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15 »Mehr als mein halbes Leben lang hat man mir neben allen möglichen treffenden oder weniger treffenden Bezeichnungen auch das Etikett ›Achtundsechziger‹ angeheftet. Seit ein paar Jahrzehnten wird gern auch noch ein mitleidig betontes Adjektiv ›alt‹ davorgesetzt. Das trifft mich nicht, ich bin nie ein Achtundsechziger gewesen. Ich bin ein Siebenund- sechziger, meinetwegen auch gern ein alter. 1967, das war mein Jahr!« Reinhard Mey, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2. Januar 2017, S. 7 Im Mai 1963 geht in Deutschland die Theorie in Serie. Der Tod des re- nommierten Verlegers Peter Suhrkamp – eines expliziten Gegners von Großauflagen in der Buchkultur, wie sie mit dem aufkommenden Paper- back einhergingen – gab für seinen Nachfolger Siegfried Unseld den Weg frei zur Gründung der ›edition suhrkamp‹. Das grafische Konzept des Umschlags im farbigen Regenbogenspektrum (Meinungsvielfalt) über grauem Karton (qualitative Solidität) bei gleichbleibender Typografie sowie die Entscheidung, literarische und philosophische Titel parallel zu verlegen, ermöglichte vorher nicht gekannte Reichweiten in die theorie- und literaturaffine Gesellschaft hinein. 1 Die Bände 1 und 2 stehen para- digmatisch für diesen Ansatz: Bertolt Brechts ›Leben des Galilei‹ und Ludwig Wittgensteins ›Tractatus logico-philosophicus‹. Es folgt im Juli 1963 Walter Benjamins kunstsoziologischer Essay ›Das Kunstwerk im Zeit- alter seiner technischen Reproduzierbarkeit‹, der damit – nach der deut- schen Erstveröffentlichung 1955 in der von Theodor W. und Gretel Adorno herausgegebenen zweibändigen Ausgabe der Schriften Benjamins – erst- mals einer breiten deutschen Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird. 1964 erscheinen unter dem Titel ›Einzelheiten‹ Hans Magnus Enzens- bergers grundlegende Analysen zur Dialektik von Literatur und Politik, Kunst und Gesellschaft sowie zum Produktionsprozess – nicht von Waren, sondern von Bewusstseinsinhalten. »Die Bewußtseins-Industrie«, schreibt Enzensberger, »ist die eigentliche Schlüsselindustrie des 20. Jahrhun- derts.« 2 Herbert Marcuses Texte zu ›Kultur und Gesellschaft I‹, erschienen 1965, sollten sich dann schon rund 80.000 Mal verkaufen. Ein nächster, folgenreicher Schritt der gesellschaftlichen Etablierung von Theorie im Taschenbuchformat und im seriellen Design buchgrafischer ›Minimal Art‹ gelingt Siegfried Unseld 1965 mit der Gründung der Reihe ›Theorie‹, die jedoch erst mit der Umfirmierung in ›suhrkamp taschenbuch wissenschaft‹ richtig Fahrt aufnehmen sollte. Von Beginn sah das Kon- zept der Buchreihe konkurrierende theoretische Ansätze aus Linguistik und Literaturwissenschaft, Philosophie und Wissenschaftsgeschichte, Soziologie und Naturwissenschaft vor – eine veritable Ausweitung des ›Theoriegeländes‹ und zugleich phänotypisch für die mittleren 1960er- Jahre, in welchen auch Ethnologie und Psychoanalyse, Filmtheorie und Archäologie gleichberechtigter Ausdruck und Modi eines neuen Bewusst- seins werden. »Bewusstseins-Industrie«, so erinnert sich Paul Maenz, »trifft die damalige Sachlage und war nicht zuletzt der Kern des von uns empfundenen allge- meinen ›Ungenügens‹, gleichermaßen Kunst wie Gesellschaft betreffend. Wir litten an der schwärmerisch-hedonistischen, wolkigen Begleitmusik, wie sie Zero und Neue Tendenzen noch umgab. Roehrs Überlegungen zeugen dementsprechend immer wieder von einem Verlangen nach Der Aufbruch der Siebenundsechziger RENATE WIEHAGER Reihe ›edition suhrkamp‹, Mai 1963 bis heute

Der Aufbruch der Siebenundsechziger...herausgegebenen zweibändigen Ausgabe der Schriften Benjamins – erst-mals einer breiten deutschen Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird

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Page 1: Der Aufbruch der Siebenundsechziger...herausgegebenen zweibändigen Ausgabe der Schriften Benjamins – erst-mals einer breiten deutschen Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird

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»Mehr als mein halbes Leben lang hat man mir neben allen möglichentreffenden oder weniger treffenden Bezeichnungen auch das Etikett

›Achtundsechziger‹ angeheftet. Seit ein paar Jahrzehnten wird gern auchnoch ein mitleidig betontes Adjektiv ›alt‹ davorgesetzt. Das trifft mich

nicht, ich bin nie ein Achtundsechziger gewesen. Ich bin ein Siebenund-sechziger, meinetwegen auch gern ein alter. 1967, das war mein Jahr!«

Reinhard Mey, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2. Januar 2017, S. 7

Im Mai 1963 geht in Deutschland die Theorie in Serie. Der Tod des re -nommierten Verlegers Peter Suhrkamp – eines expliziten Gegners vonGroßauflagen in der Buchkultur, wie sie mit dem aufkommenden Paper-back einhergingen – gab für seinen Nachfolger Siegfried Unseld den Wegfrei zur Gründung der ›edition suhrkamp‹. Das grafische Konzept des Umschlags im farbigen Regenbogenspektrum (Meinungsvielfalt) übergrauem Karton (qualitative Solidität) bei gleichbleibender Typografiesowie die Entscheidung, literarische und philosophische Titel parallel zuverlegen, ermöglichte vorher nicht gekannte Reichweiten in die theorie-und literaturaffine Gesellschaft hinein.1 Die Bände 1 und 2 stehen para-digmatisch für diesen Ansatz: Bertolt Brechts ›Leben des Galilei‹ und Ludwig Wittgensteins ›Tractatus logico-philosophicus‹. Es folgt im Juli1963 Walter Benjamins kunstsoziologischer Essay ›Das Kunstwerk im Zeit-alter seiner technischen Reproduzierbarkeit‹, der damit – nach der deut-schen Erstveröffentlichung 1955 in der von Theodor W. und Gretel Adornoherausge gebenen zweibändigen Ausgabe der Schriften Benjamins – erst-mals einer breiten deutschen Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird.1964 erscheinen unter dem Titel ›Einzelheiten‹ Hans Magnus Enzens -bergers grundlegende Analysen zur Dialektik von Literatur und Politik,Kunst und Gesellschaft sowie zum Produktionsprozess – nicht von Waren,sondern von Bewusstseinsinhalten. »Die Bewußtseins-Industrie«, schreibtEnzensberger, »ist die eigentliche Schlüsselindustrie des 20. Jahrhun-derts.«2 Herbert Marcuses Texte zu ›Kultur und Gesellschaft I‹, erschienen1965, sollten sich dann schon rund 80.000 Mal verkaufen.

Ein nächster, folgenreicher Schritt der gesellschaftlichen Etablierung vonTheorie im Taschenbuchformat und im seriellen Design buchgrafischer›Minimal Art‹ gelingt Siegfried Unseld 1965 mit der Gründung der Reihe›Theorie‹, die jedoch erst mit der Umfirmierung in ›suhrkamp taschenbuchwissenschaft‹ richtig Fahrt aufnehmen sollte. Von Beginn sah das Kon -zept der Buchreihe konkurrierende theoretische Ansätze aus Linguistikund Literaturwissenschaft, Philosophie und Wissenschaftsgeschichte, Soziologie und Naturwissenschaft vor – eine veritable Ausweitung des›Theoriegeländes‹ und zugleich phänotypisch für die mittleren 1960er-Jahre, in welchen auch Ethnologie und Psychoanalyse, Filmtheorie undArchäologie gleichberechtigter Ausdruck und Modi eines neuen Bewusst-seins werden.

»Bewusstseins-Industrie«, so erinnert sich Paul Maenz, »trifft die damaligeSachlage und war nicht zuletzt der Kern des von uns empfundenen allge-meinen ›Ungenügens‹, gleichermaßen Kunst wie Gesellschaft betreffend.Wir litten an der schwärmerisch-hedonistischen, wolkigen Begleitmusik,wie sie Zero und Neue Tendenzen noch umgab. Roehrs Überlegungenzeugen dementsprechend immer wieder von einem Verlangen nach

Der Aufbruch der SiebenundsechzigerRENATE WIEHAGER

Reihe ›edition suhrkamp‹, Mai 1963 bis heute

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Begrifflichkeit, nach ›Struktur‹. Ausdruck dessen ist eben auch die Aus-stellung ›Serielle Formationen‹. Schade, dass Peter Art & Language undden analytischen Flügel der Conceptual Art nicht mehr erlebt hat. Vieles,was uns damals – auch gesellschaftspolitisch – umgetrieben hat, kam jada – im Sinne des Wortes – tatsächlich zur Sprache.«3

Die hier angeschnittenen Themen, Namen und Titel, die Diskurs- und Publikationsformate sind meines Erachtens der geistige Horizont, vor welchem die Ausstellung ›Serielle Formationen‹ ihre spezifische histori-sche Relevanz entfaltet – herausgelöst aus der Chronologie des engen Zirkels der Kunstwelt der Zeit. Die nichthierarchische Nachbarschaft, derfachübergreifende Diskurs unterschiedlicher Denk-, Literatur- und Wissen -schaftstraditionen der legendären ›Suhrkamp-Kultur‹, fand, bezogen aufdie künstlerischen Trends der Zeit, in der 1967 von Paul Maenz und PeterRoehr kuratierten Schau ihren Ausdruck in einer Ismen und Stile, Gruppenund Nationalitäten, Medien und Prozesse konsequent über greifendenKonzeption. Dabei wurde, und das ist entscheidend, auf eine analytischeDurchdringung des künstlerischen Materials hinsichtlich struktureller und ideeller Gemeinsamkeiten, die den Sound der Zeit ›hörbar‹ und an- schaulich machen, nicht verzichtet. Vielmehr wurden diese im Konsta -tieren ›Serieller Formationen‹ als materieller Ausdruck geistigerPositionierung sichtbar gemacht. »Künstlerische Aktion und Reaktion werden provoziert durch die unmittel-bare Umwelt«, so Maenz/Roehr in ihrer Einleitung zum Katalog ›SerielleFormationen‹, 1967. »[D]as trifft auf die verarbeiteten Themen ebenso zuwie auf das verwendete Material oder den Aufbau der Werke selbst. Aktu-elle, gegenwartsnahe Werke und andere Äußerungen von Künstlern, diein Industrieländern leben, sind natürlich nicht etwa uniform oder ge-normt. Die Qualität künstlerischer Produkte scheint trotz aller aktuellenVerbindlichkeit auch darin zu liegen, daß sie unverwechselbar sind. Unter diesen Aspekten erscheint folgende Feststellung interessant: Siehtman sich die Kunst der letzten 10 Jahre an, so macht man eine über -raschende Entdeckung. Trotz rasch wechselnder Tendenzen, Stile undkurzlebig blühender Ismen, trotz der von Fall zu Fall unterschiedlichen Probleme und Konzepte findet man mühelos eine Gemeinsamkeit in vielen dieser Werke: serielle Formationen der Bildmittel. Ungeachtet derjeweiligen Thematik ist mit vergleichbaren Methoden des Bildaufbausgear beitet worden. Natürlich lassen sich solche Phänomene auch kunsthistorisch beschrei-ben und chronologisch belegen. Aber dass in einer Umwelt, wo Existenzund Qualität lebensnotwendiger Erzeugnisse davon abhängen, ob sie inhohen Auflagen, in Serien produziert werden, Künstler gegensätzlichsterDenkungsart plötzlich und oft unabhängig voneinander sich serieller Formationen bedienen, ist mit Gewissheit nicht ausschließlich ästhe tischerklärbar.«4

Peter Roehr hinterließ nach seinem Tod 1968 eine schmale Bibliothek, inwelcher sich annotierte Exemplare von Benjamins ›Kunstwerk‹-Essay undWittgensteins ›Tractatus‹ aus der ›edition suhrkamp‹ fanden. Ein von Roehrunterstrichener und herausgehobener Satz aus dem Benjamin-Essay lautet: »Die technische Reproduzierbarkeit des Kunstwerks emanzipiertdieses zum ersten Mal in der Weltgeschichte von seinem parasitären Dasein im Ritual.« Und im Wittgenstein-›Tractatus‹ markiert er den Satz:»Eine Hierarchie der Formen der Elementarsätze kann es nicht geben. Nur was wir selbst konstruieren, können wir voraussehen.«5

