Der ölfund

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Das neue Abenteuer 005

Das neue Abenteuer 235Georg Kubiak: Der lfund

Verlag Neues Leben, Berlin 1965

V 1.0 by Dumme Pute

Lizenz Nr. 303 (305/85/65)ES 9 AUmschlag und Illustrationen: Werner PetrichTypografie: Franz MosolfSchrift: 8p PrimusGesamtherstellung: (140) Druckerei Neues Deutschland, Berlin 2217

Hinter Manaus versinkt die Sonne im Dschungel des Amazonas. Langsam ziehen die Schatten der Nacht herauf. Palmenfiedern streichen wie schwarze Fcher ber den dunkelvioletten Himmel. Verklungen ist der Lrm des Tages. Die feuchte tropische Hitze bestimmte seinen Ablauf: Die Menschen hier stehen frh auf, und sie gehen zeitig schlafen.Mit eiligen Schritten nhert sich ein Mann einer der groen Lagerhallen unweit des Flusses. Eine Zeitlang verharrt er, aufmerksam lauschend. Da lst sich eine Gestalt aus dem Schatten der Lagerhalle.Jos? ruft der Mann flsternd.Der Angesprochene packt ihn am Arm und zieht ihn fort. Wir mssen weiter, Pedro!Sie eilen an riesigen Kisten, an Juteballen, Fssern und Kanistern vorbei und erreichen das Insellabyrinth der schwimmenden Stadt auf dem Rio Negro: Hunderte, ja Tausende von Htten, errichtet auf Flen und Booten. Hier leben die rmsten der Stadt. Die beiden balancieren ber die schwankenden Laufstege, die die Abfallhalden des Fluufers mit den schwimmenden Behausungen verbinden, passieren schwimmende Bars und Restaurants: Spelunken, in denen zwielichtige Hndler und Aufkufer die Reichtmer des Urwaldes in klingende Mnze umwandeln.Vor einer schwimmenden Htte machen sie halt. Sie unterscheidet sich durch nichts von den anderen: Bretter, Kanisterbleche, ein Dach aus Palmenwedeln. Der Fremde geht voran und zndet eine lfunzel an, dann ruft er Pedro herein.Das flackernde Licht erhellt das Gesicht des Fremden. Pedro erschrickt. Du bist ja gar nicht Jos!Ruhig sagt der andere: Jos kann nicht kommen.Eine Ankerkette klirrt. Pedro zuckt zusammen. Dann ist wieder Stille.Und wer bist du? Hat dich Jos geschickt? fragt Pedro endlich.Ich bin Flavio. Und Jos solltest du lieber vergessen!Pedro ist betroffen. Ist ihm etwas zugestoen?Flavio setzt sich auf eine niedrige Lagerstatt und ldt Pedro durch eine Handbewegung ein, das gleiche zu tun. Mit solchen wie Jos kann jeden Tag etwas passieren, meint er.Hat ihn die Polizei erwischt? entfhrt es Pedro.Flavio ist berrascht. Du weit, was fr Geschfte Jos treibt und willst dich dennoch mit ihm einlassen?Heftig wendet sich Pedro um. Was gehts dich an? Wer bist du berhaupt? Und da Flavio schweigt: Moralpredigten machen mich nicht satt!Und da glaubst du, beim Kartenspiel dein Glck zu machen.Pedro sieht ihn verdutzt an. Woher weit du Flavio bietet ihm eine Zigarette an. Schweigend rauchen sie. Ich habe dich hufig genug mit Jos in der Kneipe hocken sehen, antwortet Flavio. Und wir kennen Jos. Er wollte einmal einen Kameraden von uns hereinlegen.Pedro hebt den Kopf. Du hast Arbeit? Als Flavio nickt, erhebt sich Pedro und geht erregt in der Htte auf und ab. Das Flo schwankt unter seinen Tritten. Du kannst klug reden! Was habe ich schon alles versucht. Aber ich bekomme nirgends feste Arbeit. Manchmal zwei Tage im Sgewerk, dann zwei Wochen nichts. Einen halben Tag in der Gummiwscherei und dann wieder nichts. Kein Mensch hlt so ein Hungerdasein aus! Pedro macht eine Pause. Du hast sogar eine schwimmende Htte , und ich Er winkt ab.Du trumst von einem Palast; sagt Flavio ironisch.Trotzig bleibt Pedro vor ihm stehen. Du wirst es erleben, sagt er. Ich brauche nur ein Anfangskapital.Und Jos beschafft es dir. Aus lauter Menschenfreundlichkeit.Er ist mir verpflichtet. Das mu ich ausnutzen!Flavio erhebt sich, packt Pedro bei der Schulter und dreht ihn zu sich herum. Du machst mir etwas vor und dir selbst auch. Soll ich dir die Wahrheit sagen? Du hast bei Jos Spielschulden! Das Messer sitzt dir an der Kehle. Und nun bist du zu jedem Geschft bereit, Hauptsache, es bringt was ein.Und wenns so wre. Was kann ich dafr, da ich keine Arbeit finde. Jos ist ein feiner Kerl, er gibt mir eine Chance.,.Er braucht dich fr seine Schmuggelgeschfte. Darum erlt er dir deine Spielschulden. Ja, er wird dir einige Cruzeiros als Kder hinwerfen. Aber er bestimmt, wie hoch die Palme wchst!Gereizt schttelt Pedro Flavios Hand ab. Du bist wohl neidisch? Mchtest selbst bei Jos einsteigen, mchtest dein Geld ohne Schufterei verdienen. Weshalb kmmerst du dich um meine Angelegenheiten?Flavio nickt. Du hast recht. Ich hab genug eigene Sorgen Er geht zur Trffnung, schiebt den Vorhang aus alten Jutescken zur Seite und starrt in die Nacht. Ohne sich umzudrehen, sagt er: Eines kannst du mir glauben, Glck auf diese Weise werde ich nie suchen! Soviel habe ich in den vergangenen Jahren gelernt. Und ich habe teuer fr diese Lehre bezahlen mssen.Pedro erwidert spttisch: Du bist wie die Alten. Sie warnen die Jugend vor unbedachten Schritten. Dann erzhlen sie eine rhrselige Geschichte. Lernt daraus! Aber wren sie an unserer Stelle, sie wrden nicht anders handeln.Flavio antwortet nicht sofort. Er geht an ein Wandregal, holt eine Flasche Maniokschnaps herunter, entkorkt sie und reicht sie Pedro. Nachdem beide getrunken haben, stellt Flavio die Flasche auf den Tisch.Du hast mich vorhin gefragt, ob ich Arbeit habe, sagt Flavio. Ich bin bei der ,Petrobras Oh, ein Petrolero, ruft Pedro.Ja, ein Erdlarbeiter. Und ich bin stolz darauf. Aber ich habe dornige Umwege zurcklegen mssen, um es zu werden. Ausgezogen bin ich einst genau wie du, mit dem Vorsatz, auf eigene Faust das Glck zu zwingen.Erzhl bitte, sagt Pedro.Du hast doch etwas gegen rhrselige Geschichten, lassen wir also die Vergangenheit lieber ruhen, antwortet Flavio.Pedro legt seine Hand auf Flavios Arm. Die Bitternis hat meine Worte geprgt. Erzhl doch.Flavio nimmt einen Schluck aus der Flasche und gibt sie an Pedro weiter. Er berlegt. Wir schreiben jetzt das Jahr 1964 Ja, meine Geschichte liegt fast acht Jahre zurck. Damals besa ich in der Hgelsteppe des Mato Grosso ein Stck Land und eine Lehmkate. Auch einen Ochsen, drei Ziegen und einige Indianerhhner. Ich bin nmlich ein armer Caboclo [Worterklrungen am Schlu der Erzhlung] wie du und heie Flavio Caramza. Und damals hatte ich meine Frau zu versorgen Flavio bricht ab. Dann sagt er stockend: Meine Teresita war ein hbsches Weib, Pedro. Es waren auch noch die beiden Kinder da und mein alter Vater. Der lehmige Boden, der so rot war wie die Indianerhhner, gab wenig her. Der Hunger hatte das Lachen aus unseren Augen vertrieben.So verlie ich eines Tages mein Dorf. Ich ging nach Rio, wurden doch Wunderdinge erzhlt, wie reich man gerade in dieser Stadt nach dem Krieg werden konnte. Und ich hatte auch Glck! Auf einer Baustelle bekam ich Arbeit. Ich hatte nun meine Schssel Feijao mit Soe und konnte jede Woche ein paar Cruzeiros in meinen Brustbeutel stecken. Ich war froh und hoffte bald mit einer neuen Charette daheim vorfahren zu knnen. Das half mir ber den Trennungsschmerz. Denn ich sehnte mich nach Teresita und den beiden Kindern.Es kamen die vier Tage des brasilianischen Karnevals! Soviel Ausgelassenheit hatte ich in meinem ganzen Leben nicht kennengelernt. berall wurde getanzt, gesungen und gelacht. Ich lief in der Uniform eines Admirals herum. Die schnsten Frauen in Goldbrokat, mit glitzernden Knigskronen und weien Schleppen lachten mir zu Aber ich bin ein armer Caboclo. Ich wei, da ein Armer nur im Traum oder im Karneval ein Knig sein kann. Kaum waren die letzten Sambaklnge verhallt und der schmutzige Konfettischnee von den Straen weggefegt, wurde ich von der Baustelle entlassen! Wegen berschu an Arbeitskrften. In Wirklichkeit hat dem Baupolier meine Nase nicht gepat.Ich zog in die Favela, und bald waren meine Cruzeiros aufgebraucht. Da mute ich mit den Favelados im Unrat der Straen schnffeln. Doch ich war ja von daheim weggegangen, um Geld zu verdienen. Ich mute also von neuem mein Glck versuchen. So verlie ich Rio und zog nach dem Norden. Manchmal mute ich Hunger leiden, manchmal fand ich Arbeit. Endlich verschlug es mich nach Para, das auch Belem heit. Wochenlang trieb ich mich dort herum. Ich hatte mehr Moskitostiche am Krper als Cruzeiros im Brustbeutel. Da erfuhr ich, da man im fernen Manaus Leute fr die Paranuernte brauchte. Ich zgerte zunchst, so eine weite Reise zu unternehmen. Dann erinnerte ich mich an die Erzhlungen des alten Lopez aus meinem Heimatdorf, der einst zu den Kautschukpiraten gehrt hatte und der Manaus kannte. Von ihm wute ich, da die Stadt oberhalb der Mndung des Rio Negro in den Amazonas liegt und da sie Ende des vergangenen Jahrhunderts ein wichtiger Umschlagplatz fr el oro blanco war. Tausende waren von hier aus in die tiefen Wlder gezogen, um von den Kautschukbumen die Milch abzuzapfen. Meist waren es Indios. Lopez erzhlte, da eine Tonne geernteten Wildkautschuks acht Indios das Leben gekostet habe. Sie starben an Fieber, Durst und Schlangenbissen. Und wer strker war als Tod und Teufel, den haben die Peitschen der Aufseher gefllt Ich war auch neugierig, ob es stimmte, da da mitten im