre Handlungsfeld strukturiert werden kann (für die Niederlande Kickert 1997). Die Fähigkeit zur Koordination von multiplen Governance-Netzwerken, und zwar nicht durch Domination, sondern durch Abwägen, Führen und Unter­stützen, bildet die Voraussetzung dafür, die Interaktionsbeziehungen im Sinne einer kommunikativen Steuerung von sozialer Komplexität organisieren zu können. Dabei wird besonders die Rolle nicht-staatlicher öffentlicher Organi­sationen hervorgehoben, die als "supereoding institutions" den Akteuren die Kommunikation für Verhandlungsprozesse ermöglichen oder erleichtern (Aka­demien, Forschungsinstitute, PR-Agenturen, Medien u.Ä.).

In englischen Studien wird insgesamt von einem deutlichen Trend zu einer Partnerschaft zwischen öffentlichem Sektor, privatem Sektor und freiwilligen Organisationen des örtlichen Gemeinwesens berichtet. Initiator ist freilich die zentrale Regierung, und das wichtigste Handlungsinstrument sind die städtischen Entwicklungsgesellschaften. Die Anlässe hierfür werden entweder in benachtei­ligten Stadtquartieren gesehen (Davoudi 1995, Griffiths 1995), in der notwen­digen Aktivierung der lokalen Ökonomie (ImrielThomas 1995) oder in einer Neuorientierung der "local governance" hin zur nachhaltigen Entwicklung (PattersonlTheobald 1995). Nach den neuen "collaborative approaches" (Hea­ley 1997, 1998) sind folgende Konzepte ausschlaggebend: das Herstellen von "Plätzen" durch die Integration wirtschaftlicher, umweltbezogener und sozialer Agenden; die breite Mitwirkung von "stakeholders" bei Policy-Strategien und Projekten; die Anerkennung vielfacher Formen von "local knowledge" sowie das Aufbauen positiver Beziehungen zwischen den Akteuren als Handlungsressourcen.

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Die Bildung örtlicher Allianzen geschieht nicht voraussetzungslos. Ihr liegt das Modell von veränderten Bürgerrollen zu Grunde, die sowohl die Motivationen bereitstellen als auch eine breit verankerte demokratische Teilhabe ermöglichen sollen (zusammenfassend Damkowski/Rösener 2003, für Ostdeutschland Backhaus u.a. 2003). Die Bürgerrollen sind nicht begrenzt auf ihre formalen politischen Mitwirkungs- oder Teilhaberechte; sie konstituieren sich letztlich aus dem jeweiligen Selbstverständnis der lokalen Zivilgesellschaft und ihren selbst artikulierten Perspektiven. Nicht nur das: Es handelt sich keineswegs nur um Bürgerinnen und Bürger, die in der betreffenden Gemeinde leben, sondern mit dem strukturierenden Begriff der "holders" (Schmitter) wird der Kreis der potenziellen Mitwirkenden erweitert; beteiligt sind demnach auch Privatper­sonen, Firmen oder Organisationen, die unabhängig von ihrer eigenen örtlichen Herkunft ein Engagement für Place-Qualitäten und ihre Lenkung entwickeln wollen (siehe Abschnitt 6.3). Ebenso kann über die Angebote elektronischer Medien ein bürgerschaftliches Verhalten beeinflusst werden (Meyrowitz 1985).

Neben den individuellen Bürgerinnen und Bürgern, zu denen möglichst auch ausländische Mitbürger gerechnet werden sollten, zählen wir bürgerschaftliche Gruppen (Vereine, Bürgerinitiativen, Jugendgruppen, ethnische Gruppen etc.), Verbände und Interessenvertretungen, lokale (bzw. auch auswärtige) Betriebe und Konzerne, Arbeitsgruppen der politischen Parteien, Kirchen oder Stiftun­gen zu den mobilisierbaren Akteuren. Ihre Mitwirkung richtet sich auf höchst unterschiedliche lokalpolitische Vorhaben, mit denen ein "place-making" vor­angebracht werden soll. Dabei kommt es zu Beratungen, Kooperationen oder Vereinbarungen mit den Vertretern von Politik und Verwaltung. Zum Teil kön­nen Aufgaben - im Sinne der an anderer Stelle bereits erwähnten Gewährlei­stungs-Verantwortung - über Verträge an solche Gruppen und "stakeholders" übertragen werden, wobei die Kommunalpolitik auf die Einhaltung von Stan­dards zu achten hat.

Ein jüngeres Beispiel wird aus Leipzig berichtet (Damkowski/Rösener 2003, S. 137ff.). Dort erhalten Bürgervereine auf der Basis von vertraglichen Leistungsvereinbarungen finanzielle Zuwendungen, die von vornherein auf ei­nen konkreten Output, das heißt auf die Erbringung von Leistungen, ausgerichtet sind. Man darf davon ausgehen, dass dieses Vorgehen nicht nur eine dynami­schere Vereinstätigkeit hervorruft, sondern auch erheblich zum "place-making" und zur Vertrauenstärkung beiträgt.

Einschränkend ist zu betonen, dass eine wirksame Mitarbeit von Akteuren an Place-making-Vorhaben mehreren Restriktionen unterliegt. Dazu gehören Ressentiments auf Grund traditioneller Mentalitäten, vor allem aber Überlas­tungen und Überforderungen, die sich aus der Komplexität der Sachverhalte wie der eigenen Lebensführung bzw. betrieblichen Ziele ergeben. Überlastet sind wegen in sich widersprüchlichen Anforderungen auch die Kommunen selbst (Keim 1995), doch die Konzentration auf "place-making" kann womöglich komplexitätsreduzierend wirken.

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Place-Issues und Governance-Wissen

Wenn es richtig ist, dass die modernen Strukturwandlungen jeweils auch ein sensibilisiertes Platz-Bewusstsein hervorbringen, dann stehen bestimmte The­men und Streitfragen im Vordergrund. Die Politikformulierung, in die immer auch die Bekundungen gesellschaftlicher Gruppen, insbesondere der Wirtschaft, einbezogen werden, wird vor allem die folgenden Aspekte berücksichtigen:

(l) Eine "Platz-Politik" bedarf der Anknüpfung an vorhandene Ortsbildungen, sieht aber von vornherein "Plätze" selbst als Projekte an. Sie wird daher Projektziele, Projektträger und Projektressourcen ausfindig machen und in einer geeigneten Handlungsform organisatorisch zusammenführen. Das muss nicht unter Leitung der Kommune erfolgen, aber sie wird gewiss be­teiligt sein. Die im Projekt aktualisierten Merkmale von positiv bewerte­ten Ortsbildungen werden als Eigenwert anerkannt, von dem aus erst ein Projekt im Verhältnis zu den Impacts ökonomischer bzw. staatlicher Akti­vitäten in Szene gesetzt werden kann. Das Projekt kann, finden sich geeig­nete handlungsbereite Träger, gegen diese Impacts gerichtet sein; es kann aber auch einen Weg suchen, wie sich Einflüsse von Kapital und Staat in geeigneter Einbindung akzeptieren lassen, um Win-win-Situationen zu suchen. Das gemeinsame Ziel, auf das sich im Allgemeinen viele Befürworter von "place-making" verständigen können, ist die Stärkung der eigenen Konkur­renzsituation im Verhältnis zu anderen Städten, Regionen oder "Plätzen".

(2) Wie können die identifizierbaren "Plätze" in Begriffen ihrer Werte und Qua­litäten gestärkt werden? Dazu sind die mehrdimensionalen Platz-Eigen­schaften in einer - methodisch triangulär angelegten - sozialräumlichen Untersuchung zu beschreiben und zu beurteilen. Ihre historische Dimen­sion dient nicht einer rückwärts gerichteten Politik, sondern als Quelle für Zukunftsvorhaben. Gebrauchswert-Eigenschaften wird ein höherer Wert beigemessen als Tauschwert-Eigenschaften. Prozesse der Imagebildung und der Außendarstellung sind im Sinne von Kodierungen als zusätzliche Place­Qualitäten anzusehen und zu beobachten. Neben der kommunalen Politik und Selbstverwaltung sind es vor allem Aktivitäten eines "corporate citi­zenship" , von Gruppen, Unternehmen und Verbänden, die ein zivilgesell­schaftliches Engagement zeigen, mit deren Hilfe solche Stärkungen der "Plätze" betrieben werden können (Kemmis 1990).

(3) Die Hervorhebung von "Place-making"-Prozessen führt zu einer Neufor­mulierung des Begriffs "Entwicklung". Im Kontext der Dritte-Welt-Politik, der internationalen Währungspolitik und der Globalisierungs-Debatte fin­det seit längerem eine kritische Auseinandersetzung mit den dominanten Entwicklungs-Konzepten statt. Kernpunkt der Kritik ist, dass Entwicklung ohne Anknüpfung an die vorhandene Kultur zu Verlusten führt, die nicht

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akzeptiert werden sollten und zudem die nachhaltigen Effekte der Entwick­lungspolitik in Frage stellen. Es geht also um eine normative Position, die allerdings anhand allgemein anerkannter Kriterien und Legitimationen (auf­geklärte Demokratien, Wohlfahrt fiir alle Bevölkerungsteile ) qualifiziert werden kann. Entwicklung unter Einbeziehung einer "Platz"-Politik greift diesen Gedanken auf. Ökonomische Entwicklung in Verbindung mit Stakeholder-Konzepten versteht sich in gegenseitiger Bindung an Kultur, Sozialstruktur und ökologische "groundedness".

(4) In einern solchen Handlungsbezug sehe ich auch die Leistungsfähigkeit der neueren Milieuforschung (Matthiesen 1998). Die Bildung von raum­gebundenen sozialen Milieus und ihre Alltagspraxis sind heute viel stärker als früher durch medial vermittelte Globalisierungsprozesse geprägt, also durch "linkages" über die Lokalität hinaus. Die symbolisch-kulturelle Ein­bettung sozialer Milieus stellt daher eine neuartige Herausforderung dar. Die Qualität der Leitbilder für die Stadtentwicklung, der städtischen Infra­struktur, der Organisation des öffentlichen Raumes, der Wohnlagen scheint flir Prozesse des re-embedding eine, wenn nicht hinreichende, so doch notwendige Bedingung zu sein. Bedeutsam sind mithin Platz-Eigenschaf­ten zur Kontextualisierung der sozialen Milieus. (Es gibt übrigens auch Hochschullehrer, die angenehme Orte als günstige Voraussetzung für Lernmilieus und geistige Kreativität ansehen; in der Wissenschaftssoziologie entstand hierfiir der Begriff "productive locale".)

(5) Eine Place-Politik muss sich derzeit zwingend mit den Folgen der weit ver­breiteten Schrumpjungsprozesse, insbesondere in den ostdeutschen Städ­ten, auseinandersetzen. Hierzu liegen inzwischen einige grundlegende Studien vor (Keim 2001). Prononciert gesagt, wird es fiir ti1anche der be­treffenden Städte darauf ankommen, zwischen Übergang (in andere Stadt­Identitäten durch "place-making") oder Untergang (durch Preisgabe we­gen zu starker Verluste und Erosion) zu wählen. Aber sie haben die Wahl! In den politischen Stadtumbau-Prograrnmen wird von den beteiligten Kom­munen erwartet, dass sie eigenständig den geeigneten Umbauprozess orga­nisieren und dabei eine Verbindung von städtebaulichen und wohnungs­wirtschaftlichen Maßnahmen einleiten (BMVBW 2002). Neue Leitbilder, "Rückbau"-Konzepte im Wohnungsbestand und Kapazitätsanpassungen bei der Infrastruktur sollen entworfen und geplant werden. Doch wie die bis­herigen Erfahrungen zeigen, verharren die meisten Städte in ihren vertrau­ten Praktiken und sind vor allem an der Abrufung der finanziellen Zuschüsse interessiert. Das ist nicht verwerflich, aber zu kurz gegriffen; ich möchte hier Partei ergreifen. In der Tat schreien die Schrumpfungsprozesse (mit Verlusten an Einwohnern, an Arbeitsplätzen, an Auslastung der Städte­technik, an stadtstrukturellem Zusammenhalt) geradezu danach, "place­making" zu betreiben, und zwar auf unkonventionelle Weise. Und dabei könnten die zivilgesellschaftlichen Milieus eine nicht nur befördernde,

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sondern die Fachplanungen einbettende und eine veränderte Identität her­beiruhrende Rolle übernehmen (Matthiesen 2002).

(6) Ein besonderer Beitrag kann durch gezielte Mobilisierung der Ressource Wissen erfolgen. Hierzu sind in einem neu begonnenen Forschungsschwer­punkt "Stadt und Wissen" erste Grundlagen erarbeitet worden (Matthiesen/ Bürkner 2001), und zwar nicht nur konzeptuell, sondern mittels empirischer Fallstudien in den Städten Jena, Frankfurt/Oder und Ellwangen. Die dabei zu Tage tretenden Akteurskonstellationen werden in ihrer Produktivität, ihrer Dynamik und Vernetzung untersucht. Neuartige Wissensmilieus erweisen sich als wirksam im Hinblick auf innovative Entwicklungen und damit als Beitrag zur Herausbildung von "sticky knowledge places" (Matthiesen). Frappierend ist vor allem, dass in der bisherigen Politik der Stadtentwick­lung die Verbindung zu den Orten (und Akteuren) der Wissensgenerierung und Wissensvermittlung kaum gesucht wird - ein noch zu erschließender Arbeitszusammenhang! Über die Ressource Wissen können darüber hin­aus geeignete, kreative Formen der PI ace-Kodierung (Zeichensysteme, "corporate identities", Symbolisierungen) entwickelt werden.

Werden derartige Komponenten von Ortsbildungen in der Politik der Städte aufgegriffen, wird sich dies nach und nach auf die Art und Weise der räumli­chen Planung auswirken (MadanipourlHull/Healey 2000). Strategische Pla­nungen gewinnen an Gewicht, Mitwirkungen zivilgesellschaftlicher Gruppen nehmen zu, es kommt zu einer Veränderung der (planungs-)institutionellen Prozesse mit weiteren Auswirkungen auf die Planungskulturen insgesamt (siehe Kapitel 10). Die an Governance-Arrangements beteiligten "holders" anerken­nen dabei, dass sie gemeinsam nach "Lösungen zweiter Ordnung" zu suchen haben (Watzlawick/Weakland/Fisch 1974). Sie stellen nämlich die bisherigen Praktiken und Lösungsversuche in einen neuen, weiteren Rahmen - und der lautet "place-making". Das erlaubt zudem, einzelne Sachverhalte umzudeuten, sie in ihrer Bedeutung rur die neu zu gewinnende Ortsbildung, für deren Ko­dierung zu bewerten. Die Eigenlogik sozialer Milieus wird dabei ebenso be­rücksichtigt wie das Potenzial "regionaler Innovationsmilieus" als Träger einer lokal gebundenen und vernetzten Regionalökonomie, denn sie sind durch ge­eignete Qualitäten von "places" gestützt.

"Place-making" dient so lokal- und regionalpolitisch als Vehikel zur Be­förderung von selbst definierten Entwicklungsvorstellungen, wobei diese auf kollektiven Bildern fußen, auf die sich eine dafur organisierte Öffentlichkeit verständigt hat. Eine "Platz"-Politik wird, plakativ gesprochen, einen Weg aus Parochie-Elementen (also aus bodenständigen, begrenzten Elementen wie bei kirchlichen Gemeinden) und kosmopolitischen Elementen (mit offenem Hori­zont, Gastlichkeit und Außenbeziehungen) beschreiten. Und sie wird daran zu messen sein, inwieweit sie eine Ausbalancierung plural er Lebensstile und Chan­cen rur Identitätsbildungen ermöglicht.

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7.4 Resümee

Die Arbeit mit Govemance-Konzepten wird von mir als geeignet und wegwei­send für die Untersuchung von Prozessen und Steuerungen der räumlichen Entwicklung beurteilt.

In der Anwendung der Govemance-Perspektive auf die unterschiedlich strukturierten Handlungsfelder bei Spacing-Prozessen wie bei einer Place-Po­litik haben sich mehrere modellhafte Arten von Govemance ergeben, die ich wie folgt typologisch fassen möchte:

Govemance als Eingreifen: Intervention und Regulierung Govemance als Verhandeln: Vereinbarungen mit Wirtschafts akteuren Govemance als Mitwirkung: zivilgesellschaftliche Politikformulierung Govemance als Selbststeuern: soziale Selbstorganisation.

Obwohl die Govemance-Arrangements qua Definition kommunikativ angelegt sind, zeigen die vier Typen, dass Formen und Mittel der Kommunikation stark variieren. Auch sind sowohl bei der Konzeptualisierung von Govemance-Ana­lysen als auch in der Praxis Kombinationen zwischen Merkmalen der vier Ty­pen anzutreffen. Mit Ausnahme des letzten Typs sind jeweils staatliche bzw. kommunale Vertreter an den Govemance-Arrangements beteiligt. Ihr Hand­lungskorsett, ihre Öffnung hin zu den marktförmig agierenden und zivilgesell­schaftlich sich artikulierenden Akteursgruppen verdient besondere Aufmerk­samkeit.

Bezieht man die vier Govemance-Typen auf die analytisch charakterisier­ten Sozialräumlichen Typen I (siehe 5.4) und Sozialräumlichen Typen II (siehe 6.4), so ergibt sich, dass zwei Anwendungsbereiche im Zentrum stehen: a) Ver­handlungs-Govemance in Bezug auf Property Rights, Zugangsmodi und The­men eines funktionalen "place-making"; hier geht es insbesondere um Verein­barungen mit wirtschaftlichen Akteuren, um auf diese Weise Einfluss zu neh­men auf Raumproduktion und Place-Qualitäten; b) Mitwirkungs-Govemance in Bezug aufZugangsmodi, gerichtete Netzwerke sowie Themen eines "place­making", die sich am Alltagsleben und an Symbolisierungen orientieren; hier geht es insbesondere um kollektiv betriebene Politikformulierung mit variie­renden "holders", um Einfluss zu nehmen auf Raumnutzung und Place-Identi­täten. Die bei den anderen Govemance-Typen treten ergänzend hinzu, bezogen auf konkret zu benennende zusätzliche Steuerungsaufgaben.

Was ist damit in raumwissenschaftlicher Betrachtung gewonnen? Meiner Überzeugung nach zeigt sich in den Govemance-Debatten ein Grundmerkmal der "reflexiven Modeme" (Beck), dass nämlich die herkömmlichen Strukturen der Politikformulierung, der politischen Steuerung und planerischen Umsetzung im Feld der räumlichen Entwicklung nunmehr selbst zum Gegenstand sozialer Aushandlungsprozesse gemacht werden. Die gewohnten Selbstverständlichkei­ten sind zerfallen, es entstehen daraus zwangsläufig gegensätzliche Auffassun­gen unter den Steuerungssubjekten, kontroverse Auseinandersetzungen über

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Alternativen und Optionen, über Zurechnungen, Verantwortlichkeiten, Verbind­lichkeiten und über neue Modi des HandeIns. Funktionale Koordinationen, über Verhandlungen und Vernetzungen, treten an die Stelle formaler Koordinatio­nen (hierzu näher Kap. 9). Bürgergesellschaftliche "holders" mischen sich ein in die zur Disposition stehenden Fragen der angemessenen Organisation sozial­räumlicher Steuerung. "Die Individuen kehren in die Gesellschaft zurück" (Beck 1993) und wirken mit an einer "Subpolitik" (Beck), die das formale Steuerungs­system lehrt, sich zu flexibilisieren. Das eben sind die Inhalte der sozial­experimentell auszugestaltenden Governance-Formen. Und was sie an institu­tionellen Lösungen hervorbringen, kann nur eine vorläufige, vorübergehende Geltung beanspruchen, selbst wenn es um "responsive Regulierungen" geht.

Die Aufgaben und Instrumente der räumlichen Planung sind dadurch kei­neswegs hinfallig. Viele Governance-Aktivitäten tragen dazu bei, den Steue­rungsrahmen durch überörtliche Planung auszurullen und umzusetzen. Sie selbst kann aber von den erwähnten reflexiven Veränderungen nicht unberührt bleiben. Seit Jahren finden im deutschsprachigen Raum Arbeitstagungen und F orschungs­projekte statt, um ausfindig zu machen, wie das Planungssystem "modernisiert" werden kann. Dieses Geschehen wird sich fortsetzen.

Die interaktiven Formen der Steuerung, wie sie über Governance-Konzepte untersucht werden können, lassen sich auch in ihren Wirkungen betrachten. Hier empfiehlt sich ein doppelter Blick: Zum einen erzeugt die gemeinsame Arbeit in Verhandlungssystemen, Netzwerken oder "Runden Tischen" reflexiv Wir­kungen auf die Beteiligten selbst, sie gehen Ligaturen auf Zeit ein, sind kompromissbereit und auf Konsensbildung bedacht, schaffen bzw. verstärken Vertrauen untereinander, entwickeln auf diese Weise oft erst eine kollektive Handlungsfahigkeit (insbesondere auf regionaler Ebene), leisten Beiträge zur Integration kontroverser Haltungen, lernen aber auch Gründe fiir Defizite und Scheitern kennen - insgesamt Lernprozesse, gebunden an Motivation, "sozia­les Kapital" und den Willen zur Problemlösung. Zum Zweiten ist aber jede Go­vernance-Aktivität an ihren externen Wirkungen zu messen, daran, inwieweit sie praktikable Konfliktregulierungen herbeifiihren kann, andere Raumgestalten ins Leben ruft, als sie ohne interaktive Steuerung entstanden wären, und durch verbesserte sozialräumliche Arrangements zum gelingenden Zusammenleben in Stadt und Region beiträgt. Das Misslingen im konkreten Einzelfall will ver­standen und reflektiert sein; es wird nicht dazu fUhren, auf dieses Instrumenta­rium zu verzichten.

