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.SIAK-Journal – Zeitschrift für Polizeiwissenschaft und polizeiliche Praxis Meßner, Daniel (2015): Die Anfänge der Erkennungsdienste. Einführung biometrischer Identifizierungstechniken um 1900 SIAK-Journal − Zeitschrift für Polizeiwissenschaft und polizeiliche Praxis (2), 4-12. doi: 10.7396/2015_2_A Um auf diesen Artikel als Quelle zu verweisen, verwenden Sie bitte folgende Angaben: Meßner, Daniel (2015). Die Anfänge der Erkennungsdienste. Einführung biometrischer Identifizierungstechniken um 1900, SIAK-Journal − Zeitschrift für Polizeiwissenschaft und polizeiliche Praxis (2), 4-12, Online: http://dx.doi.org/10.7396/2015_2_A. © Bundesministerium für Inneres Sicherheitsakademie / Verlag NWV, 2015 Hinweis: Die gedruckte Ausgabe des Artikels ist in der Print-Version des SIAK-Journals im Verlag NWV (http://nwv.at) erschienen. Online publiziert: 9/2015

Die Anfänge der Erkennungsdienste. Einführung ... · zierungstechniken Anthropometrie (Körpervermessung) und Daktyloskopie (Fingerab druckverfahren). Die Techniken veränderten

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Page 1: Die Anfänge der Erkennungsdienste. Einführung ... · zierungstechniken Anthropometrie (Körpervermessung) und Daktyloskopie (Fingerab druckverfahren). Die Techniken veränderten

SIAK-Journal ndash Zeitschrift fuumlr Polizeiwissenschaft und polizeiliche Praxis

Meszligner Daniel (2015)

Die Anfaumlnge der Erkennungsdienste Einfuumlhrung biometrischer Identifizierungstechniken um 1900

SIAK-Journal minus Zeitschrift fuumlr Polizeiwissenschaft und polizeiliche Praxis (2) 4-12

doi 1073962015_2_A

Um auf diesen Artikel als Quelle zu verweisen verwenden Sie bitte folgende Angaben

Meszligner Daniel (2015) Die Anfaumlnge der Erkennungsdienste Einfuumlhrung biometrischer Identifizierungstechniken um 1900 SIAK-Journal minus Zeitschrift fuumlr Polizeiwissenschaft und polizeiliche Praxis (2) 4-12 Online httpdxdoiorg1073962015_2_A

copy Bundesministerium fuumlr Inneres ndash Sicherheitsakademie Verlag NWV 2015

Hinweis Die gedruckte Ausgabe des Artikels ist in der Print-Version des SIAK-Journals im Verlag NWV (httpnwvat) erschienen

Online publiziert 92015

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Die Anfaumlnge der Erkennungsdienste Einfuumlhrung biometrischer Identifizierungstechniken um 1900

Daniel MeSSner Historiker

Erkennungsdienste sind ein zentraler Bestandteil kriminalpolizeilicher Arbeit Ihre Geschichte ist verhaumlltnismaumlszligig jung und beginnt in den europaumlischen Metropolen in der zweiten Haumllfte des 19 Jahrhunderts mit der Einfuumlhrung von biometrischen Identishyfizierungstechniken Sie sind das Ergebnis einer Phase der Professionalisierung und Spezialisierung in der Beamte der Polizeibehoumlrden und der Strafjustiz mit technischen Loumlsungen zur Wiedererkennung von Straftaumlterinnen und Straftaumltern experimentierten In diese Zeit faumlllt die Einfuumlhrung der Polizeifotografie sowie der biometrischen Identifishyzierungstechniken Anthropometrie (Koumlrpervermessung) und Daktyloskopie (Fingerabshydruckverfahren) Die Techniken veraumlnderten die Struktur der Polizeibehoumlrden und ihre Aufgaben Mit den Erkennungsdiensten etablierten sich Abteilungen die sich auf die Wiedererkennung von Personen und das Sammeln und Verbreiten von Fahndungsinforshymationen spezialisierten Noch vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs entstand ein (weltshyweites) Netzwerk an dem sich zahlreiche Sicherheitsbehoumlrden beteiligten Das Identifishyzieren von Personen und die Suche nach Spuren und ihre Zuordnung wurden seither zum auffaumllligsten Merkmal moderner Ermittlungsarbeit Und gerade das Jahrzehnt nach 911 war gepraumlgt vom Ausbau und der Vernetzung staatlicher Sicherheitszentralen auf Bashysis biometrischer Informationen wie zum Beispiel das bdquoSchengen Information System (SIS)ldquo Dieser Beitrag erzaumlhlt die Geschichte des Erkennungsdienstes aus Perspektive der Wiener Polizeidirektion

anfaumlnge Wien war ein Netzwerk an Messstationen Im April 1898 genehmigte das Innenmi- bei weiteren Sicherheitsbehoumlrden geplant nisterium die Einrichtung eines bdquoanthro- Es dauerte aber noch uumlber ein Jahr bis das pometrischen Bureausldquo bei der Wiener Erkennungsamt schlieszliglich seine Arbeit Polizeidirektion Die bdquoProvisorische Amts- aufnahm da zunaumlchst bdquoim Meszligdienst beshyordnung des Erkennungs-Amtes (Bureau wanderte Organe herangebildetldquo wurden fuumlr Anthropometrie und Photographie)ldquo Personell bestand das Erkennungsamt in sah vor dass das Wiener Erkennungsamt der Theobaldgasse im 6 Wiener Gemein-als bdquoCentrale fuumlr den anthropometrisch- debezirk aus uumlber 15 Beamten darunter photographischen Identifizierungsdienst Polizeiagenten Fotografen und einer Beshyim Inlandeldquo dienen sollte Es folgte der amtin zur Vermessung von weiblichen Aufbau einer erkennungsdienstlichen In- Verdaumlchtigten (Gross 1903 121) Leiter frastruktur Neben der bdquoCentralstelleldquo in des ersten Erkennungsdienstes in Oumlstershy

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reich wurde Camillo Windt Vorausgeganshygen waren zahlreiche Diskussionen und Testlaumlufe Die Wiener Polizeidirektion beobachtete bereits seit einiger Zeit die Entwicklungen bei anderen Sicherheitsbeshyhoumlrden zoumlgerte aber zunaumlchst die Anthroshypometrie einzufuumlhren

anthropoMetrie Die Identifizierungstechnik Anthropomeshytrie auch Bertillonage ndash nach ihrem Ershyfinder Alphonse Bertillon ndash genannt gilt als die erste biometrische Identifizierungsshytechnik Bertillon arbeitete in den 1880er Jahren bei der bdquoPreacutefeacutecture de Policeldquo in Pashyris und entwickelte dort ein Verfahren zur Wiedererkennung von Personen das nicht auf alphabetischer deliktspezifischer oder visueller Sortierung erkennungsdienstlicher Informationen beruhte Die Identifizierung erfolgte nach der Messung von Koumlrperteishylen wie Schaumldellaumlnge oder Sitzhoumlhe deren Maszlige auf einer Signalementkarte (siehe Abbildung 1) notiert wurden

Die Signalementkarte enthielt auszligerdem eine standardisierte Form der polizeilichen Personenfotografie (siehe Abbildung 2) wie sie auch heute noch zu finden ist als Frontal- und Profilbild

Die Innovation bei der Anthropometrie bestand nicht darin dass es sich um einen

Quelle Oumlsterreichisches Staatsarchiv Allgemeines Verwaltungsarchiv (AVA) Bestand Justizministerium Karton 3883

Abb 1 Signalementkarten wie sie nach Einfuumlhrung der Anthropometrie zur Identifizierung verwendet wurden

Quelle Bundespolizeidirektion Wien

Abb 2 Fotoalbum Tatbestandsaufnahmen

Versuch handelte Individuen mit Hilfe koumlrperlicher Informationen wiederzushyerkennen bdquoBesondere Merkmaleldquo wie Narben oder Muttermale waren bereits wesentlich laumlnger wichtige Kategorien der Personenbeschreibungen in Polizei- und Fahndungsblaumlttern sowie bei Steckbriefen (Groebner 2004) Neu war das Ordnungsshyschema das Bertillon entwarf Denn er machte die Vermessung zur Grundlage der Identifizierung indem er von zwei Annahmen ausging Jeder Mensch besitzt unveraumlnderbare koumlrperliche Merkmale Und Anhand dieser Merkmale lassen sich Individuen eindeutig voneinander untershyscheiden Er erkannte dass es die Klassifishyzierung koumlrperlicher Merkmale war die die Wiedererkennung vom Zufall befreite Denn selbst wenn Narben oder andere koumlrshyperliche Merkmale von Beamten notiert wurden war eine Identifizierung nur uumlber die Gedaumlchtnisleistung eines Beamten moumlglich Zumindest solange die Aufbeshywahrung der Akten in den Registraturen anhand der Namen der verhafteten Pershyson erfolgte Verweigerte eine verhaftete Person die Aussage oder machte falsche Personalangaben dann lieszligen sich die Reshygister nicht systematisch nach bdquoBesondeshyren Merkmalenldquo durchsuchen Durch die Anthropometrie schien bdquodie Moumlglichkeit geboten auf geradezu mathematischem Wege das Einzel-Individuum jederzeit wieder zu erkennenldquo1 Die beiden wichshytigsten Ordnungsweisen vor Einfuumlhrung

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der Anthropometrie waren die alphabeshytische Sortierung der Akten nach den Fashymiliennamen und die deliktspezifische Ordnung des bdquoVerbrecheralbumsldquo

polizeifotografie Das bdquoVerbrecheralbumldquo war die Lichtbilshydersammlung des bdquoSicherheitsbureausldquo Der Begriff bdquoKriminalpolizeildquo tauchte erst spaumlter auf und etablierte sich nach 1900 In Wien findet sich die Bezeichnung bdquoKrishyminalbeamteldquo erst nach dem Ersten Weltshykrieg waumlhrend zuvor die Begriffe bdquoSishycherheitspolizeildquo und bdquoSicherheitsbureauldquo verwendet wurden 1870 wurde im Zuge der Reorganisation der Wiener Polizei unter dem Polizeipraumlsidenten Anton Le Monnier zur Vorbereitung auf die Wiener Weltausshystellung ein bdquophotographisches Atelierldquo eingerichtet Ausbau und Reform polizeishylicher Strukturen lassen sich in dieser Zeit aber im gesamten deutschsprachigen Raum beobachten Die Fotosammlungen der Poshylizei- und Sicherheitsbehoumlrden wurden bis in die 1920er Jahre als bdquoVerbrecheralbenldquo bezeichnet Die Aufbewahrungslogik der Fotografien entsprach aber gerade nicht der eines Albums Emil Bader schrieb 1905 ein Buch uumlber die bdquoWiener Verbrecherldquo in dem er auch auf das Verbrecheralbum einshyging und insbesondere die alphabetische und deliktspezifische Sortierung der Fotoshygrafien bemerkte bdquoEin groszliger Raum mit bis zur Decke reichenden Regalen Auf der einen Seite die Bilder der bereits bestrafshyten Verbrecher nach dem Alphabet der Namen geordnet die Regale der anderen Seite sind nach den Kategorien des Vershybrechens eingeteilt Die Bilder von Hochshystaplern und Falschspielern Betruumlgern und Maumldchenhaumlndlern Bodeneinbrechern und Telephondrahtdieben sind hier nach ihrer Spezialitaumlt geordnet und in je einem Regal verwahrtldquo (Bader 1905 73)

Die deliktspezifische Ordnung basiershyte auf der Vorstellung von Perseveranz

Damit ist das Festhalten eines Taumlters an einem bestimmten Deliktbereich oder eishyner Vorgehensweise gemeint Die Idee der Perseveranz praumlgte vielfach die Diskusshysionen um Einfuumlhrung und Anwendung von Identifizierungstechniken und fuumlhrte schlieszliglich zur Etablierung von bdquoBerufsshyverbrechernldquo als ein neues Taumlterprofil Bei Emil Bader heiszligt es dazu bdquoJeder berufsshymaumlszligige Verbrecher hat seinen Trick seishyne besondere Kunst in der er sich bis zur houmlchsten Vollkommenheit die er erreichen kann ausbildet Er selbst nennt sein Vershybrechen gar nie anders als seine sbquoArbeitlsquo Wie der Handwerker und der industrielle Spezialist so wechselt auch der Verbreshycher die besondere Art seiner sbquoArbeitlsquo fast niemalsldquo (Bader 1905 6) Die Konzentrashytion der Erkennungsdienste auf Berufsvershybrecher zeigt inwiefern die Konzeption einer Verbrecherwelt von Beginn an Teil der Evidenzen war und nicht einfach ein Ergebnis der erkennungsdienstlichen Einshyrichtungen (Wagner 1996 75)

Gerade die Moumlglichkeiten Bewegungsshyprofile erstellen zu koumlnnen machen Dashytensammlungen fuumlr Sicherheitsbehoumlrden interessant Das trifft nicht nur fuumlr gegenshywaumlrtige Anwendungen zu sondern gilt auch fuumlr die Anfaumlnge des modernen Sishycherheitswesens im 18 Jahrhundert wo alle Individuen eines Gebietes durch polishyzeiliche Registrierung bdquoununterbrochen in Evidenzldquo gehalten werden sollten (Gruber 2013)

eviDenz Die Datensammlungen der Sicherheitsshybureaus fuumlhrten bald zu heftiger Kritik innerhalb der Behoumlrden Denn mit Einfuumlhshyrung von zentralen Fahndungszeitschrifshyten wie dem bdquoCentral-Polizei-Blattldquo und den Lichtbildersammlungen nahm der Informationsaustausch zwischen Ermittshylungsorganen immer mehr zu ohne dass die Beamten uumlber Techniken verfuumlgten

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den erhoumlhten Kommunikationsaufwand zu bewaumlltigen Je wichtiger die Registraturen und der Zugriff auf persoumlnliche Informashytionen wurden desto staumlrker erfolgte ein Ruumlckgriff auf biometrische Daten da die Polizeiexperten nach Verfahren suchten die die Verknuumlpfung der Daten mit vershydaumlchtigen Personen unzweifelhaft garanshytieren sollten

Bei der Sammlung und dem Austausch groszliger personenbezogener Datenbestaumlnde sahen sich die Beamten der Erkennungsshydienste mit Herausforderungen konfronshytiert die sich im Laufe der Zeit scheinbar nicht wesentlich veraumlnderten Zentrale Fragen waren Wie laumlsst sich effektiv auf die gesammelten Informationen zugreishyfen Wie lassen sich die Datenbestaumlnde miteinander verknuumlpfen Und Was laumlsst sich mit der Benutzung der Informatioshynen erreichen und wie laumlsst sich die Quashylitaumlt der Sammlung uumlber einen laumlngeren Zeitraum sicherstellen Camillo Windt spaumlterer Leiter des Wiener Erkennungsshydienstes stellte den Umgang mit Polizeishyfotografien 1897 in seiner bisherigen Form in Frage bdquoIm Verbrecheralbum Wiens befinden sich bei 20000 von Polizeibeshyhoumlrden Strafanstalten hi und da auch von Gerichten angefertigte Bilder Taumlglich laushyfen bei der Wiener Polizeidirektion mehshyrere Zuschriften aus der Provinz und dem Ausland ein mit welchen die Photograshyphie eines angehaltenen Individuums zum Zweck der Identifizierung eingefordert wird Hunderte oft tausende von Bildern muumlssen dann abgesucht werden und es ist geradezu ein Wunder wenn es gluumlckt unshyter den 20000 zumeist schlechten Photoshygraphien die richtige zu findenldquo2 Bereits 1880 kam ein Beamter nach Evaluierung der Verbrecheralben zu dem Schluss dass die Verwendung der Fotografien bdquoermuumlshydendldquo und bdquonutzlosldquo waumlre Mit der Einshyrichtung von Erkennungsdiensten und der Einfuumlhrung der Anthropometrie reagierten

die Polizeibehoumlrden auf die Probleme mit der Informationsverwaltung

Ausloumlser fuumlr die offizielle Einfuumlhrung und Schaffung eines Erkennungsdienstes bei der Wiener Polizeidirektion war eine Polizeikonferenz in Berlin im Dezember 1897 an der Windt als Vertreter des Inshynenministeriums teilnahm und auf der die Einfuumlhrung der Anthropometrie beschlosshysen wurde Das systematische Sammeln und Verarbeiten von Informationen wurde ein immer wichtigeres Element des polizeishylichen Selbstverstaumlndnisses bdquoInformation und Evidenz sind das Um und Auf der Poshylizei in allen ihren Zweigen die erste Voshyraussetzung fuumlr ihre Taumltigkeitldquo schrieb der Kriminalbeamte Anton Walitschek in den 1930er Jahren Die Fahndungsevidenzen der Wiener Polizeidirektion bestand 1920 aus einer groszligen Liste an unterschiedshylichen Sammlungen und enthielt unter anderem folgende Evidenzen Namensshyevidenz Taumlterevidenz Personenevidenz Faktenevidenz Sachenevidenz Vorstrashyfenevidenz Gemeinschaumldlichen-Evidenz Lichtbildersammlung Zettelindex mit beshysonderen Kennzeichen Spitznamenindex Handschriftensammlung dakytyloskopishysche Registratur (Polizeidirektion Wien 1920 189ndash190)

Die Erkennungsdienste spielten eine Schluumlsselrolle bei der Modernisierung der Verbrechensbekaumlmpfung weshalb Identifizierungstechniken die in Fachkreishysen und der allgemeinen Oumlffentlichkeit am haumlufigsten diskutierten Methoden der Kriminalpolizei waren (Jaumlger 2006 381) Die Reform des oumlffentlichen Sicherheitsshywesens im 19 Jahrhundert ging einher mit dem Ausbau der behoumlrdlichen Strategien zur Identifizierung von Individuen

fingerabDruckverfahren Techniken zur Identifizierung von Pershysonen hatten eine besondere Bedeutung Sie stellten sicher dass die erhobenen

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Daten richtig zugeordnet wurden und nicht mehrere Aktensaumltze fuumlr eine Person exisshytierten Das konnte passieren wenn ein Verdaumlchtiger der bereits in einer erkenshynungsdienstlichen Sammlung registriert war mit gefaumllschten Papieren unterwegs war oder bei seiner Einvernahme einen anderen Namen angab Bemerkte dies der ermittelnde Beamte nicht oder wurde der Datensatz unter dem der Verdaumlchtige bereits gespeichert war diesem nicht zushygeordnet wurde ein neuer Registereinshytrag angelegt Der Anspruch von Erkenshynungsdiensten ist es bdquodurch Anwendung technischer Verfahren die Identitaumlt einer Person zweifelsfrei festzustellenldquo und pershysonenbezogene Daten in Evidenz zu halten (Schmid 2001 19)

Bei der Wiener Polizeidirektion laumlsst sich schon zu Beginn des 19 Jahrhunderts die Idee einer bdquoununterbrochenen Evidenzldquo nachweisen Aber wie unterscheiden sich biometrische Techniken von den vorheshyrigen Verfahren Der Begriff bdquoBiometrieldquo wurde zwar vor Einfuumlhrung der Anthroposhymetrie bereits verwendet allerdings nicht im Umfeld von Polizei- und Sicherheitsshywesen sondern als eine Form von bdquoBioshyarithmetikldquo Seine Bedeutung unterschied sich noch deutlich vom gegenwaumlrtigen Gebrauch In einem Woumlrterbuch von 1832 heiszligt es uumlber Biometrie es handle sich um eine bdquoLebens-Meszlig- und Rechnungskunstldquo (Krug 1832 364) Als biometrische Daten werden heute alle koumlrpereigenen Merkshymale oder Verhaltensstrukturen bezeichshynet die weder simuliert werden koumlnnen noch einer Veraumlnderung unterliegen Die Identifizierung von Individuen durch bioshymetrische Merkmale basiert deshalb auf der Annahme dass sie einen Menschen eindeutig und zweifelsfrei kennzeichnen

Das neue Element biometrischer Verfahshyren bestand darin dass die gespeicherten Merkmale zunaumlchst in einem Abstrakshytionsschritt klassifiziert und in Formeln

uumlbersetzt wurden Mit Hilfe dieser Forshymeln wurden die Informationen in die ershykennungsdienstlichen Sammlungen abgeshylegt Die koumlrperlichen Merkmale wurden zu Indizes fuumlr die Registraturen Das heiszligt im Falle der Anthropometrie dass die geshymessenen Koumlrpermaszlige jeweils in die Kashytegorien bdquokleinldquo bdquomittelldquo und bdquogroszligldquo einshygeteilt wurden (siehe Abbildung 1 Seite 5) und die Signalementkarte anschlieszligend in das entsprechende Fach der Registratur einsortiert wurde

Nur wenige Jahre nach Einfuumlhrung der Anthropometrie gaben die Erkennungsshydienste das Vermessen von Personen wieder auf und setzten stattdessen auf die Identifizierung durch Fingerabdruumlcke Die Bertillonage konnte sich zwar nicht durchshysetzen schuf aber institutionell die Grundshylagen fuumlr Erkennungsdienste Immer wieshyder tauchte das Argument auf dass auf Grund der Komplexitaumlt der Anwendung die Qualitaumlt nicht zu garantieren sei denn am Ende entschied die Messgenauigkeit daruumlber ob eine Person identifiziert wer-

Quelle Anhang aus k k Polizeidirektion Wien Erkennungsamt (1911)

Abb 3 Daktyloskopie Anleitung zur Anfertigung von Fingerabdruumlcken fuumlr Identifizierungszwecke

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den konnte oder nicht Die Abnahme von Fingerabdruumlcken ging dagegen schneller als das Vermessen einer Person und beshynoumltigte deutlich weniger Uumlbung als die Vermessungsprozedur Um die daktyloshyskopischen Register durchsuchbar zu mashychen wurden die Muster nach einem Schema in eine Formel uumlbersetzt die Klassifikationsnummer (siehe Abbildung 3 Seite 8) Dazu mussten die Daktyloskopen die Grundmuster ndash Wirbel Schleife oder Bogen ndash notieren und gegebenenfalls die Rillenanzahl an einigen Fingern bestimshymen

Das Verfahren das dem Vergleich von Fingerabdruumlcken zu Grunde liegt wird als bdquopattern recognitionldquo bezeichnet und ist Teil der Interpretationsleistung bei biometrischen Verfahren Das heiszligt eine (computergestuumltzte) Identifizierung durch Fingerabdruumlcke auf dieser Basis beruht auf Wahrscheinlichkeiten die durch die drei Parameter bdquoFalse Acceptance Rateldquo (FAR) bdquoFalse Rejection Rateldquo (FRR) und bdquoEqual Error Rateldquo (EER) charakterisiert werden koumlnnen (Kammerer 2008 203) Fuumlr jede biometrische Technik muumlssen Krishyterien und Grenzwerte festgelegt werden ab wann eine Uumlbereinstimmung zwischen den gespeicherten und zu vergleichenden Koumlrpermerkmalen vorliegt und wie viele Merkmale fuumlr eine Identifizierung uumlbershyeinstimmen muumlssen In Oumlsterreich werden fuumlr ein Gerichtsgutachten mindestens zwoumllf Uumlbereinstimmungen gefordert Das Fehlen einer Forschungspraxis fuumlhrte 2011 zu einer viel beachteten und grundlegenshyden Kritik gegenuumlber den bdquopattern idenshytification disciplinesldquo Diverse Autoren und Autorinnen darunter Simon Cole und Jennifer Mnookin forderten darin eine breitere wissenschaftliche Fundierung fuumlr die bdquonon-DNA forensic sciencesldquo (Cole Mnookin 2011)