Warum heute, 2017, eine Re-Inszenierung von ›Serielle Formationen‹,1967?Warum heute eine Re-Inszenierung der Ausstellung ›Serielle Formatio-nen‹, kuratiert 1967 von Paul Maenz und Peter Roehr und eingerichtet fürnur knapp fünf Wochen (22. Mai bis 30. Juni 1967) in der Studio Galerieder Universität Frankfurt? Genauer: in der ›Galerie der Studentenschaftder Johann Wolfgang Goethe-Universität, Stiftung Studienhaus, Leitung:Siegfried Bartels‹. Eine Ausstellung, die – anders als die 1969 von HaraldSzeemann verantwortete ›Attitudes‹-Schau – in den Übersichtsdarstellun-gen zur deutschen Kunst des 20. Jahrhunderts nicht vorkommt? Um nur drei, sehr unterschiedliche Beispiele für die fehlende Resonanzauf diese bedeutende Ausstellung zu nennen: Werner Hofmann verhan-delt in seinen 1987 publizierten ›Grundlagen der modernen Kunst‹ wederdas Phänomen ›Serialität‹ noch begegnet der Name von Peter Roehr.6

Rund zwei Jahrzehnte später vermitteln zwei umfangreiche Publikationenmit dem Titel ›Das XX. Jahrhundert‹ zwar ein facettenreiches Bild derKunstentwicklungen (und der Aufbruchsstimmung in der Kunst um 1967),›Serielle Formationen‹ oder der Name ›Roehr‹ bleiben allerdings Fehlan-zeige.7 2002 erscheint die erste Auflage des ›DuMonts Begriffslexikon zur zeitgenössischen Kunst‹ noch ohne einen Eintrag zum Thema ›Serialität‹. Erst in der zweiten Ausgabe 2014 ist dem Thema ein aus -führlicher Beitrag gewidmet – allerdings kommt der Name Peter Roehrauch hier nicht vor.8

Aber auch drei Gegenbeispiele sollen angeführt werden: Willy Rotzler erwähnt 1977 Peter Roehr in seinem Grundlagenwerk ›Konstruktive Kon-zepte‹ unter dem Stichwort ›Text – Buchstabe – Bild‹.9 Eine wahrhafteWeggefährtin hat Roehr seit den 1970er Jahren in der einflussreichenKunstwissenschaftlerin Karin Thomas gefunden, die ihn in diversen Über-blicksdarstellungen zur Kunst des 20. Jahrhunderts stets prominent undmit Bild vorstellt.10 »In puristischer Schärfe«, so das Urteil von Thomas1985, »wurde sie [die serielle Reihe, Anm. d. Verf.] jedoch in Deutschlandnur bei dem Frankfurter Peter Roehr zur Anschauung gebracht. So wurdeRoehr hier trotz seines frühen Todes im Jahre 1968 zu einer wichtigen Vermittlerfigur für konzeptuelle Kunst, da er sich konsequent auf ›unvari-ierte, lückenlose Reihungen‹ konzentriert hatte. Seine ›kompositionslosenAdditionen‹ bauten sich ebenso aus Typo- und Textelementen wie auchaus Filmsequenzen, Werbesprüchen, Objekten und Fotomaterialien auf.«11

Auch Elke Bippus stellt im Vorwort ihrer Publikation ›Serielle Verfahren:Pop Art, Minimal Art, Conceptual Art und Postminimalismus‹, 2003, dieFrankfurter Schau von 1967 und die zeitgleiche Ausstellung ›Art in Series‹des Finch College Museum als wegweisend vor; Peter Roehr wird alsKünstler allerdings eher beiläufig erwähnt.12

Also noch einmal die Frage: Warum heute, 2017, eine Re-Inszenierungvon ›Serielle Formationen‹, 1967? Dazu acht triftige Argumente:– Die Schau formuliert ein Punktum zwischen stilistisch ausdifferenziertenabstrakten Tendenzen der Zeit und dem Übergang zum Postinformell.– Es ist eine der wichtigsten von KünstlerInnen kuratierten Ausstellungender 1960er-Jahre.– Das klassische Medium ›Ausstellung‹ wird zu einem Diskursformat, welches die Fixierung auf das museale, handelbare Kunstobjekt auflöstzugunsten einer Auffassung von Kunst als temporäre Plattform zur Diskussion zeitgenössischer Phänomene.– Es ist die erste Ausstellung, die amerikanische Positionen der Concept Art mit führenden europäischen Vertretern der Abstraktion zusammen -bringt, parallel den Blick öffnend auf Pop, Fluxus und Minimal.– ›Serielle Formationen‹, 1967, postuliert in der nicht-hierarchischen Präsentation paralleler Phänomene die strikte konzeptuelle Basis allerkünstlerischen Produktion ›nach Duchamp‹ – gemäß der Aussage von Joseph Kosuth.– Zeitgenossen Roehrs wie die KünstlerInnen Hans Breder, Hal Busse, Bernhard Höke, Wolfgang Schmidt, Michael Steiner oder die gruppe xsind neu oder wieder zu entdecken.

Einladungskarten zu Veranstaltungen undAusstellungen in der Studio Galerie

der Universität Frankfurt Mitte unten: Konzert Nam June Paik und

Charlotte Moormann, 1966

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– Die amerikanische Kunstgeschichte beginnt gerade erst – nach der Wiederentdeckung der europäischen ZERO-Avantgarde im Jahr 2015 imNew Yorker Guggenheim – zentrale Positionen der deutschen Kunst der1960er-Jahre, wie Charlotte Posenenske, Peter Roehr oder Franz ErhardWalther, in neuer Qualität zu diskutieren und auszustellen.13

– Die zeitgenössische internationale Kunst rezipiert ›Serielle Formationen‹,wie sie um 1967 diskutiert und künstlerisch formuliert wurden, aktuell neu.

›Serialität‹ 1967 – ein transatlantischer Diskurs

A. Serialität 1967 – der europäische KontextWo sollte man ansetzen, um den kunsthistorischen Kontext zu dem vonPaul Maenz und Peter Roehr 1967 gewählten Ausstellungstitel zu bestim-men? John Coplans formuliert 1968 für die von ihm für das Pasadena ArtMuseum kuratierte Ausstellung ›Serial Imagery‹ einen denkbar weitenBogen: Sein Essay beginnt bei Claude Monets 33 Variationen der Kathe-drale von Rouen, 1892–94, um bei Marcel Duchamps Trois Stoppages Éta-lons, 1913–14, und Gertrude Steins Gedicht Rose is a Rose is a Rose is aRose, 1922, für eine erste Fundierung des Themas anzukommen. WeitereExponenten europäischer Tradition von ›Serial Imagery‹ sind für ihn Wassily Kandinsky, Josef Albers, Piet Mondrian, Arnold Schönberg undYves Klein, der Schwerpunkt seiner Ausführungen liegt jedoch bei denVertretern des ›New American Painting‹: Ad Reinhardt, Frank Stella, Kenneth Noland, Ellsworth Kelly. Mit Andy Warhol und Larry Bell unter-nimmt der Kurator und Autor Coplands eine Positionierung bezogen aufdie zeitgenössische Szene des West-Coast-Minimalism (Bell) und der NewYorker Pop Art (Warhol).14

Für Paul Maenz/Peter Roehr, die Kuratoren der Frankfurter Universitäts-ausstellung, dürfte eine solche kunsthistorische Absicherung keine Rollegespielt haben. Ihre Aufmerksamkeit galt den Ausstellungen und theore-tischen Standortbestimmungen ihrer unmittelbaren Gegenwart oder jüng-sten Vergangenheit. Maenz/Roehr schreiben dazu im einführenden Text des 1967er-Kataloges:»Die Herkunftsbereiche des Gezeigten sind nicht immer klar zu umreißen,aber etwas verallgemeinernd lässt sich sagen, daß die Arbeiten folgendenRichtungen entstammen: Neue Tendenzen, Neuer Realismus, Pop Art,Optical Art und Minimal Art. Die Künstler leben in den verschiedenstenLändern Europas und den USA. Unter dem Begriff ›Serielle Formationen‹haben wir verschiedene Bildordnungen zusammengefasst, z. B. Reihun-gen, Ansammlungen, Wiederholungen, Kombinationen, Variationen, Per-mutationen usw. Innerhalb mancher Arbeiten gibt es Überschneidungendieser Möglichkeiten, aber grundsätzlich ist in jedem Fall die Verarbei-tung mehrerer gleicher oder ähnlicher Elemente wesentlich.«15

Beginnen wir für einen knappen Rundblick mit den bedeutendsten Mani-festationen aus dem Kontext von europäischer ZERO-Avantgarde und frü-hem deutschen Minimalismus. Peter Roehr (1944–1968) war 1957 zu jung,als dass er die viel diskutierte Ausstellung ›Proposte monocrome, epocablu‹ von Yves Klein in der Mailänder Galerie Apollinaire selbst hättesehen können: Klein stellte elf monochrom blaue Bildobjekte aus – imgleichen Format, jedoch angeboten zu unterschiedlichen Preisen, womiter den ›materiellen‹ Wert ad absurdum führen, den ›immateriellen‹ Wertseiner Werkauffassung jedoch provokant zur Diskussion stellen wollte.16

Aber die Diskussion um Kleins spirituelle Auffassung von Monochromieund Serialität war auch im Rheinland um 1960 präsent (1957 eröffnet Alfred Schmela seine Galerie mit einer Ausstellung verschiedenfarbigerMonochrome von Klein; im selben Jahr beginnt der Künstler die Arbeit anseinen monumentalen Schwammreliefs für das Musiktheater Gelsen -kirchen). Zeitgleich werden Monochromie und Serialität auch in den USAentdeckt, wo die Galerien Castelli (in New York) und Dwan (in Los Angeles)1961 große blaue Monochrome im seriell identischen Format von YvesKlein zeigen, die dieser unter anderem vor Ort neu produziert hatte. ZweiJahre nach der Klein-Ausstellung zeigt Ad Reinhardt formal identischequadratische schwarze Bilder in der Dwan Gallery.Einer der Gäste im Rahmen der Eröffnung von Yves Kleins Ausstellung›Proposte monocrome, epoca blu‹ (Galerie Apollinaire, Mailand, 1957) istder junge Piero Manzoni, der zu dieser Zeit noch informell geprägte Bildermalt. Rund zwei Jahre später, am 4. Dezember 1959, eröffnet er die GalerieAzimut in Mailand mit der Ausstellung ›12 linee di lunghezza variante

Ausstellungsansicht Yves Klein ›Proposte monocrome, epoca blu‹ Galerie Apollinaire, Mailand, 1957

Ausstellungansicht ›Ad Reinhardt: Recent Square Paintings‹ Dwan Gallery, Los Angeles, 1963

Ausstellungsansicht ›Yves Klein: Le Monochrome‹ Dwan Gallery, Los Angeles, 1961

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Hälfte der 1960er-Jahre zwischen Frankfurt, Brüssel, Paris, Antwerpen,Amsterdam oder Den Haag selbst besucht oder über die Medien rezipierthatten, waren diese Aspekte von Serialität in allen Spielarten präsent.

Aus der Reihe der KünstlerInnen, welche die Kuratoren zur FrankfurterSchau eingeladen haben, sei hier noch einmal auf Piero Manzoni ver -wiesen, der innerbildliche Serialität existenziell auflädt (Lebenszeit/Kör-pererfahrung/Spuren physischer Handhabe des Materials etc.). Das in derAusstellung/Reinszenierung im Daimler Contemporary gezeigte Achrome,1959, aus genähten Leinenquadraten ist eines der Exponate von 1967.Das Leinen wurde so vernäht, dass eine potenziell unendliche, offeneStruktur als physisches Prinzip serieller Modularität entsteht. Über diese›farblosen‹ Monochromien und ihre konzeptuelle Nähe zu den zeitgleichentstehenden Linien schreibt Manzoni 1960: »Kann diese unbestimmte(nur lebendige) Fläche aufgrund der materiellen Gegebenheit des Werkesauch nicht unendlich sein, so ist sie doch zweifellos undefinierbar, bis insUnendliche wiederholbar, ohne Unterbrechung der Kontinuität. Dies wirdnoch deutlicher bei den Linien; hier existiert nicht einmal mehr das mög -liche Missverständnis des Bildes: Die Linie entwickelt sich nur in derLänge, sie läuft ins Unendliche, die einzige Dimension ist die Zeit.«19

Ein weiteres Beispiel liefert Enrico Castellani – 1959 gemeinsam mit Manzoni Mitbegründer der Galerie Azimut in Mailand –, der mit seriellenNagelreihungen und Stoffverspannungen plastisch-haptische Bildobjekteanlegt, die häufig auch mit expliziten Licht-Schatten-Strukturen arbeiten.Von mathematischer Nüchternheit geprägt ist im Vergleich dazu das 1961entstandene Relief Seriell betont von Klaus Staudt. Staudt, aus dem Um-feld der Münchner ›galerie nota‹ und den ›nouvelles tendances‹ kommend,lehrte 1967 an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach nahe Frankfurt.Das Relief repräsentiert einen rationalen Gestaltungsprozess der aufeinem Strukturfeld mit Quadratrasterung und einer organisierten Anzahlvon Mikroelementen basiert.

