Deutschland nach den Bundestagswahlen vom 22. September 2013: Politische Kontinuität und struktureller Wandel

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  • 8/13/2019 Deutschland nach den Bundestagswahlen vom 22. September 2013: Politische Kontinuitt und struktureller Wandel

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    Deutschland nach den Bundestagswahlen

    vom 22. September 2013:

    Politische Kontinuitt und struktureller Wandel______________________________________________________________________

    Prof. Dr. Ulrich Eith

    Dezember 2013

    Comit dtudes des relations franco-allemandes

    NNootteedduuCCeerrffaa110077

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    Das Franzsische Institut fr Internationale Beziehungen (IFRI) ist inFrankreich das wichtigste unabhngige Forschungszentrum, das ber groeinternationale Fragen informiert und diskutiert. Von Thierry de Montbrial imJahr 1979 gegrndet, ist das IFRI als gemeinntziger Verein anerkannt

    (Gesetz des Jahres 1901). Es ordnet sich keiner Amtsvormundschaft unter,legt nach eigenem Ermessen seine Aktivitten fest und publiziert regelmigseine Berichte.

    Durch seine Studien und Debatten, die interdisziplinr angelegt sind, bringtdas IFRI Politiker, Wirtschaftswissenschaftler, Forscher und Experten aufinternationaler Ebene zusammen.

    Mit seinem zweiten Bro in Brssel (IFRI-Bruxelles) positioniert sich das IFRIals eines der wenigen franzsischen think tanks im Kern der europischenDebatte.

    Die Verantwortung fr die im weiteren Textgeuerten Standpunkte trgt der Autor.

    Die Aktivitten des Cerfa (Forschung, Editing und Publikationen) werdenvon dem Referat Frankreich des Auswrtigen Amtes und dem Planungsstab

    des Ministre des Affaires trangres gefrdert.

    Herausgeber: Dr. Yann-Sven Rittelmeyer und Prof. Dr. Hans Stark

    ISBN: 978-2-36567-235-1 Ifri2013Tous droits rservs

    Website:ifri.org

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    Der Autor

    Ulrich Eith ist Professor an der Universitt Freiburg und leitet seit1992 die Arbeitsgruppe Wahlen Freiburg. Er promovierte imFachbereich Politikwissenschaft an der Universitt Freiburg, wo er2002 auch habilitierte. Er ist des Weiteren Direktor des Instituts frpolitische Bildung Baden-Wrttemberg e.V., das StudienhausWiesneck.

    Neben der Wahl- und Parteienforschung arbeitet er ber das

    deutsche Regierungssystem und den politischen Systemvergleichsowie ber das Thema Rechtsextremismus.

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    Zusammenfassung

    Die Bundestagswahl vom 22. September 2013 stellt eine deutlicheZsur im Parteienwettbewerb dar. Sie spiegelt die strukturellenVernderungen fr die Parteien und das politische System inDeutschland wider. Erstmals seit ber 50 Jahren konnten die beidengroen Parteien CDU/CSU und SPD gemeinsam wieder zulegen,whrend die kleineren Parteien Whler verloren haben. Es stellte sichletztlich heraus, dass das vertraute Muster des Lagerwettbewerbs

    (CDU/CSU und FDP gegen SPD und Grne) der aktuellen politischenSituation in Deutschland immer weniger entspricht.

    Die beiden Volksparteien sind zudem mit enormenVernderungen in ihren traditionellen Kernwhlerschaften konfrontiertund ringen mit den daraus resultierenden Konsequenzen fr ihrpolitisch-programmatisches Selbstverstndnis und Profil. In derCDU/CSU sowie in der SPD verringert der Lagerkampf zwischenReformkrften und Traditionalisten den Handlungsspielraum derbeiden Parteien. Union und SPD sollten in diesem Zusammenhangihre dominierende Stellung im Bundestag sowie im Bundesrat nutzen,um in zentralen inhaltlichen Punkten Flagge zu zeigen und grund-legende Strukturreformen anzustoen.

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    Inhaltverzeichnis

    EINLEITUNG ........................................................................................ 4

    DIE AUSGANGSLAGE DER BUNDESTAGSWAHL..................................... 6

    DER WAHLAUSGANGERKLRUNGSFAKTOREN DER PARTEIERGEBNISSE.......................................................................................................... 9

    INNERPARTEILICHE KONFLIKTLINIEN UND NEUPOSITIONIERUNGENPARTEIEN IN DER ORIENTIERUNGSPHASE........................................... 18

    ENTWICKLUNGSPERSPEKTIVEN DES PARTEIENWETTBEWERBS INDEUTSCHLAND................................................................................. 24

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    Einleitung

    Das Ergebnis vom 22. September 2013 ist zunchst ein ber-zeugender Vertrauensbeweis fr die Bundeskanzlerin Angela Merkel.Die von ihr angefhrten Unionsparteien CDU/CSU erreichten mit 41.5Prozent ihr bestes Ergebnis seit 1990. Die SPD hingegen blieb weithinter den eigenen Erwartungen zurck. Trotz geringer Zuwchsegegenber 2009 mussten die Sozialdemokraten mit 25.7 Prozent ihrzweitschlechtestes Ergebnis in der Geschichte der Bundesrepublik

    Deutschland hinnehmen.Darber hinaus markiert diese Bundestagswahl eine deutliche

    Zsur im Parteienwettbewerb. Erstmals seit ber 50 Jahren konntendie beiden groen Parteien CDU/CSU und SPD gemeinsam wiederzulegen. Gleichzeitig mussten alle im Bundestag vertretenenkleineren Parteien Verluste hinnehmen. Die FDP ist sogar unter die5 %-Hrde gerutscht und verliert damit ihre parlamentarischeReprsentanz im Bund. Zudem spiegelt das Ergebnis diestrukturellen Vernderungen des politischen Wettbewerbs wider:Bereits seit lngerem ist erkennbar, dass das vertraute Muster desLagerwettbewerbs Schwarz-Gelb (CDU/CSU und FDP) gegen Rot-Grn (SPD und Grne) der aktuellen politischen Situation inDeutschland immer weniger entspricht. Keines der beiden Lagerkonnte 2013 eine eigene Mehrheit erringen und entsprechendschwierig gestaltete sich die Bildung einer stabilen Regierungs-mehrheit im Parlament.

    Tabelle 1: Ergebnisse und Gewinne / Verluste bei derBundestagswahl 2013 (in Prozent bzw. Prozentpunkten)

    CDU/CSU

    SPD FDP Grne Linke AfD Sonst.

    Zweitstimme 41,5 25,7 4,8 8,4 8,6 4,7 6,3Vernderung

    zu 2009 + 7,7 + 2,7 - 9,8 - 2,3 - 3,3 + 4,7 + 0,3

    Quelle: Forschungsgruppe Wahlen, Bundestagswahl. Eine Analyse der Wahl vom22. September 2013, Mannheim, 2013, S. 7.

    Nachfolgend wird zunchst die Ausgangssituation dervergangenen Bundestagswahl skizziert. Vor diesem Hintergrund lsstsich der Wahlausgang detailliert analysieren und einordnen. Ein

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    besonderes Interesse gilt der zentralen These, dass die Eurokriseund ein insgesamt themenarmer Wahlkampf der Kanzlerin dieChance geboten haben, ihre bereits 2009 erfolgreiche Wahlkampf-strategie der asymmetrischen Demobilisierung erneut anzuwenden.Dem schliet sich die Frage nach den Entwicklungsperspektiven desparteipolitischen Wettbewerbs in Deutschland an. Hierbei istinsbesondere zu diskutieren, ob und inwieweit die in CDU/CSU undSPD zu beobachtenden innerparteilichen Frontstellungen zwischenModernisierern und Traditionalisten die weiteren Handlungs-spielrume der beiden Volksparteien einengen.

