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N.T.M. 7 (1999) 083-92 0036-6978/99/02-0083-10 $1.50 + 0.20 9 1999 Birkh~user Vcrlag, Basel Der Blick Felix Kleins auf die Naturwissenschaften Aus der Habilitationsakte Renate Tobies This paper is devoted to the 150th birthday of the mathematician Felix Klein. On this occasion, we present papers of Klein's Habilitation and give a commentary on them.They have not been ana- lyzed until now. Especially, we have a look at some aspects which concern Klein's broader view on sciences. Abb. 1 Felix Klein zu Beginn der 1870er Jahre (Quetle: Handsehriftenabt. d. Nieders~chs. Staats- und Universit~tsbibliothek G6ttingen, Slg.Volt) Der Mathematiker, Wissenschaftsorganisator und Unterrichtsreformer Felix Klein (1849- 1925) ist unbestritten sehr einflugreich gewe- sen. Sein 150. Geburtstag, der sich am 25.April 1999 j/~hrte, war Anlal3 far eine spezifische Stu- die. Nach der kleinen Klein-Biographie (Tobies 1981) - ohne Einsichtnahme in den Nachlal3 geschrieben - ist es bisher nicht gelun- gen, eine umfassende Darstellung Uber sein Leben und Werk vorzulegen, wenngleich seit- her verschiedene weitere Autoren, insbeson- dere David E. Rowe, Gert Schubring und Reinhard Siegmund-Schultze, sich dem viel- seitigen Thema detaillierter n/~herten. Die Ftille des vorliegenden Materials scheint nahezu unersch6pfiich, so dab eine tiefere Darstellung Zeit effordert sowie eine sehr breite Kenntnis der Mathematik des 19. Jahr- hunderts. Die im Archiv der Georg August- Universit~t G6ttingen aufbewahrten Akten, betreffend die Habilitation Felix Kleins zum Privatdozenten der Mathematik, sind bisher nicht ausgewertet worden. Ein darin enthaltener ausftihrlicher handschriftlicher Lebenslauf Kleins aus dem Jahre 1870 deutet seine breite Studienorientierung an. Klein schreibt darin nicht nur, bei welchen Professoren und Dozenten er Vorlesungen h6rte; dies fibrigens enth~ilt auch bereits die mit der Dissertation eingereichte Vita I, und die Themen der besuchten Veranstaltungen sind bei Schubring (1989a, S. 208f.) aufgelistet. Neu ist aus den hier vorgelegten Unterlagen zu ersehen, dab Klein in Bonn 1868 far die Bearbeitung einer physikalischen Preisaufgabe ausgezeichnet wurde und dab er auch w~hrend seines Berliner Studienaufenthaltes 1869/70 Kon- N.S, 7 (1999) 83

Der Blick Felix Kleins auf die Naturwissenschaften

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N.T.M. 7 (1999) 083-92 0036-6978/99/02-0083-10 $1.50 + 0.20 �9 1999 Birkh~user Vcrlag, Basel

Der Blick Felix Kleins auf die Naturwissenschaften

Aus der Habilitationsakte

Renate Tobies

This paper is devoted to the 150th birthday of the mathematician Felix Klein. On this occasion, we present papers of Klein's Habilitation and give a commentary on them.They have not been ana- lyzed until now. Especially, we have a look at some aspects which concern Klein's broader view on sciences.

Abb. 1 Felix Klein zu Beginn der 1870er Jahre (Quetle: Handsehriftenabt. d. Nieders~chs. Staats- und Universit~tsbibliothek G6ttingen, Slg. Volt)

Der Mathematiker , Wissenschaftsorganisator und Unterr ichtsreformer Felix Klein (1849- 1925) ist unbestri t ten sehr einflugreich gewe- sen. Sein 150. Geburtstag, der sich am 25.April 1999 j/~hrte, war Anlal3 far eine spezifische Stu- die. Nach der kleinen Klein-Biographie (Tobies 1981) - ohne Einsichtnahme in den Nachlal3 geschrieben - ist es bisher nicht gelun- gen, eine umfassende Darstellung Uber sein Leben und Werk vorzulegen, wenngleich seit- her verschiedene weitere Autoren, insbeson- dere David E. Rowe, Gert Schubring und Reinhard Siegmund-Schultze, sich dem viel- seitigen Thema detaillierter n/~herten. Die Ftille des vorl iegenden Materials scheint nahezu unersch6pfiich, so dab eine tiefere Darstel lung Zeit effordert sowie eine sehr breite Kenntnis der Mathemat ik des 19. Jahr- hunderts. Die im Archiv der Georg August- Universit~t G6tt ingen aufbewahrten Akten, betreffend die Habili tat ion Felix Kleins zum Privatdozenten der Mathematik, sind bisher

nicht ausgewertet worden. Ein darin enthal tener ausftihrlicher handschriftlicher Lebenslauf Kleins aus dem Jahre 1870 deutet seine breite Studienorientierung an. Klein schreibt darin nicht nur, bei welchen Professoren und Dozenten er Vorlesungen h6rte; dies fibrigens enth~ilt auch bereits die mit der Dissertation eingereichte Vita I, und die Themen der besuchten Veranstal tungen sind bei Schubring (1989a, S. 208f.) aufgelistet. Neu ist aus den hier vorgelegten Unter lagen zu ersehen, dab Klein in Bonn 1868 far die Bearbei tung einer physikalischen Preisaufgabe ausgezeichnet wurde und dab er auch w~hrend seines Berliner Studienaufenthaltes 1869/70 Kon-

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UBERBLICK-SURVEY Renate Tobies

t ak t e mi t Phys ike rn und mi t phys ikaf i schen G r e m i e n pf legte . D i e M a t e r i a l i e n wer- den h i e rmi t e r s tmals vorges te l l t und k o m m e n t i e r t .

