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I. ABHANDLUNGEN Der gegenw~irtige Stand der Tannenlaus-Frage in forstlicher Sicht Vorl H. PSCHORN-WALCHER (European Station, Commonwealth Institute of Biological Control, Del~mont, Schweiz) In den letzten Jahren durchgefiihrte Paralleluntersuchungen am Forstzoologischen Institut der Universit~it in Freiburg/Breisgau und an unserer Station in der Schweiz haben in der Tannen- laus-Frage auch forstlich interessante Ergebnisse gezeitigt, so daft im foigenden kurz dariiber berichtet werden soll. Es handelt sich: 1. um das Auftreten einer bisher iibersehenen, sehr ge- fiihrlichen Tannenlaus, Dreyfusia merkeri Eichhorn, in mehreren europ~iischen L~ndern und 2. um das starke Vorkommen der Tannentrieblaus, Dreyfusia nigsslini C. B., an den Stiimmen yon WeiBtannen hSherer Akersklassen, das besonders in der Ostschweiz, aber auch in vielen anderen mitte]europ~iischen und skandinavischen W~ildern festgestellt werden konnte. I. Die Unterscheidung der drei an Weifltannen lebenden Dreyfusia-Arten Eine einwandfreie Unterscheidung der Dreyfusia-Arten kann meist nur dutch alas mikroskopische Prliparat erfolgen. Man st~tzt rich dabei vor allem auf die Untersu- chung der Wachsporen der Junglarven (,,Neosistentes"), die bei den drei Arten, Drey- fusia pieeae Ratz., D. niisslini und D. merkeri verschieden stark chitinisiert sind und zum anderen sich besonders in der Porenzahl und Porenform voneinander unterschei- den (Details siehe in der Arbeit yon E~CmtORN [3]). Bei diesen Unterschieden handelt es sich jedoch um sogenannte statistische Merkmale, die also erst nach Untersuchung mehrerer Tiere mit Sicherheit erfat~t werden k5nnen, w~ihrend Einzell~iuse unter Um- st~inden nut schwer zu identifizieren sin& Die mikroskopische Bestimmung der Drey- fusia-Arten erfordert eine aufhellende Vorbehandlung der Junglarven mit Milchs~iure oder Kalilauge und ferner eine ca. 100fache VergrSt~erung. Es wird sich daher emp- fehlen, das Befallsmaterial (Junglarven des 1. Stadiums yon St~mmen oder Trieben, mit den typischen Wachsk~immen l~ings der Riickenmitte und an den Seiten - junge Nadell~iuse und gr5t~ere bzw. erwachsene Tiere weisen weniger typische Merkmale auf und eignen sich daher kaum zur Bestimmung) den zust~indigen Forstschutzstellen zu [iberlassen. Das Probematerial kann entweder in Alkohol (70 0/0) konserviert oder direkt auf den Rindenstficken bzw. Zweigen belassen werden. Eine neue Methode der Artbestimmung, die auch ~iltere Larvenstadierl und reife LS.use zu identifizieren vermag, ist die papierchromatographische Untersuchung der Kgrperfl~issigkeit der Tiere (siehe EICHHORN [3]). Dieses chemische Verfahren erfordert jedoch einen lang- wierigen Arbeitsgang mit abschtie~ender Untersuchung der gewonnenen Chromatogramme im U-V-Licht und ist daher nur im Laboratorium durchzufiihren. Eine Unterscheidung der Tannenliiuse mit Jreiem Auge, an der der forstlichen Praxis besonders gelegen sein mi.if~te, ist nicht absolut zuverl~issig. Es gibt jedoch et- liche ~iuflere und vor allem biologische Anzeichen , die es gestatten, die eine oder andere Art auszuschliet~en und so mit einer gewissen Sicherheit eine Ansprache im Freiland zu stellen.

Der gegenwärtige Stand der Tannenlaus-Frage in forstlicher Sicht

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I. A B H A N D L U N G E N

Der gegenw~irtige Stand der Tannenlaus-Frage in forstlicher Sicht

Vorl H. PSCHORN-WALCHER

(European Station, Commonwealth Institute of Biological Control, Del~mont, Schweiz)

In den letzten Jahren durchgefiihrte Paralleluntersuchungen am Forstzoologischen Institut der Universit~it in Freiburg/Breisgau und an unserer Station in der Schweiz haben in der Tannen- laus-Frage auch forstlich interessante Ergebnisse gezeitigt, so daft im foigenden kurz dariiber berichtet werden soll. Es handelt sich: 1. um das Auftreten einer bisher iibersehenen, sehr ge- fiihrlichen Tannenlaus, Dreyfusia merkeri Eichhorn, in mehreren europ~iischen L~ndern und 2. um das starke Vorkommen der Tannentrieblaus, Dreyfusia nigsslini C. B., an den Stiimmen yon WeiBtannen hSherer Akersklassen, das besonders in der Ostschweiz, aber auch in vielen anderen mitte]europ~iischen und skandinavischen W~ildern festgestellt werden konnte.