7.5 Konzeptuelle Einwände

Mit der Praxis von Governance-Formen stehen grundsätzliche Fragen des Ver­hältnisses zwischen Politik, Gesellschaft und Raum zur Diskussion. Governance­Ansätze gehen von einer inklusiven Mitwirkung zivilgesellschaftlicher Milieus an raumpolitischen Strategien und Entscheidungen aus. Dagegen gibt es Ein­wände seitens der disziplinären Vertreter der Politikwissenschaft, die auf einer

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Systemgrenze zwischen politischem System und Gesellschaftsstruktur bestehen und die Fragen der politischen Steuerung als dem politischen System imma­nent begreifen (als Übersicht hierzu GörlitzlBurth 1998). Unkonventionelle Steuerungskonzepte treten nur als soziale Konstruktionen der Soziologie ins Blickfeld; sie können dann mit den Argumenten abgetan werden, wesentliche Prämissen der politischen Willens- und Entscheidungsbildung nicht einlösen zu können: Legitimation, Prinzip der Repräsentation, Mehrheitsregel, Verbind­lichkeit, Durchsetzbarkeit. Derartige Sichtweisen werden auch in der politischen Praxis aufgegriffen, wenn es darum geht, Skepsis anzumelden und Governance­Arrangements zu verhindern.

Demgegenüber ist hier nochmals darauf zu verweisen, dass das AufKom­men neuer Typen von öffentlicher Lenkung ("governance") real zu beobachten war und ist, bevor dazu wissenschaftliche Diskurse mit Konzeptualisierungen gestartet worden sind. Die Gründe wurden eingangs erwähnt. Das institutionali­sierte Verhältnis zwischen Politik und Gesellschaft in Frage zu stellen, zu dy­namisieren, perspektivisch zu konzipieren, ist in Zeiten radikaler Strukturwand­lungen und hoher Komplexität nicht nur legitim, sondern geboten. Die Steue­rung räumlicher Entwicklungen bietet hierzu ein hervorragendes Erprobungs­feld. Allerdings - das sei gerne konzediert - muss darüber Rechenschaft abge­legt werden, was durch die veränderten Konzepte möglicherweise an Steue­rungsverlust eingehandelt wird und wie dieser zu kompensieren sei. Auf der Handlungsebene sind zur Frage der politischen Legitimation, zur politischen Verantwortung und zur Verbindlichkeit der Ergebnisse jeweils praktikable Ver­fahrensvorschläge gemacht worden. Governance-Formen weisen in der Tat ihre eigene Handlungslogik auf, sie verwenden oft informelle Instrumente. Rück­bindungen an das politische System können über zusätzliche Vereinbarungen unter den Beteiligten ebenso gesichert werden wie durch Selbstverpflichtungen der politischen Organe.

Bei den Vertretern, die sich mit Konzepten wie "aktivierender Staat" oder New Public Management aus politikwissenschaftlicher Sicht generell öffnen wollen, wird die Erwartung angezweifelt, allein durch die Bildung von Ver­handlungs systemen komme es bereits zu einer Steigerung von Effizienz und Effektivität. Auf Grund von institutionenökonomischen Erwägungen wird statt­dessen vermutet, dass Governance-Arrangements ungewollte externe Effekte produzieren (suboptimale Verwendung öffentlicher Mittel, Fehlallokationen, Transaktionskosten durch zeitaufwändige Beratungen). Zudem sei zu vermu­ten, dass die Artikulation und Mitwirkung schwächerer Gruppen - wegen so­zialer Ungleichheit wie wegen kultureller Differenz - nicht gewährleistet wer­den könne.

Diese Einwände erscheinen bedenkenswert. Von Fall zu Fall müssen in den konkreten Arrangements Vorkehrungen getroffen werden, um solche Effekte nach Möglichkeit zu vermeiden. Dazu zählen zum Beispiel verbindliche Ab­sprachen über arbeitsteilige Kooperationen, über ergänzende Kommunikations­formen oder auch die Beschränkung auf Themen, die ohne schädliche externe

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Effekte auskommen können. Die Bilanz fällt anders aus, wenn man sich klar macht, dass auch beim Verzicht auf Governance-Formen negative externe Ef­fekte produziert werden.

Weitere Bedenken beziehen sich auf die tatsächlich erzielbaren Outputs, auf die kaum erreichbare Einheitlichkeit der Handlungsvorschläge, auf zu schwa­che Steuerungswirkungen. Das Prinzip der "Vielstimmigkeit" bei zivilgesell­schaftlicher Mitwirkung mache jede konzise, auf Linie gebrachte Lösung zu­nichte.

Dies sind triftige Gesichtspunkte, aber keine solchen, die gegen die Bil­dung von Governance-Arrangements sprechen. Selbstverständlich wird die Er­zielung von Outputs wesentlich davon abhängen, wie gut die Arbeit in Gremien oder Netzwerken - unter klarer Leitung - die Akteure mit ihren Interessen zu­sammenführen kann. Und die Vielstimmigkeit kann, je nach Issue, durchaus reduziert werden: durch Begrenzung auf die für die gestellte Aufgabe unbe­dingt notwendige Anzahl von Mitwirkenden und auf solche Teilnehmer, die sich wirklich für die Belange von Stadt oder Region engagieren wollen.

Gewichtig ist die mögliche Vernachlässigung von Steuerungswirkungen. Planer sind ohnedies eher auf Inputs orientiert; sie wollen machen, nicht aus den erzielten Wirkungen lernen. Vor allem aber geht es ja auch um Sachverhal­te, deren Veränderung im öffentlichen Interesse durchgesetzt werden sollte; dies gilt vor allem für die Steuerung von Spacing-Prozessen. Bei solchen Steuerungs­aufgaben sind die Governance-Arrangements als Interventionsaufgaben zu konzipieren! Wer Verbesserungen bewirken will, muss die "capacity" (und Legitimation) besitzen, gegen das wirksam zu intervenieren, was schädlich oder zerstörerisch ist. Nur so sind bei diesen Aufgaben der räumlichen Entwicklung Deregulierung und Einbeziehung zivilgesellschaftlicher Kräfte zu begründen. Robuste Governance-Konzepte mit Interventionen kommen daher dann in Be­tracht, wenn konkrete Voraussetzungen zur Intervention vorliegen, auf die sich die Beteiligten verständigen können. In den anderen Fällen, vor allem bezogen auf regionale Netzwerke und auf "place-making", geht es überwiegend um Steue­rungswirkungen, die qualitativer Art sind und erst mittel- bis langfristig beur­teilt werden können.

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Dritter Abschnitt: Ausgewählte Aspekte der Govemance-Konzepte

8 Steuerungstheoretische Grundlagen für Regionale Entwicklungskonzepte

In diesem Beitrag möchte ich zeigen, wie unter einer Governance-Perspektive mit steuerungstheoretischen Konzepten gearbeitet werden kann. Der An­wendungsfall bezieht sich auf Regionale Entwicklungskonzepte (REK): Sie werden im Kontext einer offenen, handlungsorientierten regionalen Kooperation als ein geeignetes Instrument gesehen, planerische Rahmenaussagen in konkret bestimmten Handlungsräumen umzusetzen bzw. diese durch die Generierung eigenständiger Produkte zu ergänzen. Im Vordergrund soll die Frage nach Steue­rungswirkungen von REK stehen.

Mit der Zunahme von dezentral und kooperativ organisierten Ansätzen regionaler Entwicklung stellt sich die Aufgabe, ihre steuerungstheoretischen Be­züge zu reformulieren. Denn das steuerungstheoretische Verständnis der räum­lichen Entwicklung bzw. Planung war bisher vor allem von einem hierarchisch­interventionistischen und von einem auf ökonomische Entwicklung ausgerich­teten Prinzip geprägt. "Steuerung" bedeutete in diesem Kontext eine Form von regulativer Politik, ergänzt um die Anreizwirkung von finanziellen F örderpro­grammen. Dieses Instrumentarium erwies sich allerdings als mit erheblichen Steuerungsmängeln behaftet - ein Sachverhalt, der schon unter fiskalischen Gesichtspunkten hellhörig machen muss, aber auch Zweifel an der Geeignet­heit der eingesetzten Handlungskonzepte aufwirft.

Mit dem Entstehen von Regionalen Entwicklungskonzepten (REK) und anderen Arten informeller Planung scheint eine grundsätzliche Neuorientierung des Steuerungs- Instrumentariums verbunden zu sein, dessen Steuerungseffekte aber bisher im Unklaren bleiben. Zwar bildet die Überzeugung von der Steuer­barkeit räumlicher Entwicklungen eine wesentliche Voraussetzung ftir die pla­nerische Tätigkeit. Doch welchen realen Beitrag räumliche Planungen und da­neben die räumlichen Entwicklungskonzepte leisten, bedarf genauerer Unter­suchung. Es gibt Berichte, die aufzeigen, dass die öffentlichen Akteure derzeit neben den formalen Planungen - ganz im Sinne der theoretischen Governance­Konzepte - mehr präskriptive Leitideen und Handlungspfade entwickeln oder aber vertragsähnliche Kooperationsformen initiieren, die mit Ziel- und Qualitäts­vereinbarungen gekoppelt werden. Derartige Handlungskonzepte (die hier nicht im Einzelnen dargestellt werden können) sind offensichtlich darauf angewie­sen, dass schon in ihrer Entstehungsphase Mitwirkende dafür gewonnen wer­den; diese müssen von vornherein den Willen haben mitzumachen. Insoweit vermögen die Handlungskonzepte per se keine Steuerungswirkung zu entfal-

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ten. Erst wenn sich daraus selbstreflexive Steuerungsmodi bilden, wenn also die beteiligten Akteure im Zusammenwirken verbesserte Kooperationsgewinne sowie messbare Effekte gegenüber dem gewählten Handlungsfeld erzielen, können solche zusätzlichen Wirkungen vermutet werden.

Insofern wird hier die tendenziell offene, auf Koordination und Kooperation angelegte Ausarbeitung von REK an die strengere Frage nach dadurch erreich­baren Steuerungswirkungen gebunden. Der steuerungstheoretische Bezug be­deutet daher einen Prüfstein fiir die Effektivität der "weicheren" Handlungs­formen, also auch der REK.

Ich möchte nun anhand von vier Punkten diskutieren, in welcher Weise steuerungstheoretische Aspekte auf die Frage der Wirksamkeit von REK ange­wandt werden können. Nach der Präzisierung des Steuerungsbegriffs (8.1) werden Kennzeichen der regionalisierten Steuerung referiert (8.2) und anschlie­ßend Steuerungsaspekte von Handlungsprograrnmen diskutiert (8.3). Aus den wesentlichen Aussagen werden sodann Folgerungen fiir die Anwendung auf Regionale Entwicklungskonzepte gezogen (8.4).

8.1 Zum sozialwissenschaJtlichen Begriff "Steuerung"

Die fast inflationäre Verwendung des Steuerungs begriffs steht in einer seltsa­men Diskrepanz zu seiner definitorischen Unschärfe. Dahinter verbergen sich auch einige semantische Fallstricke. So verdient festgehalten zu werden, dass der deutsche Begriff "Steuerung" in die Sozialwissenschaften durch Überset­zung des englischen Begriffs "control" Eingang gefunden hat, und zwar des­wegen, weil dessen Bedeutungsgehalt mit dem deutschen Wort "Kontrolle" in erheblichem Umfang verfehlt worden wäre. Einmal eingeführt, wurde "Steue­rung" allerdings immer wieder mit allgemeiner Handlungskoordination oder mit der Bildung sozialer Ordnungen gleichgesetzt, ein Verständnis, das massiv die Frage der Unterscheidbarkeit, der begrifflichen Genauigkeit aufwirft.

Ich folge daher einem früheren Vorschlag von Renate Mayntz (1987) und plädiere für einen präzisierten Steuerungs begriff, der relativ eng gefasst wird und auf diese Weise operationalisiert und in seinen Wirkungen überprüft wer­den kann. Allgemein lässt sich "Steuerung" danach als Vorgang verstehen, durch welchen ein Objekt, ein System o.Ä. von einem Ort oder Zustand zu einem be­stimmten anderen Ort oder Zustand gebracht wird. Um diesen Wechsel hinrei­chend erfassen zu können, benötigen wir folgende Elemente:

(a) Steuerungssubjekt: Es bedarf entweder einzelner bzw. mehrerer Personen oder handlungsfahiger Kollektive, die das verrichten, was wir "steuern" nen­nen. Wenn wir das Steuern einem Subjekt als Handeln zurechnen wollen (und dafür spricht das Interesse an Verursachung und an Verantwortlich­keit), dann darf das Subjekt sich nicht in diffuse Akteursgruppen auflösen. Auch Koordinationsprozesse oder Interaktionsmedien sind keine Subjek­te ("Markt", "Solidarität" u.Ä.). Nicht erforderlich ist hingegen, dass das

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Steuerungssubjekt selbst die Kräfte der Veränderung verkörpert, vielmehr geht es gerade darum, dass es die erkennbaren oder mobilisierbaren Kräfte in ihrer Richtung und Wirkung beeinflusst. Hingegen schließt das Verständ­nis von Steuerungssubjekten die Möglichkeit ein, dass das Subjekt (der Akteur) selbst Teil des gesteuerten Zusammenhangs ist. Handelt es sich um ein zentralstaatliches Subjekt, ist es unsinnig, von "dezentraler Steuerung" zu sprechen, denn aus seiner Sicht geht es dabei um einen Steuerungs­verzicht. Handelt es sich hingegen um Subjekte, die Bottom-up-Steuerun­gen versuchen, so machen Bezeichnungen wie "dezentrale Steuerung" oder "Selbststeuerung" einen Sinn.

(b) Steuerungsobjekt: Hierbei geht die sozialwissenschaftliche Steuerungs­theorie davon aus, dass der Gegenstand der Steuerung, also das, was ge­steuert werden soll, Systemcharakter besitzt. Das bedeutet insbesondere, dass es jeweils um einen Handlungszusammenhang geht, der sich ohne Steuerung selbsttätig bzw. eigendynamisch weiterentwickeln würde. Mit "Steuerung" soll die Entwicklungsrichtung des Zusammenhangs gezielt verändert werden (was bei hoher Interdependenz auch durch Veränderung eines wichtigen Faktors geschehen kann). In diesem Verständnis ist inbe­griffen, dass das Steuerungsobjekt Kräfte bzw. Substanz aufweist, damit überhaupt eine Entwicklung (und deren Veränderung) stattfinden kann. Gehört ein Steuerungssubjekt selbst dem Objektzusammenhang an, muss dieser eine ausdifferenzierte, hinreichend handlungsfähige Steuerungs­instanz enthalten.

(c) Steuerungsziel (-richtung): Von "Steuerung" sollten wir nur sprechen, wenn eine bestimmte Zustandsänderung des als Steuerungsobjekt fungierenden Zusammenhangs angestrebt wird. Dies drückt sich in der Regel in Inten­tionen oder Zielen aus, wobei anstelle einer punktgenauen Zielbeschrei­bung oft besser von einer Zielrichtung (die aber messbar sein sollte) gespro­chen wird. Damit sind normative Aussagen über den Einsatz von Steue­rungen, also Entscheidungen verbunden, die in unserem Arbeitsfeld oft politischer Natur sind. Ohne explizite Absichts- oder Zielaussagen kann später die faktische Wirksamkeit der Steuerung nicht überprüft werden.

(d) Steuerungsinstrumente: Intentionen oder Ziele bedürfen des Einsatzes von geeigneten Maßnahmen (Instrumenten) sowie einer wenigstens rudimen­tären Vorstellung davon, welche Wirkungsbeziehungen zwischen Steue­rungsaktivitäten und Steuerungsresultaten bestehen. Der Steuerungsbegriff setzt voraus, dass der Einsatz von Instrumenten tatsächlich zu einer Verän­derung des Steuerungsobjekts fUhrt. Diese Veränderung muss aber nicht zwingend - zumindest nicht definitorisch - erfolgreich sein im Sinne des formulierten Steuerungsziels; hier hilft die Unterscheidung zwischen be­absichtigten und unbeabsichtigten Folgen des Steuerungshandeins.

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(e) Für Zwecke unseres Vorhabens ergänzen wir nun diese vier Elemente des Steuerungs begriffs um das Element der" Steuerungswirkungen" . Steuerung ist wirksam, wenn aus der Sicht eines Steuerungssubjekts mit Hilfe des Ein­satzes von Steuerungsinstrumenten gegenüber einem Steuerungsobjekt eine messbare Veränderung resultiert. Deren Qualität - nicht: deren Umfang -kann unter anderem anhand der zuvor formulierten Steuerungsziele beur­teilt werden. Einschränkend ist zu sagen, dass solche Veränderungen dann besonders schwer zu ermitteln und auf das Handeln eines konkreten Steuerungssubjekts zurückzuflihren sind, wenn das Steuerungsobjekt eine komplexe Struktur aufweist, wenn also offen bleiben muss, in welchem Maße eine Steuerbarkeit (des Obj ektbereichs) vorliegt. Einfache Ursache­Wirkungs-Zusammenhänge werden vor allem in Fällen geringer bzw. un­erkannter Steuerbarkeit von Sachverhalten von vornherein ausscheiden.

8.2 Kennzeichen einer regionalisierten Steuerung

In der Frühphase einer Erwartung an Konzepte gesellschaftlicher Planung und "flächendeckender" politischer Steuerung (70er Jahre in der Bundesrepublik Deutschland) war mit dem Steuerungsbegriffnoch das Top-down-Handeln im Sinne eines Befehlsmodells verbunden. Vor allem die Instrumente des traditio­nellen Rechts sollten - als Teil einer regulativen Politik - dafür eingesetzt wer­den, eine Politik der gesellschaftlichen Reformen durchzusetzen.

Diese Politik führte zu Wirkungen, blieb aber wenig erfolgreich. Die Kri­tik, soweit sie nicht lediglich wertrational auftrat, konnte leicht nachweisen, dass das Scheitern gleich mehrere Ursachen enthielt: eine mangelnde Akzeptanz bei den Adressaten der Steuerung (wegen fehlender Motivation oder fehlender Erkennbarkeit von Verbesserungen), eine zu schwache Durchsetzungsfahigkeit bei den Vollzugs instanzen (Implementationsproblem), vor allem jedoch ein Wissensdefizit bei den Steuerungssubjekten über den Grad an Steuerbarkeit und den Charakter des zu steuernden Handlungszusammenhangs, was im Allgemei­nen dadurch kaschiert wurde, dass man im Sinne bürokratischen Handelns punk­tuelle Eingriffe oder herkömmliche Verfahren wählte und nur darauf blickte, was durch diese Einzelrnaßnahmen unmittelbar ausgelöst wurde. Damit aber war die Komplexität sozialen Handeins unter Bedingungen interdependenter Wirkungszusammenhänge nicht zu bewältigen. Die Frage, ob jenes "Objekt", das man im Auge hatte, überhaupt steuerbar war, blieb unbeantwortet, ein Ver­säumnis, das sich immer aufs Neue damit entschuldigen ließ, dass seitens der politisch-administrativen Akteure - meist aufgrund rechtlicher Vorgaben und unter Zeitdruck - gehandelt und entschieden werden musste.

Am Beginn des 21. Jahrhunderts befinden wir uns zwar in einer deutlich anderen Situation, doch im Kern sind die vorgenannten Kritikpunkte immer noch relevant. Dass neben eine formalisierte, hierarchisch bestimmte politische Steue­rung offenere, flexiblere und mit unterschiedlichen Akteuren "bestückte" Steue­rungen zu treten hätten, zählt inzwischen zu den Grundweisheiten der Policy-

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Forschung und wird auch von den administrativen Praktikern gesehen. Das heißt freilich nicht, dass es auch umstandslos akzeptiert wird. Vor allem resultieren aus der Sicht der mit regionalen Entwicklungen befassten Praktiker erhebliche Kompatibilitäts- und Abstimmungsprobleme aus dem Nebeneinander von for­mellen und informellen Steuerungsformen. Und es stellt sich zudem die Frage, ob die "weichen" Formen der Handlungskonzepte überhaupt in dem hier defi­nierten Sinne Steuerungspotenziale entfalten können. Es ist notwendig, diesen Aspekten weiter nachzugehen.

Die seit Mitte der 70er Jahre eingeschlagenen Wege in der Steuerungsfor­schung, zum Teil auch in der Planungs- und Regulierungspraxis, sind nicht mehr unmittelbar geeignet für die Interpretation der heutigen Bedingungen und Mög­lichkeiten. Sie verkörpern eher einen Erklärungsstrang dafür, warum wir ge­genwärtig bei den offeneren Konzepten angekommen sind. So erbrachten die Analysen von vertikalen Politikverflechtungen, dass es sich um ein kompliziertes Zusammenspiel der verschiedenen politischen Handlungsebenen handelt, des­sen Steuerungseffekte wenig erforscht wurden, das jedoch in den meisten Fäl­len mit einem hohen Koordinierungsaufwand und mit Einbußen in der Klarheit der Steuerungsziele einherging. Das Steuern wurde durch diese Verflechtun­gen gewiss nicht einfacher, eher entstand nach und nach eine Ahnung davon, dass ein relativer Steuerungsverzicht der zentralen Ebene (Bund) unaufschieb­bar geworden war. Ein zweiter Weg wurde mit dem Aufbau von Informations­systemen beschritten. Auch dieses Vorgehen erwies sich als hoch ambivalent, verfUhrte es - bei aller Verbesserung der Datenlage - doch dazu, die Probleme vor allem in den Steuerungssubjekten, dagegen weniger in der Natur der Steuerungsobjekte zu sehen. Einen weiteren Weg bot die sog. Implementations­forschung. Das Vollzugsdefizit stand im Mittelpunkt, und die Ergebnisse der zahlreichen Studien fUhrten allmählich zu der Einsicht, dass die auf den nach­geordneten Ebenen zu beteiligenden Subjekte (Behörden) sehr wohl eigene Handlungsspielräume besaßen und immer wieder in der Lage waren, vorgege­bene Normen zu umgehen bzw. selbst (mit)steuernd einzugreifen. Diese Erkennt­nis ließ sich allerdings auch ins Positive wenden. In vielen Fällen schien sich nämlich herauszustellen, dass die örtlich beanspruchten Freiheitsgrade, indem durch sie die jeweils spezifischen Bedingungen berücksichtigt werden konn­ten, dazu verhalfen, die angestrebten Steuerungsziele wenigstens annäherungs­weise zu erreichen.

