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Delirprävention perioperativ – was hilft? Simone Gurlit Klinik für Anästhesie und operative Intensivmedizin Chefarzt: Prof. Dr. med. M. Möllmann St. Franziskus-Hospital, Münster Fachtagung „Delir im Krankenhaus“ 16.05.2013, Aachen

Delirprävention perioperativ – was hilft? · Stadium 3 nach KDOQI {Mikroalbuminurie yGroße linksbetonte Struma nodosa Grad III {Szintigrafisch V.a. kalten Knoten yHWS-Syndrom

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Delirprävention perioperativ– was hilft?

Simone GurlitKlinik für Anästhesie und operative Intensivmedizin

Chefarzt: Prof. Dr. med. M. MöllmannSt. Franziskus-Hospital, Münster

Fachtagung „Delir im Krankenhaus“16.05.2013, Aachen

Demographischer und sozialer Wandel

Bevölkerungspyramide hinlänglich bekanntBevorstehender demographischer Wandel(?) - ist in den Akutkrankenhäusern längst angekommen

Fakt: mehr und mehr hochaltrige, multimorbide Patienten sind zu versorgen

Quer durch die Disziplinen (das „internistische Polytrauma“ bricht sich das Bein)

S. Gurlit, Münster

89-jährige Patientin

Kardiale Dekompensation mitDCMZ.n. Kunstklappen-AKE bei Aortenektasie und AI 4. Grades 2002

Persistierende Blutung Unterarm rechts nach Hauterosion bei Marcumar-TherapieChronische Niereninsuff. Stadium 3 nach KDOQI

Mikroalbuminurie

Große linksbetonte Struma nodosa Grad IIISzintigrafisch V.a. kalten Knoten

HWS-Syndrom mit Zervikalgien und Myogelosen bds.Z.n. stabilitätserhaltender Spinalkanal-Dekompression L4/L5 mit

Z.n. Neurolyse L5 beidseits 2007

Idee: Hüft-TEP rechts ...S. Gurlit, Münster

... wach, allseits orientiert und freundlich zugewandt!

S. Gurlit, Münster

Demographischer und sozialer Wandel

Immer häufiger: „Nebendiagnose Demenz“Noch häufiger: kognitiv eingeschränkte Patienten ohne entsprechende Diagnose (= Problem nicht bekannt)

organisatorisch – dieser Patient stört unsere Abläufefinanziell - dieser Patient bindet Ressourcen; das ist so nicht in der Vergütungsstruktur abgebildet

S. Gurlit, Münster

St. Franziskus-Hospital

Gefäß-, Bauch- und Endoprothetikzentrum16 Fachabteilungen, ca. 30.000 Narkosen pro Jahr

Patienten über 65 Jahre: 40%

Keine geriatrische / gerontopsychiatrische Fachabteilung!

Ältere Patienten nach Bagatelltrauma als Langzeit-Intensivpatienten wegen Delir „das gibt‘s ganz oft bei alten Leuten nach einer OP“

S. Gurlit, Münster

Delir

Organisches Hirnsyndrom mit• 1. Störung von Bewußtsein und Aufmerksamkeit (Konzentration)

• 2. Störung der Kognition (Halluzination)

• 3. Psychomotorische Störungen (hyperaktiv/hypoaktiv)

• 4. Affektive Störungen (depressiv)

• 5. Störungen des Schlaf-Wach-Rhythmus (nächtl. Exazerbation)

• Wichtig:• akuter Beginn – wer sieht das?• fluktuierende Symptomatik (Tagesschwankungen) – wer erkennt

das?• hyperaktives / hypoaktives Delir – für wen ist das wichtig?

S. Gurlit, Münster

S.