I. Die Unterscheidung der drei an Weifltannen lebenden Dreyfusia-Arten

Eine einwandfreie Unterscheidung der Dreyfusia-Arten kann meist nur dutch alas mikroskopische Prliparat erfolgen. Man st~tzt rich dabei vor allem auf die Untersu- chung der Wachsporen der Junglarven (,,Neosistentes"), die bei den drei Arten, Drey- fusia pieeae Ratz., D. niisslini und D. merkeri verschieden stark chitinisiert sind und zum anderen sich besonders in der Porenzahl und Porenform voneinander unterschei- den (Details siehe in der Arbeit yon E~CmtORN [3]). Bei diesen Unterschieden handelt es sich jedoch um sogenannte statistische Merkmale, die also erst nach Untersuchung mehrerer Tiere mit Sicherheit erfat~t werden k5nnen, w~ihrend Einzell~iuse unter Um- st~inden nut schwer zu identifizieren sin& Die mikroskopische Bestimmung der Drey- fusia-Arten erfordert eine aufhellende Vorbehandlung der Junglarven mit Milchs~iure oder Kalilauge und ferner eine ca. 100fache VergrSt~erung. Es wird sich daher emp- fehlen, das Befallsmaterial (Junglarven des 1. Stadiums yon St~mmen oder Trieben, mit den typischen Wachsk~immen l~ings der Riickenmitte und an den Seiten - junge Nadell~iuse und gr5t~ere bzw. erwachsene Tiere weisen weniger typische Merkmale auf und eignen sich daher kaum zur Bestimmung) den zust~indigen Forstschutzstellen zu [iberlassen. Das Probematerial kann entweder in Alkohol (70 0/0) konserviert oder direkt auf den Rindenstficken bzw. Zweigen belassen werden.

Eine neue Methode der Artbestimmung, die auch ~iltere Larvenstadierl und reife LS.use zu identifizieren vermag, ist die papierchromatographische Untersuchung der Kgrperfl~issigkeit der Tiere (siehe EICHHORN [3]). Dieses chemische Verfahren erfordert jedoch einen lang- wierigen Arbeitsgang mit abschtie~ender Untersuchung der gewonnenen Chromatogramme im U-V-Licht und ist daher nur im Laboratorium durchzufiihren.

Eine Unterscheidung der Tannenliiuse mit Jreiem Auge, an der der forstlichen Praxis besonders gelegen sein mi.if~te, ist nicht absolut zuverl~issig. Es gibt jedoch et- liche ~iuflere und vor allem biologische Anzeichen , die es gestatten, die eine oder andere Art auszuschliet~en und so mit einer gewissen Sicherheit eine Ansprache im Freiland zu stellen.

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Solche ,,felddiagnostische Kennzeichen" sind die folgenden: 1. Tritt der Befall an Jungtannen der 1. (2.) Altersklasse auf, besonders am Rande

von Tannenjugenden, aber auch in Pflanzg~irten usw. und sind dabei vor allem A'ste, Zweige und die Nadeln, besonders der Maitriebe, verlaust, so handelt es sich entweder um D. niisslini oder D. rnerkeri (Abb. 1-3). Die Tannenstammlaus, D. piceae, kommt hierfiir nicht in Frage. a. Ist der unter Punkt 1 genannte Befall der Zweige nur im Fri~hjahr (April bis

Juni) auffiillig (durch starke Abscheidung yon weiflen Wachswolleflocken) und unterbleibt eine erneute Wachswollebildung im Sp~itsommer bis Herbst ganz oder so gut wie ganz, so handelt es sich um die typische ,,einbriitige Tannen- trieblaus", Dreyfusia niisslini, forrna typica.

b. Erscheint hingegen der off wesentlich weniger dichte Wachswollebelag im Sp~it- sornrner ein zweites MaI (Abb. 3), mit anderen Worten, tritt im August/Sep- tember erneute Fortpflanzung der Triebl~iuse ein, so liegt Befall dutch die ,zweibriitige Tannentrieblaus", Dreyfusia rnerkeri, vor.

Abb. 1. Dreyfus~a merkerl an 2j~ihrigen Weif~tannensiimlingen in einer Pflanz- schule des Schwarzwaldes. (Aufnahme Dr. O. Eichhorn, 29. 4. 1954)

2. Tritt der Befall an Tannen h?Sherer AItersklassen auf (40-120j.), und zwar in Form yon StamrnbefalI (Abb. 4) (bei Massenbefall leuchtend weif~er L~berzug des Stammes), so kann es sich um alle drei Lausarten im Rein- oder Mischbefall handeln. a. Ist dieser Stammbefall im wesentlichen nur im April/Juni vorhanden und unter-

bleibt ein erneutes ,,Weitlwerden" der St~imme gegen I-Ierbst zu, dann liegt mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit Stammbefall durch D. niisslinJ, forma schneideri, vor, die den Stamm yon Alttannen bewohnende Form der ,,einbriitigen Tannen- trieblaus".

b. Erscheint hingegen der Wachswolleiiberzeug am Stature der Altb~iume im August~ September erneut, so liegt sicher Befall entweder durch die ungef~ihrliche Tan- nenstammlaus, D. piceae, oder durch die gef~ihrliche, ,,zweibriitige Tannentrieb- laus", D. rnerkeri, vor. Eine sichere Entscheidung kann in diesem Falle nur durch rnikroskopische Prliparation der Junglarven erfolgen.

Wenn es nach mehrj~ihrigem StammbefalI zum Zusammenbruch der Lausvermehrung kommt, dann kann, sofern die Masse der L~iuse iiber Winter oder im Fr[ihjahr abstirbt, ein erneutes Wqi!lwerden der St~imme auch bei den beiden eben genannten Arten unterbleiben, wodurch eine Verwechslung mk niisslini m~Sgiich wird. Ein solcher abgestorbener Befall (ein- getrocknete L~iuse) ist aber durch Abreiben der Rinde rnit den Fingern leicht yon lebendem Befall (,,safiige 'c L~iuse) zu unterscheiden.