Parallel zu dieser Geschichte der Top-down-Steuerung entwickelte sich ein zweites steuerungstheoretisches Paradigma, das auf ein Konzept der regional i­sierten Regionalpolitik setzt. Hier kam es früh zu einer Verlagerung von wohl­fahrtsstaatlichen Auffassungen - die mit Hilfe der Top-down-Politik einschließ­lich der Regionalplanung eine Niveauanpassung von benachteiligten Regionen anstrebten - zu marktwirtschaftlichen Auffassungen, auf deren Basis über Wett­bewerb und finanzielle Anreizprogramme die eigenen "Begabungen" der Regio­nen gestärkt werden sollten. Die staatlichen Instanzen verstehen sich in dieser Sicht weniger interventionistisch als rahmensetzend und kooperativ. Ihr Steue-

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rungsinstrumentarium wird nicht von Geboten und Verboten bestimmt, sondern von Infrastrukturinvestitionen und von der Kofinanzierung überregionaler -zunächst nationaler, dann mehr und mehr von der EU aufgelegter - F örderpro­gramme. Damit war ein Nährboden geschaffen ftir weitere Forderungen nach Abbau direktiver und formalisierter Steuerungskonzepte.

Die Erfahrungen mit der räumlichen Planung wie mit der Regionalpolitik lehrten immer deutlicher, dass die Situationen, in denen Entwicklungskonzep­te formuliert werden sollten, durch hohe Komplexität, Kontextabhängigkeit und Ungewissheit gekennzeichnet sind. Eindeutige, normative Festlegungen muss­ten daher als Mittel politisch-administrativen Handeins ausscheiden. Mit der Chiffre vom "kooperativen Staat" (Voigt 1995, Benz 1997) eröffueten sich (le­gitimierte) Chancen fiir neue Handlungsformen, indem a) die eigene Steuerungs­kapazität der Adressaten staatlicher Politik akzeptiert wird und b) das staatli­che Kontrollpotenzial ergänzt wird um Bemühungen der Konsensbildung mit allen jenen, die für die Wirksamkeit der Steuerungsziele gewonnen werden müssen. Die akteursorientierten Steuerungsansätze ("Steuerungsfähigkeit") tra­ten in den Vordergrund, wobei zumindest in der kritischen wissenschaftlichen Diskussion gesehen wurde, dass man nicht von einem einheitlichen politischen Akteur sprechen kann. Im Sinne eines Prozesses der eigenständigen Regional­entwicklung wurde danach gefragt (Fürst 1994b), wie es gelingen könnte, Selbst­hilfekräfte der Regionen zu mobilisieren, ihre eigenen Potenziale zu fordern und zu nutzen sowie gemeinsam mit den relevanten regionalen Akteursgrup­pen mittelfristige Handlungsprogramme zu formulieren. In diesem Kontext entstanden die Regionalen Entwicklungskonzepte.

Diese Wandlungen führten auch zu einer konzeptuellen Annäherung zwischen Regionalplanung und Regionalpolitik. Dabei taucht das Problem auf, dass es bei solchen Arrangements schwieriger fallen wird, noch zu klaren Steue­rungsrichtungen und messbaren Steuerungseffekten zu kommen.

Eine substanzielle Bereicherung dieser Grundlagen ist seit einigen Jahren durch organisations- und institutionentheoretische Beiträge entstanden (Mayntzl Scharpf 1995a, Amin/Hausner 1996). Unter dem Motto "governance of comple­xity" sind die Bedingungen eines strategischen interaktiven Ansatzes als Antwort auf die globalen Herausforderungen in ihrem regionalen und dezentralen Maß­stab erarbeitet worden. Wenn heterogene - öffentliche, semi-öffentliche und pri­vate - Akteure um der gemeinsamen Aufgabe willen zusammengebracht und in ihren Aktionen koordiniert werden sollen: Wie kann es dann zusätzlich gelingen, solchen Governance-Ansätzen noch eine einheitliche strategische Ausrichtung zu geben? Das ist gewiss eine Kernfrage auch fiir die REK-Debatten.

Besonderes Gewicht wird zur Beantwortung der Frage dem Steuerungssubjekt beigemessen. Welcher Voraussetzungen bedarf es, um zu jener "collective agency" zu kommen, die im Sinne einer anleitenden und gestaltenden Handlungskapazi­tät fiir notwendig angesehen wird? Bei MayntzJScharpfwird im institutionellen Handlungskontext den Interaktionen zwischen korporativen Akteuren das Haupt­augenmerk gewidmet. Diese Akteure werden als Teil einer komplexen Akteurs-

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konstellation angesehen (die einen ganzen Handlungssektor umfassen soll) und insbesondere hinsichtlich ihrer Handlungsorientierungen untersucht. Dabei wer­den dauerhafte Handlungsorientierungen und situative Handlungsmotive unter­schieden, ebenso interessen- bzw. normengeleitete Orientierungen. Die Vor­überlegungen münden in eine Beschreibung von Verhandlungen, Abstimmungen und hierarchischen Entscheidungen als den geeigneten Grundformen sozialer Handlungskoordination und der darauf aufbauenden Strategiewahl. Bei Amin! Hausner stehen bestimmte Typen von Akteursrationalität im Vordergrund. Diese von den beteiligten Akteuren zu entwickelnde Handlungsrationalität wurzelt so­wohl im behutsamen Abwägen und Überprüfen der Möglichkeiten (vgl. den Be­griff der deliberativen Politik bei Habermas) als auch im Ausgestalten der Ent­wicklungsvorhaben und in der Effektivierung der wechselseitigen Interaktion. Nur bei dieser Art von Rationalität wird eine Chance gesehen, mit den Anforderun­gen sozialer Komplexität (als Merkmal der Handlungszusammenhänge als Steuerungsobjekt) fertig zu werden. Gelingt es, auf diese Weise auch eine "Ak­teurskomplexität" aufzubauen (vgl. AminlHausner 1996), so kann sich dadurch ein zusätzlicher Typ von Wissen herausbilden, das in den Stand versetzt, soziale Systeme und Regeln auf reflexive Weise zu transformieren. In diesem Sinne können wir von einer "creative collective agency" sprechen.

8.3 Steuerungsaspekte der regionalen Handlungsprogramme

Regionale Entwicklungskonzepte (REK) sind Handlungsprogramme. Sie schei­nen zunächst einer anderen Logik zu folgen als der Logik politischer Steuerung und räumlicher Planung. Sie sollen der Verwirklichung der räumlichen Planung dienen. Sie beruhen auf dem proaktiven, strategischen Engagement regionaler Akteure. Die beteiligten Akteure werden von sich aus tätig, üben eine Option aus, wählen eigenverantwortlich Handlungsfeld, Ressourceneinsatz und Ziel, meist in Form von Projekten. Hierbei zählt nicht von vornherein das Ordnen oder gar Beschränken, sondern das Ermutigen, Initiieren, Unterstützen - und dann das Koordinieren, zum Beispiel über die Arbeit in Netzwerken. Die Summe einzel­ner Projekte bietet noch nicht jene Dichte und Ausrichtung, die wir mit dem Be­griff REK verbinden wollen: Notwendig ist das programmatische Bündeln und die gemeinsame strategische Linie (Konsistenz) im regionalen Maßstab. Dazu bedarf es eines kollektiven Akteurs (der jedoch nicht hierarchisch übergeordnet zu sein braucht). Die fiir unser Thema zentrale Frage lautet, inwiefern derartige Bündelungen und das Auf-Linie-Bringen über REK eigenständige Steuerungs­aspekte (und damit auch Chancen fiir Steuerungswirkungen) enthalten.

Als typisches Merkmal der Handlungsprogramme wird das Prinzip der "fle­xiblen Koordination" angesehen (Scharpf 1994, Fürst 1996). Diese kann sich offenbar unter zwei strukturell verschiedenen, gleichwohl eng zusammenwir­kenden Bedingungen entfalten: Zum einen bedarf es strategischer Vorgaben, insbesondere in Gestalt von rechtlich normierten Rahmenbedingungen tUr die regionale Entwicklung; das sind etwa die Vorgaben des Raumordnungsrechts

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und der Landesplanung oder Strukturförderprogramme seitens der EU oder des Bundes. Zum Zweiten lassen sich innerhalb dieses Rahmens vielfältige Bot­tom-up-Aktivitäten mit Potenzialen zur Selbststeuerung beobachten, die durch kooperative und managementorientierteArbeitsformen gekennzeichnet sind; das sind etwa intermediäre Netzwerke, Regionalkonferenzen, innovativ ausgerich­tete Bausteine der Regionalplanung, Konfliktmediationen u.Ä. Das daraus ent­stehende zweistufige "mixed scanning" scheint eine besonders günstige Konfi­guration für flexible Koordination sowie für strategisch angelegte Handlungs­programme - also entsprechend auch für REK - zu verkörpern. Wenn aller­dings die rahmensetzenden Instanzen hierarchisch höher angesiedelt sind als die Netzwerk- und Managementaktivitäten, dann können wir nicht von Selbst­steuerung sprechen, sondern von Hybrid/ormen der regionalisierten Steuerung, an der auch überregionale Akteure mitwirken.

Steuerungsanteile sind einmal in den strategischen Vorgaben (Rahmen­setzung) enthalten, denn hierüber werden Steuerungsziele bzw. -richtungen formuliert und Steuerungsinstrumente, vor allem Ressourcen, aktualisiert. So­dann werden Steuerungseffekte in den einzelnen Aktivitäten innerhalb des kom­plexen regionalen Zusammenhangs generiert (Steuerungsobjekt); hierfür wur­de aus der Erfahrung des innovativen Regionalprojekts der IBA Emscher Park das Konzept des "perspektivischen Inkrementalismus" (Sieverts/Ganser 1993) formuliert. Zwei Voraussetzungen müssen allerdings erfüllt sein: a) In dem be­trachteten Handlungszusammenhang, der durch das Handlungsprogramm ver­ändert werden soll, müssen messbare Kräfte der Gestaltung und Veränderung am Werke sein, denn andernfalls lässt sich keine Steuerung betreiben; um zu vermeiden, Regionen zu betrachten, in denen lediglich Stagnation oder nicht-trag­fähige Strukturbrüche vorherrschen, empfiehlt es sich, von einem Begriff "Re­gion" auszugehen, der von vornherein durch das produktive Handeln der Akteure konstituiert wird. Wir gelangen auf diese Weise zu einem Handlungsfeld "Re­gion", das seinen Umfang unabhängig von Verwaltungsgrenzen gewinnt, obwohl diese auch (aber eher ausnahmsweise) damit übereinstimmen können. b) Die Handlungsprogramme streben mehr an als bloße Handlungskoordination. Räum­liche Planung hat immer schon koordiniert. Wer allerdings lediglich zusammen­trägt und formuliert, was andere Akteure betreiben, scham vielleicht nützliche Informationen, steuert jedoch nicht. Daher müssen die Aktionen bzw. Projekte der regionalen Akteure durch "Leitprojekte" oder durch ergänzende Integrations­schritte zusätzliche Anstöße gewinnen, also insgesamt das hervorbringen, was häufig euphemistisch als "Synergieeffekte" bezeichnet wird. Diese beiden Vor­aussetzungen sollten auch kritisch als Kriterien an die REK angelegt werden.

8.4 Folgerungenfür die REK-Anwendung

(a) Es sei zunächst noch einmal wiederholt, dass definitorisch "Steuerung" eine messbare Veränderung von Handlungszusammenhängen bewirken soll, also mehr als Informationsbeschaffung, Moderation oder Handlungskoordina-

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tion. An die Bearbeiter von REK stellt sich daher als Erstes die Frage, ob sie mit dem Entwerfen von REK überhaupt steuern wollen - genauer: ob sie anhand politischer bzw. rechtlicher Vorgaben im konkreten Handlungs­feId einen Steuerungsauftrag besitzen oder ob sie im Sinne der regionalen Selbststeuerung von sich aus steuernd tätig werden möchten und dies ent­sprechend mit anderen regionalen Akteursgruppen vereinbart haben. Eine erste Bedingung flir die hier zu prüfende Frage nach den Steuerungswir­kungen ist somit der Wille zur Steuerung. Bei der Auswahl und Analyse von REK bietet es sich daher an, Typen mit erkennbarem Steuerungswillen von Typen ohne Steuerungswillen zu un­terscheiden. Darüber hinaus wäre es hilfreich, wenn in den Fällen ohne Steuerungswillen angegeben werden könnte, womit der Steuerungsverzicht begründet wird bzw. ob es beteiligte Akteure gibt, die eine Weiterentwick­lung hin zum Aufbau einer Steuerungskapazität anstreben, jedoch damit bisher erfolglos bleiben.

(b) Ein zweiter Anwendungsbezug betrifft die Rolle des Wissens. Mit der Auf­stellung von REK geht offensichtlich die Generierung und Aufbereitung bestimmter Daten, die diskursive Entwicklung von Leitbildern (über die Leitbildformulierungen von Planem hinaus), aber auch die Aktualisierung anderer Wissensbereiche einher. Es geht um Orientierungs-, Erfahrungs­und Sachwissen. Je mehr Wissen dem Steuerungssubjekt zur Verfügung steht, desto leichter und effektiver kann es die geeigneten Steuerungsin­strumente einsetzen. Gibt es dabei Hindernisse, so sollten diese im Einzel­nen benannt, erklärt und im Hinblick auf die Chancen ihrer Überwindung interpretiert werden. Dabei wäre es sinnvoll, zwischen Wissen über den Gegenstand (Steuerungs­objekt) und Wissen im Sinne von Kompetenz ("skills" und "tools") zu un­terscheiden. Objektwissen sollte sich - definitorisch - auf Handlungszu­sammenhänge, die verändert werden sollen, beziehen, nicht lediglich auf selektives Einzelwissen. Bei angenommener Komplexität und Ungewissheit der Kontexte kann dieser Wissensstand immer nur gradueller Art sein, das heißt, er ist vorläufig und kann vor allem auch auf unterschiedliche Weise interpretiert werden (plurales Kontextwissen). Das hat erschwerende Aus­wirkungen auf die Formulierung bzw. Abstimmung von Steuerungszielen. Wie die Literatur über Verhandlungssysteme zeigt, würde sich die Steue­rungsleistung besonders dann erhöhen lassen, wenn es bei der Vereinba­rung von Zielen um Formen der "positiven Koordination" (Scharpt) geht. Damit ist ein Zugewinn durch Verhandlung und Kooperation gemeint, der mehrere beteiligte Akteursgruppen umfasst und auch den Blick auf einen Gesamtnutzen öffnet. Dieser kann auch in der Vermeidung von Fehlent­wicklungen bestehen. Dagegen wären mit "negativer Koordination" ledig­lich minimale Ergebnisse von Abstimmungsverfahren bezeichnet, die ge­nau genommen keinen Steuerungseffekt auslösen.

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(c) Ein dritter Anwendungsbezug richtet sich auf die durch Steuerungs­aktivitäten angestrebte Art und Weise der Konfliktbearbeitung und die damit verbundenen Integrationschancen. Das Auftreten von Nutzungs- als auch Strategiekonflikten scheint für REK recht typisch zu sein und begründet nicht selten, warum sie aufgestellt werden sollen. Je besser dem Steuerungs­subjekt durch Prozesse der Kommunikation und durch institutionelle Neu­regelungen (z.B. Netzwerke, Foren) die Bearbeitung von Konflikten ge­lingt, desto eher - so hier die These -lassen sich in Situationen mit diver­genten oder polarisierten Interessen Steuerungsgewinne erzielen. Sie wür­den dann in den REK ihren Niederschlag finden. Ein gutes Beispiel liefern zur Zeit die Auseinandersetzungen zwischen einer ökonomisch ausgerich­teten Kommunal- bzw. Regionalpolitik und der Naturschutzfachverwaltung, die nach ihren Kriterien Naturschutzparks bzw. Naturschutzgebiete ausweist und bewirtschaftet. Was vermögen in solchen Konfliktfallen REK auszu­richten? Bisherige Erfahrungen zeigen einhellig auf, wie entscheidend das allmäh­liche Entstehen von Vertrauensbeziehungen zwischen den Teilnehmern an Netzwerken fiir die Leistungsfahigkeit von Handlungsprogrammen ist (ARL 1997). Das erfordert eine hinreichende Zeitperspektive für das gemeinsame Arbeiten.

Damit verbunden ist die breitere Frage nach Integration durch räumliche Kon­zepte. Hierbei ist an dreierlei zu denken: a) Wer hat Zugang zur Formulierung von Steuerungszielen? b) Wer ist von den Entwicklungsmaßnahmen der Kon­zepte ausgeschlossen bzw. wird durch sie marginalisiert? c) Wie können inter­essenübergreifende Bezüge, zum Beispiel als Gemeinwesenorientierung, in den Konzepten zum Tragen kommen? Diese Fragen haben viel mit praktischer Demokratie und mit den Prinzipien der bürgerschaftlichen Mitwirkung zu tun. Eine demokratische Raumpolitik zeichnet sich dadurch aus, dass sie eine "Über­setzung" leistet zwischen den privaten und den öffentlichen Interessen. Man kann ja auch die verschiedenen Planungsverfahren so verstehen, dass sie ge­nau zu diesem Zweck eingerichtet worden sind und ihn zum Beispiel durch das städtebaurechtliche Abwägungsgebot verwirklichen wollen.

Daraus ergeben sich somit zusätzliche Anforderungen bzw. Steuerungs­kriterien an die REK. Sie sind nicht nur wirksam, wenn sie einzelne Entwick­lungen zu fördern vermögen, sondern auch, wenn sie zu Selbstbindungen der Akteure führen, in der Öffentlichkeit breite Anerkennung (Akzeptanz) finden sowie des integrierte Bewohnergruppen oder Interessenlagen einzubinden vermö­gen - oder zumindest Wege und Wissen angeben können, durch welche die Re­Integration unterstützt werden kann. Freilich ist damit hie und da ein (unbeab­sichtigter) Nebeneffekt verbunden: In dieser Weise wirksame REK lassen sich nicht mehr instrumentell einhegen, um der Verwirklichung der Planung zu die­nen; sie entfalten eine begrenzte Eigendynamik und bringen womöglich Outputs hervor, die eine zusätzliche Herausforderung für die formale Planung bedeuten.

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Bezogen auf verschiedene Raumtypen (die hier nicht zu differenzieren sind) mache ich den Vorschlag, folgende Arten von Steuerungswirkungen zu unter­scheiden:

(a) Wirkungen bei den beteiligten "agencies" (Netzwerken, Regionalen Agen­turen u.Ä.); diese können sein: reaktiver Art (themenbezogeneAnpassung im vorhandenen Handlungsrahmen), proaktiver Art (heuristisch-prozedura­les Erproben kooperativer Arbeitsformen) oder kreativer Art (reflexives und strategisches Handeln unter - zumindest partieller - Abänderung der vor­findlichen Situationsbedingungen); derartige Steuerungswirkungen verkör­pern Lernprozesse der Steuerungssubjekte;

(b) Wirkungen auf der Ebene der regionalen Agenda und der Projekte als Be­standteile des komplexen Handlungs- und Wirkungszusammenhangs; diese können beschrieben werden als Grad der Mobilisierung von Ressourcen, Grad der Zielerreichung (Standortverlagerungen, Erfolgsindikatoren wie Schaffung von Arbeitsplätzen, Sicherung der sozialen Kohäsion u.Ä., Schrit­te zur nachhaltigen Entwicklung etc.) sowie Art und Ausmaß der Aus­strahlungseffekte auf benachbarte Teilentwicklungen;

(c) Wirkungen, die sich - gemessen an der strategischen Linie des REK - als unbeabsichtigte Folgen herausstellen und somit eine wichtige Feed-back­Kontrolle für die gewollte Steuerungswirkung der Handlungsprogramme darstellen.

Bei allen drei Wirkungsarten ist darauf zu achten, inwiefern externe Einflüsse (die zunächst nicht regional formuliert bzw. organisiert sind) zum Tragen kom­men, insbesondere, ob es gelungen ist, sie in produktiver Weise einzubinden. Sie bestimmen entscheidend mit, welches Handlungspotenzial über die REK überhaupt aktualisiert werden kann.

9 Regionales (Ver)Handeln als Nicht-Koordination oder Zukunftsgestaltung

Das hier behandelte Beispiel regionaler Kooperation folgt einem Governance­Konzept, das von der Koordination zwischen Akteuren ausgeht, die autonom, jedoch interdependent sind: Es geht um zwei Gebietskörperschaften, einen Stadt­staat und einen Flächenstaat, Berlin und Brandenburg, an deren Handeln bzw. Nicht-Handeln studiert werden kann, welcher Voraussetzungen eine gelingen­de Kooperation bedarf. Sie sind aber nicht die einzigen Akteure auf diesem schwierigen Terrain; das Wahlvolk wirkt mit, ergänzt um die Einflüsse der Wirtschaftsverbände und Medien. Kennzeichend ist allerdings ein spürbares

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Übergewicht der formal verfassten Akteursgruppen; eine zivilgesellschaftliche Mitgestaltung ist kaum zu erkennen.

Was machen zwei Bundesländer, deren Regierungen und Parlamente eine Fusion zu einem neuen gemeinsamen Staat wünschen, die dafür jedoch nicht die notwendige Legitimation durch ihre Bürger erhalten? Wie definieren sie die Aufgaben ihrer Politik und ihrer räumlichen Entwicklung neu? In einer Volks­abstimmung am 5. Mai 1996 lehnte eine Mehrheit der wahlberechtigten Be­völkerung in Brandenburg sowie im Ostteil Berlins die Fusion ab; das neue Bundesland Berlin-Brandenburg kam nicht zustande. Alle vorbereiteten gemein­samen Handlungsprogramme, alle reorganisatorischen Maßnahmen wurden Makulatur. Die längst eingeübten neuen Orientierungen brachen weg. Alterna­tiven waren ernsthaft nicht entwickelt worden. Auch nach einer längeren Zeit, die beide Seiten sich gewährten, um die Enttäuschung zu verarbeiten, schien es an einem neuen Elan für gemeinsames Handeln zu mangeln. Tiefsitzende Vor­behalte und egoistische Haltungen drängten in den Vordergrund. Die "andere Seite", mit der man sich gerade noch verschmelzen wollte, geriet rasch wieder zum Gegner und Konkurrenten. War das nicht der "Auftrag" aus der Volksab­stimmung, sich speziell um die eigenen Interessen zu kümmern und nicht län­ger irgendwelchen Wunschträumen nachzuhängen?