Mato eine Stadt mit Hochhusern, Straenbahnen und Hotels lag eine reiche City und nicht so ein armes Dorf wie daheim Pedro unterbricht ihn. Ich bin in Manaus geboren, ich wei von meinem Vater, da die Stadt noch reicher geworden wre, htte nicht der Englnder Henry Wikkham um 1880 herum eine geheime Expedition unternommen und den Samen des Kautschukbaumes gesammelt. Mein Vater sagt, da niemand damals wute, auf welchen Wegen Wikkham den Samen nach London gebracht hatte. Aber die Englnder konnten nach einigen Jahren Kautschukplantagen in der Sdsee anlegen. Diese Konkurrenz hat unsere Stadt arm gemacht!Ich konnte auf einem Heckraddampfer als Hilfsheizer anheuern, erzhlt Flavio weiter. Der Heizer, ein Indio, machte mich mit der Bedienung eines Dampfkessels vertraut. Wohlbehalten und durch die Kenntnis eines neuen Berufes bereichert, langte ich in Manaus an. Es war die Zeit der Paranuernte, und ich bekam sofort Arbeit in einer Fabrik, in der die Paransse fr den Export geschlt wurden. Ich verdiente nicht viel, aber ich lebte bescheiden und sparte jeden Cruzeiro. Denn ich wollte heim; ich litt immer strker unter der Trennung von meinem Dorf, unter der Ungewiheit, wie es Teresita und den Kindern ging. Die Paranuernte war bald zu Ende, und ich war wieder arbeitslos wie du heute, Pedro. Ich hatte viel Zeit und sah mich in der Umgebung von Manaus etwas um. Whrend meiner Streifzge entdeckte ich eine Stelle, an der der lehmige Boden fett und feucht war, als htte jemand ranziges l dort vergossen. Als ich nher heranging, sah ich, da eine blauschwarze, schmierige Flssigkeit aus dem Boden quoll. Doch ich schenkte dieser Erscheinung keine besondere Aufmerksamkeit. Ich wartete auf eine passende Gelegenheit, um als Heizer die Rckreise anzutreten, denn das sauer verdiente Geld wollte ich nicht anrhren.Endlich fand ich einen Raddampfer, der nach Belem zurckfuhr und einen Heizer brauchte. Es war ein kleiner, alter Kasten mit Schaufelrdern, nicht viel grer als die hohen Rder meiner Charette. Er gehrte dem Kapitn. Die Mannschaft bestand nur aus zwei Leuten: dem Steuermann und dem Heizer. Und der Heizer, der war ich. Unsere Abfahrt verzgerte sich etwas. Der Kapitn wartete auf den zweiten Passagier; einen hatten wir bereits an Bord. Es war ein junger Bauingenieur, Manoel de Chagas, der bei den Entwrfen fr unsere Hauptstadt Brasilia mitgewirkt hatte Brasilia! ruft Pedro. Ich mchte es gern sehen. Die Zeitungen sagen, es ist ein Gedicht aus Glas und Beton mitten in der Wildnis.Flavio lchelt. Ich kann dich verstehen, Pedro. Der junge Bauingenieur Manoel und ich, wir haben uns angefreundet, und ich durfte ihn duzen. Er hat mir viel davon erzhlt, wie diese Stadt einmal aussehen wrde.Flavio nimmt einen Schluck aus der Flasche und erzhlt weiter. Der zweite Passagier war endlich erschienen. Er hie Zacarias de Carvajal, war mittelgro, trug ordentliche, unauffllige Kleidung. Ein englisches Schnurrbrtchen schmckte seine Oberlippe ein Dutzendgesicht htte man sagen knnen, wenn nicht die kleinen, flinken Augen gewesen wren Es fllt mir schwer, den Eindruck wiederzugeben, den er zuerst auf mich gemacht hat. Denn was spter folgte Unser Raddampfer schwamm schon einen Tag auf dem Amazonas stromaufwrts. Meine Hnde hatten Schwielen und waren harzverschmiert von den dicken Holzscheiten, mit denen ich den Kessel befeuert habe. Manchmal stieg ich aufs Oberdeck, um frische Luft zu schpfen. Denn die Hitze blieb sich gleich, ob ich nun vor dem Feuerschlund des Kessels stand oder unter dem glhenden Ball der Sonne. Nur die Augen glaubten oben Khlung zu finden: im Dmmergrn des Mato, der zu beiden Ufern des Amazonas emporwuchs. Am schnsten war es nachmittags, wenn die Sonne tief stand. Von berallher drang ser, wrziger Geruch. Wenn wir am Ufer entlangfuhren, konnte ich die topasfarbenen Orchideen sehen, die an den Bumen emporwucherten, und die Kolibris, die wie Edelsteine funkelten.An jenem Nachmittag hatte sich Manoel mir zugesellt und rauchte seine Pfeife. Wir waren schon gute Freunde geworden an dem einen Tag, den die Reise jetzt whrte. Gleiche Gedanken bewegten uns beim Anblick des geheimnisumwitterten Urwaldes.,Ob ihn je ein Mensch durchqueren wird? fragte ich.,Warum nicht. Es gibt bei uns viele Menschen, die mutig sind und klug. Sie werden es schaffen. Aber es wird Zeit und Geld kosten, viel Geld. Die Wissenschaftler arbeiten bereits an Plnen, wie man den Amazonasdschungel urbar machen knnte. Der Humus liegt dort drei Meter hoch. Welche Ertrge konnte man dem Boden abringen! Unzhlige Caboclos wrden Land bekommen. Es sind khne Plne. Aber sie sind real.Und um mir zu beweisen, da der Mensch den Urwald besiegen kann, berichtete er von Brasilia, das mitten im Mato errichtet wurde. Er schwrmte von Mammutbauten auf schlanken Stelzen, von einer Kapelle, die wie ein Omelett zusammengerollt ist. Er beschrieb das gewaltige Prsidentenpalais mit den segelfrmigen Pfeilern. Avenidas soll es dort geben, Pedro, fr deren berquerung man ein Auto bentigt. Aber ich will nicht abschweifen.Von Manoel erfuhr ich auch, da der Amazonas der wasserreichste Strom der Erde ist. Die Vielzahl von Flssen und Nebenstrmen, die in ihn mnden, htte mich kopflos gemacht. Und auch unser Kapitn, der den Amazonas gut kannte, sa oft im Steuerhaus ber der Karte. Hatte er endlich den Kurs festgelegt, so erwies er sich manchmal als falsch. Wir waren in einen Nebenflu gelangt und muten wieder umkehren. Und dann dieser Wirrwarr von Inseln, Sandbnken und Felsbarrieren. Jede Minute mute man einen Zusammensto befrchten. Mchtige Baumstmme trieben dahin, krftiges Wurzelwerk schwamm vorbei; ich hatte Angst, sie knnten die Schaufelrder blockieren.Zacarias de Carvajal bekam ich in der ersten Zeit selten zu sehen. Wahrscheinlich hielt er es unter seiner Wrde, ein Wort mit dem dreckigen Heizer zu wechseln. Manchmal kam er aus der Kapitnskajte heraus, wo er mit dem Alten eine Flasche Whisky getrunken hatte. Manoel erzhlte mir, da Zacarias auch ihn zu einem Drink eingeladen habe, aber er habe abgelehnt. Zacarias gab sich als Geschftsmann aus und sagte, da er in Belem wichtige Dinge zu erledigen habe. Manoel meinte, ihm sei nicht zu trauen. Er gehre zu jener Sorte von Menschen, die unseren alten Kasten als Luxusdampfer weiterverkaufen wrden. Was sollte ich darauf erwidern? Damals konnte ich noch nicht ahnen, welche Rolle Zacarias in meinem Leben bald spielen sollte.Eines Nachts fiel starker Regen. Der Himmel war pechschwarz, und an eine Weiterfahrt war nicht zu denken. Wir hatten zwar Positionslichter gesetzt, doch die Gefahr, mit einem anderen Fludampfer zu kollidieren, war gering. Der Dampferverkehr, der in den Monaten der Paranuernte, Januar bis Mai, recht rege ist, war jetzt im September abgeebbt. In einer kleinen Bucht legten wir an. Erschpft von den Mhen des Tages ruhte ich mich in meiner Kajte aus. Ein leises Zittern ging durch den Dampfer, die Strmung wollte ihn forttreiben. Lange lag ich wach und trumte von meiner Teresita und den Kindern. Ich schmiedete Plne. Bevor ich nach Haus zog, wollte ich einige Rinder kaufen, damit wrde ich dann eine Zucht aufmachen, und vielleicht wrde ich eines Tages ein kleiner Fazendeiro werden.Gegen Morgen lie der Regen nach. Die Wolkendecke zerri, die ersten Sterne leuchteten auf, um gleich darauf wieder zu verblassen, denn die Sonne ging auf. Ich hatte meine stickige Kajte, die steuerbords vom Kesselraum lag, verlassen, lehnte an der Reling und beobachtete die kreischenden Affen. Der Amazonas war hier besonders breit, denn zu beiden Ufern mndeten andere Flsse in ihn. Kleine Waldinseln, von weiblhenden Wasserpflanzen umkrnzt, trotzten der Strmung. Hin und wieder schwirrte ein Papagei zwischen den dunkelgrnen Urwaldriesen. Die Affen hatten sich endlich beruhigt, dafr drangen andere Laute an mein Ohr: anlockend und furchteinflend. Ein Konzert aus Geheul, Gezeter, Winseln und Jammern. Der Lrm des Urwalds.Neben mir stand Manoel und rauchte seine Pfeife. Auch er schwieg, berwltigt von der Vielfalt der Natur. Auf einmal deutete er mit seiner Pfeife auf eine eigenartige Erscheinung hin. An einer Stelle quirlte das lehmgraue Wasser des Amazonas und wirbelte wie eine Quelle.,Das Wasser wirkt im Schatten so blauschwarz, da es aussieht wie Erdl, sagte er.Ich sah genauer hin und mute pltzlich an ein hnliches Bild denken, da ich vor Wochen whrend meiner Streifzge in der Gegend von Manaus gesehen hatte. Dort war aus dem Boden eine blauschwarze, fettige Brhe herausgesprudelt. Ich hab es dir ja schon erzhlt. Davon berichtete ich Manoel. Er sah mich aufmerksam an.,Wie war denn diese Brhe?,Na, wie schon, hnlich wie Petroleum. Ich dachte an die fettglnzenden Kolben der Dampfmaschine.,Erdl? Schon mglich. Er beschftigte sich mit seiner Pfeife. Nach einer Weile fragte er: ,Hat es jemand auer dir gesehen?,Weit und breit lebt da kein Mensch.,Und erzhlt hast du es auch keinem?Ich verneinte. Manoel wurde auf einmal lebendig. ,Wenn das stimmt, Flavio, dann kehrst du reich zu deiner Teresita zurck, und die Not flieht fr immer zum Fenster hinaus.Ich konnte