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(Aus der Psychiatrischen Abteflung des Bellevue-Hospitals, New York, City, U.S.A.) Das Kiirperschema im Lift. Von Dr. med. Sam Parker und Dr. reed. et phil. Paul Sehilder, Senior Physician Clinical Director. (Eingegangen am 6. Juni 1930.) Die Bewegungsempfindungen und -reflexe bei und naeh Progressiv- bewegungen sind bisher nur wenig studiert worden. Wir haben infolge- dessen einige Beobaehtungen in langsamen und rasehen Lifts hier in New York gemacht. Die Lifts, die uns zu Gebote standen, gingen mit einer Geschwindigkeit yon etwa 150--300 m pro Minute, erreichten ihre HSchstgeschwindigkeit in ungef~hr 1 Sekunde und fuhren bis zu 30 und 50 Stockwerken (d. s. 100--200 m HShe) hinauf. Die Literatur fiber den Gegenstand ist in der Monographie yon M. H. Fischer vollst~ndig zusammengestellt. Mach hat bereits darauf hingewiesen, dab lediglieh die Besehleuni- gungen empfunden werden. Auch die Reflexe bei Progressivbewegungen sind nur solche auf Besehleunigung. In unseren eigenen Untersuehungen haben wir eine besondere Aufmerksamkeit dem Erlebnis des eigenen KSrpers zugewendet. Anfahren und Stoppen geschah in unseren Ver- suchen plStzlieh. Zun~ehst unsere Beobaehtungen, die an uns selbst und an 2 weiteren Versuehspersonen gemaeht wurden. Da sic bei allen Versuehspersonen identiseh sind, glauben wir sic als typisch ansehen zu kSnnen. Die Protokolle. I. Beim Hinau/fahren werden besonders die Fiil3e sehwerer. Wenn die Arme vorgestreckt werden, so werden sie aueh schwerer und sinken ab. Dieses Gefiihl ist nur w~hrend des Anfahrens vorhanden und ver- sehwindet, sobald die Geschwindigkeit gleiehm~Big geworden ist. II. Beim Stoppen gehen die Arme in die HShe und werden leichter. Es besteht das Gefiihl, dab sich der KSrper weiter aufw~rts bewegt und dann im leiehten Bogen nach vorne zurticksinkt und wieder sehwerer wird. Das Leiehterwerden des KSrpers beim Stoppen ist mit einem

Das Körperschema im Lift

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(Aus der Psychiatrischen Abteflung des Bellevue-Hospitals, New York, City, U.S.A.)

Das Kiirperschema im Lift. V o n

Dr. med. Sam Parker und Dr. reed. et phil. Paul Sehilder, Senior Physician Clinical Director.

(Eingegangen am 6. Juni 1930.)

Die Bewegungsempfindungen und -reflexe bei und naeh Progressiv- bewegungen sind bisher nur wenig studiert worden. Wir haben infolge- dessen einige Beobaehtungen in langsamen und rasehen Lifts hier in New York gemacht. Die Lifts, die uns zu Gebote standen, gingen mit einer Geschwindigkeit yon etwa 150--300 m pro Minute, erreichten ihre HSchstgeschwindigkeit in ungef~hr 1 Sekunde und fuhren bis zu 30 und 50 Stockwerken (d. s. 100--200 m HShe) hinauf. Die Literatur fiber den Gegenstand ist in der Monographie yon M. H. Fischer vollst~ndig zusammengestellt.

Mach hat bereits darauf hingewiesen, dab lediglieh die Besehleuni- gungen empfunden werden. Auch die Reflexe bei Progressivbewegungen sind nur solche auf Besehleunigung. In unseren eigenen Untersuehungen haben wir eine besondere Aufmerksamkeit dem Erlebnis des eigenen KSrpers zugewendet. Anfahren und Stoppen geschah in unseren Ver- suchen plStzlieh. Zun~ehst unsere Beobaehtungen, die an uns selbst und an 2 weiteren Versuehspersonen gemaeht wurden. Da sic bei allen Versuehspersonen identiseh sind, glauben wir sic als typisch ansehen zu kSnnen.

Die Protokolle.

I. Beim Hinau/fahren werden besonders die Fiil3e sehwerer. Wenn die Arme vorgestreckt werden, so werden sie aueh schwerer und sinken ab. Dieses Gefiihl ist nur w~hrend des Anfahrens vorhanden und ver- sehwindet, sobald die Geschwindigkeit gleiehm~Big geworden ist.