Seit dem Fehlschlag im Mai 1996 lässt sich - zumindest auf der Ebene der Länder-Kooperation - häufig nur Negatives vermelden. Ab und zu tagen die Berlin-Brandenburg-Ausschüsse der beiden Parlamente gemeinsam - ohne spür­bare Wirkung. Die beiden Regierungen treffen sich zweimaljährlich zu gemein­samen Kabinettssitzungen, sind aber bisher den wirklich strittigen Themen -zum Beispiel einer gemeinsamen Wirtschaftspolitik oder Wohnungsbaupolitik - ausgewichen. Sie setzten zusätzlich einen Koordinierungsrat ein, der auch Arbeitsgruppen bilden kann, doch scheinen diese Bemühungen überwiegend im administrativen Gestrüpp hängen zu bleiben. Keine Rede ist mehr davon, die vielen grenzüberschreitenden Fragen in zahlreichen Staatsverträgen zu re­geln. Immerhin sind inzwischen zwei seit Jahren vorbereitete Pläne zur Lan­desentwicklung gemeinsam (von beiden Parlamenten) beschlossen worden. Und es gibt zwei Vereinbarungen über die Ausgleichszahlungen für Gastschüler und für den Regionalbahnverkehr. Einen Pluspunkt bildet zudem die noch vor der Fusionsabstimmung gebildete Gemeinsame Landesplanungsabteilung, die seit­dem ihre Arbeit - wenn auch gewiss mit steigenden internen Entscheidungs­problemen - unbeirrt fortsetzt.

Vieles verläuft offensichtlich schleppend, durchsetzt von Interessenkonflik­ten und mit nur schwacher Wirksamkeit. Obwohl es an anderslautenden Be­teuerungen oder gar Warnungen nicht fehlt. Wie aber soll eine konstruktive, auf Vertrauen fußende Annäherung zustande kommen? Und: Wäre ein abge­stimmtes Vorgehen ausreichend?

Bekanntlich können Interessenkonflikte dann relativ leicht gelöst werden, wenn es Ressourcen gibt, die zugunsten bei der Seiten neu verteilt werden kön­nen. Dies ist in den Augen der politischen Akteure zwischen Brandenburg und

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Berlin derzeit nicht der Fall. Beide Länder sind seit 1996 mit immer fataleren Folgen in eine Falle der öffentlichen Finanzen hineingeraten; niemand möchte sich dem Verdacht aussetzen, durch konkrete Zusammenarbeit auch nur in die Nähe der möglichen Übernahme von fremden Haushaltsdefiziten zu kommen. Jede Seite müht sich um ihre eigene Konsolidierung. Dabei gäbe es Einsparpo­tenziale durch Kooperation: in der Zusammenlegung öffentlicher Einrichtungen, in gemeinsam vereinbartem Personalabbau, vor allem in gemeinsam betriebenen Außenaktivitäten im europäischen Zusammenhang und im Wettbewerb der Metropolregionen. Weiter schwierig wird die Aufgabe einer politischen Zusam­menarbeit durch zusätzliche Wertedifferenzen. Zum Einen bestehen deutliche Unterschiede in den Mentalitätsstrukturen zwischen den Ostdeutschen und den West-Berlinern bzw. den zugezogenen Westdeutschen. Zum Zweiten differie­ren die (partei)politischen und gesellschaftlichen Ideologien zwischen dem provinziellen Brandenburg und der bürgerlich-gemischten Millionenstadt er­heblich. Diese Konstellation erklärt, warum derzeit auf typische Formen der Vermeidung von Wertkonflikten zurückgegriffen wird, die auf eine Trennung zwischen den Beteiligten hinführen: Rückzug auf das "Eigene", Verankerung des Handeins in traditionalen Schemata, regulative Politik zugunsten der eige­nen Klientel etc., kurz: das Organisieren "länderegoistischer Strategien" (Benz/ Scharpf/Zintl 1992).

Gerade eine regionalwissenschafiliche Betrachtung zeigt, dass das Hinneh­men solcher Rückzugspfade und Blockierungen mit problematischen, unter Um­ständen auch schädlichen Folgen für die weitere Entwicklung einer Gesamt­region verbunden ist. Zu viele rahmensetzende, koordinierende und politisch­praktische Schritte im gemeinsamen übergreifenden Interesse bleiben auf der Strecke. Die Handlungsfähigkeit gegenüber den hierarchisch höher liegenden Politikarenen ist zersplittert. Wenn Wertedifferenzen und Interessenkonflikte dominieren, kennen wir für Situationen wie zwischen Berlin und Brandenburg nur eine Alternative, die gleichzeitig die Chance zur Überwindung der Hemm­nisse in sich birgt: entscheidungsorientierte Diskursführung, Verhandlungssy­steme, Kooperationen (Hesse 1990, ScharpflBenz 1991, Scharpf 1993, Benz 1994). Wovon hängt es ab, ob solche Formen an die Stelle der separaten Pflicht­erfüllung treten, dass also eine Art von institutionalisierter Reziprozität und Reflexivität entstehen kann, die eine wünschenswerte Dynamik auslöst? Was muss geschehen, damit trotz vieler Egoismen und Ressentiments auf der Ebene der Politik und der Fachverwaltungen wirksame Kooperationen etabliert wer­den können? Darüber wissen wir wenig, und diese Frage soll im Zentrum der folgenden Überlegungen stehen.

9.1 Theoretische Zugangsweisen

Üblicherweise wird ein Zugang zur Frage übergreifender Kooperation mit Hil­fe steuerungstheoretischer Überlegungen versucht. Innerhalb des politischen Systems müssen Strategien, Programme und Maßnahmen formuliert, entschie-

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den und umgesetzt werden. Daftir gibt es bestimmte Instrumente, und ein In­strumentarium umfasst die über Verhandlungs- und Kooperationsformen zu be­treibenden Steuerungsleistungen. Hierzu sind in den letzten Jahren vor allem aus verwaltungswissenschaftlicher Sicht zahlreiche theoretische Ausarbeitun­gen vorgelegt worden (zusammenfassend Benz 1994, MayntziScharpf 1995b). Sie profitierten teilweise von komplexen empirischen Fallstudien, wie etwa zur möglichen Kooperation zwischen Hamburg und Schleswig-Holstein (Scharpf/ Benz 1991), deren Aussagen allerdings immer wieder in einer administrativen Binnensicht hängen bleiben. Eine Öffnung des theoretischen Bezugsrahmens wurde durch die Analyse staatsnaher Sektoren (z.B. Gesundheitspolitik, For­schungspolitik, aber auch Raumpolitik) erzielt. Danach wird für deren Funkti­onsweise als charakteristisch angesehen, dass die politische Steuerung mit Ansätzen zur gesellschaftlichen Selbstregelung durch korporatistische Organi­sationen verknüpft wird. Eine zusätzliche Erweiterung ist zu sehen in den an­gelsächsischen Beiträgen zur Konzeptualisierung von "Urban-govemance"­Beziehungen (Healey u.a. 1995). Sie wurden in Deutschland aufgenommen mit dem Konzept der "urbanen Regimes" (Weck 1995, Kleger 1996). In ihnen werden vor allem neue kooperative Arrangements zwischen öffentlichen und privaten Akteuren hervorgehoben. Die Akteure binden ihre Vorhaben nur soweit unbedingt nötig in die Hierarchie ein und bemühen sich ansonsten um das in­formelle Aushandeln gemeinsamer Strategien und Projekte. Diese Beiträge führen im Grunde genommen zu einer Neubestimmung der rahmen setzenden Staats funktionen sowie des Verhältnisses zwischen Staat und Gesellschaft in neu strukturierten Handlungsfeldern, die tendenziell einen Weg zur Enthierar­chisierung einschließen.

Obwohl dadurch eine erfreuliche Dynamisierung der Konzeptualisierung von Steuerungs funktionen erreicht worden ist, lassen sich auf einer weiteren Theorieebene ergänzende Überlegungen anschließen. Aus einer offenen insti­tutionentheoretischen Sicht werden ftir das kooperative Handeln insbesondere Regeln, Standards oder die lockere Bildung von Agenturen und öffentlichen Diskursen als akteursbezogener Kontext betont (DiMaggiolPoweli 1991). Sie bilden gewissermaßen einen günstigen kommunikativen Raum, bilden "enabling structures" für die verbindlicheren, formal organisierten Aktivitäten, beeinflus­sen die Präferenzen und die Wahl einzelner Instrumente. Indem dabei zahlreiche weitere gesellschaftliche Gruppen, Organisationen und Institute beteiligt sind, entsteht ein verändertes aktives Klima, durch das neue Akteursgruppen hervor­gebracht werden - und die vorhandenen bekannten Akteure (Fachverwaltungen, Politiksektoren, Wirtschaftsverbände etc.) werden gleichzeitig eingebunden, eingebettet in einen breiteren Arbeitszusammenhang. Durch Absprachen ent­stehen auf Zeit" institutionelle Arrangements" aus Akteursgruppen unterschied­lichster Art, die sich auf gewisse Regeln und Standards verständigen können. Daraus gehen Interessenartikulationen, zahlreiche "commitments" (Selbstbin­dungen) und Projekt-Verabredungen hervor. Dies wiederum führt zur Senkung der Transaktionskosten, die ohne verlässliche Erwartungen und ohne eingespiel-

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te Praktiken den Nutzen der Zusammenarbeit spürbar schmälern würden. So­ziale Beziehungen untereinander und politisches Handeln werden so gesehen als selbstverständliche Qualität eines "Kooperations-Raumes" erfahren; sie sind nicht geplant, sondern stabilisieren sich durch geregelte Konvention.

Die institutionentheoretischen Überlegungen müssen zur steuerungstheore­tischen Sicht notwendigerweise hinzutreten. Denn diese vermag zwar aufMoti­vations- oder andere Ressourcenprobleme bei der Entstehung von Steuerungs­leistungen aufmerksam zu machen, kann aber nicht erklären, warum trotz parti­eller Interessenkonvergenz konkrete Verhandlungs- und Kooperationsschritte unterbleiben. Das aber kann, so die These, aus dem Kontext der institutionellen Arrangements heraus, in die die Akteure mit ihren Handlungsinstrumenten ein­gebettet sind, rekonstruiert werden. Wir finden auf diese Weise auch eine Anschlussmöglichkeit zu den jüngeren Versuchen, im Dialog von Planungs- und Sozialwissenschaften neue Milieu-Konzepte zu formulieren (Keim 1997b, Mat­thiesen 1998). Milieus verkörpern institutionelle Arrangements ohne Finalisier­barkeit, die sowohl traditionale als auch post-traditionale und innovative Elemente aufweisen können. Die Handlungen der Akteure, die solchen Milieus zugerech­net werden können, werden getragen von einem stillschweigenden Wissen um die sozio-kulturellen Grundlagen der Region, die von den anderen milieuzu­gehörigen Akteuren geteilt werden. Solche geteilten Bedeutungen und Sinn­horizonte sind es, die Emergenzchancen fiir Kooperationen - trotz individueller Differenzen - in sich bergen und entsprechend aktualisiert werden können.

9.2 Das Motivationsproblem und seine Überwindung

Auf diese Weise haben wir einen Bezugsrahmen für die nähere Prüfung der Kooperationschancen zwischen den beiden Ländern Berlin und Brandenburg gewonnen. Dieser Bezugsrahmen aus administrativen, regimebildenden und offen institutionellen Arrangements stellt die eigentliche Voraussetzung dafür dar, um weiter prüfen zu können, auf welche Weise in sich spannungsreiche, von Egoismen und Ressentiments geprägte Regionen dennoch handlungsfähig werden können. Es ist daher hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Berlin und Brandenburg danach zu fragen, inwieweit die beteiligten formalen Organi­sationen - also insbesondere die planende Verwaltung - auf solche koopera­tiven Ressourcen zurückgreifen bzw. deren Entstehung befördern.

Ohne dass hier eine systematische Auswertung der wechselseitigen Bezie­hungen zwischen den bei den Ländern seit Mai 1996 erfolgen kann, bleibt doch evident, dass die wesentlichen staatlichen (und kommunalen) Akteure im Be­reich der regionalen Entwicklung - darauf konzentrieren sich die folgenden Analyseschritte - die kooperativen Ressourcen seither viel zu wenig aktiviert haben. Dabei liegt vor allem ein Motivationsproblem vor; es wiegt schwer. Das Motivationsproblem resultiert aus dem bekannten Verhandlungsdilemma (Scharpf 1993, S. 65ff.). Die beiden Seiten befinden sich demnach in einem (nicht-hierarchischen) Koordinationsspiel. Optimale Ergebnisse hängen davon

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ab, dass die konkret Handelnden kreativ, offen und vertrauensvoII zusammen­arbeiten, sind aber ständig durch die eigennützigen Spielzüge gefährdet, mit denen dieselben Akteure um kleinere individuelle Nutzenvorteile streiten. Hierzu besitzen wir empirisch gut abgesicherte spieltheoretische Erklärungen (Axelrod 1984, Lax/Sebenius 1986).

In analoger Anwendung der durch Computersimulation erreichten umfang­reichen Testläufe von KooperationsmodeIIen lässt sich zeigen, dass sich Ak­teure, wenn Verhandlungsdilemmata vorliegen, immer in der Weise rational ver­halten, dass sie die Nicht-Kooperation wählen (vgI. Abb. 1). Dadurch verfeh­len sie allerdings einen höheren erreichbaren Gesamtnutzen. Sie geraten ab­wechselnd in die Rolle eines Übertölpelten oder eines rücksichtslosen Oppor­tunisten und begnügen sich im Übrigen - wenn sie sich nicht gar ignorieren -mit recht bescheidenen Teilergebnissen. In der Konsequenz bedeutet dies, dass das egoistische, kompetitive Verhalten sich mit dem übergreifenden, koopera­tiven Verhalten nicht in Einklang bringen lässt. Offenbar muss es dazu gelingen, das Denken in Nullsurnmenspielen zu überwin­den, das bei den relevanten Akteuren tief verwurzelt zu sein scheint. Es beleuch­tet eben nur eine Variante des Umgangs miteinander, wenn angenommen wird, dass jede Veränderung zugunsten der einen Seite automatisch zu Lasten der an­deren Seite geht (Nullsummenspiel). Vielmehr lässt sich zeigen, dass trotz kon­kurrierender Interessen ein gemeinsamer Verstehens- und Begründungszusam­menhang ausgebildet werden kann, der die Akteure auch zu anderen Formen ratio-

Abbildung I: Verhandlungsdilemma

Land 11

Land I

Kooperation Nicht-Kooperation

Kooperation G=3; G= 3 O=0;A=5

Nicht-Kooperation A= 5; 0=0 S=I;S=1

G = Gratifikation 0 = Auszahlung des gutgläubigen Opfers S = Strafe A = Auszahlung des die Situation Ausnutzenden Ziffern = (abstrakte) Auszahlungswerte; 0 = null

Ergebnis: Es lohnt sich, nicht zu kooperieren, wenn Land I annimmt, dass Land II kooperiert (Auszahlung A!) oder dass Land 11 nicht kooperiert (Auszahlung S > 0!).

unter Verwendung eines Diagramms von Axelrod, R. (1984)

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nalen HandeIns ermutigt. Die übliche institutionelle Lösung hierfiir wird in der Hierarchie gesehen: Eine übergeordnete Instanz kann auf die in Nullsummen­spielen befangenen Akteure nach übergreifenden Gesichtspunkten so einwirken, dass sie auch Lösungen nach Positivsummenspielen suchen.

In der Zusammenarbeit zwischen Berlin und Brandenburg kann die Hier­archie jedoch unmittelbar wenig helfen. Vielmehr müssen sich die beiden Län­der selbst dazu aufraffen, die notwendigen Arbeitsformen zu etablieren und also auch die vorher erwähnten institutionellen Arrangements mitzugestalten. Die Positivsummenspiele sind so geartet, dass sie - vom seltenen Fall der Vertei­lung von Vorteilen für alle Beteiligten abgesehen - wenigstens in der Summe einen Gesamtvorteil erbringen, auch wenn punktuell Nachteile in Kauf zu neh­men sind (vgl. Abb. 2). Ein hierarchischer Koordinator würde Projekte eines der beiden Akteure verhindern, wenn sie unterhalb der Nordwest-Südost-Dia­gonale liegen. Er würde jedoch Projekte billigen, die von einer Seite präferiert werden, auch wenn dadurch die Interessen der zweiten Seite in mäßigem Um­fang verletzt werden - denn in der Gesamtbilanz stellt sich ein positiver Gesamt­nutzen ein. Es gibt zahlreiche Vorschläge dafür, wie denjenigen Partnern, die punktuell Nachteile in Kaufnehmen müssen, über geeignete Kompensationen ein Ausgleich geschaffen werden kann (z.B. Koppelgeschäfte, Paketlösungen, finanzieller Lastenausgleich).

Das Motivationsproblem und das oft damit einhergehende opportunistische Verhalten der Akteure scheint daher insgesamt dann überwindbar zu sein, wenn (im institutionentheoretischen Sinne) das eigene Handeln als Teil eines beide

Abbildung 2: Entscheidungskriterien

Entscheidung X

~ Entscheidung Y

m Pareto-Kriterium

D Kaldor-Kritcrium

Quelle: Benz, A. ; Scharpf, F. W. ; Zind, R. (1992): Horizontale Politikverflechtung. FrankfurtlM., S. 58

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Seiten umfassenden, also regionalen Deutungszusammenhangs gesehen wird. Je mehr die planende Verwaltung und die anderen öffentIichenAkteure über ein still­schweigendes Wissen über ihre Gemeinsamkeiten, über gemeinsame Wurzeln und Wertvorstellungen, über gemeinsame Standards und Spielregeln, über gemein­same Visionen und Orientierungen verfügen, desto eher werden sie bereit sein, sich in Verhandlungen und Kooperationen aufeinander zu zu bewegen. Denn ihre Chancen, einander zu verstehen, sind größer, und auf dieser Basis steigt die Be­reitschaft, dem anderen Vertrauen entgegenzubringen und sich (zusammen) auf das eine oder andere Wagnis einzulassen. Das ist der Beginn einer Haltung, die einschließt, situativ auf einen unmittelbaren Vorteil zugunsten der "gemeinsamen Sache" zu verzichten und so Positivsummenspiele in Gang zu setzen.

Dazu sind insgesamt Koordinations- und Verhandlungs formen erforderlich, die über den Zustand einer "Negativ-Koordination" (Scharpf) hinausgelangen. Negativ-Koordinationen sind immer nötig, wenn eine zu große Anzahl von Beteiligten an einer Entscheidung mitwirken müsste. Mit ihnen wird versucht, diese Komplexität dadurch zu reduzieren, dass nur einfachere Praktiken ange­wandt werden, so dass sie üblicherweise ein relativ begrenztes Anspruchsni­veau repräsentieren. Im Verwaltungshandeln kennen wir viele derartige Koor­dinationsformen. Die eine Seite verfolgt separate Lösungsschritte, die an den eigenen Zielen orientiert sind; durch formale Minimalbeteiligungen sollen dabei jedoch zur Konfliktdämpfung solche Störungen vermieden werden, die wegen der eigenen Zielverfolgung auf der anderen Seite auftreten könnten. Typisch hierfür sind Anhörungen oder die im Planungsrecht üblichen "Abstimmungen" zwischen benachbarten Gebietskörperschaften. Die Negativ-Koordination fuhrt für sich genommen noch nicht zu einem kooperativ zu gewinnenden Gesamt­vorteil. Erst die Positiv-Koordination vermag dies, wenn es denn gelingt, sie herbeizuführen. Praktiken einer Positiv-Koordination bedeuten eine "Maximie­rung aggregierter Wohlfahrtseffekte" durch die Modelle geeigneter Verhand­lungs- und Kooperationsformen.

9.3 Zur Entwicklung erfolgreicher Kooperationsstrategien

In einem ersten Schritt versuche ich, einige Hinweise für erfolgreiche Koopera­tions-Strategien zu geben, die sich an die Rationalität der einzelnen Akteure wen­den. Sie knüpfen an die Resultate zahlreicher spieltheoretischer Studien an, wie sie seit den 70er Jahren durchgeführt worden sind (insbesondere Axelrod 1984).

Selbstverständlich ist es nicht so, dass deren modell immanente Grundan­nahmen einfach beibehalten werden können. Insbesondere kann man real kei­neswegs von einer ständigen Wiederholbarkeit derselben Interaktionen zwischen den Partnern ausgehen. Dennoch lässt sich aus dem Forschungsstand ableiten, dass auch bei komplexen und variierenden Themen die bei den Akteure eine Art "Grundspiei" beibehalten, das den vier möglichen Kombinationen zwischen Kooperation und Nicht-Kooperation entspricht. Das heißt, es geht auch bei wechselnden Optionen immer wieder um die gleiche Frage, welcher Typ von

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"Spieler" der jeweilige Akteur sein will und als welchen er seinen "Mitspieler" einschätzt.

Zunächst lässt sich aus den Computer-Modellen eine allgemeine Lehre ableiten: Die erfolgreichste Strategie lautet, beim ersten Zug eines "Spiels" zu kooperieren und danach das zu wählen, was der andere Spieler im vorangegan­genen Zug gemacht hat. Diese Strategie erwies sich gegenüber allen denkbaren strategischen Alternativen des Gegenspielers als besonders robust.

Für das individuelle Entscheidungsverhalten können sodann vier Vorschläge gewonnen werden: (a) Seien Sie nicht neidisch, denn es macht nichts, wenn jeder so gut oder ein

bisschen besser ist als Sie, solange Sie selbst gut abschneiden. Es hat keinen Zweck, auf den Erfolg des anderen neidisch zu sein, denn in einem Ver­handlungsdilemma von langer Dauer ist der Erfolg des Partners praktisch die Voraussetzung für Ihren eigenen.

(b) Beginnen Sie nicht als Erster mit der Nicht-Kooperation, denn sonst wer­den Sie möglicherweise überhaupt keinen Weg aus dem Dilemma finden.

(c) Erwidern Sie sowohl Kooperation als auch Nicht-Kooperation, d.h. pfle­gen Sie das Prinzip der Gegenseitigkeit.

(d) Seien Sie nicht zu raffiniert, denn in der folgenden Zeit wird Ihr raffinier­tes Verhalten auf Sie zurückfallen.

Die Regeln besagen im Grunde genommen, dass den Akteuren der einen Seite insgesamt beim immer wieder auftretenden Verhandlungsdilemma auf Dauer die Kooperation des anderen Partners zugute kommt. Der Trick besteht darin, ihn zu dieser Kooperation zu ermutigen. Ein gutes Mittel hierrur ist es, klar zu machen, dass man das Verhalten des anderen erwidern wird. Handlungen spre­chen dabei, wie wir wissen, eine deutlichere Sprache als Worte, vor allem wenn sie klar und effektiv sind.