es nicht glauben, da meine Entdeckung von so groer Bedeutung sein sollte, da sie mein ganzes Leben ndern wrde. Deshalb bat ich Manoel, es mir in meiner Kajte genauer zu erklren.Als wir uns umwandten, erblickten wir Urubu, der nicht weit von uns an der Reling lehnte. Wir hatten ihn nicht kommen hren.Flavio unterbricht seine Erzhlung. Du wirst fragen, wer Urubu war. Nun, niemand anders als unser zweiter Passagier Zacarias de Carvajal. Ich habe ihm diesen Namen viel spter gegeben, aber schon damals, als er so an der Reling stand, scheinbar gleichgltig und doch irgendwie aufmerksam, erinnerte er mich an die Urubus, die Aasgeier. Du kennst sie auch. In Scharen umkreisen sie die schwimmende Stadt von Manaus, sie sind ekelerregend und doch ntzlich, denn sie subern die Gegend von Abfllen und Unrat. Doch dieser Urubu ntzte nur sich selbst, das sollte ich bald am eigenen Leibe erfahren.In meiner Kajte erfuhr ich dann von Manoel, da ich, wenn ich meinen lfund anmeldete, eine betrchtliche Fundprmie von der Erdlgesellschaft erhalten wrde. Fr einen armen Caboclo war das ein Vermgen! Manoel lie sich auch genau meinen damaligen Weg beschreiben und verfolgte ihn an Hand einer Karte. Dann fertigte er eine Skizze von dem ungefhren Standort der Fundstelle. Er hielt darin genau die Namen der Flsse fest, die ich damals berquert hatte. Auf sein Gehei hin verwahrte ich die Skizze sorgsam in meinem Brustbeutel. Htte ich geahnt, da dieses Stck Papier beinahe mein Verhngnis geworden wre, ich htte kein Sterbenswort ber die blauschwarze Quelle verloren.Ich wre nur bis Obidos gefahren, sagte Pedro. Dort htte ich den nchsten Dampfer nach Manaus genommen, um den lfund anzumelden.Flavio nickte. Manoel hat es mir auch geraten. Aber unser Dampfer hat Obidos nie erreicht. Doch ich will nicht vorgreifen. Nach dem Gesprch mit Manoel, in dem ich ihm meinen lfund entdeckt hatte, berwand Urubu seine Reserviertheit mir gegenber. Am spten Nachmittag des gleichen Tages suchte er mich im Kesselraum auf.Ich war ber diesen Besuch sehr verwundert. Aber ich fhlte mich auch ein wenig geschmeichelt. Insgeheim hatte es mich doch gekrnkt, da Zacarias nie Notiz von mir nahm. Dabei htte ich mir damals schon sagen knnen, da Urubu sein Verhalten nicht ohne Grund so pltzlich nderte.Ich warnte Urubu vor der Hitze des Kesselraumes. Aber er lachte nur darber. Auch er sei Arbeit gewohnt. Er htte sein Leben nicht immer auf der Charette verbracht. Und heute noch spre er Widerwillen, wenn er am Tisch von Leuten sitze, die ohne Schwierigkeiten und Kampf, einfach auf den Geldbeutel der Eltern gesttzt, ihre Karriere machen konnten.Am darauffolgenden Abend suchte mich Urubu, eine Flasche Whisky unterm Arm, in meiner Kajte auf. Ich gestehe ehrlich, da ich stolz war. Der feine Herr vom Oberdeck sa mit dem Heizer an einem Tisch und trank mit ihm. Der Alkohol lste unsere Zungen, und Urubu erzhlte mir einiges aus seinem Leben.,Kennst du Rio? fragte er mich. Ich bejahte es.,Und weit du, was die Favela ist?,Ein Elendsviertel, erwiderte ich, ,ich kenne es nur zu gut.,In der Favela bin ich gro geworden.Wir muten darauf trinken. Und mit einemmal hatte ich groes Vertrauen zu ihm. Er ist einer wie du, mute ich denken. Ein armer Hund, der etwas Glck im Leben gehabt hat.,Hast du auch die Wolkenkratzer in Rio gesehen? fragte Urubu. ,Vergi nicht: Reichtum erhebt! Und wir muten in Hhlen hausen. Armut erniedrigt, aber sie bindet aneinander! Das darfst du auch nicht vergessen. Fr die Groen lautet die Grundregel dieser verrckten Welt: Lebe mig! Fr die Kleinen: Lerne zu kuschen. Ich habe meinen Nacken beugen mssen. Ich whlte im Unrat der Strae, putzte Schuhe, trug Koffer versuchte auf ehrliche Art mein Geld zu verdienen. Aber berall saen Zwischenverdiener, die aus meinen Schweitropfen Kapital schlugen. Sie selbst taten wenig, tranken eisgekhlte Orangeade und bewahrten einen khlen Kopf. Sie nannten sich Arbeitsvermittler, Agenten, Zwischenagenten, Padrone und wei der Teufel wie noch. Sie bestahlen mich um meine schwer verdienten Cruzeiros und bemogelten ihre Chefs. Ich bekam es endlich satt, immer begaunert zu werden. Und eines Tages fate ich Mut und erkletterte die erste Sprosse der Erfolgsleiter!Er prostete mir zu, seine kleinen Augen funkelten. ,Den Ausschlag gab der Kapitn eines Dampfers, auf dem ich als Heizer angefangen hatte ,Sie waren Heizer? rief ich erstaunt aus.Urubu lchelte, krempelte dann den rmel seines Oberhemdes hoch und zeigte mir seinen Bizeps. Auch seine Hnde bewiesen, da er wirklich einmal schwer gearbeitet hatte. ,Ich bin die Strecke BelemManaus einigemal stromaufwrts und auch -abwrts geschwommen. Und als ich glaubte ein feines Smmchen beisammen zu haben, kndigte ich beim Kapitn. Doch als ich meinen ehrlich verdienten Lohn forderte, zeigte mir dieser nur die Faust!Ich zog daraus eine Lehre! Im Leben werden viele Kmpfe ausgetragen. Die Mittel, die man dabei anwendet, sind verschieden. Fairne macht leicht blind. Auch ein Tiefschlag ist erlaubt, wenn man ihn gekonnt anbringt. Ja, verdammt, ich war blind gewesen, tausendmal blind ich hatte gesehen, wie man zu Geld kommen kann, und hatte es nicht versucht Das sollte anders werden!Er lachte und schlug mir auf die Schulter. ,Auch du kannst aus dem Kesselraum aufs Oberdeck steigen. Du darfst nur die gnstige Chance nicht verpassen. Man darf nicht zu anstndig sein, sonst wird man ausgenutzt.Irgendwie zog mich sein Schicksal an. Es glich dem meinen. Aber einiges, was er gesagt hatte, stie mich auch wieder ab. Bevor Urubu ging, gab er mir noch einen Rat.,Nichts gegen den Bauingenieur. Er mag ein feiner Kerl sein. Aber du mut zu unseresgleichen halten. Denk daran, Armut verbindet.Als Urubu gegangen war, lag ich noch lange wach und grbelte. Mein Leben lag vor mir ausgebreitet. Ein schweres Leben. Freudlos. Freudlos? Und Teresita und meine Kinder? Und Manoel hatte doch gesagt, da sich mein Leben ndern wrde durch den lfund. Ich berlegte, ob ich nicht auch Urubu mein grtes Geheimnis anvertrauen sollte. Dann verwarf ich den Gedanken.Bei der nchsten Begegnung mit Manoel erzhlte ich ihm von Urubu. Seine erste Frage war, ob ich ihm mein Geheimnis preisgegeben htte. Als ich verneinte, lobte er mich. Wieder sagte er, es gebe Leute, die so gerissen seien, da sie unseren alten Fludampfer als Ozeandampfer verkaufen wrden und so einer sei Urubu.Doch mir gingen Urubus Worte durch den Sinn: ,Du mut dich zu unseresgleichen halten. Argwohn beschlich mein Herz. Vielleicht hatte Urubu recht! Wer war ich denn? Ein armer, dreckiger Caboclo, ein Mischling. Und dieser Senhor, der prchtige Hochhuser baute, sollte ausgerechnet zu mir halten? Aus welchem Grund? Ein hlicher Gedanke kam in mir auf: Wie, wenn er sich meines lfundes bemchtigen wollte? Er hatte die Skizze angefertigt, er wrde den Ort jederzeit finden.Aber auch die Warnungen Manoels vor Urubu fanden Widerhall bei mir. Vielleicht hatte Urubu mein Gesprch mit Manoel belauscht und wollte mich nun ausbooten. Ich erinnerte mich an ein Erlebnis, das ich in Rio hatte. Dort auf der Baustelle gab es einen gewissen Diego. Vom einfachen Hilfsarbeiter hatte er sich zum Baupolier hinaufgearbeitet. Er fand Gefallen an mir und lud mich einigemal zu einem Zuckerrohrschnaps ein. Er war offenherzig und redselig. Ich berwand meine Zurckhaltung und nahm kein Blatt vor den Mund. Ich beklagte mich ber die vielen Mistnde auf dem Bau, auch ber die unpnktlichen Lohnzahlungen. Kurz nach dem Karneval wurde ich dann entlassen. Angeblich wegen berschu an Arbeitskrften. Ich allein! Den wahren Grund habe ich erst viel spter erkannt. Dieser Diego mu mit unseren Lohngeldern Schiebereien betrieben haben. Die anderen schwiegen dazu. Sie waren vorsichtig. Ich aber hatte geredet, weil ich Diego vertraute.Vielleicht wollte Urubu sich auch nur in mein Vertrauen schleichen, und hatte er erfahren, was er wissen wollte, wrde er zuschlagen. Ich erschauerte. Was fr Empfindungen hatte ich da pltzlich? Wie sollte ich im Leben weiterbestehen, stndig von Mitrauen gepeinigt? Ich schmte mich.Pedro fhrt rgerlich dazwischen. Du hast doch in Rio Lehrgeld fr deine Vertrauensseligkeit zahlen mssen! Dieser Urubu hat dich wirklich betrogen, nicht wahr?Flavio winkt ab. Heute kann ich auch klug reden. Damals wute ich noch nicht, da Urubu ein Agent der ,Standard Oil war. Sein Interesse galt wirklich nur meinem lfund.Es war am Nachmittag. Ich befand mich gerade wieder auf dem Oberdeck, um fr kurze Zeit der Glut des Kesselraumes zu entrinnen. Urpltzlich erschtterte ein mchtiger Sto den Fludampfer. Krachen und Bersten erfllte die Luft. Unwillkrlich sprang ich zurck. Vor meinen Augen verbog sich das Steuerhaus, als wre es aus Pappe. Kollision! war mein erster Gedanke. Ob wir auf eine Sandbank aufgelaufen waren, ob ein Baumstamm die Schaufelrder blockiert hatte ich wei es heute noch nicht. Ich hrte Schreie, dann das Zischen des Dampfes, der in weien Fontnen aus dem Kesselraum entwich. Ein zweiter, noch heftigerer Schlag traf den Dampfer. Eine unsichtbare Kraft drckte das Schiff steuerbords zur Seite. Ich durfte