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    Die Ausgangslage der Bundestags-wahl

    Die Bundestagswahl 2013 fand vor dem Hintergrund einerambivalenten Stimmungslage in Deutschland statt, die durchauseinem Tanz auf dem Vulkangleicht. Auf der einen Seite ermitteltendie Wahlumfragen der renommierten Meinungsforschungsinstitute im Folgenden die Zahlen des fr die ARD arbeitenden Instituts

    Infratest dimap bereinstimmend eine auerordentlich hoheZufriedenheit der Brgerinnen und Brger mit den wirtschaftlichenRahmendaten. Unmittelbar vor der Wahl schtzten 74 Prozent diewirtschaftliche Situation Deutschlands als gut ein, 78 Prozent sogarihre eigene wirtschaftliche Situation. 73 Prozent sahen sich von derEurokrise bis dato noch nicht betroffen. Die Arbeitslosigkeit inDeutschland ist auf einem sehr niedrigen Niveau, die Brsenkurseerreichen derzeit absolute Hchststnde. Auf der anderen Seitebelegen die Berichte der Wohlfahrtsverbnde jedoch berein-stimmend, dass sich die soziale Schere in Deutschland seit Jahrenimmer weiter ffnet. Ein Arbeitsplatzverlust, eine kostspieligeScheidung, und nicht selten ist der erarbeitete Wohlstand und soziale

    Status in Gefahr. Lngst hat die Angst vor dem sozialen Abstieg auchTeile der gutausgebildeten Mittelschichten erreicht. 13 Prozent derBrgerinnen und Brger sind den Wahlumfragen zufolge derzeit vonAltersarmut betroffen. 41 Prozent rechnen damit, spter einmal davonbetroffen zu sein. Und auch die Eurokrise wird ein zentrales Themableiben. 53 Prozent der Deutschen waren zum Zeitpunkt derBundestagswahl davon berzeugt, dass der schlimmste Teil derEuro-Krise noch bevorsteht und 50 Prozent zeigten sich besorgt umihre Ersparnisse.

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    Tabelle 2: Aussagen zur wirtschaftlichen Situation und zur politischenZufriedenheit (in Prozent)

    Die wirtschaftliche Lage ist

    gut 74

    schlecht 24

    Meine persnliche wirtschaftliche Situation ist

    gut 78

    schlecht 22

    Aussagen zur Euro- und Schuldenkrise

    Ich bin persnlich von der Krise bisher nicht betroffen 73

    Der schlimmste Teil der Krise steht noch bevor 53

    Ich mache mir Sorgen um meine Ersparnisse 50

    Aussagen zur Altersarmut:

    Ich bin selbst von Altersarmut betroffen 13

    Ich rechne damit, spter einmal von Altersarmut betroffen zu 41

    Zufrieden mit der politischen Arbeit von

    Merkel 71

    Seehofer 53

    Gysi 47

    Steinbrck 44

    Ansichten ber Angela Merkel: Vertritt unser Land gut in der Welt

    SPD-Whler 75

    Grne-Whler 69

    Ansichten ber Angela Merkel: Hat in der Eurokrise richtig undentschlossen gehandelt

    SPD-Whler 41

    Grne-Whler 42

    Quelle: Infratest dimap Wahlberichterstattung,.

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    In dieser Situation haben sehr viele Whlerinnen und Whler ihrVertrauen einmal mehr in Angela Merkel gesetzt. Weit ber dieUnionswhlerschaft hinaus gilt die Kanzlerin zusammen mit ihremFinanzminister Wolfgang Schuble als die Garantin fr Stabilitt inder Krise. Durch ihren bedchtigen, moderierenden, fast schonprsidialen Regierungsstil schafft sie es, sich den tagtglichen partei-politischen Auseinandersetzungen weitgehend zu entziehen. Zudemhat sie es in der Euro-Krise zumindest aus Sicht vieler deutscherWhlerinnen und Whler verstanden, ihre unbezweifelbare Bejahungdes europischen Integrationsprozesses und ihren konsequentenEinsatz zur Verteidigung der gemeinsamen Whrung mit einemebenso entschlossenen Eintreten fr deutsche Interessen in Einklangzu bringen. 84 Prozent der Deutschen fhlten sich den Wahlumfragenvon Infratest dimap zufolge von Merkel gut in der Welt vertreten, 71Prozent waren mit ihrer politischen Arbeit zufrieden. ber zweiRegierungsperioden hinweg ist es Angela Merkel inzwischen

    gelungen, fr ihre Amtsfhrung eine konstant hohe Untersttzung zubekommen. Kein Kanzler vor ihr hatte ber so lange Zeitrumehinweg eine vergleichbar hohe Zustimmung.

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    Der Wahlausgang Erklrungs-faktoren der Parteiergebnisse

    Angesichts der geschilderten Ausgangsbedingungen ist es nichtberraschend, dass bei dieser Wahl die Spitzenkandidaten einengreren Einfluss auf den Wahlausgang hatten als beivorangegangenen Bundestagswahlen. In besonderer Weise gilt diesfr die Bundeskanzlerin Angela Merkel. Die Erhebungen der fr das

    ZDF arbeitenden Forschungsgruppe Wahlen Mannheim belegen,dass sich ber das gesamte Jahr 2013 hinweg konstant etwa 60Prozent aller Wahlberechtigten fr Angela Merkel als knftigeBundeskanzlerin ausgesprochen haben. Lediglich etwa 30 Prozentvotierten fr Peer Steinbrck. Blickt man auf die persnlichenEigenschaften der Spitzenkandidaten, so lag Merkel bei Sympathie,Glaubwrdigkeit, Durchsetzungsvermgen und auch greremSachverstand jeweils weit vor Steinbrck. Bei der Bekmpfung derEuro-Krise, der Schaffung von Arbeitspltzen und der Lsungzuknftiger Probleme setzten ebenfalls deutlich mehr Befragte aufAngela Merkel. Lediglich in Fragen der sozialen Gerechtigkeit konnteSteinbrck gegenber Merkel punkten. 80 Prozent der Befragten

    waren in der Vorwahlbefragung der Meinung, Angela Merkel macheihre Sache als Regierungschefin eher gut. Lediglich 19 Prozentglaubten, Steinbrck wrde es besser machen. Selbst die Anhngerder Oppositionsparteien teilten mehrheitlich die positive Bewertungvon Merkel. Bei den SPD-Anhngern waren es 67 Prozent, bei denGrnen 77 Prozent und bei der Linken immerhin 56 Prozent.

    CDU/CSU konnten vom Amtsbonus Merkels profitieren undhaben ihre Wahlkampfstrategie weitgehend auf das hohe Ansehender Bundeskanzlerin ausgerichtet. Whrend in der Anfangsphase desWahlkampfes zunchst die vier Themen stabiler Euro und Wachstum,solide Finanzen, Schutz der Familien sowie Arbeitspltze und

    Zukunftssicherheit plakatiert wurden, stand in den weiteren Phasendes Wahlkampfes vor allem die Bundeskanzlerin zunchst inkonkreten politischen Alltagssituationen, sodann mit der schlichtenBotschaft Kanzlerin fr Deutschland im Mittelpunkt derKampagne.