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3. Eine weitere, schon angedeutete Hilfe zur Auseinanderhaltung yon D. niisslini und D. piceae einerseits und D. merkeri andererseits bietet ihre o~ unterschiedliche Be- wollung. Besonders bei den an den Triebspitzen saugenden L~iusen sind die yon D. merkeri oft unbewollt oder nut schwach rnit Wachs bedeckt, w~ihrend niisslini- und piceae-Altl~use aus allen Poren, entlang des Riickens und auch an den Seiten, kr~ifiige, weif~e F~iden ausscheiden. Bei D. niisslini sind die Wolleb~iuschchen mehr kugelig, rund begrenzt, bei D. piceae hingegen mehr f~dlg aufgelockert und dutch die st~irkere R~iuberwirkung gegeniiber dieser Art off noch recht ,,zerzaust".

4. Zur Unters&eidung yon niisslini- und merkeri-Befall an Jungtannen kann auch noch die unterschiedliche Produktion yon NadeIsaugern (,,Progredientes") und Gefliigelten gute Dienste leisten. Die im April/Mai sich fortpflanzenden Triebl~iuse vori D. niissIini produzieren in der Regal grol~e Mengen yon ungefliigelten Nadel- saugern (die si& besonders all den sich entfaltenden Maitrieben ansetzen) und nur relativ wenige gefRigelte Nadell~use. Bei der ,,zweibrii6gen Tannentrieblaus" (D. merkeri) treten demgegeni~ber die Ge~liigelten in grSf~erer Anzahl in Erscheinung, sind also gegeniiber den ungefliigelten ,,Progredientes" relativ h~iufiger. Fiir die ]orstliche Praxis ist eine

genaue Unterscheidung der drei ge- nannten Tannenlausarten yon erheb- licher Bedeutung.

Im Falle yon Punkt 1, a, b, (Vor- liegen yon Zweig- und Nadelbefall an Jungtannen) ist auf jeden Fall mit einer Gef~ihrdung des befallenen Be- standes zu rechnen. Die Frage, ob diese durch niisslini oder merkeri ver- ursacht ist, erscheint hierbei, forstlich gesehen, zun~ichst zweitrangig. Eine solche Unterscheidung kann jedoch im Hinbli& auf Bek{impfungsmat~nah- men wichtig werden, da ja, wie unter Punkt 1 angefiihrt, erstere Art sieh im wesentliehen nur im Friihjahr/Sommer, letztere aber nodlmals im l--Ierbst fort- pflanzt und dementsprechend die Ter- minwahl der Bek:,impfung beeinflui~t wird (siehe sp~iter).

Im Falle yon Plcnlet 2 (Vorliegen yon Stammbefall im Stangen- oder Altholz) bleibt es sich fiir den be- Abb. 2. Starker Befall yon Dreyfusiva merkeri an fallenen Baum bzw. Bestand selbst 4j~ihrigen, verschulten Jungtannen. (Aufnahme ziemlich gleichgiiltig, ob der Befall wie Abb. 1) dutch D. piceae, nlisslini oder merkeri verursacht wird. Erfahrungsgemii£ ist Stammbefall an Tannen der 3. Altersklasse und aufw~irts ni&t lebensgeflihrdend und tritt wirtschaftlich hSchstens in Form yon gewissen Zuwachsverlusten in Erscheinung. Wir wissen noch nicht, wie hoch das Aus- ma/~ dieser Verluste sein kann und ob Unterschiede zwlschen den drei Lausarten be- stehen, doch daft es wirtschafldich verantwortet werden, den Stammbefall als ertr~ig- lidi einzusch~itzen.

Eine andere Frage ist, inwieweit ein solcher Stammbefall im Altholz durd~ D. niisslini oder D. merkeri als Infektionsherd fi& umliegende Jungbest~inde fungieren kann. Leider sind wir gerade tiber diesen wichtigen Punkt auf Vermutungen ange-

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wiesen. Eine exakte Kl~rung der Frage wird jedoch nur durch kiinstliche Infektions- versuche zu erreichen sein. Hierbei ist abzukl~iren, ob Stamml~iuse yon nigsslini resp. rnerkeri in der Lage sind, nach Obertragung auf Zweige yon Jungtannen im Freistand

fortzukommen. Im Laborversu& ist eine l~bertragung yon Stammsaugern auf junge, eingetopffe T~innchen ohne wei- teres m~Sglich und gelingt selbst bei der unter nadirlichen Verh~ilmissen nur am Stamm yon Altb~iumen lebenden D. piceae. Inwleweit eine derartige Infek- tlon yon Jungbest~inden durch Uber- wandern bzw. Uberwehen yon L~iusen yon verseuchten Alth~5izern her unter Freilandverh~ilmissen gegeben ist, wissen wit jedoch nicht. Junglarven k/Snnen passiv durch Windtransport erhebliche Stre&en zurli&legen und auch aktiv etliche Meter wandern. Wenn wir vor- l~iufig dazu neigen, die Gefahr einer solchen Anste&ung yon .Tungbest~inden durch Befallsberde im Altholz als gering einzusch~itzen, so spricht dafiir die Beob- achtung, dai~ stammverlauste Best~inde vielfach allein, ohne nennenswerten Be- fall in umliegenden Kulturen, auftreten. Dies wiirde darauf hindeuten, dat~ die Stammsauger do& schon ziemlich spe- zialisiert find und sich auf Trieben und

Abb. 3. Astbefall durch Drey/usia rnerkeri an Zweigen nur mehr schwer ansiedeln kiSn- einer 20jghrigen Weif~tanne am S&auinsland. hen. Es handelt sich bei dieser Ansicht Das erneute ,,Wei~werden" der Sdimmchen abet nur um eine Hypothese, die mit im Herbst deutet auf D. rnerkeri bin, w~ih- rend D. niisslini praktlsch nur eine (Frtih- Rii&sicht auf ihre wirtschaffliche Bedeu- jahrs)-Generation besitzt. (Aufnahme Dr. O. tung dringend einer Priifung unterzogen

Ei&horn, 15. 9. 1953) werden sollte. Wtirde sich dabei heraus- stellen, daf~ derartige Herde im Altbe-

stand do& eine dauernde Anste&ungsquelle fiir angrenzende Jungh~51zer bilden, so miiSten notgedrungen die ganzen chemischen Bekgmpfungsaktionen gegen Triebl~iuse auf eine neue, breitere Basis umgestellt werden.

