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© F r a n k f u r t – S c h o o l . d e “Der Mensch ein rationaler Nutzenmaximierer?” © F r a n k f u r t – S c h o o l . d e Hartmut Kliemt Philosophie und Ökonomik Frankfurt School of Finance and Management

Der Mensch - Ein rationaler Nutzenmaximierer?

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Ringvorlesung Verhaltensökonomik: Prof. Hartmut Kliemt, Frankfurt School of Finance and Management, Der Mensch - Ein rationaler Nutzenmaximierer?

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“Der Mensch ein rationaler Nutzenmaximierer?”

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Hartmut KliemtPhilosophie und Ökonomik

Frankfurt School of Finance and Management

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Kurze Antwort auf die Frage:

(1) Der Mensch ist kein rationaler Nutzenmaximierer; denn entweder ist er minimal rational oder er maximiert seinen Nutzen.

(2) Auch Umdeutungen des Nutzenkonzeptes und andere Reparaturen machen aus dem „Homo oeconomicus“ kein erklärungskräftiges (nomologisches) Verhaltensmodell.

(3) Das teleologische Denkmodell des rationalen Opportunisten ist für das Selbstverständnis des Menschen zentral, aber Entscheidungslogik erklärt nichts.

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Quattro Stagioni:

1. Vom Nutzen Spinozas2. „Seltene“ Überlegungen3. Duale Weltsichten: Teleologie und Kausalität4. Zweite Gesichter des Nutzens

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1. Vom Nutzen Spinozas “Heavy metal philosophy“

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Spinozas Nutzen

Es ist ein allgemein gültiges Gesetz der menschlichen Natur, daß niemand etwas, das er für gut hält, vernachlässigt, es sei denn in der Hoffnung auf ein größeres Gut oder aus Furcht vor einem größeren Schaden, ferner, daß niemand sein Übel erträgt, es sei denn, um ein größeres Übel zu vermeiden oder in der Hoffnung auf ein größeres Gut. Das bedeutet: jeder wählt unter zwei Gütern dasjenige, das er für das größere hält, und unter zwei Übeln, was ihm als das kleinere erscheint.

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Ich sage ausdrücklich, was ihm dem Wählenden, größer oder kleiner erscheint, nicht daß es sich notwendig so verhielte, wie er urteilt. Dieses Gesetz ist der menschlichen Natur so stark eingeprägt, daß man es unter die ewigen Wahrheiten rechnen muß, die niemand verkennen kann.

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Aus diesem Gesetz folgt mit Notwendigkeit, daß niemand ohne Absicht der Täuschung versprechen wird, sich des Rechtes, das er auf alles hat, zu begeben und daß niemand ohne Ausnahme das Versprechen halten wird, es sei denn aus Furcht vor einem größeren Übel oder in der Hoffnung auf ein größeres Gut. Um das verständlicher zu machen, nehme ich an, ein Räuber zwinge mich zu dem Versprechen, ihm mein Hab und Gut zu übergeben, sobald er es wolle.

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Da nun, wie schon gezeigt, mein natürliches Recht bloß von meiner Macht bestimmt wird, so darf ich sicherlich, wenn ich es kann, mich von dem Räuber befreien, indem ich ihm verspreche, was er will, und zwar darf ich es nach dem Recht der Natur, darf ihm also, was er will, mit der Absicht der Täuschung versprechen.

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Oder angenommen, ich hätte jemandem ganz ehrlich versprochen, zwanzig Tage lang keine Speise und überhaupt keine Nahrungsmittel zu genießen, danach aber hätte ich eingesehen, daß mein Versprechen töricht war und daß ich es nur mit dem größten Schaden halten könnte; da ich nun aber nach dem natürlichen Recht von zwei Übeln das kleinere wählen muß, so kann ich mit höchstem Recht einem solchen Gelöbnis untreu werden und mein Wort als nicht gegeben ansehen.

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Dies sage ich, ist nach dem natürlichen Recht erlaubt, einerlei ob ich mit wirklichen und bestimmten Gründen einsehe oder ob ich mir nur einbilde einzusehen, daß mein Versprechen von Übel war. Ob ich dabei recht oder falsch sehe, jedenfalls fürchte ich ein sehr großes Übel und werde es somit nach dem Gesetz der Natur auf jede Weise zu vermeiden suchen.