Das Fingerabdruckverfahren erfuhr ab 1903 eine enorme Verbreitung bei Erkenshy

nungsdiensten und steigerte die Zahl an ershyfassten Personen im Gegensatz zur Anthroshypometrie ganz erheblich Zwei Tendenzen lassen sich bei der Ausweitung biometrishyscher Identifizierungstechnik beobachten Einerseits die Vision einer allumfassenden Erfassung und andererseits kritische Stimshymen die vor zu groszligen Datensammlungen warnten Die Vision vieler Kriminalisten bestand in der Errichtung eines weltumshyspannenden Netzes an daktyloskopischen Stationen (Roscher 1904 129) Am Ende sollte ein System luumlckenloser Zuordenbarshykeit zwischen Individuen und begangener Straftaten stehen bdquoAlle diese zentralen Einrichtungen muumlssen in engster Fuumlhshylungnahme Hand in Hand miteinander arbeiten [] Wenn in ganz Deutschland die Zentralisierung und Systematisierung des Kriminaldienstes soweit erforderlich durchgefuumlhrt ist dann wird es einem beshyrufsmaumlszligigen reisenden Verbrecher nicht gelingen sich auf laumlngere Dauer dem engshymaschigen Netze der ihn verfolgenden krishyminalpolizeilichen Maszlignahmen entziehen zu koumlnnenldquo (Palitzsch 1927 171) Entgeshygen der Vision allgegenwaumlrtiger Erfassung von Straftaumltern ergaben sich fuumlr die Anwenshydung der biometrischen Register deutliche Grenzen bdquoSo erwuumlnscht jeder Neuzugang ist so ist doch bei keiner Sammlung das Prunken mit Zahlen weniger am Platze als bei der Fingerabdrucksammlungldquo erklaumlrte Friedrich Tenner vom Muumlnchner Erkenshynungsdienst 1918 (Tenner 1918) Viele Daktyloskopen warnten davor die Sammshylungen zu groszlig werden zu lassen Das Proshyblem bestand darin dass die Einteilung der Fingerabdruumlcke auf einer gleichmaumlszligigen Verteilung der Muster beruhte was aber nicht der Fall ist Es gibt Grundmuster die statistisch deutlich haumlufiger auftreten Bis zur Umstellung auf computergestuumltzte Datenbanken (AFIS) in den 1980er Jahshyren verursachte die Ungleichverteilung Schwierigkeiten wie der Kriminalbeamte

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Helmut Prante erklaumlrt bdquoDas herkoumlmmshyliche Klassifizier- und Registrierverfahren beruhte auf falschen Praumlmissen und lieszlig damit Sammlungen entstehen die zunehshymend ihre Selektionsfaumlhigkeit einbuumlszligten ohne allerdings die Qualitaumlt der mit ihnen erzielten Ergebnisse in Frage zu stellenldquo (Prante 1982 70) Die Ungleichverteishylung beim deutschen Bundeskriminalamt war so eklatant dass ein Ablagefach sogar 25 Prozent aller gesammelten Fingerabshydruckformulare enthielt Experten in den 1920er Jahren hielten 300000 Fingerabshydruckblaumltter fuumlr die Belastungsgrenze von daktyloskopischen Registraturen

bioMetrie Von Datenschutz war in den fruumlhen Jahshyren erkennungsdienstlicher Polizeiarbeit noch keine Rede Allerdings diskutierten Kriminalbeamte ob die Speicherung in den biometrischen Registraturen eine Art Kriminalisierung fuumlr die betroffenen Pershysonen darstellen koumlnnte Beispielsweise lehnten Vertreter der Sicherheitsbehoumlrden auf einer Polizeikonferenz in Berlin 1912 die Einfuumlhrung von Fingerabdruumlcken auf Ausweisdokumenten ab weil sie Widershystand befuumlrchteten denn bdquo[d]er Daktyloshyskopierte muumlsse sich wie ein Verbrecher vorkommenldquo3 Ein anderes Bespiel betrifft die Polizeifotografie und anthropometrishysche Erfassung Im Mai 1902 wurden zwei Teilnehmer eines Streiks in Wien verhafshytet Wie die Arbeiterzeitung berichtete bdquoEinige Polizisten haben sich dieser Tage eine unglaubliche Frechheit erlaubt Sie haben zwei bei einer Streikdemonstration wegen Nichtfolgeleistung arretierte Arshybeiter fuumlr das Verbrecheralbum photograshyphiert und sie der beschaumlmenden Prozedur der Koumlrpermessung wie sie bei Verbreshychern angewendet wird unterzogenldquo (Arshybeiterzeitung 1902) Obwohl ein Vertreter der Wiener Polizeidirektion betonte dass in der erkennungsdienstlichen Behandlung

bdquonichts Diffamierendesldquo zu erkennen waumlre und es sich lediglich um eine Prozedur zur Feststellung der Identitaumlt gehandelt haumltte wurden die Informationen der beiden wieshyder geloumlscht

Biometrische Techniken werden zunehshymend auszligerhalb kriminalpolizeilicher Kontexte verwendet und dienen der Verishyfizierung und Authentifizierung von Pershysonen Das kriminalisierende Stigma das die Erfassung durch biometrische Verfahren im 20 Jahrhundert kennzeichshynete haben die Techniken inzwischen verloren weshalb es kein Problem mehr darstellt Fingerabdrucksensoren in Moshybiltelefonen zu verbauen Gegenwaumlrtig sind biometrische Techniken zu einem groszligen Wirtschaftsfaktor innerhalb der Sishycherheitsbranche geworden die vor allem als zeitsparende und praktikable Anwenshydungen verkauft werden und die gleichzeishytig ein Sicherheitsversprechen beinhalten Ausgeblendet wird jedoch dass die groszlige Uumlberzeugungskraft dieser Verfahren nicht zuletzt ihrem kriminalpolizeilichen Entsteshyhungshintergrund geschuldet ist ndash dessen Wurzeln Ende des 19 Jahrhunderts liegen

Gerade das Jahrzehnt nach 911 war geshypraumlgt vom Ausbau und der Vernetzung staatshylicher Sicherheitszentralen Innerhalb der EU zaumlhlen beispielsweise das EURODAC-Programm bei dem die Fingerabdruumlcke aller Asylwerberinnen und Asylwerber uumlber 14 Jahre in einer zentralen Datenbank gespeichert werden und das bdquoSchengen Information Systemldquo (SIS) ndash eine Datenshybank zur Personen- und Sachenfahndung ndash zu wichtigen Informationszentralen Im Pruumlmer Vertrag von 2005 wurde der Datenbankzugriff von Polizei- und Strafshyverfolgungsbehoumlrden bei entsprechenden Behoumlrden anderer Vertragsstaaten geregelt (PrainsackToom 2010)

Seit Erfindung von Biometrie als staatshylicher Kontrolltechnik Ende des 19 Jahrshyhunderts laumlsst sich eine enge Verbindung

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zwischen Mobilitaumlt Migration und Krishyminalitaumlt zeigen Katja Aas bezeichnet die Uumlberlappung der beiden Bereiche bdquocrime controlldquo und bdquomigration controlldquo als bdquoCrimmigrationldquo (Aas 2011 334ndash335)

fazit Die Frage nach technischen Hilfsmitteln zur Verfolgung von (potentiellen) Strafshytaumlterinnen und Straftaumltern ist nicht neu sondern befindet sich schon seit ihrer Entshystehung im Gefolge der Verbrechensbeshykaumlmpfung Was sich geaumlndert hat sind die Dimensionen der Datenanalyse sowohl was die Menge der Informationssammshylungen betrifft als auch die Moumlglichkeiten ihrer Auswertung

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Die Geschichte der Identifizierungsshytechniken Ende des 19 Jahrhunderts ist eng verbunden mit der Entstehung einer Kriminalpolizei die zunaumlchst noch als Sishycherheitsbureau bezeichnet wurde Durch die Implementierung biometrischer Identishyfizierungstechniken gelang es in den Jahshyren von 1870 bis 1914 Erkennungsdienste als zentrale polizeiliche Daten- und Inshyformationssammelstellen zu etablieren In weiterer Folge schufen die Sicherheitsbeshyhoumlrden uumlberregionale kriminalpolizeiliche Strukturen die der Logik zentraler Inforshymationssammlung und dem Austausch biometrischer Datenblaumltter geschuldet washyren Diese Struktur entspricht heute dem Landes- bzw Bundeskriminalamt

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1 Schreiben der Polizeidirektion Wien

Z 1253 vom 23 April 1900 Betreff Beshy

zug auf den Erlass des Innenministerishy

ums vom 23 Februar 1900 Z 44305 ex

1899 in Oumlsterreichisches Staatsarchiv

Allgemeines Verwaltungsarchiv (AVA)

Bestand Justizministerium Karton 3883 2 Bericht Camillo Windts von der Poshy

lizeikonferenz 1897 in Berlin Akt des

Justizministeriums Z 8402 vom 3 April

1898 in Oumlsterreichisches Staatsarchiv

Allgemeines Verwaltungsarchiv (AVA)

Bestand Justizministerium Karton 3883 3 Paul Koettig Referat 1 Einheitliche

Regelung des polizeilichen Erkennungsshy

dienstes hinsichtlich der Anthropomeshy

trie und Daktyloskopie Polizeikonferenz

1912 in Bayerisches Hauptstaatsarchiv

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Vec Miloš (2002) Die Spur des Taumlters Meshy

thoden der Identifikation in der Kriminalistik

(1879ndash1933) Baden-Baden

Forschungsprojekt zur Geschichte von Identishy

fizierungstechniken an der Universitaumlt Wien

bdquoVerdaten Klassifizieren Archivieren Identifishy

zierungstechniken zwischen Praxis und Visionldquo

Online httpidentifizierungorg

The Fingerprint Inquiry Online httpwww

thefingerprintinquiryscotlandorguk

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Die Anfaumlnge der Erkennungsdienste Einfuumlhrung biometrischer Identifizierungstechniken um 1900

Daniel MeSSner Historiker

Erkennungsdienste sind ein zentraler Bestandteil kriminalpolizeilicher Arbeit Ihre Geschichte ist verhaumlltnismaumlszligig jung und beginnt in den europaumlischen Metropolen in der zweiten Haumllfte des 19 Jahrhunderts mit der Einfuumlhrung von biometrischen Identishyfizierungstechniken Sie sind das Ergebnis einer Phase der Professionalisierung und Spezialisierung in der Beamte der Polizeibehoumlrden und der Strafjustiz mit technischen Loumlsungen zur Wiedererkennung von Straftaumlterinnen und Straftaumltern experimentierten In diese Zeit faumlllt die Einfuumlhrung der Polizeifotografie sowie der biometrischen Identifishyzierungstechniken Anthropometrie (Koumlrpervermessung) und Daktyloskopie (Fingerabshydruckverfahren) Die Techniken veraumlnderten die Struktur der Polizeibehoumlrden und ihre Aufgaben Mit den Erkennungsdiensten etablierten sich Abteilungen die sich auf die Wiedererkennung von Personen und das Sammeln und Verbreiten von Fahndungsinforshymationen spezialisierten Noch vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs entstand ein (weltshyweites) Netzwerk an dem sich zahlreiche Sicherheitsbehoumlrden beteiligten Das Identifishyzieren von Personen und die Suche nach Spuren und ihre Zuordnung wurden seither zum auffaumllligsten Merkmal moderner Ermittlungsarbeit Und gerade das Jahrzehnt nach 911 war gepraumlgt vom Ausbau und der Vernetzung staatlicher Sicherheitszentralen auf Bashysis biometrischer Informationen wie zum Beispiel das bdquoSchengen Information System (SIS)ldquo Dieser Beitrag erzaumlhlt die Geschichte des Erkennungsdienstes aus Perspektive der Wiener Polizeidirektion

anfaumlnge Wien war ein Netzwerk an Messstationen Im April 1898 genehmigte das Innenmi- bei weiteren Sicherheitsbehoumlrden geplant nisterium die Einrichtung eines bdquoanthro- Es dauerte aber noch uumlber ein Jahr bis das pometrischen Bureausldquo bei der Wiener Erkennungsamt schlieszliglich seine Arbeit Polizeidirektion Die bdquoProvisorische Amts- aufnahm da zunaumlchst bdquoim Meszligdienst beshyordnung des Erkennungs-Amtes (Bureau wanderte Organe herangebildetldquo wurden fuumlr Anthropometrie und Photographie)ldquo Personell bestand das Erkennungsamt in sah vor dass das Wiener Erkennungsamt der Theobaldgasse im 6 Wiener Gemein-als bdquoCentrale fuumlr den anthropometrisch- debezirk aus uumlber 15 Beamten darunter photographischen Identifizierungsdienst Polizeiagenten Fotografen und einer Beshyim Inlandeldquo dienen sollte Es folgte der amtin zur Vermessung von weiblichen Aufbau einer erkennungsdienstlichen In- Verdaumlchtigten (Gross 1903 121) Leiter frastruktur Neben der bdquoCentralstelleldquo in des ersten Erkennungsdienstes in Oumlstershy

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reich wurde Camillo Windt Vorausgeganshygen waren zahlreiche Diskussionen und Testlaumlufe Die Wiener Polizeidirektion beobachtete bereits seit einiger Zeit die Entwicklungen bei anderen Sicherheitsbeshyhoumlrden zoumlgerte aber zunaumlchst die Anthroshypometrie einzufuumlhren

anthropoMetrie Die Identifizierungstechnik Anthropomeshytrie auch Bertillonage ndash nach ihrem Ershyfinder Alphonse Bertillon ndash genannt gilt als die erste biometrische Identifizierungsshytechnik Bertillon arbeitete in den 1880er Jahren bei der bdquoPreacutefeacutecture de Policeldquo in Pashyris und entwickelte dort ein Verfahren zur Wiedererkennung von Personen das nicht auf alphabetischer deliktspezifischer oder visueller Sortierung erkennungsdienstlicher Informationen beruhte Die Identifizierung erfolgte nach der Messung von Koumlrperteishylen wie Schaumldellaumlnge oder Sitzhoumlhe deren Maszlige auf einer Signalementkarte (siehe Abbildung 1) notiert wurden

Die Signalementkarte enthielt auszligerdem eine standardisierte Form der polizeilichen Personenfotografie (siehe Abbildung 2) wie sie auch heute noch zu finden ist als Frontal- und Profilbild

Die Innovation bei der Anthropometrie bestand nicht darin dass es sich um einen

Quelle Oumlsterreichisches Staatsarchiv Allgemeines Verwaltungsarchiv (AVA) Bestand Justizministerium Karton 3883

Abb 1 Signalementkarten wie sie nach Einfuumlhrung der Anthropometrie zur Identifizierung verwendet wurden

Quelle Bundespolizeidirektion Wien

Abb 2 Fotoalbum Tatbestandsaufnahmen

Versuch handelte Individuen mit Hilfe koumlrperlicher Informationen wiederzushyerkennen bdquoBesondere Merkmaleldquo wie Narben oder Muttermale waren bereits wesentlich laumlnger wichtige Kategorien der Personenbeschreibungen in Polizei- und Fahndungsblaumlttern sowie bei Steckbriefen (Groebner 2004) Neu war das Ordnungsshyschema das Bertillon entwarf Denn er machte die Vermessung zur Grundlage der Identifizierung indem er von zwei Annahmen ausging Jeder Mensch besitzt unveraumlnderbare koumlrperliche Merkmale Und Anhand dieser Merkmale lassen sich Individuen eindeutig voneinander untershyscheiden Er erkannte dass es die Klassifishyzierung koumlrperlicher Merkmale war die die Wiedererkennung vom Zufall befreite Denn selbst wenn Narben oder andere koumlrshyperliche Merkmale von Beamten notiert wurden war eine Identifizierung nur uumlber die Gedaumlchtnisleistung eines Beamten moumlglich Zumindest solange die Aufbeshywahrung der Akten in den Registraturen anhand der Namen der verhafteten Pershyson erfolgte Verweigerte eine verhaftete Person die Aussage oder machte falsche Personalangaben dann lieszligen sich die Reshygister nicht systematisch nach bdquoBesondeshyren Merkmalenldquo durchsuchen Durch die Anthropometrie schien bdquodie Moumlglichkeit geboten auf geradezu mathematischem Wege das Einzel-Individuum jederzeit wieder zu erkennenldquo1 Die beiden wichshytigsten Ordnungsweisen vor Einfuumlhrung

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der Anthropometrie waren die alphabeshytische Sortierung der Akten nach den Fashymiliennamen und die deliktspezifische Ordnung des bdquoVerbrecheralbumsldquo

polizeifotografie Das bdquoVerbrecheralbumldquo war die Lichtbilshydersammlung des bdquoSicherheitsbureausldquo Der Begriff bdquoKriminalpolizeildquo tauchte erst spaumlter auf und etablierte sich nach 1900 In Wien findet sich die Bezeichnung bdquoKrishyminalbeamteldquo erst nach dem Ersten Weltshykrieg waumlhrend zuvor die Begriffe bdquoSishycherheitspolizeildquo und bdquoSicherheitsbureauldquo verwendet wurden 1870 wurde im Zuge der Reorganisation der Wiener Polizei unter dem Polizeipraumlsidenten Anton Le Monnier zur Vorbereitung auf die Wiener Weltausshystellung ein bdquophotographisches Atelierldquo eingerichtet Ausbau und Reform polizeishylicher Strukturen lassen sich in dieser Zeit aber im gesamten deutschsprachigen Raum beobachten Die Fotosammlungen der Poshylizei- und Sicherheitsbehoumlrden wurden bis in die 1920er Jahre als bdquoVerbrecheralbenldquo bezeichnet Die Aufbewahrungslogik der Fotografien entsprach aber gerade nicht der eines Albums Emil Bader schrieb 1905 ein Buch uumlber die bdquoWiener Verbrecherldquo in dem er auch auf das Verbrecheralbum einshyging und insbesondere die alphabetische und deliktspezifische Sortierung der Fotoshygrafien bemerkte bdquoEin groszliger Raum mit bis zur Decke reichenden Regalen Auf der einen Seite die Bilder der bereits bestrafshyten Verbrecher nach dem Alphabet der Namen geordnet die Regale der anderen Seite sind nach den Kategorien des Vershybrechens eingeteilt Die Bilder von Hochshystaplern und Falschspielern Betruumlgern und Maumldchenhaumlndlern Bodeneinbrechern und Telephondrahtdieben sind hier nach ihrer Spezialitaumlt geordnet und in je einem Regal verwahrtldquo (Bader 1905 73)

Die deliktspezifische Ordnung basiershyte auf der Vorstellung von Perseveranz

Damit ist das Festhalten eines Taumlters an einem bestimmten Deliktbereich oder eishyner Vorgehensweise gemeint Die Idee der Perseveranz praumlgte vielfach die Diskusshysionen um Einfuumlhrung und Anwendung von Identifizierungstechniken und fuumlhrte schlieszliglich zur Etablierung von bdquoBerufsshyverbrechernldquo als ein neues Taumlterprofil Bei Emil Bader heiszligt es dazu bdquoJeder berufsshymaumlszligige Verbrecher hat seinen Trick seishyne besondere Kunst in der er sich bis zur houmlchsten Vollkommenheit die er erreichen kann ausbildet Er selbst nennt sein Vershybrechen gar nie anders als seine sbquoArbeitlsquo Wie der Handwerker und der industrielle Spezialist so wechselt auch der Verbreshycher die besondere Art seiner sbquoArbeitlsquo fast niemalsldquo (Bader 1905 6) Die Konzentrashytion der Erkennungsdienste auf Berufsvershybrecher zeigt inwiefern die Konzeption einer Verbrecherwelt von Beginn an Teil der Evidenzen war und nicht einfach ein Ergebnis der erkennungsdienstlichen Einshyrichtungen (Wagner 1996 75)

Gerade die Moumlglichkeiten Bewegungsshyprofile erstellen zu koumlnnen machen Dashytensammlungen fuumlr Sicherheitsbehoumlrden interessant Das trifft nicht nur fuumlr gegenshywaumlrtige Anwendungen zu sondern gilt auch fuumlr die Anfaumlnge des modernen Sishycherheitswesens im 18 Jahrhundert wo alle Individuen eines Gebietes durch polishyzeiliche Registrierung bdquoununterbrochen in Evidenzldquo gehalten werden sollten (Gruber 2013)

eviDenz Die Datensammlungen der Sicherheitsshybureaus fuumlhrten bald zu heftiger Kritik innerhalb der Behoumlrden Denn mit Einfuumlhshyrung von zentralen Fahndungszeitschrifshyten wie dem bdquoCentral-Polizei-Blattldquo und den Lichtbildersammlungen nahm der Informationsaustausch zwischen Ermittshylungsorganen immer mehr zu ohne dass die Beamten uumlber Techniken verfuumlgten

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den erhoumlhten Kommunikationsaufwand zu bewaumlltigen Je wichtiger die Registraturen und der Zugriff auf persoumlnliche Informashytionen wurden desto staumlrker erfolgte ein Ruumlckgriff auf biometrische Daten da die Polizeiexperten nach Verfahren suchten die die Verknuumlpfung der Daten mit vershydaumlchtigen Personen unzweifelhaft garanshytieren sollten

Bei der Sammlung und dem Austausch groszliger personenbezogener Datenbestaumlnde sahen sich die Beamten der Erkennungsshydienste mit Herausforderungen konfronshytiert die sich im Laufe der Zeit scheinbar nicht wesentlich veraumlnderten Zentrale Fragen waren Wie laumlsst sich effektiv auf die gesammelten Informationen zugreishyfen Wie lassen sich die Datenbestaumlnde miteinander verknuumlpfen Und Was laumlsst sich mit der Benutzung der Informatioshynen erreichen und wie laumlsst sich die Quashylitaumlt der Sammlung uumlber einen laumlngeren Zeitraum sicherstellen Camillo Windt spaumlterer Leiter des Wiener Erkennungsshydienstes stellte den Umgang mit Polizeishyfotografien 1897 in seiner bisherigen Form in Frage bdquoIm Verbrecheralbum Wiens befinden sich bei 20000 von Polizeibeshyhoumlrden Strafanstalten hi und da auch von Gerichten angefertigte Bilder Taumlglich laushyfen bei der Wiener Polizeidirektion mehshyrere Zuschriften aus der Provinz und dem Ausland ein mit welchen die Photograshyphie eines angehaltenen Individuums zum Zweck der Identifizierung eingefordert wird Hunderte oft tausende von Bildern muumlssen dann abgesucht werden und es ist geradezu ein Wunder wenn es gluumlckt unshyter den 20000 zumeist schlechten Photoshygraphien die richtige zu findenldquo2 Bereits 1880 kam ein Beamter nach Evaluierung der Verbrecheralben zu dem Schluss dass die Verwendung der Fotografien bdquoermuumlshydendldquo und bdquonutzlosldquo waumlre Mit der Einshyrichtung von Erkennungsdiensten und der Einfuumlhrung der Anthropometrie reagierten

die Polizeibehoumlrden auf die Probleme mit der Informationsverwaltung

Ausloumlser fuumlr die offizielle Einfuumlhrung und Schaffung eines Erkennungsdienstes bei der Wiener Polizeidirektion war eine Polizeikonferenz in Berlin im Dezember 1897 an der Windt als Vertreter des Inshynenministeriums teilnahm und auf der die Einfuumlhrung der Anthropometrie beschlosshysen wurde Das systematische Sammeln und Verarbeiten von Informationen wurde ein immer wichtigeres Element des polizeishylichen Selbstverstaumlndnisses bdquoInformation und Evidenz sind das Um und Auf der Poshylizei in allen ihren Zweigen die erste Voshyraussetzung fuumlr ihre Taumltigkeitldquo schrieb der Kriminalbeamte Anton Walitschek in den 1930er Jahren Die Fahndungsevidenzen der Wiener Polizeidirektion bestand 1920 aus einer groszligen Liste an unterschiedshylichen Sammlungen und enthielt unter anderem folgende Evidenzen Namensshyevidenz Taumlterevidenz Personenevidenz Faktenevidenz Sachenevidenz Vorstrashyfenevidenz Gemeinschaumldlichen-Evidenz Lichtbildersammlung Zettelindex mit beshysonderen Kennzeichen Spitznamenindex Handschriftensammlung dakytyloskopishysche Registratur (Polizeidirektion Wien 1920 189ndash190)

Die Erkennungsdienste spielten eine Schluumlsselrolle bei der Modernisierung der Verbrechensbekaumlmpfung weshalb Identifizierungstechniken die in Fachkreishysen und der allgemeinen Oumlffentlichkeit am haumlufigsten diskutierten Methoden der Kriminalpolizei waren (Jaumlger 2006 381) Die Reform des oumlffentlichen Sicherheitsshywesens im 19 Jahrhundert ging einher mit dem Ausbau der behoumlrdlichen Strategien zur Identifizierung von Individuen

fingerabDruckverfahren Techniken zur Identifizierung von Pershysonen hatten eine besondere Bedeutung Sie stellten sicher dass die erhobenen