II. Beim Stoppen gehen die Arme in die HShe und werden leichter. Es besteht das Gefiihl, dab sich der KSrper weiter aufw~rts bewegt und dann im leiehten Bogen nach vorne zurticksinkt und wieder sehwerer wird. Das Leiehterwerden des KSrpers beim Stoppen ist mit einem

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Gefiihl des L/~ngerwerdens verbunden, und es ist so, als ob irgendeine Substanz welter nach oben gehen wfirde als der aktuelle KSrper und die Sohlen.

III. Nach wiederholtem Hinauffahren kommt eine Scheinbewegung bei geschlossenen Augen in der Form zustande, dab das Gefiihl besteht, eine Masse gehe nach oben, wghrend die Beine stehenbleiben oder sich nur m/~Big aufw/~rts bewegen. Es wirbelt etwas aus dem KSrper heraus.

Sehr h/~ufig ist auch ein allgemeines leichtes Schwanken ohne Be- vorzugung einer bestimmten Richtung. Dabei ist es so, als ob wiederum etwas aus dem KSrper heraustreten wfirde, besonders auch aus dem Kopfe, so dab der Kopf gleichsam grSBer wird und die Masse aus den Konturen des Sch/~dels tritt.

IV. Beim Hinunter/ahrew steigen die H/~nde und werden leichter. Ebenso wird der K6rper leichter, bis die Geschwindigkeit sich ausge- glichen hat. Bei diesem Leichterwerden verl/s sich der KSrper etwas.

V. Beim Stoppen wiederum werden die FiiBe schwerer, doch scheint der fibrige KSrper tiefer hinunterzugehen, so dab unter den FfiBen noch 2 leichtere PhantomffiBe sind. Gleichzeitig wird der KSrper ver- kiirzt. Nachher geht der KSrper bogenfSrmig in seine frfihere Stellung zuriick. Hier gehen die Arme zuerst hinunter, um dann in die Normallage hinaufzukommen. Dabei ffihlen sie sich zuerst schwerer, dann leichter an.

VI. Es kann sich dann noch eine weitereNachempfindung einstellen. Ein Phantom -- eine Masse- geht hinunter, und der KSrper verkfirzt sich wieder.

Wann immer die Arme hinuntergehen, so werden sie als schwerer erlebt. H~ufig ist es so, als ob sie in den KSrper hineingetrieben wfirden. Beim Hinaufgehen der Arme hat man das Geffihl des Zurfickgekippt- werdens. Das Geffihl der Schwere wird gelegentlich auch in Rumpf und Brust gespfirt, ist aber am st~rksten in den Beinen ausgepr~gt.

Versuchen wir nunmehr zu der ])eutung der Erscheinungen vorzu- dringen. Wie erw~hnt, hat lediglich die Beschleunigung, die Geschwin- digkeits~nderung einen Einflul~. Auch die Wahrnehmung der Bewegung ist nur yon der Beschleunigung abh~ngig. In diesem Punkt gehen unsere Resultate fiber das yon Mach und M. H. Fischer Ermittelte nicht hinaus. Wir haben uns zun~chst die Frage vorzulegen, warum der KSrper und die Arme beim Anfahren aufw~rts als schwerer er]eb~ werden (beim Stoppen drehen sich diese Verh~ltnisse urn). Offenbar handelt es sich um die Gesetze der Massentr~gheit. Nun wird, wie Hartmann und Schilder gezeigt haben, der eigene KSrper wie jede andere schwere Masse erlebt. Es ist infolgedessen selbstverst~ndlich, dab die genannten Ver- ~nderungen im Erlebnis der Schwere der Glieder auftreten. Es ist auch ohne weiteres klar, warum lediglich die ausgestreckten Arme und H~nde

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schwerer und leichter werden und sich im fibrigen die Vergnderungen im K6rper wesentlich in den FfiBen und Unterschenkeln abspielen. Diese Versuche stiitzen so vollkommen die Theorie yon Hartmann und Schilder 1. Wir konnten niemals rhythmisches Pendeln dieser Schwer- erlebnisse nachweisen.