Parallel zu den beschriebenen abstrakten ›seriellen Formationen‹ arbeitenKünstler in Europa – unter dem Einfluss des Werkes von Marcel Duchamp,dessen Rezeption in dieser Zeit erst beginnt, sowie im Umfeld von ›Nou-veau Réalisme‹, Fluxus und früher Pop Art – auch mit Alltagsmaterialien,Medienbildern und Konsumprodukten. Ein repräsentatives Beispiel hier-für, das ebenfalls 1967 in der Frankfurter Ausstellung in einer verwandtenVersion gezeigt wurde, ist Players, 1961, von Jan Henderikse, einem Mit-begründer der holländischen Gruppe Nul. Rund 20 Assemblagen und serielle Reliefs des Frühwerks dieses Künstlers sind aus dem Zeitraum1960/61 erhalten. Die Assemblagen bestehen zumeist aus kleinteiligemPlastikmüll, wie Henderikse ihn angeschwemmt am Strand oder an denUfern des Rheins gefunden haben mag. Die Fundstücke sind entweder auf neutrale Untergründe oder in gebrauchte Gemüse- oder Obstkisten eingeklebt. Neben den überwiegend chaotischen Alloverstrukturen in derGruppe der frühen Assemblagen reflektiert die serielle Reihung von Zigarettenschachteln in Players eher die zeitgenössische ZERO-Ästhetik

tra i 33,63 e i 4,89 metri‹ [12 Linien variierender Länge von 33,63 – 4,89 m],unübersehbar eine konzeptuell fundierte Antwort auf die elf blauen Mono-chrome Yves Kleins. Zwölf Kartonzylinder annähernd gleicher Größe vari-ieren nur in der auf dem Etikett eingetragenen Länge der jeweils darinverschlossenen, gezeichneten Linie – und sie variieren im Preis zwischen25.000 und 80.000 italienischer Lire.17

Von heute aus gesehen, formulieren die Ausstellungen von Yves Klein undPiero Manzoni in Mailand 1957/1959 die europäischen ›Gründungsdoku-mente‹ einer konzeptuellen Auffassung von Bildlichkeit und der Auflösungdes klassischen Tafelbildes in der Serialität abstrakter Werkorganisation.Man kann von hier aus den Bogen zu den zehn Schwarzen Tafeln vonPeter Roehr aus dem Jahre 1966 schlagen: schwarz beschichtete, recht-eckige Kartonformen, aufmontiert auf Aluminiumplatten mit den Maßen120 x 120 cm. Vergleichbar den Strategien Yves Kleins und Piero Manzonisthematisiert auch Roehr das Verhältnis von ›konzeptuell-geistigem‹ An-spruch und banalem Konsumwert seiner Tafeln: Die Einladungskarte zurSchau annonciert die Preiskategorien je nach Bestellgröße und fungiertzugleich als Bestellcoupon. »Jedes Objekt gibt es in mehreren Exemplarenund verschiedenen Größen. (Entsprechend dem Geldbeutel, der Woh-nungsgröße etc.) Sie kaufen also keine Multiples, die normalerweise we-niger wert sind als die Unikate eines Künstlers. Weil es von Roehr keineUnikate gibt«, so Roehr in der Einladung zur Ausstellung.18

Spezifisch an den hier gewählten Eckpunkten ist, dass alle drei Künstlermit weitgehend unvariierten Reihungen arbeiten und den immateriellenWert einer künstlerischen Konzeption gegen den Marktwert eines Werkesausspielen. Das unterscheidet sie vom Phänomen des Arbeitens in Serienbei den ZERO-Künstlern, den geometrisch-konstruktiven Tendenzen odervon frühen Aspekten von Pop und Minimal Art, wie sie in den 1960er-Jahren in europäischen Ausstellungen vorgestellt wurden.

Für die historische Ausstellung ›Serielle Formationen‹ spielen mehrteiligeBild- oder Objektserien keine entscheidende Rolle, wie aus dem Werk -verzeichnis des Kataloges ersichtlich ist – vermutlich aufgrund der begrenzten räumlichen Möglichkeiten der Studio Galerie und der Notwen-digkeit zur Einsparung von Transportkosten. Ausnahmen: Jan Dibbetsund Kuno Gonschior, die drei- bzw. zweiteilige Bildobjekte gleichen Formats zeigen, Bernhard Höke, der mit Vier Kleinserien Wasserhände,1963, beteiligt ist, Konrad Lueg mit einer Anordnung aus 19 Flächen in 14 verschiedenen Mustern und Farben, 1967, sowie Charlotte Posenenskemit einer Kombination aus vier gleichen Elementen, 1967, aus Aluminium.Im Zentrum der Ausstellung stehen hingegen Werke, die das Thema derSerialität als bildkonstituierende Vorgabe innerbildlich bearbeiten: alsgeometrisch geordnete Struktur von Mikroelementen in häufig quadrati-schen Formaten, als systematische Anordnung abstrakter Module, alsvorab definiertes Konzept methodischer Bildkonstruktion. In den Aus -stellungen, die die Kuratoren Paul Maenz und Peter Roehr in der ersten

Piero Manzoni, 1–30 settembre 1959Archiv Piero Manzoni

Ausstellungsansicht ›Zero Italien. Azimut/Azimuth Mailand 1959/60. Und heute‹

Villa Merkel Esslingen 1995Kuratorin Renate Wiehager

Rekonstruk tion der Ausstellung Piero Manzoni, ›12 linee di lunghezza variante tra i 33,63 e i

4,89 metri‹Galleria Azimut, Mailand, 1959

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und antwortet in der simplen Addition der Objekte der Bildlogik des Pop.Henderikse stellt sich damit gegen Idealisierung und Ökonomisierung,gegen Symbolisierung und Auratisierung – Aspekte, die die Kunst seinerZeit noch in großen Teilen beherrschen.20

Ein prominentes Beispiel einer ›seriellen Formation‹ mit Alltagsobjektenrepräsentiert auch Christos Grafik 4716 Metalltonnen, 1967, der um 1960eng verbunden – wenn auch nicht Mitglied – war mit der Gruppe der Pariser Nouveaux Réalistes. Der Entwurf geht zurück auf eines der erstenProjekte von Christo und Jeanne-Claude aus dem Jahr 1962. Als Ausdruckihrer Kritik am Bau der Berliner Mauer versperrten die beiden den Durch-gang der Rue de Visconti in Paris mit 204 Ölfässern. Die Installation mitdem Titel Eiserner Vorhang erregte großes öffentliches Interesse und kann als ein bedeutender Ausgangspunkt des Künstlerpaares für seinespäteren internationalen Projekte wie die Verhüllung des Berliner Reichs-tags gesehen werden. Der Einsatz banaler, massenproduzierter Objekteaus industrieller Nutzung provozierte das Kunstpublikum und die Öffent-lichkeit in mehrfacher Weise: explizite Antiästhetik des Materials, unange- kündigte Sperrung öffentlichen Raums und nicht zuletzt die schon imTitel deutlich gemachte politische Botschaft.

B. Serialität 1967 – der US-amerikanische Kontext»Viel Saison und wenig Boom«, betitelt Paul Maenz im Mai 1966 seinen›Brief aus New York‹, welcher die Nummer 9 der angesagten, vom Frank-furter Schriftsteller und Galeristen Adam Seide verantworteten Zeitschrift›Egoist‹ einleitet. Von 1959 bis 1964 Student der Folkwangschule für Ge-staltung in Essen, war Maenz 1965–67 als Art Director für die Werbe -agentur Young & Rubicam wechselnd in Frankfurt und New York tätig.Maenz beleuchtet in seinem humorvoll-ironisch verfassten ›Brief‹ knappdie epigonalen Ausläufer von Kinetik und Op Art, konstatiert »Stilge-brauch, Stilakkumulation« und »einen robusten, oft brutalen Eklektizismus«als wesentliches »Talent des Amerikaners«, analysiert das chauvinistischeKlima des New Yorker Kunstmarktes, wo selbst aktuelle Kunsttendenzenumgehend als »steuerbegünstigte Kapitalanlagen« in Umlauf gebrachtwerden. Hans Haacke ist in New York angekommen und stellt bei HowardWise aus, Heinz Mack und Otto Piene (die schon 1964 dort ausgestellthaben) sind in der Stadt, man trifft sich anlässlich der Eröffnung der Donald Judd-Ausstellung bei Leo Castelli. Warhol, so Maenz weiter, habemit seiner Campbell Soup-Dose eine »verhältnismäßig phantastische Popularität« erlangt, während zeitgleich die Vorführung seines achtstün-digen Films Sleep schon Stadtgespräch ist.21

Wenige Monate später, im November 1966, kann Paul Maenz schon denDurchbruch der Minimal Art aus New York vermelden.22 Das Jewish Museum hatte im Sommer die bahnbrechende Ausstellung ›PrimaryStructures‹ eröffnet. Diese Schau bedeute, so Maenz, »möglicherweise dasendgültige ›Okay‹ für den vierten internationalen Stil-›Boom‹, der von denUSA ausgeht« – nach ›Abstract Expressionism‹, ›Pop Art‹, ›Optical Art‹

Peter Roehr in der ersten Präsentationseiner Schwarzen Tafeln

Einzelausstellung unter dem Titel ›Roehr bei Seide‹, Galerie Seide

Frankfurt, 1967

Exhibition catalog ‘Serielle Formationen‘ Cover and works of the exhibition

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eben das Hervortreten einer jungen Generation von amerikanischen Künst-lern, welche die »Gefühlsgeladenheit ihrer abstrakt-expressionistischenVorgänger verleugnen wollen, indem sie ein Minimum verherrlichen – oderreine Unwesentlichkeit«, wie Maenz die amerikanische Kunsthistori kerinBarbara Rose zitiert, die bereits 1965 mit ihrem Essay ›ABC Art‹ der neuenRichtung versuchsweise einen Namen gegeben hatte.23 Maenz widmetsich im weiteren Text ausführlich der benennbaren Phänomenalität derWerke und den diesen zugrunde liegenden Konzepten: Form, Farbe, Mate-rial / Dimension, Zeit, Raum / Wiederholung, Idee, Gehalt.24

Serialität als bildkünstlerische Strategie findet in den USA ihre Grundle-gung mit den Werkserien von Josef Albers (Homage to the Square, seit1950), Ellsworth Kelly, Robert Rauschenberg und John Cage Mitte der1950er-Jahre, wenig später in den Bildern von Frank Stella (Black Paint -ings), von Jasper Johns (Flags und Targets), den Streifenbildern von Kenneth Noland sowie den Dot Paintings von Larry Poons. Bezogen aufdie Ausstellungspraxis, zunächst in New York, markiert Donald Juddserste Einzelausstellung bei Leo Castelli im Februar 1966 einen initialenMoment: Serien von Eisenkuben vertikal an der Wand, Aluminiumkubenin Intervallen angeordnet und verbunden über eine flache Metallstruktur,drei Stahlkuben am Boden. Nicht weniger radikal Sol LeWitts erste Einzel-ausstellung in der New Yorker Dwan Gallery: Modulare, rasterförmige serielle Strukturen – offene weiße Kuben – füllen als horizontale und vertikale Volumen den Raum.25

Kurz aufeinander folgen drei wegweisende Themenausstellungen: Im Mai1966 eröffnet im Finch College Museum of Art die Schau ›Art in Process‹(mit Judd, Flavin, LeWitt, Morris, Smithson, aber auch vielen weiteren,insgesamt heterogenen künstlerischen Ansätzen). Im April/Mai 1966 wirdim Jewish Museum New York ›Primary Structures‹ gezeigt, im Oktober1966 ›Ten‹ in der New Yorker Dwan Gallery (mit Werken von Carl Andre, Jo Baer, Dan Flavin, Don Judd, Sol Lewitt, Agnes Martin, Robert Morris,Ad Reinhardt, Robert Smithson, Michael Steiner). Das Finch College Museum – wie die Frankfurter Studio Galerie eine Universitätsgalerie, die ihre Präsentationen explizit als Diskursformate für ein studentischesPublikum konzipierte – zeigt dann im November 1967 die Ausstellung ›Art in Series‹.26

›Art in Series‹ präsentierte Werke unter anderen von Judd, Johns, Flavin,Kelly, LeWitt, aber auch von Künstlerinnen wie Eva Hesse, Jo Baer, HanneDarboven, ergänzt um eine Präsentation zeitgenössischer serieller Musikvon Karlheinz Stockhausen und Morton Feldmann. Mel Bochner, 1966 bereits Kurator der ersten Conceptual-Art-Schau am gleichen Ort,27

reflektierte in seinem wichtigen Essay ›The Serial Attitude‹ die kuratori -schen Hintergründe dieser Ausstellung – wobei hervorzuheben ist, dasssowohl die Ausstellung ›Art in Series‹ als auch die Analyse Bochners einhalbes Jahr ›nach‹ Eröffnung der Frankfurter Schau datieren.