keine Minute verlieren, wollte ich nicht von den Planken zerquetscht werden. So sprang ich in den Amazonas. In meiner Nhe schrie jemand um Hilfe. Ich erkannte Manoel, der wild mit den Armen um sich schlug. Er konnte wohl nicht schwimmen. Ich wollte ihm zu Hilfe eilen, doch ich bin selbst kein guter Schwimmer. So wandte ich mich dem Ufer zu. Ich schwamm gegen die reiende Strmung, aber ich kam nicht vom Fleck. Bald verlieen mich meine Krfte. Ich wurde von einem Strudel erfat, herumgewirbelt und in die Tiefe gezerrt. Ich glaubte, es sei das Ende Flavio stockt. Schweitropfen bedecken seine Stirn. Pedro, es stimmt nicht, was so erzhlt wird, da man in solchen Augenblicken seine Vergangenheit durchlebt. Ich versprte nichts davon! Die Gegenwart, der Wille zum Leben, der Gedanke an meine Familie erfllten mich so stark, da ich dem unabwendbaren Untergang bis zuletzt trotzen wollte. Ich schlug um mich und tauchte aus den Fluten auf. Der Fludampfer brannte lichterloh. Ich tat einige krftige Schwimmbewegungen, um aus dem Strudel zu kommen, aber ein Schlag in den Nacken raubte mir die Sinne.Als ich zu mir kam, ging die Sonne bereits auf. Ich lag im Schutz knorrigen Wurzelwerkes und hrte nur das Rauschen des Stromes, das Kreischen der Vogelschwrme und das einfrmige Jammern der Brllaffen. Wer hat sich meiner angenommen, dachte ich, und wo sind die anderen? Ich blickte zum Flu hinber. Das Stahlskelett des Dampfers schwelte noch. Ich begann zu schreien. Der Urwald schwieg. Doch dann sah ich ein Ungeheuer vor mir. Schlammbedeckt stand da ein Mensch. Urubu wars!,Wie sehen Sie denn aus! rief ich entsetzt.,Das Ufer ist morastig, der Waldboden aufgeweicht. Aber du httest lieber fragen sollen, wer dir das Leben gerettet hat, entgegnete Urubu.Ja, richtig, ich hatte doch im Flu die Besinnung verloren. Also war Urubu mein Retter.,Und wo sind die drei anderen? fragte ich.Urubu zuckte die Schultern. ,Woher soll ich es wissen. Wahrscheinlich tot!,Auch Manoel?Urubu schwieg.Erst jetzt wurde mir richtig bewut, was ich Urubu zu verdanken hatte. Ich erhob mich, machte die ersten Schritte und stellte fest, da ich im Vollbesitz meiner Krfte war. Ich reichte Zacarias die Hand.,Vielen Dank, Senhor Von nun an bin ich in Ihrer Schuld!,Den Senhor karinst du dir schenken. Wenn der Urwald brennt, suchen der Jaguar und das Pekari-Schwein eintrchtig Schutz. Auch wir sind jetzt auf Gedeih und Verderb aufeinander angewiesen.La uns lieber beraten, wie wir hier fortkommen.Die Beratung war kurz. Die nchste Stadt war Manaus. Wir muten versuchen, es zu erreichen, also den Weg zurck, den wir mit dem Dampfer gekommen waren. Das klingt jetzt, als htten wir einen Wochenendausflug machen wollen. Aber uns stand ein Marsch durch die grne Hlle bevor. Ohne Kompa, ohne Lebensmittel. Umgeben von einer unberechenbaren Macht, die wir zu frchten hatten: die Natur. Wir haben sie in den folgenden Tagen oft bewundert und gleichzeitig ihre Tcke verflucht.Unter dem grnen Walddach ber uns glhten die Schmetterlinge und glitzerten die Papageien. Oft hielten wir grellbunte Orchideen fr Vgel und funkelnde Kolibris fr winzige Blten. In den Uferbuchten sonnten sich Reiher und Flamingos. Tukane mit ihren Riesenschnbeln saen wie versteinert unter den hngenden und schwebenden Grten. Manchmal glaubten wir uns in einer Mrchenwelt zu bewegen. Wir waren wie betubt von dem wrzigen und sen Geruch von Blumen und Hlzern. Wenn wir erschpft und durstig ans Ufer traten, um zu trinken, gruben sich Alligatoren aus dem Morast, glotzten uns aus ihren hervorquellenden Augen an und sperrten ihre furchtbaren Rachen auf. Hatten wir uns zu weit ins Wasser gewagt, umschwirrten uns die silbrigen Piranhas, die ,Hynen des Wassers.In den ersten Tagen konnten wir uns in dieser fremden Umwelt kaum zurechtfinden, Urubu hatte das Messer, das er am Hosengurt getragen hatte, aus der Dampferkatastrophe gerettet. Damit hieb er jetzt wie ein Besessener auf das Dickicht der Lianen und Schlinggewchse ein, um uns einen Weg zu bahnen. In mir aber erwachte die Natur meiner Urvter. Vielleicht lag es auch daran, da ich auf dem Dorf gro geworden bin. Meine Sinne schrften sich. In dieser Umgebung war ich Urubu berlegen.Gegen Mittag des ersten Tages mute Zacarias sein ungestmes Vorwrtsdrngen aufgeben. Seine Kleidung war von den Dornen zerfetzt, der Krper von den Moskitos zerstochen. Ich sah nicht viel besser aus. Ich zeigte Urubu Stellen an seinem Krper, wo sich Zecken festgefressen hatten. Wir lasen sie uns gegenseitig ab. Urubus Hnde zitterten vor Erschpfung. Hunger qulte uns. Doch whrend Urubu ratlos umherschaute, hatte ich bald einige von den immergrnen Mangobumen entdeckt. Voller Heihunger fielen wir ber die orangegelben fleischigen Steinfrchte her. Ich schleppte noch Bananen heran, und bald konnten wir uns gesttigt niederstrecken. Aber keiner von uns konnte einschlafen. Die feuchte Hitze nahm uns fast den Atem. Schweibche liefen unseren Krper entlang.Ich ri mir die Kleidung vom Leibe und wollte in den Fluten des Amazonas Khlung suchen. Urubu machte ein entsetztes Gesicht und blieb liegen. Ich arbeitete mich ans Ufer heran, durch mannshohe Farne und dichtes Schilf hindurch.Am sandigen Ufer angelangt, schauerte ich zurck. Trge schob sich ein Kaiman aus dem Wasser. Ich bekam Angst, aber dann erinnerte ich mich daran, da Kaimane feige sind und nur im Wasser gefhrlich werden knnen. Ich beobachtete das Tier und sah, wie es hartnckig im Sande whlte. Bald erkannte ich auch den Grund: In der Sandkuhle lagen Schildkrteneier. Ich schrie, so laut ich konnte, und der Kaiman flchtete. Wir konnten unsere Mahlzeit durch Schildkrteneier bereichern.Gestrkt brachen wir auf. Wir wateten durch Morast, durchschwammen einen Nebenflu, berquerten eine Insel waren mde und zerschlagen, dann wieder erfrischt und neuen Mutes. Es ist unvorstellbar, welche Krfte und welchen Ideenreichtum ein Mensch entwickeln kann, wenn es gilt, sein Leben zu retten. Ich habe gesagt, da ich Urubu berlegen, da er auf meine Findigkeit angewiesen war, aber ich mu gestehen, da ich allein diesen beschwerlichen Weg kaum berstanden htte. Urubus Zhigkeit hielt mich aufrecht. Meine Achtung und mein Vertrauen zu ihm wuchsen von Stunde zu Stunde. So einen Gefhrten htte ich schon frher haben mssen, dann wre mein Leben anders verlaufen. Ja, er hatte mir ein neues Leben geschenkt! Htte er mich nicht aus den reienden Fluten gerettet, wre mein Leib ein Opfer der Piranhas geworden. Und wenn wir jetzt beide Manaus lebend erreichten, so hatte er genauso ein Anrecht an dem lfund wie ich. Ich brauchte doch keine Geheimnisse mehr vor ihm zu haben.Als wir unter einer hohen, schlanken Knigspalme Rast machten, beschlo ich, Urubu von meinem Fund zu berichten. Der Wald war hier lichter. Wilde Rosen und bunte Orchideen schlngelten sich die Bume empor. Vanillegeruch berdeckte den Gestank des faulenden Unterholzes.Urubus Reaktion auf meine Mitteilung war eigenartig. Zunchst schttelte er unglubig den Kopf und sagte: ,Du hast eine lquelle entdeckt , das ist kaum zu glauben! Dann machte er ein betrbtes Gesicht. ,Was ntzt das. In Brasilien will keiner l frdern. Viel springt fr dich dabei nicht heraus. Er schwieg eine Weile. Es schien, als ringe er im Inneren mit sich selbst. Dann sprach er weiter. Sein Gesicht wurde ernst.,Nun, auch ich will dir etwas anvertrauen. Du hast Glck, ich bin Zwischenagent in Sachen Erdl. Ich will dir behilflich sein, da man dich nicht bers Ohr haut.Ich konnte meine Verwunderung ber diesen Zufall nicht verbergen. ,Und ich dachte, du bist Geschftsmann, stotterte ich.,Das ist doch dasselbe. Ich mache eben Geschfte in l.,Aber vorhin hast du doch gesagt, da bei uns kein Erdl gefrdert wird. Wie kann man denn dann Geschfte in l machen?Urubu lachte. ,Hr gut zu, sagte er, ernster werdend, ,unser Land ist arm und kann keine geologischen Untersuchungen nach lsttten durchfhren. Amerikanische Firmen bohren bei uns nach Erdl. So eine Firma ist zum Beispiel die Standard Oil. Aber sie ist daran interessiert, ihr eigenes l loszuwerden, das sie woanders frdert. Folglich darf sie bei uns kein Erdl finden. Deshalb hat sie ein Agentennetz aufgebaut, mit dessen Hilfe sie Fundsttten sucht und das Land aufkauft. Dann behauptet die Gesellschaft, sie htte kein l gefunden oder nur unbedeutende Vorkommen, deren Frderung sich nicht lohne. Melde ich zum Beispiel meinem Agenten deinen lfund, erhalte ich eine Provision. Was mit der lsttte danach geschieht, geht mich nichts mehr an. Ich begriff derlei Geschfte nicht, wo man Geld bekam, ohne einen Tropfen Schwei zu verlieren. Es war eben eine andere Welt, in der Urubu lebte. Ich wrde mich in ihr nie wohl fhlen; von klein auf war ich gewohnt, durch meiner Hnde Arbeit meinen Unterhalt zu bestreiten. Mein lfund, der mich nach Manoels Behauptung ber Nacht reich machen sollte, schrumpfte durch Urubus Worte zu einer Sache zusammen, die mir nur ein Trinkgeld bringen wrde. Wie htte ich das damals begreifen sollen. Dennoch wollte ich die Prmie mit Urubu teilen, wie man ein Stck Brot mit seinem Gefhrten teilt. Als