A m 5. D e z e m b e r 1870 re ich te Fe l ix K le in das G e s u c h zur H a b i l i t a t i o n ein. E r b e f a n d sich zu d iese r Ze i t in Dfisseldorf , wo er im e l t e r l i chen H a u s nach se ine r E r k r a n k u n g 2 w/ ihrend des D e u t s c h - F r a n z 6 s i s c h e n K r i e ge s gep f l eg t wurde . Sein G e s u c h fo rmu l i e r t e er wie folgt:

,,Einer hochl6blichen Faculttit der Universittit zu G6ttingen erlaube ich mir auf Grund der bei- geftlgten Anlagen, nimlich: 1. Eines Doctordiploms, 2. Einer vita, 3. Eines Exemplar's der eigenen, in der vorgenannten vita aufgeftihrten Schriften, die Bitte

ehrfurchtsvoll vorzutragen, dortselbst als Privatdocent der Mathematik zugelassen zu wer- den.

Vorstehendes Gesuch richte ich an die hochl6bliche Facult/it yon meinem Heimatorte aus, da ich zur Zeit und voraussichtlich noch bit Neujahr durch die Folgen eines ltingeren Unwohl- sein's zu Hause gehalten werde, andererseits aber als Reconvalescent nicht ltinger mit einem Gesuche warten mag, welches ich schon mit Anfang des Semester's habe stellen wollen.

Damit mir kein weiterer Zeitverlust erwachse, sei mir verstattet, gleichzeitig ftlr die even- tuell zu haltende Probevorlesung die folgenden drei Themata vorzuschlagen: 1. Demonstration eines Modell's der allgemeinen Pltlcker'schen Complexfliche, 2. Ueber diejenigen Curven, welche einer linearen Differentialgleichung erster Ordnung gentl- gen, 3. Ueber die Kummer'sche Flache vienen Grades mit 16 Knotenpuncten, so wie die Bitte auszusprechen, den Termin ftir diese Vorlesung mt~glichst fur die ersten Tage des neuen Jahres festzulegen. Mit der ausgezeichneten Hochachtung verbleibe Dr. Felix Klein"

Fe l ix K le in ffigte d e m G e s u c h f o l g e n d e n L e b e n s l a u f bei , d e r se inen W e r d e g a n g bis D e z e m b e r 1870 de ta i l l i e r t sch i lder t und f iber b i she r b e k a n n t e D a r s t e U u n g e n - wie a n g e d e u t e t - in m a n c h e r B e z i e h u n g h inaus re ich t .

Vita.

Am 25 ten April 1849 wurde ich, Christian Felix Klein, zu DUsseldorf geboren, woselbst meine Eltern, Landrentmeister Caspar Klein und Elise Sophie, geb. Kayser, die meiner Neigung zu wissenschaftlicher Th~itigkeit allezeit entgegen kamen, noch jetzt wohnen. Meine Confession ist die evangelische.

Mit Herbst 1857 trat ich in das Diisseldoffer Gymnasium ein und wurde yon demselben Herbst 1865 mit dem Zeugnis tier Reife 3 entlassen.

Hierauf begab ich mich nach Bonn, um an der dortigen Universitit Mathematik und Natur- wissenschaften, unter den letzteren besonders Physik, zu studiren. Nach dreijahrigem Aufent- halte daselbst absolvirte ich, den 12. November 1868, das Doctorexamen in Mathematik und Physik auf Grund einer Dissertation, betitelt: ,,Ueber die Transformation der aUgemeinen Glei- chung zweiten Grades zwischen Linien-Coordinaten auf eine canonische Form"?

Von hoher Wichtigkeit war es hier ftlr mich gewesen, dab ich nach Verlauf meines ersten Semester's durch Herrn Professor PRicker s alas Amt eines Assistenten am physikalischen Cabi- nette zugetheilt erhielt. Dadurch waren mir nicht nur die Htilfsmittel dieses Instituts zu seiner Benutzung anheim gegeben, sondern ich hatte auch das Gltick, Herin Professor PRicker per- s6nlich naher zu treten und von ibm in die Anschauungsweisen der neueren Geometrie ein- ge~hrt, so wie zu den geometrischen Arbeiten, mit denen er sich damals beschtiftigte, heran-

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gezogen zu werden. In Folge dessen wurde mir, als Plticker den 22. Mai 1868 starb, von Seiten der Familie der Auftrag, die Herausgabe seiner noch unverOffentlichten Untersuchungen zu ~ibernehmen, soweit sich dieselben alaf die yon ihm begonnene ,,Neue Geometrie des Raumes, gegrandet auf die Betrachtung der geraden Linie als Raumelement" bezogen. Dieselben erschie- nen sp~iter unter dem Namen einer ,,zweiten Abtheilung" des genannten Werkes. (Leipzig. B. G. Teubner. 1869)

