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288 | Phys. Unserer Zeit | 34. Jahrgang 2003 | Nr. 6 © 2003 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim MAGAZIN | Thompson stammte aus ärmlichen Verhältnissen, heiratete als junger Mann eine reiche und deutlich ältere Witwe in Nordamerika, die er bald darauf verließ, nachdem er als briti- scher Spion während des amerikani- schen Unabhängigkeitskrieges ent- tarnt worden war. Die meiste Zeit seines Lebens leb- te er in Europa, wo er eine Vielzahl von Affären und politischen Ämtern inne hatte, bis er nach dem Tod seiner ersten Frau die Witwe des Chemikers Lavoisier heiratete. Er gründete die Royal Institution in London, legte den Englischen Garten in München an und setzte in Bayern die Kartoffel als Nahrungsmittel durch. Hier erreichte er auch das Amt des bayerischen Kriegsministers. Daneben gründete er in München auch Arbeitshäuser. De- ren Bewohner stellten die Uniformen für die Armee her, wobei Rumford in Experimenten zunächst bestimmt hatte, welche Materialien sich hierfür besonders eigneten. Ernährt wurden die Bewohner unter anderem mit ei- ner von Rumford kreierten und nach ihm benannten Suppe, die sich besonders kostengünstig herstellen ließ, aber gleichzeitig sehr nahrhaft sein sollte. Neben all seinen Tätigkeiten war er auch ein sehr produktiver Wissen- schaftler. Hervorzuheben sind insbe- sondere seine Arbeiten zur Wärme- lehre und zur Optik. Ein wesentliches Kennzeichen seiner Untersuchungen liegt in deren Praxisbezug. So entwi- ckelte er verschiedene Lampen, Her- de und Öfen, die sich alle durch eine besondere Effizienz auszeichnen soll- ten. Dabei beschränkte er sich nicht auf die Analyse der jeweiligen Geräte, sondern beschäftigte sich auch mit den zugrunde liegenden Phänomenen. In einen Prioritätsstreit geriet Rumford mit einer seiner letzten Ar- beiten: Seine Untersuchungen der Wärmestrahlung veröffentlichte er 1804, ohne Bezug auf die Arbeiten des Schotten John Leslie zu nehmen. Beide hatten in ihren Experimenten den Einfluss verschiedener Ober- flächen auf das Abstrahlungsverhalten untersucht; allerdings unterschieden sich die eingesetzten Apparaturen. Während Leslie den später nach ihm benannten Würfel und ein Differential- thermometer verwendete, benutzte Rumford zwei Strahler und das von ihm entwickelte Thermoskop (Abbil- dung 2). Bei diesem Instrument sind zwei geschwärzte Hohlkugeln aus Glas durch eine Kapillare miteinan- der verbunden. In deren Mitte befin- det sich ein Alkoholtropfen. Im Experiment wird die Luft in den Hohlkugeln jeweils durch einen in einem definierten Abstand aufge- stellten, mit heißem Wasser gefüllten Metallkörper erwärmt. Wenn die bei- den Oberflächen der Strahler unter- schiedlich sind, ist bei gleicher Was- sertemperatur auch die Erwärmung der Luft in den Kugeln unter- schiedlich und der Alkohol- tropfen in der Kapillare ver- schiebt sich. Verändert man die Abstände der Strahler so zueinander,dass der Tropfen wieder in seine Ausgangslage zurückkehrt, er- gibt sich unter Verwendung der quadratischen Abstandsbezie- hung eine relative Beschreibung des Abstrah- lungsverhaltens. Aus heutiger Sicht am bekanntes- ten geworden ist Rumford durch sei- ne Experimente zur Wärmetheorie. Er hatte beim Ausbohren von Kano- nen festgestellt, dass sehr große Wär- memengen durch die Reibung freige- setzt werden können. In entspre- chenden Experimenten untersuchte er dies näher und zog den Schluss, dass Wärme nichts Materielles sei, sondern als Bewegung kleinster Teil- chen aufgefasst werden müsse. Auch wenn Rumford nicht über das Energiekonzept verfügte, so zeig- te sich doch bereits eine starke Veran- kerung des Erhaltungsgedankens. Dieser spielte Mitte des 19. Jahrhun- derts dann eine zentrale Rolle für die Formulierung des ersten Hauptsatzes der Thermodynamik. Allerdings war das Konzept der äquivalenten Um- wandelbarkeit noch nicht für Rum- ford selbst anwendbar. Seine Experi- mente wurden etwa 50 Jahre später von Joule im Zusammenhang mit dem Etablieren des mechanischen Wärmeäquivalents entsprechend aus- gewertet. Literatur S.C. Brown (Hg.), The collected Works of Count Rumford. Band 1, Belknap, Cambridge 1968. S.C. Brown, Benjamin Thomson, Count Rumford. MIT Press, Cambridge 1979. Internet www.famousamericans.net/ benjaminthompsonrumford Peter Heering, Uni Oldenburg PHYSIK GESTERN UND HEUTE | Der Spion, der die Wärme untersuchte Der in Massachusetts geborene Benjamin Thompson, der ab 1792 auch den Titel eines Grafen von Rumford führte, ist eine der schillerndsten Figuren der Physikgeschichte. Berühmt wurde er insbesondere wegen seiner Experimente zur Wärmetheorie. Abb.1 Porträt von Lord Rumford. > Abb. 2 Nach- bau des Wärme- strahlungsexperi- ments an der Universität Oldenburg (Foto: Landesmuseum für Natur und Mensch Olden- burg, W. Knust).