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Daten richtig zugeordnet wurden und nicht mehrere Aktensaumltze fuumlr eine Person exisshytierten Das konnte passieren wenn ein Verdaumlchtiger der bereits in einer erkenshynungsdienstlichen Sammlung registriert war mit gefaumllschten Papieren unterwegs war oder bei seiner Einvernahme einen anderen Namen angab Bemerkte dies der ermittelnde Beamte nicht oder wurde der Datensatz unter dem der Verdaumlchtige bereits gespeichert war diesem nicht zushygeordnet wurde ein neuer Registereinshytrag angelegt Der Anspruch von Erkenshynungsdiensten ist es bdquodurch Anwendung technischer Verfahren die Identitaumlt einer Person zweifelsfrei festzustellenldquo und pershysonenbezogene Daten in Evidenz zu halten (Schmid 2001 19)

Bei der Wiener Polizeidirektion laumlsst sich schon zu Beginn des 19 Jahrhunderts die Idee einer bdquoununterbrochenen Evidenzldquo nachweisen Aber wie unterscheiden sich biometrische Techniken von den vorheshyrigen Verfahren Der Begriff bdquoBiometrieldquo wurde zwar vor Einfuumlhrung der Anthroposhymetrie bereits verwendet allerdings nicht im Umfeld von Polizei- und Sicherheitsshywesen sondern als eine Form von bdquoBioshyarithmetikldquo Seine Bedeutung unterschied sich noch deutlich vom gegenwaumlrtigen Gebrauch In einem Woumlrterbuch von 1832 heiszligt es uumlber Biometrie es handle sich um eine bdquoLebens-Meszlig- und Rechnungskunstldquo (Krug 1832 364) Als biometrische Daten werden heute alle koumlrpereigenen Merkshymale oder Verhaltensstrukturen bezeichshynet die weder simuliert werden koumlnnen noch einer Veraumlnderung unterliegen Die Identifizierung von Individuen durch bioshymetrische Merkmale basiert deshalb auf der Annahme dass sie einen Menschen eindeutig und zweifelsfrei kennzeichnen

Das neue Element biometrischer Verfahshyren bestand darin dass die gespeicherten Merkmale zunaumlchst in einem Abstrakshytionsschritt klassifiziert und in Formeln

uumlbersetzt wurden Mit Hilfe dieser Forshymeln wurden die Informationen in die ershykennungsdienstlichen Sammlungen abgeshylegt Die koumlrperlichen Merkmale wurden zu Indizes fuumlr die Registraturen Das heiszligt im Falle der Anthropometrie dass die geshymessenen Koumlrpermaszlige jeweils in die Kashytegorien bdquokleinldquo bdquomittelldquo und bdquogroszligldquo einshygeteilt wurden (siehe Abbildung 1 Seite 5) und die Signalementkarte anschlieszligend in das entsprechende Fach der Registratur einsortiert wurde

Nur wenige Jahre nach Einfuumlhrung der Anthropometrie gaben die Erkennungsshydienste das Vermessen von Personen wieder auf und setzten stattdessen auf die Identifizierung durch Fingerabdruumlcke Die Bertillonage konnte sich zwar nicht durchshysetzen schuf aber institutionell die Grundshylagen fuumlr Erkennungsdienste Immer wieshyder tauchte das Argument auf dass auf Grund der Komplexitaumlt der Anwendung die Qualitaumlt nicht zu garantieren sei denn am Ende entschied die Messgenauigkeit daruumlber ob eine Person identifiziert wer-

Quelle Anhang aus k k Polizeidirektion Wien Erkennungsamt (1911)

Abb 3 Daktyloskopie Anleitung zur Anfertigung von Fingerabdruumlcken fuumlr Identifizierungszwecke

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den konnte oder nicht Die Abnahme von Fingerabdruumlcken ging dagegen schneller als das Vermessen einer Person und beshynoumltigte deutlich weniger Uumlbung als die Vermessungsprozedur Um die daktyloshyskopischen Register durchsuchbar zu mashychen wurden die Muster nach einem Schema in eine Formel uumlbersetzt die Klassifikationsnummer (siehe Abbildung 3 Seite 8) Dazu mussten die Daktyloskopen die Grundmuster ndash Wirbel Schleife oder Bogen ndash notieren und gegebenenfalls die Rillenanzahl an einigen Fingern bestimshymen

Das Verfahren das dem Vergleich von Fingerabdruumlcken zu Grunde liegt wird als bdquopattern recognitionldquo bezeichnet und ist Teil der Interpretationsleistung bei biometrischen Verfahren Das heiszligt eine (computergestuumltzte) Identifizierung durch Fingerabdruumlcke auf dieser Basis beruht auf Wahrscheinlichkeiten die durch die drei Parameter bdquoFalse Acceptance Rateldquo (FAR) bdquoFalse Rejection Rateldquo (FRR) und bdquoEqual Error Rateldquo (EER) charakterisiert werden koumlnnen (Kammerer 2008 203) Fuumlr jede biometrische Technik muumlssen Krishyterien und Grenzwerte festgelegt werden ab wann eine Uumlbereinstimmung zwischen den gespeicherten und zu vergleichenden Koumlrpermerkmalen vorliegt und wie viele Merkmale fuumlr eine Identifizierung uumlbershyeinstimmen muumlssen In Oumlsterreich werden fuumlr ein Gerichtsgutachten mindestens zwoumllf Uumlbereinstimmungen gefordert Das Fehlen einer Forschungspraxis fuumlhrte 2011 zu einer viel beachteten und grundlegenshyden Kritik gegenuumlber den bdquopattern idenshytification disciplinesldquo Diverse Autoren und Autorinnen darunter Simon Cole und Jennifer Mnookin forderten darin eine breitere wissenschaftliche Fundierung fuumlr die bdquonon-DNA forensic sciencesldquo (Cole Mnookin 2011)

Das Fingerabdruckverfahren erfuhr ab 1903 eine enorme Verbreitung bei Erkenshy

nungsdiensten und steigerte die Zahl an ershyfassten Personen im Gegensatz zur Anthroshypometrie ganz erheblich Zwei Tendenzen lassen sich bei der Ausweitung biometrishyscher Identifizierungstechnik beobachten Einerseits die Vision einer allumfassenden Erfassung und andererseits kritische Stimshymen die vor zu groszligen Datensammlungen warnten Die Vision vieler Kriminalisten bestand in der Errichtung eines weltumshyspannenden Netzes an daktyloskopischen Stationen (Roscher 1904 129) Am Ende sollte ein System luumlckenloser Zuordenbarshykeit zwischen Individuen und begangener Straftaten stehen bdquoAlle diese zentralen Einrichtungen muumlssen in engster Fuumlhshylungnahme Hand in Hand miteinander arbeiten [] Wenn in ganz Deutschland die Zentralisierung und Systematisierung des Kriminaldienstes soweit erforderlich durchgefuumlhrt ist dann wird es einem beshyrufsmaumlszligigen reisenden Verbrecher nicht gelingen sich auf laumlngere Dauer dem engshymaschigen Netze der ihn verfolgenden krishyminalpolizeilichen Maszlignahmen entziehen zu koumlnnenldquo (Palitzsch 1927 171) Entgeshygen der Vision allgegenwaumlrtiger Erfassung von Straftaumltern ergaben sich fuumlr die Anwenshydung der biometrischen Register deutliche Grenzen bdquoSo erwuumlnscht jeder Neuzugang ist so ist doch bei keiner Sammlung das Prunken mit Zahlen weniger am Platze als bei der Fingerabdrucksammlungldquo erklaumlrte Friedrich Tenner vom Muumlnchner Erkenshynungsdienst 1918 (Tenner 1918) Viele Daktyloskopen warnten davor die Sammshylungen zu groszlig werden zu lassen Das Proshyblem bestand darin dass die Einteilung der Fingerabdruumlcke auf einer gleichmaumlszligigen Verteilung der Muster beruhte was aber nicht der Fall ist Es gibt Grundmuster die statistisch deutlich haumlufiger auftreten Bis zur Umstellung auf computergestuumltzte Datenbanken (AFIS) in den 1980er Jahshyren verursachte die Ungleichverteilung Schwierigkeiten wie der Kriminalbeamte

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Helmut Prante erklaumlrt bdquoDas herkoumlmmshyliche Klassifizier- und Registrierverfahren beruhte auf falschen Praumlmissen und lieszlig damit Sammlungen entstehen die zunehshymend ihre Selektionsfaumlhigkeit einbuumlszligten ohne allerdings die Qualitaumlt der mit ihnen erzielten Ergebnisse in Frage zu stellenldquo (Prante 1982 70) Die Ungleichverteishylung beim deutschen Bundeskriminalamt war so eklatant dass ein Ablagefach sogar 25 Prozent aller gesammelten Fingerabshydruckformulare enthielt Experten in den 1920er Jahren hielten 300000 Fingerabshydruckblaumltter fuumlr die Belastungsgrenze von daktyloskopischen Registraturen

bioMetrie Von Datenschutz war in den fruumlhen Jahshyren erkennungsdienstlicher Polizeiarbeit noch keine Rede Allerdings diskutierten Kriminalbeamte ob die Speicherung in den biometrischen Registraturen eine Art Kriminalisierung fuumlr die betroffenen Pershysonen darstellen koumlnnte Beispielsweise lehnten Vertreter der Sicherheitsbehoumlrden auf einer Polizeikonferenz in Berlin 1912 die Einfuumlhrung von Fingerabdruumlcken auf Ausweisdokumenten ab weil sie Widershystand befuumlrchteten denn bdquo[d]er Daktyloshyskopierte muumlsse sich wie ein Verbrecher vorkommenldquo3 Ein anderes Bespiel betrifft die Polizeifotografie und anthropometrishysche Erfassung Im Mai 1902 wurden zwei Teilnehmer eines Streiks in Wien verhafshytet Wie die Arbeiterzeitung berichtete bdquoEinige Polizisten haben sich dieser Tage eine unglaubliche Frechheit erlaubt Sie haben zwei bei einer Streikdemonstration wegen Nichtfolgeleistung arretierte Arshybeiter fuumlr das Verbrecheralbum photograshyphiert und sie der beschaumlmenden Prozedur der Koumlrpermessung wie sie bei Verbreshychern angewendet wird unterzogenldquo (Arshybeiterzeitung 1902) Obwohl ein Vertreter der Wiener Polizeidirektion betonte dass in der erkennungsdienstlichen Behandlung

bdquonichts Diffamierendesldquo zu erkennen waumlre und es sich lediglich um eine Prozedur zur Feststellung der Identitaumlt gehandelt haumltte wurden die Informationen der beiden wieshyder geloumlscht

Biometrische Techniken werden zunehshymend auszligerhalb kriminalpolizeilicher Kontexte verwendet und dienen der Verishyfizierung und Authentifizierung von Pershysonen Das kriminalisierende Stigma das die Erfassung durch biometrische Verfahren im 20 Jahrhundert kennzeichshynete haben die Techniken inzwischen verloren weshalb es kein Problem mehr darstellt Fingerabdrucksensoren in Moshybiltelefonen zu verbauen Gegenwaumlrtig sind biometrische Techniken zu einem groszligen Wirtschaftsfaktor innerhalb der Sishycherheitsbranche geworden die vor allem als zeitsparende und praktikable Anwenshydungen verkauft werden und die gleichzeishytig ein Sicherheitsversprechen beinhalten Ausgeblendet wird jedoch dass die groszlige Uumlberzeugungskraft dieser Verfahren nicht zuletzt ihrem kriminalpolizeilichen Entsteshyhungshintergrund geschuldet ist ndash dessen Wurzeln Ende des 19 Jahrhunderts liegen

Gerade das Jahrzehnt nach 911 war geshypraumlgt vom Ausbau und der Vernetzung staatshylicher Sicherheitszentralen Innerhalb der EU zaumlhlen beispielsweise das EURODAC-Programm bei dem die Fingerabdruumlcke aller Asylwerberinnen und Asylwerber uumlber 14 Jahre in einer zentralen Datenbank gespeichert werden und das bdquoSchengen Information Systemldquo (SIS) ndash eine Datenshybank zur Personen- und Sachenfahndung ndash zu wichtigen Informationszentralen Im Pruumlmer Vertrag von 2005 wurde der Datenbankzugriff von Polizei- und Strafshyverfolgungsbehoumlrden bei entsprechenden Behoumlrden anderer Vertragsstaaten geregelt (PrainsackToom 2010)

Seit Erfindung von Biometrie als staatshylicher Kontrolltechnik Ende des 19 Jahrshyhunderts laumlsst sich eine enge Verbindung

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zwischen Mobilitaumlt Migration und Krishyminalitaumlt zeigen Katja Aas bezeichnet die Uumlberlappung der beiden Bereiche bdquocrime controlldquo und bdquomigration controlldquo als bdquoCrimmigrationldquo (Aas 2011 334ndash335)

fazit Die Frage nach technischen Hilfsmitteln zur Verfolgung von (potentiellen) Strafshytaumlterinnen und Straftaumltern ist nicht neu sondern befindet sich schon seit ihrer Entshystehung im Gefolge der Verbrechensbeshykaumlmpfung Was sich geaumlndert hat sind die Dimensionen der Datenanalyse sowohl was die Menge der Informationssammshylungen betrifft als auch die Moumlglichkeiten ihrer Auswertung

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Die Geschichte der Identifizierungsshytechniken Ende des 19 Jahrhunderts ist eng verbunden mit der Entstehung einer Kriminalpolizei die zunaumlchst noch als Sishycherheitsbureau bezeichnet wurde Durch die Implementierung biometrischer Identishyfizierungstechniken gelang es in den Jahshyren von 1870 bis 1914 Erkennungsdienste als zentrale polizeiliche Daten- und Inshyformationssammelstellen zu etablieren In weiterer Folge schufen die Sicherheitsbeshyhoumlrden uumlberregionale kriminalpolizeiliche Strukturen die der Logik zentraler Inforshymationssammlung und dem Austausch biometrischer Datenblaumltter geschuldet washyren Diese Struktur entspricht heute dem Landes- bzw Bundeskriminalamt

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1 Schreiben der Polizeidirektion Wien

Z 1253 vom 23 April 1900 Betreff Beshy

zug auf den Erlass des Innenministerishy

ums vom 23 Februar 1900 Z 44305 ex

1899 in Oumlsterreichisches Staatsarchiv

Allgemeines Verwaltungsarchiv (AVA)

Bestand Justizministerium Karton 3883 2 Bericht Camillo Windts von der Poshy

lizeikonferenz 1897 in Berlin Akt des

Justizministeriums Z 8402 vom 3 April

1898 in Oumlsterreichisches Staatsarchiv

Allgemeines Verwaltungsarchiv (AVA)

Bestand Justizministerium Karton 3883 3 Paul Koettig Referat 1 Einheitliche

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dienstes hinsichtlich der Anthropomeshy

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1912 in Bayerisches Hauptstaatsarchiv

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reich wurde Camillo Windt Vorausgeganshygen waren zahlreiche Diskussionen und Testlaumlufe Die Wiener Polizeidirektion beobachtete bereits seit einiger Zeit die Entwicklungen bei anderen Sicherheitsbeshyhoumlrden zoumlgerte aber zunaumlchst die Anthroshypometrie einzufuumlhren

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Die Signalementkarte enthielt auszligerdem eine standardisierte Form der polizeilichen Personenfotografie (siehe Abbildung 2) wie sie auch heute noch zu finden ist als Frontal- und Profilbild

Die Innovation bei der Anthropometrie bestand nicht darin dass es sich um einen

Quelle Oumlsterreichisches Staatsarchiv Allgemeines Verwaltungsarchiv (AVA) Bestand Justizministerium Karton 3883

Abb 1 Signalementkarten wie sie nach Einfuumlhrung der Anthropometrie zur Identifizierung verwendet wurden

Quelle Bundespolizeidirektion Wien

Abb 2 Fotoalbum Tatbestandsaufnahmen

Versuch handelte Individuen mit Hilfe koumlrperlicher Informationen wiederzushyerkennen bdquoBesondere Merkmaleldquo wie Narben oder Muttermale waren bereits wesentlich laumlnger wichtige Kategorien der Personenbeschreibungen in Polizei- und Fahndungsblaumlttern sowie bei Steckbriefen (Groebner 2004) Neu war das Ordnungsshyschema das Bertillon entwarf Denn er machte die Vermessung zur Grundlage der Identifizierung indem er von zwei Annahmen ausging Jeder Mensch besitzt unveraumlnderbare koumlrperliche Merkmale Und Anhand dieser Merkmale lassen sich Individuen eindeutig voneinander untershyscheiden Er erkannte dass es die Klassifishyzierung koumlrperlicher Merkmale war die die Wiedererkennung vom Zufall befreite Denn selbst wenn Narben oder andere koumlrshyperliche Merkmale von Beamten notiert wurden war eine Identifizierung nur uumlber die Gedaumlchtnisleistung eines Beamten moumlglich Zumindest solange die Aufbeshywahrung der Akten in den Registraturen anhand der Namen der verhafteten Pershyson erfolgte Verweigerte eine verhaftete Person die Aussage oder machte falsche Personalangaben dann lieszligen sich die Reshygister nicht systematisch nach bdquoBesondeshyren Merkmalenldquo durchsuchen Durch die Anthropometrie schien bdquodie Moumlglichkeit geboten auf geradezu mathematischem Wege das Einzel-Individuum jederzeit wieder zu erkennenldquo1 Die beiden wichshytigsten Ordnungsweisen vor Einfuumlhrung

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der Anthropometrie waren die alphabeshytische Sortierung der Akten nach den Fashymiliennamen und die deliktspezifische Ordnung des bdquoVerbrecheralbumsldquo

polizeifotografie Das bdquoVerbrecheralbumldquo war die Lichtbilshydersammlung des bdquoSicherheitsbureausldquo Der Begriff bdquoKriminalpolizeildquo tauchte erst spaumlter auf und etablierte sich nach 1900 In Wien findet sich die Bezeichnung bdquoKrishyminalbeamteldquo erst nach dem Ersten Weltshykrieg waumlhrend zuvor die Begriffe bdquoSishycherheitspolizeildquo und bdquoSicherheitsbureauldquo verwendet wurden 1870 wurde im Zuge der Reorganisation der Wiener Polizei unter dem Polizeipraumlsidenten Anton Le Monnier zur Vorbereitung auf die Wiener Weltausshystellung ein bdquophotographisches Atelierldquo eingerichtet Ausbau und Reform polizeishylicher Strukturen lassen sich in dieser Zeit aber im gesamten deutschsprachigen Raum beobachten Die Fotosammlungen der Poshylizei- und Sicherheitsbehoumlrden wurden bis in die 1920er Jahre als bdquoVerbrecheralbenldquo bezeichnet Die Aufbewahrungslogik der Fotografien entsprach aber gerade nicht der eines Albums Emil Bader schrieb 1905 ein Buch uumlber die bdquoWiener Verbrecherldquo in dem er auch auf das Verbrecheralbum einshyging und insbesondere die alphabetische und deliktspezifische Sortierung der Fotoshygrafien bemerkte bdquoEin groszliger Raum mit bis zur Decke reichenden Regalen Auf der einen Seite die Bilder der bereits bestrafshyten Verbrecher nach dem Alphabet der Namen geordnet die Regale der anderen Seite sind nach den Kategorien des Vershybrechens eingeteilt Die Bilder von Hochshystaplern und Falschspielern Betruumlgern und Maumldchenhaumlndlern Bodeneinbrechern und Telephondrahtdieben sind hier nach ihrer Spezialitaumlt geordnet und in je einem Regal verwahrtldquo (Bader 1905 73)

Die deliktspezifische Ordnung basiershyte auf der Vorstellung von Perseveranz

Damit ist das Festhalten eines Taumlters an einem bestimmten Deliktbereich oder eishyner Vorgehensweise gemeint Die Idee der Perseveranz praumlgte vielfach die Diskusshysionen um Einfuumlhrung und Anwendung von Identifizierungstechniken und fuumlhrte schlieszliglich zur Etablierung von bdquoBerufsshyverbrechernldquo als ein neues Taumlterprofil Bei Emil Bader heiszligt es dazu bdquoJeder berufsshymaumlszligige Verbrecher hat seinen Trick seishyne besondere Kunst in der er sich bis zur houmlchsten Vollkommenheit die er erreichen kann ausbildet Er selbst nennt sein Vershybrechen gar nie anders als seine sbquoArbeitlsquo Wie der Handwerker und der industrielle Spezialist so wechselt auch der Verbreshycher die besondere Art seiner sbquoArbeitlsquo fast niemalsldquo (Bader 1905 6) Die Konzentrashytion der Erkennungsdienste auf Berufsvershybrecher zeigt inwiefern die Konzeption einer Verbrecherwelt von Beginn an Teil der Evidenzen war und nicht einfach ein Ergebnis der erkennungsdienstlichen Einshyrichtungen (Wagner 1996 75)

Gerade die Moumlglichkeiten Bewegungsshyprofile erstellen zu koumlnnen machen Dashytensammlungen fuumlr Sicherheitsbehoumlrden interessant Das trifft nicht nur fuumlr gegenshywaumlrtige Anwendungen zu sondern gilt auch fuumlr die Anfaumlnge des modernen Sishycherheitswesens im 18 Jahrhundert wo alle Individuen eines Gebietes durch polishyzeiliche Registrierung bdquoununterbrochen in Evidenzldquo gehalten werden sollten (Gruber 2013)

eviDenz Die Datensammlungen der Sicherheitsshybureaus fuumlhrten bald zu heftiger Kritik innerhalb der Behoumlrden Denn mit Einfuumlhshyrung von zentralen Fahndungszeitschrifshyten wie dem bdquoCentral-Polizei-Blattldquo und den Lichtbildersammlungen nahm der Informationsaustausch zwischen Ermittshylungsorganen immer mehr zu ohne dass die Beamten uumlber Techniken verfuumlgten

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den erhoumlhten Kommunikationsaufwand zu bewaumlltigen Je wichtiger die Registraturen und der Zugriff auf persoumlnliche Informashytionen wurden desto staumlrker erfolgte ein Ruumlckgriff auf biometrische Daten da die Polizeiexperten nach Verfahren suchten die die Verknuumlpfung der Daten mit vershydaumlchtigen Personen unzweifelhaft garanshytieren sollten

Bei der Sammlung und dem Austausch groszliger personenbezogener Datenbestaumlnde sahen sich die Beamten der Erkennungsshydienste mit Herausforderungen konfronshytiert die sich im Laufe der Zeit scheinbar nicht wesentlich veraumlnderten Zentrale Fragen waren Wie laumlsst sich effektiv auf die gesammelten Informationen zugreishyfen Wie lassen sich die Datenbestaumlnde miteinander verknuumlpfen Und Was laumlsst sich mit der Benutzung der Informatioshynen erreichen und wie laumlsst sich die Quashylitaumlt der Sammlung uumlber einen laumlngeren Zeitraum sicherstellen Camillo Windt spaumlterer Leiter des Wiener Erkennungsshydienstes stellte den Umgang mit Polizeishyfotografien 1897 in seiner bisherigen Form in Frage bdquoIm Verbrecheralbum Wiens befinden sich bei 20000 von Polizeibeshyhoumlrden Strafanstalten hi und da auch von Gerichten angefertigte Bilder Taumlglich laushyfen bei der Wiener Polizeidirektion mehshyrere Zuschriften aus der Provinz und dem Ausland ein mit welchen die Photograshyphie eines angehaltenen Individuums zum Zweck der Identifizierung eingefordert wird Hunderte oft tausende von Bildern muumlssen dann abgesucht werden und es ist geradezu ein Wunder wenn es gluumlckt unshyter den 20000 zumeist schlechten Photoshygraphien die richtige zu findenldquo2 Bereits 1880 kam ein Beamter nach Evaluierung der Verbrecheralben zu dem Schluss dass die Verwendung der Fotografien bdquoermuumlshydendldquo und bdquonutzlosldquo waumlre Mit der Einshyrichtung von Erkennungsdiensten und der Einfuumlhrung der Anthropometrie reagierten

die Polizeibehoumlrden auf die Probleme mit der Informationsverwaltung

Ausloumlser fuumlr die offizielle Einfuumlhrung und Schaffung eines Erkennungsdienstes bei der Wiener Polizeidirektion war eine Polizeikonferenz in Berlin im Dezember 1897 an der Windt als Vertreter des Inshynenministeriums teilnahm und auf der die Einfuumlhrung der Anthropometrie beschlosshysen wurde Das systematische Sammeln und Verarbeiten von Informationen wurde ein immer wichtigeres Element des polizeishylichen Selbstverstaumlndnisses bdquoInformation und Evidenz sind das Um und Auf der Poshylizei in allen ihren Zweigen die erste Voshyraussetzung fuumlr ihre Taumltigkeitldquo schrieb der Kriminalbeamte Anton Walitschek in den 1930er Jahren Die Fahndungsevidenzen der Wiener Polizeidirektion bestand 1920 aus einer groszligen Liste an unterschiedshylichen Sammlungen und enthielt unter anderem folgende Evidenzen Namensshyevidenz Taumlterevidenz Personenevidenz Faktenevidenz Sachenevidenz Vorstrashyfenevidenz Gemeinschaumldlichen-Evidenz Lichtbildersammlung Zettelindex mit beshysonderen Kennzeichen Spitznamenindex Handschriftensammlung dakytyloskopishysche Registratur (Polizeidirektion Wien 1920 189ndash190)