    Weit weniger stimmig entwickelte sich das Zusammenspielvon Spitzenkandidat und Partei bei der SPD. Holprig geriet bereitsder Start von Peer Steinbrck als sozialdemokratischerSpitzenkandidat am 28. September 2012. Seine zu diesem frhenZeitpunkt eher berraschende Nominierung erfolgte ohne eineerkennbare Kommunikationsstrategie, welche die durchaus

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    mglichen Vorteile dieser Konstellation eine sich wieder auf ihrelinken Stammwhler zubewegende Partei und ein Spitzenkandidatmit Ausstrahlung bis in brgerliche Whlerkreise hinein erfolgreichin den Vordergrund htte rcken knnen. Stattdessen sah sichSteinbrck zunchst mit massiven Forderungen des eigenen linkenParteiflgels konfrontiert, musste ffentlich Solidaritt einfordern undetliche programmatische Zugestndnisse machen. Und als in denMedien tatschliche oder vermeintliche Kommunikationspannenvon Steinbrck zum Thema wurden, vermochten es weder diesozialdemokratische Wahlkampffhrung noch der Spitzenkandidatselbst, dieser subtilen Demontage Entscheidendes entgegen-zusetzen. Hierunter litten nicht nur Steinbrcks Ansehen, seinepersnliche Glaubwrdigkeit und seine politischen Kompetenzen, dieer als Finanzminister unter Angela Merkel zu Zeiten der groenKoalition 2005-2009 erworben hatte. Eine optimistische Aufbruchs-und Siegesstimmung konnte sich unter diesen Bedingungen kaum

    entfalten. Bis zuletzt verharrten Teile der Parteilinken in skeptischerDistanz zu ihrem Spitzenkandidaten. Und hilflos bis unglaubwrdigwirkte schlielich das unverdrossene Werben von Parteifhrung undSpitzenkandidat fr eine rot-grne Mehrheit noch zu einem Zeitpunkt,als die Umfragedaten diese Option schon lngst nicht mehr alsrealisierbar auswiesen. Die innerparteiliche Konfliktlinie in der SPDzwischen wirtschaftspolitischen Modernisierern und Traditionalistenwar deutlich zu erkennen. Weder der Spitzenkandidat noch diesozialdemokratische Wahlkampfleitung vermochten es, die innerenKonflikte in der SPD mittels einer berzeugenden und auf Siegsetzenden Wahlkampfausrichtung zu entschrfen und produktivumzulenken.

    Bezeichnenderweise spielten kontroverse politische Themenbei dieser Wahl eine untergeordnete Rolle letztlich vor allem zumNachteil der Sozialdemokraten. Zwar lagen die sozialpolitischenThemen bei den Brgerinnen und Brgern durchaus an der Spitzeder als drngend angesehenen Probleme. Aber die Frage nachArbeitspltzen und ArbeitslosigkeitNummer eins der Liste zentralerpolitischer Themen war lediglich fr 25 Prozent der Wahl-berechtigten wirklich bedeutsam. An zweiter Stelle folgte der BereichLhne/Preise/Kosten mit 18 Prozent, an dritter Stelle die Euro-Krisemit 16 Prozent. Die geringe politische Brisanz dieser Themen imWahljahr 2013 wird durch den Vergleich zu frheren Bundestags-

    wahlen deutlich. 2005 nannten 85 Prozent der Befragten die Arbeits-losigkeit als das drngendste Problem, 2009 waren es immerhin noch56 Prozent.

    Noch wichtiger als die ffentliche Diskussion politischerThemen und Probleme im Vorfeld einer Wahl sind die den Parteienzugeschriebenen Problemlsungskompetenzen. Diese folgten 2013weitgehend dem Muster der vorangegangenen Wahlen. Bei denThemen Frderung der Wirtschaft (47% CDU/CSU zu 17% SPD),Schaffung von Arbeitspltzen (40% zu 22%), Bewltigung der Euro-Krise (38% zu 20%) sowie Lsung zuknftiger Probleme (39% zu

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    20%) lagen die Christdemokraten nach den Daten der Forschungs-gruppe Wahlen mit groem Abstand vor der SPD. Bei der Steuer-politik (32% zu 27%), der Sicherung der Renten (29% zu 25%) undder Familienpolitik (30% zu 29%) konnten CDU/CSU einen knappenVorsprung behaupten. Den Sozialdemokraten gelang es lediglichbeim Thema soziale Gerechtigkeit (26% zu 35%), die Union hintersich zu lassen. Die Kernkompetenzen der Grnen liegen bei derUmwelt- und Energiepolitik. 35 Prozent der Befragten trauten derUmweltschutz-Partei die besten Lsungsanstze in der Energiepolitikzu. Union und SPD kamen hier auf lediglich 22 bzw. 10 Prozent.

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    Tabelle 3: Parteikompetenzen in unterschiedlichen Politikfeldern(in Prozent)

    Wirtschaftspolitik

    CDU/CSU 47

    SPD 17

    Arbeitsmarktpolitik und Arbeitspltze

    CDU/CSU 40

    SPD 22

    Bewltigung der Eurokrise

    CDU/CSU 38

    SPD 20

    Lsung zuknftiger Probleme

    CDU/CSU 39

    SPD 20

    Grne 3

    Steuerpolitik

    CDU/CSU 32

    SPD 27

    Sicherung der Rente

    CDU/CSU 29

    SPD 25

    Familienpolitik

    CDU/CSU 30

    SPD 29

    Grne 9

    Soziale Gerechtigkeit

    CDU/CSU 26

    SPD 35

    Energiepolitik

    CDU/CSU 22SPD 10Grne 35

    Quelle: Forschungsgruppe Wahlen, Bundestagswahl. Eine Analyse der Wahl vom22. September 2013, Mannheim, 2013, S. 32-34.

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    Angesichts dieser insgesamt geringen Bedeutung politischerThemen und Probleme bleibt festzuhalten, dass die politischenAngriffsbemhungen der SPD 2013 weitgehend ins Leere liefen. Esist ihr nicht gelungen, die fr sie gnstigen Themen sozialer Ungleich-heiten und Benachteiligungen wirkungsvoll im Wahlkampf zuplatzieren. Alarmieren sollte die Sozialdemokraten zudem, dass sieselbst beim Thema soziale Gerechtigkeit, dem fr ihre politischeIdentitt wichtigsten Themenbereich, nur noch Kompetenz-zuschreibungen von deutlich unter 50 Prozent erzielen konnten.Letztlich ist die Strategie der Sozialdemokraten, als Partei ihreTraditionswhler und mit dem Spitzenkandidat Peer SteinbrckWhlergruppen in der Mitte der Gesellschaft ansprechen zu wollen,nicht aufgegangen. Zu uneins war die sozialdemokratischeWahlkampffhrung, zu weit lagen Kandidat und Partei in denpolitischen Kompetenzzuschreibungen hinter den Christdemokratenzurck. Wesentlich erfolgreicher stehen demgegenber CDU/CSU

    da. Gesttzt auf die gute gesamtwirtschaftliche Situation und diegroe Popularitt der Bundeskanzlerin ist es der Union nach 2009einmal mehr gelungen, eine Polarisierung und ideologisierte Aus-einandersetzung im Wahlkampf zu vermeiden. Dahinter steht dasrationale Kalkl, dass die Union den Sozialdemokraten keineGelegenheit bieten wollte, deren innerparteiliche Konflikte durch eineharte Auseinandersetzung mit dem parteipolitischen Gegner ab-zumildern und eventuell zu neutralisieren. Dass diese asymmetrischeDemobilisierung zu Lasten einer hohen Wahlbeteiligung geht, waraus Sicht der Unionsstrategen sogar eher von Vorteil. Whrend sichdie Anhnger von Merkel schon frh in ihrer Wahlentscheidungfestgelegt hatten, gelang der SPD keine ausreichende Mobilisierung.