Durch die mir so gegebene Beschaftigung bin ich dazu gekommen, mich mit Ausschlieg- lichkeit geometrischen Untersuchungen zuzuwenden, und habe ich in diesem Sinne auch das Thema meiner Inaugural-Dissertation gew~ihlt. Bis dahin hatte ich reich mit Vorliebe physi- kalischen Aufgaben zugewandt. Insbesondere hatte ich reich in der letzten Zeit mit der von der philosophischen Facult~t zum 3 ten August 1868, dem ftln.fzigj~ihrigen Jubil~ium des Beste- hens der Universit~it Bonn gestellten physikalischen Preisaufgabe, die eine historisch-kritische Behandlung der Frage nach der Richtung der Schwingungen im polarisirten Lichte verlangte, besch~ftigt, eine Arbeit, ft~r welche den ausgesetzten Preis zugetheilt zu erhalten ich das Gl0ck hatte. 6

Auger bei Herrn Professor Plticker h6rte ich in Bonn noch Vorlesungen bei den folgen- den Herren Professoren und Docenten: Argelander 7, Bischof s, Gehring 9, Hanstein l~ Kette- ler 11, Landolt12, Lipschitz13 Neuh~iuser14, N6ggerath~5, pfitzerl6, Radicke17, Springer 18'Troschel~9; sodann war ich wahrend zweier Jahre Mitglied des naturwissenschaftlichen und w/ihrend eines Jahres des, Herbst 1867 gegrilndeten, mathematischen Seminar's. 2~

Mit Neujahr 1869 wandte ich mich nach G6ttingen, zun~ichst um dort unter Leitung von Herrn Professor Clebsch 21 die vorhin bereits erw~ihnte Ausarbeitung des Pliicker'schen Nach- lasses durchzuftihren. Durch die mir dort gewordene Anregung wurde ich veranlagt, den in meiner Dissertation behandelten Gegenstand weiter zu verfolgen. So entstand eine Abhand- lung ,,Zur Theorie der Complexe des ersten und zweiten Grades", die zun/ichst im Auszuge in den G6ttinger Nachrichten n vom 5. Juni 1869 und sp~iter ausfi~hrlich in dem dritten Hefte des zweiten Bandes der mathematischen Annalen ver6ffentlicht wurde. 23 In demselben Hefte theilte ich noch zwei kleinere, gleichzeitig entstandene 24 Arbeiten rnJt: ,,Ueber die Abbildung der Com- plexfl/~che vierter Ordnung und vierter Classe" und: ,,Ueber die allgemeine lineare Transfor- mation der Linien-Coordinaten". Vorlesungen h6rte ich in Gt~ttingen bei den Herren Clebsch und Stern zS, so wie bei Herrn Dr. Minnigerode. 26

FOr das Wmtersemester 1869/70 siedelte ich nach Berlin tiber. Ich besuchte dort alas yon den Herren Professoren Kummer und WeierstraB geleitete mathematische Seminar 27, h6rte bei Herrn Professor Kronecker, und war Mitglied des physicalischen Colloquiums bei Herin Professor Magnus, so wie der physicalischen GeseUschaft. 28 Meine Th~tigkeit ging weniger dahin, selbst/indig zu produciren, als vielmehr, das mir gebotene Material aufzunehmen und filr mich zu verarbeiten.- Bei SchluB des Semester's wurde ich in angenehmster Weise durch ein freund- liches Schreiben von Herrn Professor Kummer tlberrascht, in welchem ich eine der beiden Pr~i- mien zugewiesen erhielt, die allj~ihrlich unter die Mitglieder des mathematischen Seminar's als Anerkennung ffir rege Betheiligung an den Uebungen desselben vertheilt werden.

Ostern 1870 begab ich reich, in Gesellschaft eines befreundeten Studiengenossen, Dr. Lie aus Christiania 29, nach Paris. Die uns daselbst gebotenen Vorlesungen haben wir wenig besucht; dagegen gelang es uns, mit einer Anzahl der dortigen Mathematiker pers6nlich bekannt zu werden. Wir besch~iftigten uns vorzugsweise mit eigenen geometrischen Untersuchungen; wie wir dann der dortigen Akademie unter dem Titel: ,,Sur une certaine famille de courbes et de surfaces" eine gemeinsame Arbeit einreichten, die in den Compte rendus vom 6. und 13. Juni verOffentlicht wurde. 3~

Mein Aufenthalt in Paris wurde durch die Kriegserkl~irtmg pl6tzlich unterbrochen. Da ich als zum Milit~irdienste zur Zeit nicht tauglich vonder betreffenden Beh6rde zurtlckgestellt wurde, trat ich als freiwilliger Krankenpfleger dem in Bonn gegrtindeten Nothheffer-Verein bei, und habe als solcher die Zeit vom 16. August bis 2. Oktober, wo ich wegen Unwohlsein's nach Hause zurilckkehrte, im Felde zugebracht. -

Diisseldorf, 5. Dec. 1870

Dr. Felix Klein (UAG, BI. 513-515)

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~ B E R B L I C K - S U R V E Y Renate Tobies

Alfred Clebsch f6rderte in GOttingen Kleins Habil i tat ion und verfaBte am 7. Dezem- ber 1870 folgenden Eintrag fiir die Akte:

,,Herr Dr. E Klein, welcher mir pers6nlich und schriftstellerisch seit l~ingerer Zeit becannt ist, erweist durch Talent, Kenntnisse und dutch seine bisherigen relativ frtihzeitigen Leistungen die besten Hoffnungen, und ich glaube, die Facult~t kann sich freuen, dass derselbe hier in G6t- tingen seine erste Th~itigkeit zu versuchen beabsichtigt. Unter den vorgeschlagenen Themen zur Probevorlesung wtlrde ich ftir das erste stimmen." (UAG, BI.516)

Der Dekan formulierte im Namen der Fakult~itsmitglieder- nach Bemerkungen zur Biographie:

,,Am 7. Januar d.J. hielt er seine Probevorlesung ,Demonstration eines Modell's der allgemei- nen Plticker'schen Complex_fl~iche '31 woran sich dann das mit ibm gehaltene Colloquium schloB. Den wissenschaftlichen Forderungen hat er auf ausgezeichnete Weise entsprochen; selbst sein /iuBerer Vortrag land allgemeinen Beifall. Wir erlauben uns daher darauf anzutragen, KOnigl. Universit/its-Curatorium wolle uns erm~ich- tigen, dem Dr. Klein vorl~iufig die venia legendi im Fache der Mathematik zu ertheilen." (UAG:BI.517)

Klein erhielt die Lehrbef/ihigung fiir das Fach Mathemat ik , bot jedoch zun~ichst phy- sikalische Vorlesungen an. Er schrieb dariiber: ,Nach der Habil i tat ion in G6t t ingen (Jan. 1871) begann ich dann aber, ohne viel Physik studiert zu haben, tiber ,Opfik ' und ,Wechselwirkung der Naturkr~f le ' zu lesen; erst im Sommer 1872 las ich ein mathematisches KoUeg, n~'nlich Analytische Geomet r ie (ffir Anf~nger)." (Klein 22L in Jacobs 1977) Bisher wurde nicht diskutiert, weshalb er dieses Angebo t unter- breitete. Es seien hierzu einige Uber legungen vorgetragen.

Erstens beurteilte Klein seine w~ihrend des Studiums erworbenen naturwissen- schaftlichen Kenntnisse als nicht besonders hoch. Wenn es auch scheinen mag, dab er sehr breit orientiert war, so ist doch zu bedenken, dab er das Studium in Bonn, einschlieBlich Promotion, nach nur sechs Semestern abgeschlossen hatte. An einem humanistischen Gymnas ium ausgebildet, holte er innerhalb dieser drei Jahre eine naturwissenschaftliche Allgemeinbildung nach, die man nach 1900 von einem Absol- venten einer Oberrealschule durchaus erwarten durfte. Klein geh6rte zwar zu den aktiven und sehr gut beurtei l ten Teilnehrnern des naturwissenschaftlichen Seminars in Bonn (vgl. Schubring 1989a, S. 210), das vermit tel te Wissen blieb jedoch e lemen- tar, wie er selbst berichtete:

,,Im naturwissenschaftlichen Seminar in Bonn, 1819 gegrtindet, trugen die Mitglieder abwech- selnd tiber Abschnitte aus den damals geltenden allgemeinen Lehrbtichern vor. Es wurde in der Woche fiinfmal von 4-5 Uhr tiber Chemie, Botanik, Physik, Zoologie und Mineralogie gesprochen. Nach heutigem Massstab war es ein ganz elementarer Betrieb. Die reiferen Kan- didaten unterzogen sich dann innerhalb des Seminars einem Kolloquium, und darin bestand das ganze Oberlehrerexamen fUr die naturwissenschaftlichen F/icher! Auf diese Weise konnte man aber auch bequem in 3 Jahren rnit seinem Studium fertig werden." (Klein 1910/11, S. 246f.)

Zweitens hatte er dennoch einen tieferen Brick in Gebiete der Physik getan, obgleich er angab, nicht viel Physik studiert zu haben. Das Angebot einer Vorlesung tiber Opt ik kann nach Kenntnis der in der Vita genannten Preisaufgabe anl~il31ich des Jubil~ums der Universit~t Bonn besser erkl~irt werden. Wie Klein schrieb, verlangte

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diese Aufgabe ,,eine historisch-kritische Behandlung der Frage nach der Richtung der Schwingungen im polarisirten Lichte". Im Universittitsarchiv Bonn ist keine Aus- arbeitung und Begutachtung der Aufgabe auffindbar, es gibt jedoch einen Eintrag im ,,Turnus der Preisaufgaben" (UAB, Pf 6401). Hier ist dokumentiert, dab Julius Plticker die Aufgabe mit dem Kurztitel ,,Aetherschwingungen" ffir 1867/68 stellte und Felix Klein diese 16ste. 32 In unmittelbarer Verbindung mit dem L6sen dieser Preisaufgabe und dem Eindringen in optische Probleme ist auch Kleins Besuch der Vorlesung ,,Interferenzerscheinungen" bei Eduard Ketteler im WS 1867/68 zu sehen. Mit dem Angebot der zweiten physikalischen Vorlesung fiber Wechselwirkung der Naturkrtifte und das Gesetz der Erhaltung der Kraft 33 hatte Klein einen sehr aktu- ellen Gegenstand aufgegriffen. Hierzu hatte er seine Kenntnisse in Berlin vertiefen k6nnen, wo insbesondere die Berliner Physikalische Gesellschaft einen breiten The- menkreis - einschliel31ich eines mathematischen Vortrags von Klein - behandelte (vgl. Schreier/Franke/Fiedler 1995). AuBerdem hatte sich der Kreis j/ingerer Dozen- ten in G6ttingen,,,Die Eskimos", intensiv tiber neue wissenschaftliche Themen unter- richtet (vgl. auch Tobies 1981, S. 26). Es ist kennzeichnend, dab der diesem Kreise angeh6rende Physiker Eduard Riecke (1845-1915) als ein Thema seiner Probe- vorlesung im Juni 1871 ebenfalls angab: ,,Uber das Gesetz der Erhaltung der Kraft" (UAG, B1. 529).