Weiter kann man versuchen, die gegebenen Bedingungen einer möglichen Kooperation zu ändern. Als günstig für Positiv-Koordination erweist es sich, wenn sich dieselben Personen zu Verhandlungen und Gesprächen immer wie­der treffen. Auf diese Weise kann ein Gedächtnis fiir gemeinsame Kommuni­kation entstehen. Sich immer wieder im gleichen Kreise zu begegnen - und zwar gilt dies für jede der stabil besetzten Arbeitsgruppen - ist eine wesentliche Vor­aussetzung dafiir, dass nach und nach der Umfang der konsensfähigen Koope­rationsergebnisse erweitert werden kann.

Dies wird durch einige zusätzliche Einflussfaktoren erleichtert. Aus den Ver­waltungsstudien stammt das Ergebnis, dass egoistische Akteure umso eher zu positiver Koordination bewegt werden können, je deutlicher ihre Handlungen "im Schatten der Hierarchie" (Scharpt) angesiedelt sind. Trotz der relativen Autono­mie der Länderkompetenzen lassen sich solche Einflüsse aktivieren, einmal von Seiten des Bundes (wie im Bereich der Verkehrspolitik, z.B. Flughafenstandort, oder in Sachen Bundeshauptstadt), zum anderen von Seiten der Europäischen

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Union (wie im Bereich der Regionalfdrdenmg). Solche Einflüsse begünstigen die freiwillige Kooperation, denn ihr Ausbleiben könnte unter übergeordneten Ge­sichtspunkten zu negativen Sanktionen führen. Zu ergänzen ist ein zweiter Ein­fluss-Schatten: Kontinuierliche Verhandlungskoordination wird dadurch erleich­tert, dass die Zukunft einen "ausreichend großen Schatten" (Axelrod) auf die Gegenwart wirft. Je bedeutsamer der Blick auf die Zukunft für die beiden Länder ist (und der damit verbundenen Gestaltungsaufgaben), desto stabiler kann die Kooperationstrategie werden. Es wirkt sich demnach kooperationshemmend aus, wenn beide Seiten allzu sehr auf die Gegenwartsfragen der alltäglichen Politik (oder gar auf die Bewältigung vergangener Dissonanzen zwischen ihnen) fixiert sind. Das wünschenswerte zukunftsoffene Handlungsfeld muss allerdings durch die Kooperationsteilnehmer "definitorisch geschlossen" werden, die an einer Problembearbeitung wirklich interessiert sind (Fürst 1994a).

Kooperationen können schließlich weitere Unterstützung durch Imitation der Kooperationserfahrungen in ähnlich strukturierten metropolitanen Räumen (z.B. Wien) gewinnen. Zugegeben: Die administrativen Arbeitsgruppen als Teil der Hierarchie haben ebenfalls eine kooperative Funktion, aber ihr Erfolg bei der Überwindung des Verhandlungsdilemmas bleibt doch sehr begrenzt; zudem - darauf weist besonders Fürst hin - wächst mit ihnen die Gefahr von "Fach­bruderschaften " zwischen Verwaltung und Wissenschaft. Wirksamer ist es, wenn im politischen Raum die Bildung breiter zivilgesellschaftlicher und kritisch­öffentlicher Arbeitsformen unterstützt wird.

Zur Entwicklung einer Kooperationsstrategie zählt daher auch die Mitge­staltung solcher "institutioneller Arrangements", die gemeinsame Arbeitsformen mit nicht-staatlichen Akteuren ermöglichen sowie die Basis und das Klima für Verhandlungen und Zusammenschlüsse stärken. Wenn innerhalb einzelner Staa­ten bzw. Bundesländer ein wachsender Trend zum "kooperativen Staat" zu re­gistrieren ist, also zur Bereitschaft, im regionalen Interesse neue Kooperations­formen mit der Wirtschaft, mit den Kommunen, mit gesellschaftlichen Grup­pen einzugehen, so sollte dieser radikale Wandel auch auf den Bereich der zwischenstaatlichen Kooperationen ausgedehnt werden. Hierbei geht es um organisatorische Erfindungen und Erprobungen mit unterschiedlichen Institu­tionalisierungsgraden, um die Neukonstituienmg von "Spielregeln" und Stan­dards, um geeignete Ressourcen und um neue Legitimationen. Da die Hinwen­dung zur Kooperation auch unter Kriterien der individuellen Rationalität zu­mindest mittelfristig Erfolg verspricht (also der Nutzen die Kosten überwiegt), kann das Zutrauen in faire Verhandlungen wachsen und können sich so neue Entscheidungs- und Verantwortungs gemeinschaften herausbilden (Kestermann 1996). Die Idee dabei ist, auch in der Region Berlin-Brandenburg so etwas wie einen gemeinsamen Beziehungs- und Kooperationsraum unter Einschluss aller interessierten Akteursgruppen aufzubauen.

Einige Beispiele sollen dies verdeutlichen. Neue Aktionsformen haben sich im Zusammenhang mit der dynamisierten, dezentralen Raumordnungspolitik entwickelt. Über Regionalkonferenzen werden gemeinsame Grundsätze der re-

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gionalen Entwicklung formuliert und dann über Arbeitsgruppen und "Schlüs­selprojekte" konkretisiert. Auch zwischen Berlin und Brandenburg arbeiten be­reits solche teilregionalen Netzwerke, Z.B. im Nordwestraum und im Nordost­raum. Die Verkehrsplanung und die Landschaftsplanung erweisen sich als wich­tiges Bindeglied; Berlin beginnt - freilich zögernd - sich auch für die berlin­femen Teilräume aufProjektebene verantwortlich zu fiihlen; Unternehmen und Industrie- und Handelskammer sind ebenso beteiligt wie die betreffenden Kom­munen. Die Bildung von (teilregionalen) Entwicklungsagenturen zeigt eine andere Variante. Ähnlich wie in Nordrhein-Westfalen mit der Internationalen Bauausstellung Emscher-Park lassen sich komplexe teilräumliche Konzepte entwickeln, fiir die - gemeinsam von den Akteuren in der Agentur vereinbart­leitende Kriterien, Mindeststandards und ein Fonds fiir Planungs- bzw. Anschub­kosten aufgestellt werden müssen. Weiter gibt es andernorts gute Erfahrungen mit öffentlichen Regionalgesprächen und Regionalforen. Hierzu lässt sich die These vertreten, dass die Bemühungen um verbesserte Kooperationen erfolg­reicher (und legitimierter) betrieben werden können, wenn die wesentlichen Fragen regelmäßig öffentlich verhandelt und kritisch reflektiert werden.

Durch solche sozialexperimentellen Formen können die Chancen wirksa­mer Kooperationsstrategien nicht nur geöffnet, sondern auch vervielfacht wer­den. Die Beschränkung auf inneradministrative Arbeitsgruppen wird der Auf­gabe insgesamt nicht gerecht.

9.4 Zur praktischen Relevanz für die Regionalentwicklung

Wie im Rhein-Main-Gebiet, im Raum Stuttgart und im Großraum Hannover sind die größeren Stadtregionen in der Bundesrepublik dabei, sich neu zu ord­nen. In der Stadtregion Berlin ist davon nichts zu spüren. Gewiss: Man soll nicht den zweiten Schritt vor dem ersten tun, aber die hier referierten Bedingungen fiir gelingende Kooperationsstrategien sprechen seit Jahren daftir, diesen ers­ten Schritt offen und entschlossen zu wagen! Worin besteht er?

In den Blick zu nehmen ist die Konstituierung einer "regional governance" im Sinne der Aktivierung einer Vielzahl von untereinander verflochtenen Ak­teursgruppen. Das Ziel lautet, durch deren intelligente Mobilisierung und Ko­ordinierung eine institutionelle Kapazität zu schaffen, durch welche die erkenn­baren Kräfte und Potentiale auf die Region gelenkt, stabilisiert und mitgestal­tet werden können. Und diese institutionelle Kapazität bildet sich als Bezie­hungsmuster und als Kooperationsraum. Die einzelnen Akteure oder Akteurs­gruppen der Region bleiben eigenständig; sie lösen sich nicht auf in einem fik­tiven "regionalen Akteur". Aber sie erklären ihre aktive Bereitschaft, in Ko­operation mit anderen an gemeinsam definierten Aufgaben zu arbeiten, Netz­werke zu bilden und die dabei notwendigen Aufwendungen zu tragen.

Die beiden Länder Berlin und Brandenburg sollten da mit weiteren (nicht­hierarchischen) positiven Koordinationen ansetzen, wo es bereits gemeinsame Kooperationen gibt. Das sind insbesondere als "Dach" der Koordinierungsrat,

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dann die Gemeinsame Landesplanungsabteilung und die vielen kleineren Ar­beitskreise der sektoralen bzw. interkommunalen Zusammenarbeit. Ich plädie­re hier dafür, dass der Koordinierungsrat mehr als bisher Anstöße für die er­weiterte Organisation von gemeinsamen Kooperationen gibt. Über ihn sollten zahlreiche regionale Aufgaben in Form von Arbeitsgruppen oder Regionalagen­turen neu und effizient organisiert werden. Zu diesen Aufgaben, deren Wahr­nehmung intra- und intersektoral vemetzt zu organisieren ist, gehören vor allem: Wirtschaftspolitik, Verkehrspolitik, Arbeitsmarktpolitik, aber auch: Wissen­schafts- und Forschungspolitik, regionale Innovationspolitik, Wohnungsbau­politik, Wasserversorgung undAbfallwirtschaft bis hin zur Krankenversorgung (womit zum Teil auch kommunale Interessen berührt werden). Eine Steigerung der innovativen institutionellen Kapazität ist besonders durch ein nachhaltiges Zusammenwirken zwischen den relevanten Akteursgruppen der Wirtschafts-, Wissenschafts- und Arbeitsmarktpolitik zu erreichen, vor allem wenn sie gleich­zeitig um nicht-staatliche Akteure (die gerade in diesen Sektoren ein hohes Maß an Selbstständigkeit besitzen) erweitert werden.

Sodann sollte, da Arbeitsgruppen nicht dauerhaft Aufgabenträger werden können, zusätzlich (als formaler Basisträger) eine leistungsfähige, "schlanke" Regionaleinrichtung gebildet werden, die Rahmensetzungen und grundsätzli­che Koordinationen erbringt und dafür sorgt, dass kooperativ zu treffende Re­gelungen für die einzelnen Teilbereiche zustande kommen. Sie handelt im Auf­trag der beiden Landesparlamente und des Koordinierungsrats. In ihr arbeitet ein Stab aus hoch qualifizierten Fachleuten, die aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft rekrutiert werden. Sie veranstaltet regelmäßig Zukunftsforen. Die auf der Ebene der planenden Verwaltung eingerichtete Gemeinsame Landes­planungsabteilung erhielte auf diese Weise ein Pendant auf der Ebene der über­greifenden Regionalpolitik (anknüpfend an die Erfahrungen mit den Regional­konferenzen ).

Zum hier skizzierten Modell gehören weiter die größeren Städte und ihre Vernetzungen. Sie sind auf doppelte Weise aktive Träger einer erweiterten in­stitutionellen Handlungsfähigkeit. Zum einen fühlen sich die Menschen nach wie vor an ihre lokalen Erfahrungsräume und Orte gebunden und beziehen daraus Antriebe für ihr Handeln. Zum anderen bestehen gerade Städte (das ist für mich konstitutiv für den sozialräumlichen Begriffvon Stadt) aus einer Viel­zahl sich überlagernder komplexer Raumstrukturen politischer, ökonomischer, kultureller, ökologischer und sozialer Art. Daraus erwachsen die Ansprüche und die Möglichkeiten für positiv-koordiniertes öffentliches Handeln. Berlin selbst (in sich reich gegliedert) und die Städte in Brandenburg, die als Regionale Ent­wicklungszentren seit längerem über Netzwerk-Erfahrungen verfügen, werden lernen, dass sie - über ihren örtlichen Verantwortungsbereich hinaus - wesent­liche Träger und Unterstützer für die regionale Entwicklung sind.

Die Erfahrung lehrt, dass Kooperationen dann, wenn sie wirksam begon­nen werden, auch eine positive Eigendynamik entfalten können. Eine (weit ver­standene) metropolitane Stadtregion Berlin wird so zum Fokus der Aufmerk-

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samkeit und der Governance-Beziehungen, durch die diese Region im euro­päischen Maßstab erst konstituiert wird. Diese verflochtene institutionelle Ka­pazität zu schaffen, ist eine der vorrangigen Aufgaben. Und die daraus entste­henden regionalen Beziehungen und Kooperationsformen müssen (müssen!) als ein von vielen Akteursgruppen getragener und als öffentlicher Zusammenhang organisiert werden. Ein deutlicher Bedarf besteht hierzu vor allem im "engeren Verflechtungsraum" von Berlin und Brandenburg.

Durch ein Ja zu erweiterten Kooperationen zwischen beiden Ländern kann es gelingen, die im Gesamtinteresse der Region notwendigen Entwicklungs­aufgaben auf eine breitere Grundlage zu stellen und effizienter wahrzunehmen. Werden diese Kooperationen auch im hier vorgeschlagenen Sinne geöffnet, wird endlich ein öffentlicher Streit darüber geführt, warum Berlin für Brandenburg ein notwendiger räumlicher und normativer Bezugspunkt sein muss und war­um umgekehrt Brandenburg für Berlin eine unverzichtbare Ergänzungsfunktion, mit einer eigenständigen regionalen Geschichte und Kultur, darstellt, dann wird es auch wieder gelingen, die Kluft zwischen Regierenden und Bürgerschaft zu schließen. Aus Milieuanalysen wissen wir, dass politische Resignation, aber auch politische Mobilisierung (in Richtungen, die von den herrschenden Parteien nicht favorisiert werden) unter anderem dadurch ausgelöst werden können, dass die in Milieustrukturen verankerten Sinnhorizonte und Bedeutungen durch die politische Praxis verletzt werden. Viel Hinwendung, viel Vermittlung ist erfor­derlich, um nach und nach die Distanz zu den Mentalitäten und zu den Ressen­timents in der Bevölkerung abzubauen. Und dies wiederum ist die Bedingung dafür, dass ein engeres Zusammenwachsen der beiden Teilregionen überhaupt wieder ins Visier genommen werden kann.

10 Elemente einer veränderten Planungskultur

Die Art und Weise, wie in den westeuropäischen Ländern räumliche Planung betrieben wird, hat sich im vergangenen Jahrzehnt deutlich gewandelt. Verän­derte Planungskulturen haben sich ausgeprägt, neue Elemente treten ergänzend zu den formalen Planungs bestandteilen hinzu oder geben diesen eine andere Richtung. Ich verstehe hierbei unter "Planungskultur" das Insgesamt aus grund­legenden Planungsauffassungen, Leitideen, Normen und Regeln sowie die je­weils situativ aktualisierten Planungsstile und -verfahren mit den in ihnen ent­haltenen Informationen und Konfliktformen.

Eine Folge davon sind neu entstehende Planungsverfahren und ein rasan­tes Anwachsen informeller Planungen, insbesondere auf der örtlichen und re­gionalen Ebene. Immer häufiger bilden sich Mischformen zwischen formeller und informeller Planung heraus. Die Hinwendung zu mikro ökonomischen und zivilgesellschaftlichen Einheiten (private Haushalte, freiwillige Vereinigungen,

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Netzwerke, Foren) und die damit verbundene kooperative Struktur planerischer Aktivitäten wird als geeignete Erwiderung auf die Schwächung der bisherigen Planungssysteme angesehen. Zudem scheint auf diese Weise die Chance zu wachsen, mehr relevantes Wissen ftir Planungsprozesse generieren und für Entscheidungen verwenden zu können. Wie in den Konzepten einer "interactive governance" aufgezeigt, entstehen durch private (wirtschaftliche, gesellschaft­liche) Mitwirkende neue Akteurskonfigurationen; dies zeigt Folgen fiir die Art der Prozessorganisation und der Konfliktbearbeitung.

Inzwischen zeigen diese Entwicklungen Spuren in der normativen Planungs­theorie. In der angelsächsischen Planungstradition waren diese Spuren schon seit den 70er Jahren gelegt worden; sie haben jetzt seit den 90er Jahren weitere konzeptuelle Gestalt angenommen (CampbelllFainstein 1996, BrindleylRydin/ Stoker 1996, Healey 1997, 1998). Die normativ-theoretischen Suchbewegun­gen in der deutschen Debatte haben bisher noch keine einheitliche Konzeptua­lisierung erreicht. Eine Argumentationslinie schält sich jedoch heraus: Staatli­che Planung (und das schließt die kommunalen Zuständigkeiten argumentativ mit ein) soll sich in den "intermediären Bereich" begeben und nicht mehr al­leinverantwortlich, sondern mit anderen zusammen handeln (Fürst 1998, Fass­binder 1997, SeIle 1997).

Zusätzlich gilt es danach zu fragen, inwieweit mit den neu sich herausbil­denden planungskulturellen Merkmalen auch eine Veränderung wirksamer Machtstrukturen einhergeht. Denn die Wirksamkeit stabiler Machtbeziehungen ist weder durch die geschilderten Strukturwandlungen noch durch die Stärkung einer mehr kooperativen und kognitiven Rationalität außer Kraft gesetzt. Das Resultat der empirisch aufweisbaren Planungsprozesse wird demnach von bei­den Dynamiken bestimmt sein, vom manifesten Einsatz neuer Handlungs- und Wissensformen wie von der latenten Beeinflussung durch lokale und regionale Machtstrukturen.

10.1 Planung als kooperative Modernisierung

Innerhalb der aktuellen politikwissenschaftlichen Diskussion in Deutschland wird von grundlegenden Veränderungen und Reformbemühungen in Bezug auf öffentliche Verwaltung und politisches Handeln ausgegangen (Heinelt 1997). In Analysen von Policy-making-Prozessen stehen u.a. Veränderungen des Ver­hältnisses zwischen Effektivität und Legitimation im Vordergrund. Effektivität bezeichnet die "institutional capacity" zur Zielerreichung und Wirksamkeit pla­nerischen Handeins; das Erfordernis der Legitimation richtet sich auf die Be­rücksichtigung von (möglichst konsensfähigen) bürgerschaftlichen Interessen. Diese Wandlungen schließen Veränderungen der administrativ geprägten Pla­nungskultur mit ein.

In dieser Betrachtung finden staatliche (und kommunale) Antworten auf generelle Steuerungseinbußen ihren Ausdruck in neuartigen Handlungslogiken.

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Sie sollen als Modernisierungsschritt die System-Effektivität wieder erhöhen, stehen aber womöglich in einem prekären Spannungsverhältnis zur Einbezie­hung der bÜIgerschaftlichen Interessen, also zu Legitimationsforderungen.

Aus der Sicht der politisch-administrativen Akteure rückt dabei verständ­licherweise das Steuerbarkeitsproblem ins Zentrum der Aufmerksamkeit, also die Frage nach der Effektivität planerischen Handeins unter Berücksichtigung der professionellen Rationalität. Das Legitimationsproblem wird von ihnen häufig als nachrangig betrachtet bzw. vielfach ausgeklammert. In der politik­wissenschaftlichen Debatte gab es jedoch von Anfang an Hinweise darauf, dass auch Motivationsaspekte bei den Adressaten der Planung, dass deren Rolle bei der Umsetzung von Planungsergebnissen und dass vor allem das Wissen über die planungsrelevanten Wirkungszusammenhänge als wichtige Teilaspekte der politischen Steuerung thematisiert werden müssten (Mayntz 1987). Auf diese Weise gerät das Legitimationserfordernis als notwendige Bedingung für Steue­rungseffektivität wieder auf die Tagesordnung.

Im angelsächsischen Planungsdiskurs sind die Kooperationsaspekte als Teil des "communicative turn" der Planungstheorie hervorgehoben worden (Hea­ley 1997). Policy-Analysen wenden sich mehr als bisher den sozialen Milieus der Städte zu, den Denkweisen und Werthaltungen pluraler bÜIgerschaftlicher Gruppen, und erproben Möglichkeiten, wie die Prozesse der Politikformulierung und der Implementation interaktiver gestaltet werden können.

Ähnliche Aspekte stehen im Mittelpunkt einiger weiterer planungstheore­tischer Konzepte, insbesondere der Beiträge von Friedmann (1993), Scharpf (1980,2000), Seile (1992, 1994), Fassbinder (1997) und Ganser/Sieverts (1993). Allgemeines Kennzeichen dieser Ansätze ist die Hervorhebung der ko­operativen und der kommunikativen Aspekte veränderter Planungsabläufe, wobei allerdings argumentativ versucht wird, die Experten-Rationalität des planerischen Handeins beizubehalten. Die "verhandelnde Planungsverwaltung" , die sich als modernisierte Verwaltung versteht, bemüht sich danach um die Bil­dung von Arbeitsformen, an denen sie selbst initiierend, moderierend oder prioritätensetzend mitwirkt. Sie stößt jedoch da an Grenzen, wo sie sich gegen­über dem Selbstverständnis und der Handlungslogik anderer Akteursgruppen öff­nen und Einigungen unter Berücksichtigung dieser Haltungen ansteuern müsste.

Im Hinblick auf Effektivität wird sich in horizontal organisierten Arbeits­formen der Einigungsdruck dann erhöhen, wenn diese erweiterten Planungs­prozesse "im Schatten der Hierarchie" (Scharpf 1980) stattfinden. Wollen die Planungssubjekte die Chance beibehalten, die höheren Instanzen anzurufen, oder wollen sie unter dem Druck zur kooperativen Modernisierung daraufverzich­ten? Je besser die nicht-staatlichen Beteiligten organisiert sind, desto eher kann das Wissen über die situationsspezifischen Bedingungen, über Präferenzen und mögliche Lösungen genutzt werden. Die staatlichen bzw. kommunalen Akteure können jedoch das Verhandlungsergebnis beeinflussen, indem sie die institu­tionellen Rahmenbedingungen ändern und so die Balance zwischen den Be­teiligten verschieben.

