15
Die Aufbrauchtheorie und das Gesetz der Li hmungstypen, Von Dr. Siegmund Auerbach-Frankfur~ a/M. L. Edinger gewidme$ zu seinem 60. Geburbst~age. Nach Edinger (1)zerfallen die sKmtliehen Krankhei~en des ~ervensys~ems in Herdaffek~ionen, toxische Affek~ionen nnd Auf- brauchkrankheiten. Die letz~eren ents~ehen: 1. dadurch, class abnorni hohe Anforderungen an die normalen Bahnen and den normalen Er- satz ges~ell~ werden: Arbei~satrophien, Arbei~sneuri~iden; 2. dadureh, dass ffir die normale Funktion nicht geniigender Er- satz s~a~findeL. Ursache is~ wohl immer irgendein Gift, z. B. Sy- philis, Blei u. a. Je naeh der Giftart ist der Ablauf des Aufbrauches verschieden. Typus: Polyneuritiden, Tabes, kombinier~e Sys~emerkrankungen, Paralyse; 3. dadurch, dass einzelne Bahnen yon vornherein nieh~ stark ge- nag angeleg~ sind, um auf die Dauer die normale Fanktion zu er- ~ragen; Typus: die heredi~/~ren Nervenkrankhei~en, die meis~en kombinierten S~rangsklerosen, die spas~ische Paralyse, die amyotrophischen Erkrankungen in Oblonga~a und Riicken- mark, die primate nicht tabisehe Op~icusatrophie, wahrscheinlich auch die progressive nervSse Ertaubung. Wenn ich nun auch die erw/ihn~e Einteilung der Nervenkrank- hei~en nich~ fiir hinreichend begriinde~ and auch nicht ffir zweek- m~ssig erachten kann, so hal~e ich doch den heuris~ischen Wer~ der auf W ei g e r ~ sehen (2) Ansehauungen fussenden Aufbrauch~heorie fiir einen sehr grossen and glaube, dass er im allgemeinen immer n0ch nich~ geniigend anerkannt wird. Ich babe das auch friiher schon in einigen Arbei~en (3, 4) hervorgehoben. Beil/~ufig mSch~e ich bier, da yon psychia~rischer Sei~e die Anwendung der Ersa~z~heorie auf die progressive Paralyse abgelehn~ wurde, erwKhnen, dass Dereum in Philadelphia mieh vor zwei Jahren gelegentlich einer persSnlichen Be- sprechung dieser Frage darauf aufmerksam machte, dass die Neger mit ihrem ausserorden~lich en~wickelten Muskel- and spinalen Nerven-

Die Aufbrauchtheorie und das Gesetz der Lähmungstypen

Embed Size (px)

Citation preview

Die Aufbrauchtheorie und das Gesetz der Li hmungstypen, Von

Dr. Siegmund Auerbach-Frankfur~ a/M.

L. E d i n g e r gewidme$ zu se inem 60. Geburbst~age.

Nach E d i n g e r (1)zerfallen die sKmtliehen Krankhei~en des ~ervensys~ems in Herdaffek~ionen, toxische Affek~ionen nnd Auf- brauchkrankheiten. Die letz~eren ents~ehen: 1. dadurch, class abnorni hohe Anforderungen an die normalen Bahnen and den normalen Er- satz ges~ell~ werden: Arbe i~sa t roph ien , Arbei~sneur i~iden;

2. dadureh, dass ffir die normale Funktion nicht geniigender Er- satz s~a~findeL. Ursache is~ wohl immer irgendein Gift, z. B. Sy- philis, Blei u. a . Je naeh der Giftart ist der Ablauf des Aufbrauches verschieden. Typus: P o l y n e u r i t i d e n , Tabes, kombinier~e S y s ~ e m e r k r a n k u n g e n , P a r a l y s e ;

3. dadurch, dass einzelne Bahnen yon vornherein nieh~ stark ge- nag angeleg~ sind, um auf die Dauer die normale Fanktion zu er- ~ragen; Typus: die heredi~/~ren N e r v e n k r a n k h e i ~ e n , die meis~en k o m b i n i e r t e n S~rangsk le rosen , die spas~ische P a r a l y s e , die a m y o t r o p h i s c h e n E r k r a n k u n g e n in Oblonga~a und Ri icken- mark , die primate nicht tabisehe Op~icusa t rophie , wahrscheinlich auch die p rog re s s ive nervSse E r t a u b u n g .