ich Urubu meinen Entschlu offenbarte, ihm die Hlfte meines Gewinns zu schenken, erlebte ich eine berraschung!Urubu lehnte einen Anteil an meiner Prmie ab! Diese Reaktion rhrte mich, und ich bereute keinen Augenblick meine Entscheidung. Ich mute Urubu lange zureden, bis er mein Geschenk annahm. Tief bewegt umarmte er mich schlielich und nannte mich seinen ersten wahren Freund.Gleichzeitig ging eine Verwandlung mit Urubu vor sich. Sein zher Eifer, der grnen Hlle zu entkommen, erhielt neuen Auftrieb. Seine Kraft schien gewachsen zu sein, seine Ausdauer war strker als alle Tcken der Natur. Er leistete bermenschliches. Manchmal erschrak ich sogar vor ihm. Er sprach immer wieder vor sich hin: ,Jetzt haben wir ein Ziel! Wir mssen aus dem Mato raus!Ich fragte mich, ob unser Leben nicht wertvoller sei als der lfund. Doch in einem Leben hatte ich so viel gelernt, da keine Bohne der anderen gleicht. Wie sollten da die Menschen gleich sein. Mochte ihm der Gedanke an die Prmie Auftrieb verliehen haben, mir sollte es egal sein Hauptsache wir wrden die Strapazen berstehen und Manaus lebend erreichen. Hauptsache, ich sah Teresita und meine Kinder wieder.Denn so manches Mal berfielen mich Zweifel. Ich sah das Labyrinth von Flulufen, Seen und Inseln vor mir. wie ich es flchtig von der Karte her kannte. Und erst die Wirklichkeit! Wenn das Uferdickicht des Mato pltzlich aufreit und vor einem breitet sich eine Wasserwste aus, die man beim Herannahen als Gabelung mehrerer Fluarme erkennt da kann man leicht den Kopf verlieren. Wie soll man schwimmend hindurch? Gibt es unterwegs wenigstens Sandbnke zum Ausruhen? Hat man berhaupt den richtigen Weg eingeschlagen? Man kann nur raten und auf sein Glck vertrauen.Da das Schwimmen uns anstrengte und wir nie sicher vor den Kaimanen und den gierigen Piranhas waren, kam ich auf den Gedanken, uns ein behelfsmiges Wasserfahrzeug zu bauen. Urubu schlug vor, einen von der Natur gefllten Baumstamm auszuhhlen. Ich riet ab; wir htten dafr viel Zeit gebraucht, und unsere einzige Waffe das Messer wre bald stumpf gewesen. So beschlo ich, eine Balsa, ein Palmflo, zu zimmern. Urubu mute Palmrippen und Palmfasern herbeiholen. Ich baute dann in verhltnismig kurzer Zeit ein Flo, zum Erstaunen Urubus. Bei der Arbeit fiel mir ein, da man aus Palmfasern auch eine Art Netz anfertigen konnte.Der Fischreichtum des Amazonas ist schier unerschpflich. So hatten wir in Zukunft mehr Abwechslung in unserer Nahrung. Wir paddelten auf unserer Balsa gegen die Strmung des Amazonas. Es war anstrengend. Aber es war immer noch leichter, als sich einen Weg durch das dichte Unterholz des Dschungels zu bahnen.An einem Abend kam es zu dem ersten Zerwrfnis zwischen uns. Es begann damit, da ich mich abplagen mute, auf Indioart Feuer zu machen, indem ich einen zugespitzten Stab in der Anbohrung eines anderen schnell drehte, whrend Urubu unttig herumlag. Ich bat ihn, Paransse zu sammeln. Er lehnte es ab und sagte, er sei zu mde! Als das kleine Lagerfeuer endlich entfacht war, suchte ich nach Paranssen und briet dann einen Schweinsfisch, den ich mit meinem improvisierten Netz gefangen hatte. Beim Essen fiel mir schlagartig ein, da Urubu sich schon den zweiten Tag vor der Arbeit drckte. Doch ich dachte, da er wirklich beranstrengt war.Wir knackten Paransse, und ich begann von der Kollision unseres Dampfers zu sprechen und von den umgekommenen Reisegefhrten. Ich machte mir immer wieder Vorwrfe, da ich Manoel nicht zu Hilfe geeilt war. Dann sagte ich mir, da ich ihm gar nicht htte helfen knnen. Aber mein Gewissen lie sich nicht beruhigen. Ich wollte meinen Fehler irgendwie gutmachen. Ich wei, einen Toten kann man nicht zum Leben erwecken. Aber man konnte den Hinterbliebenen helfen. Die Gedanken an Manoel qulten mich sehr, und wem konnte ich mich schon anvertrauen, wenn nicht Urubu?,Wenn wir Manaus erreichen sollten , begann ich.Urubu unterbrach mich. ,Wir werden Manaus erreichen. Wir haben doch ein Ziel!Ich nickte. , und die Prmie fr den lfund erhalten, sollten wir an Manoels Frau denken. Sie hat eine kleine Tochter Urubu antwortete nicht sofort. Dann meinte er, der lfund gehre mir und ich htte ber ihn zu bestimmen. Ich glaubte zu hren, da in seiner Stimme Enttuschung mitschwang.Ich setzte ihm auseinander, worum es mir ging.Daraufhin stellte mir Urubu eine Frage, die ich nicht beantworten konnte. ,Angenommen, dein Manoel und ich, wir brauchten deine Hilfe, wem wrdest du zuerst Beistand leisten?Der Urwald schien auf einmal verstummt, nur das Prasseln des Feuers war zu hren. Mein Herz hmmerte, als stnde ich vor dem Richter, dem ich Rede und Antwort schuldete. Urubu kaute an einem Grashalm, er war ein starker Raucher, und seit Tagen plagte ihn die unfreiwillige Enthaltsamkeit. Er spie den Grashalm aus und beugte sich zu mir vor.,Als der Kasten zu sinken begann, habe ich dich und nicht diesen Manoel aus den Fluten gerettet. Htte ich so lange gezgert wie du, sest du jetzt nicht vor mir. Fr mich war der zerlumpte Favelado wertvoller als der geschniegelte Bauingenieur. Denn ich habe selbst in der Favela gelebt. Seine kleinen, flinken Augen beobachteten mich scharf. Ich wei nicht, es klang wahr, was er sagte, aber in mein Herz schlich sich der Verdacht ein, Urubu habe mich nur wegen des lfundes aus dem Amazonas gezogen. Das Bild des an der Reling lehnenden Urubu stand wieder vor meinen Augen. Hatte er mein Gesprch mit Manoel damals doch belauscht? Urubus nchste Worte verdrngten diesen Gedanken.,Ich wei, was dich bewegt. Du mchtest dein Gewissen beruhigen. Aber du tust es auf meine Kosten. Ohne mich wrst du abgesoffen, oder der Mato htte dich geschluckt wie so manchen Orchideenjger.Ich beteuerte, da ich gar nicht daran gedacht hatte, seinen Gewinn zu schmlern, da ich von meiner Hlfte Manoels Frau etwas zukommen lassen wollte.Aber Urubus Bitterkeit wuchs. Er schleuderte ber meinen Kopf hinweg Vorwrfe gegen die dunkle Wand der Urwaldriesen.,Du gibst dich nutzlosen Gedanken hin, ich aber zermartere mir den Kopf, wie wir das kleine Kapital mehren knnen, wenn wir in Manaus angelangt sind. Er wurde leidenschaftlicher. ,Ich mu den Agenten ausschalten und mich mit deinem lfund direkt an die Standard Oil wenden. So knnten wir auch seine Provision untereinander aufteilen.Ich wei nicht, wie lange Urubu seine zuknftigen Geschfte noch entwickelte, denn ich war, mde und erschpft von den Anstrengungen des Tages, bald eingedmmert.Ein frchterliches Gebrll ri mich aus dem Schlaf. Im Schein des verglimmenden Lagerfeuers sah ich Urubu, das Messer in der Hand, gespannt in das Dickicht starren. ,Was war das? fragte er mich.Ich war aufgesprungen und lauschte. Wieder dieses unertrgliche Gebrll. ,Ein Onca wahrscheinlich, flsterte ich. ,Ein Jaguar!Urubus Stimme bebte. ,Und wir sind so leichtsinnig und schlafen auf der Erde Ein rhrendes Wehgeheul. Und wieder dieses Gebrll. Urubu trat unwillkrlich einige Schritte zurck. Um seiner Frage zuvorzukommen, sagte ich: ,Das passiert im Mato jede Nacht. Ein Onca hat einen Hirsch berfallen. Ich warf neues Holz auf das verlschende Feuer und legte mich wieder nieder. Urubu schien der Erdboden zu unsicher, er kletterte auf einen Baum, um dort den Rest der Nacht zu verbringen.Lange Zeit konnte ich nicht einschlafen. Ich starrte in das flackernde Feuer und mute pltzlich an zu Hause denken. Ich stellte mir vor, ich se jetzt mit Teresita am offenen Herd und wir lauschten den Geschichten meines Vaters. In der Schlafecke der Lehmkate liegen Mario und Elvira und trumen von einem richtigen Ball, von so einem, wie ihn der Sohn des Fazendeiro hat. Hin und wieder meckert eine Ziege. Ja, und mein Vater erzhlte zum hundertstenmal, wie man reich werden kann Am nchsten Morgen wurde ich von Urubu wachgerttelt. Unsere Balsa, das Palmflo, hatte sich in der Nacht losgemacht und war von der Strmung fortgetrieben worden. Ich wollte sofort mit dem Bau einer neuen Balsa beginnen, aber Urubu trieb zur Eile. Er war wie besessen. Mit Hilfe der Sonne bestimmte er unseren weiteren Weg, und wir brachen auf. Ich fhlte mich nicht wohl und schleppte mich hinter Urubu her. Der Verlust der Balsa beschftigte mich. Zwar war das Paddeln gegen die Strmung des Amazonas sehr beschwerlich, jederzeit konnten wir kentern, aber der Weg durch den Mato war anstrengender und langwieriger. Wir waren hier zwar von den winzigen, unermdlichen Kriebelmcken befreit, doch im Mato lauerten die Vogelspinne, deren Bi heftige Entzndungen hervorruft, die lstigen Zecken, die Sandflhe, die Giftschlangen. Wir gingen auch einer Chance verlustig, von der wir nie geredet hatten, auf die wir aber im stillen hofften: Auf dem Amazonas konnten wir einem Schiff begegnen. Einem mit Edelholz und Fellen beladenen Dampfer oder dem in regelmigen Abstnden verkehrenden Postboot. Nein, wir htten doch eine neue Balsa bauen sollen.So in Gedanken vertieft, verlor ich Urubu schlielich aus den Augen. Seine Hast begann mich zu beunruhigen. Wollte er mich einfach abhngen? Oder wollte er mir nur zeigen, wie sehr ich auf ihn angewiesen war. Dann vermutete ich, da