G

• Prävalenz: 10 – 20% der über 65-jährigen bei Aufnahme

• Inzidenz bei über 70-jährigen während des stationären Aufenthaltes: 30-50%

• Nach „hüftgelenksnaher Fraktur“bei über 65-jährigen: 44 – 61%

• aber: rund 60% der Delirien bleiben unerkannt

• ... und dann?Verlängerung des stationären AufenthaltesPoststationär höhere InstitutionalisierungsrateHöhere Mortalität

Wer merkt das?

Delir – Häufigkeit und Relevanz

Delir – Risikofaktoren Förstl, 2004

Hohes LebensalterDemenzSomatische KomorbiditätHör-/SehbehinderungDehydratationAnämieMalnutritionNiedriges SerumalbuminDepression, ÄngstlichkeitAlkoholismusBenzodiazepinabususSchmerzLeichte kognitive StörungEinsamkeitNiedrige Intelligenz

Fremde UmgebungKörperliche BeschränkungImmobilisationStörung d. BiorhythmusPsychoaktive MedikamenteEntzugElektrolytentgleisungAkute InfektionArterielle HypotonieHypo- u. HyperglykämieOrganversagenRe-Operation, BlutverlustIntensivpflichtigkeitAnticholinergikaChirurgischer Eingriff

S. Gurlit, Münster

Hohe Prädisposition Geringe Noxe

Geringe Prädisposition Hohe Noxe

Risikofaktoren vs Krankenhausalltag

Wiederholte RaumwechselLaute und unruhige SituationenDiagnostische Maßnahmen zu Ruhe- und EssenszeitenKatheteranlageInvasiv-endoskopische Diagnostik u. TherapieMedikamentenumstellungUnkritische Sedativa-Gabe zur Nacht

S. Gurlit, Münster

Medikamente mit delirogenem Potenzial

Antipsychotika BenzodiazepineParkinson-Medikamente AntidepressivaAntikonvulsiva BronchodilatantienAnalgetika: Opioide, NSAR, ASS Kortikosteroide HerzglykosideAntiarrthythmika AntiinfektivaAntihypertensiva: ACE-Hemmer, Diuretika

S. Gurlit, Münster

Was tun?

2001 Modellprojekt des BMG (170.000 €):

MaMaßßnahmen zur Verhinderung eines nahmen zur Verhinderung eines perioperativenperioperativen AltersdelirsAltersdelirs

Prinzip: eine vertraute, besonders geschulte Bezugsperson (Altenpflegerin) begleitet den Patienten perioperativ

Ambulanz / Rö-EKG-etc. / Schleuse / Einleitung / OP /ICU / periphere Station

S. Gurlit, Münster

Ergebnisse

S. Gurlit, Münster

Diagnosis Patients

(n)

Age

(mean, yrs)

Delirium

(n)

Delirium

(%)

Emergency surgery 444 81.57 34 7.66

Femoral neck # 389 82.33 27 6.94Humeral # 55 80.81 7 12.7

Planned orthopaedic surgery 556 78.28 28 5.04

Hip arthroplasty 388 78.10 21 5.41Knee arthroplasty 168 78.45 7 4.17

Vascular surgery 603 77.86 40 6.63Aortic aneurysm 79 74.34 6 7.60

Carotid artery 163 78.35 4 2.45Others 361 80.88 30 8.31

Major abdominal surgery 305 79.88 22 7.21

Others 561

2469 79.02 142 5.75

Konsequenz

Nach Ablauf der Förderung durch das BMG führt das SFH die Arbeit seit Jahren weiter (rechnet sich!)

2007: Förderpreis zur Optimierung der Pflege psychisch kranker alter Menschen (FOPPAM), verliehen von der Deutschen Gesellschaft für Gerontopsychiatrie und –psychotherapie (DGGPP)2008: Gesundheitspreis NRW (1. Platz), verliehen vom Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales2012: www.mgepa.nrw.de: Broschüre als Download

S. Gurlit, Münster

Versorgungsqualität

Entscheidend: Grad kognitiver Einschränkungen und demenz-/depressionsbedingter Verhaltens-auffälligkeiten vor dem KH-Aufenthalt (wird z.Zt. nicht untersucht!)