Es ist beachtenswert, dab unsere erwaehsenen Versuchspersonen ihre ausgestreckten Arme sinken resp. steigen lassen. Es besteht also die Tendenz, die Glieder der Massentrggheit folgen zu lassen, oder zu- mindest gibt es keine Kompensationstendenz. M . H . Fischer und Veits berichten: ,,wenn man mit locker gebeugten Knien hinauffi~hrt, so knickt man beim Anfahren ein, die ausgestreckten Arme werden ge- senkt; beim Anhalten oben wird man gestreckt und die Arme werden gehoben. Beim Hinunterfahren ist es umgekehrt. In Riicken- oder Bauchlage mit freigegebenem Kopfe handelt es sich um entsprechende Kopfbewegungen. Alle Reflexe erfolgen in derselben Richtung, wie sie die Massentr~gheit zur Folge hat." Wir kSnnen auch bestgtigen, dab Kopfstellungsgnderungen keinen EinfluB haben, jedoch halten w i r e s fiir fraglich, ob es berechtigt sei, hier yon Reflexen zu spreehen. Im Gegenteil, wir wfirden vorziehen, von einem Ausbleiben der Regulationen zu sprechen. Wenn die vorgestreckten Arme durch Massentr~gheit schwerer werden, so wird eben nicht die entsprechende Gegeninnervation eingesetzt. Die Triigheit wirkt wie ein Gewichtszusatz, der abwiirts zieht, oder wie eine Gewichtsabnahme, ohne dab aber die Muskelinner- vation entspreehend gegndert wiirde.

Wir haben im Protokoll I nicht erwghnt, dab hgufig im Momente des Auffahrens eine Verkfirzung des K6rpers einzutreten scheint. Diese Erscheinung war aber weder konstant noch ausgesprochen. Viel deut- lieher ist~ dab beim Hinunterfahren (Protokoll IV) der KSrper nieht nur leichter wird, sondern sich auch verl~ngert. Es ist gleichsam so, als ob ein Teil des Kopfes die Bewegung nicht oder nicht vollst~ndig mit- machen wfirde und an der Stelle verbleibt. Es handelt sich offenbar um eine Nachempfindung der Kopfstellung, wobei die Naehempfindung Oberhand gewinnt fiber die aktuelle Empfindung der Lage des Kopfes. Diese Vermutung wird zur GewiBheit, wenn man die Erscheirmngen beim Stoppen beriicksichtigt. Es kommt zu einer positiven Nachemp- findung beim Aufw~rtsfahren (welche fibrigens yon M. H. Fischer nicht vermerkt wird) und ebenso beim Hinunterfahren. Diese l~achempfin- dung ist aber dadurch charakterisiert, dab sie ungleich stgrker auf ein Phantom des KSrpers bezogen ist als auf den wirklichen KSrper. Der Eindruck der aktuellen Lage des K6rpers besteht daneben fort. Er ist entweder ruhend oder bewegt sich in weir geringerem und lang- samerem AusmaB. Es ist wiederum charakteristisch, dab das offenbar

1 K6rperinneres und K6rperschema. Z. Neur. 109 (1927).

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taktil und kin~sthetiseh oder auch optisch gegebene aktuelle Bild des K6rpers (man kann diese Versuche mit offenen oder gesehlossenen Augen machen) ffir die Auffassung der Lage des Kopfes keine Bedeu. tung hat. Hingegen ist ffir die Lage der FfiBe die Empfindung der 8ohle yon EinflulL Es kommt also unter dem Einflul3 der Erregungen yon vertikalen Progressivbesehleunigungen zu einer I)issoziation im K6rperbilde in der Form, dab ein Tefl der Substanz des K6rpers im Sinne der positiven Nachempfindung auk dem K6rper heraustritt. Das Heraustreten der Kopfsubstanz aus ihren Biillen is~ hierbei yon einer besonderen Bedeutung. Die heraustretende Substanz ist der Tr~ger der Lokalisation des Ich. Clapar~de 1 hat in einer interessanten Mitteilung gezeigt, daf wir unser Ich im allgemeinen in der B6he der Stirnbasis zu lok~lisieren pflegen, und zwar zwisehen den Augen. Wir haben nur hinzuzufiigen, daf die vestibulare Nachempfindung mit mafgebend fiir diese Lokalisation ist. Wir schgtzen die L~nge unseres K6rpers ein je naeh der aktueUen Empfindung der Fufsohle und der Lokalisation unseres Iehs, die yon der vestibularen Naehempfindung abh~ngig ist. Es muf so zu einer Verl~ngerung und Verkfirzung des K6rpers kommen.

Die positive Besehleunigungsnachempfindung gleieht sich im all- gemeinen wieder aus. Wir k6nnen jedoeh nicht sagen, warum sie sich in der Form ausgleicht, daf der K6rper in einem leicht nach vorn ge- richteten Bogen wieder zuriicksinkt. Die positive l~achempfindung kann, wenn man wiederholt aufw~rts (bzw. abw~rts) gefahren ist, bei vestibular empfindliehen Personen lange Zeit hindureh fortbestehen (Protokoll III und VI). Bier zeigen sich dann die oben besehriebenen Yerl~ngerungen und Verkfirzungen entspreehend der Dissoziation zwi- sehen ,,vestibul~rem Kopf" und ,,realen Beinen" besonders deutlieh.