Die Erkennungsdienste spielten eine Schluumlsselrolle bei der Modernisierung der Verbrechensbekaumlmpfung weshalb Identifizierungstechniken die in Fachkreishysen und der allgemeinen Oumlffentlichkeit am haumlufigsten diskutierten Methoden der Kriminalpolizei waren (Jaumlger 2006 381) Die Reform des oumlffentlichen Sicherheitsshywesens im 19 Jahrhundert ging einher mit dem Ausbau der behoumlrdlichen Strategien zur Identifizierung von Individuen

fingerabDruckverfahren Techniken zur Identifizierung von Pershysonen hatten eine besondere Bedeutung Sie stellten sicher dass die erhobenen

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Daten richtig zugeordnet wurden und nicht mehrere Aktensaumltze fuumlr eine Person exisshytierten Das konnte passieren wenn ein Verdaumlchtiger der bereits in einer erkenshynungsdienstlichen Sammlung registriert war mit gefaumllschten Papieren unterwegs war oder bei seiner Einvernahme einen anderen Namen angab Bemerkte dies der ermittelnde Beamte nicht oder wurde der Datensatz unter dem der Verdaumlchtige bereits gespeichert war diesem nicht zushygeordnet wurde ein neuer Registereinshytrag angelegt Der Anspruch von Erkenshynungsdiensten ist es bdquodurch Anwendung technischer Verfahren die Identitaumlt einer Person zweifelsfrei festzustellenldquo und pershysonenbezogene Daten in Evidenz zu halten (Schmid 2001 19)

Bei der Wiener Polizeidirektion laumlsst sich schon zu Beginn des 19 Jahrhunderts die Idee einer bdquoununterbrochenen Evidenzldquo nachweisen Aber wie unterscheiden sich biometrische Techniken von den vorheshyrigen Verfahren Der Begriff bdquoBiometrieldquo wurde zwar vor Einfuumlhrung der Anthroposhymetrie bereits verwendet allerdings nicht im Umfeld von Polizei- und Sicherheitsshywesen sondern als eine Form von bdquoBioshyarithmetikldquo Seine Bedeutung unterschied sich noch deutlich vom gegenwaumlrtigen Gebrauch In einem Woumlrterbuch von 1832 heiszligt es uumlber Biometrie es handle sich um eine bdquoLebens-Meszlig- und Rechnungskunstldquo (Krug 1832 364) Als biometrische Daten werden heute alle koumlrpereigenen Merkshymale oder Verhaltensstrukturen bezeichshynet die weder simuliert werden koumlnnen noch einer Veraumlnderung unterliegen Die Identifizierung von Individuen durch bioshymetrische Merkmale basiert deshalb auf der Annahme dass sie einen Menschen eindeutig und zweifelsfrei kennzeichnen

Das neue Element biometrischer Verfahshyren bestand darin dass die gespeicherten Merkmale zunaumlchst in einem Abstrakshytionsschritt klassifiziert und in Formeln

uumlbersetzt wurden Mit Hilfe dieser Forshymeln wurden die Informationen in die ershykennungsdienstlichen Sammlungen abgeshylegt Die koumlrperlichen Merkmale wurden zu Indizes fuumlr die Registraturen Das heiszligt im Falle der Anthropometrie dass die geshymessenen Koumlrpermaszlige jeweils in die Kashytegorien bdquokleinldquo bdquomittelldquo und bdquogroszligldquo einshygeteilt wurden (siehe Abbildung 1 Seite 5) und die Signalementkarte anschlieszligend in das entsprechende Fach der Registratur einsortiert wurde

Nur wenige Jahre nach Einfuumlhrung der Anthropometrie gaben die Erkennungsshydienste das Vermessen von Personen wieder auf und setzten stattdessen auf die Identifizierung durch Fingerabdruumlcke Die Bertillonage konnte sich zwar nicht durchshysetzen schuf aber institutionell die Grundshylagen fuumlr Erkennungsdienste Immer wieshyder tauchte das Argument auf dass auf Grund der Komplexitaumlt der Anwendung die Qualitaumlt nicht zu garantieren sei denn am Ende entschied die Messgenauigkeit daruumlber ob eine Person identifiziert wer-

Quelle Anhang aus k k Polizeidirektion Wien Erkennungsamt (1911)

Abb 3 Daktyloskopie Anleitung zur Anfertigung von Fingerabdruumlcken fuumlr Identifizierungszwecke

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den konnte oder nicht Die Abnahme von Fingerabdruumlcken ging dagegen schneller als das Vermessen einer Person und beshynoumltigte deutlich weniger Uumlbung als die Vermessungsprozedur Um die daktyloshyskopischen Register durchsuchbar zu mashychen wurden die Muster nach einem Schema in eine Formel uumlbersetzt die Klassifikationsnummer (siehe Abbildung 3 Seite 8) Dazu mussten die Daktyloskopen die Grundmuster ndash Wirbel Schleife oder Bogen ndash notieren und gegebenenfalls die Rillenanzahl an einigen Fingern bestimshymen

Das Verfahren das dem Vergleich von Fingerabdruumlcken zu Grunde liegt wird als bdquopattern recognitionldquo bezeichnet und ist Teil der Interpretationsleistung bei biometrischen Verfahren Das heiszligt eine (computergestuumltzte) Identifizierung durch Fingerabdruumlcke auf dieser Basis beruht auf Wahrscheinlichkeiten die durch die drei Parameter bdquoFalse Acceptance Rateldquo (FAR) bdquoFalse Rejection Rateldquo (FRR) und bdquoEqual Error Rateldquo (EER) charakterisiert werden koumlnnen (Kammerer 2008 203) Fuumlr jede biometrische Technik muumlssen Krishyterien und Grenzwerte festgelegt werden ab wann eine Uumlbereinstimmung zwischen den gespeicherten und zu vergleichenden Koumlrpermerkmalen vorliegt und wie viele Merkmale fuumlr eine Identifizierung uumlbershyeinstimmen muumlssen In Oumlsterreich werden fuumlr ein Gerichtsgutachten mindestens zwoumllf Uumlbereinstimmungen gefordert Das Fehlen einer Forschungspraxis fuumlhrte 2011 zu einer viel beachteten und grundlegenshyden Kritik gegenuumlber den bdquopattern idenshytification disciplinesldquo Diverse Autoren und Autorinnen darunter Simon Cole und Jennifer Mnookin forderten darin eine breitere wissenschaftliche Fundierung fuumlr die bdquonon-DNA forensic sciencesldquo (Cole Mnookin 2011)

Das Fingerabdruckverfahren erfuhr ab 1903 eine enorme Verbreitung bei Erkenshy

nungsdiensten und steigerte die Zahl an ershyfassten Personen im Gegensatz zur Anthroshypometrie ganz erheblich Zwei Tendenzen lassen sich bei der Ausweitung biometrishyscher Identifizierungstechnik beobachten Einerseits die Vision einer allumfassenden Erfassung und andererseits kritische Stimshymen die vor zu groszligen Datensammlungen warnten Die Vision vieler Kriminalisten bestand in der Errichtung eines weltumshyspannenden Netzes an daktyloskopischen Stationen (Roscher 1904 129) Am Ende sollte ein System luumlckenloser Zuordenbarshykeit zwischen Individuen und begangener Straftaten stehen bdquoAlle diese zentralen Einrichtungen muumlssen in engster Fuumlhshylungnahme Hand in Hand miteinander arbeiten [] Wenn in ganz Deutschland die Zentralisierung und Systematisierung des Kriminaldienstes soweit erforderlich durchgefuumlhrt ist dann wird es einem beshyrufsmaumlszligigen reisenden Verbrecher nicht gelingen sich auf laumlngere Dauer dem engshymaschigen Netze der ihn verfolgenden krishyminalpolizeilichen Maszlignahmen entziehen zu koumlnnenldquo (Palitzsch 1927 171) Entgeshygen der Vision allgegenwaumlrtiger Erfassung von Straftaumltern ergaben sich fuumlr die Anwenshydung der biometrischen Register deutliche Grenzen bdquoSo erwuumlnscht jeder Neuzugang ist so ist doch bei keiner Sammlung das Prunken mit Zahlen weniger am Platze als bei der Fingerabdrucksammlungldquo erklaumlrte Friedrich Tenner vom Muumlnchner Erkenshynungsdienst 1918 (Tenner 1918) Viele Daktyloskopen warnten davor die Sammshylungen zu groszlig werden zu lassen Das Proshyblem bestand darin dass die Einteilung der Fingerabdruumlcke auf einer gleichmaumlszligigen Verteilung der Muster beruhte was aber nicht der Fall ist Es gibt Grundmuster die statistisch deutlich haumlufiger auftreten Bis zur Umstellung auf computergestuumltzte Datenbanken (AFIS) in den 1980er Jahshyren verursachte die Ungleichverteilung Schwierigkeiten wie der Kriminalbeamte

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Helmut Prante erklaumlrt bdquoDas herkoumlmmshyliche Klassifizier- und Registrierverfahren beruhte auf falschen Praumlmissen und lieszlig damit Sammlungen entstehen die zunehshymend ihre Selektionsfaumlhigkeit einbuumlszligten ohne allerdings die Qualitaumlt der mit ihnen erzielten Ergebnisse in Frage zu stellenldquo (Prante 1982 70) Die Ungleichverteishylung beim deutschen Bundeskriminalamt war so eklatant dass ein Ablagefach sogar 25 Prozent aller gesammelten Fingerabshydruckformulare enthielt Experten in den 1920er Jahren hielten 300000 Fingerabshydruckblaumltter fuumlr die Belastungsgrenze von daktyloskopischen Registraturen

bioMetrie Von Datenschutz war in den fruumlhen Jahshyren erkennungsdienstlicher Polizeiarbeit noch keine Rede Allerdings diskutierten Kriminalbeamte ob die Speicherung in den biometrischen Registraturen eine Art Kriminalisierung fuumlr die betroffenen Pershysonen darstellen koumlnnte Beispielsweise lehnten Vertreter der Sicherheitsbehoumlrden auf einer Polizeikonferenz in Berlin 1912 die Einfuumlhrung von Fingerabdruumlcken auf Ausweisdokumenten ab weil sie Widershystand befuumlrchteten denn bdquo[d]er Daktyloshyskopierte muumlsse sich wie ein Verbrecher vorkommenldquo3 Ein anderes Bespiel betrifft die Polizeifotografie und anthropometrishysche Erfassung Im Mai 1902 wurden zwei Teilnehmer eines Streiks in Wien verhafshytet Wie die Arbeiterzeitung berichtete bdquoEinige Polizisten haben sich dieser Tage eine unglaubliche Frechheit erlaubt Sie haben zwei bei einer Streikdemonstration wegen Nichtfolgeleistung arretierte Arshybeiter fuumlr das Verbrecheralbum photograshyphiert und sie der beschaumlmenden Prozedur der Koumlrpermessung wie sie bei Verbreshychern angewendet wird unterzogenldquo (Arshybeiterzeitung 1902) Obwohl ein Vertreter der Wiener Polizeidirektion betonte dass in der erkennungsdienstlichen Behandlung

bdquonichts Diffamierendesldquo zu erkennen waumlre und es sich lediglich um eine Prozedur zur Feststellung der Identitaumlt gehandelt haumltte wurden die Informationen der beiden wieshyder geloumlscht

Biometrische Techniken werden zunehshymend auszligerhalb kriminalpolizeilicher Kontexte verwendet und dienen der Verishyfizierung und Authentifizierung von Pershysonen Das kriminalisierende Stigma das die Erfassung durch biometrische Verfahren im 20 Jahrhundert kennzeichshynete haben die Techniken inzwischen verloren weshalb es kein Problem mehr darstellt Fingerabdrucksensoren in Moshybiltelefonen zu verbauen Gegenwaumlrtig sind biometrische Techniken zu einem groszligen Wirtschaftsfaktor innerhalb der Sishycherheitsbranche geworden die vor allem als zeitsparende und praktikable Anwenshydungen verkauft werden und die gleichzeishytig ein Sicherheitsversprechen beinhalten Ausgeblendet wird jedoch dass die groszlige Uumlberzeugungskraft dieser Verfahren nicht zuletzt ihrem kriminalpolizeilichen Entsteshyhungshintergrund geschuldet ist ndash dessen Wurzeln Ende des 19 Jahrhunderts liegen

Gerade das Jahrzehnt nach 911 war geshypraumlgt vom Ausbau und der Vernetzung staatshylicher Sicherheitszentralen Innerhalb der EU zaumlhlen beispielsweise das EURODAC-Programm bei dem die Fingerabdruumlcke aller Asylwerberinnen und Asylwerber uumlber 14 Jahre in einer zentralen Datenbank gespeichert werden und das bdquoSchengen Information Systemldquo (SIS) ndash eine Datenshybank zur Personen- und Sachenfahndung ndash zu wichtigen Informationszentralen Im Pruumlmer Vertrag von 2005 wurde der Datenbankzugriff von Polizei- und Strafshyverfolgungsbehoumlrden bei entsprechenden Behoumlrden anderer Vertragsstaaten geregelt (PrainsackToom 2010)

Seit Erfindung von Biometrie als staatshylicher Kontrolltechnik Ende des 19 Jahrshyhunderts laumlsst sich eine enge Verbindung

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zwischen Mobilitaumlt Migration und Krishyminalitaumlt zeigen Katja Aas bezeichnet die Uumlberlappung der beiden Bereiche bdquocrime controlldquo und bdquomigration controlldquo als bdquoCrimmigrationldquo (Aas 2011 334ndash335)

fazit Die Frage nach technischen Hilfsmitteln zur Verfolgung von (potentiellen) Strafshytaumlterinnen und Straftaumltern ist nicht neu sondern befindet sich schon seit ihrer Entshystehung im Gefolge der Verbrechensbeshykaumlmpfung Was sich geaumlndert hat sind die Dimensionen der Datenanalyse sowohl was die Menge der Informationssammshylungen betrifft als auch die Moumlglichkeiten ihrer Auswertung

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Die Geschichte der Identifizierungsshytechniken Ende des 19 Jahrhunderts ist eng verbunden mit der Entstehung einer Kriminalpolizei die zunaumlchst noch als Sishycherheitsbureau bezeichnet wurde Durch die Implementierung biometrischer Identishyfizierungstechniken gelang es in den Jahshyren von 1870 bis 1914 Erkennungsdienste als zentrale polizeiliche Daten- und Inshyformationssammelstellen zu etablieren In weiterer Folge schufen die Sicherheitsbeshyhoumlrden uumlberregionale kriminalpolizeiliche Strukturen die der Logik zentraler Inforshymationssammlung und dem Austausch biometrischer Datenblaumltter geschuldet washyren Diese Struktur entspricht heute dem Landes- bzw Bundeskriminalamt

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1 Schreiben der Polizeidirektion Wien

Z 1253 vom 23 April 1900 Betreff Beshy

zug auf den Erlass des Innenministerishy

ums vom 23 Februar 1900 Z 44305 ex

1899 in Oumlsterreichisches Staatsarchiv

Allgemeines Verwaltungsarchiv (AVA)

Bestand Justizministerium Karton 3883 2 Bericht Camillo Windts von der Poshy

lizeikonferenz 1897 in Berlin Akt des

Justizministeriums Z 8402 vom 3 April

1898 in Oumlsterreichisches Staatsarchiv

Allgemeines Verwaltungsarchiv (AVA)

Bestand Justizministerium Karton 3883 3 Paul Koettig Referat 1 Einheitliche

Regelung des polizeilichen Erkennungsshy

dienstes hinsichtlich der Anthropomeshy

trie und Daktyloskopie Polizeikonferenz

1912 in Bayerisches Hauptstaatsarchiv

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Page 4: Die Anfänge der Erkennungsdienste. Einführung ... · zierungstechniken Anthropometrie (Körpervermessung) und Daktyloskopie (Fingerab druckverfahren). Die Techniken veränderten

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der Anthropometrie waren die alphabeshytische Sortierung der Akten nach den Fashymiliennamen und die deliktspezifische Ordnung des bdquoVerbrecheralbumsldquo

polizeifotografie Das bdquoVerbrecheralbumldquo war die Lichtbilshydersammlung des bdquoSicherheitsbureausldquo Der Begriff bdquoKriminalpolizeildquo tauchte erst spaumlter auf und etablierte sich nach 1900 In Wien findet sich die Bezeichnung bdquoKrishyminalbeamteldquo erst nach dem Ersten Weltshykrieg waumlhrend zuvor die Begriffe bdquoSishycherheitspolizeildquo und bdquoSicherheitsbureauldquo verwendet wurden 1870 wurde im Zuge der Reorganisation der Wiener Polizei unter dem Polizeipraumlsidenten Anton Le Monnier zur Vorbereitung auf die Wiener Weltausshystellung ein bdquophotographisches Atelierldquo eingerichtet Ausbau und Reform polizeishylicher Strukturen lassen sich in dieser Zeit aber im gesamten deutschsprachigen Raum beobachten Die Fotosammlungen der Poshylizei- und Sicherheitsbehoumlrden wurden bis in die 1920er Jahre als bdquoVerbrecheralbenldquo bezeichnet Die Aufbewahrungslogik der Fotografien entsprach aber gerade nicht der eines Albums Emil Bader schrieb 1905 ein Buch uumlber die bdquoWiener Verbrecherldquo in dem er auch auf das Verbrecheralbum einshyging und insbesondere die alphabetische und deliktspezifische Sortierung der Fotoshygrafien bemerkte bdquoEin groszliger Raum mit bis zur Decke reichenden Regalen Auf der einen Seite die Bilder der bereits bestrafshyten Verbrecher nach dem Alphabet der Namen geordnet die Regale der anderen Seite sind nach den Kategorien des Vershybrechens eingeteilt Die Bilder von Hochshystaplern und Falschspielern Betruumlgern und Maumldchenhaumlndlern Bodeneinbrechern und Telephondrahtdieben sind hier nach ihrer Spezialitaumlt geordnet und in je einem Regal verwahrtldquo (Bader 1905 73)

Die deliktspezifische Ordnung basiershyte auf der Vorstellung von Perseveranz

Damit ist das Festhalten eines Taumlters an einem bestimmten Deliktbereich oder eishyner Vorgehensweise gemeint Die Idee der Perseveranz praumlgte vielfach die Diskusshysionen um Einfuumlhrung und Anwendung von Identifizierungstechniken und fuumlhrte schlieszliglich zur Etablierung von bdquoBerufsshyverbrechernldquo als ein neues Taumlterprofil Bei Emil Bader heiszligt es dazu bdquoJeder berufsshymaumlszligige Verbrecher hat seinen Trick seishyne besondere Kunst in der er sich bis zur houmlchsten Vollkommenheit die er erreichen kann ausbildet Er selbst nennt sein Vershybrechen gar nie anders als seine sbquoArbeitlsquo Wie der Handwerker und der industrielle Spezialist so wechselt auch der Verbreshycher die besondere Art seiner sbquoArbeitlsquo fast niemalsldquo (Bader 1905 6) Die Konzentrashytion der Erkennungsdienste auf Berufsvershybrecher zeigt inwiefern die Konzeption einer Verbrecherwelt von Beginn an Teil der Evidenzen war und nicht einfach ein Ergebnis der erkennungsdienstlichen Einshyrichtungen (Wagner 1996 75)

Gerade die Moumlglichkeiten Bewegungsshyprofile erstellen zu koumlnnen machen Dashytensammlungen fuumlr Sicherheitsbehoumlrden interessant Das trifft nicht nur fuumlr gegenshywaumlrtige Anwendungen zu sondern gilt auch fuumlr die Anfaumlnge des modernen Sishycherheitswesens im 18 Jahrhundert wo alle Individuen eines Gebietes durch polishyzeiliche Registrierung bdquoununterbrochen in Evidenzldquo gehalten werden sollten (Gruber 2013)

eviDenz Die Datensammlungen der Sicherheitsshybureaus fuumlhrten bald zu heftiger Kritik innerhalb der Behoumlrden Denn mit Einfuumlhshyrung von zentralen Fahndungszeitschrifshyten wie dem bdquoCentral-Polizei-Blattldquo und den Lichtbildersammlungen nahm der Informationsaustausch zwischen Ermittshylungsorganen immer mehr zu ohne dass die Beamten uumlber Techniken verfuumlgten

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den erhoumlhten Kommunikationsaufwand zu bewaumlltigen Je wichtiger die Registraturen und der Zugriff auf persoumlnliche Informashytionen wurden desto staumlrker erfolgte ein Ruumlckgriff auf biometrische Daten da die Polizeiexperten nach Verfahren suchten die die Verknuumlpfung der Daten mit vershydaumlchtigen Personen unzweifelhaft garanshytieren sollten

Bei der Sammlung und dem Austausch groszliger personenbezogener Datenbestaumlnde sahen sich die Beamten der Erkennungsshydienste mit Herausforderungen konfronshytiert die sich im Laufe der Zeit scheinbar nicht wesentlich veraumlnderten Zentrale Fragen waren Wie laumlsst sich effektiv auf die gesammelten Informationen zugreishyfen Wie lassen sich die Datenbestaumlnde miteinander verknuumlpfen Und Was laumlsst sich mit der Benutzung der Informatioshynen erreichen und wie laumlsst sich die Quashylitaumlt der Sammlung uumlber einen laumlngeren Zeitraum sicherstellen Camillo Windt spaumlterer Leiter des Wiener Erkennungsshydienstes stellte den Umgang mit Polizeishyfotografien 1897 in seiner bisherigen Form in Frage bdquoIm Verbrecheralbum Wiens befinden sich bei 20000 von Polizeibeshyhoumlrden Strafanstalten hi und da auch von Gerichten angefertigte Bilder Taumlglich laushyfen bei der Wiener Polizeidirektion mehshyrere Zuschriften aus der Provinz und dem Ausland ein mit welchen die Photograshyphie eines angehaltenen Individuums zum Zweck der Identifizierung eingefordert wird Hunderte oft tausende von Bildern muumlssen dann abgesucht werden und es ist geradezu ein Wunder wenn es gluumlckt unshyter den 20000 zumeist schlechten Photoshygraphien die richtige zu findenldquo2 Bereits 1880 kam ein Beamter nach Evaluierung der Verbrecheralben zu dem Schluss dass die Verwendung der Fotografien bdquoermuumlshydendldquo und bdquonutzlosldquo waumlre Mit der Einshyrichtung von Erkennungsdiensten und der Einfuumlhrung der Anthropometrie reagierten

die Polizeibehoumlrden auf die Probleme mit der Informationsverwaltung

Ausloumlser fuumlr die offizielle Einfuumlhrung und Schaffung eines Erkennungsdienstes bei der Wiener Polizeidirektion war eine Polizeikonferenz in Berlin im Dezember 1897 an der Windt als Vertreter des Inshynenministeriums teilnahm und auf der die Einfuumlhrung der Anthropometrie beschlosshysen wurde Das systematische Sammeln und Verarbeiten von Informationen wurde ein immer wichtigeres Element des polizeishylichen Selbstverstaumlndnisses bdquoInformation und Evidenz sind das Um und Auf der Poshylizei in allen ihren Zweigen die erste Voshyraussetzung fuumlr ihre Taumltigkeitldquo schrieb der Kriminalbeamte Anton Walitschek in den 1930er Jahren Die Fahndungsevidenzen der Wiener Polizeidirektion bestand 1920 aus einer groszligen Liste an unterschiedshylichen Sammlungen und enthielt unter anderem folgende Evidenzen Namensshyevidenz Taumlterevidenz Personenevidenz Faktenevidenz Sachenevidenz Vorstrashyfenevidenz Gemeinschaumldlichen-Evidenz Lichtbildersammlung Zettelindex mit beshysonderen Kennzeichen Spitznamenindex Handschriftensammlung dakytyloskopishysche Registratur (Polizeidirektion Wien 1920 189ndash190)