Der Spion, der die Wärme untersuchte

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Page 1: Der Spion, der die Wärme untersuchte

288 | Phys. Unserer Zeit | 34. Jahrgang 2003| Nr. 6 © 2003 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim

M AG A Z I N |

Thompson stammte aus ärmlichenVerhältnissen, heiratete als jungerMann eine reiche und deutlich ältereWitwe in Nordamerika, die er balddarauf verließ, nachdem er als briti-scher Spion während des amerikani-schen Unabhängigkeitskrieges ent-tarnt worden war.

Die meiste Zeit seines Lebens leb-te er in Europa, wo er eine Vielzahlvon Affären und politischen Ämterninne hatte, bis er nach dem Tod seiner ersten Frau die Witwe des ChemikersLavoisier heiratete. Er gründete dieRoyal Institution in London, legte denEnglischen Garten in München anund setzte in Bayern die Kartoffel alsNahrungsmittel durch. Hier erreichteer auch das Amt des bayerischenKriegsministers. Daneben gründete erin München auch Arbeitshäuser. De-ren Bewohner stellten die Uniformenfür die Armee her, wobei Rumford inExperimenten zunächst bestimmthatte, welche Materialien sich hierfürbesonders eigneten. Ernährt wurdendie Bewohner unter anderem mit ei-ner von Rumford kreierten und nachihm benannten Suppe, die sich besonders kostengünstig herstellenließ, aber gleichzeitig sehr nahrhaftsein sollte.

Neben all seinen Tätigkeiten warer auch ein sehr produktiver Wissen-schaftler. Hervorzuheben sind insbe-sondere seine Arbeiten zur Wärme-lehre und zur Optik. Ein wesentlichesKennzeichen seiner Untersuchungenliegt in deren Praxisbezug. So entwi-ckelte er verschiedene Lampen, Her-de und Öfen, die sich alle durch einebesondere Effizienz auszeichnen soll-ten. Dabei beschränkte er sich nichtauf die Analyse der jeweiligen Geräte,sondern beschäftigte sich auch mitden zugrunde liegenden Phänomenen.

In einen Prioritätsstreit gerietRumford mit einer seiner letzten Ar-beiten: Seine Untersuchungen derWärmestrahlung veröffentlichte er1804, ohne Bezug auf die Arbeitendes Schotten John Leslie zu nehmen.Beide hatten in ihren Experimentenden Einfluss verschiedener Ober-flächen auf das Abstrahlungsverhaltenuntersucht; allerdings unterschiedensich die eingesetzten Apparaturen.Während Leslie den später nach ihmbenannten Würfel und ein Differential-thermometer verwendete, benutzteRumford zwei Strahler und das vonihm entwickelte Thermoskop (Abbil-dung 2). Bei diesem Instrument sindzwei geschwärzte Hohlkugeln ausGlas durch eine Kapillare miteinan-der verbunden. In deren Mitte befin-det sich ein Alkoholtropfen.

Im Experiment wird die Luft inden Hohlkugeln jeweils durch einenin einem definierten Abstand aufge-stellten, mit heißem Wasser gefülltenMetallkörper erwärmt. Wenn die bei-den Oberflächen der Strahler unter-schiedlich sind, ist bei gleicher Was-sertemperatur auch die Erwärmungder Luft in den Kugeln unter-schiedlich und der Alkohol-tropfen in der Kapillare ver-schiebt sich. Verändert mandie Abstände der Strahler so zueinander, dass der Tropfenwieder in seine Ausgangslage zurückkehrt, er-gibt sich unterVerwendung der quadratischen Abstandsbezie-hung eine relativeBeschreibung des Abstrah-lungsverhaltens.

Aus heutiger Sicht am bekanntes-ten geworden ist Rumford durch sei-

ne Experimente zur Wärmetheorie.Er hatte beim Ausbohren von Kano-nen festgestellt, dass sehr große Wär-memengen durch die Reibung freige-setzt werden können. In entspre-chenden Experimenten untersuchteer dies näher und zog den Schluss,dass Wärme nichts Materielles sei,sondern als Bewegung kleinster Teil-chen aufgefasst werden müsse.

Auch wenn Rumford nicht überdas Energiekonzept verfügte, so zeig-te sich doch bereits eine starke Veran-kerung des Erhaltungsgedankens.Dieser spielte Mitte des 19. Jahrhun-derts dann eine zentrale Rolle für dieFormulierung des ersten Hauptsatzesder Thermodynamik. Allerdings wardas Konzept der äquivalenten Um-wandelbarkeit noch nicht für Rum-ford selbst anwendbar. Seine Experi-mente wurden etwa 50 Jahre spätervon Joule im Zusammenhang mitdem Etablieren des mechanischenWärmeäquivalents entsprechend aus-gewertet.

LiteraturS.C. Brown (Hg.), The collected Works of CountRumford. Band 1, Belknap, Cambridge 1968.S.C. Brown, Benjamin Thomson, CountRumford. MIT Press, Cambridge 1979.

Internetwww.famousamericans.net/benjaminthompsonrumford

Peter Heering, Uni Oldenburg

PH YS I K G E S T E R N U N D H EU T E|Der Spion, der die Wärme untersuchteDer in Massachusetts geborene Benjamin Thompson, der ab 1792 auchden Titel eines Grafen von Rumford führte, ist eine der schillerndsten Figuren der Physikgeschichte. Berühmt wurde er insbesondere wegenseiner Experimente zur Wärmetheorie.

Abb.1Porträt von Lord Rumford.

> Abb. 2 Nach-bau des Wärme-strahlungsexperi-ments an derUniversitätOldenburg (Foto:Landesmuseumfür Natur undMensch Olden-burg, W. Knust).