Augenbewegungsph~nomene sind nach unserer Meinung an diesen Erseheinungen unbeteiligt, denn, im Gegensatz zu M. H. Fischer und Felts und mit G6thlin, haben wir keine Liehtreflexe auf die Augen naeh- weisen k6nnen (Nachbildversuche).

Ein Ph~nomen verdient noch besondere Beaehtung. Nach l~ngerem Hinauf- und Hinunteffahren kommt es zu einem deutlichen Schwanken des KSrpers bei Augenfufsehluf. Da die yon uns verwendeten Aufziige sehr gleiehmgfig fuhren, glauben wir nieht, d a f e s sieh um eine l~ach- wirkung yon Schwankungen handelt, l~eben den besehriebenen spezi- fischen und gerichteten Vestibularis~drkungen der Beschleunigungen kommt es offenbar auch zu unspezifisehen Erregungen des Vestibular- apparates. Noch nieht ver6ffentliehte Untersuchungen yon Eisinger und Sehilder haben ergeben, daft es besonders bei leiehter Vestibularis- erkrankung sehr h~ufig zu einem nicht gerichteten Schwanken kommt,

1 Sur ]a Localisation du Moi. Arch. de Psychol. 19 (1924).

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das in der klinisehen Erscheinungsweise an den Romberg erinnert, yon dem es natfirlich voUst~ndig abzutrennen ist.

Wir k6nnen nach dem gegenw~rtigen Stande unseres Wissens nicht sagen, auf welehe Teile des Vestibularapparates die vertikalen Besehleuni- gungen einwirken. Jedenfalls diiffte aber das Schwanken einer un- spezifischeren Erregung des Labyrinths entsprechen. Es ist yon einem besonderen Interesse, da~ aueh bei diesem unspezifischen Reiz ,,Sub- stanz" aus dem KSrper heraustritt; sie umgibt den Kopf, der hierdurch gr6Ber erscheint. Das ist nebenbei das bekannte Ph~nomen der schein- baren VergrSBerung des Sch~dels nach Alkoholintoxikation. Alkohol hat ja sieherlieh eine betr~chtliche Wirkung auf die vestibul~ren Appa- rate.

Naeh Effahrungen Schilders kann man analoge Ph~nomene wie die bier besehriebenen beim Fliegen, besonders beim pl6tzliehen Auf- und Abgehen des Flugzeuges und aueh bei heftig bewegter See beobachten, wenn das Schiff plStzlieh auf- und abw~rts geht.

Die hier, soweit wir wissen, zum erstenmal besehriebene Disso. ziation des KSrpererlebens unter dem Ein/luB yon Vertikalbesehleuni- gungen, die sieherlieh auf den Vestibularapparat einwirken, ist yon allge- meinerer Bedeutung. Das Erlebnis des K6rperinneren ist im wesentlichen, wie H a r t ~ n n und Schilder gezeigt haben, ein Schwereerlebnis. Die beschriebene Vestibulariserregung dissoziiert die vestibul~ren yon den andersartigen Schwererregungen. Mit der Vestibulariserregung geht ein Tell der ,,Substanz". Es mag ein weehselnder Anteil sein. Er ist phan- tomartig, yon unbestimmten Umrissen; das Phantom enth~lt den Kopfanteil. Das Zentrum der iibrigen Schwerempfindungen liegt, wenig- stens beim Stehenden, in den Beinen. Der KSrper wird leiehter, wenn die iibrige ,,Substanz" vom KSrper subtrahiert wird. Der K6rper wird gleiehsam teilweise entleert. Es handelt sieh nicht einfaeh, wie bereits hervorgehoben, um ein Bestehenbleiben des K6rperbildes an der einen Stelle, wenn ein Wechsel der Position stattfindet, denn das Ph~nomen tritt nur bei Besehleunigungen und nieht bei gleichfSrmiger Bewegung auf. Es kennzeichnet sich auch dadurch als Vestibularisph~nomen, dal~ es sehr h~ufig das Anhalten lange iiberdauert. Es ist also lediglich die Vestibulariserregung, welche die Sehwere des KSrperinnern und damit den K6rper zerspaltet. Oder mit anderen Worten, wir erleben den KSrper nur dann einheitlich, wenn keine besondere Vestibulariserre- gung stattfindet. Ungew6hnliehe Erregung des Vestibularis zerspaltet demnach das K6rpersehema im Sinne Schilders.

II.