Die Erkennungsdienste spielten eine Schluumlsselrolle bei der Modernisierung der Verbrechensbekaumlmpfung weshalb Identifizierungstechniken die in Fachkreishysen und der allgemeinen Oumlffentlichkeit am haumlufigsten diskutierten Methoden der Kriminalpolizei waren (Jaumlger 2006 381) Die Reform des oumlffentlichen Sicherheitsshywesens im 19 Jahrhundert ging einher mit dem Ausbau der behoumlrdlichen Strategien zur Identifizierung von Individuen

fingerabDruckverfahren Techniken zur Identifizierung von Pershysonen hatten eine besondere Bedeutung Sie stellten sicher dass die erhobenen

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Daten richtig zugeordnet wurden und nicht mehrere Aktensaumltze fuumlr eine Person exisshytierten Das konnte passieren wenn ein Verdaumlchtiger der bereits in einer erkenshynungsdienstlichen Sammlung registriert war mit gefaumllschten Papieren unterwegs war oder bei seiner Einvernahme einen anderen Namen angab Bemerkte dies der ermittelnde Beamte nicht oder wurde der Datensatz unter dem der Verdaumlchtige bereits gespeichert war diesem nicht zushygeordnet wurde ein neuer Registereinshytrag angelegt Der Anspruch von Erkenshynungsdiensten ist es bdquodurch Anwendung technischer Verfahren die Identitaumlt einer Person zweifelsfrei festzustellenldquo und pershysonenbezogene Daten in Evidenz zu halten (Schmid 2001 19)

Bei der Wiener Polizeidirektion laumlsst sich schon zu Beginn des 19 Jahrhunderts die Idee einer bdquoununterbrochenen Evidenzldquo nachweisen Aber wie unterscheiden sich biometrische Techniken von den vorheshyrigen Verfahren Der Begriff bdquoBiometrieldquo wurde zwar vor Einfuumlhrung der Anthroposhymetrie bereits verwendet allerdings nicht im Umfeld von Polizei- und Sicherheitsshywesen sondern als eine Form von bdquoBioshyarithmetikldquo Seine Bedeutung unterschied sich noch deutlich vom gegenwaumlrtigen Gebrauch In einem Woumlrterbuch von 1832 heiszligt es uumlber Biometrie es handle sich um eine bdquoLebens-Meszlig- und Rechnungskunstldquo (Krug 1832 364) Als biometrische Daten werden heute alle koumlrpereigenen Merkshymale oder Verhaltensstrukturen bezeichshynet die weder simuliert werden koumlnnen noch einer Veraumlnderung unterliegen Die Identifizierung von Individuen durch bioshymetrische Merkmale basiert deshalb auf der Annahme dass sie einen Menschen eindeutig und zweifelsfrei kennzeichnen

Das neue Element biometrischer Verfahshyren bestand darin dass die gespeicherten Merkmale zunaumlchst in einem Abstrakshytionsschritt klassifiziert und in Formeln

uumlbersetzt wurden Mit Hilfe dieser Forshymeln wurden die Informationen in die ershykennungsdienstlichen Sammlungen abgeshylegt Die koumlrperlichen Merkmale wurden zu Indizes fuumlr die Registraturen Das heiszligt im Falle der Anthropometrie dass die geshymessenen Koumlrpermaszlige jeweils in die Kashytegorien bdquokleinldquo bdquomittelldquo und bdquogroszligldquo einshygeteilt wurden (siehe Abbildung 1 Seite 5) und die Signalementkarte anschlieszligend in das entsprechende Fach der Registratur einsortiert wurde

Nur wenige Jahre nach Einfuumlhrung der Anthropometrie gaben die Erkennungsshydienste das Vermessen von Personen wieder auf und setzten stattdessen auf die Identifizierung durch Fingerabdruumlcke Die Bertillonage konnte sich zwar nicht durchshysetzen schuf aber institutionell die Grundshylagen fuumlr Erkennungsdienste Immer wieshyder tauchte das Argument auf dass auf Grund der Komplexitaumlt der Anwendung die Qualitaumlt nicht zu garantieren sei denn am Ende entschied die Messgenauigkeit daruumlber ob eine Person identifiziert wer-

Quelle Anhang aus k k Polizeidirektion Wien Erkennungsamt (1911)

Abb 3 Daktyloskopie Anleitung zur Anfertigung von Fingerabdruumlcken fuumlr Identifizierungszwecke

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den konnte oder nicht Die Abnahme von Fingerabdruumlcken ging dagegen schneller als das Vermessen einer Person und beshynoumltigte deutlich weniger Uumlbung als die Vermessungsprozedur Um die daktyloshyskopischen Register durchsuchbar zu mashychen wurden die Muster nach einem Schema in eine Formel uumlbersetzt die Klassifikationsnummer (siehe Abbildung 3 Seite 8) Dazu mussten die Daktyloskopen die Grundmuster ndash Wirbel Schleife oder Bogen ndash notieren und gegebenenfalls die Rillenanzahl an einigen Fingern bestimshymen

Das Verfahren das dem Vergleich von Fingerabdruumlcken zu Grunde liegt wird als bdquopattern recognitionldquo bezeichnet und ist Teil der Interpretationsleistung bei biometrischen Verfahren Das heiszligt eine (computergestuumltzte) Identifizierung durch Fingerabdruumlcke auf dieser Basis beruht auf Wahrscheinlichkeiten die durch die drei Parameter bdquoFalse Acceptance Rateldquo (FAR) bdquoFalse Rejection Rateldquo (FRR) und bdquoEqual Error Rateldquo (EER) charakterisiert werden koumlnnen (Kammerer 2008 203) Fuumlr jede biometrische Technik muumlssen Krishyterien und Grenzwerte festgelegt werden ab wann eine Uumlbereinstimmung zwischen den gespeicherten und zu vergleichenden Koumlrpermerkmalen vorliegt und wie viele Merkmale fuumlr eine Identifizierung uumlbershyeinstimmen muumlssen In Oumlsterreich werden fuumlr ein Gerichtsgutachten mindestens zwoumllf Uumlbereinstimmungen gefordert Das Fehlen einer Forschungspraxis fuumlhrte 2011 zu einer viel beachteten und grundlegenshyden Kritik gegenuumlber den bdquopattern idenshytification disciplinesldquo Diverse Autoren und Autorinnen darunter Simon Cole und Jennifer Mnookin forderten darin eine breitere wissenschaftliche Fundierung fuumlr die bdquonon-DNA forensic sciencesldquo (Cole Mnookin 2011)

Das Fingerabdruckverfahren erfuhr ab 1903 eine enorme Verbreitung bei Erkenshy

nungsdiensten und steigerte die Zahl an ershyfassten Personen im Gegensatz zur Anthroshypometrie ganz erheblich Zwei Tendenzen lassen sich bei der Ausweitung biometrishyscher Identifizierungstechnik beobachten Einerseits die Vision einer allumfassenden Erfassung und andererseits kritische Stimshymen die vor zu groszligen Datensammlungen warnten Die Vision vieler Kriminalisten bestand in der Errichtung eines weltumshyspannenden Netzes an daktyloskopischen Stationen (Roscher 1904 129) Am Ende sollte ein System luumlckenloser Zuordenbarshykeit zwischen Individuen und begangener Straftaten stehen bdquoAlle diese zentralen Einrichtungen muumlssen in engster Fuumlhshylungnahme Hand in Hand miteinander arbeiten [] Wenn in ganz Deutschland die Zentralisierung und Systematisierung des Kriminaldienstes soweit erforderlich durchgefuumlhrt ist dann wird es einem beshyrufsmaumlszligigen reisenden Verbrecher nicht gelingen sich auf laumlngere Dauer dem engshymaschigen Netze der ihn verfolgenden krishyminalpolizeilichen Maszlignahmen entziehen zu koumlnnenldquo (Palitzsch 1927 171) Entgeshygen der Vision allgegenwaumlrtiger Erfassung von Straftaumltern ergaben sich fuumlr die Anwenshydung der biometrischen Register deutliche Grenzen bdquoSo erwuumlnscht jeder Neuzugang ist so ist doch bei keiner Sammlung das Prunken mit Zahlen weniger am Platze als bei der Fingerabdrucksammlungldquo erklaumlrte Friedrich Tenner vom Muumlnchner Erkenshynungsdienst 1918 (Tenner 1918) Viele Daktyloskopen warnten davor die Sammshylungen zu groszlig werden zu lassen Das Proshyblem bestand darin dass die Einteilung der Fingerabdruumlcke auf einer gleichmaumlszligigen Verteilung der Muster beruhte was aber nicht der Fall ist Es gibt Grundmuster die statistisch deutlich haumlufiger auftreten Bis zur Umstellung auf computergestuumltzte Datenbanken (AFIS) in den 1980er Jahshyren verursachte die Ungleichverteilung Schwierigkeiten wie der Kriminalbeamte

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Helmut Prante erklaumlrt bdquoDas herkoumlmmshyliche Klassifizier- und Registrierverfahren beruhte auf falschen Praumlmissen und lieszlig damit Sammlungen entstehen die zunehshymend ihre Selektionsfaumlhigkeit einbuumlszligten ohne allerdings die Qualitaumlt der mit ihnen erzielten Ergebnisse in Frage zu stellenldquo (Prante 1982 70) Die Ungleichverteishylung beim deutschen Bundeskriminalamt war so eklatant dass ein Ablagefach sogar 25 Prozent aller gesammelten Fingerabshydruckformulare enthielt Experten in den 1920er Jahren hielten 300000 Fingerabshydruckblaumltter fuumlr die Belastungsgrenze von daktyloskopischen Registraturen

bioMetrie Von Datenschutz war in den fruumlhen Jahshyren erkennungsdienstlicher Polizeiarbeit noch keine Rede Allerdings diskutierten Kriminalbeamte ob die Speicherung in den biometrischen Registraturen eine Art Kriminalisierung fuumlr die betroffenen Pershysonen darstellen koumlnnte Beispielsweise lehnten Vertreter der Sicherheitsbehoumlrden auf einer Polizeikonferenz in Berlin 1912 die Einfuumlhrung von Fingerabdruumlcken auf Ausweisdokumenten ab weil sie Widershystand befuumlrchteten denn bdquo[d]er Daktyloshyskopierte muumlsse sich wie ein Verbrecher vorkommenldquo3 Ein anderes Bespiel betrifft die Polizeifotografie und anthropometrishysche Erfassung Im Mai 1902 wurden zwei Teilnehmer eines Streiks in Wien verhafshytet Wie die Arbeiterzeitung berichtete bdquoEinige Polizisten haben sich dieser Tage eine unglaubliche Frechheit erlaubt Sie haben zwei bei einer Streikdemonstration wegen Nichtfolgeleistung arretierte Arshybeiter fuumlr das Verbrecheralbum photograshyphiert und sie der beschaumlmenden Prozedur der Koumlrpermessung wie sie bei Verbreshychern angewendet wird unterzogenldquo (Arshybeiterzeitung 1902) Obwohl ein Vertreter der Wiener Polizeidirektion betonte dass in der erkennungsdienstlichen Behandlung

bdquonichts Diffamierendesldquo zu erkennen waumlre und es sich lediglich um eine Prozedur zur Feststellung der Identitaumlt gehandelt haumltte wurden die Informationen der beiden wieshyder geloumlscht

Biometrische Techniken werden zunehshymend auszligerhalb kriminalpolizeilicher Kontexte verwendet und dienen der Verishyfizierung und Authentifizierung von Pershysonen Das kriminalisierende Stigma das die Erfassung durch biometrische Verfahren im 20 Jahrhundert kennzeichshynete haben die Techniken inzwischen verloren weshalb es kein Problem mehr darstellt Fingerabdrucksensoren in Moshybiltelefonen zu verbauen Gegenwaumlrtig sind biometrische Techniken zu einem groszligen Wirtschaftsfaktor innerhalb der Sishycherheitsbranche geworden die vor allem als zeitsparende und praktikable Anwenshydungen verkauft werden und die gleichzeishytig ein Sicherheitsversprechen beinhalten Ausgeblendet wird jedoch dass die groszlige Uumlberzeugungskraft dieser Verfahren nicht zuletzt ihrem kriminalpolizeilichen Entsteshyhungshintergrund geschuldet ist ndash dessen Wurzeln Ende des 19 Jahrhunderts liegen

Gerade das Jahrzehnt nach 911 war geshypraumlgt vom Ausbau und der Vernetzung staatshylicher Sicherheitszentralen Innerhalb der EU zaumlhlen beispielsweise das EURODAC-Programm bei dem die Fingerabdruumlcke aller Asylwerberinnen und Asylwerber uumlber 14 Jahre in einer zentralen Datenbank gespeichert werden und das bdquoSchengen Information Systemldquo (SIS) ndash eine Datenshybank zur Personen- und Sachenfahndung ndash zu wichtigen Informationszentralen Im Pruumlmer Vertrag von 2005 wurde der Datenbankzugriff von Polizei- und Strafshyverfolgungsbehoumlrden bei entsprechenden Behoumlrden anderer Vertragsstaaten geregelt (PrainsackToom 2010)

Seit Erfindung von Biometrie als staatshylicher Kontrolltechnik Ende des 19 Jahrshyhunderts laumlsst sich eine enge Verbindung

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zwischen Mobilitaumlt Migration und Krishyminalitaumlt zeigen Katja Aas bezeichnet die Uumlberlappung der beiden Bereiche bdquocrime controlldquo und bdquomigration controlldquo als bdquoCrimmigrationldquo (Aas 2011 334ndash335)

fazit Die Frage nach technischen Hilfsmitteln zur Verfolgung von (potentiellen) Strafshytaumlterinnen und Straftaumltern ist nicht neu sondern befindet sich schon seit ihrer Entshystehung im Gefolge der Verbrechensbeshykaumlmpfung Was sich geaumlndert hat sind die Dimensionen der Datenanalyse sowohl was die Menge der Informationssammshylungen betrifft als auch die Moumlglichkeiten ihrer Auswertung

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Die Geschichte der Identifizierungsshytechniken Ende des 19 Jahrhunderts ist eng verbunden mit der Entstehung einer Kriminalpolizei die zunaumlchst noch als Sishycherheitsbureau bezeichnet wurde Durch die Implementierung biometrischer Identishyfizierungstechniken gelang es in den Jahshyren von 1870 bis 1914 Erkennungsdienste als zentrale polizeiliche Daten- und Inshyformationssammelstellen zu etablieren In weiterer Folge schufen die Sicherheitsbeshyhoumlrden uumlberregionale kriminalpolizeiliche Strukturen die der Logik zentraler Inforshymationssammlung und dem Austausch biometrischer Datenblaumltter geschuldet washyren Diese Struktur entspricht heute dem Landes- bzw Bundeskriminalamt

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1 Schreiben der Polizeidirektion Wien

Z 1253 vom 23 April 1900 Betreff Beshy

zug auf den Erlass des Innenministerishy

ums vom 23 Februar 1900 Z 44305 ex

1899 in Oumlsterreichisches Staatsarchiv

Allgemeines Verwaltungsarchiv (AVA)

Bestand Justizministerium Karton 3883 2 Bericht Camillo Windts von der Poshy

lizeikonferenz 1897 in Berlin Akt des

Justizministeriums Z 8402 vom 3 April

1898 in Oumlsterreichisches Staatsarchiv

Allgemeines Verwaltungsarchiv (AVA)

Bestand Justizministerium Karton 3883 3 Paul Koettig Referat 1 Einheitliche

Regelung des polizeilichen Erkennungsshy

dienstes hinsichtlich der Anthropomeshy

trie und Daktyloskopie Polizeikonferenz

1912 in Bayerisches Hauptstaatsarchiv

(BayHStA) MA 92813

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zierungstechniken zwischen Praxis und Visionldquo

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The Fingerprint Inquiry Online httpwww

thefingerprintinquiryscotlandorguk

Page 5: Die Anfänge der Erkennungsdienste. Einführung ... · zierungstechniken Anthropometrie (Körpervermessung) und Daktyloskopie (Fingerab druckverfahren). Die Techniken veränderten

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den erhoumlhten Kommunikationsaufwand zu bewaumlltigen Je wichtiger die Registraturen und der Zugriff auf persoumlnliche Informashytionen wurden desto staumlrker erfolgte ein Ruumlckgriff auf biometrische Daten da die Polizeiexperten nach Verfahren suchten die die Verknuumlpfung der Daten mit vershydaumlchtigen Personen unzweifelhaft garanshytieren sollten

Bei der Sammlung und dem Austausch groszliger personenbezogener Datenbestaumlnde sahen sich die Beamten der Erkennungsshydienste mit Herausforderungen konfronshytiert die sich im Laufe der Zeit scheinbar nicht wesentlich veraumlnderten Zentrale Fragen waren Wie laumlsst sich effektiv auf die gesammelten Informationen zugreishyfen Wie lassen sich die Datenbestaumlnde miteinander verknuumlpfen Und Was laumlsst sich mit der Benutzung der Informatioshynen erreichen und wie laumlsst sich die Quashylitaumlt der Sammlung uumlber einen laumlngeren Zeitraum sicherstellen Camillo Windt spaumlterer Leiter des Wiener Erkennungsshydienstes stellte den Umgang mit Polizeishyfotografien 1897 in seiner bisherigen Form in Frage bdquoIm Verbrecheralbum Wiens befinden sich bei 20000 von Polizeibeshyhoumlrden Strafanstalten hi und da auch von Gerichten angefertigte Bilder Taumlglich laushyfen bei der Wiener Polizeidirektion mehshyrere Zuschriften aus der Provinz und dem Ausland ein mit welchen die Photograshyphie eines angehaltenen Individuums zum Zweck der Identifizierung eingefordert wird Hunderte oft tausende von Bildern muumlssen dann abgesucht werden und es ist geradezu ein Wunder wenn es gluumlckt unshyter den 20000 zumeist schlechten Photoshygraphien die richtige zu findenldquo2 Bereits 1880 kam ein Beamter nach Evaluierung der Verbrecheralben zu dem Schluss dass die Verwendung der Fotografien bdquoermuumlshydendldquo und bdquonutzlosldquo waumlre Mit der Einshyrichtung von Erkennungsdiensten und der Einfuumlhrung der Anthropometrie reagierten

die Polizeibehoumlrden auf die Probleme mit der Informationsverwaltung

Ausloumlser fuumlr die offizielle Einfuumlhrung und Schaffung eines Erkennungsdienstes bei der Wiener Polizeidirektion war eine Polizeikonferenz in Berlin im Dezember 1897 an der Windt als Vertreter des Inshynenministeriums teilnahm und auf der die Einfuumlhrung der Anthropometrie beschlosshysen wurde Das systematische Sammeln und Verarbeiten von Informationen wurde ein immer wichtigeres Element des polizeishylichen Selbstverstaumlndnisses bdquoInformation und Evidenz sind das Um und Auf der Poshylizei in allen ihren Zweigen die erste Voshyraussetzung fuumlr ihre Taumltigkeitldquo schrieb der Kriminalbeamte Anton Walitschek in den 1930er Jahren Die Fahndungsevidenzen der Wiener Polizeidirektion bestand 1920 aus einer groszligen Liste an unterschiedshylichen Sammlungen und enthielt unter anderem folgende Evidenzen Namensshyevidenz Taumlterevidenz Personenevidenz Faktenevidenz Sachenevidenz Vorstrashyfenevidenz Gemeinschaumldlichen-Evidenz Lichtbildersammlung Zettelindex mit beshysonderen Kennzeichen Spitznamenindex Handschriftensammlung dakytyloskopishysche Registratur (Polizeidirektion Wien 1920 189ndash190)

Die Erkennungsdienste spielten eine Schluumlsselrolle bei der Modernisierung der Verbrechensbekaumlmpfung weshalb Identifizierungstechniken die in Fachkreishysen und der allgemeinen Oumlffentlichkeit am haumlufigsten diskutierten Methoden der Kriminalpolizei waren (Jaumlger 2006 381) Die Reform des oumlffentlichen Sicherheitsshywesens im 19 Jahrhundert ging einher mit dem Ausbau der behoumlrdlichen Strategien zur Identifizierung von Individuen

fingerabDruckverfahren Techniken zur Identifizierung von Pershysonen hatten eine besondere Bedeutung Sie stellten sicher dass die erhobenen

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Daten richtig zugeordnet wurden und nicht mehrere Aktensaumltze fuumlr eine Person exisshytierten Das konnte passieren wenn ein Verdaumlchtiger der bereits in einer erkenshynungsdienstlichen Sammlung registriert war mit gefaumllschten Papieren unterwegs war oder bei seiner Einvernahme einen anderen Namen angab Bemerkte dies der ermittelnde Beamte nicht oder wurde der Datensatz unter dem der Verdaumlchtige bereits gespeichert war diesem nicht zushygeordnet wurde ein neuer Registereinshytrag angelegt Der Anspruch von Erkenshynungsdiensten ist es bdquodurch Anwendung technischer Verfahren die Identitaumlt einer Person zweifelsfrei festzustellenldquo und pershysonenbezogene Daten in Evidenz zu halten (Schmid 2001 19)

Bei der Wiener Polizeidirektion laumlsst sich schon zu Beginn des 19 Jahrhunderts die Idee einer bdquoununterbrochenen Evidenzldquo nachweisen Aber wie unterscheiden sich biometrische Techniken von den vorheshyrigen Verfahren Der Begriff bdquoBiometrieldquo wurde zwar vor Einfuumlhrung der Anthroposhymetrie bereits verwendet allerdings nicht im Umfeld von Polizei- und Sicherheitsshywesen sondern als eine Form von bdquoBioshyarithmetikldquo Seine Bedeutung unterschied sich noch deutlich vom gegenwaumlrtigen Gebrauch In einem Woumlrterbuch von 1832 heiszligt es uumlber Biometrie es handle sich um eine bdquoLebens-Meszlig- und Rechnungskunstldquo (Krug 1832 364) Als biometrische Daten werden heute alle koumlrpereigenen Merkshymale oder Verhaltensstrukturen bezeichshynet die weder simuliert werden koumlnnen noch einer Veraumlnderung unterliegen Die Identifizierung von Individuen durch bioshymetrische Merkmale basiert deshalb auf der Annahme dass sie einen Menschen eindeutig und zweifelsfrei kennzeichnen

Das neue Element biometrischer Verfahshyren bestand darin dass die gespeicherten Merkmale zunaumlchst in einem Abstrakshytionsschritt klassifiziert und in Formeln

uumlbersetzt wurden Mit Hilfe dieser Forshymeln wurden die Informationen in die ershykennungsdienstlichen Sammlungen abgeshylegt Die koumlrperlichen Merkmale wurden zu Indizes fuumlr die Registraturen Das heiszligt im Falle der Anthropometrie dass die geshymessenen Koumlrpermaszlige jeweils in die Kashytegorien bdquokleinldquo bdquomittelldquo und bdquogroszligldquo einshygeteilt wurden (siehe Abbildung 1 Seite 5) und die Signalementkarte anschlieszligend in das entsprechende Fach der Registratur einsortiert wurde

Nur wenige Jahre nach Einfuumlhrung der Anthropometrie gaben die Erkennungsshydienste das Vermessen von Personen wieder auf und setzten stattdessen auf die Identifizierung durch Fingerabdruumlcke Die Bertillonage konnte sich zwar nicht durchshysetzen schuf aber institutionell die Grundshylagen fuumlr Erkennungsdienste Immer wieshyder tauchte das Argument auf dass auf Grund der Komplexitaumlt der Anwendung die Qualitaumlt nicht zu garantieren sei denn am Ende entschied die Messgenauigkeit daruumlber ob eine Person identifiziert wer-

Quelle Anhang aus k k Polizeidirektion Wien Erkennungsamt (1911)

Abb 3 Daktyloskopie Anleitung zur Anfertigung von Fingerabdruumlcken fuumlr Identifizierungszwecke

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den konnte oder nicht Die Abnahme von Fingerabdruumlcken ging dagegen schneller als das Vermessen einer Person und beshynoumltigte deutlich weniger Uumlbung als die Vermessungsprozedur Um die daktyloshyskopischen Register durchsuchbar zu mashychen wurden die Muster nach einem Schema in eine Formel uumlbersetzt die Klassifikationsnummer (siehe Abbildung 3 Seite 8) Dazu mussten die Daktyloskopen die Grundmuster ndash Wirbel Schleife oder Bogen ndash notieren und gegebenenfalls die Rillenanzahl an einigen Fingern bestimshymen