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Spinozas Folgerung

Daraus schließe ich, daß jeder Vertrag nur kraft seiner Nützlichkeit gültig ist; fällt diese weg, so wird auch der Vertrag hinfällig und verliert seine Gültigkeit. Darum ist es töricht, von einem anderen ewige Treue zu fordern, wenn man nicht gleichzeitig dafür sorgt, daß ihm aus dem Bruch des abzuschließenden Vertrages mehr Schaden als Nutzen erwächst. Das gilt ganz besonders bei der Gründung eines Staates."

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Spinozas Verhaltensmodell

Es geht allein um subjektive, zukünftige Folgen im Einzelfall:

•Wenn ich „das“ immer täte? ! irrelelvant•Wenn alle „das“ immer täten? ! irrelevant

Keine Tugenden (Dispositionen), keine Regelbefolgung...!!

Kann man mit einem spinozistischen Verhaltensmodell die Existenz und Beschaffenheit sozialer Ordnung erklären?

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2. „Seltene“ Überlegungen:Wie man zum Opfer der Rationalität wird

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2-Gefangenen-Dilemma

BA

CB DB

CA 3, 3 1, 4

DA 4, 1 2, 2

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Nutzenwünsche und Nutzenhandlungen:

Die Akteure landen in (DA, DB) weil sie rational, nicht weil sie irrational sind!

Zum rational erreichten Ergebnis gibt es ein anderes, bei dem sich beide subjektiv gesehen besser stellen.

Was immer man unter dem Nutzen versteht, rationales Verhalten führt zu einem nicht nutzenmaximierenden Ergebnis.

Es gibt einen rationalen Grund, sich anderes als das rationale Verhalten zu wünschen, aber es ist nicht rational, tatsächlich nach entsprechenden Plänen zu handeln.

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PD ähnliche Interaktion einmal anders:

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Pläne planen oder Pläne wählen: Kausalität

BA

CB DB

CA 3, 3 1, 4

DA 4, 1 2, 2

Verhalten und Ergebnisse

Pläne und Ergebnisse

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Pläne als wählbare Verhaltensdisposition:

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Pläne, deren Durchführung man sichern und dies dann kommunizieren kann:

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Der Mensch kein rationaler Nutzenmaximierer

Das sogennannte „Hobbessche Problem“, kann von Nutzenmaximierern, nicht gelöst werden.

Das Hobbessche Problem wird aber de facto gelöst, ergo! Der Mensch kann kein rationaler Nutzenmaximierer sein.

Die Theorie der einzelfallbezogenen „Nutzenmaximierung)“ ist erklärungsinadäquat, aber dennoch eine adäquate Theorie ideal-rationalen Planens.

Methodologischer Dualismus

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3. Duale Weltsichten: Teleologie und Kausalität

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Was sehen Sie: Alte oder Junge Frau?

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Teleologie und Nomologie, pull-push

Etwas tun vs. Etwas voraussagen

Crusoes Bananen: Teilnehmer und Manipulateure

Strawson‘ participants und Smith‘s fMRI

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Hans Albert: Verhaltenspsychologie nicht Entscheidungslogik

Entweder empirische Verhaltenstheorie vom

Teilnehmerstandpunkt (kognitive Psychologie)Oder

empirische Verhaltenstheorie ohne Teilnehmerstandpunkt

Aber immer nomologisch, wenn es um Erklärungen geht.

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4. Zweite Gesichter des Nutzens

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Altes und junges Nutzengesicht Das „alte“ Gesicht des Nutzens:Nutzen ist ein Grund für die Bevorzugung Weil u(a)>u(b) ! a strikt besser als b

Nutzen erklärt etwas ... Teil von Explanans

Das „junge“ Gesicht des Nutzens:Nutzen wird durch Präferenzen bestimmtWeil a strikt besser als b ! u(a)>u(b)

Nutzen wird erklärt ... Teil von Explanandum

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u(a)>u(b) ! a P b

Stenographie zur Repräsentation von Individuen

Konsistenz und Repräsentierbarkeit

Aber was wird von u „repräsentiert“? Pläne oder Verhalten?

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„Nutzen“ als Stenographie für Wahlakte erklärt

Schumpeters Bauern

Werner Güths indirekter evolutorischer Ansatz

Experimente ökonomisch und psychologisch auf dem Weg zur verbesserten Verhaltenstheorie ...

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The End

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Literatur:

Güth, Werner; Kliemt, Hartmut: „The rationality of rational fools, in: Peter, Fabienne; Schmid, Hans Bernhard (Hrsg.): Rationality and Commitment, Oxford University Press, 2007, 124!149.

Kliemt, Hartmut: Economics and Philosophy I, Oldenbourg 2009.