Der Konzeptkünstler Mel Bochner hat sich in mehreren Texten Mitte der 1960er-Jahre fundiert zu den Entwicklungen der Zeit geäußert. ImNovember 1966 erscheint, parallel zur gleichnamigen Ausstellung des

Guggenheim Museum New York, sein Essay ›Systemic Painting‹, im Sommer 1967 sein Aufsatz ›Serial Art Systems: Solipsism‹, im Dezember1967 dann der erwähnte Essay ›The Serial Attitude‹.28

Serielle Ordnungen in der Kunst seien, so Bochner, eine Methode, Aus-druck einer künstlerischen Haltung und kein künstlerischer Stil im her-kömmlichen Sinne. Bochner gibt hierzu Beispiele, die von EadweardMuybridges Serienfotografien des 19. Jahrhunderts über Serialität in Linguistik und Musik bis zu den Zahlenbildern eines Jasper Johns reichen. Im Weiteren insistiert Bochner, dass der seriellen Methode wieauch dem Arbeiten in bildnerischen Serien vorab definierte Prozesse undRegeln zugrunde liegen müssen, üblicherweise aus dem Umfeld von Mathematik und Sprache. Bochner unterscheidet zwischen »modularerRepetition«, »Progression«, »Permutation« und »Rotation/Umkehrung«. Wesentlich ist aus Sicht Bochners die anti-expressive und antisubjektiveTendenz des künstlerischen Prozesses, die Überwindung individuellerEntscheidung zugunsten objektivierter Prozesse.29

Den Texten Bochners – der sich ausführlich zu Sol LeWitt als einem reprä-sentativen Vertreter serieller Konzeptionen äußert – gehen die vielfach zitierten Analysen Sol LeWitts selbst vorweg, die dieser 1966 im ›Aspen‹-Magazin publiziert hat und die sicher auch den Frankfurter Kuratoren PaulMaenz und Peter Roehr bekannt sind: »Serielle Kompositionen sind mehr-teilige Arbeiten mit regulierten Abweichungen. Die Unterschiede zwi-schen den Teilen sind das Thema der Komposition. Wenn einige Teilekonstant bleiben, dann um die Veränderungen zu akzentuieren. Das Werkals Ganzes soll Unterteilungen enthalten, die autonom sein können, dieaber das Ganze in sich enthalten. Die autonomen Teile sind Einheiten,Reihen, Sets oder jede beliebige logische Unterteilung.«30

Hinzuweisen ist in diesem Kontext auch auf den 1968 im ›Artforum‹ erscheinenden Essay von Jack Burnham, ›Systems Esthetics‹, der diekünstlerische Praxis etwa von Dan Flavin, Les Levine und Hans Haacke in einem breiter angelegten, sozialen und technologischen Umfeld dis -kutiert und eine wichtige Basis legt für die kurz darauf sich formierendeInstitutionskritik.31

Eröffnung der Ausstellung ›Primary Structures‹Jewish Museum New York, April 1966 Werke von Donald Judd und Ronald Bladen

Ausstellungsansicht ›Sol LeWitt‹ LeWitts erste Einzelausstellung in der Dwan Gallery,

New York, Mai 1966

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Für Paul Maenz, der seit 1964 regelmäßig in New York arbeitete, warenzwei weitere Ausstellungen der Zeit »Schlüsselerlebnisse«,32 die unmittel-bar die Auswahl von Werken und KünstlerInnen für ›Serielle Formationen‹beeinflussten: die Schau ›Ten‹ in der New Yorker Dwan Gallery, Oktober1966 (Carl Andre, Jo Baer, Dan Flavin, Don Judd, Sol LeWitt, Agnes Martin, Robert Morris, Ad Reinhardt, Robert Smithson, Michael Steiner)und natürlich ›Primary Structures‹ im Jewish Museum New York, April/Mai 1966 (mit Werken von 42 KünstlerInnen) – jene Schau, welche eine»new aesthetic era« (Hilton Kramer, Rezensent der New York Times) ein-läutete und der Minimal Art ihre visuelle Fundierung gab.33 Michael Stei-ner, dessen Werk Maenz in der Dwan Gallery kennenlernte, war inFrankfurt mit einer Zeichnung beteiligt; von Sol LeWitt erwarb Maenz imStudio des Künstlers die Skulptur First Modular Structure, 1965, sowohl1967 wie aktuell 2017 präsentiert. Ebenfalls im New Yorker Umfeld trifft Maenz auf die konzeptuellen Textarbeiten von Carl Andre, dessenGerman Poem er 1967 in die Frankfurter Schau mitbringt und die wir 2017noch einmal zeigen können.

Die Wahrnehmung des Werkes von Carl Andre ist geprägt durch seineseit etwa 1960 im Umfeld der US-amerikanischen Minimal Art entstehen-den skulpturalen Arbeiten. Gleichzeitig nimmt die Auseinandersetzungmit Schrift und Poesie eine fundamentale Rolle in seinem Œuvre ein. Seitdem Beginn seiner künstlerischen Arbeit fungieren Andres Gedichte alskonzeptuelle Erweiterung seiner bildhauerischen Praxis, als Einleitungenfür Katalogtexte oder als vertiefende Analyseinstrumente seiner Skulp -turen. Sie markieren eigenständige Positionen im Kontext der Etablierungvon ›avant-garde poetry‹. Andre platziert Worte als serielle Konstellationenauf Papier, vergleichbar den von ihm verwendeten Ziegelsteinen, Holz -kuben oder Metallplatten im Ausstellungskontext, wodurch seine Wort-Poesien quasi zu skulpturalen Konfigurationen werden. Im Kontext derAusstellung ›Serielle Formationen‹, 1967, bilden Andres Textbilder einetransatlantische Parallele zu Peter Roehrs Typomontagen. Das Blatt German Poem, 1967, zeigt vertikal und horizontal angeordnete hand-schriftliche Lettern auf gerastertem Papier, die kurze deutsche Wörter wie›bahn ding feld flur keil kurs laub loch pfad rand riff zaun‹ etc. bilden undje Zeile die Richtung wechseln. Dabei wiederholen sich sowohl diesezwölf Wörter wie auch die ersten vier Zeilen über das gesamte Blatt. Daserste Wort des Blattes ›bahn‹ referiert auf das biografische Faktum, dassAndre infolge fehlenden Interesses an seiner künstlerischen Arbeit in den1960er-Jahren New York verließ und vier Jahre lang als Bremser und Zug-führer der Pennsylvania Railroad arbeitete.34

Sol LeWitt spielte in den 1960er-Jahren in New York bei der Implementie-rung einer neuen radikalen, konzeptuellen und reduzierten Ästhetik einewegweisende Rolle, die sich explizit als Gegenbewegung zum AbstraktenExpressionismus verstand. Die ideelle Grundlegung, die theoretische

Konzeption des Werkes, selbst wenn dieses nicht realisiert wird, sah LeWitt als gleichwertig mit jeglicher materiellen Kunstproduktion. Alle Arbeitsschritte – Gedanken, Überlegungen und Konzepte – tragen zur Vervollständigung eines Werkes bei und nehmen daher denselben Stellen-wert ein. LeWitt stellt damit die Begrifflichkeit der Kunst ins Zentrum.Seine an Konstruktivismus und Bauhaus orientierte Ästhetik ist die Basiseiner reduzierten Formensprache und theoretischen Fundierung einerKunst, die als Grundstein der Konzeptkunst angesehen werden kann.Seine frühen Skulpturen First Modular Structure, 1965, und 5 Cubes withHidden Cubes, 1967/77,35 stehen in diesem Zusammenhang repräsentativfür seine Auseinandersetzung mit architektonischen Raumstrukturen, dieer anhand von Rasterkonstruktionen, geometrischen Grund formen undkubischen Volumina zu realisieren sucht. Paul Maenz kommentiert die inseiner Sammlung befindlichen First Modular Structure von LeWitt: »Esgibt das (Holz-)Modell von 1965 (wie 1967 in Ffm./SF und jetzt 2017 wie-der gezeigt). 1965 hatte es in den USA eine große Holzfassung gegeben,die aber später vernichtet wurde. 1974 wurde nach Angaben des Künst-lers noch einmal eine große Holzfassung (für die von mir kuratierte Aus-stellung ›On Art/Über Kunst‹ im Kölnischen Kunstverein) hergestellt; sieist anschließend ebenfalls vernichtet worden. 1975 schließlich entstanddie heutige, von mir im selben Jahr erworbene Metallfassung. Vielleichtnoch interessant: First Modular Structure war die letzte von LeWitts bisdahin stets schwarzen Skulpturen (anschließend nur noch weiße), aberzugleich seine erste ›modulare‹.«36

Die Skulptur 5 Cubes with Hidden Cubes zeigt fünf weiße Kuben aufGrundplatten mit Streifenraster als serielle Folge, in welchen jeweils einbis vier weitere kleinere Kuben verborgen sind (gesamt fünfzehn). Die Linien auf den Bodenplatten zeigen die Anzahl der darunter verborgenenKuben an. Der erste Kubus ist einzeln ohne einen versteckten, deshalb hat die Bodenplatte nur eine Linie; der 2. Kubus hat einen verstecktenund folglich zwei Linien; der 3. hat zwei versteckte kleinere und drei Linien auf der Bodenplatte; der 4. hat drei versteckte Kuben und vier Linien, der 5. schließlich hat vier versteckte Kuben und fünf Linien auf der Bodenplatte. Ein weiterer Künstler, der – ebenso wie LeWitt – in der Frankfurter Aus-stellung ›Serielle Formationen‹, 1967, vertreten war, sei noch kurz vorge -stellt: der heute in Europa kaum bekannte Bildhauer Michael Steiner(*1945, USA). Zu diesem bemerkt Alex Bacon: »Michael Steiner wurde1945 in New York City geboren und war ein besonders frühreifer Student

Carl Andre, German Poem, 1967FER Collection

Sol LeWitt, Cubes with Hidden Cubes, 1967/77FER Collection

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der aktuellsten Entwicklungen in der zeitgenössischen Kunst. Er besuchtedie High School of Art & Design in der 57th Street, die in der Nähe vonvielen damalig innovativen Galerien lag, zu welchen er folglich bereits als Teenager Zugang hatte. In den frühen 1960er-Jahren war es Steinermöglich, die entscheidenden Ausstellungen von Künstlern in Schlüssel -positionen wie Frank Stella, Mark Rothko, Dan Flavin, Barnett Newman,Donald Judd und Robert Morris in den Galerien von Leo Castelli, BettyParsons, Sidney Janis und der Green Gallery zu sehen. Zum regelmäßigenAustausch begann Steiner viele dieser und auch andere Künstler wie Robert Smithson in ihren Ateliers zu besuchen, trotz der Tatsache, dasssie eine Generation älter waren als er. Dementsprechend wurde er schonfrüh mit der damals entstehenden ›minimalen‹ Ästhetik vertraut.«37

Konzeption der Ausstellung ›Serielle Formationen‹, Frankfurt 1967Unpublizierte Dokumente, Briefe, Erinnerungen, Entwürfe

Für Peter Roehr ist, lange vor der Eröffnung der Ausstellung im Jahr 1967,das Thema Serialität ein zentraler Aspekt theoretischer Überlegungen zuseiner künstlerischen Praxis wie auch im Blick auf die Kunstentwicklun-gen seiner Zeit. Wie intensiv er hierzu mit Künstlerkollegen das Gesprächgesucht hat, belegt ein Text von Adolf Luther aus dem Jahre 1965, in demdieser seine erste Begegnung mit Roehr und ihre Diskussionen um ›dasPrinzip einer strengen Reihung gleichartiger Elemente‹ zusammenfasst.