Das Verfahren das dem Vergleich von Fingerabdruumlcken zu Grunde liegt wird als bdquopattern recognitionldquo bezeichnet und ist Teil der Interpretationsleistung bei biometrischen Verfahren Das heiszligt eine (computergestuumltzte) Identifizierung durch Fingerabdruumlcke auf dieser Basis beruht auf Wahrscheinlichkeiten die durch die drei Parameter bdquoFalse Acceptance Rateldquo (FAR) bdquoFalse Rejection Rateldquo (FRR) und bdquoEqual Error Rateldquo (EER) charakterisiert werden koumlnnen (Kammerer 2008 203) Fuumlr jede biometrische Technik muumlssen Krishyterien und Grenzwerte festgelegt werden ab wann eine Uumlbereinstimmung zwischen den gespeicherten und zu vergleichenden Koumlrpermerkmalen vorliegt und wie viele Merkmale fuumlr eine Identifizierung uumlbershyeinstimmen muumlssen In Oumlsterreich werden fuumlr ein Gerichtsgutachten mindestens zwoumllf Uumlbereinstimmungen gefordert Das Fehlen einer Forschungspraxis fuumlhrte 2011 zu einer viel beachteten und grundlegenshyden Kritik gegenuumlber den bdquopattern idenshytification disciplinesldquo Diverse Autoren und Autorinnen darunter Simon Cole und Jennifer Mnookin forderten darin eine breitere wissenschaftliche Fundierung fuumlr die bdquonon-DNA forensic sciencesldquo (Cole Mnookin 2011)

Das Fingerabdruckverfahren erfuhr ab 1903 eine enorme Verbreitung bei Erkenshy

nungsdiensten und steigerte die Zahl an ershyfassten Personen im Gegensatz zur Anthroshypometrie ganz erheblich Zwei Tendenzen lassen sich bei der Ausweitung biometrishyscher Identifizierungstechnik beobachten Einerseits die Vision einer allumfassenden Erfassung und andererseits kritische Stimshymen die vor zu groszligen Datensammlungen warnten Die Vision vieler Kriminalisten bestand in der Errichtung eines weltumshyspannenden Netzes an daktyloskopischen Stationen (Roscher 1904 129) Am Ende sollte ein System luumlckenloser Zuordenbarshykeit zwischen Individuen und begangener Straftaten stehen bdquoAlle diese zentralen Einrichtungen muumlssen in engster Fuumlhshylungnahme Hand in Hand miteinander arbeiten [] Wenn in ganz Deutschland die Zentralisierung und Systematisierung des Kriminaldienstes soweit erforderlich durchgefuumlhrt ist dann wird es einem beshyrufsmaumlszligigen reisenden Verbrecher nicht gelingen sich auf laumlngere Dauer dem engshymaschigen Netze der ihn verfolgenden krishyminalpolizeilichen Maszlignahmen entziehen zu koumlnnenldquo (Palitzsch 1927 171) Entgeshygen der Vision allgegenwaumlrtiger Erfassung von Straftaumltern ergaben sich fuumlr die Anwenshydung der biometrischen Register deutliche Grenzen bdquoSo erwuumlnscht jeder Neuzugang ist so ist doch bei keiner Sammlung das Prunken mit Zahlen weniger am Platze als bei der Fingerabdrucksammlungldquo erklaumlrte Friedrich Tenner vom Muumlnchner Erkenshynungsdienst 1918 (Tenner 1918) Viele Daktyloskopen warnten davor die Sammshylungen zu groszlig werden zu lassen Das Proshyblem bestand darin dass die Einteilung der Fingerabdruumlcke auf einer gleichmaumlszligigen Verteilung der Muster beruhte was aber nicht der Fall ist Es gibt Grundmuster die statistisch deutlich haumlufiger auftreten Bis zur Umstellung auf computergestuumltzte Datenbanken (AFIS) in den 1980er Jahshyren verursachte die Ungleichverteilung Schwierigkeiten wie der Kriminalbeamte

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Helmut Prante erklaumlrt bdquoDas herkoumlmmshyliche Klassifizier- und Registrierverfahren beruhte auf falschen Praumlmissen und lieszlig damit Sammlungen entstehen die zunehshymend ihre Selektionsfaumlhigkeit einbuumlszligten ohne allerdings die Qualitaumlt der mit ihnen erzielten Ergebnisse in Frage zu stellenldquo (Prante 1982 70) Die Ungleichverteishylung beim deutschen Bundeskriminalamt war so eklatant dass ein Ablagefach sogar 25 Prozent aller gesammelten Fingerabshydruckformulare enthielt Experten in den 1920er Jahren hielten 300000 Fingerabshydruckblaumltter fuumlr die Belastungsgrenze von daktyloskopischen Registraturen

bioMetrie Von Datenschutz war in den fruumlhen Jahshyren erkennungsdienstlicher Polizeiarbeit noch keine Rede Allerdings diskutierten Kriminalbeamte ob die Speicherung in den biometrischen Registraturen eine Art Kriminalisierung fuumlr die betroffenen Pershysonen darstellen koumlnnte Beispielsweise lehnten Vertreter der Sicherheitsbehoumlrden auf einer Polizeikonferenz in Berlin 1912 die Einfuumlhrung von Fingerabdruumlcken auf Ausweisdokumenten ab weil sie Widershystand befuumlrchteten denn bdquo[d]er Daktyloshyskopierte muumlsse sich wie ein Verbrecher vorkommenldquo3 Ein anderes Bespiel betrifft die Polizeifotografie und anthropometrishysche Erfassung Im Mai 1902 wurden zwei Teilnehmer eines Streiks in Wien verhafshytet Wie die Arbeiterzeitung berichtete bdquoEinige Polizisten haben sich dieser Tage eine unglaubliche Frechheit erlaubt Sie haben zwei bei einer Streikdemonstration wegen Nichtfolgeleistung arretierte Arshybeiter fuumlr das Verbrecheralbum photograshyphiert und sie der beschaumlmenden Prozedur der Koumlrpermessung wie sie bei Verbreshychern angewendet wird unterzogenldquo (Arshybeiterzeitung 1902) Obwohl ein Vertreter der Wiener Polizeidirektion betonte dass in der erkennungsdienstlichen Behandlung

bdquonichts Diffamierendesldquo zu erkennen waumlre und es sich lediglich um eine Prozedur zur Feststellung der Identitaumlt gehandelt haumltte wurden die Informationen der beiden wieshyder geloumlscht

Biometrische Techniken werden zunehshymend auszligerhalb kriminalpolizeilicher Kontexte verwendet und dienen der Verishyfizierung und Authentifizierung von Pershysonen Das kriminalisierende Stigma das die Erfassung durch biometrische Verfahren im 20 Jahrhundert kennzeichshynete haben die Techniken inzwischen verloren weshalb es kein Problem mehr darstellt Fingerabdrucksensoren in Moshybiltelefonen zu verbauen Gegenwaumlrtig sind biometrische Techniken zu einem groszligen Wirtschaftsfaktor innerhalb der Sishycherheitsbranche geworden die vor allem als zeitsparende und praktikable Anwenshydungen verkauft werden und die gleichzeishytig ein Sicherheitsversprechen beinhalten Ausgeblendet wird jedoch dass die groszlige Uumlberzeugungskraft dieser Verfahren nicht zuletzt ihrem kriminalpolizeilichen Entsteshyhungshintergrund geschuldet ist ndash dessen Wurzeln Ende des 19 Jahrhunderts liegen

Gerade das Jahrzehnt nach 911 war geshypraumlgt vom Ausbau und der Vernetzung staatshylicher Sicherheitszentralen Innerhalb der EU zaumlhlen beispielsweise das EURODAC-Programm bei dem die Fingerabdruumlcke aller Asylwerberinnen und Asylwerber uumlber 14 Jahre in einer zentralen Datenbank gespeichert werden und das bdquoSchengen Information Systemldquo (SIS) ndash eine Datenshybank zur Personen- und Sachenfahndung ndash zu wichtigen Informationszentralen Im Pruumlmer Vertrag von 2005 wurde der Datenbankzugriff von Polizei- und Strafshyverfolgungsbehoumlrden bei entsprechenden Behoumlrden anderer Vertragsstaaten geregelt (PrainsackToom 2010)

Seit Erfindung von Biometrie als staatshylicher Kontrolltechnik Ende des 19 Jahrshyhunderts laumlsst sich eine enge Verbindung

10

-

zwischen Mobilitaumlt Migration und Krishyminalitaumlt zeigen Katja Aas bezeichnet die Uumlberlappung der beiden Bereiche bdquocrime controlldquo und bdquomigration controlldquo als bdquoCrimmigrationldquo (Aas 2011 334ndash335)

fazit Die Frage nach technischen Hilfsmitteln zur Verfolgung von (potentiellen) Strafshytaumlterinnen und Straftaumltern ist nicht neu sondern befindet sich schon seit ihrer Entshystehung im Gefolge der Verbrechensbeshykaumlmpfung Was sich geaumlndert hat sind die Dimensionen der Datenanalyse sowohl was die Menge der Informationssammshylungen betrifft als auch die Moumlglichkeiten ihrer Auswertung

22015

Die Geschichte der Identifizierungsshytechniken Ende des 19 Jahrhunderts ist eng verbunden mit der Entstehung einer Kriminalpolizei die zunaumlchst noch als Sishycherheitsbureau bezeichnet wurde Durch die Implementierung biometrischer Identishyfizierungstechniken gelang es in den Jahshyren von 1870 bis 1914 Erkennungsdienste als zentrale polizeiliche Daten- und Inshyformationssammelstellen zu etablieren In weiterer Folge schufen die Sicherheitsbeshyhoumlrden uumlberregionale kriminalpolizeiliche Strukturen die der Logik zentraler Inforshymationssammlung und dem Austausch biometrischer Datenblaumltter geschuldet washyren Diese Struktur entspricht heute dem Landes- bzw Bundeskriminalamt

SIAK JOURNAL

1 Schreiben der Polizeidirektion Wien

Z 1253 vom 23 April 1900 Betreff Beshy

zug auf den Erlass des Innenministerishy

ums vom 23 Februar 1900 Z 44305 ex

1899 in Oumlsterreichisches Staatsarchiv

Allgemeines Verwaltungsarchiv (AVA)

Bestand Justizministerium Karton 3883 2 Bericht Camillo Windts von der Poshy

lizeikonferenz 1897 in Berlin Akt des

Justizministeriums Z 8402 vom 3 April

1898 in Oumlsterreichisches Staatsarchiv

Allgemeines Verwaltungsarchiv (AVA)

Bestand Justizministerium Karton 3883 3 Paul Koettig Referat 1 Einheitliche

Regelung des polizeilichen Erkennungsshy

dienstes hinsichtlich der Anthropomeshy

trie und Daktyloskopie Polizeikonferenz

1912 in Bayerisches Hauptstaatsarchiv

(BayHStA) MA 92813

Quellenangaben

Aas Katja (2011) bdquoCrimmigrantldquo Bodies

and Bona Fide Travelers Surveillance

Citizenship and Global Governance

Theoretical Criminology (15) 331ndash346

Arbeiterzeitung Zentralorgan der Soshy

zialistischen Partei Oumlsterreichs (1902)

22051902

Bader Emil (1905) Wiener Verbrecher

Berlin

Cole SimonMnookin Jennifer (2011)

The Need for a Research Culture in the

Forensic Sciences UCLA Law Review

(58) 725ndash779

Groebner Valentin (2004) Der Schein

der Person Steckbrief Ausweis und

Kontrolle im Europa des Mittelalters

Muumlnchen

Gross Hans (1903) Das Erkennungsamt

der kk Policeidirection in Wien Archiv

fuumlr Kriminal-Anthropologie und Krimishy

nalistik (10) 115ndash168

Gruber Stephan (2013) Ununterbrochene

Evidenz KK Polizeibehoumlrden und die

Dokumentation von Identitaumlten 1782ndash

1867 Dissertation Universitaumlt Wien

Jaumlger Jens (2006) Verfolgung durch

Verwaltung Internationales Verbrechen

und internationale Polizeikooperation

1880ndash1933 Konstanz

Kammerer Dietmar (2008) Bilder der

Uumlberwachung Frankfurt aM

Krug Wilhelm T (1832) Allgemeines

Handwoumlrterbuch der philosophischen

Wissenschaften nebst ihrer Literatur und

Geschichte 1 Band A-E Leipzig

Palitzsch Friedrich J (1927) System

der Verbrechensbekaumlmpfung Kriminalisshy

tische Monatshefte ndash Zeitschrift fuumlr die

gesamte kriminalistische Wissenschaft

(8) 169ndash171

Polizeidirektion Wien (Hg) (1920) Die

Kriminalpolizei Leitfaden zum Gebraushy

che fuumlr die Sicherheitsorgane Wien

Prainsack BarbaraToom Viktor (2010)

The Pruumlm Regime Situated DisEmshy

powerment in Transnational DNA Profile

Exchange British Journal of Criminoshy

logy 6 (50) 1117ndash1135

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SIAK JOURNAL

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Prante Helmut (1982) Die Personenerkenshy

nung Daktyloskopie gestern ndash heute ndash morgen

Wiesbaden

Roscher Gustav (1904) Die daktyloskopische

Registratur Archiv fuumlr Kriminal-Anthropologie

und Kriminalistik (17) 129ndash141

Schmid Reinhard (2001) Erkennungsdienstliche

Maszlignahmen nach dem Sicherheitspolizeigesetz

Wien

Tenner Friedrich (1918) Der Erkennungsdienst

der Polizeidirektion Muumlnchen und die Zigeunershy

polizeistelle Muumlnchen im Jahre 1917 Deutsche

Strafrechtszeitung Zentralorgan fuumlr das gesamte

Strafrecht Strafprozeszlig und die verwandten Geshy

biete in Wissenschaft und Praxis des In- und Ausshy

landes 5 (34) 99ndash101

Wagner Patrick (1996) Volksgemeinschaft ohne

Verbrecher Konzeptionen und Praxis der Krimishy

nalpolizei in der Zeit der Weimarer Republik und

des Nationalsozialismus Hamburg

Weiterfuumlhrende Literatur und Links

About Ilsen et al (2013) Identification and

Registration Practices in Transnational Perspecshy

tive People Papers and Practices New York

Becker Peter (2005) Dem Taumlter auf der Spur

Eine Geschichte der Kriminalistik Darmstadt

Caplan JaneTorpey John (Hg) (2001) Docushy

menting Individual Identity The Development of

State Practices in the Modern World Princeton

Cole Simon (2002) Suspect Identities A History

of Fingerprinting and Criminal Identification

Cambridge

Gross Hans (1893) Handbuch fuumlr Untersuchungsshy

richter Polizeibeamte Gendarmen usw Graz

Higgs Edward (2011) Identifying the English

A History of Personal Identification 1500 to the

Present LondonNew York

Mentzel Walter (2007) Tatorte und Taumlter Polishy

zeiphotographie in Wien 1870ndash1938 Wien

Vec Miloš (2002) Die Spur des Taumlters Meshy

thoden der Identifikation in der Kriminalistik

(1879ndash1933) Baden-Baden

Forschungsprojekt zur Geschichte von Identishy

fizierungstechniken an der Universitaumlt Wien

bdquoVerdaten Klassifizieren Archivieren Identifishy

zierungstechniken zwischen Praxis und Visionldquo

Online httpidentifizierungorg

The Fingerprint Inquiry Online httpwww

thefingerprintinquiryscotlandorguk

Page 6: Die Anfänge der Erkennungsdienste. Einführung ... · zierungstechniken Anthropometrie (Körpervermessung) und Daktyloskopie (Fingerab druckverfahren). Die Techniken veränderten

-SIAK JOURNAL

22015

Daten richtig zugeordnet wurden und nicht mehrere Aktensaumltze fuumlr eine Person exisshytierten Das konnte passieren wenn ein Verdaumlchtiger der bereits in einer erkenshynungsdienstlichen Sammlung registriert war mit gefaumllschten Papieren unterwegs war oder bei seiner Einvernahme einen anderen Namen angab Bemerkte dies der ermittelnde Beamte nicht oder wurde der Datensatz unter dem der Verdaumlchtige bereits gespeichert war diesem nicht zushygeordnet wurde ein neuer Registereinshytrag angelegt Der Anspruch von Erkenshynungsdiensten ist es bdquodurch Anwendung technischer Verfahren die Identitaumlt einer Person zweifelsfrei festzustellenldquo und pershysonenbezogene Daten in Evidenz zu halten (Schmid 2001 19)

Bei der Wiener Polizeidirektion laumlsst sich schon zu Beginn des 19 Jahrhunderts die Idee einer bdquoununterbrochenen Evidenzldquo nachweisen Aber wie unterscheiden sich biometrische Techniken von den vorheshyrigen Verfahren Der Begriff bdquoBiometrieldquo wurde zwar vor Einfuumlhrung der Anthroposhymetrie bereits verwendet allerdings nicht im Umfeld von Polizei- und Sicherheitsshywesen sondern als eine Form von bdquoBioshyarithmetikldquo Seine Bedeutung unterschied sich noch deutlich vom gegenwaumlrtigen Gebrauch In einem Woumlrterbuch von 1832 heiszligt es uumlber Biometrie es handle sich um eine bdquoLebens-Meszlig- und Rechnungskunstldquo (Krug 1832 364) Als biometrische Daten werden heute alle koumlrpereigenen Merkshymale oder Verhaltensstrukturen bezeichshynet die weder simuliert werden koumlnnen noch einer Veraumlnderung unterliegen Die Identifizierung von Individuen durch bioshymetrische Merkmale basiert deshalb auf der Annahme dass sie einen Menschen eindeutig und zweifelsfrei kennzeichnen

Das neue Element biometrischer Verfahshyren bestand darin dass die gespeicherten Merkmale zunaumlchst in einem Abstrakshytionsschritt klassifiziert und in Formeln

uumlbersetzt wurden Mit Hilfe dieser Forshymeln wurden die Informationen in die ershykennungsdienstlichen Sammlungen abgeshylegt Die koumlrperlichen Merkmale wurden zu Indizes fuumlr die Registraturen Das heiszligt im Falle der Anthropometrie dass die geshymessenen Koumlrpermaszlige jeweils in die Kashytegorien bdquokleinldquo bdquomittelldquo und bdquogroszligldquo einshygeteilt wurden (siehe Abbildung 1 Seite 5) und die Signalementkarte anschlieszligend in das entsprechende Fach der Registratur einsortiert wurde

Nur wenige Jahre nach Einfuumlhrung der Anthropometrie gaben die Erkennungsshydienste das Vermessen von Personen wieder auf und setzten stattdessen auf die Identifizierung durch Fingerabdruumlcke Die Bertillonage konnte sich zwar nicht durchshysetzen schuf aber institutionell die Grundshylagen fuumlr Erkennungsdienste Immer wieshyder tauchte das Argument auf dass auf Grund der Komplexitaumlt der Anwendung die Qualitaumlt nicht zu garantieren sei denn am Ende entschied die Messgenauigkeit daruumlber ob eine Person identifiziert wer-

Quelle Anhang aus k k Polizeidirektion Wien Erkennungsamt (1911)

Abb 3 Daktyloskopie Anleitung zur Anfertigung von Fingerabdruumlcken fuumlr Identifizierungszwecke

8

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22015 SIAK JOURNAL

den konnte oder nicht Die Abnahme von Fingerabdruumlcken ging dagegen schneller als das Vermessen einer Person und beshynoumltigte deutlich weniger Uumlbung als die Vermessungsprozedur Um die daktyloshyskopischen Register durchsuchbar zu mashychen wurden die Muster nach einem Schema in eine Formel uumlbersetzt die Klassifikationsnummer (siehe Abbildung 3 Seite 8) Dazu mussten die Daktyloskopen die Grundmuster ndash Wirbel Schleife oder Bogen ndash notieren und gegebenenfalls die Rillenanzahl an einigen Fingern bestimshymen

Das Verfahren das dem Vergleich von Fingerabdruumlcken zu Grunde liegt wird als bdquopattern recognitionldquo bezeichnet und ist Teil der Interpretationsleistung bei biometrischen Verfahren Das heiszligt eine (computergestuumltzte) Identifizierung durch Fingerabdruumlcke auf dieser Basis beruht auf Wahrscheinlichkeiten die durch die drei Parameter bdquoFalse Acceptance Rateldquo (FAR) bdquoFalse Rejection Rateldquo (FRR) und bdquoEqual Error Rateldquo (EER) charakterisiert werden koumlnnen (Kammerer 2008 203) Fuumlr jede biometrische Technik muumlssen Krishyterien und Grenzwerte festgelegt werden ab wann eine Uumlbereinstimmung zwischen den gespeicherten und zu vergleichenden Koumlrpermerkmalen vorliegt und wie viele Merkmale fuumlr eine Identifizierung uumlbershyeinstimmen muumlssen In Oumlsterreich werden fuumlr ein Gerichtsgutachten mindestens zwoumllf Uumlbereinstimmungen gefordert Das Fehlen einer Forschungspraxis fuumlhrte 2011 zu einer viel beachteten und grundlegenshyden Kritik gegenuumlber den bdquopattern idenshytification disciplinesldquo Diverse Autoren und Autorinnen darunter Simon Cole und Jennifer Mnookin forderten darin eine breitere wissenschaftliche Fundierung fuumlr die bdquonon-DNA forensic sciencesldquo (Cole Mnookin 2011)

Das Fingerabdruckverfahren erfuhr ab 1903 eine enorme Verbreitung bei Erkenshy

nungsdiensten und steigerte die Zahl an ershyfassten Personen im Gegensatz zur Anthroshypometrie ganz erheblich Zwei Tendenzen lassen sich bei der Ausweitung biometrishyscher Identifizierungstechnik beobachten Einerseits die Vision einer allumfassenden Erfassung und andererseits kritische Stimshymen die vor zu groszligen Datensammlungen warnten Die Vision vieler Kriminalisten bestand in der Errichtung eines weltumshyspannenden Netzes an daktyloskopischen Stationen (Roscher 1904 129) Am Ende sollte ein System luumlckenloser Zuordenbarshykeit zwischen Individuen und begangener Straftaten stehen bdquoAlle diese zentralen Einrichtungen muumlssen in engster Fuumlhshylungnahme Hand in Hand miteinander arbeiten [] Wenn in ganz Deutschland die Zentralisierung und Systematisierung des Kriminaldienstes soweit erforderlich durchgefuumlhrt ist dann wird es einem beshyrufsmaumlszligigen reisenden Verbrecher nicht gelingen sich auf laumlngere Dauer dem engshymaschigen Netze der ihn verfolgenden krishyminalpolizeilichen Maszlignahmen entziehen zu koumlnnenldquo (Palitzsch 1927 171) Entgeshygen der Vision allgegenwaumlrtiger Erfassung von Straftaumltern ergaben sich fuumlr die Anwenshydung der biometrischen Register deutliche Grenzen bdquoSo erwuumlnscht jeder Neuzugang ist so ist doch bei keiner Sammlung das Prunken mit Zahlen weniger am Platze als bei der Fingerabdrucksammlungldquo erklaumlrte Friedrich Tenner vom Muumlnchner Erkenshynungsdienst 1918 (Tenner 1918) Viele Daktyloskopen warnten davor die Sammshylungen zu groszlig werden zu lassen Das Proshyblem bestand darin dass die Einteilung der Fingerabdruumlcke auf einer gleichmaumlszligigen Verteilung der Muster beruhte was aber nicht der Fall ist Es gibt Grundmuster die statistisch deutlich haumlufiger auftreten Bis zur Umstellung auf computergestuumltzte Datenbanken (AFIS) in den 1980er Jahshyren verursachte die Ungleichverteilung Schwierigkeiten wie der Kriminalbeamte