Drittens war das Angebot an mathematischen Lehrveranstaltungen in G6ttin- gen im Vergleich zum physikalischen Lehrangebot im SS 1871 besser. Klein besuchte, u.a. gemeinsam mit Ferdinand Lindemann (1852-1939), weiterhin Vorlesungen von Clebsch, war aber wissenschaftlich selbst schon so tief eingedrungen, dab er Dis- sertationsthemen anderer Mathematiker anregen konnte. Die frfiheste, unter Kleins Anregung entstandene Arbeit von Joseph Diekmann (1848-1905) ,,lSlber die Modi- ficationen, welche die ebene Abbildung einer Fl~iche dritter Ordnung durch Auf- treten von Singularit~iten erh~ilt" beurteilte Clebsch (Gutachten des Ordinarius in der Promotionsakte) bereits am 14. Juni 1871 (UAG, 156,1870/71, Nr. 39). In dieser Dissertation war erstmals der Einflul3 Hermann Gral3manns (1809-1877) spfirbar (vgl.Tobies 1996); Diekmann knfipfte an Ludwig Schl~ifli (1814-1895) an und bediente sich - wie er in seiner Dissertation einleitend schrieb - ,,einer geometrischen Inter- pretation der an die Grassmann'sche Erzeugnisweise angeknfipften Abbildung" (vgl. auch Tobies/Volkert 1998, S. 87f.).

Viertens mangelte es im SS 1871 an der Universit~it G6ttingen offensichtlich am Angebot yon Lehrveranstaltungen zur theoretischen Physik. Der Ordinarius fur Physik, Wilhelm Weber (1804--1891), litt unter ,,andauernder Krankheit", wie Clebsch im Juni 1871 in den Habilitationsunterlagen von Eduard Riecke schrieb. So konnte Riecke, der erst im Mai 1871 seine Dissertation unter Weber und Cleb- sch verteidigt hatte (UAG, Phil-Fak. 156, 1870/71, B. 306ff.), bereits einen Monat sp~ter die venia legendi ftlr Physik und Mathematik erwerben. Riecke hatte sich mit mathematisch-physikalischen Problemen befaBt, insbesondere mit Funktionen, die aus Untersuchungen tiber die q'heorie der elektrischen Str6me und des Magne- tismus herrtihrten. Dabei wurde ihm ein ,,fiber das gew6hnliche MaB hinausge- hendes mathematisches Niveau" bescheinigt (ebd., BI. 532). Es sei angemerkt, dab eine Konkurrenz mit Klein nicht entstand, vielmehr beide eng zusammenarbeite- ten, u.a. in einem Drei-Mann-Vortragsverein (mit Clebsch) ab Mtirz 1871, wie aus jfingst eingesehenen, unedierten Briefen Kleins an S. Lie hervorgeht. Riecke

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bewirkte mal3geblich den sp~iteren Ruf Kleins 1886 nach G6ttingen - gegen den Widerstand der Mathematik-Professoren (vgl. hierzu ausffihrlicher Tobies 1991).

Kleins frtihe, durch die G6ttinger Universit/itsverh~iltnisse vertiefte Affinit~t zur Physik drtickte sich auch in seiner Antrittrede aus, die er als Professor der Mathe- matik am 7. Dezember 1872 an der Universit~it Erlangen hielt. Er setzte sich mit der Bezeichnung ,,mathematische Physik" auseinander (vgl. hierzu auch Tobies/Volkert 1998, S. 36-50). Die gew~hlten Beispiele lassen den Bezug zur bearbeiteten Preis- aufgabe und zu seinen ersten Vorlesungen erkennen. Er bezog sich auf das Beispiel der ,,Theorie des Lichtes, welche yon den wesentlichen optischen Erscheinungen Rechenschaft gibt, indem sie dieselben auf Schwingungen eines Medium's zurueck- fuehrt, dem sie die Eigenschaften eines elastischen Koerper's beilegt"; diskutierte die Rolle der Mathematik for die ,,sog. Molekulartheorie", die ,,sogenannte geo- metrische Optik", ,,die Theorie der Waermeleitung, die Theorie des Potentials". Dabei verglich er das Arbeiten in der mathematischen Physik mit demjenigen in der Geo- metrie, wobei jeweils ,,das abstracte mathematische Denken auf ein sinnliches, bes- ser gesagt: ein anschauliches Gebiet" angewendet wird. ,,Wit stellen beidemal gewisse Saetze voran, die das Fundament fuer die ganze Betrachtung abgeben, die wit das eine Mal Hypothesen oder Gesetze, das andere Mal Axiome nennen. Fuer die fort- schreitende mathematische Entwicklung ist es gleichgueltig, wie wir diese S/~tze gewonnen haben, ob experimentell, ob vermoege unmittelbarer Anschauung." Die weite, auch bereits historische Sicht des 23j~ihrigen verwies auf die Rolle ,,aeusse- rer Anforderungen" ftir die mathematische Forschung, die ,,in der ihr einmal zuge- wiesenen Richtung dann bald ueber das unmittelbare Beduerfniss hinaus[geht]: aus der gewollten Beherrschung eines bestimmten Stoffes entwickelt sich eine neue rein mathematische Disciplin, die man dann nur noch uneigentlich mit dem Namen der urspruenglichen Anwendung belegt." (Jacobs 1977, Antrittsrede S. 8--12)