Urubu gar nichts mehr an der lquelle und an meiner Rettung lag. Er wollte mich dem Mato berlassen, weil ich als Weggefhrte lstig geworden war. Diese Gedanken waren dumm, denn Urubu brauchte mich. Ihn hatten wohl nur die Nerven verlassen. Aber damals glaubte ich, er wolle allein nach Manaus. Grausame, nackte Angst erfate mich. Die Furcht lie mich alle Mhen vergessen. Ich bi die Zhne zusammen und zwngte mich durch das Gestrpp, bangend, in dieser Wildnis fr immer eingeschlossen zu bleiben. Zum Glck war das Unterholz hier nicht allzu dicht.Gegen Mittag, die Hitze hatte alle Tiere des Waldes in ihre Schlupfwinkel gejagt, hrte ich Schreie. Ich lauschte. Es war Urubus Stimme. Keuchend arbeitete ich mich vorwrts. Als ich an Ort und Stelle angelangt war, erlebte ich ein seltsames Schauspiel. Urubu wlzte sich auf dem Boden, von einer armdicken Liane umspannt. Erst beim Nhertreten sah ich, da es eine Schlange war, die sich um seinen Leib geschlungen hatte.Ich erkannte, es war keine Giftschlange, sondern ein groer Wrger. Ich rief Urubu zu, er solle sich nicht rhren, dann wrde sie von ihm ablassen. Bei uns auf dem Lande sind Riesenschlangen ntzliche Tiere. Sie schtzen uns vor Giftschlangen und Ratten. Sie sind sauber, anhnglich und gengsam. Und sie spielen gern mit Kindern. Doch das konnte ich Urubu in den wenigen Augenblicken nicht erklren. Sein Gesicht war von Ekel und Angst verzerrt, seine kleinen Augen vorwurfsvoll auf mich gerichtet. Er glaubte wohl, ich zaudere, ihm zu helfen. Doch ich hatte schon einen festen Ast ergriffen und stemmte ihn zwischen Urubu und den rtlichgrauen Krper der Schlange. Langsam vergrerte ich diesen Keil. Direkt vor mir hatte ich den abgeflachten Kopf der Schlange, mit den kleinen lidlosen Augen. Die eifrmigen, grauroten Flecke auf ihrer Haut tanzten vor mir wie Sterne, denn sie mhte sich, den Widerstand, der ihr pltzlich entgegengesetzt wurde, zu brechen. Den Ast wie einen Hebel benutzend, konnte ich sie so weit von Urubu abdrngen, da er sich, geschmeidig wie er war, aus der gefhrlichen Umschlingung lsen konnte.Wir lieen die Schlange liegen, die uns auch nicht folgte, und verlieen den Ort, der Urubu beinahe zum Verhngnis geworden wre. Urubu berschttete mich mit Dankesworten. Dann untersuchte er seinen Krper nach Prellungen und konnte befriedigt feststellen, da er nichts Ernsthaftes davongetragen hatte. Doch bevor wir nach einer kurzen Rast erneut aufbrachen, trat er ganz dicht an mich heran, kniff die kleinen Augen zusammen und sagte: ,Sei ehrlich! Zunchst hast du mir gar nicht helfen wollen. Dir wre es lieber gewesen, ich wre draufgegangen!Ich beteuerte, da ich nie an so etwas gedacht htte, aber er nahm seinen Vorwurf nicht zurck. Vielleicht glaubte er wirklich daran. Bis zum Abend hielt er sich in meiner Nhe auf, wohl aus Furcht, ihm knnte ein neues Unglck widerfahren und er sei dann vllig auf sich selbst gestellt.Wir sprachen nur das Allernotwendigste miteinander, und ich fhlte wieder jene Wand zwischen uns wie auf dem Dampfer, bevor mich Urubu im Kesselraum aufgesucht hatte. Ich htte gern gewut, welche Gedanken ihn bewegten. Pltzlich versprte ich Angst, da Urubu etwas im Schilde fhre, was mich unerwartet wie ein Keulenschlag treffen sollte. Dieser Mann war wie besessen.Pedro unterbricht Flavio. Mein Vater hat mir erzhlt, da es so etwas hnliches wie Wildnis- oder Urwaldkoller geben soll. Zu seiner Zeit kursierte eine Geschichte von drei Freunden, die in den Urwald gezogen waren, um Orchideen zu sammeln. Andre Orchideenjger berichteten spter, da sich die drei gegenseitig erschlagen htten, einer seltenen, wunderschnen Orchidee wegen. Der Gedanke an das l hat auch in euch so etwas wie einen Koller hervorgerufen Flavio schttelte den Kopf. Bei mir nicht! Aber bei Urubu! Und heute glaube ich, da er auch in den Augenblicken, wo er seine Nerven ganz und gar verloren hatte, darber nachgrbelte, wie er am Ende allein in den Besitz meines lfundes gelangen knnte.Am Morgen wurde ich sehr frh wach, erzhlt Flavio weiter. Ich entfernte mich von unserem Nachtlager, um nach etwas Ebarem zu suchen. Es gelang mir, einen jungen, schlafenden Kaiman mit einer Keule zu erschlagen. Ich ging zurck zu unserem Rastplatz, um mir Urubus Messer zu holen, mit dem ich das Tier zerlegen wollte. Unterwegs kam mir Urubu entgegen.Als er meiner ansichtig wurde, stammelte er freudig, doch pltzlich entstellte sich sein Gesicht. Das Antlitz wurde abwechselnd rot und bla.,Wie einen Leprakranken wolltest du mich im Mato aussetzen! schrie Urubu. ,Das ist der Dank dafr, da ich dir das Leben gerettet habe! Du denkst, du kannst mich fertigmachen. Mich nicht! Merke es dir, du Dreckskerl!Blitzschnell griff er zum Grtel und schleuderte sein Messer gegen mich. Haarscharf zischte es an meinem Ohr vorbei. Ich hrte den Aufschlag im Baum und das Splittern der Baumrinde.Urubu krchzte befriedigt. ,Gekonnt, was? Ein Mexikaner hat es mir beigebracht. Aus zwanzig Schritt Entfernung rasiere ich dir die Zigarette unter der Nase weg. Nimm dich in acht!,Das l hat deine Sinne verwirrt, sagte ich.,Ja, das flssige Gold, schrie Urubu. ,Ich durchschaue dich! Du glaubst, du brauchst mir nichts mehr zu geben. Wir wren quitt, weil du mich von dieser Schlange befreit hast. Leben gegen Leben wir sind quitt! Das denkst du, aber mein Leben ist schon etwas mehr wert, und ich habe es fr dich eingesetzt. Was denkst du, was mir dein Manoel gezahlt htte, htte ich ihn statt deiner aus dem Amazonas gefischt Pltzlich besann er sich, eilte auf mich zu, ri das Messer aus dem Baum und steckte es wieder ein. Er kauerte sich nieder, den Blick auf das Wasser des Amazonas gerichtet, und sprach vor sich hin, als wre ich nicht zugegen.,Geld! Alles kann man dafr haben. Alles! Unsereins wei, was man damit anfangen kann. Gnstig anlegen, vermehren, immer nur vermehren und keinen Finger mehr krumm machen. Ich habe es oft genug erlebt, wie es die Groen machen! Er fragte mich: ,Glaubst du, ich knnte es nicht auch?Er wischte sich den Speichel vom Mund. ,Was ntzt dir das Geld? Du bist ein armer Caboclo. In deinem Dorf fllt es sofort auf, wenn du Geld hast. Die Verwandten kommen, betteln Fr eine Ziege oder fr eine neue Charette, Senhor, bitte Merkst du? Sie werden dich Senhor nennen, solange du gibst. Und du wirst geben, weil du dumm bist. Und sinds keine Verwandten, so werden es Diebe sein. Sie werden dich erschlagen, vielleicht deine ganze Familie. Du wirst keine ruhige Minute mehr finden Sag, willst du das?Er sprang auf, trat ganz dicht an mich heran. Seine kleinen, flinken Augen glnzten wie im Fieber.,Hr mal, du bist hilflos, allein, und bedarfst meines Schutzes. Ich kann dich an einen Stamm binden, und die roten Ameisen haben ihr Werk getan, bevor der Mond aufgegangen ist. Ach, ich brauche nicht einmal das zu tun. Ich ziehe einfach allein weiter und berlasse dich den Jaguaren zum Fra! Dann ntzt dir dein Geld auch nichts. Gib die Skizze, und ich bringe dich heil nach Manaus. Ich verspreche es dir! Ich gebe dir sogar gengend Cruzeiros, damit du zu deiner Teresita zurckkehren kannst.Ich war verblfft: ,Welche Skizze denn?Urubu kniff die Augen zusammen. ,Tu nicht so. Die Skizze von der lquelle natrlich.Der ganze Auftritt Urubus war, glaube ich, gespielt. Er wollte mich einschchtern, um zu erfahren, ob eine Skizze ber meinen lfund existierte. Denn von der Skizze konnte er nichts wissen. Davon hatten wir an der Reling nicht gesprochen. Es war nur eine Vermutung von ihm.,Ich besitze keine Skizze!Urubu sah mich fassungslos an. Allmhlich vernderte sich sein Gesichtsausdruck. Er verzog hohnvoll den Mund.,Spar dir dieses Mrchen. Du hast lange genug mit deinem Manoel zusammengehockt Und ein Bauingenieur wei, wie man eine Skizze anfertigt.Ich durfte nicht in seine Falle gehen! Es war eine Falle, das wute ich in diesem Augenblick ganz genau. Ich machte ein ernstes Gesicht. ,Niemand auer mir wei, wo sich der lfund befindet. Es gibt auch keine Aufzeichnung darber. Sollte ich Manaus nicht erreichen, wird der Mato mein Geheimnis fr immer bewahren.Urubu rollte wild mit den Augen, und ich frchtete, er werde sich auf mich strzen. Doch ich durfte ihn meine Furcht nicht fhlen lassen. Ich nickte bedeutungsvoll mit dem Kopf. ,Ja, so verhlt es sich also! Ich drehte mich langsam um. Gnsehaut lief meinen Rcken lang. Wenn er ber mich herfllt und den Brustbeutel untersucht Ich sprte seine Hand auf meiner Schulter. ,Flavio! rief er bittend. Ich drehte mich um. Sein Gesicht hatte einen Ausdruck, den ich noch nicht kannte. Er bat um Vergebung fr seinen Ausbruch. ,Ich halte das nicht mehr aus! Es ist doch alles sinnlos. Nie werden wir Manaus erreichen, nie! Ich werde noch verrckt in diesem heimtckischen Mato! Ich wei jetzt schon nicht mehr, was ich sage und tue.Er hatte den richtigen Ton angeschlagen. Auch ich zweifelte daran, jemals lebend dem Mato zu entrinnen. Herr Gott! Wer konnte denn in dieser dreimal verfluchten grnen Hlle normal bleiben! Jeder Verdacht gegen Urubu war erloschen. Ich trstete ihn mit Worten, an die ich selbst nicht glaubte. Aber was sollte