Adolf Luther: Peter Roehr – eine Begegnung 1965

Inzwischen wissen wir, dass es Bilder, Bildobjekte und autonomeObjekte gibt. Das war in dieser Klarheit noch nicht bekannt, als1965 in der Galerie Loehr eine Ausstellung eröffnet wurde, an dersich neben mir Megert, Cremer und Spindel mit ihren Arbeitenbeteiligt hatten. Mitten in dem Durcheinander der Eröffnung unddem Gedränge wandte sich ein sehr junger Mann an mich undzog mich in ein intensives Gespräch, wie sich nach und nachergab, hatte er einige ganz spezielle Fragen im Sinn und offen-sichtlich wollte er sie auch präzise beantwortet haben. Er hattenämlich wissen wollen, weshalb ich in meinen Objekten hier undda das Prinzip einer strengen Reihung gleichartiger Elemente anwandte. Ich erklärte es ihm mit knappen Worten und er kamdann natürlich mit der Gegenfrage heraus, weshalb ich da nichtin allen Objekten das gleiche Prinzip verwandt hätte. Das warennoch die alten Glasobjekte, die in der Zwischenglastechnik hergestellt waren, die also aus zwei gehaltenen Glasscheiben bestanden, zwischen denen zerkleinertes Glas eingefüllt wordenwar. Nun, es schien mir nicht die rechte Gelegenheit zu sein, datiefer einzusteigen, ich sagte also nur, das hinge mit dem Lichtzusammen, das für mich der Gegenstand der Hauptsache sei,aber es sei besser, sich einmal in Ruhe damit zu beschäftigen undob er nicht Lust hätte am nächsten Vormittag mal in die Galeriezu kommen.Ich war ganz überrascht, am nächsten Morgen war Peter Roehr,der sehr jungenhaft aussehende Interessierte des Vorabends, wieder da, er hatte einiges gedrucktes Papier bei sich, ich wusstewieder Bescheid über seine Fragen und so ging es also weiter,dass ich über Licht noch nicht alles wüsste und deshalb müsstedie letzte Entscheidung über die Anordnung des Materials se -kundär bleiben, mein eigentliches Medium, Licht, sei nicht vonmaterieller Beschaffenheit. Aber ich verwendete die Reihung bereits seit langem, weil sie wahrscheinlich (soweit sich das ebenmachen lasse) die eindeutigste Äußerung meiner Absicht, keineLiteratur – auch nur andeutungsweise – aufkommen zu lassen,sei. Ich wolle der Gestaltung entgehen, sonst entstehe eben niemals ein wirkliches Objekt. Also das Serielle sei besser, ja. Daswollte er wohl auch hören, denn nun zeigte er mir seine Druck -papiere. Er hatte sie mir auch gegeben und ich habe sie auch ge-lesen, aber nicht mehr im Sinn. Es waren aber eine Anzahl seiner eigenen Reihungen – aus Fünfmarktstücken, Knöpfen z.B.,glaube ich zu sehen, und das war denn auch ziemlich eigentüm-lich für mich. Man sieht das ja immer zunächst von sich aus, ichfand das, trotz aller Nähe dazu, ganz fremd und dann ging dasGespräch noch weiter nach innen, auf die Frage zu, welche Stelle

das Serielle insgesamt einnehme. Das war mir ganz klar, weilmich das ebenso sehr selbst betraf und ich immer darüber nach-gedacht hatte, aber eben jetzt doch zum ersten Mal so pointiertund kontradiktorisch. Also, hatte ich gemeint, für meine Begriffesei das Serielle ebenso wichtig wie das Monochrome. Das Seriellesei die Reduzierung der grafischen Aussage auf Nichts ebensowie das Monochrome die Reduzierung des Farbbereiches auf denNullwert von Aussage sei, dass es m. E. wohl nur so gesehenwerden müsse. Ich weiß nicht, wie einverstanden Roehr war. Ichhatte etwas die Vorstellung, dass bei ihm noch etwas anderesmitspielte […].38

Ein Jahr zuvor, 1964, hatten sich Paul Maenz und Peter Roehr in Frankfurtin der amerikanischen Werbeagentur Young & Rubicam kennengelernt,wo Roehr als studentische Aushilfe, Maenz als Art Director beschäftigtwar. Als die beiden 1967 ihre gemeinsame Ausstellung ›Serielle Forma -tionen‹ konzipierten, habe Peter Roehr, so ein Hinweis von Maenz, nachausgiebigen Diskussionen die überwiegende Zahl der europäischenKünstlerInnen bestimmt, während er vorrangig den amerikanischen Teilbeigesteuert/kuratiert und den ›Auftritt‹ von Ausstellung und Katalog betreut habe.39

Ein Blick auf die Liste der 50 KünstlerInnen (47 plus die drei Mitgliederder gruppe x) zeigt, dass diese wesentlich dem Umfeld der zeitgenössi-schen europäischen ZERO-Ausstellungen zwischen 1962 und 1966 zuge-hörig sind sowie den wechselnden Gruppierungen um Nouveau Réalisme und Neue Tendenzen – es sind die Künstler, welche Peter Roehr,Paul Maenz und ihre Künstler-Freunde Jan Dibbets, Thomas Bayrle undCharlotte Posenenske (Letztere, wie Roehr selbst, selbstverständlich in der Ausstellung präsent) häufig gemeinsam von Frankfurt aus besuchenkonnten.

Ein wichtiger Schritt in Richtung auf eine europäische Wahrnehmung der verwandten Tendenzen war 1962 die große ›Nul‹-Ausstellung im Amsterdamer Stedelijk Museum. Aus diesem Umfeld kehren 1967 inFrankfurt wieder: Enrico Castellani, Hermann Goepfert, Hans Haacke, Jan Henderikse, Oskar Holweck, Yayoi Kusama, Piero Manzoni, Almir Mavignier, Henk Peeters, Jan Schoonhoven, Günther Uecker, Herman deVries. Viele der genannten Künstler sind ein Jahr später an der großen,von Rochus Kowallek, William E. Simmat und Hermann Goepfert kura -tierten Schau ›Europäische Avantgarde‹ in der Frankfurter Galerie d in der Schwanenhalle des Römer (9. Juli – 11. August 1963) beteiligt. Hier

Adolf Luther, Lichtstruktur, 1967Adolf-Luther Stiftung Krefeld

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ausgestellte Künstler werden auch von Maenz/Roehr wieder eingeladen:Walter Leblanc, Adolf Luther, Dieter Roth und Paul Talman. Es folgen1964/65 die großen, international besetzten ZERO-Ausstellungen in London, Philadelphia und noch einmal Amsterdam; 1966 löst sich diedeutsche Gruppe ZERO auf.

Zu diesem Spektrum stoßen die KünstlerInnen hinzu, die Paul Maenz inden USA kennengelernt hat und die er teils erstmalig in Deutschland vor-stellt (Carl Andre, Ronald Bladen, Dan Flavin, Donald Judd, Sol LeWitt,Agnes Martin, Larry Poons, Michael Steiner, Andy Warhol).

Darüber hinaus treten in ›Serielle Formationen›‹ rund fünfzehn Künst -lerInnen auf, deren Werk heute weniger oder gar nicht mehr bekannt ist,oder die ihre künstlerische Arbeit früh beendeten und/oder Deutschlandverließen: – Hans Breder: verlässt Deutschland 1965, um als Assistent des Bild -hauers George Rickey zu arbeiten, gründet 1968 das ›Intermedia andVideo Art‹-Programm der University of Iowa, wo er bis heute lebt; – May Fasnacht: 1936 in Rheinfelden in Deutschland geboren, produziertin den 1960er-Jahren, in Bern lebend, serielle Objekte aus Kunststoff undtritt mit Performances im Umfeld von Harald Szeemann in Erscheinung;40

– Eberhard Fiebig: aktiv in Frankfurt in den 1960er-Jahren, der ein um-fangreiches, auch baubezogenes bildhauerisches Werk geschaffen hat, bisheute im Künstler-Netzwerk ›art.engineering‹ tätig ist, aber internationalkaum wahrgenommen wurde; – Letzteres gilt in ähnlicher Weise für die in Frankfurt 1967 ausgestelltendeutschen Künstler Hermann Goepfert, Kuno Gonschior, Ewerdt Hilge-mann, Thomas Lenk, Adolf Luther, Klaus Staudt, Felix Schlenker (der alsLeiter der Kleinen Galerie Schwenningen Peter Roehr 1967 zu einer Ein-zelausstellung seiner Schwarzen Tafeln einlädt); – weiter Bernhard Höke, ein in den 1960er-Jahren unglaublich umtriebi-ger und präsenter, streitbarer Künstler, Autor, Verleger von Editionen undinspirierender Kopf unter anderem hinter den frühen Kunst-Filmen vonGerry Schum (zum Beispiel Konsumkunst – Kunstkonsum, 1966), heutepraktisch nicht mehr bekannt;– Konrad Lueg, aus heutiger Sicht als Galerist und AusstellungsmacherKonrad Fischer, einer der prägenden Repräsentanten der Kunst der1960er-/70er-Jahre, der seine künstlerische Arbeit bereits 1968, nach nurvier Jahren aktiver Tätigkeit, beendete;– schließlich die gruppe x (Wolfgang Lukowski, Peter Thoms, Jürgen Wegener), deren häufig seriell reproduzierbare, konstruktive Skulpturenund Objekte zu partizipativer Teilnahme der Besucher aufforderten.

Yayoi Kusama, Net Obsession, 1960Museum Gelsenkirchen

Hans Breder, Split cube on a striped surface, 1964 Daimler Art Collection

Jan Schoonhoven, R 70-69, 1970Privatsammlung

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Ein wichtiger Ausgangspunkt für die Auswahl der KünstlerInnen der1967er-Schau sind kunsthistorische Recherchen Peter Roehrs zu einer›Chronologie der Seriellen Kunst‹, mit der er sich 1965/66 beschäftigt hat. Gegenüber dem Leiter der Frankfurter Studio Galerie, Siegfried Bartels, erläutert Roehr:

»Das Serielle interessiert mich – abgesehen von der Verbindung zumeinen Arbeiten – weil ich glaube, es ist eines von den bildneri-schen Mitteln, die sich über verschiedene Stile erstrecken. So, wieja zum Beispiel die Monochromie vom Informel bis zum Konstruk -tivismus sich ausbreitet, die Kinetik vom Figurativen bis zum Kon -kreten und so weiter, scheint mir, hat die ›Serielle Kunst‹ ebensoviele ›Stile‹ eingeschlossen (hauptsächlich natürlich die Neuen Tendenzen), und es dürfte möglich und an der Zeit sein, diese Erscheinungen einmal nach ›diesen‹ (übergeordneten) Gesichts-punkten zu registrieren. Soviel mir bekannt ist, hat das bisher nochniemand getan. Und das ist der Grund, weshalb ich Ihnen schreibe: bei der Beschaf-fung der Unterlagen für meine Chronologie habe ich einige Leutegleich gefragt, ob sie an einer Kollektivausstellung dieser Art teil-nehmen würden. Das Problem ist nun, die Institution zu finden, diedas übernehmen würde. Ich habe da an Sie gedacht. Hoffentlichbekommen Sie jetzt keinen Schreck. Wenn Sie – ganz grundsätzlich– die Idee, so etwas zu machen, gut finden, ist die Sache schon zurHälfte erledigt. Im Falle eines Zustandekommens würde ich den gesamten Teil der Organisation übernehmen.Ich stelle Ihnen hier mal eine Liste der Leute auf, die meiner Meinung nach zur Auswahl stehen. Welche davon tatsächlich ge nommen werden könnten, würde zum größten Teil an Ihren finanziellen Möglichkeiten liegen. Ich wäre wahrscheinlich in derLage, dafür zu sorgen, dass Rochus Kowallek oder Udo Kultermanndie Ausstellung eröffnen könnte – ohne Kosten.Liste: J. J. Schoonhoven, Marianne Aue, Uecker, Zoltan Kemeny, LuiTomasello, Paul Talman, Armando, Jan Henderikse, de Vries, HenkPeeters, Klaus Burkhard, Bernhard Höke, v. Graevenitz, Andy Warhol, May Fasnacht, Sol LeWittt, Roehr, Piene, Arman, Mavignierusw. Wie schon gesagt: jeder für sich, ist keiner der Leute etwas Über -raschendes, aber in einen Zusammenhang gebracht, der die Be-trachtung in bestimmte Bahnen lenkt, scheinen sie mir doch neueAspekte zu offenbaren.«41

Vermutlich im Sommer 1966 entwirft Roehr für seine ›Chronologie der Seriellen Kunst‹ klare Kategorien, legt eine erste mögliche Künstlerliste anund versucht sich an einem »Verzeichnis serieller Malerei und seriellerMontagen«:42

KategorienAuf jeden Künstler treffen mehrere der nachfolgend angegebenenKategorien zu. Um irgendwo eine Abgrenzung zu schaffen, sind Ergebnisse in einer bestimmten Kombination (z. B. 2 & 3) nicht be-achtet. Das ist natürlich eine Ermessensfrage, die nicht unbedingtAllgemeingültigkeit haben muss.