II. Lebensweise und Vorkommen der Tannenl~iuse

a. Dreyfusia niisslini - (die ,,einbriitige Tannentrieblaus")

Bekanntlich ist die Tannentrieblaus im vorigen Jahrhundert aus dem Osten nach Mitteleuropa eingeschleppt worden. Es wurde tange angenommen, datl niisslini nur Tannen der ersten Altersklassen bef~illt und bier vor allem 2~ste, Zweige und Nadeln, weniger den Stamm, besiedelt. Seit etwa 30 Jahren hat man in der Schweiz die Art aber auch gelegentlich am Stamm yon Alttannen angetroffen. Diese Populationen wurden eine Zeit lang als eigene Art (,,D. schneideri") angesehen, spiiter aber wieder mit D. niisslini zusammengebracht. Seit etwa 1954 beobachteten wir nun in der Ost-

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schweiz eine auflerordentliche Zunahrne des Stammbefalls (lurch niisslini und parallel dazu einen starken Rtickgang der in den Vorjahren dominierenden D. piceae. 1955 waren yon ca. 500 untersuchten Tannen der 3.-5. Altersklasse tiber 400 durch niisslini im Reinbefall, der Rest durch die eigentliche Tannenstammlaus (piceae) oder durcll Mischbefall verlaust. Der strenge Frost im Februar 1956 hat den Massenbefall beider Arten v/Sllig ausgel~Sscht, doch ist selt 1958 D. piceae wieder stark im Zunehmen.

Es erscheint daher gerechtfertigt, bei der einbriitigen Tannentrieblaus zwei 6kolo- gische Standortsformen zu unterscheiden: 1. eine Dreyfusia niisslini, forma typica, die typis&e einbrtitige Trieblaus an Jung-

tannen, und 2. eine Dreyfusia niisslini, forma schneideri, die ,,stammbewohnende Alttannenform

der einbriitigen Trieblaus" in Best~inden der 3.-6. Altersklasse, na& ihrem Ent- de&er, Prof Dr. SCnN~m~R-OR~LLI (Ziirich) benannt. Die beiden Formen unterscheiden si& biologisch wie auch in ihrer Standortswahl

voneinander. Aus den Eiern der typischen Trieblaus gehen im Friihjahr dreierlei Tiere hervor:

einmal langriisseIige Larven (Neosistentes), die si& wiederum an den Zweigen der Jungtannen festsetzen und fast ausnahmslos in Sommerruhe verfallen. Sie h~iuten sich meist erst im Oktober, iiberwintern und setzen im zeitigen Frtihjahr ihre Weiterent- wi&lung fort, um, je na& Standort, am April/Mai mit der Eiablage zu beginnen, - ferner kurzriisselige Larven (Progredientes), die auf die Tannennadeln (besonders Maitriebe) iiberwandern und dort im Juni eine neue Generation hervorbringen, dies~ mal langrtisselige Larven, die wiederum auf die Zweige zurii&wandern und si& den vorhin genannten Ruhelarven (Neosistentes) zugesellen, - schtiet~lich entstehen drit- tens Gefliigelte, die zum R(ickflug auf den Hauptwirt (Orientfichte) bestimmt sind und die daher unter unseren mitteleurop~iischen Verh~iltnissen meist zugrunde gehen miissen.

Bei der stammbewohnenden Form der einbriltigen Trieblaus unterbleibt die Aus- bildung yon Nadelsaugern und Gefliigelten fast vNlig. Aus den im Friihjahr massen- haf~ abgelegten Eiern gehen somit nur Stammsauger (Sistentes) hervor, die glei&fa!ls in Sommerruhe verfallen und erst im folgenden Friihjahr wieder ges&lechtsreif werden.

Beiden Formen yon D. niisslinl ist gemeinsam, daft eine sp~itsommerli&e, zweite Fortpflanzungsperiode der Sistentes nahezu ganz unterbleibt. Nur einzelne Tiere er- langen schon im August ihre volle Reife und legen Eier ab, do& ist ihr Anteil an der Gesamtbev61kerung in den meisten Jahren so gering, dag er dem Forstmann wohl un- bemerkt bleibt.

Was die Standortswahl betrifft, so bevorzugt die typische Form yon D. niisslini eindeutig warrne, trockene, sonnenexponierte Lagen his ca. 1400 m Meeresh6he. Jung- tannen im Freistand und an Di&ungsr~indern, vor allem an Siidh~ingen, sind daher besonders dem Angriff ausgesetzt. Tannen unter Schirm werden nur getegentlich, Pflanzs&ulen hingegen relativ h{iufig befallen.

Die schneideri-Form der Dreyfusia niisslini bevorzugt hingegen dichter stehende Stangen- und Ahh61zer mehr feuchterer Lagen, also ganz ~ihnliche Standorte, wie sie auch der eigentlichen Tannenstammlaus (D. piceae) zusagen. Daneben werden au& aufgelichtete Best~nde und solche w~irmerer Lagen befallen, wobei namentli& an Randb~iumen der Befall auf die unteren Aste der Sonnseite iibergreifen kann.

Beide Formen sind in Europa weir verbreitet. Die stammbewohnende Alttannen- form der D. niisslini haben wit in den letzten Jahren beispielsweise in den Vogesen, im Schwarzwald, in der Ostschweiz, in Bayern, im Wienerwald, in der Ostslowakei und in Schweden angetroffen. Die typis&e Form an Jungtannen ist sowohl im natiir- li&en wie auch im kiinstlichen Tannengebiet n6rdlich der Alpen allenthalben bekannt.