    Relevante Teile der Sozialdemokratie verharrten aus Frustration berdie eigene Parteispitze in gewisser Distanz und spielten mit demGedanken der Wahlenthaltung. Am Ende lag die Wahlbeteiligungtrotz vielfacher Bemhungen, die politischen Feindbilder des altenLagerwahlkampfes zu reaktivieren, bei lediglich 71.5 Prozent.

    Betrachtet man die sozialstrukturelle Zusammensetzung derParteiwhlerschaften (Tabelle 4), so sind vor allem die groenhnlichkeiten zwischen Union und Sozialdemokratie augenfllig.Insbesondere bei der Altersstruktur und der Schulbildung unter-scheiden sich die Whlerschaften der beiden Parteien kaum. Deutlichandere Bildungsprofile weisen die Whlerschaften von FDP und

    Grnen auf. Beide Parteien haben ihre Kernwhlerschaften in dengehobenen Mittelschichten mit dementsprechend auch berdurch-schnittlichen Bildungsabschlssen. Bei den Grnen sind zudem dieGenerationen der ber 60-jhrigen noch immer stark unter-reprsentiert. Erste kleinere Unterschiede zwischen CDU/CSU undSPD finden sich bei der Geschlechterverteilung und bei den Berufs-gruppen. In der Whlerschaft der Union sind Frauen sowieSelbstndige etwas strker vertreten, bei der SPD hingegen Mnnersowie Arbeiter. Hinsichtlich der Berufsgruppen unterscheiden sichwiederum vor allem die Grnen und die Liberalen erheblich von denbeiden groen Parteien. Bei den Grnen sind Angestellte und

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    Beamte deutlich berreprsentiert, bei der FDP hingegenSelbstndige. Die deutlichsten Unterschiede zwischen Union undSPD finden sich wenig berraschend bei der konfessionellenZusammensetzung und der Gewerkschaftszugehrigkeit, den beidenklassischen Indikatoren der jeweiligen Traditionswhlerschaften. Inder Whlerschaft von CDU/CSU sind Katholiken berreprsentiert,Konfessionslose sowie Gewerkschaftsmitglieder unterreprsentiert,bei der SPD sind Gewerkschaftsmitglieder und Protestanten ber-und Katholiken unterdurchschnittlich vertreten. Somit verfgen beideParteien ber eine Whlerschaft mit groer sozialer Bandbreite undnur migen Abweichungen zum Bevlkerungsdurchschnitt, ab-gesehen jeweils von ihren frheren Traditionsmilieus.

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    Tabelle 4: Soziale Zusammensetzung der Whlergruppen 2013(in Spaltenprozent)

    gesamt CDU/

    CSU

    SPD FDP Grne Linke AfD

    Geschlecht :

    mnnlich 50 47 53 58 43 51 62

    weiblich 50 53 48 42 57 49 38

    Alter :

    18-29 Jahre 15 13 14 17 19 14 34

    30-44 Jahre 24 24 21 24 28 24 32

    45-59 Jahre 31 29 33 30 38 34 24

    ab 60 Jahre 30 35 33 30 16 28 10

    Berufsgruppe :

    Arbeiter 25 23 28 15 13 33 27

    Angestellte 43 43 45 41 50 40 43

    Beamte 7 8 7 8 10 4 7

    Selbstndige 10 11 6 20 11 8 12

    Landwirte 2 3 0 2 1 1 0

    Konfession :

    katholisch 32 41 26 33 27 15 30

    evangelisch 33 32 39 35 35 22 29

    keine 26 19 25 22 29 52 35

    Schulbildung :

    Hauptschulabschluss22 24 26 16 10 18 15

    Mittlere Reife 33 34 32 26 22 37 38

    Hochschulreife 20 19 19 22 28 18 22

    Hochschulabschluss 18 16 16 27 34 19 20

    Quelle: Forschungsgruppe Wahlen, Bundestagswahl. Eine Analyse der Wahl vom22. September 2013, Mannheim, 2013, S. 97, 99, 101, 103.

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    Darber hinaus unterliegen die Wahlergebnisse der beidengroen Parteien bemerkenswerten regionalen Unterschieden. DieHochburgen der SPD liegen im Norden und im Westen, wobeiWahlergebnisse von ber 40 Prozent jedoch nur noch in einzelnenWahlkreisen, vor allem in Nordrhein-Westfalen, zu beobachten sind.Landesweit ber 30 Prozent erzielten die Sozialdemokraten in denStadtstaaten Hamburg, Bremen und Berlin sowie in Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und im Saarland. ImOsten verharrt die SPD auer in Brandenburg und Berlin unter 20Prozent und hinter der Linkspartei lediglich auf Platz drei. Die Christ-demokraten schnitten besonders gut im Osten und im SdenDeutschlands ab. ber 40 Prozent gelangen in Bayern, Baden-Wrttemberg und Rheinland-Pfalz sowie in Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Niedersachsen.

    Als Verlierer der Bundestagswahl 2013 mssen die kleinerenParteien angesehen werden. Insbesondere die Liberalen und die

    Grnen haben bittere Niederlagen hinzunehmen. Schritt um Schritt istdie FDP aus vielen Landtagen und jetzt auch aus dem Bundestagverschwunden. Auf ber 5 Prozent kamen die Liberalen lediglichnoch in sechs westdeutschen Bundeslndern. In Ostdeutschland einschlielich Berlin-Ost sackte die FDP auf 2.7 Prozent ab undliegt dort praktisch gleichauf mit der Piratenpartei und der NPD. Fr83 Prozent der Wahlberechtigten hat die FDP laut Infratest dimap inden letzten Jahren viel versprochen und fast nichts davon umgesetzt.Fr 70 Prozent der Wahlberechtigten kmmerte sich die FDP zu ein-seitig um bestimmte Whlergruppen. Die beabsichtigte Neu-ausrichtung hat nicht geklappt. Ihr Image als wirtschaftsnaheInteressenpartei konnten die Liberalen nicht abstreifen. Ihre Rckkehrin die Parlamente wird ein steiniger Weg werden.

    Die Grnen sind bei dieser Wahl mit bundesweit 8.4 Prozentfast wieder auf den Stand einer westdeutschen Kleinpartei zurck-gefallen. Zweistellige Ergebnisse gelangen nur in Baden-Wrttemberg sowie in den Stadtstaaten Hamburg, Berlin undBremen. In keinem der ostdeutschen Bundeslnder konnten dieGrnen die 5% Prozent-Hrde berspringen. Gemessen an denzwischenzeitlichen Hchstwerten in den Umfragen von bundesweitber 20 Prozent ist das Wahlergebnis ernchternd bis enttuschend.Zudem hatten die Grnen bereits im Wahlkampf die historischeChance auf Schwarz-Grn im Bund eigentlich schon verspielt. Anstatt

    ihre Kompetenzen in Fragen des Umweltschutzes und der Vereinbar-keit von kologie und konomie in die Waagschale zu werfen undden Rckenwind zu nutzen, den ein grner Ministerprsident WinfriedKretschmann aus Baden-Wrttemberg entfachen kann, inszeniertensie sich auf Bundesebene als neue Partei der sozialen Gerechtig-keit. Eigentmliche Diskussionen um Steuererhhungen, die Ein-fhrung eines Vegi-Days und frhere Positionen zur Pdophilietrugen weiter zur Verunsicherung potentieller Whlerinnen undWhler bei. Fr 59 Prozent der Wahlberechtigten haben sich dieGrnen im Wahlkampf von den Interessen ihrer Whler entfernt.