1 — systematisch. Hiermit ist gemeint, dass dem Machen gewissefestgelegte Regeln vorgegeben sind. Falls diese variiert oder zeit-weilig abgeändert werden, siehe Punkt 6.2 — unsystematisch. Das betrifft Streuungen oder sonstige regelloseAnordnungen. Streuungen innerhalb eines Systems werden hierauch als unsystematisch bezeichnet.3 — zentralbezogen. Eine serielle Anordnung bezieht sich auf einenbestimmen Punkt oder geht von ihm aus. Hier werden nur systema-tische Vorgänge beachtet.4 — richtungsbezogen. Hiermit sind serielle Anordnungen gemeint,die sich nur in einer Richtung bewegen. Es werden ebenfalls nur systematische Vorgänge beachtet.5 — verteilt angeordnet. Diese Einteilungen können regelmäßig und unregelmäßig sein. Sie sind mit einer gewissen Kontinuitätüber die ganze Arbeit angeordnet, ohne sich auf einen Punkt odereine Richtung zu konzentrieren.

6 — variabel. Hierbei werden serielle Einheiten variiert oder Regelnverändert. Es wurden nur Erscheinungen beachtet, die eine dominie-rende Konstante aufwiesen.7 — gegenständlich. Damit sind sowohl serielle gegenständlicheMalereien wie auch Montagen aus Gegenständen gemeint.+ — Zeichen für ›manchmal‹. Damit sind die Zahlen versehen, dieeine Kategorie bezeichnen, die bei Künstlern mit verschiedenen, seriellen Arbeiten zum Teil auftreten, aber nicht die Regel sind.

Carl Andre 1, +4, +3, 5 /Arman 2, 5, 7 // Bernard Aubertin 1, 5 (+2,5) // Marianne Aue 1, +4 // Giacomo Balla 1, 4 // Marta Boto 1, 5 //Klaus Burkhart 1, +3 // Enrico Castellani 1, +4, 5 // Joseph Cornell1, 5, 6, +7 // Toni Costa 3 // Narisco Debourg 1, 5, 6 // Equipo 57 1, 5// May Fasnacht 1, 5 // Dan Flavin 1, 4 // Gene Davis 1, 4, 6 // Getulio1, +4, +5 // Mathias Goeritz 1, 5 // Gerhard v. Graevenitz 2, 5 //Gruppe X 2, +4, +5 // Gruppo N 1, 5, 6 // Hans Haacke 1, 5 // JanHenderikse, 1, +2, 5, +6, 7 // Bernd Höke 1, +5, 7 // Don Judd 1, 4// Zoltan Kemeny 2, 5, 6 // Yves Klein 1, 5, 6 // Kusama 2, 5, 6, 7 //Walter Leblanc 1, 4 // Sol LeWitt 1, 5 // Konrad Lueg 1, +4, +5 //Wolfgang Ludwig 1, 3 // Agnes Martin 1, 5 // Almir Mavignier 1, 5, 6// Heinz Mack +1, +2, 4, 6 // Guido Molinari 1, 4, 6 // Francois Morellet 1, 5, 6 // Piet Mondrian 1, 6 // Henk Peeters 1, 5, 6 // OttoPiene 2, 5, +6 // Larry Poons 1, 4, 6 // Bridget Riley 1, 4 // PeterRoehr 1, 5, +7 // Markus Raetz 1, 4, +7 // J. J. Schoonhoven 1, 5, +4// Klaus Staudt 1, 5 // Joel Stein 1, 5, 6 // Günther Uecker +1, +2, 6// J.R. Soto 1, +4, 5 // Paul Talman 1, 5, 6 // Lui Tomasello 1, 5 // Herman de Vries 1, +4, +5 // Andy Warhol 1, +4, 5, 6, 7 // LudwigWilding 1, +3, 4 // Walter Zehringer 1, 5, 6

Verzeichnis serieller Malerei und serieller Montagen [Jahreszahlenohne Namen zeigen an, dass keine Aspekte von Serialität aus Sichtvon Roehr namhaft zu machen sind, Anm. d. Verf.]1909 // 1910 // 19111912 Giacomo Balla1913 bis 19181919 Piet Mondrian

Almir Mavignier, Zwei Quadrate, 1967Daimler Art Collection

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1920 bis 19451946 Joseph Cornell1947 // 1948 // 1949 // 19501951 J. R. Soto1952 // 19531954 Almir Mavignier19551956 Mathias Goeritz, Zoltan Kemeny1957 Günther Uecker, J. J. Schoonhoven1958 Enrico Castellani, Marianne Aue, Lui Tomasello1959 Otto Piene, Paul Talman, Arman1960 Gerhard v. Graevenitz, Heinz Mack, Hans Haacke, Henk Pee-ters, Yves Klein1961 Andy Warhol, Armando 1962 Peter Roehr, Walter Leblanc, Jan Henderikse1963 Bernd Höke, Herman de Vries, Donald Judd1964 May Fasnacht, Klaus Burkhard, Carl Andre1965 Sol LeWitt1966

Wenig später, nachdem Roehr seine Kategorien für eine ›Chronologie derSeriellen Kunst‹ entwickelt hat, werden im Dezember 1966 von SiegfriedBartels und ihm bereits gemeinsam die Einladungsbriefe versandt. Hiersei beispielhaft auf den Brief an Adolf Luther verwiesen – wobei noch, wieauch in der Übersicht der ›Chronologie‹, die amerikanischen Positionenfehlen (Carl Andre, Ronald Bladen, Dan Flavin, Donald Judd, Sol LeWitt,Agnes Martin, Larry Poons, Michael Steiner):

Studentenschaft der Johann Wolfgang Goethe-UniversitätKörperschaft öffentlichen RechtsAllgemeiner Studentenausschuss

Herrn 6 Frankfurt am MainAdolf Luther Jügelstraße 1 Studentenhaus415 Krefeld Telefon 770643180 und 777575Victoriastraße 112

7. Dezember 1966

Lieber Herr Luther,die Studiogalerie der Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frank-furt am Main, veranstaltet von Anfang Mai bis Ende Juni 1967 eineAusstellung, voraussichtlich unter dem Titel ›Serielle Kunst‹. DieAusstellung wird unter der Leitung von Herrn Peter Roehr zusam-mengestellt. Dabei sollen Bilder und Objekte verschiedener Rich-tungen, die aber die Gemeinsamkeit von Reihungen undWiederholungen aufweisen, gezeigt werden. Rochus Kowallek wirdvoraussichtlich die Ausstellung eröffnen.Als Teilnehmer sind vorgesehen:

Armando Bernhard Höke Klaus StaudtBernard Aubertin Zoltan Kemeny Günther UeckerMarianne Aue Kusama J. R. Soto Klaus Burkhard Leblanc Paul TalmanKonrad Lueg Mavignier H. de VriesCastellani Mack Andy WarholJoseph Cornell Henk Peeters W. ZehringerMay Fasnacht Otto PieneG. v. Graevenitz Christian MegertJan Henderikse Markus RaetzGruppe X SchoonhovenHans Haacke

Wir hätten gern von Ihnen eine Arbeit dabei. Wir dachten an etwas Ähnliches wie in der Weiß-Weiß-Ausstellung in Bern – oder irgendetwas anderes (möglichst nicht unter 1 x 1 m), wobei Formenmöglichst wenig variiert werden.

Seien Sie bitte so nett und geben uns bis spätestens 15. Januar1967 Bescheid, ob wir mit Ihrer Teilnahme rechnen können. Wir tragen die Transport- und Versicherungskosten, wenn Sie die Bilderin einer Kiste verpackt per Express bis zum 15. April 1967 an unsabschicken. Eventuell holen wir sie auch selbst ab.Im Falle eines Verkaufs (falls nicht gewünscht, bitte angeben) behält die Studiogalerie eine Provision von 20 % ein.Wir würden uns sehr freuen, wenn wir mit Ihrer Zusage rechnenkönnten.

Mit freundlichen Grüßen Siegfried Bartels Peter RoehrStudiogalerie43

Die erhaltenen Briefe im Archiv Peter Roehr im MMK Museum ModernerKunst Frankfurt zeigen, dass im Frühjahr dann ein breiter werdendes Netzwerk ideenreich und enthusiastisch an der Detailplanung der Aus -stellung arbeitet. Ewerdt Hilgemann schreibt lange Briefe, in denen ervon seinen Besuchen bei befreundeten Künstlern berichtet (vor allem JanDibbets), er entwirft lange Listen, welche Ausstellungsorte in Deutsch-land, der Schweiz und den Niederlanden für eine eventuelle Übernahmeder Ausstellung aus Frankfurt angesprochen werden können, bedenktPraktisches zum Thema Kunsttransport und plant die Gestaltung von Katalog und Editionsmappe.44

Das ›Serielle‹ formiert sich als subversives System und kritischer Prozess.Der theoretische Diskurs in den Texten zum Katalog ›Serielle Formatio-nen‹, 1967

Vermutlich aus dem zeitlichen Umfeld der organisatorischen Vorberei -tung der Ausstellung im Frühjahr 1967 stammen zwei undatierte Notizenvon Peter Roehr zu den Themen ›das serielle Prinzip‹ und ›die Neuen Tendenzen‹, die eventuell in die Texte des begleitenden Kataloges ein -gehen sollten: »Wenn man von Serieller Kunst spricht, muss man sich über die grundle-genden Unterschiede gegenüber beispielsweise der Kinetischen oder monochromen Kunst klar sein. Nur in einigen Fällen […] ist das SeriellePrinzip um der Serialität willen angewendet worden. Der weitaus größereTeil benutzte diese Art der Anordnung als Vehikel für eine Konzeption (z. B. für Kinetik, Neue Tendenzen, Konstruktivismus usw.); es war eineMöglichkeit, einer ›Komposition‹, die in vielen Fällen als belastend undunnötig empfunden wurde, aus dem Wege zu gehen. Es war der kürzesteund vor allen Dingen unproblematischste Weg, zum eigentlichen Ziel, zurSichtbarmachung der Absichten zu kommen. Dabei wurde, scheint mir,der ursprüngliche Gesichtspunkt einer Anti-Kontrapunktischen ›Komposi-tion‹ völlig aus den Augen verloren; er war in den ersten Arbeiten der seriellen Malerei – die am Anfang der Seriellen Bewegung (wie organisiertoder zufällig sie auch immer gewesen sein mag) entstanden waren – de -monstrativ dargelegt und bewältigt worden. Die Prinzipien und Ergeb-nisse sind aufgegriffen worden, wenn man will, mit einer gewissen Unbefangenheit, von Künstlern, die in diesem Ordnungsprinzip die Ein-fachheit und Klarheit entdeckten, die sie für ihre Arbeiten brauchten.«45

Und die zweite Notiz lautet: »Die ›Neuen Tendenzen‹ gruppieren sich ineiner Zeit, wo das Interesse der Künstler an der ›Peinture‹ zu schwindenbegann. Man widersetzte sich der bis dahin hoch bewerteten ›École deParis‹ nicht nur, indem man die Komposition (im klassischen, bis dahingebrauchten Sinne) vernachlässigte, sie als ein Problem von geringer Be-deutung ansah, und wendete sich gleichzeitig dem ›Material‹ zu. Abgese-hen von einigen ›Müllbildern‹ (Raysse, Arman, Spoerri) entstanden jetztvon vielen Künstlern Bilder und Objekte, die aus den gleichen Materialienhergestellt waren: Glas, Metall, Plastik, Papier.Konstruktive Elemente treten stärker in den Vordergrund – und verbundenmit dem Interesse am Material und dem Desinteresse an der Kompositionist es zum seriellen Gestalten nur noch ein kleiner Schritt. In fast allenÄußerungen der Künstler in der ersten Hälfte der sechziger Jahre ist voneinem ›Objektivieren‹ die Rede. Man suchte nach Ordnung, (nach einer leicht übersichtlichen) Einfachheit und Klarheit. Und da es Dinge ja nicht an sich, sondern immer nur in einem Beisammensein mit anderen Dingen gibt, schien es doch das Klärendste, das Isolierendste, wenn sie

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mit ihresgleichen zusammengetan wurden. Hier verzögert sich die Kon-frontation, der Kontrast, das Kontrapunktische im Raum, also auch in derZeit. Und damit verzögert sich die Veränderung, die das Ding im Beisam-mensein mit anderen Linien erfährt: eine Veränderung tritt ein, aber die,die am eigensten, am wenigsten manipuliert, am ehrlichsten, am objek-tivsten ist.«46

Diese Notizen von Peter Roehr nehmen den Ton der Analyse aus der künstlerischen Praxis heraus auf, wie er auch aus seiner ›Chronologie derSeriellen Kunst‹ spricht, an welcher er 1965/66 arbeitet. Es ist ein Blick zurück auf Phänomene der jüngeren Kunstentwicklungen und Ausdifferen -zierungen in Aspekten der Kunst seiner unmittelbaren Zeitge nossenschaft.Was hier noch gänzlich fehlt, sind die gesellschafts- und ideologiekriti-schen Anmerkungen und Analysen, wie sie in den Texten des Kataloges›Serielle Formationen‹ im Vordergrund stehen.