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b. Dreyfusia merkeri - (die ,,zweibriitige Tannentrieblaus ~)

Diese neue Tannenlaus wurde schon seit Jahren im Sdlwarzwald beobachtet, vorerst aber fiir D. piceae gehalten. Als wir 1955 anl~ii~lich einer ersten Besichtigung der Freibur- ger Befallsfl~ichen elnen Vergleich der Schweizer-piceae mlt den badischen L~iusen durchfiihrten, zeigte slch iiberraschenderweise, dai~ beide Herkiinflce morphologisch nicht genau iibereinstimmten. Herr Dr. O. EICHHO~N vom Forstzoologischen Instltut der Universitiit Freiburg i. B. (jetzt Hann. Mfinden) konnte sparer nachvceisen, daf~ die Sdlwarzwaldpopulationen einer eigenen, noch unbeschriebenen Art angehtSren, die er Dreyfusia merkeri nannte. Dieser Name hat nunmehr die yon uns vorher gegebene und auch in das bekannte Buch yon Prof. Dr. F. SCHWEV, I~TFEG~W (,,Die Waldkrank- heiten", 2. Aufl., 1957) iibernommene, vorl~iufige Bezeichnung ,,D. piceae, forma agres- siva" zu ersetzen.

D. merkeri bef',illt mit Vorliebe S;imlinge (Abb. 1), verscbulte Tannen in Pflanz- g~irten (Abb. 2) und Jungtannen der 1. Altersklasse (Abb. 3), aber auch Alttannen

(Abb.4), besonders deren Stammabschnltt, seltener den Kronenbereich. Sie ist wirtschafllich wohl ebenso gefiihrlich wie n#sslini, forrna typica. Bei D. merkeri-Befall f~illt auf, dat~ die ange- griffenen Kste an der Basis stark gestaucht er- scheinen (Abb. 5), w~ih- rend dies bei der einbril- tigen Trieblaus weniger zutage tritt. Wie noch un- verSffentlichte Untersu- chungen yon Prof. Dr. E. MrRKrR und seiner Schule in Freiburg i. B. zeigen, sind auch die Auswirkun- gen des Saugaktes der L~iuse auf das Rindenge- webe der WeiBtanne bei merkeri viel markanter als bei niisslini.

Die Entwicklung der neuen Laus verl~iuflc ~ihn- lich wie die der typis&en Trieblaus, d. h., es tre- ten im Frtihjahr wieder Zweig- und Nadelsauger und auch GefliJgelte (letz- tere viel h~iufiger als bei niisslini) auf, die eben-

Abb. 4. Ca. 60j~ihrige Schwarzwaldtanne mit starkem Stature- falls an Orientfichten (so- befall dutch Dreyfusia merkeri im Herbst 1954. Das Befalls- fern vorhanden) Gallen bild gleicht vollstiindlg jenem der Tannenstammlaus, D. piceae. Das nochmalige ,,Weif~werden" irn Herbst schliet~t D, nassllni, bilden k6nnen. Am [orma schneideri aus. (Aufnahme Dr. O. Eichhorn, 22.10. 1954) Stamm yon Altb~tumen

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ist, iihntich wie bei der schneideri-Form yon D. niissIini, die Ausbildung yon Progre- dientes stark eingeschr~inkt. Im Gegensatz zur einbriitigen Trieblaus pflanzen sich je- doch die meisten Friihjahrstiere von D. merkeri im Sommer und Herbst wiederum fort (Abb. 3 und 4). Die Sommerruhe der Junglarven wird also schon im Juni/Juli unterbrochen. Im Sp{itsommer erreicht diese 2. Generation ein deutlich sichtbares Maximum, indem die St~imme erneut ,,weif~" werden k/Snnen. Die yon der 2. Brut abgelegten Eier ergeben Junglarven, die sich h~iuten, im 2. Stadium iiberwintern und im Friihjahr geschlechtsreif werden.

Erstmals wurde D. merkeri in aus- gedehnten Herden im Schwarzwald in der Freiburger Bucht angetroffen. Sp~i- ter hat sie EICI~HOCN auch in Einzel- funden in Parkanlagen in Nord- und Mitteldeutschland angetroffen und auch an einem TS.nnchen im Park yon Sch6n- brunn bei Wien. Im Odenwald war sie 1954 bis 1956 h~iufig, worliber FRANZ und Kta~A~IAT mehrfach berichteten (5). Sie wurde dort gleichfalls vorerst ftir D. piceae gehalten. Ebenso hat sich ge- zeigt, dat~ der yon uns (siehe PSCHORN- WALCHEr, und Kr, Aus [8]) auf der Insel Visings~5 im V~itternsee (Schweden) 1956 festgestellte Lausbefall in Tannenjugen- den und StangenhSlzern 1958 iiberwie- gend durch D. merkeri und nur spora- dis& durch D. niisslini (ira Altholz auch D. piceae) verursacht wurde, w~ihrend 30 km weiter niSrdlich, in den ausge- dehnten Befallsfliichen am Omberg, bis- her nur niisslini und piceae gefunden werden konnten.

Das geh~iut~e Auftreten yon D. rner- keri in der N~ihe yon Exoteng~irten, ihre sp{ite Entdeckung und die F~ihigkdt, an Orientfichte Gallen zu bilden, lassen vermuten, daf~ diese Art, ebenso wie die einbriitige Trieblaus (niisslini), aus dem Osten zu uns eingeschleppt wurde. Mit Rii&sicht auf ihre forstliche Gefiihrlichkeit scheint es not- wendig, ihrem Auftreten in Zukunf~ besonderes Augenmerk zu widmen.