Wenn ich nun auch die erw/ihn~e Einteilung der Nervenkrank- hei~en nich~ fiir hinreichend begriinde~ and auch nicht ffir zweek- m~ssig erachten kann, so hal~e ich doch den heuris~ischen Wer~ der auf W ei g e r ~ sehen (2) Ansehauungen fussenden Aufbrauch~heorie fiir einen sehr grossen and glaube, dass er im allgemeinen immer n0ch nich~ geniigend anerkannt wird. Ich babe das auch friiher schon in einigen Arbei~en (3, 4) hervorgehoben. Beil/~ufig mSch~e ich bier, da yon psychia~rischer Sei~e die Anwendung der Ersa~z~heorie auf die progressive Paralyse abgelehn~ wurde, erwKhnen, dass De reum in Philadelphia mieh vor zwei Jahren gelegentlich einer persSnlichen Be- sprechung dieser Frage darauf aufmerksam machte, dass die Neger mit ihrem ausserorden~lich en~wickelten Muskel- and spinalen Nerven-

450 Ac~RsAc~

system nur selten tabisch, abet um so hgufiger paraly~isch wiirden, sobald sie mit der bei ihnen so verbreiteten Lues veto Lunde in die grossen Stgdte kgmen, nnd dami~ grSssere Anspriiehe an ihr Gehir~ ges~ellt wiirden.

In meiner unter (4) angefiihrten Arbei~ (Zur Pathogenese der Polyneuritis) babe ieh die Krankengeschiehte eines an chronischem Alkoholismus leidenden Kellners mitgeteilt, dessen Krankheitsbild in unserer Poliklinik nieh~ aufgekl~irt werden konnte, his ich auf den Gedanken kam, den Arbei~sverhgltnissen dieses Mannes nachzugehen. Da stellte sieh nun Folgendes heraus: W~hrend der Pat. in friiheren Jahren an Attacken yon Polyneuritis in den Beinen ge]itten butte, waren damals bei ibm die Muskeln des Halses, des Naekens, des Sehultergiirtels, des Oberarmes (~lfe links mehr als reeh~s), sowie die Riiekenmuskeln und die Hiiftbeuger geli~hmt- Muske]gruppen, deren Betroffensein bei einer Polyneuritis reeh~ auffallend war. Dass diese Erkrankung ta~sgeh]ieh vorlag, konnte spgter durch die mikroskopisehe Untersuchung des :Nervensys~ems des Mannes naehgewiesen werden, der einer doppelsei~igen Bronehopneumonie erlag, und bei dem man makroskopissh ausser dieser Affektion die sehon im Leben yon mir diagnostizier~e Lebercirrhose und Myoearditis fund. Die Nerven zeig~en sich am s~rksten parenchymatSs degeneriert, die die am raeis~en gelghmten Muskeln innervier~en. Ausserdem fund sieh in den Vorderhornzellen fast des ganzen Cervikalmarkes eine mgssige Tigro- lyse, wie man sie bei schweren Polyneuritiden h~ufig konstatieren kann. Die selfsame Lokalisa~ion der L~ihmungen erklarte sich damus, dass der Mann friiher Kellner in grossen I-Iotels und Restaurants ge- wesen war and bier die Bein- und'Fussmuskeln iiberm~issig ans~rengen musste, wi~hrend er in den letz~en Jahren aussehliesslieh bei Gesell- schaften and Festliehkeiten lnitwirkte. Nun stelle man sich die KSrperhaltung und -bewegungen eines solehen Kellners vet, die er, in der Saison of~ allabendlich, mehrere Stunden hindurch einhalten muss, um seiuen Pflichten gereeht zu werden; wit haben uns dieselbe iibrigens yon dem Pat. aueh noeh mehrfach eigens zum Stadium der in Betraeht kommenden Muskelgruppen demonstrieren lassen.