Siegfried Bartels, Leiter der Studio Galerie, gibt die Richtung der Refle -xion an, wenn er in seinem Vorwort auf die fraglos enge Verknüpfung vonSerialität und Serienproduktion in der Industriegesellschaft sowie aufdamit verbundene Schlagworte der Zeit wie »Erhöhung der Produktivitätder Arbeitskraft« oder »Wirtschaftswunder« hinweist.47 In gleicher Weisehebt die Einleitung von Maenz/Roehr auf das Phänomen der ›Serienpro-duktion‹ als alles durchwaltendes Prinzip des Wirtschaftsgefüges und derKonsumgüterindustrie ab. Teil dessen zu sein, so die Autoren, sei ebennicht länger eine freie Entscheidung noch eine moralische Frage, sondernschlicht eine existenzielle Gegebenheit. Ökonomischer Erfolg ist un -abdingbar verbunden mit steigenden Stückzahlen, steigendem Absatzund damit sinkenden Stückkosten. Von dieser Durchökonomisierung wirt-schaftlicher und gesellschaftlicher Prozesse kann sich das indi viduelleBewusstsein, so die Autoren weiter, nicht freihalten. Es gilt, so sei hier ergänzt, der eingangs zitierte Satz Enzensbergers: »Die Bewußtseins-In-dustrie […] ist die eigentliche Schlüsselindustrie des 20. Jahr hunderts.«48

»Künstlerische Aktion und Reaktion«, so argumentieren Maenz/Roehr wei-ter in Hinführung auf ihre Ausstellungsthematik, »werden provoziertdurch die unmittelbare Umwelt.«49 Avancierten künstlerischen Positionenunterschiedlichster Provenienz und kultureller Zugehörigkeit kann folg -lich eine Art ›Schubumkehr‹ der alles dominierenden Prozesse gelingen,indem diese strukturell aufgegriffen und ästhetisch analysiert werden.Dadurch wird im besten Falle eine Art Freiraum für Diskurs und kritischeReflexion eröffnet. Die folgenden Abschnitte der Einleitung benennen, wie schon ausgeführt,die beteiligten künstlerischen Strömungen aus Europa und den USA, dieverwendeten Materialien und Prozesse sowie die ästhetischen Wirkungen.

Als der Katalog ›Serielle Formationen‹ im Sommer 1967 vorliegt, kipptunter den Künstlern bereits die Stimmung. Eben noch schien ein utopi-sches Moment aufzuscheinen, dass künstlerische Partizipation an ge -sellschaftlichen Entwicklungen strukturelle Veränderungen nicht nursymbolisch formulieren, sondern vielleicht sogar anstoßen könne. »Das istKunst«, notiert sich Roehr in dieser Zeit, »was mit ästhetischen Mittelnbestehende ästhetische und soziale Zustände verändert. Somit ist Kunst,was die jeweils bisherige Definition von Kunst in Frage stellt«.50

Aber in dieser Zeit breitet sich plötzlich und nachdrücklich auch Er -nüchterung über die erhofften Wirkungsmöglichkeiten der Kunst aus.Peter Roehr eröffnet mit Paul Maenz das selbst organisierte Kommunika-tionszentrum ›Pudding Explosion‹ und plant diverse Ausstellungsformate,er erwägt den preisgünstigen Vertrieb seiner künstlerischen Konzepte als›Kunst in Tüten‹ und diskutiert mit dem Künstlerfreund Jan Dibbets dieGründung eines ›Art Shop‹ für billige Kunst in Form eines Supermarkts.51

Paul Maenz kommentiert die gemeinsame Eröffnung von ›Pudding Ex -plosion‹ 1968 im Sinne von Peter Roehr als Ausdruck eines »endgültigenAusbrechens aus Kunstzusammenhängen«: »Dieser Laden in der Frank -furter Holzmarktstraße funktionierte 1968/69 zwar als eine Art ›Kom mu-nikationszentrum‹, war tatsächlich aber Deutschlands erster ›Headshop‹und umtriebiger Treffpunkt (amerikanische GIs/Vietnam, linke Studenten/Revoluzzer um Dutschke, Hippies/Flower Power, ›Drogensympa thisanten‹usw.). Nebenbei: Im Auftritt poppig, war der Laden vom Selbstverständnis(wie vom Warenangebot) her eher Underground und politisch subversiv(und im Visier von Verfassungsschutz und amerikanischer Military Police).Für Roehr war Pudding Explosion das endgültige Ausbrechen aus Kunst-

zusammenhängen, für mich der Abschied von der ›Warenwelt der Wer-bung‹. Auch für Charlotte Posenenske (von ihr stammte neben der Ein-richtung aus Wellpappe-Elementen auch die Bemalung der Hausfassade:eine riesige Coca-Cola-Flasche durchschießt ein ebenso riesiges Porträtvon Karl Marx) bezeichnete diese Situation das Umfeld ihrer Abwendungvon der Kunst, hin zur Soziologie.«52

Im Februar 1968 formuliert die eng mit Roehr/Maenz befreunde CharlottePosenenske – zu jener Zeit in Offenbach nahe Frankfurt lebend – einStatement zu ihrer künstlerischen Arbeit, das im Mai 1968 als Teil einerUmfrage unter Künstlern in der Zeitschrift ›Art International‹ veröffent-licht wird. Posenenske beschreibt darin ein minimalisiertes formales Vokabular sowie Serialität und Prozesshaftigkeit als Konstanten ihrerSkulpturen. Zugleich hält sie jedoch fest, dass einer schnellen formalenEntwicklung in der Kunst deren rapide sinkende gesellschaftliche Rele-vanz gegenüberstehe. Sie kommt zu dem Schluss: »Es fällt mir schwer,mich damit abzufinden, daß Kunst nichts zur Lösung drängender gesell-schaftlicher Probleme beitragen kann.«53

Um diese Entwicklung zu einer zunehmend pessimistischen Auffassungrichtig einzuschätzen und in einen historischen Kontext stellen zu kön-nen, scheint es mir wichtig, den politischen Hintergrund im Frankfurt der1960er-Jahre kurz in Erinnerung zu rufen.Im Juni 1958 gehen die Frankfurter Demonstrationen gegen die Atombe-waffnung durch die deutsche Presse. 1961 protestieren Studenten gegendie Ermordung Lumumbas, im Juni 1962 ziehen Demonstrationszüge fürdie Wiedervereinigung Deutschlands durch die City. Aus diesen sich for-mierenden Widerständen entwickelt sich Frankfurt in den 1960er-Jahrenneben Berlin zu einem Zentrum der studentischen Protestbewegung. 1963 gehen ausländische Studenten für die Verbesserung ihrer Rechte auf die Straße, 1965 beginnen die Demonstrationen gegen den Vietnam-Krieg mit ersten Sitzstreiks, auf welche die Polizei mit Prügelaktionen reagiert, gefolgt von Aktionen gegen die geplanten Notstandsgesetze. In Berlin eskalieren die Anti-Vietnam-Demonstrationen in Tumulten und Krawallen und münden in der Erschießung des Studenten Benno Ohnesorg im Juni 1967 und der Festnahme Rudi Dutschkes im Februar1968. Eng verzahnt mit diesen Entwicklungen sind die Anfang der1960er-Jahre aufflam menden Diskussionen um die Auseinandersetzungmit den antisemitischen Gräueln des NS-Regimes. Insbesondere derAuschwitz-Prozess, der im Dezember 1963 in Frankfurt eröffnet wird,sollte die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf die Aufarbeitung derdeutschen Vergangenheit lenken.

Charlotte Posenenske, Diagonale Faltung, 1966Daimler Art Collection

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Beide Entwicklungen – die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit und dieRadikalisierung studentischer Proteste – werden begleitet, reflektiert unddiskutiert durch die Vertreter der Frankfurter Schule, vor allem durchTheodor W. Adorno, Max Horkheimer, Herbert Marcuse und Jürgen Habermas. Bereits 1962 positioniert sich Adorno zur Frage der Funktionvon Kunst in politischen Umbruchzeiten mit seinem ›Engagement‹ be -titelten Vortrag auf ›Radio Bremen‹. Gegen die Gefahren ideologischerVereinnahmung der Kunst hält Adorno programmatisch fest: »Kunst heißtnicht: Alternativen pointieren, sondern, durch nichts anderes als ihre Ge-stalt, dem Weltlauf widerstehen, der den Menschen immerzu die Pistoleauf die Brust setzt.«54

Für Roehr wie für Posenenske und viele andere KünstlerInnen der Zeitmag weiter die Gründung des Kölner Kunstmarktes im September 1967zusätzliche Zweifel ausgelöst haben, ob der ›metaphorische‹ Eingriff derKunst in das Leben aus dem Kreislauf von Waren- und Kapitalzirkulation zuverwirklichen sein würde. Die Kunst, so die bittere Einsicht der Künstler,ist aus den repressiven Strukturen der ›Bewusstseins-Industrie‹ nicht herauszuhalten, politische Wirksamkeit ist ohne kompromittierende An-passung an eine warenproduzierende Gesellschaft und Aufgabe der geistigen Freiräume der Kunst nicht zu haben. Die Kunst – so ließe sichder Satz Adornos vielleicht paraphrasieren – ›kann‹ sich um ihre gesell-schaftliche Funktion ›ablesbar‹ unter Beweis zu stellen, nicht auf eine agitatorisch oder politisch umstandslos verwertbare Motivik reduzieren, ohne sich dabei aufzugeben. Kunst wahrt Authentizität nur aus dem strikten Voll zug und der fortwährenden Verdichtung der ihr eigenen Para-meter heraus: Form, Ordnung, Maß, Dimension, entwickelt in konkretenzeitlichen, räumlichen und historischen Kontexten. »Alternativen pointie-ren«, wie Adorno sagt, würde für die Kunst eine weit reichende Orientie-rung an gesellschaftlichen Erwartungsmustern zwingend mit sich führen.Die stringent erarbeitete künstlerische »Gestalt« hingegen setzt dem Betrachter eine Struktur entgegen, die dieser mit seinen Erwartungen ab gleichen muss.

1 Vgl. Philipp Felsch, Der lange Sommer der Theorie. Geschichte einer Revolte 1960–1990, München 2015, S. 36ff.2 Hans Magnus Enzensberger, »Bewußtseins-Industrie«, in:Einzelheiten I. Bewußtseins-Industrie, edition suhrkampBd. 63, Frankfurt a. M. 1964, S. 10.3 Paul Maenz, E-Mail an die Verf., 6. März 2017.4 Paul Maenz und Peter Roehr, »Zu dieser Ausstellung«, in: Serielle Formationen, hrsg. von der Studio Galerieder Universität Frankfurt, bearb. von Peter Roehr undPaul Maenz, Ausst. Kat. Galerie der Studentenschaft derJohann Wolfgang Goethe-Universität, Stiftung Studienhaus,Frankfurt a. M. 1967, o. S.5 Vgl. Werner Lippert, »Von der Verdichtung und der Ver-flüchtigung: Peter Roehr«, in: Peter Roehr, hrsg. vonWerner Lippert und Paul Maenz, bearb. von Gerd de Vries,Ausst. Kat. Museum für Moderne Kunst, Frankfurt a. M.1991, S. 15f.6 Werner Hofmann, Die Grundlagen der modernen Kunst,Stuttgart 1987.7 Andrea Bärnreuther und Peter-Klaus Schuster (Hrsg.), DasXX. Jahrhundert. Kunst, Kultur, Politik und Gesellschaftin Deutschland, Köln 1999, siehe hier vor allem die Ein-träge zu den Jahren 1966 bis 1968; das xx. jahrhundert.ein jahrhundert kunst in deutschland, Ausst. Kat. Staat-liche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz und Nicolaische Verlagsbuchhandlung Bauermann GmbH, Berlin 1999.Im Kapitel »Cogito, ergo sum« zu konzeptuellen Tendenzenstellt die Publikation u. a. Hans-Peter Feldmann, Rosemarie Trockel und Hanne Darboven vor; Roehr wirdnicht erwähnt.8 Hubertus Butin (Hrsg.), DuMonts Begriffslexikon zurzeitgenössischen Kunst, Köln 2002; ders., Begriffslexikonzur zeitgenössischen Kunst, Köln 2014.