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Partiell scheint es, zumindest in nuce, zur Aktualisierung zivilgesellschaftlicher Belange innerhalb des politischen Sektors zu kommen (SchmalslHeinelt 1997). Deren Einfluss darf jedoch keinesfalls als bloßer Reflex auf die Steuerungs­schwäche der staatlichen Instanzen verstanden werden. Vielmehr zeigt sich bisher, dass da, wo grundsätzlich der Wert neuer Formen zivilgesellschaftlicher Mitwirkung anerkannt wird, erhebliche Anstrengungen unternommen werden müssen, um die Mitwirkungsbereitschaft bürgerschaftlicher Gruppen zu wecken. Die korporierten Akteure haben dabei offensichtlich einen organisa­torisch bedingten Startvorteil. Es sind in erster Linie die lokalen bzw. regio­nalen "stakeholders", die Betriebe, Selbstständigen, Vereine, Verbände u.Ä., die sich an kooperativen Arbeitsformen zur (demokratischen) Verständigung über Planungsziele und deren Verwirklichungschancen beteiligen. Daraus ent­wickelt sich ein spezifischer Interaktionsmodus, den wir als ein wichtiges Ele­ment veränderter Planungskultur verstehen. Es bleibt freilich festzuhalten, dass das Legitimationsproblem auf diese Weise nur in beschränktem Umfang gelöst werden kann.

10.2 Planung als epistemische Kultur

Ich folge hier zusätzlich einem Konzept aus der jüngeren wissenssoziologischen Forschung, indem ich Planungskulturen als besonderen Typus von epistemischen Kulturen begreife. "Epistemische Kultur" wird definiert als "wissensbasierte Kontexte, in denen Wissen systematisch generiert wird" (Knorr-Cetina 1999) und wird üblicherweise auf die Wissensgenerierung von Wissenschaften bezo­gen. In unserem Zusammenhang geht es jedoch darum, alle mit räumlicher Pla­nung verbundenen wissensbasierten und wissensgenerierendenArbeitsschritte zu untersuchen und das so aktualisierte Wissen in seiner Besonderheit kennt­lich zu machen. Dahinter steht die Annahme, dass die Merkmale einer verän­derten Planungskultur in erheblichem Umfang in einer Veränderung des Wis­sens bestehen: andere Wissensgrundlagen, ein erweiterter Kreis der Träger des planungsrelevanten Wissens, andere Formen der Wissensgenerierung, anderes Verständnis und andere Bearbeitung von Wissen, andere Darstellung und an­dere Transfers von Wissen. Mit dieser Akzentuierung der epistemischen Kul­tur löst sich das Planungskonzept von seiner traditionellen hierarchischen und auf Implementation angelegten Logik - eine Konsequenz aus dem Ja zur ko­operativen Planungskultur.

Betrachten wir zunächst die traditionelle Wissensbasierung der räumlichen Planung in Deutschland. Ausgangspunkt ist die Situationsdefinition durch Ver­treter eines Planungsdezernats oder Planungsamts, aus der sich die Notwen­digkeit oder die strategische Entscheidung fiir ein durchzuführendes Planungs­verfahren ergibt. Liegt ein entsprechender Beschluss vor, findet anschließend eine Bestandsaufnahme statt, in deren Verlauf alle relevanten Informationen über den zu planenden Sachverhalt, zum Teil auch als Daten erhebende Forschung,

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zusammengetragen werden; zudem werden die Akteure identifiziert (Eigentü­mer, Entwickler, Träger öffentlicher Belange, Öffentlichkeit etc.).

Im Planungsverfahren selbst stehen die Interessen der Antragsteller bzw. der planersteIlenden Gebietskörperschaft im Mittelpunkt. Sie müssen einerseits mit den rechtlichen Vorgaben, andererseits mit den Belangen anderer Beteilig­ter, anderer Fachressorts und öffentlicher Interessen in Einklang gebracht wer­den. Insbesondere geht es um - zum Teil schwierige und zeitraubende - Aus­handlungsprozesse und Konfliktregelungen, die neben dem Sachwissen diffe­renziertes kommunikatives Wissen erfordern. Ein wesentliches Prinzip bietet das städtebaurechtliche Abwägungsgebot, das in überprüfbarer Weise gegen­über den verschiedenen Interessen anzulegen ist, bevor bindende Entscheidun­gen getroffen werden. Schließlich werden die (Zwischen-) Ergebnisse des Pla­nungsprozesses formuliert und an die entsprechenden Adressaten transferiert.

Dieses Muster scheint nun an einigen Punkten für neue wissenskulturelle Entwicklungen besonders empfänglich, anderen gegenüber eher resistent zu sein. Zu achten ist insbesondere auf eine Verschiebung bei den Orten der Wissens­produktion. Dies gilt speziell im Kontext der Schritte zur Deregulierung und zur transnationalen Maßstabsvergrößerung des Handlungshorizonts der Akteure. Nicht nur machen sich - oft hinter dem Rücken der Akteure - globale epistemi­sche Kulturen bemerkbar, auch die erweiterten Befugnisse privater Akteure bewirken eine Ortsverlagerung weg von den öffentlichen Dezernaten und Ämtern hin zu privaten Developern und Planungsbüros. Auf diese Weise er­langt effizienzorientiertes strategisches Wissen im Feld privater Interessen grö­ßeres Gewicht. Die Zahl der sozialen Orte der planungsbezogenen Wissens­generierung vervielfacht sich.

Bei immer mehr Sachverhalten erweist es sich zudem als notwendig, über die administrativen Grenzen der einzelnen Gebietskörperschaft hinauszugrei­fen und interkommunale Konzepte zu entwickeln, einen Wissenstyp, der die Suche nach Gemeinsamkeiten und Kompromissen widerspiegelt.

Lag der Ort der Planung bisher in der Schnittstelle von öffentlicher Behör­de, Planerprofession und der Vielzahl späterer privater Nutzer, so wandert er jetzt in eine maßstabserweiterte Zone, in der sich im diffusen Interessengeflecht vor allem heterogene private Akteure tummeln, die durch die (partiell koope­rierende) planende Verwaltung und eine in ihrer Kompetenz geschwächte Planer­profession kaum mehr an die Leine der öffentlichen Planung genommen wer­den können. Mit der schwindenden Abhängigkeit vom konkreten physischen Ort und der Dynamisierung planerischer Prozesse nimmt ihr kontingenter Cha­rakter zu; Planung wird zum Suchprozess und bleibt in ihren erwartbaren Re­sultaten ungenau.

Gleichwohl bleibt der Typus des Planungswissens an ein Objekt gebunden. Die Strategien der Akteure werden bestimmt vom Charakter der zu klärenden Verwertungs-, Nutzungs- oder Schutzfunktionen von meist physischen Räumen. Das reflexive Wissen erweitert die Kenntnisse über die Sachverhalte selbst um prozessbezogenes Wissen, ergänzt um Wissen über die involvierten Interessen,

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Akteursgruppen und deren Intentionen. Dem Bild vom Objektbezug korrespon­diert ein Bild vom Subjektgeflecht, das Wissen hervorbringt, mit dessen Hilfe Einfluss und Verfügung über das Objekt gewonnen werden sollen.

10.3 Veränderte Handlungslogik

Die Grundannahme lautet somit, Planung als kooperative Modernisierung und als epistemische Kultur habe sich in der Folge dieser Veränderungen hinsicht­lich der Implikationen für das Handeln verändert. Mit dem Bedeutungszuwachs des Interaktionsmodus und der Wissensdimension scheint sich eine neue Chance aufzutun, die oft beklagte Separierung zwischen dem unter Entscheidungsdruck zu vollziehenden planerischen Handeln und der wachsenden Ungewissheit über das dafür relevante Wissen zu überbrücken. "Modeme" Planung lässt sich ge­radezu als Bindeglied zwischen kooperativer Wissensgenerierung und Handlungsstrukturierung begreifen; ich folge insoweit insbesondere dem Kon­zept von Friedmann (1987): Für die jeweiligen Akteure soll in öffentlichen Aufgabenbereichen durch den kooperativen Planungsprozess Wissen für Han­deln nutzbar gemacht werden. Es könnte sein, dass die sich wissensbasiert än­dernde Handlungslogik gleichzeitig mit Erweiterungen einhergeht, die für die Steuerung von Objekten mit hoher Komplexität vorteilhaft sind.

Diese neuen Formen planerischen Handeins scheinen sich, betrachtet man einige empirische Beispiele, nicht in Reinform herauszubilden, sondern gehen - im Sinne eines "Steuerungs-Mix" - vielfältige Mischungsverhältnisse mit den traditionellen Handlungslogiken ein (Keim u.a. 2002). Eine transformierte Pla­nungskultur findet daher ihren Ausdruck im Spannungs feld von traditionellen und neuen Handlungslogiken als Repertoire aus verschiedenen Wissens- und Handlungsformen. In ihnen sind allerdings auch Machtaspekte enthalten, die die reale (durchmischte) Planungslogik erheblich beeinflussen. Sie müssen bei der Rekonstruktion der empirischen Beispiele berücksichtigt werden.

Planung findet nicht im neutralen Raum statt, sondern bleibt stets, auch wenn es zu planungskulturellen Transformationen kommt, der Einflussnahme durch Macht ausgesetzt. Wie sich insbesondere in der bekannten Aalborg-Studie ge­zeigt hat (Flyvbjerg 1998), prägen die aktualisierten Machtstrukturen auch die kommunikativen Beziehungen und den Umgang mit Wissen. Während die Pla­nerinnen und Planer eine verbesserte Rationalität anstreben, setzen bei kriti­schen Punkten die mächtigen Interessenvertreter offen oder verdeckt an, um ihre Planungsziele zur Geltung zu bringen. Die Formen der Kommunikation werden entsprechend manipuliert und dominiert, partiell abgebrochen. Die Arten des Wissens werden nach eigener Präferenz ausgewählt bzw. ignoriert und in ihren Bedeutungen nach Machtinteressen definiert. Dabei wird häufig eine Rhetorik inszeniert, die gerade nicht der Planungsrationalität entgegenkommt, sondern zur Rationalisierung der unter Machtkriterien getroffenen Prioritäten­setzung dient.

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Es ist das Zusammenspiel von Macht und transformiertem Steuerungsmix, das faktisch die veränderte Handlungslogik bestimmt. Daraus entsteht die spannende Frage, inwieweit eine planungskulturelle Transformation derartige Machtein­flüsse relativieren kann.

Für die oben erwähnten Komplexitätsprobleme könnte eine Antwort darin bestehen, dass durch dezentrale Netzwerke Schritt für Schritt eine Koordinati­ons- und Steuerungsfähigkeit aufgebaut werden kann, die den komplexen Sachfragen (und Interessenlagen) besser gerecht wird als das traditionelle pla­nerische Handeln. Auf diese Weise verbessern sich die Voraussetzungen rur eine entsprechende Handlungsrationalität, die sowohl im behutsamen Abwägen und Überprüfen der Möglichkeiten als auch im Ausgestalten der Planungsvorha­ben und in der Effektivierung der wechselseitigen Interaktion wurzelt, die zu­dem eine spürbare Erweiterung des verfügbaren Wissens, umfangreichere Kommunikationen und tendenziell eine Vergesellschaftung der Planungspro­zesse ermöglicht.

Das freilich erscheint ansprüchlich, erzeugt oft höhere Transaktionskosten und wird erst ansatzweise praktiziert. Die Hinwendung zur Informalisierung von Planungsprozessen geht in den von uns untersuchten Fallbeispielen (Keim u.a. 2002) nicht mit einem klaren Durcharbeiten und Konzipieren der alterna­tiven institutionellen Muster einher. Sie bedeutet rur die herkömmlichen Vor­stellungen von Planung einen Autoritätsabbau, eine Schwächung des Fachwis­sens als dirigierender Ressource, somit eine Freisetzung ungeplanter Vorhaben, zusätzlicher Optionen (und Fehlentwicklungen). Sie bedeutet ferner die Kon­textabhängigkeit der planungskulturellen Ausgestaltung. Die anspruchsvollen konzeptuellen Vorschläge von AminlHausner (1996) zu einer Akteurskomple­xität mit Verbindlichkeit und Legitimation können (noch) nicht realisiert wer­den. Die transformierte Planungskultur zeichnet daher etwas Ungenaues, etwas Fragiles aus.

In kontroversen oder in kritischen Phasen erweist sich die jeweilige "Macht­Geometrie" als mitbestimmend, abhängig davon, wie die beteiligten Akteure mit ihren Ressourcen und Potenzialen im Hinblick auf die zu lösende Problem­komplexität platziert sind. Machtdifferentiale setzen sich offenbar gegen die (erweiterte) Planungsrationalität durch - oder anders betrachtet: Nur innerhalb des verbleibenden Handlungsraums der realen Machtbeziehungen kann sich eine transformierte Planungskultur wirklich entfalten. Dieser verbleibende Hand­lungsraum ist allerdings nicht als statische Größe zu verstehen; er unterliegt selbst der weiteren Dynamisierung. So werden sich demnach veränderte Pla­nungskultur und dynamisierte "Macht-Geometrie" verschränken und zu Resul­taten führen, die kaum prognostizierbar sind. Letztlich ist die Frage entschei­dend, ob dabei Ziele angesteuert werden, die - trotz offener Kooperation, trotz Einbeziehung privater Akteure, trotz wirksamer Machtinteressen - der öffent­lichen Planungsaufgabe gerecht werden können.

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11 Aktor-Netzwerk-Theorie und Quartiersmanagement

Das städtische Leben umfasst immer auch die verschiedenartigsten Formen ungleicher sozialer Lebenslagen. Sei es, dass die Menschen in der Stadt auf Grund ihrer Herkunft, ihrer Bildung oder ihres Berufs in unterschiedlich situ­ierte Verhältnisse gelangen, sei es, dass sie durch Ausschließungstendenzen auf den Arbeits- und Wohnungsmärkten in benachteiligte Situationen geraten - die Städte beherbergen stets divergente Teilgruppen von Bewohnerinnen und Be­wohnern, die ihre Lebensführung nach den eigenen Bedingungen und Möglich­keiten (wie sie sie wahrnehmen und definieren) ausrichten. Die Städte bieten dabei - im Sinne des Konzepts der "Iocal governance" - räumliche Kontexte fiir soziale Interaktionen an und stellen auf unterschiedlichste Weise Ressour­cen bereit, um die gewählte Lebensfiihrung organisieren zu können.

Sowohl die ungleichen Lebenslagen als auch die städtischen Kontexte und Ressourcen sind zusätzlich verankert in Ausstattungen der Infrastruktur, in Sachanlagen und in selektiv wirkenden Verfiigungsmöglichkeiten ("access"). Die soziale Praxis der Lebensfiihrung ist immer auch gebunden an die materi­ellen Bestandteile der städtischen Organisation. Es sind nicht nur die wirtschaft­lichen Bedingungen der Haushalte, die örtliche Abhängigkeiten bzw. Freihei­ten hervorbringen, sondern es ist zudem diese materielle Beschaffenheit des städtischen Lebens - die Qualität der Wohnungen mit ihrer Einrichtung, der technischen Kommunikationsmittel mit ihrer Verfiigbarkeit, der Verkehrsmit­tel mit ihren Benutzungsregeln, des öffentlichen Raums mit seinen Begegnungs­und Handlungschancen, der Umweltbedingungen -, die erheblich den Raum der Lebensfiihrung beschneidet oder aber bereichert.

Der Bedeutung dieser materiellen Elemente im Kontext der städtischen Le­benslagen möchte ich mich in diesem Beitrag genauer zuwenden. Ich gehe da­von aus, dass die materiellen und technischen Sachverhalte fiir das Verstehen der ungleichen Lebenslagen, vor allem aber für die Analyse der Handlungs­chancen der urbanisiert lebenden Menschen, zu beachten sind. Die Art und Weise des theoretischen Zugangs ist dabei entscheidend. Hier wird der Standpunkt eingenommen, die materiellen Bestandteile nicht als Gegenüber, als Äußeres, sondern als eingeflochtene Elemente der sozialen Praxis anzusehen. Die Akti­vitäten der Menschen finden in räumlichen Kontexten und in konkreten Orten mit Hilfe sozio-technischer Mittel statt, und diese Materialität dient dazu, ihre Lebensführung zu ordnen, zu strukturieren. Diesen so definierten Aspekt der ungleichen Lebenslagen und ungleichen Handlungschancen möchte ich im Folgenden in den Vordergrund rücken.*

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Selbstverständlich gab es im Forschungsfeld der Stadtsoziologie immer wieder Ansätze, mit denen versucht wurde, die 'Raumblindheit' und die Ignorierung der physischen Sach­anlagen zu überwinden; insbesondere zu erwähnen sind Hans Lindes 'Sachdominanz in So­zialstrukturen' (Linde 1972), Studien zum Wohnungs- und Städtebau, zur Städtetechnik, zu Verkehr und Mobilität, zur öffentlichen Sicherheit, oder auch das umwelt-psychologi-

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Ich bediene mich dazu insbesondere eines theoretischen Ansatzes, der Aktor­Netzwerk-Theorie, der in Arbeiten der Wissenschaftsforschung ("science studies") seit den 80er Jahren entwickelt worden ist (CalIon 1986, Latour 1987, 1991, Law 1992). Der Grundgedanke dieser Theorie lautet, dass soziale Be­ziehungen, einschließlich Macht und Organisation, als Netzwerk-Effekte be­handelt werden können. Die Netzwerk-Effekte entstehen in Strategien des so­zialen Ordnens und Konstruierens durch netzartige Interaktionen aus mensch­lichen und nicht-menschlichen Aktoren. Dieser theoretische Zugang ist im nächs­ten Abschnitt näher darzulegen (11.1). Seine Verwendbarkeit für soziale Kon­texte außerhalb des Wissenschaftsbetriebs soll verdeutlicht werden (11.2). So­dann steht eine leitende Frage im Mittelpunkt: In welchen vemetzten Hand­lungsformen geschieht auf örtlicher Ebene eine Verarbeitung der ungleichen Lebenslagen und mit welchen Wirkungen? (11.3). Meine Überlegungen hierzu sind tentativ und provisorisch; der Text lässt sich selbst als "Aktor" verstehen, der Gesprächspartner, Erwiderungen und Kritik sucht.

11.1 Wissen und Macht in sozio-technischen Netzen

Die ersten Beiträge zur Aktor-Netzwerk-Theorie beschäftigten sich, von der Semiotik inspiriert, mit der Repräsentation von Wissen und Technik in den verschiedenen Wissenschafts bereichen. Sie konnten rekonstruieren, wie wis­senschaftliche und technische Artefakte im Prozess des Forschens zustande kommen (siehe Kapitel 3.1 ). Anhand der Untersuchung von Laborstudien ließ sich zeigen, dass deren Ergebnisse überwiegend konstruktivistischer Art sind. Die weiteren Schritte zur Theoriebildung gingen von einigen grundsätzlichen Annahmen aus: Menschliche und nicht-menschliche Aktoren interagieren gleich­berechtigt und auf eine Weise, die sich als "Übersetzungs-Netzwerk" interpre­tieren lässt; die modeme Trennung zwischen Natur und Gesellschaft bzw. zwischen Technik und Sozialem wird tendenziell aufgehoben und durch eine "generalisierte Symmetrie" ersetzt; die Aktor-Netzwerk-Theorie favorisiert die Methode der "assoziativen Beschreibung" und bemüht sich darum, ein (gegen­über den Disziplinen) neutrales Vokabular zu verwenden (zusammenfassend FeltINowotny/Taschwer 1995).

Gewiss hat es in den Sozialwissenschaften immer wieder Theorieansätze gegeben, die versucht haben, die materiellen, physischen oder technischen Be­dingungen in die Erklärung sozialen Verhaltens einzubeziehen, also in Rech­nung zu stellen, was hier als "nicht-menschliche Aktoren" bezeichnet wird. Üblicherweise geschieht dies jedoch im Sinne einer Gegenüberstellung, einer Scheidung zwischen Subjekten und Objekten, zwischen Sozialem und Natur/

sehe Konzept des 'behavior setting' (Barker). Der im Folgenden explizierte theoretische Ansatz soll dieser nach wie vor unterbeliehteten stadtsoziologisehen Dimension neue Auf­merksamkeit zuführen.

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Technik. Die Studien zum Verhältnis zwischen "gebauter Umwelt und sozia­lem Verhalten" oder zu den sozialen Technikfolgen sind hierfUr die auffälligs­ten Beispiele. Die Aktor-Netzwerk-Theorie triffi: eine analytische Aussage, wenn sie davon ausgeht, es bestehe grundsätzlich keine Differenz zwischen Menschen und Objekten (Law 1992). Sie weist sogar kulturgeschichtlich nach, dass es für die Modeme gerade kennzeichnend sei, vollkommen neue Mischungen zwischen Wesen, nämlich Hybriden zwischen Natur und Kultur in Form von Quasi-Ob­jekten oder sozio-technischen Netzen hervorzubringen (Latour 1995 [1991]). Die alltägliche Symbiose zwischen Mensch und Auto mag dies veranschauli­chen: Systeme von Naturkräften werden durch das Verhalten der Benutzer "hu­manisiert" (menschlich kontrolliert), im selben Vorgang werden aber auch die Menschen, die sich zum Mittler der physikalischen Energie machen, selbst in (aktive) Naturkräfte verwandelt; beide Seiten begegnen sich sowohl als Sub­jekte wie als Objekte. Diese Herangehensweise wird dadurch plausibler, dass die Aktor -Netzwerk-Theorie eine explizite Persönlichkeitstheorie verwendet (Law 1992). Eine Person entsteht als Effekt, der durch ein Netz aus heteroge­nen, interagierenden Substanzen generiert wird. Menschen sind, was sie sind, weil sie sich selbst einbinden in ein strukturiertes Netzwerk aus den unterschied­lichsten Bestandteilen. Wer seinen Computer, seine Bücher, seine Kollegen, sein Telefon, seine Vorträge verliert, der kann nicht als Person "Wissenschaftler" leben, und entsprechend gilt dies rur alle anderen Lebensstile und Existenz­weisen. Damit ist gleichzeitig gesagt, dass das Konstrukt "Person" nicht redu­ziert werden sollte auf das Netz der körperlichen Eigenschaften, Fähigkeiten und Kenntnisse (obwohl auch insofern bereits von einem Aktor-Netzwerk gesprochen werden kann).