Abb. 5. Stauchungen der Basis yon Trieben einer jungen, durch Dreyfusia merkeri Befall abgestorbenen Weiftanne auf Visings5 in Schweden. (Aufnahme Verfasser, Juni 1958)

c. Drey]usia piceae - (die ,,Tannenstammlaus")

Die typische Tannenstammlaus hat schon lange Biirgerrecht auf unserer Weit~tanne, und beide haben sich soweit aneinander gew/Shnt, daf~ die durch die Laus verursach- ten Saugsch~iden bedeutungslos bleiben. D. piceae entwickdt 2 bis 3 Generationen im Jahr. Die beiden Hauptvermehrungsperioden fallen in die Monate Mai/Juni bzw. August/September. In giinstigen Jahren kann no& eine kleinere, unauff~illige ,,Zwi- schenvermehrung" im Juni/Juli eingeschoben werden, die iibrigens auch bei merkeri vorkommt. Es werden fast ausschliei~lich Stammsauger (Sistentes) gebildet, nur hSchst selten Gefliigelte. Diese bleiben aber dann an der Tanne. Eine Gallengeneration und damit ein Hauptwirt fehlt also vollst~indig. Die Vermehrung geht jahraus, jahrein nur durch Jungfernzeugung (Parthenogenese) vonstatten.

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Stand6rtlich bevorzugt die Tannenstammlaus eindeutig h6here Altersklassen, be- sonders die 4., und hier vor allem dichtere Bestiinde aller Lagen. In der Ostschweiz war 1955 praktisch jede ~iltere Tanne yon Einzelliiusen (,,eiserner Besatz") besiedelt. Massenauftreten kommen vor allem in reinen Nadelholzbest~inden vor, w~ihrend sie in solchen mit h~Sherer Laubholzbeimischung seltener sin& Gleichaltrige Bestiinde sind off starker verlaust als ungleichaltrige, stufige Bestandestypen. Stets wird der Stamm- abschnitt bis hinauf in die Krone befallen, seltener die Basis bodennaher Kste und wobl niemals periphere Zweige oder Nadeln. Die Art ist iiberall in Europa verbreitet, wurde jedoch 1956 durch den strengen Winter zum Verschwinden gebracht. Bereits im Herbst 1958 trat sie im Schwarzwald und in der Schweiz schon wieder zahlreich auf. Welche Faktoren dieses rasche Wiedererschelnen, vielfach auf den gleichen Stand- often, bedingen, ist wenig bekannt, ebenso wie auch tiber die Ursachen des oft ge- bietsmiiflig syn&ronen Zusammenbruchs solcher Massenvermehrungen die Meinungen noch auseinandergehen (vergl. die schon erw~ihnte Arbeit yon KAe, AFI•a" und Fe, ANZ, 1956; ferner Pscrtol~lv-WAtcHtR und ZwGLr~tt [9] und die Diskussionsbeitr~ige yon FRANZ u. KARAlalAT [4], M~I~KER [7] und PSC~ORN-WaLcm~r, und Zw&.I~ER [10]).

Die Tannenstammlaus wurde um die letzte Jahrhundertwende nacb den USA und Kanada eingeschleppt, wo sie vor allem an der dort heimis&en Balsam- tanne und auch an anderen Tannenarten, wie Abies amabilis, grandis und lasio- carpa, bedeutende Sch~iden verursacht. Sie ist dort nicht nur imstande, ~iltere Tannen durch fortgesetzten Stammbefall zum Absterben zu bringen (Abb. 6), son- dern sie tritt auch auf die Knospen yon Jungtannen tiber, an denen sie gicht- artige, tgdliche AnschweIlungen verur- sacht (Abb. 7). Ein ~ihnli& aggressives Verhalten yon D. piceae koniaten wir im grogen Arboretum yon Dr. Th. Oude- roans in Schovenhorst in Holland fest- stellen. I-'Iier wurden durch die Laus Jungbestlinde yon Abies balsamea, fraseri und nobilis, jedoch nicht ein Dutzend weiterer Tannenarten, darunter soiche, die in den USA befallen sind, schwer in Mitleidenschaft gezogen. Demgegeniiber sind andere Balsamtannenkulturen, so bei Augsburg, in Schweden usw., nicbt gesch~idigt, obwohi piceae in deren un- mlttelbaren Umgebung an Weigtannen

Abb. 6. Durch starken Dreyf~tsia piceae- h~/ufig ist. Dieses unterschiedliche Ver- Stammbefall verursachtes Absterben einer ~iI- halten der Art, zu dem noch gewisse teren Balsamtanne in Ostkanada. (Aufnahme

Verfasser, September 1 9 5 6 ) morphologische Untersehiede zwischen den kanadischen und europ~/ischen L~iusen

kommen, l~iflt weitere Untersuchungen fiber den ganzen Fragenkomplex notwendig erscheinen. '~'

Hier mug anhangsweise auch erw~ihnt werden, dag eine vierte Drey~usia-Art, D. prelli Grosmann, h~ufig in unseren Exoteng~irten und Parkanlagen auftritt. Sie lebt im Wirtswechsel zwischen Nordmannstannen und Orientfi&ten. lhre grotgen, ananasf6rmigen Gallen, die wir

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Der gegenwlirtige Stand der Tannenlaus-Frage 137

zum BeispM auch in Schovenhorst sehr zahlreich gefunden haben, find Mcht yon denen yon D. niisslini und D. merkeri zu unterscheiden. Sie scheint auch auf Weigtanne fortzukommen, doch sind hieriiber ebenfalls weitere Untersuchungen vonnbten (1).