Er tritt yon links an den Tisehgast heran und bietet diesem, indem er auf seinem linken Arm die oft reeht schweren Platten tragt, die be- treffenden Speisen an. Dabei halt er den Rumpf gegen den 0berschenkel gebeugt und den Kopf naeh rechts dem Tischgaste zugewendet. Alsdann riehtet er den Rumpf wieder auf und reieht oft noch eine Beilage oder Sauce usw. mit dem rechten Arm, indem er wieder den Rumpf zu beugen und alsdann wieder aufzuriehten hat. Man wird nun aueh verstehen, wes- halb die l inkssei t igen him. sternoeleidomastoidei, cucullares, deltoidei

Die Aufbrauchtheorie und alas Gesetz der L/ihmungstypen. 451

und Oberarmmuskeln in h6herem Grade paretiseh sind als die entspreehen- den Muskeln auf der reehten Seite. Bedenkt man nun weiter, dass diese K6rperhaltungen und -bewegungen an einem Abend je naeh der Zahl der G~ste und der Reichhaltigkeit des Menfls mehrere hundert Male wiederholt werden mt~ssen, so wird man zugeben, dass dieses eine gewaltige Uber- funktion gerade der genannten Muskeln bedeutet. Sehr bezeiehnend ist namentlich die, ftberhaupt so seltene, deutlich wahrnehmbare starkere Parese und Atrophie im linken M. sternoeleidomastoideus, durch dessen Tatigkeit bekanntlich der Kopf nach reehts gedreht und das Kinn gehoben wird. Ferner ist einleuehtend, weshalb die Vorderarm-und Handmuskeln yon der Lahmung versehont geblieben sind: sie hatten eben keinerlei be- sondere Leistung zu vollbringen. �9

Ich habe diese Beobachtung hier noch eiamal kurz resumiert,, wei[ sie reich veranlass~e, reich mi~ den ~ypischen L g h m u n g s f o r m e n , die schon seit lgngerer Zei~ mein lebhaftes Interesse erweck~ batten, an tier Hand kliniseher Beobachtungen sowie des Studiums tier ein- schlagigen Li~eratur wieder in~ensiver zu beschgftigen. ZungchstG legte ich mir die Frage vor: Weshalb werden bei tier vulggren Neuritis multiplex tier Erwaehsenen, fiir we lche die u n g e w S h n l i c h e In- a n s p r u c h n a h m e b e s o n d e r e r M u s k e l g r u p p e n , wie bei dem eben geschilderten Kellner, nich~ in B e t r a e h t kommt , die distalen Ab- schnit~e der Ex~remitgten, nnd bier spezie]l die Ex~ensoren bezw. die Dorsalflexoren des Carpus und tier Finger, am h~iufigsten und stgrks~en befallen? Die gewShnlich gemach~e Annahme~ dass diese Teile, als die yon ihrem trophischen Zentrum am en~fernfsest gelegenen, den fin Blut~e und in den Gewebssgften kreisenden Sehgdliehkeiten am ehes~en erliegen miiss~en, ferner tier naheliegende Ums~and, dass die Mehr- zahl der Mensehen bei den all~igliehen Lebensgewohnhei~en und Ver- rich~ungen ihre H~nde und Fiisse wohl am meis~en yon allen KSrper- absehnit~en in ak~ive Tg~igkei~ versetzen - - diese Erklgrungen be- friedigten reich nichL da sie die wichtige Tatsaehe unberiicksiehtig~ lassen, dass immer nut ganz b es~imm~e Muskeln oder Muske]gruppen an diesen Teilen tier Gliedmassen erkranken, andere aber nnversehrt bleiben, ich sag~e mir aueh, dass sie zur Begriindung anderer hgn- tiger L~hmungs~ypen, wie z. B. der cerebralen Hemiplegie, tier polio- myelitisehen Lghmungen ganz unbrauehbar seien. Je mehr typiscbe Lghmungsformen ich in den Kreis meiner Erw~gungen zog, um so deu~licher wurde es mir, class ihre Pathogenese un~er e inhei~l iehen Gesich~spunk~en be~raeh~e~ werden miisse. Es zeig~e sieh, dasses sieh hier um Fak~oren handel,, die fiir die Bewertung tier Einzelleis~ungen eines Muskels oder einer Muskelgruppe yon grSss~er Bedeu~ung sind, die gleiehsam ihre Quali~is bes~immen, ohne jede Beriieksieh~igung tier H g u f i g k e i t tier Inanspruchnahme bei den verschiedenen Be-

452 AUERBACI~

sch~f~igungen, die man als den quan t i t~ t i ven Faktor der Muskel- funktion bezeiehnen kann.