Die Aktor-Netzwerk-Theorie wird vereinzelt auch als "sociology oftrans­lation" bezeichnet. Der Begriff der" Übersetzung" ist in der Tat zentral, gleich­zeitigjedoch leicht misszuverstehen. Der Kemgedanke besagt, dass - nach der Problemdefinition und der Formulierung gemeinsamer Interessen - die betei­ligten Aktoren sich wechselseitig im Interaktionsprozess spezifische Rollen zu­schreiben und dass deren Zusammenwirken zu einer einheitlichen Ausrichtung des Netzwerkes fuhren wird. Das Bild der Gangschaltung kann dies erhellen: Erst durch das möglichst genaue Ineinandergreifen von Zahnrädern, Lagern, Scheiben einerseits, das sachgemäße "Bedienen" und Einwirken andererseits entsteht eine kompakte, aktivierende Bewegung. Diese und komplexere Aus­richtungen zu bewerkstelligen, bedeutet eine erhebliche Kraftanstrengung, denn die anfänglichen Bestandteile des Prozesses sind heterogen (Forscher, Nutzer, Geräte, Räume, Texte etc.) und müssen - durch ein geeignetes Management­so "pass fähig' gemacht werden, dass ein "neuer", handlungsfähiger, kollekti­ver Akteur entstehen kann. "Übersetzung" bezeichnet eine jeweilige Definition bzw. Inskription des Beitrags der anderen Aktoren im Interesse der Einheitlich­keit. Dazu müssen Engpässe und Widerstände, die die einzelnen Aktoren ver­körpern, überwunden werden. Wie geht das vonstatten?

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Vorgeschlagen werden hierzu geeignete "agreements" (Callon 1991). Insbeson­dere lassen sich seitens der steuernden Aktoren konvergente, d.h. erfolgreich "übersetzte" Zusammen führungen erzielen durch Schritte eines "alignment", nämlich durch das" Auf-Linie-Bringen" der verschiedenen Leistungen, so dass ein geteilter Raum mit hoher Äquivalenz und Gemeinsamkeit entstehen kann. Hierbei spielen selbstverständlich Taktiken des Einflusses und der Macht, oft in vielfältigen kleinen Formen des Druck-Ausübens oder des Feilschens, eine wichtige Rolle. Regeln und andere Vereinbarungen zur besseren Koordinierung treten unterstützend hinzu. Das ist die Stunde der "Intermediäre", nämlich der Texte, technischen Artefakte, vermittelnden Personen, des Geldes und anderer beziehungsstiftender Instrumente, die von den interagierenden Aktoren in Zir­kulation gebracht werden. Letztlich bedarf ein "alignment" jedoch der Gratifi­kation solcher Aktoren, die andernfalls ihren eigenen Weg wählen; die Gratifi­kation muss nicht in materiellen Vorteilen liegen, sondern kann auch in einer veränderten Wahrnehmung und Interpretation der zu erwartenden Effekte bestehen. Engpässe sind dann überwunden, wenn die "Übersetzungen" in ei­nem spürbaren Umfang irreversibel geworden sind, d.h. sie müssen sich im weiteren Verlauf der Aktor-Netzwerk-Institutionalisierung als relativ robust und dauerhaft erweisen. Die eingepassten Aktoren und Intermediäre sind dann in einem Bündel wechselseitiger Beziehungen gut verankert und die verantwort­lichen Akteure können das Netzwerk in seinen eigenen Begriffen konsolidie­ren (Callon 1991, Murdoch 1995).

Im Geschehen der Aktor-Netzwerk-Bildung geht es demnach nicht nur um die wechselseitigen An- und Einpassungen der Aktoren, um eine Überschrei­tung individueller Elemente hin zu einem sozio-technischen Gefüge oder Netz, sondern immer auch um Prozesse der Macht und der Konstruktion des Sozialen. Vor allem der "übersetzende Aktor", der die Initiative ergriffen oder die ersten Mit-Aktoren zusammengeführt hat, vermag sein Potential auszubauen, wenn er erfolgreich andere Aktoren gewinnen, einbinden und dann ftir sie alle spre­chen kann. Wer die Mittel der Repräsentation kontrolliert, wer die Variablen der Größe und Dehnung des Netzwerkes beherrscht, wer für dessen Konsoli­dierung gebraucht wird - der erweist sich als machtvoll, gründet seine relative Macht jedoch auf die Stärke der Assoziationen zwischen den beteiligten Aktoren, denen er gleichzeitig verpflichtet ist. Die Quellen der Netz-Macht liegen daher in den Bindungen (ich könnte auch mit Dahrendorf sagen: in den Ligaturen) der Aktor-Netzwerke selbst und sind grundsätzlich nicht monopolisierbar (Callon 1986, Murdoch 1995).

Je dichter, konvergenter und leistungsfähiger die Netzwerk-Bildung ver­läuft, desto eher kann ihre ursprüngliche Heterogenität und Fragilität in den Hintergrund treten, im wahrsten Sinne des Wortes von der Bildfläche verschwin­den. Gelingt es dem Netz-Arrangement, geschlossen aufzutreten, kann es in ver­einfachter Weise wie ein individueller Aktor behandelt werden, es wird "punktualisiert" (Callon 1991, Law 1992). Dies ist insbesondere eine Frage der Maßstäblichkeit; die Planer sprechen im Kontext der verschiedenen Ebe-

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nen der räumlichen Planung, sozio-physikalisch, von "Körnigkeit". Der mensch­liche Aktor als Effekt körperlicher Interrelationen schrumpft zum individuellen Punkt, wenn wir die sozialen Beziehungen zwischen Menschen betrachten, diese wiederum schrumpfen zum Punkt der Familie oder des Arbeitsteams, wenn die sozio-technischen Netze der räumlichen Organisation als Untersuchungsgegen­stand gewählt werden, und die großen Organisationen oder Städte schrumpfen zu punktförmigen Handlungseinheiten, wenn wir sie in ihrer internationalen Vernetzung analysieren. Mit der Häufigkeit der Netzwerk-Muster im Handlungs­vollzug, mit ihrer Routinisierung nimmt ihre "Punktualisierung" zu. Für die anderen Akteursgruppen erscheinen sie mehr und mehr als in sich geschlosse­ne, berechenbare Einheiten, die im Sinne von Ressourcen in Handlungs- oder Organisationskontexten behandelt werden. Nebenbei erledigt sich mit dieser Sichtweise die weit verbreitete Unterscheidung zwischen Makro- und Mikro­strukturen - auch dies ein explizites Anliegen der Aktor-Netzwerk-Theorie.

11.2 Wirkungen auf soziologische und stadttheoretische Konstruktionen

Als Erstes fällt eine Nähe der Aktor-Netzwerk-Theorie zu Giddens' Theorie der Strukturierung auf (vor allem Giddens 1992 [1984]). In ihr wird vorgeschla­gen, die Strukturierung sozialer Systeme durch Analyse der Interaktions­zusammenhänge, in denen sie produziert und reproduziert werden, zu untersu­chen. Soziale Systeme gründen sich danach in den Handlungen situierter Ak­teure, die sich in den verschiedenen Handlungskontexten jeweils auf Regeln und Ressourcen (das sind für Giddens die wesentlichen Elemente von Struktu­ren) beziehen. Die Konstitution von Handelnden und Strukturen stellt eine Dualität dar, innerhalb derer die Strukturmomente der sozialen Systeme sowohl Medium als auch Ergebnis der Praktiken sind.

Auch zu anderen soziologischen Theorieentwürfen gibt es Berührungs­punkte, die von den Aktor-Netzwerk-Theoretikern auch erwähnt werden: zu Bourdieus Konzepten des "Habitus" und des "sozialen Raumes", zu Elias' Konzept der Konfigurationen, zu verschiedenen Aspekten von Institutionen theorien; eine systematische Diskussion dieser Theoriebezüge muss hier jedoch unterbleiben.

Von einem der Urheber der Aktor-Netzwerk-Theorie, John Law, wurde ein Theorieentwurf über soziale Prozesse vorgelegt, der diesen Grundannahmen von Giddens weitgehend folgt, sie aber noch entschiedener dynamisiert (Law 1994). Er möchte den "pluralen Prozess des sozio-technischen Ordnens" (S. 2) in den Mittelpunkt stellen, setzt sich damit ab von allen strukturalistischen Soziologismen und betont stattdessen den kontingenten, nie abgeschlossenen, nicht reduktionistisch behandelbaren Charakter solcher Prozesse. Der Skepsis, diese "Soziologie des Ordnens" könne Macht und Hierarchie nicht erfassen, begegnet Law mit dem Verweis darauf, dass sie empirisch und praxisnah re-

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konstruieren könne, wie Hierarchien zustande kommen und durch welche Macht­mechanismen sie verkörpert, aufrechterhalten oder bekämpft werden. Allerdings münden solche Analysen nicht in irgendwelche fixierten Aussagen über "die" soziale Ordnung, etwa über Klassen- oder Geschlechterverhältnisse. Insofern zählt auch das Thema der sozialen Ungleichheit fraglos zu den Inhalten einer Soziologie des Ordnens oder Strukturierens; doch wird sie auf andere Weise untersucht als bisher üblich.

Eine weitere theoretische Differenz zur Giddens'schen Strukturierungs­theorie zeigt sich beim Aspekt der Raum-Zeit-Dimension. Giddens gibt sich -trotz einiger Kritikpunkte - als überzeugter Anhänger der Zeitgeographie Hägerstrands zu erkennen (Giddens 1992, Kap. 3). Er betont die Bedeutsam­keit von Orten ("locales") als Bezugsrahmen für Interaktionen und nennt dabei auch "feste Gegenstände, teilbare Materialien und Regionen" als weitere Inter­aktionsaspekte. Er widmet sich dann vor allem der "Regionalisierung" im Sinne des in routinisierten sozialen Praktiken stattfindenden Aufteilens von Raum und Zeit, in Gestalt von Zonen oder Stationen. Hier wirken die Aktor-Netzwerk­Beiträge konsequenter und für die allgemeine Soziologie provokativ. Zwar ist anzuerkennen, dass Giddens' Entwurf der fachwissenschaftlichen Kooperation zwischen Soziologie und Geographie einen erheblichen Aufschwung verliehen hat. Doch das Verhältnis zwischen "Materialien" und "Sozialem" bleibt bei ihm und anderen Sozialtheoretikern in seinem post-strukturalistischen und episte­mologischen Kern ungeklärt - es ist klar, warum. Wer wie Latour oder Law argumentiert, stellt die Identität der Soziologie als Disziplin in Frage. Wer aller­dings die faktischen Probleme der sozialen Ungleichheit im städtischen Kon­text empirisch und genau erfassen möchte, wird disziplinäreArgumente zurück­stellen. Die Aktor-Netzwerk-Theorie liefert einen überzeugenden Ansatz da­flir, die sozio-technischen Hybridgestalten im Ordnen des Alltagslebens, die nach meiner Überzeugung immer typischer werden für urbanisierte Gesell­schaften, zu untersuchen und von da aus Aussagen über den Umgang mit un­gleichen sozialen Lebenslagen zu gewinnen.

In den folgenden Teilen dieses Beitrags möchte ich zeigen, dass dieser Theorieentwurf auch mit Gewinn flir die raumbezogene Forschung und die Stadt­soziologie nutzbar gemacht werden kann.

Lässt man die Thematisierung der sozialen Ungleichheit im stadtsoziolo­gischen Kontext Revue passieren, so zeigt sich ein Übergewicht strukturalisti­scher bzw. struktur-funktionalistischer Ansätze. Viele soziale Phänomene wer­den - anhand sozialstruktureller Grundbegriffe wie Klasse, Schicht, Lebens­stil, Milieu, Armut - nicht als Effekte der sozial-räumlichen Strukturierungs­prozesse, sondern als gegebene Strukturmerkmale behandelt. Die Verwendung von Statistikdaten ist daflir das hervorstechende Merkmal. Die hinzutretenden stadtsoziologischen Begriffe - wie Segregation, Gentrification, Urbanität, Sub­urbanisierung - eröffuen zwar eher eine prozessorientierte Rekonstruktion städ­tischer oder stadtregionaler Sachverhalte, doch fehlt es auch bei ihnen im All­gemeinen an einer konzisen Beschreibung der Interaktionen, vor allem der

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"Übersetzungen" mit der Folge konflikthafter Machtdurchsetzung oder selbst organisierter Lebenslage-Entscheidungen. Die ehemalige Community-Power­Forschung kam dem hier präferierten Ansatz schon wesentlich näher, doch ihre Zeit scheint vorbei; ob die vereinzelt aufkommende Renaissance von Gemeinde­studien im Sinne der Aktor-Netzwerke ausgerichtet sein wird, bleibt abzuwarten.

Ich sehe noch einen zusätzlichen Grund dafiir, einen neueren Theoriebeitrag auf Probleme der stadtsoziologischen Forschung zu beziehen. Fehlt es nicht seit längerem an einigen wirklich innovativen Sichtweisen und Untersuchungs­ansätzen? Es ist an der Zeit, den vertrauten Kanon der orthodoxen Stadtfor­schung zumindest zu erweitern, wenn nicht gar nach und nach zu ersetzen. Mit den Beiträgen über die "Dritte Stadt" (Hoffmann-Axthelm 1995) und über die Städte als Schauplätze der Austragung gesellschaftlicher Konflikte (Heitmeyer 1998) ist dies in den 90er Jahren begonnen worden. Weitere neue Anläufe soll­ten hinzukommen, wie etwa die hier abgehandelten leitenden Konzepte in den Kapiteln 5 bis 7. Für die Stadtbewohner wird es wesentlich sein, inwieweit sie angesichts der Imperative des "flexiblen Menschen" (Sennett) ihre eigene Le­bensführung und veränderte Re-embedding-Prozesse unter Bejahung des Städ­tischen oder mit wachsender Distanz dazu organisieren können.

11.3 Soziale Netze als "centers oftranslation"

Auch bei einer relativen Zunahme eigenständiger Single-Haushalte (siehe hierzu unter dem Blickwinkel der Aktor-Netzwerk-Theorie Keim 2000) ist hervorzu­heben, dass die meisten Menschen ihr städtisches Leben auf vielfältige Weise sozial verflechten, soziale Beziehungen eingehen und sich an sozialen Aktivi­täten beteiligen. Mit dem Aufkommen der Individualisierungsthese auf der ei­nen Seite, der These von der schwindenden Fähigkeit der Städte zur sozialen Integration auf der anderen Seite begann eine wichtige Diskussion darüber, wie bedeutsam diese sozialen Muster zur Kennzeichnung der (post-)modernen Gesellschaften seien (ausführlich dazu Beck/Giddens/Lash 1996). Auf die gesellschaftstheoretische Ebene möchte ich mich hier allerdings nicht begeben. Offenbar handelt es sich um höchst gegenläufige Prozesse, die synchron von­statten gehen. Trotz beobachtbarer Auflösungserscheinungen des Sozialen in den Städten (Keim 1997a) sind nämlich immer wieder soziale Praktiken zu er­kennen, in denen eine Handlungs- und Gestaltungsfähigkeit auf lokaler Basis zum Ausdruck kommt.

Gegenstand der folgenden weiteren Überlegungen, wie die Aktor-Netzwerk­Theorie nutzbar gemacht werden kann, ist daher die Rekonstruktion der sozialen Prozesse, mit deren Hilfe Menschen, private Haushalte, kleine soziale Grup­pen - im Sinne interaktiver Governance-Konzepte - zu einem gemeinsamen strategischen Handeln gelangen können. Damit soll die Frage verbunden wer­den, ob sich auf diese Weise ungleiche Lebenslagen so transformieren lassen, dass soziale Benachteiligungen oder Exklusionsprozesse abgebaut werden.

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Der Aktor-Netzwerk-Ansatz nimmt die Vennittlung zwischen Naturrrechnik und SozialemlKultur zum Ausgangspunkt. Insofern konzentriere ich mich hier auf solche Fonnen sozialer Netze, in deren Entstehungs- und Funktionsweise gleich­zeitig räumliche, physische und technische Bestandteile inbegriffen sind. Dies geschieht am besten dadurch, dass auf die jüngeren Ausarbeitungen zu sozial­räumlichen Milieus in Städten Bezug genommen wird (Keim 1997b). Es geht dabei um solche Charakterisierungen, die aktive Milieus kennzeichnen, denn die Herausbildung der Eigenschaften von Aktoren, die im Zusammenwirken eine Leis­tung anstreben, ist rur die Aktor-Netzwerk-Prozesse konstitutiv. Interaktionen im räumlichen Bezugsrahmen, unterstützt durch zirkulierende Intennediäre, bringen Aktoren hervor, handelnde Personen oder Quasi-Objekte in sozio-tech­nischen Netzen, deren Bestreben daran orientiert ist, heterogene Bestandteile durch geeignete "Übersetzungen" auf Linie zu bringen. Auf diese Weise können wir "aktive Milieus" in Begriffen der Aktor-Netzwerk-Theorie reformulieren. Eine weitere, selektiv wirkende Vorentscheidung treffe ich in der Hinsicht, dass bei der Bildung von aktiven Milieu-Netzwerken besonders auf die Generierung und Verwendung von Wissen geachtet werden soll. Wissen wird nicht als ab­strakte Repräsentation von Sachverhalten verstanden, sondern als das von par­tizipierenden Aktoren je aktualisierte Wissen; es wirkt so als Antrieb fiir die ver­schiedenen Einpassungs- und Handlungsaspekte der Netzwerkbildung.

Das agierende Individuum, die genutzten Räumlichkeiten, die eingesetzte Technik werden für die weiteren Netz-Rekonstruktionen punktualisiert. Das heißt, wir wissen, dass diese Elemente der Netze ihrerseits Effekte von netzar­tigen Beziehungen zwischen Substanzen sind, betrachten sie jedoch als Res­sourcen und widmen uns den auf ihrer Grundlage zusätzlich entstehenden For­men des kooperativen Aktorhandelns ("agency"). Dabei gibt uns die Theorie Anhaltspunkte für relevante Momente des "Übersetzungsprozesses", die bei der Rekonstruktion des Aktorhandelns geklärt werden müssen (CalIon 1986): a) Problemsicht der initiierenden Akteure auf die zu gestaltenden Sachverhalte, indem die Einbeziehung weiterer Aktoren einschließlich ihrer Relationen un­tereinander definiert wird und indem obligatorische Handlungsstationen ("passage points") identifiziert werden; b) Stiftung eines gemeinsamen Inter­esses der einzubindenden Mitstreiter und "Verbündeten" durch einzelne Hand­lungen, die fiir Identitätsbildung geeignet erscheinen; c) Beschreibung, Auftei­lung und Koordinierung von einzelnen Rollen im Netzwerkhandeln ("enrolment"); d) weitere Mobilisierung der Netzwerk-Mitstreiter einschließlich der Definition, wer die Netzwerkbildung und die verfolgte Strategie in anderen "settings" repräsentieren soll. In den Theorieentwürfen wird angenommen, dass durch so strukturierte "Übersetzungen" impulsgebende und steuernde Aktivierungen ge­lingen und sich eine (kollektive) Identität der Akteure herausbilden kann.

Durch die prozessuale Klärung der offenstehenden Interaktionsmöglich­keiten und des Netzwerk-Bewegungsraums resultieren Chancen für geeignete Handlungsstrategien. Zwei Fragen werden aber vor allem bei der "assoziativen Beschreibung" städtischer Aktor-Netzwerke zu beantworten sein: Inwieweit ge-

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lingt es, durch wirksame "Übersetzungen" und Ordnungs leistungen, d.h. durch strategische Einpassungen der heterogenen, partiell widerstrebenden Bestand­teile, konsolidierte Netzwerke zu schaffen? Wie und wodurch entwickeln sich aus den Netzwerk-Aktivitäten Machtbeziehungen und Durchsetzungschancen gegenüber dem umfassenden Interaktionszusammenhang?

Mein Vorschlag lautet, die in der jüngeren stadtsoziologischen Diskussion hervorgehobenen Ausgrenzungsprozesse ("excIusion") zum Gegenstand einer Anwendung der Aktor-Netzwerk-Theorie zu machen (vgl. McGregor/ McConnachie 1995; Kuhle 1999). Mit dem Begriff "Ausgrenzung" bezeichne ich das Abkoppeln einzelner Individuen oder Gruppen von den gesellschaft­lichen und sozialen Integrationsmechanismen, insbesondere das Abkoppeln vom Arbeitsmarkt und von sozio-kulturellen Zugehörigkeiten. Dabei interessiert mich in diesem Beitrag weniger der Prozess der Ausgrenzung selbst (obwohl auch er mit diesem Theorieansatz analysiert werden könnte), sondern die angesichts von Ausgrenzungsprozessen möglicherweise entstehende Fähigkeit, mit Hilfe sozialer Netze darauf erwidern, sich in der Lebensführung neu definieren und aktive Gestaltungsmöglichkeiten ergreifen zu können.

Ich möchte damit nicht an das Thema einer Reformulierung der Sozialpo­litik anknüpfen, sondern möchte zeigen, dass sich unabhängig von sozialpoliti­schen Definitionen mit Hilfe des Aktor-Netzwerk-Ansatzes allgemeine Hand­lungsbedingungen herausarbeiten lassen.

Derzeit werden in mehreren deutschen Großstädten Projekte eines neu kon­zipierten "Quartiersmanagements" durchgeführt, um stadtteilbezogene Erwi­derungen auf Ausgrenzungsprozesse zu organisieren. Es dürfte sich in allen Fäl­len um Quartiere handeln, in denen auch in den zurückliegenden Jahrzehnten bereits auf unterschiedliche Weise - durch Stadtteilarbeit, Sozialplanung, Sa­nierung - Stabilisierungen versucht worden sind. Geht es also nur um ein "Mehr desselben" unter neuem Etikett?

Das Handlungskonzept des Quartiersmanagements lässt sich als Aktor-Netz­werk rekonstruieren. Die sog. Quartiersmanager treten (meist als Beauftragte von außen) als Initiatoren aufund sollen die Kräfte des Viertels bündeln, und zwar über Prozesse der Kommunikation und Kooperation. Sie sollen das Lähmende und Sprachlose in den Stadtteilen überwinden und exemplarische Aktivitäten auf den Weg bringen. Sie sind somit mit dem Aufbau eines möglichst robusten Netz­werks befasst, das im Sinne eines "centers oftranslation" fungiert.