Kleins Rtickblick von 1913 auf seine Erlanger Zeit als Mathematikprofessor unterstreicht, dab er nocb immer meinte, ,,trotz des Umweges [tiber die Mathema- tik], eines Tages zur Physik - und sogar zur allgemeinen Naturwissenschaft- zurtick- kehren zu k6nnen, wie ich dann noch zuletzt ein Semester lang beim Zoologen der Universit~t praktisch arbeitete" (Jacobs 1977, Entwickelungsgang, S. 2). Seine sp~i- tere besondere Affinit~t zur Funktionentheorie Bernhard Riemanns (1826-1866) erkl~rt sich vornehmlich aus seinem vonder Physik herrfihrenden Blick und die bereits in seiner Erlanger Antfittsrede angedeutete Erkenntnis methodischer N~ihe zwischen geometfischer und physikalischer Forschung. So gab er denn auch an, dab er sein Buch Uber Riemanns Theorie der algebraischen Funktionen und Integrale (Leipzig: B.G. Teubner 1882) ganz als Physiker geschfieben babe. 34

Kleins weiteres Bemtihen um den Bezug zu den Naturwissenschaften drtickte sich vor allem in Aufgaben der Organisation aus, in seinem Engagement um den Ausbau der GOttinger Institutionen (vgl.Tobies 1991), ftir die mathematisch-natur- wissenschaftliche Unterfichtsreform und die ,,Encyklop~idie der mathematischen Wissenschaften mit Einschlul3 ihrer Anwendungen" (vgl. Tobies 1994a), aber auch im unmittelbaren Aufgreifen und f6rdem der Relativit~itstheorie (vgl.Tobies 1994b). Dies soil hier nicht detailliert erOrtert werden. Betont sei, dab der breite Blick ihn nicht loslie6 und die zahlreichen Dokumente immer wieder ein vielseitiges Heran- gehen offenbaren - nicht den einseitigen Standpunkt eines Mathematikers. Mir kommt es darauf an, explizit hervorzuheben, dab Klein sich ftir die mathematisch-

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naturwissenschaftliche Unterr ichtsreform nicht allein im Interesse der Mathema- tik bemtihte. Vielmehr ist es gerade bezeichnend, dab er neben der deduktiven, mathemat ischen Behandlungsweise die induktive, , ,unmathematische" Seite der Naturwissenschaften bewul3t benannte. So ftihrte er u.a. aus: ,,A.ls Typus der exak- ten Naturwissenschaften wird die Physik im Mit te lpunkt des naturwissenschaftli- chen Unterr ichtes stehen, aber nicht wie frtiher als 'Kreidephysik ' . [...] Jetzt sollen die Schtiler lernen, mit Appara ten umzugehen und das induktive Wesen physikali- scher Forschung zu begreifen." (Klein 1910/11, S. 187f.) Dies ging einher mit der For- derung nach Schtileriabungen und fand seine Erg~nzung in dem Bemtihen um die beschreibenden Naturwissenschaften: , ,Neben der Physik sollen aber auch Chemie und Biologie zu ihrem Rechte kommen, die beide in hohem Maasse unmathemat i - scher Natur sind" (ebd., S. 188).

Klein setzte sich hier in einen bewul3ten Gegensatz zu Kant. Immanuel Kants (1724--1804) Aussage ...... dab in jeder besonderen Natur lehre nur so viel eigentli- che Wissenschaft angetroffen werden k6nne, als darin Mathemat ik anzutreffen ist" (Kant 1787, S. VIII) , hatte das Denken im 19. Jahrhunder t stark beeinflul3t. Dis- kussionen unter Naturwissenschaftlern, die zu Beginn der 1840er Jahre in der von Lorenz Oken (1779-1851) gegriindeten ,,ISIS oder Encyklop~dischen Zei tung" geftihrt worden waren, hatten an Kant angekniipft und zur Aufnahme der Mathe- matik in das Vortragsprogramm der Versammlungen deutscher Naturforscher und .Arzte geftihrt, l ]bereinst immend mit Kant waren die Ansichten von einem betr~cht- lichen Optimismus tiber die Rolle der Mathemat ik bei der Ausbildung anderer Gebie te zur Wissenschaft gepr~igt (vgl.Tobies/Volkert 1998, S. 11-20). Sp~tere Natur- wissenschaftler konnten sich nicht in jedem Fall damit identifizieren. Dies schien Klein vor Augen zu schweben, als er formulierte: ,,Den Kantischen Satz, dass eine Disziplin ebensoviel wahre Wissenschaft enthalte, wie sie Mathematik brauche, dfirfte heutzutage kaum Zustimmung finden, und entgegen der Ansicht von Kant wird denn auch der Biologie von allen Seiten das gr6sste Interesse entgegengebracht ." (Klein 1910/11, S. 189)