Ich muss hier hervorheben~ class E d i n g e r bei seiner Erklgrung der Lghmungen, speziell der yon ibm analysierten Bleil~hmung, an diese Einzelfunk~ion der Muskeln zungehs~ gar nichts gedach~ hat. Die einzige S~elle in seinen sgm~liehen einschl~gigen Arbei~en, an der er, ganz beilgufig, hierauf eingeht, finder sieh S. 31 der sub 1 er- w~hn~en Brosehfire nnd lautet: ,,Zun~chs~ wird jedermann, tier e~wa im Bade versucht, was bei aufgehobenem Handgewichte leich~er is~, die Streekung oder die Beugung, die Uberzeugung bekommen, dass die ers~ere mehr Aufwand erforder~, dass die Flexion der Ruhestellung viel n~her komm~. Arbei~en mit den S~reckera ermfide~, wie ein Selbstversueh zeigen wird, sehr viel mehr als mi~ den Beugern. Die Benger sind also selbst in der hTorm die mehr angestreng~en Muskeln." (,,Beuger" im letz~en Sa~ze is~ ein Druckfehler; es muss dafiir natfir- lich ,,Strecker" heissen.) Und ich darf bier wohl erwghnen, dass diese ggnz kurze Berficksich~igung der Schwerkr~ft bei der Muskel- ~gtigkeit auf eine oft wiederholte nachdrfickliehe Anregung meiner- seits zurfickzuffihren is~, der gegenfiber E d i n g e r sich anfgnglich durehaus ~blehnend verhal~en hat, und die er ers~ akzep~ier~e, als ich ihm versichern konn~e, dass zwei hervorragende Physiker bezfiglieh der Bedeu~ung der ~ravi~a~ion fiir die Kraf~leis~ung bei der Muskel- arbei~ mir durchaus zuges~imm~ hgt~en.

Ich habe reich dann bemfih~, alle d i e j en i gen , die Einzel - funk~ionen b e e i n f l u s s e n d e n Moment, e n~her zu erforschen, die das vorwiegende Befallenwerden bes~immter Muskela und Muskel- gruppen bei ~tiologiseh und lokalisa~orisch ganz verschiedenartigen L~hmungsformen zu erklgren vermSgen.

Der Suez, dass die am meis~en anges~reng~en Muskelgruppen - - dieses A~ribu~ im umfassends~en Sinne gemein~ - - auf Schgdlich- kei~en, die sie selbs~ oder die Sie innervierenden Nerven bezw. deren Zen~ralorgane ~reffen, am rasches~en v e r s a g e n und am lang- sams~en sich res~i~uieren, wird heu~e wohl kaum noch auf Wider- sprueh sLossen. Am deut]iehs~en ha~ dies, sowei~ ieh sehen kann, allerdings nut fiir die Lghmungen infolge chronischer Vergif~ungen zuers~ MSbius (5) bei ErSr~erungen fiber die B]eilghmung ausge- sproehen. Der k l i n i s c h e Begriff der Ans~rengung fiir die Einzel- funktion eines Muskels oder einer Muskelgruppe is~ nicht ]eich~ in exak~er Weise zu definieren. Ieh glaube, wir werden ihn am schgrfs~en fassen, wenn wit ihn zu dem m e e h a n i s c h - p h y s i k a l i s e h e n der Arbe i~s l e i s tung in Beziehung setzen und zwar e~wa folgender- massen: Die Arbei~sle is~ung eines Muskels oder einer Muskelgruppe

Die Aufbrauchtheorie und das Gesetz der L~ihmungstypen. 453

ist direkt proportional deren Kraft. Die Inanspruchnahme oder der Verbrauch der !etzteren, d. h. die A n s t r e n g u n g des Muskels , ws mit der Zahl und B e d e u t u n g der die Arbe i t er- s c h w e r e n d e n Einf l f isse und s ink t mit de ren Abnahme.