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    Nichtsdestotrotz htten 50 Prozent eine Regierungsbeteiligungbegrt.

    Die Linkspartei musste mit bundesweit 8.6 Prozent deutlicheVerluste hinnehmen. Dennoch ist sie als drittstrkste Partei im neuen

    Bundestag vertreten. Weiterhin Bestand haben die enormenregionalen Unterschiede. Im Westen gilt die Linkspartei eher alsProtestpartei und kam auf lediglich 5.6 Prozent, im Osten verfgt sieals linke Volkspartei ber eine stabile Verankerung und landete mit22.7 Prozent hinter der Union auf Platz zwei. Diesen Doppelcharakterder Linkspartei spiegeln auch die Umfragedaten wider. Fr 83 Pro-zent der Wahlberechtigten lst die Linkspartei zwar keine Probleme,nennt die Dinge aber beim Namen. 72 Prozent halten die politischenVorstellungen der Linkspartei fr unrealistisch und nicht finanzierbar.Demgegenber attestieren ihr 57 Prozent, dass sie sich von allenParteien am strksten fr die sozial Schwachen einsetzt.

    Bemerkenswert ist schlielich der Erfolg der neuen Protest-partei Alternative fr Deutschland. Mit 4.7 Prozent verfehlte sie nurknapp den Einzug in den Bundestag. 56 Prozent der Wahlberechtigt-en halten sie fr keine ernstzunehmende Partei. 37 Prozent sehen sieals Alternative fr diejenigen, die sonst nicht whlen wrden. 21 Pro-zent begren es, dass sich eine Partei gegen den Euro ausspricht.In Westdeutschland inszenierte sich die AfD als national-liberalePartei, die ein Endes der Gemeinschaftswhrung Euro fordert. In Ost-deutschland erzielte sie mit eindeutig rechtspopulistischen Parolen5.8 Prozent. Die Whlerwanderungsbilanzen von Infratest dimapverdeutlichen, dass die AfD in erster Linie die Stimmen von ehe-maligen FDP-Whlern bekommen konnte, in zweiter Linie von der

    Linkspartei und von der Union sowie in dritter Linie aus dem Lagerbisheriger Nichtwhler und von der SPD. Nun hat diese neue Protest-partei bislang noch keine gefestigte Whlerschaft und noch ist nichtentschieden, ob sie sich zuknftig eher national-liberal oder aberrechtspopulistisch prsentieren wird. Dennoch muss ihr Erfolg vorallem die Europapolitiker aller Parteien beunruhigen. Gerade an-gesichts der bevorstehenden Europawahlen mssen die Chancenund auch Probleme der europischen Integration und der gemein-samen Whrung wesentlich offensiver diskutiert werden. Ansonstenwerden Anti-Europa-Populisten auch in Deutschland weiteren Zulauferhalten.

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    Innerparteiliche Konfliktlinien undNeupositionierungen Parteien in

    der Orientierungsphase

    Das deutsche Parteiensystem hat sich in der Vergangenheit durchein hohes Ma an Stabilitt ausgezeichnet. Wesentlich dazubeigetragen haben die hohe Integrationskraft und die institutionelleKonstanz der Parteien. Gemeinsam prgten Union, SPD und Liberaledie ersten drei Jahrzehnte der Bundesrepublik Deutschland. Mit denGrnen wurden dann neue, strker postmaterialistisch ausgerichteteMilieus und gesellschaftliche Gruppen integriert, die sich in den 1970-Jahren vor allem in den Gro- und Universittsstdten herausgebildethatten. Nach der Deutschen Einheit 1990 erffnete die frhere PDSund heutige Linkspartei den Vereinigungskritikern und den Restendes sozialistischen Milieus der DDR die Mglichkeit der politischenInteressenvertretung in der Bundesrepublik Deutschland. WeitereParteien oder Parteineugrndungen konnten sich auf Bundesebenebislang nicht etablieren.

    Besonders die beiden Volksparteien CDU/CSU und SPD

    wirkten erfolgreich als Integrations- und Konsensmaschinen. Zumeinen gilt dies fr den tglichen politischen Kompromiss zwischenden unterschiedlichen sozialen Milieus und Gruppen in der Whler-und der Mitgliedschaft. In der Praxis kommt hierfr ein aus-balanciertes Proporz- und Reprsentationsprinzip in der Partei-fhrung zum Einsatz, das die Einflussmglichkeiten der ver-schiedenen innerparteilichen Gruppierungen und Flgel auf diePolitikformulierung der Gesamtpartei sicherstellen soll. Zum anderenndern sich ber lngere Zeitrume hinweg immer wiedergesellschaftliche und politische Problemstellungen. Die Parteienmssen hierfr neue, praktikable Lsungen prsentieren, ohne dabeiallerdings ihre historischen Wurzeln und ihre traditionellen Whler-gruppen auer Acht lassen zu knnen. Fr den anhaltenden Erfolgvon (Volks-)Parteien ist es geradezu zwingend, dass die von Zeit zuZeit notwendig werdenden programmatisch-ideologischen Runder-neuerungen sowohl den aktuellen Problemlagen als auch den poli-tischen Kernanliegen der eigenen Traditionswhler gerecht werden.

    Aus diesem Blickwinkel betrachtet sind die derzeitigenProbleme und die damit verbundenen Herausforderungen fr Unionund SPD beraus vergleichbar. Beide haben ber die letzten Jahr-zehnte hinweg enorme Vernderungen in ihren traditionellen Kern-whlerschaften hinnehmen mssen und ringen derzeit mit den daraus

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    resultierenden Konsequenzen fr ihr politisch-programmatischesSelbstverstndnis und Profil. Beide sind darber hinaus aktuell mitdem Problem konfrontiert, dass sich relevante Teile der Partei gegeneinen von den Parteifhrungen als notwendig angesehenen Moderni-sierungskurs vehement sperren. Whrend die lngerfristige Ver-nderung der Kernwhlerschaften vor allem auf den gesellschaft-lichen Wandel zurckzufhren ist und somit eher als eine strukturellbedingte Herausforderung bezeichnet werden kann, resultiert diezweite akteursbedingte Herausforderung in beiden Parteien ausdem aktiven Handeln ihrer politischen Eliten.

    Aus struktureller Perspektive machen die ursprnglichenKernwhlerschaften kirchengebundene Katholiken bei der Unionund gewerkschaftlich organisierte Arbeiter bei der Sozialdemokratieinzwischen nur noch einen Bruchteil des jeweiligen Whlerpotentialsaus (Tabellen 5 und 6). Den Erhebungen der ForschungsgruppeWahlen zufolge besuchen von 100 westdeutschen Unionswhlern bei

    der Bundestagswahl 2013 gerade einmal 11 wchentlich die Kirche,weitere 28 immerhin noch ab und zu. Somit weist bereits inWestdeutschland ber die Hlfte der Unionswhler keine nennens-werte Kirchenbindung mehr auf. In den 1970-er Jahren waren knapp40 von 100 Unionswhlern Katholiken mit wchentlichem Kirchgang.Bercksichtigt man zudem die Whlerschaft in Ostdeutschland,vergrert sich die Gruppe der heutigen Unionswhler ohne Kirchen-bindung. Lediglich 30 Prozent der Ostdeutschen gehren einerchristlichen Kirche an, etwa sieben Prozent davon der katholischenKirche. Nichtsdestotrotz erzielt die Union bei westdeutschenKatholiken mit wchentlichem Kirchgang also in ihrer traditionellenKernwhlerschaftnoch immer einen Stimmenanteil von 67 Prozent.