ich tun? Wir muten an die Rettung glauben. Sich selbst aufgeben, bedeutet den Tod!So zogen wir weiter. Unsere Krfte waren fast aufgezehrt. Urubu trottete verschlossen und lustlos hinter mir her. Er kmmerte sich kaum noch um Nahrung und lie mich alle schweren Arbeiten allein verrichten. Mein Mitrauen gegen ihn wurde wieder wach. Und ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, da wir nicht mehr als Freunde, sondern als zwei feindliche Gefhrten das Leid teilten. Zwar warnte einer den anderen vor Gefahren, aber nachts schliefen wir wenig und unruhig, nicht nur aus Furcht vor den Tieren, sondern auch aus Angst vor dem anderen. Urubu beobachtete mich stndig. Glaubte er wirklich, da er mich zu frchten habe? Ein Mensch wie er mute wohl mitrauisch sein.Eines Morgens weckte mich ein Sthnen. Zusammengerollt wie eine Schlange lag Urubu unter einem Baum, hielt sein linkes Bein umfat und wimmerte. Als er mich erblickte, zwinkerten seine kleinen Augen nervs, und das Wimmern verwandelte sich in vorwurfsvolles Krchzen.,Ich kann nicht weiter! Dieser verfluchte Stachelrochen!,Was hast du am Ufer gesucht?,Ich wollte uns Schildkrteneier besorgen.Ich war verwundert. ,Du hast dich um Essen kmmern wollen? Seit Tagen machst du keinen Finger krumm Er sthnte: ,Ich wei, deshalb wollte ich heute Ich schimpfte mit ihm. ,Ich habe dir gesagt, du sollst die Fe schieben, wenn du durch Sand und Schlick gehst. Dann stt du auf den Stachelrochen und wirst nicht von seinem gefhrlichen Stachel getroffen.Urubu hatte die Zhne zusammengebissen und schwieg. Ich erschrak. Der Stich eines Stachelrochens soll sehr schmerzhaft sein. Man hlt es zwei Tage und zwei Nchte vor Brennen kaum aus. Was sollte ich tun? Ich konnte ihn doch nicht einfach liegenlassen! Er brauchte meine Hilfe!,Wir mssen einen Umschlag machen, sagte ich und wollte mich ihm nhern. Aber er jagte mich von sich. Er erhob sich chzend, humpelte zu einem Baum und schnitt sich aus einer holzigen Liane einen Knttel zurecht.Am Mittag brach Urubu zusammen. Er hatte vor Schmerz und Wut Trnen in den Augen. Ich versuchte ihn zu sttzen. Er fauchte mich an wie eine Wildkatze. Um ihm Erleichterung zu verschaffen, wollte ich seinen Hosengurt lockern, da bi er mich in den Arm.Meine Geduld war zu Ende. Nur fort von dieser Kreatur, dachte ich, sie ist heimtckisch und gefhrlich. Ich beachtete Urubu nicht mehr und machte Anstalten aufzubrechen.Da hrte ich ihn demutsvoll flstern: ,Verla mich nicht! Ich will leben! Du mut mir helfen! Ich schenke dir meinen Anteil, ich will keinen Cruzeiro von dir. Ich schwre es! Flavio! Hab Erbarmen! Flavio Urubu verzichtete auf Geld. Er mute frchterliche Schmerzen leiden, wenn das Geld fr ihn bedeutungslos geworden war.Als Urubu einen neuen Schmerzanfall berwunden hatte, lud ich ihn mir auf den Rcken und zog so weiter. Ich schleppte mich durch den Mato und brach mit meiner Last fast zusammen. Ich glaubte einem Hilfsbedrftigen Linderung zu verschaffen. Gleichzeitig aber hatte ich das Gefhl, in meinem Nacken sitze ein Aasgeier, ein Urubu, der jederzeit meinen Schdel mit seinem hakigen Schnabel zertrmmern knnte. Dann beruhigte ich mich wieder. Die Urubus sind feige bei Lebenden und nur bei Toten ausdauernd. Allmhlich wich meine Angst. Vielleicht deshalb, weil Urubu stiller und es mag eigenartig klingen auch leichter wurde. Wenn ich ihn mir nach einer kleinen Rast wieder auf den Rcken packte, glaubte ich einen zusammengeschrumpften Greis emporzuheben.Am spten Nachmittag lie er sich willenlos in einer kleinen Lichtung absetzen. Ich knackte einige Paransse fr ihn, doch er verweigerte sie. Nur ein paar Mangofrchte nahm er zu sich. Zusammengekrmmt, die kleinen Augen geschlossen, lag er sthnend auf dem Rcken.,Flavio Flavio , hrte ich ihn flstern. Ich setzte mich zu ihm.,Ich glaube, meine letzte Stunde hat geschlagen, sagte er.Ich versuchte ihn zu trsten und sprach ihm Mut zu. ,Wir haben es jetzt nicht mehr weit, sagte ich. Dann kam ich auf einen neuen Gedanken.,Ich werde ein groes Feuer am Ufer entfachen. Irgendein Dampfer mu doch einmal vorbeifahren. Er wird uns Hilfe bringen!Urubu riet ab, sprach von wilden Tieren, die das Feuer anziehen wrde. Ich widersprach, Tiere frchten doch Feuer. Dennoch hie er meinen Vorschlag nicht gut.,Dann gib mir dein Messer, bat ich.Fr einen kurzen Moment war das Fieber aus seinen Augen verschwunden.,Wozu brauchst du es? fragte er.,Ich will dein Hosenbein aufschneiden, um dir einen Umschlag zu machen.Ich eilte zum Ufer, feuchtete einen Fetzen Tuch gut an und legte ihn um seinen schmerzenden Fu. Er dankte mir mit einem schwachen Lcheln, steckte aber das Messer wieder ein.Urubu atmete schwer und schwieg. Nach einer Weile drehte er mir sein schmerzverzerrtes Gesicht zu.,Weit du, das Leben, das richtige Leben, ist wie ein groer Dampfer, der auf dem Strom schwimmt. Wir Armen, die Favelados, Caboclos und wie sie alle heien mgen, schwimmen mit aller Kraft hinter dem Dampfer her. Aber wir haben es schwer, den Dampfer zu erreichen. Wir sind, dumm. Statt uns gegenseitig zu hellen, ersufen wir unseren Nachbarn zur Linken oder Rechten. Wir glauben so schneller vorwrts zu kommen. Ja, wir ersufen uns gegenseitig.Er machte eine Pause. ,Flavio, weit du, mein Leben , ich bin auch hinterhergeschwommen. Wie lange! Und nur mit List ist es mir gelungen auf dem Dampfer Fu zu fassen. Aber kaum war ich an Deck, da versuchten die vom Zwischendeck mich hinabzustrzen. Doch ich wollte hher, aufs Zwischendeck. Ich wagte sogar vom Oberdeck zu trumen. Aber unerreichbar fr mich und dich und fr Millionen anderer thront ber allem im weien Glanz die Kommandobrcke. Diese Kommandobrcke erreicht nicht einmal dein Manoel Ach ja, er ist schon tot Und wenn ich tot bin Ja, Flavio Er richtete sich jh auf. ,Ich darf nicht sterben, verstehst du. Ein Zacarias de Carvajal nicht!Er fiel zurck, schlo die Augen, schien zu schlummern. Die Nacht brach herein. Se, duftende, weiche Luft umhllte uns. Im Mondlicht leuchteten die hellen Lianenblten in neuer Pracht. Aus der Tiefe des Urwaldes drangen Tierstimmen an mein Ohr. Das war immer wieder neu und furchterregend. Und am Himmel leuchteten vier Sterne in reiner Klarheit: das Kreuz des Sdens.Ich dmmerte vor mich hin. Irgendwann hrte ich Urubus leise Stimme: ,Schlfst du schon? Es ist gut zu wissen, da einer wacht.Als ich im Morgengrauen munter wurde, war Urubus Platz leer!Mein Kopf schwirrte von Vermutungen. War Urubu in seiner Fieberphantasie in den Mato gelaufen und umgekommen? Oder war er in einem Morast versunken? Wir hatten auf einem kleinen Hgel geschlafen. Der Boden war trocken und ohne Unterholz. Es gab keine Spuren. Ich durchstreifte die Umgebung, suchte, rief seinen Namen. Vergeblieh! Ich verbrachte noch einen Tag und eine Nacht an unserer Raststtte, immer in der Hoffnung, wenigstens eine Spur von Urubu zu finden. Die Bume und Tiere schienen sich die Umstnde seines Verschwindens zuzuraunen. Ich verstand ihre Sprache nicht. Und so blieb Urubus Ende ein Rtsel fr mich.Als ich endlich die Suche nach Urubu aufgab, empfand ich Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit. Jetzt erst wurde es mir bewut, da ich von nun an ganz auf mich allein angewiesen war. Ich warf mich auf den Boden und , ja, ich weinte wie ein kleines Kind. Noch nie war ich so mutlos gewesen wie in jenem Augenblick. Ich konnte nicht mehr an eine glckliche Rckkehr nach Manaus glauben. Nur der Gedanke an meine Familie half mir diese Schwche berwinden. Ich sagte mir, da es jetzt ja gar nicht mehr weit sei, und machte mich auf den Weg.Ich will nicht all die Strapazen schildern, die ich durchmachen mute. Viele Male habe ich mich verirrt, und htten mich nicht Indios gefunden, ich wre nicht mehr am Leben.Erschpft und abgerissen erreichte ich endlich Manaus. Unbndige Freude erfllte mich, als ich die Huser, den Verkehr und die vielen Menschen wiedersah. Ich war stolz, durchgehalten zu haben. Das Leben wird dem Menschen nur einmal gegeben. Jetzt sah ich in der Prmie fr meinen lfund den verdienten Lohn fr die verflossene Mhsal. Zuallererst mute ich aber an mein ueres denken, denn so zerfetzte Kleidung wie ich trug nicht mal ein Bettler. Ich suchte ein Geschft in der schwimmenden Stadt auf. Der Verkufer musterte mich skeptisch. Um ihm zu beweisen, da ich zahlungskrftig sei, griff ich in meinen Brustbeutel Doch Unmglich! Mein Geld Ich suchte aufgeregt, aber das Geld und auch die Skizze blieben verschwunden!Ich verlie das Geschft und setzte mich verzweifelt am Ufer des Rio Negro nieder. Stundenlang zermarterte ich mir den Kopf. Ich fand nur eine Erklrung: Urubu wute, da er Manaus nicht mehr erreichen wrde. Da entwendete er den Inhalt meines Brustbeutels. Er wollte, da ich sein Schicksal teilte. Doch er sollte sich verrechnet haben.An eine Weiterreise zum Fundplatz war vorlufig nicht zu denken. Ich fand zwar Gelegenheitsarbeit, doch eine eingesparte Mahlzeit ergab nicht gleich einen Cruzeiro. Dann hatte ich etwas Geld zusammen. Ich konnte mich aber nicht entschlieen, wohin ich zuerst fahren sollte: zur lquelle oder zu