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Helmut Prante erklaumlrt bdquoDas herkoumlmmshyliche Klassifizier- und Registrierverfahren beruhte auf falschen Praumlmissen und lieszlig damit Sammlungen entstehen die zunehshymend ihre Selektionsfaumlhigkeit einbuumlszligten ohne allerdings die Qualitaumlt der mit ihnen erzielten Ergebnisse in Frage zu stellenldquo (Prante 1982 70) Die Ungleichverteishylung beim deutschen Bundeskriminalamt war so eklatant dass ein Ablagefach sogar 25 Prozent aller gesammelten Fingerabshydruckformulare enthielt Experten in den 1920er Jahren hielten 300000 Fingerabshydruckblaumltter fuumlr die Belastungsgrenze von daktyloskopischen Registraturen

bioMetrie Von Datenschutz war in den fruumlhen Jahshyren erkennungsdienstlicher Polizeiarbeit noch keine Rede Allerdings diskutierten Kriminalbeamte ob die Speicherung in den biometrischen Registraturen eine Art Kriminalisierung fuumlr die betroffenen Pershysonen darstellen koumlnnte Beispielsweise lehnten Vertreter der Sicherheitsbehoumlrden auf einer Polizeikonferenz in Berlin 1912 die Einfuumlhrung von Fingerabdruumlcken auf Ausweisdokumenten ab weil sie Widershystand befuumlrchteten denn bdquo[d]er Daktyloshyskopierte muumlsse sich wie ein Verbrecher vorkommenldquo3 Ein anderes Bespiel betrifft die Polizeifotografie und anthropometrishysche Erfassung Im Mai 1902 wurden zwei Teilnehmer eines Streiks in Wien verhafshytet Wie die Arbeiterzeitung berichtete bdquoEinige Polizisten haben sich dieser Tage eine unglaubliche Frechheit erlaubt Sie haben zwei bei einer Streikdemonstration wegen Nichtfolgeleistung arretierte Arshybeiter fuumlr das Verbrecheralbum photograshyphiert und sie der beschaumlmenden Prozedur der Koumlrpermessung wie sie bei Verbreshychern angewendet wird unterzogenldquo (Arshybeiterzeitung 1902) Obwohl ein Vertreter der Wiener Polizeidirektion betonte dass in der erkennungsdienstlichen Behandlung

bdquonichts Diffamierendesldquo zu erkennen waumlre und es sich lediglich um eine Prozedur zur Feststellung der Identitaumlt gehandelt haumltte wurden die Informationen der beiden wieshyder geloumlscht

Biometrische Techniken werden zunehshymend auszligerhalb kriminalpolizeilicher Kontexte verwendet und dienen der Verishyfizierung und Authentifizierung von Pershysonen Das kriminalisierende Stigma das die Erfassung durch biometrische Verfahren im 20 Jahrhundert kennzeichshynete haben die Techniken inzwischen verloren weshalb es kein Problem mehr darstellt Fingerabdrucksensoren in Moshybiltelefonen zu verbauen Gegenwaumlrtig sind biometrische Techniken zu einem groszligen Wirtschaftsfaktor innerhalb der Sishycherheitsbranche geworden die vor allem als zeitsparende und praktikable Anwenshydungen verkauft werden und die gleichzeishytig ein Sicherheitsversprechen beinhalten Ausgeblendet wird jedoch dass die groszlige Uumlberzeugungskraft dieser Verfahren nicht zuletzt ihrem kriminalpolizeilichen Entsteshyhungshintergrund geschuldet ist ndash dessen Wurzeln Ende des 19 Jahrhunderts liegen

Gerade das Jahrzehnt nach 911 war geshypraumlgt vom Ausbau und der Vernetzung staatshylicher Sicherheitszentralen Innerhalb der EU zaumlhlen beispielsweise das EURODAC-Programm bei dem die Fingerabdruumlcke aller Asylwerberinnen und Asylwerber uumlber 14 Jahre in einer zentralen Datenbank gespeichert werden und das bdquoSchengen Information Systemldquo (SIS) ndash eine Datenshybank zur Personen- und Sachenfahndung ndash zu wichtigen Informationszentralen Im Pruumlmer Vertrag von 2005 wurde der Datenbankzugriff von Polizei- und Strafshyverfolgungsbehoumlrden bei entsprechenden Behoumlrden anderer Vertragsstaaten geregelt (PrainsackToom 2010)

Seit Erfindung von Biometrie als staatshylicher Kontrolltechnik Ende des 19 Jahrshyhunderts laumlsst sich eine enge Verbindung

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zwischen Mobilitaumlt Migration und Krishyminalitaumlt zeigen Katja Aas bezeichnet die Uumlberlappung der beiden Bereiche bdquocrime controlldquo und bdquomigration controlldquo als bdquoCrimmigrationldquo (Aas 2011 334ndash335)

fazit Die Frage nach technischen Hilfsmitteln zur Verfolgung von (potentiellen) Strafshytaumlterinnen und Straftaumltern ist nicht neu sondern befindet sich schon seit ihrer Entshystehung im Gefolge der Verbrechensbeshykaumlmpfung Was sich geaumlndert hat sind die Dimensionen der Datenanalyse sowohl was die Menge der Informationssammshylungen betrifft als auch die Moumlglichkeiten ihrer Auswertung

22015

Die Geschichte der Identifizierungsshytechniken Ende des 19 Jahrhunderts ist eng verbunden mit der Entstehung einer Kriminalpolizei die zunaumlchst noch als Sishycherheitsbureau bezeichnet wurde Durch die Implementierung biometrischer Identishyfizierungstechniken gelang es in den Jahshyren von 1870 bis 1914 Erkennungsdienste als zentrale polizeiliche Daten- und Inshyformationssammelstellen zu etablieren In weiterer Folge schufen die Sicherheitsbeshyhoumlrden uumlberregionale kriminalpolizeiliche Strukturen die der Logik zentraler Inforshymationssammlung und dem Austausch biometrischer Datenblaumltter geschuldet washyren Diese Struktur entspricht heute dem Landes- bzw Bundeskriminalamt

SIAK JOURNAL

1 Schreiben der Polizeidirektion Wien

Z 1253 vom 23 April 1900 Betreff Beshy

zug auf den Erlass des Innenministerishy

ums vom 23 Februar 1900 Z 44305 ex

1899 in Oumlsterreichisches Staatsarchiv

Allgemeines Verwaltungsarchiv (AVA)

Bestand Justizministerium Karton 3883 2 Bericht Camillo Windts von der Poshy

lizeikonferenz 1897 in Berlin Akt des

Justizministeriums Z 8402 vom 3 April

1898 in Oumlsterreichisches Staatsarchiv

Allgemeines Verwaltungsarchiv (AVA)

Bestand Justizministerium Karton 3883 3 Paul Koettig Referat 1 Einheitliche

Regelung des polizeilichen Erkennungsshy

dienstes hinsichtlich der Anthropomeshy

trie und Daktyloskopie Polizeikonferenz

1912 in Bayerisches Hauptstaatsarchiv

(BayHStA) MA 92813

Quellenangaben

Aas Katja (2011) bdquoCrimmigrantldquo Bodies

and Bona Fide Travelers Surveillance

Citizenship and Global Governance

Theoretical Criminology (15) 331ndash346

Arbeiterzeitung Zentralorgan der Soshy

zialistischen Partei Oumlsterreichs (1902)

22051902

Bader Emil (1905) Wiener Verbrecher

Berlin

Cole SimonMnookin Jennifer (2011)

The Need for a Research Culture in the

Forensic Sciences UCLA Law Review

(58) 725ndash779

Groebner Valentin (2004) Der Schein

der Person Steckbrief Ausweis und

Kontrolle im Europa des Mittelalters

Muumlnchen

Gross Hans (1903) Das Erkennungsamt

der kk Policeidirection in Wien Archiv

fuumlr Kriminal-Anthropologie und Krimishy

nalistik (10) 115ndash168

Gruber Stephan (2013) Ununterbrochene

Evidenz KK Polizeibehoumlrden und die

Dokumentation von Identitaumlten 1782ndash

1867 Dissertation Universitaumlt Wien

Jaumlger Jens (2006) Verfolgung durch

Verwaltung Internationales Verbrechen

und internationale Polizeikooperation

1880ndash1933 Konstanz

Kammerer Dietmar (2008) Bilder der

Uumlberwachung Frankfurt aM

Krug Wilhelm T (1832) Allgemeines

Handwoumlrterbuch der philosophischen

Wissenschaften nebst ihrer Literatur und

Geschichte 1 Band A-E Leipzig

Palitzsch Friedrich J (1927) System

der Verbrechensbekaumlmpfung Kriminalisshy

tische Monatshefte ndash Zeitschrift fuumlr die

gesamte kriminalistische Wissenschaft

(8) 169ndash171

Polizeidirektion Wien (Hg) (1920) Die

Kriminalpolizei Leitfaden zum Gebraushy

che fuumlr die Sicherheitsorgane Wien

Prainsack BarbaraToom Viktor (2010)

The Pruumlm Regime Situated DisEmshy

powerment in Transnational DNA Profile

Exchange British Journal of Criminoshy

logy 6 (50) 1117ndash1135

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Prante Helmut (1982) Die Personenerkenshy

nung Daktyloskopie gestern ndash heute ndash morgen

Wiesbaden

Roscher Gustav (1904) Die daktyloskopische

Registratur Archiv fuumlr Kriminal-Anthropologie

und Kriminalistik (17) 129ndash141

Schmid Reinhard (2001) Erkennungsdienstliche

Maszlignahmen nach dem Sicherheitspolizeigesetz

Wien

Tenner Friedrich (1918) Der Erkennungsdienst

der Polizeidirektion Muumlnchen und die Zigeunershy

polizeistelle Muumlnchen im Jahre 1917 Deutsche

Strafrechtszeitung Zentralorgan fuumlr das gesamte

Strafrecht Strafprozeszlig und die verwandten Geshy

biete in Wissenschaft und Praxis des In- und Ausshy

landes 5 (34) 99ndash101

Wagner Patrick (1996) Volksgemeinschaft ohne

Verbrecher Konzeptionen und Praxis der Krimishy

nalpolizei in der Zeit der Weimarer Republik und

des Nationalsozialismus Hamburg

Weiterfuumlhrende Literatur und Links

About Ilsen et al (2013) Identification and

Registration Practices in Transnational Perspecshy

tive People Papers and Practices New York

Becker Peter (2005) Dem Taumlter auf der Spur

Eine Geschichte der Kriminalistik Darmstadt

Caplan JaneTorpey John (Hg) (2001) Docushy

menting Individual Identity The Development of

State Practices in the Modern World Princeton

Cole Simon (2002) Suspect Identities A History

of Fingerprinting and Criminal Identification

Cambridge

Gross Hans (1893) Handbuch fuumlr Untersuchungsshy

richter Polizeibeamte Gendarmen usw Graz

Higgs Edward (2011) Identifying the English

A History of Personal Identification 1500 to the

Present LondonNew York

Mentzel Walter (2007) Tatorte und Taumlter Polishy

zeiphotographie in Wien 1870ndash1938 Wien

Vec Miloš (2002) Die Spur des Taumlters Meshy

thoden der Identifikation in der Kriminalistik

(1879ndash1933) Baden-Baden

Forschungsprojekt zur Geschichte von Identishy

fizierungstechniken an der Universitaumlt Wien

bdquoVerdaten Klassifizieren Archivieren Identifishy

zierungstechniken zwischen Praxis und Visionldquo

Online httpidentifizierungorg

The Fingerprint Inquiry Online httpwww

thefingerprintinquiryscotlandorguk

Page 7: Die Anfänge der Erkennungsdienste. Einführung ... · zierungstechniken Anthropometrie (Körpervermessung) und Daktyloskopie (Fingerab druckverfahren). Die Techniken veränderten

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den konnte oder nicht Die Abnahme von Fingerabdruumlcken ging dagegen schneller als das Vermessen einer Person und beshynoumltigte deutlich weniger Uumlbung als die Vermessungsprozedur Um die daktyloshyskopischen Register durchsuchbar zu mashychen wurden die Muster nach einem Schema in eine Formel uumlbersetzt die Klassifikationsnummer (siehe Abbildung 3 Seite 8) Dazu mussten die Daktyloskopen die Grundmuster ndash Wirbel Schleife oder Bogen ndash notieren und gegebenenfalls die Rillenanzahl an einigen Fingern bestimshymen

Das Verfahren das dem Vergleich von Fingerabdruumlcken zu Grunde liegt wird als bdquopattern recognitionldquo bezeichnet und ist Teil der Interpretationsleistung bei biometrischen Verfahren Das heiszligt eine (computergestuumltzte) Identifizierung durch Fingerabdruumlcke auf dieser Basis beruht auf Wahrscheinlichkeiten die durch die drei Parameter bdquoFalse Acceptance Rateldquo (FAR) bdquoFalse Rejection Rateldquo (FRR) und bdquoEqual Error Rateldquo (EER) charakterisiert werden koumlnnen (Kammerer 2008 203) Fuumlr jede biometrische Technik muumlssen Krishyterien und Grenzwerte festgelegt werden ab wann eine Uumlbereinstimmung zwischen den gespeicherten und zu vergleichenden Koumlrpermerkmalen vorliegt und wie viele Merkmale fuumlr eine Identifizierung uumlbershyeinstimmen muumlssen In Oumlsterreich werden fuumlr ein Gerichtsgutachten mindestens zwoumllf Uumlbereinstimmungen gefordert Das Fehlen einer Forschungspraxis fuumlhrte 2011 zu einer viel beachteten und grundlegenshyden Kritik gegenuumlber den bdquopattern idenshytification disciplinesldquo Diverse Autoren und Autorinnen darunter Simon Cole und Jennifer Mnookin forderten darin eine breitere wissenschaftliche Fundierung fuumlr die bdquonon-DNA forensic sciencesldquo (Cole Mnookin 2011)

Das Fingerabdruckverfahren erfuhr ab 1903 eine enorme Verbreitung bei Erkenshy

nungsdiensten und steigerte die Zahl an ershyfassten Personen im Gegensatz zur Anthroshypometrie ganz erheblich Zwei Tendenzen lassen sich bei der Ausweitung biometrishyscher Identifizierungstechnik beobachten Einerseits die Vision einer allumfassenden Erfassung und andererseits kritische Stimshymen die vor zu groszligen Datensammlungen warnten Die Vision vieler Kriminalisten bestand in der Errichtung eines weltumshyspannenden Netzes an daktyloskopischen Stationen (Roscher 1904 129) Am Ende sollte ein System luumlckenloser Zuordenbarshykeit zwischen Individuen und begangener Straftaten stehen bdquoAlle diese zentralen Einrichtungen muumlssen in engster Fuumlhshylungnahme Hand in Hand miteinander arbeiten [] Wenn in ganz Deutschland die Zentralisierung und Systematisierung des Kriminaldienstes soweit erforderlich durchgefuumlhrt ist dann wird es einem beshyrufsmaumlszligigen reisenden Verbrecher nicht gelingen sich auf laumlngere Dauer dem engshymaschigen Netze der ihn verfolgenden krishyminalpolizeilichen Maszlignahmen entziehen zu koumlnnenldquo (Palitzsch 1927 171) Entgeshygen der Vision allgegenwaumlrtiger Erfassung von Straftaumltern ergaben sich fuumlr die Anwenshydung der biometrischen Register deutliche Grenzen bdquoSo erwuumlnscht jeder Neuzugang ist so ist doch bei keiner Sammlung das Prunken mit Zahlen weniger am Platze als bei der Fingerabdrucksammlungldquo erklaumlrte Friedrich Tenner vom Muumlnchner Erkenshynungsdienst 1918 (Tenner 1918) Viele Daktyloskopen warnten davor die Sammshylungen zu groszlig werden zu lassen Das Proshyblem bestand darin dass die Einteilung der Fingerabdruumlcke auf einer gleichmaumlszligigen Verteilung der Muster beruhte was aber nicht der Fall ist Es gibt Grundmuster die statistisch deutlich haumlufiger auftreten Bis zur Umstellung auf computergestuumltzte Datenbanken (AFIS) in den 1980er Jahshyren verursachte die Ungleichverteilung Schwierigkeiten wie der Kriminalbeamte

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-SIAK JOURNAL

22015

Helmut Prante erklaumlrt bdquoDas herkoumlmmshyliche Klassifizier- und Registrierverfahren beruhte auf falschen Praumlmissen und lieszlig damit Sammlungen entstehen die zunehshymend ihre Selektionsfaumlhigkeit einbuumlszligten ohne allerdings die Qualitaumlt der mit ihnen erzielten Ergebnisse in Frage zu stellenldquo (Prante 1982 70) Die Ungleichverteishylung beim deutschen Bundeskriminalamt war so eklatant dass ein Ablagefach sogar 25 Prozent aller gesammelten Fingerabshydruckformulare enthielt Experten in den 1920er Jahren hielten 300000 Fingerabshydruckblaumltter fuumlr die Belastungsgrenze von daktyloskopischen Registraturen

bioMetrie Von Datenschutz war in den fruumlhen Jahshyren erkennungsdienstlicher Polizeiarbeit noch keine Rede Allerdings diskutierten Kriminalbeamte ob die Speicherung in den biometrischen Registraturen eine Art Kriminalisierung fuumlr die betroffenen Pershysonen darstellen koumlnnte Beispielsweise lehnten Vertreter der Sicherheitsbehoumlrden auf einer Polizeikonferenz in Berlin 1912 die Einfuumlhrung von Fingerabdruumlcken auf Ausweisdokumenten ab weil sie Widershystand befuumlrchteten denn bdquo[d]er Daktyloshyskopierte muumlsse sich wie ein Verbrecher vorkommenldquo3 Ein anderes Bespiel betrifft die Polizeifotografie und anthropometrishysche Erfassung Im Mai 1902 wurden zwei Teilnehmer eines Streiks in Wien verhafshytet Wie die Arbeiterzeitung berichtete bdquoEinige Polizisten haben sich dieser Tage eine unglaubliche Frechheit erlaubt Sie haben zwei bei einer Streikdemonstration wegen Nichtfolgeleistung arretierte Arshybeiter fuumlr das Verbrecheralbum photograshyphiert und sie der beschaumlmenden Prozedur der Koumlrpermessung wie sie bei Verbreshychern angewendet wird unterzogenldquo (Arshybeiterzeitung 1902) Obwohl ein Vertreter der Wiener Polizeidirektion betonte dass in der erkennungsdienstlichen Behandlung

bdquonichts Diffamierendesldquo zu erkennen waumlre und es sich lediglich um eine Prozedur zur Feststellung der Identitaumlt gehandelt haumltte wurden die Informationen der beiden wieshyder geloumlscht

Biometrische Techniken werden zunehshymend auszligerhalb kriminalpolizeilicher Kontexte verwendet und dienen der Verishyfizierung und Authentifizierung von Pershysonen Das kriminalisierende Stigma das die Erfassung durch biometrische Verfahren im 20 Jahrhundert kennzeichshynete haben die Techniken inzwischen verloren weshalb es kein Problem mehr darstellt Fingerabdrucksensoren in Moshybiltelefonen zu verbauen Gegenwaumlrtig sind biometrische Techniken zu einem groszligen Wirtschaftsfaktor innerhalb der Sishycherheitsbranche geworden die vor allem als zeitsparende und praktikable Anwenshydungen verkauft werden und die gleichzeishytig ein Sicherheitsversprechen beinhalten Ausgeblendet wird jedoch dass die groszlige Uumlberzeugungskraft dieser Verfahren nicht zuletzt ihrem kriminalpolizeilichen Entsteshyhungshintergrund geschuldet ist ndash dessen Wurzeln Ende des 19 Jahrhunderts liegen

Gerade das Jahrzehnt nach 911 war geshypraumlgt vom Ausbau und der Vernetzung staatshylicher Sicherheitszentralen Innerhalb der EU zaumlhlen beispielsweise das EURODAC-Programm bei dem die Fingerabdruumlcke aller Asylwerberinnen und Asylwerber uumlber 14 Jahre in einer zentralen Datenbank gespeichert werden und das bdquoSchengen Information Systemldquo (SIS) ndash eine Datenshybank zur Personen- und Sachenfahndung ndash zu wichtigen Informationszentralen Im Pruumlmer Vertrag von 2005 wurde der Datenbankzugriff von Polizei- und Strafshyverfolgungsbehoumlrden bei entsprechenden Behoumlrden anderer Vertragsstaaten geregelt (PrainsackToom 2010)

Seit Erfindung von Biometrie als staatshylicher Kontrolltechnik Ende des 19 Jahrshyhunderts laumlsst sich eine enge Verbindung

10

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zwischen Mobilitaumlt Migration und Krishyminalitaumlt zeigen Katja Aas bezeichnet die Uumlberlappung der beiden Bereiche bdquocrime controlldquo und bdquomigration controlldquo als bdquoCrimmigrationldquo (Aas 2011 334ndash335)

fazit Die Frage nach technischen Hilfsmitteln zur Verfolgung von (potentiellen) Strafshytaumlterinnen und Straftaumltern ist nicht neu sondern befindet sich schon seit ihrer Entshystehung im Gefolge der Verbrechensbeshykaumlmpfung Was sich geaumlndert hat sind die Dimensionen der Datenanalyse sowohl was die Menge der Informationssammshylungen betrifft als auch die Moumlglichkeiten ihrer Auswertung

22015

Die Geschichte der Identifizierungsshytechniken Ende des 19 Jahrhunderts ist eng verbunden mit der Entstehung einer Kriminalpolizei die zunaumlchst noch als Sishycherheitsbureau bezeichnet wurde Durch die Implementierung biometrischer Identishyfizierungstechniken gelang es in den Jahshyren von 1870 bis 1914 Erkennungsdienste als zentrale polizeiliche Daten- und Inshyformationssammelstellen zu etablieren In weiterer Folge schufen die Sicherheitsbeshyhoumlrden uumlberregionale kriminalpolizeiliche Strukturen die der Logik zentraler Inforshymationssammlung und dem Austausch biometrischer Datenblaumltter geschuldet washyren Diese Struktur entspricht heute dem Landes- bzw Bundeskriminalamt

SIAK JOURNAL

1 Schreiben der Polizeidirektion Wien

Z 1253 vom 23 April 1900 Betreff Beshy

zug auf den Erlass des Innenministerishy

ums vom 23 Februar 1900 Z 44305 ex

1899 in Oumlsterreichisches Staatsarchiv

Allgemeines Verwaltungsarchiv (AVA)

Bestand Justizministerium Karton 3883 2 Bericht Camillo Windts von der Poshy

lizeikonferenz 1897 in Berlin Akt des

Justizministeriums Z 8402 vom 3 April

1898 in Oumlsterreichisches Staatsarchiv

Allgemeines Verwaltungsarchiv (AVA)

Bestand Justizministerium Karton 3883 3 Paul Koettig Referat 1 Einheitliche

Regelung des polizeilichen Erkennungsshy

dienstes hinsichtlich der Anthropomeshy

trie und Daktyloskopie Polizeikonferenz

1912 in Bayerisches Hauptstaatsarchiv

(BayHStA) MA 92813

Quellenangaben

Aas Katja (2011) bdquoCrimmigrantldquo Bodies

and Bona Fide Travelers Surveillance

Citizenship and Global Governance

Theoretical Criminology (15) 331ndash346

Arbeiterzeitung Zentralorgan der Soshy

zialistischen Partei Oumlsterreichs (1902)

22051902

Bader Emil (1905) Wiener Verbrecher

Berlin

Cole SimonMnookin Jennifer (2011)

The Need for a Research Culture in the

Forensic Sciences UCLA Law Review

(58) 725ndash779

Groebner Valentin (2004) Der Schein

der Person Steckbrief Ausweis und

Kontrolle im Europa des Mittelalters

Muumlnchen

Gross Hans (1903) Das Erkennungsamt

der kk Policeidirection in Wien Archiv

fuumlr Kriminal-Anthropologie und Krimishy

nalistik (10) 115ndash168

Gruber Stephan (2013) Ununterbrochene

Evidenz KK Polizeibehoumlrden und die

Dokumentation von Identitaumlten 1782ndash

1867 Dissertation Universitaumlt Wien

Jaumlger Jens (2006) Verfolgung durch

Verwaltung Internationales Verbrechen

und internationale Polizeikooperation

1880ndash1933 Konstanz

Kammerer Dietmar (2008) Bilder der

Uumlberwachung Frankfurt aM

Krug Wilhelm T (1832) Allgemeines

Handwoumlrterbuch der philosophischen

Wissenschaften nebst ihrer Literatur und

Geschichte 1 Band A-E Leipzig

Palitzsch Friedrich J (1927) System

der Verbrechensbekaumlmpfung Kriminalisshy

tische Monatshefte ndash Zeitschrift fuumlr die

gesamte kriminalistische Wissenschaft

(8) 169ndash171

Polizeidirektion Wien (Hg) (1920) Die

Kriminalpolizei Leitfaden zum Gebraushy

che fuumlr die Sicherheitsorgane Wien

Prainsack BarbaraToom Viktor (2010)