    Tabelle 5: Whlerschaften von CDU/CSU und SPD bei derBundestagswahl 2013 nach Konfessionszugehrigkeit und

    Kirchgangshufigkeit in Westdeutschland (in Spaltenprozent)

    KonfessionHufigkeit der

    Religionsausbung insgesamt CDU/CSU SPD

    katholisch: wchentlich 5 9 2

    protestantisch: wchentlich 2 2 1

    katholisch: ab und zu 12 17 10protestantisch: ab und zu 11 11 12

    katholisch: selten,nie 20 21 18

    protestantisch: selten,nie 23 20 27

    Quelle: Forschungsgruppe Wahlen, Bundestagswahl. Eine Analyse der Wahl vom22. September 2013, Mannheim, 2013, S. 109.

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    Tabelle 6: Whlerschaften von CDU/CSU und SPD bei derBundestagswahl 2013 nach Gewerkschaftsmitgliedschaft und

    Berufsgruppe (in Spaltenprozent)

    insgesamt CDU/CSU SPD

    Gewerkschaftsmitglied 14 11 20

    Arbeiter, Gewerkschaftsmitglied 6 4 9

    Arbeiter, kein Gewerkschaftsmitglied 18 17 19

    Angestellter, Gewerkschaftsmitglied 6 4 8

    Angestellter, kein Gewerkschaftsmitglied 37 38 36

    Quelle: Forschungsgruppe Wahlen, Bundestagswahl. Eine Analyse der Wahl vom22. September 2013, Mannheim, 2013, S. 99.

    Vergleichbar stellt sich die Situation bei der SPD dar. Nur 23von 100 SPD-Whlern knnen 2013 eine Gewerkschafts-mitgliedschaft vorweisen, neun davon sind Arbeiter und achtAngestellte. In den 1970-er Jahren summierten sich allein diegewerkschaftlich organisierten Arbeiter auf etwa ein Viertel dergesamten sozialdemokratischen Whlerschaft. Und auch hier gilt,dass die SPD ihre besten Ergebnisse nach wie vor bei Arbeitern mitGewerkschaftsbindung ihrer traditionellen Kernwhlerschaft erzielt (2013: 39 Prozent).

    Zu diesen lngerfristigen strukturellen Verschiebungenkommen bei der Union und der SPD Vernderungen in derZusammensetzung ihrer Whlergruppen und Mobilisierungs-schwchen, die vor allem auf das ffentliche Erscheinungsbild derjeweiligen Partei und das Handeln der verantwortlichen Partei-fhrungen zurckzufhren sind. An erster Stelle ist die de facto-Spaltung der SPD zu nennen, ausgelst durch den sozialstaatlichenReformkurs unter Bundeskanzler Gerhard Schrder. Die mit demAgenda 2010-Prozess und der Hartz-Gesetzgebung verbundenenBegrenzungen wohlfahrtsstaatlicher Absicherungen und Leistungenbetrafen zentral das politische Selbstverstndnis und die politischeIdentitt der Sozialdemokratie. Umso verwunderlicher war es, dassdie damalige Parteifhrung keine nennenswerten Anstrengungenunternahm, mit den eigenen Anhngern die Notwendigkeit dieserReformmanahmen angemessen zu diskutieren und ihnen glaubhaftzu versichern, dass sich die SPD auch unter vernderten Rahmen-bedingungen weiterhin als Anwltin der kleinen Leute und Ver-fechterin der sozialen Gerechtigkeit sieht. Als Konsequenz dieserBasta-Politik, dieses von oben verordneten Politikwechsels unterSchrder, setzte bei sozialdemokratischen Anhngern vor allem inGewerkschaftskreisen und in den unteren Mittelschichten ein Ent-

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    fremdungsprozess von ihrer Partei ein, der zu massiven Stimmen-verlusten fr die SPD und zeitweiligen Wahlerfolgen der Linksparteiauch in Westdeutschland gefhrt hat. Dass es fr diesen wirtschafts-und sozialpolitischen Kurswechsel gute konomische Grnde gab,kann ganz offenbar langjhrige Parteianhnger, deren Parteiloyalittmageblich auf dem normativen Fundament der sozialstaatlichenSolidaritt beruht, nicht hinreichend berzeugen.

    Noch immer ist dieser Konflikt in der SPD keineswegsbefriedet. Noch immer sind enttuschte Traditionsanhnger nurschwer zurckzugewinnen bzw. zur Stimmabgabe zu mobilisieren.Dies gilt besonders fr eine sozialdemokratische Parteispitze, in derdie mageblichen Persnlichkeiten zu den Untersttzern der sozial-staatlichen Neuausrichtung unter Schrder gehrten. Offenkundigwird dies zum einen mit Blick auf die Wahlergebnisse. Bei derBundestagswahl 2013 lagen die Sozialdemokraten exakt wie bereits2009 in allen Berufsgruppen hinter der Union auch bei den

    Arbeitern. Lediglich bei den Arbeitslosen und bei den Gewerkschafts-mitgliedern konnte die SPD bessere Wahlergebnisse erzielen als dieUnion. Zum anderen hatte dieser Konflikt einen entscheidendenEinfluss auf die bisherigen koalitionsstrategischen Positionierungender SPD. Whrend sich die Modernisierer und somit die Mehrheitder Parteifhrung bis ber die Bundestagswahl 2013 hinaus ent-schieden gegen eine Koalitionsbildung unter Einbeziehung der Links-partei ausgesprochen haben, hatten die Anhnger einer traditionellenwohlfahrtsstaatlichen Ausrichtung hier schon lnger keineBerhrungsngste. Der Leipziger Bundesparteitag der SPD imNovember 2013 hat nun beschlossen, dass zuknftig auch aufBundesebene Koalitionen mit der Linkspartei nicht mehr aus-geschlossen werden. Dennoch ist die SPD wohl noch auf absehbareZeit mit dem Problem konfrontiert, dass sowohl eine Groe Koalitionals auch eine Koalition mit der Linkspartei innerparteilich den Wider-stand des jeweils entgegengesetzten politischen Flgels hervorrufenwird. Der zentrale Wertekonflikt ber die Bedeutung, Funktion undAusgestaltung wohlfahrtsstaatlicher Solidaritt ist noch lngst nichtgelst und berlagerte zudem die Koalitionsverhandlungen mit derCDU/CSU.

    Bei der Union sind die innerparteilichen Verwerfungen nicht imgleichen Mae vorangeschritten. Vieles wird derzeit berdeckt durchdas auerordentlich hohe Ansehen der Bundeskanzlerin weit ber

    den Kreis der eigenen Parteianhnger hinaus und durch die groeffentliche Prsenz der Europa- und Euro-Thematik. Gleichwohl sinddie innerparteilichen Sollbruchstellen deutlich auszumachen. ImZentrum des Konflikts steht der von der Parteivorsitzenden undKanzlerin Angela Merkel initiierte gesellschaftspolitische Moderni-sierungsprozess, der in konservativen und teilweise katholischenParteikreisen groen Widerstand hervorruft. BedrohlichsterKristallisationspunkt dieser Kritik ist die derzeitige vehemente Ab-lehnung der Stabilisierung des Euro von wirtschaftswissenschaft-lichen, politisch national-liberalen Kreisen. Die neu gegrndete Partei

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    AfD hat durchaus Chancen, die Stellung der Union nachhaltig zuschwchen.