Das ist aber gerade das Resultat, zu welehem Schil~er auf Grund der klinisehen Beobachtung einer Angst- und Zwangsneurose gelangt

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war, welche ihren KSrper zerlegt fiihlte und Teile desse/ben in die AuBen- welt zerstreut land 1. In diesem Falle waren deutliche Zeiehen vesti- bul~rer Erregung vorhanden. Auch die nachfolgende Arbeit Schilders zeigt die gleiehe Erscheinung bei einer Alkoholhalluzinose, welche neben vestibulo-optischen Erseheinungen aueh ihren eigenen KSrper zer- sttickt und zerrissen erlebte~. Derartige Befunde geben uns Veran- lassung, uns nach der Bedeutung unserer I~rlebnisse ffir die Patho- logie zu fragen. Schilder und Bauer, Leidler und L6wy haben wiederholt darauf hingewiesen, wie leicht es zu Konversionserscheinungen im Be. reiche des Nervus vestibularis kommen kann. Naeh der Ansicht Sehil- tiers gibt es kaum eine Neurose, bei weleher nieht in mehr oder minder starkem Grade der Vestibularapparat mitbetroffen ist. Nun klagen Neurastheniker sehr h/~ufig, dab etwas in ihrem KSrper aufgeloekert sei, sie sprechen auch yon Blasenbildungen im Kopf und in den Glie- dern, yon einer Leere und yon Verschiebungen im Kopfe, als ob etwas locker wiirde, als ob die Schwere sieh auflSsen wiirde. Es mag daran erinnert werden, dab normale Versuchspersonen die Schwere des KSr- pers manchmal nicht als eine homogene, sondern als eine schaumige Masse erleben. Hier daft aueh bemerkt werden, da$, nach der Meinung Schilders, in der Neurasthenic die Schw/~che des KSrpersehemas eine besondere Rolle spielt. Wo immer eine Vestibulariserregung dureh Konversion auftritt, wird die Geschlossenheit des KSrpers Einbul~e er- leiden. Es steht hier nicht zur Diskussion, welche Triebregungen es vorwiegend sind, die zu solchen Zerlegungen des KSrpers fiihren. Eine Reihe yon klinischen und psychoanalytisehen Erw/~gungen sprechen ftir die Bedeutung des Sadismus.

In einer Melancholic unserer Beobachtung hatte die Patientin, die allerdings unter dem EinfluB yon Allonal und Opium stand, w/~hrend sic ruhig auf dem Diwan lag, das Geffihl, dab gleichzeitig ein Teil yon ihr mit groBer Gewalt im Zimmer herumgeschleudert und bis zur Wand herumgeworfen werde. Fiihlt sieh motorisch erregt, sei wie vervielfi~ltigt. ,,Nieht ieh allein, sondern es war ieh in mehreren Auflagen. Diese Bilder kommen mir leicht vor. Ieh weiB aber, dab ich auf dem Diwan liege. Alles, wasieh sehe, ist so schrecklich bewegt." Diese umhergeschleuderte Gestalt hatte durchaus die Struktur der Phantome, die wir dureh Vesti- bularisreizung erzeugt haben. Es ist bemerkenswert, dab die gleiehe Patientin, die motorisch gehemmt war, manchmal das Gefiihl hatte, sie sei im Zimmer und zerhacke alles in der Wohnung. Wir haben wohl das Recht anzunehmen, dab das Umherfliegen im Raume mit vesti- bul~ren Erregungen im Zusammenhang steht. Die letzt erw~hnte Beob-

1 Unity of the Body, Sadism and Dizziness. Psychoanalytic Rev. 1930. 2 Zur Lehre yon der Vestibulo-optik bei der Alkoholhalluzinose.

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achtung maeht es aueh wahrscheinlich, dal~ auch widerstreitende Im- pulse anderer Art zu solchen Erlebnissen und Zerlegungen fiihren k6nnen. Es ist bemerkenswert, dal~ Selbstzerstiickelungs- und Vernichtungs- phantasien bei der Patientin eine ungemein grol~e Rolle spielten. Es scheint also, dal~ die Vervielfaltigung und die Zerstiickung unter Vesti- bulareinfluB nur einen Spezialfall darstellt und dal~ die Einheit unseres KSrperbildes dann gef~hrdet ist, wenn einander widerstreitende Im- pulse gegeben sind.

Literaturverzeichnis. Fischer, M. H., Die Regulationsfunktionen des menschlichen I~byrinthes.

Miinchen: J. F. Bergmann 1928. (Hier Zusammenstellung der beziiglichen Li- teratur. )