The Pruumlm Regime Situated DisEmshy

powerment in Transnational DNA Profile

Exchange British Journal of Criminoshy

logy 6 (50) 1117ndash1135

11

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SIAK JOURNAL

12

22015

Prante Helmut (1982) Die Personenerkenshy

nung Daktyloskopie gestern ndash heute ndash morgen

Wiesbaden

Roscher Gustav (1904) Die daktyloskopische

Registratur Archiv fuumlr Kriminal-Anthropologie

und Kriminalistik (17) 129ndash141

Schmid Reinhard (2001) Erkennungsdienstliche

Maszlignahmen nach dem Sicherheitspolizeigesetz

Wien

Tenner Friedrich (1918) Der Erkennungsdienst

der Polizeidirektion Muumlnchen und die Zigeunershy

polizeistelle Muumlnchen im Jahre 1917 Deutsche

Strafrechtszeitung Zentralorgan fuumlr das gesamte

Strafrecht Strafprozeszlig und die verwandten Geshy

biete in Wissenschaft und Praxis des In- und Ausshy

landes 5 (34) 99ndash101

Wagner Patrick (1996) Volksgemeinschaft ohne

Verbrecher Konzeptionen und Praxis der Krimishy

nalpolizei in der Zeit der Weimarer Republik und

des Nationalsozialismus Hamburg

Weiterfuumlhrende Literatur und Links

About Ilsen et al (2013) Identification and

Registration Practices in Transnational Perspecshy

tive People Papers and Practices New York

Becker Peter (2005) Dem Taumlter auf der Spur

Eine Geschichte der Kriminalistik Darmstadt

Caplan JaneTorpey John (Hg) (2001) Docushy

menting Individual Identity The Development of

State Practices in the Modern World Princeton

Cole Simon (2002) Suspect Identities A History

of Fingerprinting and Criminal Identification

Cambridge

Gross Hans (1893) Handbuch fuumlr Untersuchungsshy

richter Polizeibeamte Gendarmen usw Graz

Higgs Edward (2011) Identifying the English

A History of Personal Identification 1500 to the

Present LondonNew York

Mentzel Walter (2007) Tatorte und Taumlter Polishy

zeiphotographie in Wien 1870ndash1938 Wien

Vec Miloš (2002) Die Spur des Taumlters Meshy

thoden der Identifikation in der Kriminalistik

(1879ndash1933) Baden-Baden

Forschungsprojekt zur Geschichte von Identishy

fizierungstechniken an der Universitaumlt Wien

bdquoVerdaten Klassifizieren Archivieren Identifishy

zierungstechniken zwischen Praxis und Visionldquo

Online httpidentifizierungorg

The Fingerprint Inquiry Online httpwww

thefingerprintinquiryscotlandorguk

Page 8: Die Anfänge der Erkennungsdienste. Einführung ... · zierungstechniken Anthropometrie (Körpervermessung) und Daktyloskopie (Fingerab druckverfahren). Die Techniken veränderten

-SIAK JOURNAL

22015

Helmut Prante erklaumlrt bdquoDas herkoumlmmshyliche Klassifizier- und Registrierverfahren beruhte auf falschen Praumlmissen und lieszlig damit Sammlungen entstehen die zunehshymend ihre Selektionsfaumlhigkeit einbuumlszligten ohne allerdings die Qualitaumlt der mit ihnen erzielten Ergebnisse in Frage zu stellenldquo (Prante 1982 70) Die Ungleichverteishylung beim deutschen Bundeskriminalamt war so eklatant dass ein Ablagefach sogar 25 Prozent aller gesammelten Fingerabshydruckformulare enthielt Experten in den 1920er Jahren hielten 300000 Fingerabshydruckblaumltter fuumlr die Belastungsgrenze von daktyloskopischen Registraturen

bioMetrie Von Datenschutz war in den fruumlhen Jahshyren erkennungsdienstlicher Polizeiarbeit noch keine Rede Allerdings diskutierten Kriminalbeamte ob die Speicherung in den biometrischen Registraturen eine Art Kriminalisierung fuumlr die betroffenen Pershysonen darstellen koumlnnte Beispielsweise lehnten Vertreter der Sicherheitsbehoumlrden auf einer Polizeikonferenz in Berlin 1912 die Einfuumlhrung von Fingerabdruumlcken auf Ausweisdokumenten ab weil sie Widershystand befuumlrchteten denn bdquo[d]er Daktyloshyskopierte muumlsse sich wie ein Verbrecher vorkommenldquo3 Ein anderes Bespiel betrifft die Polizeifotografie und anthropometrishysche Erfassung Im Mai 1902 wurden zwei Teilnehmer eines Streiks in Wien verhafshytet Wie die Arbeiterzeitung berichtete bdquoEinige Polizisten haben sich dieser Tage eine unglaubliche Frechheit erlaubt Sie haben zwei bei einer Streikdemonstration wegen Nichtfolgeleistung arretierte Arshybeiter fuumlr das Verbrecheralbum photograshyphiert und sie der beschaumlmenden Prozedur der Koumlrpermessung wie sie bei Verbreshychern angewendet wird unterzogenldquo (Arshybeiterzeitung 1902) Obwohl ein Vertreter der Wiener Polizeidirektion betonte dass in der erkennungsdienstlichen Behandlung

bdquonichts Diffamierendesldquo zu erkennen waumlre und es sich lediglich um eine Prozedur zur Feststellung der Identitaumlt gehandelt haumltte wurden die Informationen der beiden wieshyder geloumlscht

Biometrische Techniken werden zunehshymend auszligerhalb kriminalpolizeilicher Kontexte verwendet und dienen der Verishyfizierung und Authentifizierung von Pershysonen Das kriminalisierende Stigma das die Erfassung durch biometrische Verfahren im 20 Jahrhundert kennzeichshynete haben die Techniken inzwischen verloren weshalb es kein Problem mehr darstellt Fingerabdrucksensoren in Moshybiltelefonen zu verbauen Gegenwaumlrtig sind biometrische Techniken zu einem groszligen Wirtschaftsfaktor innerhalb der Sishycherheitsbranche geworden die vor allem als zeitsparende und praktikable Anwenshydungen verkauft werden und die gleichzeishytig ein Sicherheitsversprechen beinhalten Ausgeblendet wird jedoch dass die groszlige Uumlberzeugungskraft dieser Verfahren nicht zuletzt ihrem kriminalpolizeilichen Entsteshyhungshintergrund geschuldet ist ndash dessen Wurzeln Ende des 19 Jahrhunderts liegen

Gerade das Jahrzehnt nach 911 war geshypraumlgt vom Ausbau und der Vernetzung staatshylicher Sicherheitszentralen Innerhalb der EU zaumlhlen beispielsweise das EURODAC-Programm bei dem die Fingerabdruumlcke aller Asylwerberinnen und Asylwerber uumlber 14 Jahre in einer zentralen Datenbank gespeichert werden und das bdquoSchengen Information Systemldquo (SIS) ndash eine Datenshybank zur Personen- und Sachenfahndung ndash zu wichtigen Informationszentralen Im Pruumlmer Vertrag von 2005 wurde der Datenbankzugriff von Polizei- und Strafshyverfolgungsbehoumlrden bei entsprechenden Behoumlrden anderer Vertragsstaaten geregelt (PrainsackToom 2010)

Seit Erfindung von Biometrie als staatshylicher Kontrolltechnik Ende des 19 Jahrshyhunderts laumlsst sich eine enge Verbindung

10

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zwischen Mobilitaumlt Migration und Krishyminalitaumlt zeigen Katja Aas bezeichnet die Uumlberlappung der beiden Bereiche bdquocrime controlldquo und bdquomigration controlldquo als bdquoCrimmigrationldquo (Aas 2011 334ndash335)

fazit Die Frage nach technischen Hilfsmitteln zur Verfolgung von (potentiellen) Strafshytaumlterinnen und Straftaumltern ist nicht neu sondern befindet sich schon seit ihrer Entshystehung im Gefolge der Verbrechensbeshykaumlmpfung Was sich geaumlndert hat sind die Dimensionen der Datenanalyse sowohl was die Menge der Informationssammshylungen betrifft als auch die Moumlglichkeiten ihrer Auswertung

22015

Die Geschichte der Identifizierungsshytechniken Ende des 19 Jahrhunderts ist eng verbunden mit der Entstehung einer Kriminalpolizei die zunaumlchst noch als Sishycherheitsbureau bezeichnet wurde Durch die Implementierung biometrischer Identishyfizierungstechniken gelang es in den Jahshyren von 1870 bis 1914 Erkennungsdienste als zentrale polizeiliche Daten- und Inshyformationssammelstellen zu etablieren In weiterer Folge schufen die Sicherheitsbeshyhoumlrden uumlberregionale kriminalpolizeiliche Strukturen die der Logik zentraler Inforshymationssammlung und dem Austausch biometrischer Datenblaumltter geschuldet washyren Diese Struktur entspricht heute dem Landes- bzw Bundeskriminalamt

SIAK JOURNAL

1 Schreiben der Polizeidirektion Wien

Z 1253 vom 23 April 1900 Betreff Beshy

zug auf den Erlass des Innenministerishy

ums vom 23 Februar 1900 Z 44305 ex

1899 in Oumlsterreichisches Staatsarchiv

Allgemeines Verwaltungsarchiv (AVA)

Bestand Justizministerium Karton 3883 2 Bericht Camillo Windts von der Poshy

lizeikonferenz 1897 in Berlin Akt des

Justizministeriums Z 8402 vom 3 April

1898 in Oumlsterreichisches Staatsarchiv

Allgemeines Verwaltungsarchiv (AVA)

Bestand Justizministerium Karton 3883 3 Paul Koettig Referat 1 Einheitliche

Regelung des polizeilichen Erkennungsshy

dienstes hinsichtlich der Anthropomeshy

trie und Daktyloskopie Polizeikonferenz

1912 in Bayerisches Hauptstaatsarchiv

(BayHStA) MA 92813

Quellenangaben

Aas Katja (2011) bdquoCrimmigrantldquo Bodies

and Bona Fide Travelers Surveillance

Citizenship and Global Governance

Theoretical Criminology (15) 331ndash346

Arbeiterzeitung Zentralorgan der Soshy

zialistischen Partei Oumlsterreichs (1902)

22051902

Bader Emil (1905) Wiener Verbrecher

Berlin

Cole SimonMnookin Jennifer (2011)

The Need for a Research Culture in the

Forensic Sciences UCLA Law Review

(58) 725ndash779

Groebner Valentin (2004) Der Schein

der Person Steckbrief Ausweis und

Kontrolle im Europa des Mittelalters

Muumlnchen

Gross Hans (1903) Das Erkennungsamt

der kk Policeidirection in Wien Archiv

fuumlr Kriminal-Anthropologie und Krimishy

nalistik (10) 115ndash168

Gruber Stephan (2013) Ununterbrochene

Evidenz KK Polizeibehoumlrden und die

Dokumentation von Identitaumlten 1782ndash

1867 Dissertation Universitaumlt Wien

Jaumlger Jens (2006) Verfolgung durch

Verwaltung Internationales Verbrechen

und internationale Polizeikooperation

1880ndash1933 Konstanz

Kammerer Dietmar (2008) Bilder der

Uumlberwachung Frankfurt aM

Krug Wilhelm T (1832) Allgemeines

Handwoumlrterbuch der philosophischen

Wissenschaften nebst ihrer Literatur und

Geschichte 1 Band A-E Leipzig

Palitzsch Friedrich J (1927) System

der Verbrechensbekaumlmpfung Kriminalisshy

tische Monatshefte ndash Zeitschrift fuumlr die

gesamte kriminalistische Wissenschaft

(8) 169ndash171

Polizeidirektion Wien (Hg) (1920) Die

Kriminalpolizei Leitfaden zum Gebraushy

che fuumlr die Sicherheitsorgane Wien

Prainsack BarbaraToom Viktor (2010)

The Pruumlm Regime Situated DisEmshy

powerment in Transnational DNA Profile

Exchange British Journal of Criminoshy

logy 6 (50) 1117ndash1135

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12

22015

Prante Helmut (1982) Die Personenerkenshy

nung Daktyloskopie gestern ndash heute ndash morgen

Wiesbaden

Roscher Gustav (1904) Die daktyloskopische

Registratur Archiv fuumlr Kriminal-Anthropologie

und Kriminalistik (17) 129ndash141

Schmid Reinhard (2001) Erkennungsdienstliche

Maszlignahmen nach dem Sicherheitspolizeigesetz

Wien

Tenner Friedrich (1918) Der Erkennungsdienst

der Polizeidirektion Muumlnchen und die Zigeunershy

polizeistelle Muumlnchen im Jahre 1917 Deutsche

Strafrechtszeitung Zentralorgan fuumlr das gesamte

Strafrecht Strafprozeszlig und die verwandten Geshy

biete in Wissenschaft und Praxis des In- und Ausshy

landes 5 (34) 99ndash101

Wagner Patrick (1996) Volksgemeinschaft ohne

Verbrecher Konzeptionen und Praxis der Krimishy

nalpolizei in der Zeit der Weimarer Republik und

des Nationalsozialismus Hamburg

Weiterfuumlhrende Literatur und Links

About Ilsen et al (2013) Identification and

Registration Practices in Transnational Perspecshy

tive People Papers and Practices New York

Becker Peter (2005) Dem Taumlter auf der Spur

Eine Geschichte der Kriminalistik Darmstadt

Caplan JaneTorpey John (Hg) (2001) Docushy

menting Individual Identity The Development of

State Practices in the Modern World Princeton

Cole Simon (2002) Suspect Identities A History

of Fingerprinting and Criminal Identification

Cambridge

Gross Hans (1893) Handbuch fuumlr Untersuchungsshy

richter Polizeibeamte Gendarmen usw Graz

Higgs Edward (2011) Identifying the English

A History of Personal Identification 1500 to the

Present LondonNew York

Mentzel Walter (2007) Tatorte und Taumlter Polishy

zeiphotographie in Wien 1870ndash1938 Wien

Vec Miloš (2002) Die Spur des Taumlters Meshy

thoden der Identifikation in der Kriminalistik

(1879ndash1933) Baden-Baden

Forschungsprojekt zur Geschichte von Identishy

fizierungstechniken an der Universitaumlt Wien

bdquoVerdaten Klassifizieren Archivieren Identifishy

zierungstechniken zwischen Praxis und Visionldquo

Online httpidentifizierungorg

The Fingerprint Inquiry Online httpwww

thefingerprintinquiryscotlandorguk

Page 9: Die Anfänge der Erkennungsdienste. Einführung ... · zierungstechniken Anthropometrie (Körpervermessung) und Daktyloskopie (Fingerab druckverfahren). Die Techniken veränderten

-

zwischen Mobilitaumlt Migration und Krishyminalitaumlt zeigen Katja Aas bezeichnet die Uumlberlappung der beiden Bereiche bdquocrime controlldquo und bdquomigration controlldquo als bdquoCrimmigrationldquo (Aas 2011 334ndash335)

fazit Die Frage nach technischen Hilfsmitteln zur Verfolgung von (potentiellen) Strafshytaumlterinnen und Straftaumltern ist nicht neu sondern befindet sich schon seit ihrer Entshystehung im Gefolge der Verbrechensbeshykaumlmpfung Was sich geaumlndert hat sind die Dimensionen der Datenanalyse sowohl was die Menge der Informationssammshylungen betrifft als auch die Moumlglichkeiten ihrer Auswertung

22015

Die Geschichte der Identifizierungsshytechniken Ende des 19 Jahrhunderts ist eng verbunden mit der Entstehung einer Kriminalpolizei die zunaumlchst noch als Sishycherheitsbureau bezeichnet wurde Durch die Implementierung biometrischer Identishyfizierungstechniken gelang es in den Jahshyren von 1870 bis 1914 Erkennungsdienste als zentrale polizeiliche Daten- und Inshyformationssammelstellen zu etablieren In weiterer Folge schufen die Sicherheitsbeshyhoumlrden uumlberregionale kriminalpolizeiliche Strukturen die der Logik zentraler Inforshymationssammlung und dem Austausch biometrischer Datenblaumltter geschuldet washyren Diese Struktur entspricht heute dem Landes- bzw Bundeskriminalamt

SIAK JOURNAL

1 Schreiben der Polizeidirektion Wien

Z 1253 vom 23 April 1900 Betreff Beshy

zug auf den Erlass des Innenministerishy

ums vom 23 Februar 1900 Z 44305 ex

1899 in Oumlsterreichisches Staatsarchiv

Allgemeines Verwaltungsarchiv (AVA)

Bestand Justizministerium Karton 3883 2 Bericht Camillo Windts von der Poshy

lizeikonferenz 1897 in Berlin Akt des

Justizministeriums Z 8402 vom 3 April

1898 in Oumlsterreichisches Staatsarchiv

Allgemeines Verwaltungsarchiv (AVA)

Bestand Justizministerium Karton 3883 3 Paul Koettig Referat 1 Einheitliche

Regelung des polizeilichen Erkennungsshy

dienstes hinsichtlich der Anthropomeshy

trie und Daktyloskopie Polizeikonferenz

1912 in Bayerisches Hauptstaatsarchiv

(BayHStA) MA 92813

Quellenangaben

Aas Katja (2011) bdquoCrimmigrantldquo Bodies

and Bona Fide Travelers Surveillance

Citizenship and Global Governance

Theoretical Criminology (15) 331ndash346

Arbeiterzeitung Zentralorgan der Soshy

zialistischen Partei Oumlsterreichs (1902)

22051902

Bader Emil (1905) Wiener Verbrecher

Berlin

Cole SimonMnookin Jennifer (2011)

The Need for a Research Culture in the

Forensic Sciences UCLA Law Review

(58) 725ndash779

Groebner Valentin (2004) Der Schein

der Person Steckbrief Ausweis und

Kontrolle im Europa des Mittelalters

Muumlnchen

Gross Hans (1903) Das Erkennungsamt

der kk Policeidirection in Wien Archiv

fuumlr Kriminal-Anthropologie und Krimishy

nalistik (10) 115ndash168

Gruber Stephan (2013) Ununterbrochene

Evidenz KK Polizeibehoumlrden und die

Dokumentation von Identitaumlten 1782ndash

1867 Dissertation Universitaumlt Wien

Jaumlger Jens (2006) Verfolgung durch

Verwaltung Internationales Verbrechen

und internationale Polizeikooperation

1880ndash1933 Konstanz

Kammerer Dietmar (2008) Bilder der

Uumlberwachung Frankfurt aM

Krug Wilhelm T (1832) Allgemeines

Handwoumlrterbuch der philosophischen

Wissenschaften nebst ihrer Literatur und

Geschichte 1 Band A-E Leipzig

Palitzsch Friedrich J (1927) System

der Verbrechensbekaumlmpfung Kriminalisshy

tische Monatshefte ndash Zeitschrift fuumlr die

gesamte kriminalistische Wissenschaft

(8) 169ndash171

Polizeidirektion Wien (Hg) (1920) Die

Kriminalpolizei Leitfaden zum Gebraushy

che fuumlr die Sicherheitsorgane Wien

Prainsack BarbaraToom Viktor (2010)

The Pruumlm Regime Situated DisEmshy

powerment in Transnational DNA Profile

Exchange British Journal of Criminoshy

logy 6 (50) 1117ndash1135

11

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12

22015

Prante Helmut (1982) Die Personenerkenshy

nung Daktyloskopie gestern ndash heute ndash morgen

Wiesbaden

Roscher Gustav (1904) Die daktyloskopische

Registratur Archiv fuumlr Kriminal-Anthropologie

und Kriminalistik (17) 129ndash141

Schmid Reinhard (2001) Erkennungsdienstliche

Maszlignahmen nach dem Sicherheitspolizeigesetz

Wien

Tenner Friedrich (1918) Der Erkennungsdienst

der Polizeidirektion Muumlnchen und die Zigeunershy

polizeistelle Muumlnchen im Jahre 1917 Deutsche

Strafrechtszeitung Zentralorgan fuumlr das gesamte

Strafrecht Strafprozeszlig und die verwandten Geshy

biete in Wissenschaft und Praxis des In- und Ausshy

landes 5 (34) 99ndash101

Wagner Patrick (1996) Volksgemeinschaft ohne

Verbrecher Konzeptionen und Praxis der Krimishy

nalpolizei in der Zeit der Weimarer Republik und

des Nationalsozialismus Hamburg

Weiterfuumlhrende Literatur und Links

About Ilsen et al (2013) Identification and

Registration Practices in Transnational Perspecshy

tive People Papers and Practices New York

Becker Peter (2005) Dem Taumlter auf der Spur

Eine Geschichte der Kriminalistik Darmstadt

Caplan JaneTorpey John (Hg) (2001) Docushy

menting Individual Identity The Development of

State Practices in the Modern World Princeton

Cole Simon (2002) Suspect Identities A History

of Fingerprinting and Criminal Identification

Cambridge

Gross Hans (1893) Handbuch fuumlr Untersuchungsshy

richter Polizeibeamte Gendarmen usw Graz

Higgs Edward (2011) Identifying the English

A History of Personal Identification 1500 to the

Present LondonNew York

Mentzel Walter (2007) Tatorte und Taumlter Polishy

zeiphotographie in Wien 1870ndash1938 Wien

Vec Miloš (2002) Die Spur des Taumlters Meshy

thoden der Identifikation in der Kriminalistik

(1879ndash1933) Baden-Baden

Forschungsprojekt zur Geschichte von Identishy

fizierungstechniken an der Universitaumlt Wien

bdquoVerdaten Klassifizieren Archivieren Identifishy

zierungstechniken zwischen Praxis und Visionldquo

Online httpidentifizierungorg

The Fingerprint Inquiry Online httpwww

thefingerprintinquiryscotlandorguk

Page 10: Die Anfänge der Erkennungsdienste. Einführung ... · zierungstechniken Anthropometrie (Körpervermessung) und Daktyloskopie (Fingerab druckverfahren). Die Techniken veränderten

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12

22015

Prante Helmut (1982) Die Personenerkenshy

nung Daktyloskopie gestern ndash heute ndash morgen

Wiesbaden

Roscher Gustav (1904) Die daktyloskopische

Registratur Archiv fuumlr Kriminal-Anthropologie

und Kriminalistik (17) 129ndash141

Schmid Reinhard (2001) Erkennungsdienstliche

Maszlignahmen nach dem Sicherheitspolizeigesetz

Wien

Tenner Friedrich (1918) Der Erkennungsdienst

der Polizeidirektion Muumlnchen und die Zigeunershy

polizeistelle Muumlnchen im Jahre 1917 Deutsche

Strafrechtszeitung Zentralorgan fuumlr das gesamte

Strafrecht Strafprozeszlig und die verwandten Geshy

biete in Wissenschaft und Praxis des In- und Ausshy

landes 5 (34) 99ndash101

Wagner Patrick (1996) Volksgemeinschaft ohne

Verbrecher Konzeptionen und Praxis der Krimishy

nalpolizei in der Zeit der Weimarer Republik und

des Nationalsozialismus Hamburg

Weiterfuumlhrende Literatur und Links

About Ilsen et al (2013) Identification and

Registration Practices in Transnational Perspecshy

tive People Papers and Practices New York

Becker Peter (2005) Dem Taumlter auf der Spur

Eine Geschichte der Kriminalistik Darmstadt

Caplan JaneTorpey John (Hg) (2001) Docushy

menting Individual Identity The Development of

State Practices in the Modern World Princeton

Cole Simon (2002) Suspect Identities A History

of Fingerprinting and Criminal Identification

Cambridge

Gross Hans (1893) Handbuch fuumlr Untersuchungsshy

richter Polizeibeamte Gendarmen usw Graz

Higgs Edward (2011) Identifying the English

A History of Personal Identification 1500 to the

Present LondonNew York

Mentzel Walter (2007) Tatorte und Taumlter Polishy

zeiphotographie in Wien 1870ndash1938 Wien

Vec Miloš (2002) Die Spur des Taumlters Meshy

thoden der Identifikation in der Kriminalistik

(1879ndash1933) Baden-Baden

Forschungsprojekt zur Geschichte von Identishy

fizierungstechniken an der Universitaumlt Wien

bdquoVerdaten Klassifizieren Archivieren Identifishy

zierungstechniken zwischen Praxis und Visionldquo

Online httpidentifizierungorg

The Fingerprint Inquiry Online httpwww

thefingerprintinquiryscotlandorguk