    Ausgangspunkt dieser innerparteilichen Spannungen war dieFamilienpolitik und der forcierte Ausbaus der Kleinkinderbetreuung

    von Ursula von der Leyen whrend der Groen Koalition 2005-2009.Aus Sicht ihrer konservativen Kritiker handelte es sich hierbei fastschon um eine Kulturrevolution, zumindest jedoch um einegrundstzliche Infragestellung des Bildes der Familie und derGeschlechterrollen in der Gesellschaft einem zentralen normativenIdentifikationskern christdemokratischer Traditionswhler. Vernehm-bar ist die konservative Kritik bis heute vor allem in kleineren Partei-zirkeln, vorwiegend im lndlichen Raum. ffentlich positionierte sicham deutlichsten die CSU gegen diese Neuausrichtung derFamilienpolitik sie setzte durch, dass zeitgleich mit dem Rechts-anspruch auf einen ffentlich bereitgestellten Betreuungsplatz zum 1.August 2013 auch ein Betreuungsgeld fr diejenigen Familien

    eingefhrt wurde, die diesen Betreuungsplatz nicht in Anspruchnehmen.

    Inzwischen ist die Liste der Themen gesellschaftlicherModernisierung unter der Parteivorsitzenden Angela Merkel deutlichlnger geworden: Ausbau der Kleinkinderbetreuung und Vereinbar-keit von Familie und Beruf fr Frauen, Abschaffung der Wehrpflicht,Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften, Atom-ausstieg und Energiewende, Einfhrung einer Finanztransaktions-steuer all dies sind auch fr die Union lngst keine Tabuthemenmehr, sondern Projekte der christdemokratischen Parteivorsitzendenund Kanzlerin. Das Unverstndnis und der Unmut mancher

    Traditionsanhnger der Union ber diese gesellschaftspolitische Neu-ausrichtung wird zumindest nachvollziehbar, wenn man sich daranerinnert, dass die genannten Punkte vor nunmehr ber dreiig Jahrenallesamt zum Forderungskatalog der 1980 neugegrndeten Grnengehrten. Die Forderungen waren zum damaligen Zeitpunkt allesandere als mehrheitsfhig und dienten der Union zusammen mitden frhen pazifistischen Positionen der Grnenals zentrale Kritik-punkte in der politischen Auseinandersetzung mit der neuenKonkurrenz.

    Der Protest gegen Merkels Modernisierungsprogramm hatsich am strksten an ihrem entschlossenen Pro-EU-Kurs und den

    Manahmen zur Stabilisierung des Euro entzndet. Schon lngerbeklagen viele Wirtschaftsliberale in der Union eine Sozial-demokratisierung innerhalb der eigenen Reihen. Hatte die CDU aufihrem Leipziger Parteitag 2003 noch marktliberale Positionenvertreten, nderte sich die programmatische Ausrichtung nach demverpassten Wahlsieg 2005 grundlegend. Mit groer Skepsiskonstatieren Wirtschaftsliberale einen Paradigmenwechsel in derWirtschafts- und Haushaltspolitik der Union, die Renaissance desregulierenden Staats. Bei der Bundestagswahl 2009 waren es ins-besondere diese im Kern unionsnahen Whlerkreise, die der FDP ihrherausragendes Ergebnis bescherten. Inzwischen ist der Union mit

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    der AfD eine politische Konkurrenz erwachsen, die Entwicklungs-potentiale sowohl als rechtspopulistische Protestpartei gegen dieEuropische Union als auch als konservatives Sammelbecken frfrustrierte Unionswhler besitzt.

    Unter der Oberflche des momentanen Erfolgs durchluft dieUnion einen Modernisierungsprozess, der innerparteilich hnlichwie bei der Sozialdemokratie auf massiven Protest konservativerTraditionswhler stt. Dass die von Merkel eingeleitete gesellschaft-liche Modernisierung eine notwendige Voraussetzung darstellt, umden Anschluss an moderne Mittelschichten zu halten und weiterhinVolkspartei zu bleiben anstatt zum konservativen Traditionsvereinohne ernsthafte Macht- und Regierungsperspektive zu schrumpfen,kann relevante Stammwhlergruppen offensichtlich nicht ausreichendberzeugen. Zugleich knnen die Christdemokraten auf ihreTraditionskompanien nicht verzichten, zumal mit der AfD dieAlternative fr Protestwhler inzwischen bereit steht. Das Beispiel der

    SPD kann lehren, dass gravierende innerparteiliche Auseinander-setzungen nicht allein durch ein Machtwort der Parteispitze befriedetwerden knnen.

    Auf die Linkspartei und die Grnen kommt die keineswegsgering zu schtzende Aufgabe zu, angesichts einer fast ber-mchtigen Groen Koalition die Oppositionsrolle im DeutschenBundestag effektiv ausfllen zu mssen. Die machtpolitisch klugeZusicherung der Regierungsfraktionen, den beiden Oppositions-parteien die vollen parlamentarischen Kontrollrechte einzurumen, isthierbei nur eine erste notwendige Voraussetzung. Fr beide Parteienwird es von zentraler Bedeutung sein, dass ihr Spitzenpersonal die

    politischen Alternativen prgnant formuliert und entsprechendenZugang zu den Medien gewinnt. Dem Augenschein nach ist dieLinkspartei zurzeit besser gerstet, die notwendige Lautsprecher-funktion wahrzunehmen. Fraktionschef Gregor Gysi hat sich fr zweiJahre den alleinigen Fraktionsvorsitz erkmpft und ist in der medialenAuseinandersetzung bestens erprobt. Die doppelte Fraktionsspitzeder Grnen wird mglichst schnell in diese Rolle hineinwachsenmssen. Katrin Gring-Eckardt ist im Wahlkampf gerade nicht alspointiert formulierende Spitzenkandidatin und Gegengewicht zuJrgen Trittin aufgefallen. Und Anton Hofreiter galt in Berlin bislangvor allem als exzellenter Experte der Verkehrspolitik. Fr beideParteien stellt die Groe Koalition eine gute Chance zur eigenen

    Profilierung dar, wenn sie ihre politischen Alternativen auch ffentlich-keitswirksam vertreten knnen.

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    Entwicklungsperspektiven desParteienwettbewerbs in Deutsch-

    land

    Der vielfach als langweilig und ereignislos charakterisierte Wahlkampfhat zu einem Ergebnis gefhrt, das wenig mit einem Weiterso! inden gewohnten Bahnen des politischen Mehrheits- und Lager-denkens Schwarz-Gelb versus Rot-Grn zu tun hat. Diese alte Front-stellung aus den 1980-er und 1990-er Jahren taugt zwar in Teilen derWhlerschaften noch immer zur Mobilisierung von Whlergruppenber gewohnte Feindbilder gegen eine konservative Republikbzw. gegen den linken Klassenkampf , sie bietet aber lngst keineGewhr mehr fr erfolgreiche Mehrheitsbildungen im Parlament.Besonders schmerzlich musste dies die Union in verschiedenenjngeren Landtagswahlenam deutlichsten wohl in Baden-Wrttem-bergerfahren. Obwohl die CDU teilweise mit beachtlichem Abstandstrkste Partei wurde, musste sie mangels ausreichender Koalitions-optionen auf die Oppositionsbnke. Und auch nach der Bundestags-wahl 2013 gab es fr die Union zur Groen Koalition kaum eine

    realistische Alternative, hatten doch die meisten Parteien im Wahl-kampf alle bislang unblichen Koalitionskonstellationen wechselseitigausgeschlossen.