In einem ersten Schritt sind die Geschichten nachzuzeichnen, wie betrof­fene Menschen oder Gruppen in den Quartieren die zunehmenden Disparitäten und die einsetzenden Ausgrenzungsprozesse erleben, sich dabei (nicht nach­einander!) auf neue Weise definieren, sozial verorten und von Fall zu Fall in neue Handlungskontexte eintreten. Diese Prozesse enthalten unterschiedliche Elemente. Zunächst häufen sie sich wie in Stufen, die vorhergehenden Verluste jeweils verstärkend, an, um schließlich in eine fast hermetische Abkoppelung zu münden. Wem zum Beispiel das Arbeitsverhältnis gekündigt wird oder wer über lange Zeit vergeblich Arbeit anbietet, gerät infolgedessen oft in Situatio-

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nen, in denen weitere soziale Enttäuschungen warten: ausweichende Freunde und Bekannte, nicht-zuständige öffentliche Dienste, Gefährdung der Wohnsi­tuation, Einschränkungen im Konsumbereich, Rechtsunsicherheit, nachlassen­der Bürgersinn in der lokalen Öffentlichkeit, Verlust an Reziprozität in den all­täglichen Sozialbeziehungen etc. Daraus geht meist ein Wandel der sozialen Identität hervor und das Selbstwertgefiihl schwindet. Sieht das Quartiersmana­gement vor, dass die Geschichten erzählt und bekannt gemacht werden? Wie kann es angesichts solcher Abläufe dennoch zu ersten Mobilisierungen und dann zu Aktor-Verknüpfungen kommen?

So wichtig sozialpolitisch motivierte Aktivitäten sind, so bilden sich doch weitere Möglichkeiten dadurch heraus, dass Menschen und Organisationen Be­ziehungen eingehen, die nur lose geknüpft werden und als "Stärke schwacher Bindungen" mit der Chance zu flexiblen Handlungsformen charakterisiert worden sind (Granovetter 1973). Gleichgesinnte müssen gesucht, Koalitionen müssen gebildet werden; das beginnende Handeln bedarf ständig der Zuwen­dung, des Bestärkens, weil sonst lose soziale Netze rasch wieder auseinander­fallen (Keupp 1987). Die angesprochenen Menschen bedürfen der (wieder zu gewinnenden) Zuversicht, dass durch einzelne gemeinsame Projekte positive Effekte auf viele ausstrahlen.

Auf der Ebene der städtischen Quartiere scheinen genau hierfür günstige Voraussetzungen zu bestehen. In ihnen hängt der Gewinn neuer Handlungsfä­higkeit davon ab, dass durch "Übersetzung" die Aktoren eine gemeinsame Iden­tität ausbilden, in ihren Interaktionen zusammenwirken und die Grenzen ihrer Handlungsräume ausloten (CalIon 1986).

Die Quartiersmanager als Initiatoren werden sich bemühen, ein Interesse zu formulieren, das ihnen dazu verhilft, andereAktoren "in die Geschichte her­einzuholen". Indem dies gelingt, werden die jeweiligen Hindernisse sichtbar: Die von Ausgrenzung Bedrohten reagieren durch Rückzug und misstrauen allen Kooperationsangeboten (vor allem, wenn die Initiatoren von außen kommen); ein Teil der potentiellen Unterstützer (vgl. die neuen sozialen Milieus bei Vesterl Oertzen 1993) will bürgerrechtliche Verbesserungen erreichen, ist aber kaum an kleinteiligen örtlichen Netzen interessiert oder verhält sich skeptisch-dis­tanziert zu den herkömmlichen Handlungsinstrumenten; die Wohnungseigen­tümer wünschen sich gut situierte und ruhige Mieter, durch die ihr Wohnungs­bestand möglichst keine Werteinbußen erleidet; die Politiker nutzen den Arbeits­ansatz zur Inszenierung oder bloßen Pazifizierung; die lokalen Behörden zie­hen sich zurück auf ihre komplizierten Regelwerke; die Investoren, Geldinsti­tute und großen Versorgungsbetriebe machen ein Engagement von Renditen und Marktvorteilen abhängig; die Schulen bieten Wissen an, ohne zu wissen, wie man "social capital" aufbauen kann; die örtlichen Vereine und andere interme­diäre Organisationen pflegen ihre spezifischen Milieus ohne Blick über den Tellerrand ... Die Aktor-Netzwerk-Theorie sagt: Die Zahl der zusammenwirken­den Akteursgruppen muss begrenzt werden und sie alle müssen durch die obli­gatorischen "passage points", die wie ein Nadelöhr wirken, unterstützt durch

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die Initiatoren und so die Hindernisse schrittweise überwindend, hindurch ge­langen. Das ist im Allgemeinen ein steiniger Weg.

Ein zweiter Schritt zeigt diesen Weg auf, und hierbei kommen die Anteile von Wissen und Macht deutlicher zur Geltung. Soziale Netze gelangen näm­lich erst zu einer eigenen Identität und Irreversibilität, wenn Druck ausgeübt wird und hartnäckige Aushandlungsprozesse betrieben werden. Durch das interessengestützte "Hereinholen" anderer Aktoren und durch den Aufbau von Allianzen kann dann nach und nach die Fähigkeit zu gemeinsamem Handeln wachsen, können also auch die disparaten Hindernisse zugunsten eines strate­gischen Auf-Linie-Bringens in den Hintergrund treten. Das "Hereinholen" der mitwirkenden Aktoren gelingt umso eher, je besser deren aktive Teilnahme mit der Bereitschaft einhergeht, sich von anderen Beziehungen (die Energie und weitere Ressourcen kosten) zu entbinden, also dem hier zu bildenden Aktor­Netzwerk Priorität einzuräumen. Irgendwann ist der handlungskritische Zeit­punkt erreicht, zu dem sich entscheiden muss, ob sich die Akteure in dem er­forderlichen Umfang und mit den erforderlichen Selbstbindungen am gemein­samen Handeln beteiligen wollen.

Das ist hier ausdrücklich nicht im Sinne einer Entfaltung "kommunitärer Netze" gemeint, denen die Handlungsressourcen der Solidarität oder einer "mo­ralischen Infrastruktur" zugrunde gelegt werden (Keupp 1997, Meyer 1997). Die Aktor-Netzwerk-Theorie setzt eine solche normative Begründung nicht vor­aus; eher werden derartige Merkmale als (kontingente) Effekte eines längeren Prozesses der "Übersetzung" betrachtet. In den Aushandlungsprozessen muss sich demnach zeigen, ob trotz individueller Eigenarten und Interessen so viel an zusätzlicher sozialer Energie, so viel an gemeinsamen Perspektiven entfal­tet werden kann, dass aus punktuellen Kooperationen handlungsfähige Allian­zen werden.

Das hängt wesentlich von der Wirksamkeit der Intermediäre ab, vor allem von der Mobilisierung verschiedener Wissensbestände. Über Zeichensysteme, Ritualisierungen und andere Repräsentationsformen, wie sie besonders anschau­lich in den Städten praktiziert werden, kann sich in den entstehenden Netzwer­ken eine eigene Deutungs- und Darstellungskompetenz entwickeln (Soeffner 1997). Gemeinsame Texte fügen durch die Bindungswirkung der Sprache dispa­rate Aktor-Elemente zusammen. Technische Artefakte lassen sich unterstützend und entlastend in diesem integrativen Sinne einsetzen; dazu gehören auch die physischen Bedingungen der Architektur und der technischen Infrastruktur.

Am Beispiel "aktiver Milieus", wie ich sie an anderer Stelle vorgeschlagen habe (Keim 1997), lässt sich die so konstituierte Bildung sozialer Netze ver­deutlichen. Im einen Fall bilden örtliche Kristallisationspunkte, die durch bewusste Wahl für Interaktionen genutzt werden (z.B. Kneipen), in ihren viel­fach definierten sozio-technischen Besonderheiten, eine offenbar günstige Ausgangsbasis für handlungsorientierte "Stützstrukturen". Diese lassen sich im Sinne von Allianzen gegen Ausgrenzungsprozesse durchbuchstabieren, voraus­gesetzt, es treten Initiatoren hinzu, damit das prekäre Hindernis der Resigna-

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tion überwunden werden kann. Hier hängt somit viel von der stimulierenden Arbeit der Quartiersmanager ab. Im anderen Fall sind diese Initiatoren bereits vorhanden, und zwar dadurch, dass jüngere Individuen im örtlichen Kontext transitionale "Schwellenräume" gestalten. Hier kommt es demnach darauf an, weitere Aktoren hinzuzugewinnen und mit Hilfe geeigneter Intermediäre zu "Übersetzungen", d.h. zu nach und nach vereinheitlichten Handlungsstrategien zu gelangen. In diesen Fällen bietet sich als Strategie der Quartiersmanager an, durch geschickte, mutmachende Kommunikationen die bereits stattfindenden Schritte zur Schwellenüberwindung zu stärken und durch weitere zu ergänzen.

Der hier vorgestellte Ansatz kann, wie die Milieu-Charakterisierungen zei­gen, die Folie abgeben fi.ir eine konkrete Ausarbeitung von Handlungsstrategien. Aus den skizzierten Stufen des "Übersetzungsprozesses" lassen sich konkrete Arbeitsaufträge formulieren: Definition der sozial-räumlichen Probleme und der "passage points" zur Überwindung der Hindernisse; das "Hereinholen" weiterer Akteursgruppen und Aktoren, indem deren Interessen und Potentiale berücksich­tigt werden; das Aufzeigen übergreifender, inklusiv wirkender Ziele und Perspek­tiven; die Mobilisierung von Ressourcen, insbesondere von sozialer Energie und "social capital"; die systematische Einbindung von Intermediären ein­schließlich sozio-technischer Systeme; die Bildung von Allianzen, verbunden mit einer Steigerung von Handlungsfähigkeit und "empowerment". Das klingt sehr anspruchsvoll. Doch die Aktor-Netzwerke verstehen sich als Sozial­experiment, prozessorientiert und möglichst voraussetzungslos; was unverzicht­bar ist, sind freilich einige Personen, die willens sind, etwas anzupacken.

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Vierter Abschnitt

12 Das Fenster zum Raum: Folgerungen

Die Blicke durchs Raum-Fenster haben den vieWiltigen Aspekten räumlicher Entwicklung eine differenzierte Aufmerksamkeit geschenkt. Trotz ihrer sozial­räumlichen Transformation und ihrer Dynamisierung hat diese Abhandlung den Raumbildungen und Raumaneignungen permanente Relevanzstrukturen beige­messen. Sie variieren dabei nach eingenommenem Standort, nach Perspektiven, nach der Art der Lokalisierung bzw. Verflüssigung einzelner Raumelemente und konstituieren so eine für uns heute meist ungewohnte Art des "räumlichen Den­kens" (Reichert). Dieses Denken ist kontextgebunden und lebenspraktisch. Es ist nicht auf eine Rematerialisierung reduzierbar, sondern an Raumzusammen­hängen interessiert, die sich als etwas bezeichnen lassen, was es so gar nicht gibt: eine kontextuierende soziale Physik mit hoher Kontingenz. Die Nähe der Kommunikationen zum Raum führt dazu, dass - je nach Kontext - unterschied­liche Wege beschritten werden, um einen Ort, um räumliche Dynamiken zu erkennen und raumgebundene Probleme zu lösen. Deshalb enthält räumliches Denken viele Kontingenzen, die Betrachterin, der Akteur sind in den Prozess der Raumerschließung eingebunden.

Ich möchte diese Art, räumlich zu denken, gegen gesellschaftliche Abstra­hierungen verteidigen. Irgendwann, vor Jahrhunderten schon, haben sich die westlichen Gesellschaften dafür entschieden, ihre Relevanzen und Bedeutungs­gehalte nicht-räumlich zu definieren und die Beobachter vom Prozess des Er­kennens auszuschließen. Was sie an Wissen hervorbringen, soll an jedem Ort, möglichst zu jeder Zeit, für jedes Individuum gelten, also kontextfrei. Und auf diesem Wege bewegen sich derzeit auch die für zukunftsträchtig angesehenen, von den Verheißungen der Informations- und Biotechnologien geprägten Wis­senschaften (obwohl es durchaus erkenntnistheoretische Paradigmenwechsel gibt, siehe Kap. 3). In diesen kognitionsgeschichtlichen Prägungen liegt gewiss eine der Quellen für das Desinteresse, ja manches Mal die Aversion gegenüber den Raumfragen, die eben nicht als abstrakte Kategorisierung, sondern in ihrer Kontextuierung relevant sind.

Es ist nicht irrelevant, dass Plato als einer der Stammväter der europäischen Geistesgeschichte den Hain des Akademos erwarb, um dort seine Gespräche zu führen, dass die Topik (im Sinne eines zum Ausdruck gebrachten Systems von Plätzen, auch Gemeinplätzen) zur suchenden Bewegung einlädt, dass im­mer aufs Neue der "genius loci" gefunden und in kreatives Handeln umgemünzt sein will. Die hier vorgeschlagenen Analysen zur räumlichen Entwicklung greifen die "topografische Semantik" (Esposito) auf. Aus der Qualität von Or-

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ten lässt sich Wissen gewinnen, und neue Wissensökonomien werden sich ihre Orte schaffen. Aus der Art der Raumproduktion samt den Bemühungen, auf sie steuernd Einfluss zu nehmen, und aus der räumlichen Morphologie, das heißt, ihren kontextuell erschließbaren Erscheinungsformen, lassen sich zahlreiche Beschaffenheiten unserer Gesellschaften ablesen. Wir erkennen Präferenzen und Machtbeziehungen, wir erkennen Konfliktlagen und Lebensbedingungen. Und wir können zeigen, dass diejenigen, die in räumliche Entwicklungen steuernd eingreifen, damit auf jene gesellschaftlichen Merkmale Einfluss nehmen. Kontextuierung ermöglicht eigene Zugangsweisen, zur Komplexität von Pro­blemen ebenso wie zur Entwicklung von Problemlösungen. Wäre es nicht an der Zeit, dass zum Beispiel die "life sciences" um solche Kontext-Dimensio­nen bereichert werden?

Es gibt, als weitere Erkenntnis, Kämpfe um städtische und regionale Räu­me. Zwischen einem Teil der ökonomischen Interessen, der kulturellen Lebens­räume und der politisch artikulierten kollektiven Bedürfnisse nach leistungsfä­higen "facilities" entbrennen immer wieder Konflikte, die über Prozesse der räumlichen Steuerung austariert werden müssen. Deshalb kann es im öffent­lichen Interesse nicht hinreichend sein, sich auf eine je technische Funktionali­tät zu konzentrieren. Die über die Nachhaltigkeits-Debatte angestoßene Mehr­dimensionalität der Raumgestaltung weist zu Recht den sozial-kulturellen und ökologischen Bezügen eine gleichwertige Relevanz zu. Die scheinbar kontext­frei agierenden ökonomischen Akteure können Vorteile daraus beziehen, wenn sie die Bedeutung der sozialen und ökologischen Kontextfaktoren ernst neh­men, umso mehr, wenn sie sich bereit finden, selbst als "stakeholders" zu wir­ken. Es ist nicht zu erkennen, dass damit von vornherein kostensteigernde Be­lastungen verbunden sein müssen.

Die raumwissenschaftliche Forschung wird, so wie ich sie hier konzipiert habe, selbst zu einem Bestandteil der gesellschaftlichen Entwicklung und der raumwirksamen Politik. Sie tritt diesen Bereichen also nicht fremd gegenüber, sondern ist Mitspieler und hat daher auch eine Mitverantwortung zu überneh­men. Sie wird in einem bewusst normativen Sinn daran beteiligt sein, Vorschläge für die Bedeutung räumlicher Qualitäten innerhalb einer "Ethik des guten Le­bens" (Taylor, Rorty u.a.) zu machen. Sie wirbt für die Einsicht, dass gelebte Räume andauernd umgeformt werden, dass sie gehegt und gepflegt werden müssen. Sie hat die Aufgabe, in diesem Kontext auch auf wissenschaftlich be­gründbare Beschädigungen und Gefährdungen hinzuweisen. Es ist daher nur konsequent, wenn sie ihr Wirken auch in Kreisen und Medien der Öffentlich­keit offen legt. Sie wird nach den hier vorgestellten Konzepten noch mehr als bisher ihre Themen vergleichend und in internationalen Bezügen bearbeiten.

Der letzte Satz gilt vordringlich für den europäischen Raum. Die For­schungen, die sich heute mit der "Raumfrage" befassen, weisen ohnedies eine internationale Ausrichtung auf. Sie werden sich verstärkt den Fragen zuwen­den, wie räumliche Entwicklungen im Konzert der europäischen Einigungs-

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schritte eine Funktion übernehmen können, die dazu beiträgt, disparate, konflikt­hafte, mit höchst verschiedenartigen Pfadentwicklungen daherkommende Ver­hältnisse zusammenzufiihren, die Differenzen nicht zu leugnen oder zu beseiti­gen, sondern sie zu überwölben und so Handlungsfahigkeit zu erlangen. Mit dem Blick auf die Brüche und Potenziale der ostmitteleuropäischen, aber auch der ost- und südosteuropäischen Städte und Regionen eröffnen sich neue Hori­zonte und spannende Perspektiven. Stadt- und Sozialhistoriker haben uns die­sen Blick nach Osten neu wagen gelehrt (beispielhaft Schlögel 1989).

Wer tritt daneben mit an das Fenster heran, durch welches wir Raumfragen in den Blick nehmen wollen? Hier denke ich vor allem an zwei Adressaten: an die Vertreter von Politik und Verwaltung einerseits, an die Studierenden ande­rerseits.

Ich weiß, dass die erstgenannte Gruppe diese Abhandlung nicht umstands­los in ihre tagtäglichen Praxiszusammenhänge einbeziehen kann. Sie wird aber, hoffe ich, in die Lage versetzt, manche raumrelevanten Themen auf andere Weise, eben durch das hier angebotene "Fenster zum Raum", zu sehen und Fragen zur politischen Gestaltung neu zu stellen. Und sie wird auch zahlreiche Anregungen finden, wie über Governance-Aktivitäten eine erweiterte Art von Raumpolitik betrieben und gefördert werden kann. Sie wird nachvollziehen können, dass es gerade in diesen neuen Raumfragen einen erheblichen For­schungsbedarf gibt, wie übrigens auch einen erhöhten Bedarf an unabhängiger laufender Raumbeobachtung. Möge die Produktion weiteren raumwissenschaft­lichen Wissens, im Vergleich mit der Förderung der naturwissenschaftlich fun­dierten Technologien, den Stellenwert einnehmen können, der ihr zusteht!

Und die Studierenden? Das Berufsbild der Planerinnen und Planer wird durch die Akzentuierung der hier mit den Governance-Konzepten behandelten raurnrelevanten Themen eine kräftige Veränderung erfahren; dies ist bereits in vollem Gange. Sei es im Rahmen des "enabling state", sei es im Rahmen der zivilgesellschaftlichen Mitwirkung oder Selbstorganisation: Gebraucht werden kompetente Fachleute, die solche Prozesse nicht nur moderieren können, son­dern bei allen Einzelfragen einen Überblick bewahren und Wichtiges von Un­wichtigem zu unterscheiden wissen, welche die manchmal mühsamen Einzel­schritte zuversichtlich mitgehen und da abbrechen, wo keine Konsensbildungen oder Minimalabsprachen zustande kommen. Ihre Fähigkeit zur Visualisierung und Systematisierung kommt ihnen dabei zu Gute. Mein Plädoyer geht jedoch einen Schritt weiter: Ich wünsche mir, dass gerade zu den Sachverhalten, die durch das "Fenster zum Raum" hinter der Oberfläche zu entdecken sind, So­ziologie-, Politikwissenschaft-, Ethnologie-, Humangeographie-, Geschichts­wissenschaft-, Organisations- und Ökonomie-Studierende einen Zugang finden und eine Neugier dafiir entwickeln, im Dialog mit anderen Disziplinen die Raum­fragen zu bearbeiten. Das ist mit einem Appell an die Dozenten verbunden; nur wenn die Studienpläne solches vorsehen, können die Studierenden diese Vor­schläge ernsthaft aufgreifen.

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Anstelle eines Ausblicks nach den vielen Durchblicken empfehle ich eine be­sondere Art des raumgreifenden Entdeckens und Verstehens: den Spaziergang (ein Spacing im Kleinen). Vielerlei Fortbewegungsarten lassen sich darunter fassen: das einfache Gehen, das Schlendern, das (als ausgestorben geltende) Flanieren, das Wandern, auf dem Wasser das Rudern und Paddeln, dann Walking und Jogging, erweitert um Skating und Rollern, und auch das gemächliche Radfahren, doch schneller sollte es mittels der technischen Hilfsmittel nicht sein. Warum? Weil das eher beschauliche Sich-Bewegen eine "Erweiterung des Ein­falls-Fensters" (Baier) bewirkt, zumal in anregender Landschaft, weil es unser Denken und Fühlen beflügelt, weil das konkrete Hinsehen uns immer aufs Neue überraschende Einblicke beschert, weil uns diese Art der Raumaneignung da­vor bewahrt, uns in rein abstrakten Weltbezügen zu bewegen. Dies ist eine ge­nügsam-wohltuende Art, Räume und mit ihnen Zugänge zur Wirklichkeit zu erschließen, eine eher bei-läufige, keine wissenschaftliche.

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Quellennachweis

Die Kapitel 1-7 und 12 sind Originalbeiträge. Kapitel 8 ist die leicht veränder­te Fassung eines gleichlautenden Beitrags in: Keim, K.-D. und M. Kühn (Hrsg.), Regionale Entwicklungskonzepte: Strategien und Steuerungswirkungen, Han­nover 2002 (Arbeitsmaterial287 der ARL). Kapitel 9 ist die überarbeitete Fas­sung eines Beitrags in: Kujath, H. J. (Hrsg.), Strategien der regionalen Stabili­sierung, Berlin 1998, S. 291-304. Kapitel 10 ist der leicht veränderte Teilab­druck aus Keim, K.-D., Jähnke, P., Kühn, M. und H. Liebmann, Transforma­tion der Planungskultur? In: Planungsrundschau, TU Berlin, 2003, Ausgabe 06, S. 126-152. Kapitel 11 ist der gekürzte und leicht veränderte Teilabdruck eines Beitrags in Harth, A., ScheUer, G. und W. Tessin (Hrsg.), Stadt und soziale Ungleichheit, Opladen 2000, S. 274-293.

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