Teresita. Seit einem Jahr hatte ich keine Nachricht aus meinem Dorf. Dennoch entschied ich mich fr das erste; ich wollte nicht als zerlumpter Caboclo zu Teresita und meinen beiden Kindern zurckkehren.So reiste ich in jene Gegend, wo einst die fettige, blauschwarze Brhe aus dem Erdboden hervorgesprudelt war. Ich habe lange suchen mssen. Es fiel mir schwer, mich genau an den Fundplatz zu erinnern. Die Skizze fehlte mir. Endlich hatte ich den Ort wiedergefunden. Ich htte schwren mgen, da es dieselbe Stelle war.Aber von fettiger, blauschwarzer Brhe keine Spur! Die Gegend war eine Einde. Trotzdem waren Menschen vor mir hier gewesen. Ich fand leere amerikanische Konservenbchsen. Sie waren noch nicht verrostet, man hatte sie erst vor kurzem weggeworfen. Meine Neugierde verwandelte sich in Unruhe. Was hatte das zu bedeuten? Wer war mir zuvorgekommen? Ich suchte weiter und fand eine zerbrochene Melatte. Am Fu eines Hgels entdeckte ich eine Htte, vor deren Eingang sich eine ausgebrannte Feuerstelle befand.Im nchsten Dorf erfuhr ich dann, da dieses Gelnde von einer amerikanischen Erdlgesellschaft aufgekauft worden war. Ich war also zu spt gekommen! Wer mochte der Gesellschaft diesen Fundort gemeldet haben? Und warum frderte sie dieses Erdl nicht? Aber dafr hatte Urubu ja eine Erklrung gegeben. Die Amerikaner wollten verhindern, da in unserem Lande Erdl gefrdert wurde, damit die Vorkommen, die sie woanders besaen, nicht an Wert verloren.Entmutigt und rmer, als ich ausgezogen war, kehrte ich nach Manaus zurck. Ich trieb mich im Hafen herum, unentschlossen, was ich tun sollte. Ich wute nur eines: Ich mute in Erfahrung bringen, wer der Gesellschaft meinen lfund gemeldet hatte. In einer Hafenkneipe hrte ich pltzlich den Namen: Zacarias de Carvajal. Ich konnte es nicht glauben. Urubu lebte!Die Geschichte, die man sich in Manaus ber Urubu erzhlte, war so phantastisch, da ich ihre Wahrheit anzweifelte. Der Zufall fhrte mich dann in ein Lokal, wo ich den Erdlingenieur Sylvio Mello kennenlernte.Sylvio Mello besttigte mir, da Zacarias de Carvajal lebte! Wie es Urubu gelungen war, vor mir Manaus zu erreichen, wei ich nicht. Wahrscheinlich hatte ihn ein Dampfer an Bord genommen. Es fiel mir wieder ein, da der Stich eines Stachelrochens zwei Tage schmerzen soll. Zacarias war in jener Nacht wohl der Schmerzen ledig geworden. Er untersuchte meinen Brustbeutel. Ich schlief sehr fest. Da nahm er die Skizze und das Geld und floh. Irgendein Umstand half ihm weiter. Ich wei heute noch nicht, ob es wirklich so war. Aber ich kann keine andere Erklrung finden. Sylvio Mello wurde mit Urubu bei der ,Petrobras bekannt, bei der neugegrndeten staatlichen Erdlgesellschaft, wo er als Ingenieur arbeitete. Whrend ich noch mit dem Mato kmpfte, war Urubu bei der ,Petrobras erschienen und hatte ihr ein Stck Land zum Kauf angeboten, das ltrchtig sein sollte. Es war jene Stelle, an der ich einst die lquelle entdeckt hatte Pedro kann eine Frage nicht unterdrcken. Aber Urubu war doch gar nicht der Eigentmer jenes Fleckchens Erde?Flavio steht auf, geht an das Wandregal und stellt eine Schssel mit gebratenen Fischen vor Pedro. I, Muchacho, es ist kein Feijoada, aber ein Hungriger ist fr jeden Bissen dankbar, ich wei das.Und whrend sich Pedro auf den Fisch strzt, erzhlt Flavio weiter. Kaum war Urubu dem Mato heil entronnen, eilte er mit meiner Skizze zur ,Standard Oil. Die Amerikaner fhrten Probebohrungen durch, fanden Erdl, und nun htte Urubu seine Prmie erhalten mssen. Sie wre hher ausgefallen als sonst, denn er hatte mich doch ausgeschaltet, den eigentlichen Finder. Oh, Urubu wird sich schon die Hnde gerieben haben Aber damals war ja schon die staatliche Erdlgesellschaft ,Petrobras gegrndet worden. Unsere vorige Regierung war bestrebt, den Einflu auslndischen Kapitals einzudmmen, Die ,Petrobras besa nunmehr das alleinige Recht fr die Frderung, Erkundung und Verarbeitung von Erdl.Die Amerikaner witterten, da sie enteignet werden sollten, denn inzwischen hatte man einige auslndische Firmen schon verstaatlicht. Sie erwarben also fr billiges Geld jenes Stck Land, das Urubu ihnen als ltrchtig gemeldet hatte, und schenkten es ihm statt der Prmie. Vielleicht hofften sie das Land so dem Zugriff der ,Petrobras zu entziehen. Vielleicht wollten sie sich auch nur ber Urubu lustig machen. Er war fr sie nutzlos geworden. Denn die ,Petrobras wollte sich selbst berzeugen, ob das amerikanische Mrchen von dem erdlarmen Brasilien auch stimmte. Die Amerikaner hatten keine Tiefbohrer fr uns gehabt! Wir wandten uns an die Russen. Diese hatten nicht nur Tiefbohrer, sondern schickten uns gleich einige Experten dazu. Und diese entdeckten Petroleum! Ganz Brasilien soll auf einem Meer des schwarzen Goldes schwimmen. Man fand zum Beispiel bei Bahia welches, dann auch hier, in der Gegend von Manaus. So stand es also damals.Voller Hoffnung bot Urubu das Stck Land der ,Petrobras an. Diese lehnte den Kauf ab und enteignete Urubu, da der lfund zunchst bei der ,Standard Oil angemeldet worden war.Flavio lacht. Pedro, Urubus Gesicht htte ich sehen mgen. Das Gesicht des betrogenen Betrgers!Pedro schiebt die Schssel zurck, wischt sich mit dem Handrcken den Mund und bedankt sich fr die Mahlzeit. Er blickt nachdenklich auf Flavio. Aber du hast doch dabei alles verloren darber kannst du noch lachen?Flavio wird wieder ernst. Ich habe die Prmie verloren, aber ich habe einen Freund gewonnen, den Ingenieur Sylvio Mello! Ich war damals verzweifelt. Doch Sylvio hat mir geholfen. Er verschaffte mir anstndige Arbeit als Petrolero. Und ich habe auch viel aus meinen Erlebnissen gelernt. Als Einzelgnger kann ein Armer, so einer wie du oder ich, nicht sein Glck machen, sondern nur an der Seite der anderen. Wenn man allein ist, kommen die Urubus, die Aasgeier. Sie ruhen nicht, bis sie einem alles wieder abgenommen haben. Man wird auch schlecht, wenn man nur an sein eigenes Glck denkt. Wie hat sich Zacarias nach Reichtum gesehnt! Sein Schicksal sollte jedem eine Warnung sein! Wer auf krummen Wegen das Elend berwinden will, der kommt zu Fall! Und hufig durch jene, deren Werkzeug er war, mgen es nun Amerikaner oder die eigenen Landsleute sein.Flavio geht zur Tr und schiebt den Vorhang zur Seite. Die Stadt liegt im Schlaf. Leise schnalzen die Wellen gegen die Bootswnde. Aus der Ferne klingt das heisere, abgerissene Heulen einer Dampfersirene. Flavio dreht sich wieder um. Hast du eine Bleibe, Pedro?Kaum hrbar kommt das Nein!Dann schlfst du bei mir. berhaupt, du kannst vorlufig bei mir wohnen bleiben.Pedro wird vor Dankbarkeit verlegen wie ein Mdchen. Und um etwas zu sagen, stellt er eine Frage, die er sofort bereut: Und deine Frau Er beit sich auf die Lippen.Flavio wendet sich ab. Mit heiserer Stimme sagt er: Brasilien ist gro. Als ich gengend Geld gespart hatte, bin ich in mein Heimatdorf gefahren. Mein Vater war nicht mehr am Leben. Mein Land hatte ein Fazendeiro konfisziert. Ich schuldete ihm Geld. Er bebaut das Land nicht, aber es gehrt ihm. Und Teresita Sie hatte das Dorf mit den beiden Kindern verlassen. Wohin sie gegangen war, wute keiner. Brasilien ist gro, zu gro. Ich habe sie nie wiedergesehen!Zum Teufel mit diesem Leben! sagt Pedro. Es ist ein verfluchtes Glcksrad. Entweder kannst du dich festhalten, oder es schleudert dich zur Seite. Er greift zur Flasche mit dem Maniokschnaps. Flavio entreit sie ihm.Was willst du denn? ruft Pedro. Die alte Regierung hatte sich gerade von den Amerikanern frei gemacht, die neue lt sie wieder hochleben. Dieser Urubu und seine ganze Gesellschaft mischen wieder mit. Und unsereins steht hilflos da und kann nur die Fuste ballen!Flavio lt sich auf die Lagerstatt nieder und schweigt. Endlich sagt er: Weit du, Pedro, bei uns daheim hngt man einem Stier, der zur Weide gefhrt wird, ein Tuch vor die Augen. Es heit, da er sich dann seiner Kraft nicht bewut wird und brav weitertrottet. Ich glaube fest daran, da unser Volk eines Tages das Tuch von den Augen reien wird. Doch wir wollen schlafen. Ich mu morgen arbeiten.

Worterklrungen

AvenidaPrachtstraeCabocloMischling zwischen Weien und Indianern, kleinbuerlicher MestizeCharettezweirdriger Einspnnerel oro blancodas weie Gold, KautschukFaveladoBewohner des Armenviertels der Favela in Rio de JaneiroFazendaLandgut mit Plantagen oder RinderherdenFazendeiroEigentmer einer FazendaFeijaoBohnenFeijoadabrasilianisches MittagessenMatoUrwaldMuchachoJunge

Heft 236

Erich LoestSliwowitz und Angst

Zwei Wochen schon ziehen der Gefreite Billing und seine Kameraden hinter ihrer Einheit her. Sie haben den Auftrag, mit dem Trofahrzeug zur vorausgerckten Kompanie aufzuschlieen. Aber sie lassen sich Zeit. Der Sliwowitz schmeckt zu gut, und das Essen in den slowakischen Gasthusern ist auch im letzten Kriegsjahr noch ausgezeichnet. Dann ist mit einemmal alles zu Ende. Partisanen berfallen den Trotrupp. Der Bagagewagen geht verloren. Wenn sie zur Kompanie kommen, erwartet sie das Kriegsgericht. Angst packt die deutschen Soldaten und treibt sie zu einem Entschlu, an den sie vorher nie zu denken gewagt htten.