IlL Schadensverhiitung und Bek~impfung

Bei Vorliegen yon Stammbefall durch D. piceae ist eine Bek{impfung wohl nicht er- forderlich. Auch bei Stammverlausung an Alttannen durch D. niisslini, forma schnei- deri, oder durch D. merkeri diiri°ce auf eine Bek~impfung in den meisten F{illen ver- zichtet werden kgSnnen, es sei denn, es wiirde sieh herausstellen, datg solche Lausherde im Ahholz die Infektion umliegender Jungbest~inde begiinstigen. Hierauf wurde schon im Abschnitt I eingehend hingewiesert und die Notwendigkeit betont, diese forstlich wichtige Frage einer sicheren Abkl~irung zu unterziehen.

Wirtschafklich ins Gewicht fallend ist in erster Linie der Befall der Saat- klimpen und Kuhuren dutch die ein- briitige oder zweibriitige Trieblaus (D. niisslini resp. D. merkeri). Zur Verhiitung desselben scheint vor allem eine standortsgemiiige Verjiingung der Tanne unter Schirm im tragbaren Ver- h{iltnis mit Laubh/51zern geeignet. Bei der Bestandspflege ist bei einer zu friihen Freistellung Vorsicht geboten, besonders an Standorten mit starker Sonneneinstrahlung.

Ein wichtiger Beitrag zur Scha- densverhiitung besteht ferner in der sorgf~iltigen Kontrolle yon Baumschul- material. Es ist wohl sicher, dat~ die heutige ausgedehnte Verbreitung yon niisslini (und wahrscheinlich auch mer- keri) nicht So sehr auf eine Wieder- holte Einschleppung yore 6stlichen Ur- sprungstand her als vielmehr auf einer andauernden Weiterverschleppung in- nerhalb Europas dur& verseuchtes Tannenmaterial zurii&zufiihren ist. So sind beispielsweise die Wurzeln Abb. 7. ,,Gichtartige" Knospenverbildungen an der starken siidschwedischen Tannen- junger Balsamtanne durch BefalI yon Dreyfusia

piceae, unserer nach Ostamerika verschleppten laussch~iden zweifellos in mitteleuro- ,,Tannenstammlaus". (Aufnahme Verfasser, bei p~iischen Pflanzg~.rten zu suchen, aus Fredericton, Kanada, September 1956) denen vor knapp hundert Jahren die ersten Tannen nach Visings/J und auf den Omberg verbracht wurden. Das einzige Schadauftreten yon niisslini im Kanton Tessin geht nach SCHNtn)r¢-ORELLI auf eine Einsehleppung aus einer ostschweizerischen Baumschule zuriick. Gerade gegeniiber der vorerst noch lokal verbreiteten zweibrtitigen Trieblaus (D. merkeri) ist in dieser Hin- sicht besondere Aufmerksamkeit angebracht.

Bei Vorliegen yon starkem Zweig- und Nadelbefall an Jungtarmen ist mit einer wesentlichen Mithilfe niitzlicher Insekten bei der Vertilgung der Liiuse kaum zu rech- nen, da die meisten unserer einheimischen R~iuber, wie gewisse Marienk~ifer, Blatt-

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lausfliegenlarven usw., sieh ganz iiberwiegend am Stammbefall, und hier vor altem bei D. piceae und merkeri, weniger bei D. niisslini aufhalten. Inwieweit sich der Ver- such einer biologischen Bekiimpfung der eingeschleppten Triebl~iuse durch Nachfiihren ihrer im natiirli&en Verbreitungsgebiet vorhandenen Vertilgerarten lohnen wiirde, ist s&wer abzusch~itzen, da wir fiber das Vorkommen solcher N~tzlinge in den 8stlichen Liindern nur wenig wissen. Im Hinblick auf die kritische Situation in der Erhaltung unserer Weigtanne w~ire ein derartiges Unternehmen aber vielleicht eines Versuches wert, worauf auch SCHXe~RDT~EOER jiingst hingewiesen hat. Ein ~ihnllches Verfahren wird fiir die Bek~impfung der nach Kanada verschleppten D. piceae schon seit 1933, besonders intensiv an unserem Institut seit 1950 und seit 1958 auch an unserer Station in Pakistan (mit R~iubern yon Dreyfusia knucheli und joshii an Abies pindrow im Nordwesthimalaya) erprobt. Mehrere wichtige europ~iische Arten yon Lausvertilgern konnten inzwischen erfolgreich in Ostkanada eingew~Shnt werden.

In akuten F~illen bleibt derzeit als einziges Mittel das der ehemischen und mecha- nischen Bekiimpfung, woriiber in jfingster Zeit besonders in Usterreich und Deutsch- land wertvolle Erfahrungen gesammelt werden konnten.

DDT hat. sida dabei als wenig wirksam erwiesen. Hingegen brachten Hexa- und Lindanpr~parate, im Nebel- oder Spritzverfahren angewendet, durchweg gute Er- folge. Systemische (in die Pflanze eindringende) Insektizide, wie Metasystox usw., erwiesen si& ebenfalls als gut brauchbar. Durch elne mehrmalige Behandlung konn- ten bessere Erfolge erzielt werden als nur bei einmallger Anwendung der Mittel.