9 Willy Rotzler, Konstruktive Konzepte: eine Geschichteder konstruktiven Kunst vom Kubismus bis heute (1970),überarb. und erw. Neuauflage, Zürich 1988, S. 224.10 Vgl. beispielhaft Karin Thomas, DuMont’s kleines Sach-wörterbuch zur Kunst des 20. Jahrhunderts (1973), 5.Aufl., Köln 1985, S. 206f. (hier firmiert Roehr unter demStichwort ›Reihung‹ neben Andy Warhol, Piero Manzoni, SolLeWitt und Carl Andre); Karin Thomas, Zweimal deutscheKunst nach 1945. 40 Jahre Nähe und Ferne, Köln 1985, S. 114, 195; Karin Thomas (Hrsg.), DuMonts Kunstlexikondes 20. Jahrhunderts (2000), 2. überarb. Aufl., Köln2006, S. 342, 350f. 11 Thomas 1985 (wie Anm. 10), S. 195.12 Elke Bippus, Serielle Verfahren: Pop Art, Minimal Art,Conceptual Art und Postminimalismus, Berlin 2003, S. 10f.13 Vgl. die Ausstellungen ›Franz Erhard Walther. Work asAction‹, DIA:Beacon, Okt. 2010 – Feb. 2012; ›CharlottePosenenske and Peter Roehr‹, Chinati Foundation, MarfaTexas 2016; die erste umfassende Einzelausstellung vonCharlotte Posenenske in den USA bereitet das DIA:Beaconfür 2018 vor. Die New Yorker Galerie Peter Freemann vertritt seit 2009 das Werk von Posenenske und Walther inden USA.14 Serial Imagery, hrsg. von John Coplands, Ausst. Kat.Pasadena Art Museum, Pasadena 1969, S. 7–20.15 Maenz/Roehr in: Ausst. Kat. Serielle Formationen 1967(wie Anm. 4), o. S.16 Siehe u. a. Sophie Cras, »De la valeur de l’œuvre auprix du marché: Yves Klein à l’épreuve de la pensée éco-nomique« [Vom Wert des Kunstwerkes zum Marktpreis. YvesKlein aus ökonomischer Sicht], in: Marges. Révue d’artcontemporain 11, 2010, S. 29–44[https://marges.revues.org/446].17 Vgl. Freddy Bartino und Luca Palazzoli, Piero Manzoni:Catalogue raisonné, Mailand 1991, S. 59. Die Rezensionenvon Vincenzo Agnetti und Leonardo Borgese zu ManzonisAusstellung wurden deutsch zuerst publiziert in: ZEROItalien: Azimut/Azimuth 1959/60 in Mailand und heute/andtoday, hrsg. von Renate Wiehager, Ausst. Kat. Galerie derStadt Esslingen/Villa Merkel, Ostfildern 1996, S.166/168, ital. S. 167/169.18 Vgl. Die Sammlung Paul Maenz, Bd. 2: Peter Roehr 1944–1968. Neues Museum Weimar, hrsg. von den Kunstsammlungenzu Weimar, bearb. von Gerda Wendermann, Ostfildern 2000,S. 66. Zu einer kunsthistorischen Kontextualisierung vonRoehrs Schwarzen Tafeln zwischen Kasimir Malewitsch undZERO (die allerdings auf Yves Klein und Piero Manzoninicht eingeht) siehe: Martin Engler, »Schwarze Tafeln undder Tod des Autors«, in: Peter Roehr. Werke aus FrankfurterSammlungen, Ausst. Kat. MMK Museum für Moderne Kunst,Städel Museum, Frankfurt a. M., Petersberg 2009, S. 10ff. 19 Piero Manzoni, »Libera Dimensione«, in: Azimuth 2, Januar 1960, hrsg. von Piero Manzoni und Enrico Castellani.Dt. in: Ausst. Kat. ZERO Italien 1996 (wie Anm. 17), S. 163. Wiederabdruck in: Charles Harrison und Paul Wood(Hrsg.), Kunsttheorie im 20. Jahrhundert, Bd. 2, Ost -fildern 2003, S. 869–871. Eine neuere Übersetzung desTextes findet sich in: ZERO, hrsg. von Dirk Pörschmannund Margrit Schavemaker, Ausst. Kat. Martin-Gropius-BauBerlin, Stedelijk Museum Amsterdam, Köln 2015, S. 386:»Selbst wenn die materiellen Bedingungen die Unendlich-keit des Werkes nicht zulassen, so ist die unendliche(von eigenem Leben erfüllte) Oberfläche doch ins Unend -liche steigerbar, unendlich wiederholbar, ohne Auflösungder Kontinuität. Dies tritt noch deutlicher in den ›Linien‹ in Erscheinung, denn diese enthalten nicht länger die potenzielle Mehrdeutigkeit der ›Malerei‹. DieLinie gewinnt nur an Länge und dehnt sich ins Unendliche.Zeit ist die einzige Dimension.«

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20 Vgl. zum Gesamtwerk von Jan Henderikse: Renate Wiehagerund Anton Melissen (Hrsg.), Jan Henderikse. Archeiro-poieta, Ostfildern 2010.21 Paul Maenz, »Brief aus New York«, in: Egoist 9, hrsg. von Adam Seide, Frankfurt a. M., Mai 1966, S. 3.22 Ders., »Das große ABC«, in: Egoist 10, hrsg. von AdamSeide, Frankfurt a. M., November 1966, S. 48f.23 Barbara Rose, »ABC Art«, in: Art in America 53, 5, Oktober/November 1965, S. 57–69; dt. in Gregor Stemmrich(Hrsg.), Minimal Art. Eine kritische Perspektive, Dresdenund Basel 1995, S. 280–308. 24 Zur Diskussion der aufkommenden Minimal Art zwischenMaenz/Roehr vgl. Wendermann 2000 (wie Anm. 18), S. 57f. 25 Vgl. zum Prinzip der Serialität in der amerikanischenund europäischen Kunst der 1960er-Jahre in ihrer Bezie-hung zum Werk von Peter Roehr: Werner Lippert, »Einfüh-rung«, in: Peter Roehr, Ausst. Kat. Kunsthalle Tübingenu.a., Köln 1977, S. 9–21. Vgl. auch: Burkhard Brunn,»Dasselbe anders/Immer dasselbe« in: Charlotte Pose-nenske/Peter Roehr. dasselbe anders/immer dasselbe,Ausst. Kat. Kunsthaus/ Kunsthalle Wiesbaden, Berlin 2012,S. 9ff.26 Vgl. James Meyer, minimalism. art and polemics in thesixties, New Haven und London 2001, S. 172. 27 Die Ausstellung trug den Titel ›Working Drawings andOther Visual Things on Paper Not Necessarily Meant to beViewed as Art‹ (Dezember 1966) und präsentierte zeichne-rische Konzepte in Ringordnern.28 Mel Bochner, »Systemic Painting«, in: Arts Magazine 41,November 1966, S. 57–58; ders., »Serial Art Systems: Solipsism«, in: Arts Magazine 41, Sommer 1967, S. 39–43;ders., »The Serial Attitude«, in: Artforum 6, Dezember1967, S. 28–33.29 Mel Bochner, »The Serial Attitude«, in: Artforum 6, Dezember 1967, S. 28–33.30 Sol LeWitt, »Serial Project No. 1 (ABCD)«, in: AspenMagazine 5/6, 1966; dt. in: Gregor Stemmrich (Hrsg.), Minimal Art. Eine kritische Perspektive, Dresden undBasel 1995, S. 181.31 Jack Burnham, »Systems Esthetics«, in: Artforum 7, Nr. 1, September 1968. Vgl. dazu auch Caroline A. Jones,»Systems Symptoms. On Jack Burnham’s ›Systems Esthet ics‹«,in: Artforum 51, Nr. 1, September 2012, S. 113f. 32 Paul Maenz in einer E-Mail an die Verf., 2. Februar2017.33 Hilton Kramer, »Primary Structures – The New Anony-mity«, in: New York Times, 1. Mai 1966.34 Vgl. die Publikation des Blattes in Paul Maenz (Hrsg.),Die Sammlung – The FER Collection, Köln 1983, S. 51.35 Vgl. die Publikation der Skulptur ebd., S. 105.36 Paul Maenz in einer E-Mail an die Verf., 6. März 2017.Vgl. auch Die Sammlung Paul Maenz, Bd. 1: Objekte, Bilder,Installationen. Neues Museum Weimar, hrsg. von den Kunst-sammlungen zu Weimar, Ostfildern 1998, S. 56ff.37 Siehe hierzu den Beitrag von Alex Bacon zu MichaelSteiner in diesem Band. 38 Der Text wurde freundlicherweise zur Verfügung gestelltvon Dr. Magdalena Broska, Adolf-Luther-Stiftung Krefeld.39 Paul Maenz in einer E-Mail an die Verf., 5. März 2017.40 May (Annemarie) Fasnacht studierte an der Kunstgewerbe-schule in Bern und bei Germaine Richier in Paris. 1966tritt sie in Bern, organisiert von Harald Szeemann, miteiner Performance auf: Fasnacht malt Markierungen aufeine Kuh, um »Fleisch-Regionen« zu bezeichnen. 1968–1980arbeitet sie im gemeinsamen Design Studio mit SuzanneBaumann, vor allem im Bereich Ausstellungsdesign. Aus-stellungen: 1966 ›Weiss auf Weiss‹, Kunsthalle Bern; 1967›Sitz-Kunst‹, Schweizerischer Werkbund, Gurten, Bern;1968 ›Serielle Formationen‹, Studiogalerie, Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt am Main.

Quelle: http://zkm.de/en/person/may-fasnacht (15. April2017). Vgl. Margit Rosen (Hrsg.), A Little-Known StoryAbout a Movement, a Magazine, and the Computer’s Arrivalin Art, Cambridge (Mass.) 2011.41 Peter Roehr an Siegfried Bartels, Brief vom 17. Novem-ber 1966, Archiv Peter Roehr im MMK Museum für ModerneKunst, Frankfurt a. M., Inv. Nr. 2014/75.29r/2014/75.29v.42 Vgl. Archiv Peter Roehr MMK (wie Anm. 41), Inv. Nr. 2015/12.54BI1–3.43 Das Material wurde freundlicherweise zur Verfügung ge-stellt von Dr. Magdalena Broska, Adolf-Luther-StiftungKrefeld. 44 Siehe die Briefe von Ewerdt Hilgemann an Peter Roehr,5. und 10. April 1967, Archiv Peter Roehr MMK (wie Anm.41), Inv. Nr. 2014/75.195 und Inv. Nr. 2014/75.196. ZuKonzept und Umsetzung der Ausstellung ›Serielle Formatio-nen‹ siehe auch Wendermann 2000 (wie Anm. 18), S. 60f.45 Peter Roehr, Archiv Peter Roehr MMK (wie Anm. 41), Inv. Nr. 2015/12.67.46 Peter Roehr, Archiv Peter Roehr MMK (wie Anm. 41), Inv. Nr. 2015/12.68.47 Siegfried Bartels, »[Vorwort]«, in: Ausst. Kat. Serielle Formationen 1967 (wie Anm. 4), o. S.48 Diese Verbindungen sind ebenfalls diskutiert worden vonMeredith North in einem Symposiumsbeitrag mit dem Titel›The Politics of Seriality: Minimalism and Social Engage-ment in the Work of Peter Roehr‹[Politik des Seriellen.Minimalismus und soziales Engagement im Werk von PeterRoehr] im Rahmen des Symposiums Minimalism: Location,Aspect, Moment, Konferenz an der University of Southamp-ton/Winchester School of Art, Oktober 2016.49 Maenz/Roehr, in: Ausst. Kat. Serielle Formationen 1967(wie Anm. 4), o. S.50 Peter Roehr, handschriftliche Notiz, Archiv Peter Roehr MMK (wie Anm. 41), Inv. Nr. 2015/12.3.51 Peter Roehr, maschinenschriftlicher Brief an Jan Dibbets, Archiv Peter Roehr MMK (wie Anm. 41), Inv. Nr.2015/75.73.52 Paul Maenz, E-Mail an die Verf., 5. März 2017.53 Charlotte Posenenske, »Manifest«, in: Art International12, 5, Mai 1968. Unter  dem Titel »Serielle Formationenund Installationen« haben Charlotte Posenenske und PeterRoehr noch im Oktober 1967 erstmals zusammen ausgestelltin der Galerie Jülicher, Gützenrath (bei Mönchenglad-bach). Diese Ausstellung ist bislang in der Literatur zu Posenenske/Roehr unbekannt (E-Mail von Manfred A. Jülicher an d. Verf. vom 10. April 2017).54 Theodor W. Adorno, »Engagement«, in: ders., Noten zurLiteratur, GS, Bd. 11, Frankfurt a. M. 1974, S. 413.