Anmerkungen i In der Universit~itsbibliothek Bonn befindet sich ein Exemplar der Dissertation mit ange-

ftigter Vita. Die Promotionsakten shad im Universit~itsarchiv nicht erhalten. 2 Klein bezeichnete die Krankheit in einem Brief als ,,gastrisches Fieber". 3 Vgl. zu den mathematischen Abituraufgaben Kleins (Fischer 1985). 4 Klein 1921, S. 3--49. 5 Julius Plticker (1801-1868); vgl. besonders Ziegler (1985). 6 Die Bearbeitung dieser Preisaufgabe und diese Preisverleihung ist bisher aus keinem ande-

ren Dokument bekannt. Dieses Eindringen in Probleme der theoretischen Optik spiegelt sich in Kleins Erlanger Antrittsrede vom 6. Dezember 1872 wider (vgl. Jacobs 1977).

7 Unter der Leitung Friedrich Wilhelm August Argelanders (1799-1875), einem Schtiler Frie- drich Wilhelm Bessels (1784-1846),war ab 1837 die Bonner Sternwarte erbaut worden.Arge- lander wirkte bis zu seinem Tode als Professor der Astronomie an der Universit~it Bonn. U.a. war er auch beim Bau der Sternwarte in Bilk, N~ihe Dtisseldorf, beratend t~itig gewe- sen. Durch den Direktor der Sternwarte in Bilk, Robert Luther (1822-1900), Entdecker zahl- reicher Planetoiden, war Klein bereits als Gymnasiast in astronomische Forschungen ein- geftlhrt worden. Klein h6rte bei A.rgelander nur eine einzige Vorlesung wahrend seines ersten

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UBERBLICK-SURVEY Renate Tobies

Semsters in Bonn tiber die von GauB herrtihrende ,,Methode der kleinsten Quadrate" (WS 1865/66).

8 Karl Gustav Bischof (1792-1870), Professor for Chemie an der Universittit Bonn, Mitbe- grtinder der Geochemie in Deutschland. In dem von Schubring (1989a, S. 208f.) publizier- ten Exmatrikel-Verzeichnis Kleins ist keine Lehrveranstaltung Bischofs angegeben.

9 Franz Eduard Gehring (geb. 1838), promovierte 1860 in Berlin mit einer mathematischen Dissertation zum Dr. phil. (Poggendorff, Bd. llI, S. 501) und wurde von WS 1862/63 bis WS 1872/73 im Personalverzeichnis der Universit~it Bonn als Privatdozent geftihrt. Nach Schar- lau (1990, S. 54) habilitierte er sich dort in Mathematik im Jahre 1873. Keineswegs besaB er schon eine Professur (wie angegeben bei Schubring 1989a, S. 208). Klein h6rte bei ihm Dif- ferentialrechnung (WS 1865/66) und Variationsrechnung mit Beispielen aus der analytischen Dynamik (SS 1868).

10 Johannes von Hanstein (1822-1880), Professor for Botanik. Klein besuchte drei Semester lang Vorlesungen bei ihm: Allgemeine Botanik (SS 1866), Fortpflanzung und Entwicklung der Pflanzen (WS 1866/67), Das nattirliche Pflanzensystem (SS 1867).

11 Eduard Ketteler (1836--1900),war seit 1865 Privatdozent, seit 1872 Extraordinarius ftir Phy- sik und wurde 1889 zum o. Professor in Bonn berufen; er publizierte zahlreiche Arbeiten insbesondere tiber Probleme der theoretischen Optik (vgl. Poggendorff, Bd. III, S. 715f., Bd. IV, S.742f.). Klein h6rte im WS 1867/68 eine Vorlesung ,,Interferenzerscheinungen" bei ibm.

12 . Hans Landolt (1831-1910), Professor der physikalischen Chemie in Bonn zu dieser Zeit. Klein nahm an seinen Vorlesungen tiber anorganische Experimentalchemie (SS 1866), organische Experimentalchemie und Ausgew/ihlte Kapitel der Chemie (WS 1866/67) sowie am Che- mischen Praktikum teil (WS 1867/68).

13 Bei Rudolf Lipschitz (1832-1903), der von 1864 bis 1903 Mathematikprofessor in Bonn war, verteidigte Klein seine Dissertation, da Plticker verstorben war. Wie G. Schubring (1989a, S. 208f.) dokumentiert, besuchte Klein ab Studienbeginn in jedem Semester Lehrveranstal- tungen sowohl yon Plticker als auch yon Lipschitz.

14 Joseph Neuhtiuser (1823-1900), Professsor for katholische Theologie, Rektor der Univer- sittit Bonn im Jahre 1888/89. Klein besuchte im WS 1865/66 eine Vorlesung tiber Logik bei ihm.