    Parteien, Whlerinnen und Whler werden sich neuorientieren mssen. Der aktuelle Parteienwettbewerb funktioniertimmer weniger nach dem Muster des bipolaren Lagerdenkens. Union,SPD und Grne waren 2013 mit ihren Wahlkmpfen im alten Denkenstrategisch nicht auf der Hhe der Zeit und mussten angesichts desWahlausgangs dann viel Mhe darauf verwenden, bei den eigenenAnhngern die notwendige Akzeptanz fr lagerbergreifendeSondierungsgesprche und Koalitionsverhandlungen zu erreichen.Der Union war schlicht der bisherige Koalitionspartner abhandengekommen. Die Sozialdemokraten wiederum konnten dierechnerische Mehrheit links von CDU/CSU politisch nicht nutzen undverzichten so auf einen eigenen Bundeskanzler. Die Koalitions-konstellationen in Deutschland werden zuknftig vielfltiger werden,nicht zuletzt, da die prinzipiellen Unterschiede zwischen den Parteienderzeit eher gering sind. Der gesellschaftspolitische Modernisierungs-kurs von Merkel erffnet der Union neue, dringend bentigteKoalitionsoptionen. Thematische Brckenschlge zu den Grnenwerden mglich, zumal beide Parteien auch in der Haushaltspolitikkeine grundlegenden Differenzen mehr haben. Und die Sozial-

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    demokraten haben inzwischen die Weichen auch fr eine zuknftigeKoalition mit der Linkspartei gestellt.

    Zunchst aber hat die neue Regierung wegweisende Ent-scheidungen zu treffen. Fr die kommende Legislaturperiode wird es

    nicht reichen, dass die Union den Mindestlohn akzeptiert und dieSPD dafr auf die Erhhung des Spitzensteuersatz verzichtet. Auchdie Autobahn-Maut fr Auslnder und das Betreuungsgeld sindletztlich nachrangige Themen. Eine Groe Koalition macht Sinn undberzeugt, wenn sie drngende Strukturprobleme zielgerichtet angehtund nicht nur Ministerposten verteilt. Pflegeversicherung, der sozialeZusammenhalt bei einer immer grer werdenden sozialen Schere,Einwanderungs- und Integrationspolitik, Bildung, Atomausstieg undEnergiewende, Fderalismusreform und finanzielle Stabilisierung derKommunen sowie nicht zuletzt die effektive Zgelung der Finanz-mrkte und die Eurosicherung samt einer weiteren Demokratisierungder europischen Politik an Themen mangelt es derzeit sicherlich

    nicht.

    Union und SPD sollten als Groe Koalition im eigenenInteresse ihre dominierende Stellung im Bundestag sowie imBundesrat nutzen, um in zentralen inhaltlichen Punkten Flagge zuzeigen und grundlegende Strukturreformen anzustoen. EineEinigung auf niedrigstem Niveau, eine Politik des mglichstunaufflligen Durchwurstelns birgt vor allen Dingen die Gefahr,schwere Konsequenzen mit sich zu ziehen. Aber haben die beidenParteien derzeit berhaupt die notwendige Kraft fr weitreichendepolitische Projekte?

    In beiden Parteien gibt es die geschilderten massiven inner-parteilichen Lagerkmpfe. Reformkrfte und Traditionalisten stehensich teilweise uerst misstrauisch gegenber. Politische Erfolge inzentralen Politikfeldern knnten gerade in dieser Situation konflikt-beruhigend wirken. Genauso denkbar ist aber auch eine gegenseitigeBlockade der Koalitionspartner durch die jeweiligen innerparteilichenKonflikte. Die groe Koalition wrde sich in diesem Fall in einer Politikder kleinsten Schritte erschpfen und sehr schnell an parteiinternemRckhalt und ffentlicher Zustimmung verlieren. Das wre dann nichtnur die Gelegenheit fr das Widererstarken der kleinen Parteien, eswren zudem gute Zeiten fr Populisten jeglicher politischer Couleur.

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    Notes du Cerfa

    Die Reihe Notes du Cerfa erscheint seit 2003 in monatlichemRhythmus und analysiert die politische, wirtschaftliche und sozialeEntwicklung des heutigen Deutschlands: Auen- und Innenpolitik,Wirtschaftspolitik und Gesellschaftsthemen. Die Notes du Cerfabieten kurze wissenschaftliche Analysen mit einer klaren policy-Orientierung. Die Publikation wird in elektronischer Form kostenlos anetwa 2.000 Abonnenten versandt, ebenso wie die Visions franco-

    allemandes, und ist zudem auf der Internetseite des Cerfa verfgbar,von der die Beitrge ebenfalls kostenlos heruntergeladen werden

    knnen.

    Letzte Verffentl ic hungen d es Cerfa

    Yves Pascouau, Gouvernance Schengen : les quilibressubtils entre mthode communautaire et logiqueintergouvernementale, Note du Cerfa , n106, dcembre 2013.

    Henrik Uterwedde, La fin des divergences ? Perspectives despolitiques conomiques franaises et allemandes, Visions franco-allemandes , n 23, octobre 2013.

    Dorothe Schmid, Allemagne, France, Turquie : latriangulation des puissances, Note du Cerfa , n105, septembre2013.

    Stormy-Annika Mildner, Henning Riecke et ClaudiaSchmucker, Vers un renouveau du partenariat transatlantique ? Lesrelations germano-amricaines sous Obama II, Note du Cerfa ,n104, juillet 2013.

    Georg Fahrenschon, Union bancaire : la position des caisses

    dpargne allemandes, Note du Cerfa , n103, juillet 2013.

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    Das Cerfa

    Das Comit dtudes des relations franco-allemandes(Studienkomitee fr deutsch-franzsische Beziehungen, Cerfa) wurde1954 durch ein Regierungsabkommen zwischen der BundesrepublikDeutschland und Frankreich gegrndet. Die Amtsvormundschaft desCerfa kommt seitens Frankreich dem Ifri und seitens Deutschlanddem DGAP zu. Das Cerfa wird parittisch durch das Ministre desAffaires trangres et europennes und das Auswrtigen Amt

    finanziert. Des Weiteren besteht der Verwaltungsrat aus einergleichen Anzahl an deutschen und franzsischen Persnlichkeiten.

    Das Cerfa setzt sich das Ziel, Prinzipien, Bedingungen undLage der deutsch-franzsischen Beziehungen auf politischer,wirtschaftlicher und internationaler Ebene zu analysieren; Fragen undkonkrete Probleme, die diese Beziehungen auf Regierungsebenestellen, zu definieren; Vorschlge und praktische Anregungen zufinden und vorzustellen, um die Beziehungen zwischen den beidenLndern zu vertiefen und zu harmonisieren.

    Dieses Ziel wird durch regelmige Veranstaltungen undSeminare, die hohe Beamte, Experten und Journalisten versammeln

    sowie durch Studien in Bereichen gemeinsamen Interessesverwirklicht.

    Prof. Dr. Hans Stark leitet das Generalsekretariat des Cerfaseit 1991. Dr. Yann-Sven Rittelmeyer arbeitet dort alswissenschaftlicher Mitarbeiter und ist fr die Notes du Cerfa und dieVisions franco-allemandes zustndig. Nele Wissmann istwissenschaftliche Mitarbeiterin und fr das Projekt Deutsch-franzsischer Zukunftsdialog zustndig.