Fremde Umgebung und erzwungene Untätigkeit im Krankenhaus führen dann zu

Verlust von alltagspraktischen Fähigkeiten,komplikationsbehafteten Verläufen, längerer Verweildauer im Krankenhaus und häufig auch dauerhafter Abhängigkeit von institutioneller Pflege

S. Gurlit, Münster

Risiko: Notfallaufnahme

Leuchtturm Demenz: Risiko „Operation“ bei vorbestehender kognitiver Einschränkung (2008-2010)Einschlußkriterien: Notfall, Unfallchirurgischer Patient, OP-pflichtige Fraktur, Alter 65+

kognitiver Test (in der Ambulanz, TFDD)

Bei Auffälligkeiten: Betreuung (etabliertes Konzept) + ambulantes Angebot (hochfrequente Physiotherapie, Pflegedienst für max. 10 d)Vergleichsklinik: Screening, Routineprocedere

S. Gurlit, Münster

Ergebnisse

Einschlußkriterien erfüllt: n=554 PatientenEingeschlossen: n=348 (KH1 n= 265; KH2 n=83)Nach hüftgelenksnaher #: n=254

Aufnahmekognition auffällig bei über 70%; in beiden KH mehr als 50% deutlich kognitiv eingeschränktPat. in KH 1 signifikant mehr Vorerkrankungen als Pat. in KH 2Delir-Rate (nur erfasst in KH 1): 11.38%

S. Gurlit, Münster

Ergebnisse Leuchtturm

betreut nicht betreut

Verstorben im KH 3.25% 12.12 %(p=0.04 bzw. 0.06)

Verweildauer 15.6 d 20.3 d (p=0.013)Kognitive

Verbesserung zur Entlassung

78.15% 58.62% (p=0.03)

Weitere kognitive Verbesserung nach

6 Monaten

40.4% 20% (p=0.058)

S. Gurlit, Münster

Kosten-Nutzen-Analyse

Mikro- u. makroökonomisch effektiv und effizientEinzelwirtschaftlich: durch Liegezeitverkürzung, weniger risikobehaftete Verläufe, geringere Ressourcenbindung sogar überkompensiert (Deckungsbeitrag)Kapazitäten für Behandlung weiterer Patienten

Echter Mehrwert für Patienten und Angehörige wird zu wettbewerbsrelevantem Vorteil im Umland

S. Gurlit, Münster

Zusammenfassung

Entscheidende Weichenstellung für den Patienten im Krankenhaus

Kognitiv eingeschränkte oder demente Patienten präoperativ systematisch identifizieren

Perioperative Versorgung auf diese vulnerable Patientengruppe abstimmen(berufsgruppenübergreifend!)

S. Gurlit, Münster

Perioperatives Management

„dran denken“ – also geriatrische Kompetenz von Anfang anAnästhesie (Vorbereitung OP-Tag / Nahrungskarenz, Einleitung, intraoperatives Management, Aufwachraum, ICU, leitliniengerechtes Delir-Screening,...)Chirurgie (Planung OP-Reihenfolge, belastungsstabile Frakturversorgung...)Geriatrie-Team o.ä. (perioperative Betreuung)Schmerztherapie / NeurologiePhysiotherapieKrankenhausapotheker: „die Pharmazeutische Aufnahme“

Plausibilitätskontrolle, Interaktionscheck, Dosiskontrolle, Anpassung auf Krankenhausmedikation

S. Gurlit, Münster

Dies erfordert?

Bekenntnis aller am Prozess beteiligten Personengruppen

Besondere Ablaufstrukturen für diese neu zu definierende Patientengruppe (Spielregeln!, verbindliche Absprachen, Schulung)

Veränderungen bisher etablierter und ggf. lieb gewonnener Prozesse

S. Gurlit, Münster