15 Johann Jacob N. Noeggerath (1788-1877) wirkte seit Grtindung der Universitat Bonn 1818 als a.o. Professor und seit 1821 als Professor for Mineralogie und Bergwerkswissenschaften an der Universit~t Bonn, neben seiner Stellung als Beamter beim Oberbergamt. Klein h6rte eine Vorlesung bei ihm tiber Mineralogie im SS 1867.

16 Ernst Pfitzer (1846-1906) habilitierte sich 1868 in Bonn ftir Botanik und erhielt 1872 einen Ruf nach Heidelberg. Klein war H6rer seiner Vorlesung tiber parasitische Pilze im WS 1868/69.

17 Gustav Radicke (1810-1883) hatte sich in Berlin habilitiert und hielt seit 1847 bis zu seinem Tode im Rahmen einer a.o. Professur an der Universit/it Bonn mathematische und theore- tisch-physikalische Vorlesungen, insbes, ist sein Handbttch der Optik, mit bes. Riicksicht auf die neuesten Forschungen der Wissenschaft (2 Bde., Berlin 1839) hervorzuheben. ADB, Bd. 27, S. 135. Klein hOrte bei ibm eine Vorlesung tiber Analytische Statik (WS 1868/69).

18 Anton Heinrich S. Springer (1825-1891) hatte sich 1852 in Bonn for Kunstgeschichte habi- litiert und wurde dort sptiter zum Professor berufen. Hervorzuheben shad seine Baukunst des christlichen Mittelahers (Bonn 1854) und das Handbuch der Kunstgeschichte (Stuttgart 1855), ADB, Bd. 35, S. 315-317. Schubring (1989a, S. 209) verzeichnet, daB Klein eine Vor- lesung tiber Goethe bei ibm h6rte (WS 1865/66).

19 Franz Hermann Troschel (1810-1882) war 1849 als Professor der Zoologie und der allge- meinen Naturwissenscha.ft an die Universittit Bonn berufen worden. Klein nahm bei ihm am Naturwissenschaftlichen Seminar teil (WS 1866/67, SS 1867).

20 Vgl. hierzu Schubring (1985;1989a). 21 Alfred Clebsch (1833-1872) war als Professor der Mathematik 1868 von GieBen nach GOt-

tingen berufen worden. 22 Publikationsorgan der G6ttinger GeseLlschaft (=Akademie) der Wissenschaften. 23 Die Zeitschrift Mathematische Annalen war gerade 1869 durch Alfred Clebsch und Carl Neu-

mann (1832-1925) gegrtindet worden (vgl. Tobies/Rowe 1990). Der Aufsatz erschien in Bd.

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Der Blick Felix Kleins auf die Naturwissenschaften UBERBLICK-SURVEY

2 (1870) und ist enthalten in (Klein 1921, S. 53-80). 24 Die Arbeiten sind datiert auf den 14.6.1869 und den 4.8.1869. 25 Moritz Abraham Stern (1807-1894), auf dessen Lehrstuhl Klein 1886 in G6ttingen folgte. 26 Bernhard Minnigerode (1837-1896) hatte sich 1866 in G6ttingen in Mathematik habilitiert

und blieb dort Privatdozent bis zur Berufung zum Professor an die Universit~it Greifswald 1874.

27 Vgl. zu den Berliner Mathematikern Ernst Eduard Kummer (1810-1893), Karl Weierstrag (1815-1897) und Leopold Kronecker (1823-1891) sowie zur T~itigkeit Kleins im Seminar (Biermann 1988, be,~ S. 108f.).

28 Der Experimentalphysiker Heinrich Gustav Magnus (1802-1870) war seit 1834 Professor an der Universit~it Berlin und hatte dort 1843 ein physikalisches Kolloquium ins Leben geru- fen; daneben bestand seit 1845 die Berliner Physikalische Gesellschaft, an der sich breitere, auch nicht akademische Kreise beteiligten (vgl. Schreier/Franke/Fiedler 1995).

29 Der norwegische Mathematiker Sophus Lie (1842-1899), vgl. (Rowe 1988; 1992; Pars- hall/Rowe 1994 mit weiterftihrenden Literaturhinweisen).

30 Vgl. (Klein 1921, S. 415-423; Rowe 1992, S. 588-604.). 31 Der Inhalt dieser Vorlesung war sehr wahrscheinlich identisch mit einem Vortrag Felix Kleins,

den er bereits als Mitglied der Berliner PhysikaLischen Gesellschaft am 11. M~irz 1870 gehal- ten hatte: ,,l:/ber ein Modell einer Plticker'schen Komplexfl~iche" (Fortschritte der Physik 24 (1868) erschienen 1872, S. VII). FOr diesen Hinweis dankt die Autorin Herrn Doz. Dr. Wolf- gang Schreier, Leipzig.

32 Die Autorin dankt Herrn Dr.Thomas Becker, UA Bonn, for die freundliche Unterstiatzung. 33 Wie es zu dieser Zeit noch allgemein bezeichnet wurde. Vgl. auch den Artikel in NTM von

Wolff (1997). 34 So Klein in Band 3 seiner Gesamrnelten MathernatischenAbhandlungen (Klein 1923, S. 478),

vgl. auch (Parshall/Rowe 1994, S. 177-182).

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Anschri f t der Verfasserin:

Dr. habil. R e n a t e Tobies FB Ma thema t ik Universit/ i t Kaisers lautern PF 3049 D-67653 Kaisers lautern

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