Die Frage des Bek~mp[ungstermins wird in erster Linie durch 2 Faktoren be- stimmt: a) Da die Eier der L~iuse gegeniiber Insektizlden, die ja meist nur eine geringe ,,ovizide" Wirkung haben, sehr widerstandsf~ihlg sind, sollte die Bek~impfung mSg- iichst vor Beginn oder nach Beendigung der Eiablage erfolgen. Das heigt: bei D. niisslini, der einbrfitigen Trieblaus, im zeitigen Friihjahr vor der Eiablage oder im Sp~itsommer bzw. Herbst/Winter nach Beendigung derselben. Bei D. merkeri, der zweibr~itigen Trieblaus, ist es schwieriger, elne ,,eifreie" Perlode zu linden, da die Laus ja noch 1 bis 2 Sommer-Herbstgenerationen erzeugt. Der Sp~itwinter und das zeitige Friihjahr sowie die Zwischenpausen der Vermehrung im Sommer, vor allem im Juli, und auch der Sp~itherbst (die Eiablage ist in der Masse wohl im Oktober beendet, doch legen manche Tiere bei giJnstigem Wetter bis in den Winter hinein noch ab) bieten gi~nstige Gelegenheit zur erfolgreichen chemischen Bek~impfung. b) An Standorten mit frliheinsetzender und langanhaltender hober Schneelage, wie etwa im Salzkammergut (siehe KoTscHY [ 6 ]), wird jedoch mancher der genannten Termine nicht einhaltbar. Fiir D. niisslini ist bier vor allem die Sp~itsommer- und Herbstbek~impfung, am besten knapp vor der 1. Larvenh:iutung, die meist Ende September, anfangs Ok- tober erfolgt, geeignet. Nach der Larvenh~iutung ist dann eine Erfolgskontrolle leicht durchzufiJhren. Zur Friihjahrsbekiimpfung ist noch nachzutragen, daf~ in giinstigen Lagen die Eiablage yon D. merkeri schon Mitte/Ende M~irz einsetzen kann, w~ihrend D. niisslini meist erst 2 Wochen sp~iter mit der Fortpflanzung beginnt. Im Gebirge liegen diese Daten entsprechend sp~iter und kSnnen yon Standort zu Standort etwas verschleden sein. Niedrige Temperaturen sind ftlr die Bekgmpfung weniger geelgnet als warme Tage. Das Auftreten in Pflanzg~irten ist durch die bessere Zug~inglichkeit leichter zu bek~impfen, wobei neben den erw~ihnten Spritzmitteln auch Sdiube- und Giegpr~/parate in Frage kommen, sofern nicht ~berhaupt die radikale Enffernung der Jungpflanzen zur Verh~itung weiterer Verschleppung vorzuziehen ist.

Da die derzeit gebr~uchlichen Insektengii% eine erhebliche ,,Breitenwirkung" haben und so, vor allem beim Nebelverfahren, auch zahlreiche unseh~.dliche und niitzliche Insekten bei der Bek~impfung mit erfagt werden, hat EIcIq~ORN (2) vorgeschlagen, ein ,,selektives", iiber eine klebrige Konsistenz verfiigendes Mittel zu schaffen, anwendbar zu Beginn und w~ih- rend der Fortpflanzungsperiode, wenn der Befall am teichtesten sichtbar ist (bei der chemi-

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schen Bek~impfung vor oder nach Beendigung der Eiablage besteht ja die Gefahr, dag be- fallene B~iume leicht ~ibersehen werden, well entweder noch zu wenig weil~e Wachswolle sicht- bar oder diese schon wieder abgewaschen ist, weshalb es sich, vor allem bei der Sp~tsommer- bek~impfung yon n#sslini, empfiehlt, solche schwach befallenen B~iumchen im Mai/Juni ent- spre&end zu markieren). Die auskriechenden Junglarven w[irden daran kleben und so yon der Weiterentwicklung und Ausbreitung ausgeschlossen bleiben, eine Anregung, die fiir die chemische Industrie wertvoll sein k6nnte. Versuche yon KOTSCHY mit dem Wildverbigmittel Arbinol weisen ja in eine ~hnliche Richtung.

Die mechaniscbe Bek~impfung dutch Aushauen befallener Jungtannen sollte wo- mSglich im Winter, etwa im Zuge der Christbaumgewinnung, erfolgen, um eine An- steckung der Nachbarb~iume beim Ausstreifen der geschlagenen Befallsb~iume zu ver- meiden. Auch eriibrigt sich dann ein Verbrennen des Materials, da durch den Saf~- verlust bis zum Frfihjahr die aufsitzenden Winterlarven ohnehin dem Verhungern preisgegeben sin& Bei einer solchen ,,Durchforstung" ist jedoch zu bedenken, daft jede Enmahme yon Befallsb~iumen neue Lficken im Bestande schafft, die ffir bisher ver- schont gebliebene, well stark beschattete B~iumchen neue Gefahren bringen, die unter Umstiinden den Erfolg solcher Maf~nahmen in Frage stellen k6nnen.

Zusammenfassung

Im Abschnitt I wird eine l~bersicht tiber die f~ir die forstliche Praxis wichtigsten Merkmale zur Freilandanspradae der einzelnen Tannenlause gegeben. Sowohl fiir Be- kiimpfungsmat~nahmen als auch fiir die noch abzukl~rende Frage der Neu-Infektion durch trieblausverseuchte AlthSlzer ist eine genaue Bestimmung der L~iuse unerl~filich.

Im Abschnitt I I werden Lebensweise und Vorkommen der einzelnen Dreyfusia- Arten (D. niisslini, die ,,einbriitige Tannentrieblaus", mit einer typischen, triebbewoh- nenden Jungtannenform und einer stammbewohnenden Alttannenform - D. merkeri, die ,,zweibrlltlge Tannentrieblaus", eine erst khrzlich entdeckte neue Art - D. piceae, die ,,Tannenstammlaus") kurz besprochen.

Im Abschnitt I I I werden die M/Sglichkeiten der Schadensverhfitung und Bek~imp- lung der Triebl~iuse behandelt und neuere deutsche und 6sterreichische Erfahrungen referiert.

Literatur

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