Die K r a f t e[nes Muskels ist, wie die allgemeine l~uskelphy- siologie lehr~, proportional dem Volumen seiner Muskelsubstanz; sie is~ ferner abh~ngig yore Verkfirzungsgrade. Bei gegebener Kraft ist dann das Drehungsmoment welter abhs yon den jeweilig in Be- tracht kommenden ttebelverh~il~nissen. Dies sind die wich~igsten Faktoren zur ]3es~immung der physikalischen Arbeitsleis~ung. Die exak te Feststellung der dynamisehen Muskelwirkang ist - - d ~ r i n s~immen die massgebenden Au~oren fiberein - - eine h5chst verwickel~e Saehe, und die Methoden auch zu ihrer ann~hernden Bestimmung sind erst in ihren Anfgngen vorhanden. Ffir unsere klinischen Zwecke kommt es aber auch auf ma~hematisch genaue Angaben weniger an; wit kSnnen sie um so eher entbehren, als es sich ffir uns zumeis~ um Verg le ichsverh~ l~n i s se und bier wiederum in der grossen Mehr- zahl der F/~lle um solche an denselben Gliedmassen handel~.

Das die Leis~ungsi~higkeit in erster Linie bestimmende Volumen der M u s k e l s u b s t a n z is~ mit der GrSsse des QaersehnR~es identisch. Es gibt~ versehiedene Methoden zu ihrer Bes~immung (vergl. F i ck [6]}, auf die ieh bier abet nieh~ eingehen kann. Die QuersehnRtsgrSsse ~st nun direkt proportional dem M u s k e l g e w i c h t . Da man ferner alas spezifische Gewich~ der verschiedenea Muskeln als ann~hernd gleieh dem des Wassers annehmen kann, so kann m~a auch - - immer nut ann~hernd uud sch~zungsweise - - das Gewich~ der Muskelsub- stanz gleiehsetzen ihrem Volumen. Vergleichende Angaben aus neaerer Zei~ fiber die Gewiehte verschiedener Muskeln babe ieh ffir die obere Ex~remRs nut bei F rohse und F r ~ n k e l (7) findea kSnnen. Te- leky (8), der ia einer ausgezeiehneten ArbeR einen wieh~igen Beitrag zur Edingerschen Aufbrauch~keorie geliefert hat, ffihr~ noch eine Abhandlung yon A e b y (9) an. Dieser Autor hat an zwei Kinder- armen und zwei Armen yon Erwachsenea das Gewicht der einzelnen Muskeln bes~imm~ und ihren prozen~ualen Anteil der Gesamtmusku- latur der oberen Extremit/~t bereehne~. F r o h s e und F r ~ n k e l haben zu ihrer Untersuchung die Arme eines muskelschwachen Weibes und die eines kr/~ftigen Mannes gew~hlt. T e l e k y verwertete die auf den rechten kr~f~igen M~nnerarm beziiglichen Angaben dieser Au~oren und hat nach dem Beispiel Aebys in dankenswerter Weise aus ihnen berechnet, welcher prozen~uale Ant~eil der einzelnen Muskeln an der Gesamtmuskula~ur des Armes zukommt, und ferner dutch Addition die entspreehenden Wer~e ffir die funktionell zusammengeh5renden

454 A~E~cK

Muskeln ermi~elt. F fir die unteren Extremi~i~ten besi~zen wit aus neuerer Zeit, soweit ich sehen kann, keine so genauen, erschSpfenden und so gut verwe~tbaren Angaben fiber die Mal~e tier einzelnen Mus- keln, wie die yon F r o h s e - F r ~ n k e l ftir den Arm und die Hand. l~ur die Bestimmungen der Gebr. W e b e r (10), die zwar aus frfiherer Zeit stammen, bei der Bedeutung der Autoren abet ohne weiteres als vollgiiltig angesehen werden mfissen, sind bier verwertbar.

Unter den Momen ten nun, die einen mehr oder w e n i g e r g rossen E in f lus s anf die A r b e i t s l e i s t u n g der Mnskeln and dami~ anf ihre A n s t r e n g u n g ausfiben miissen, hubert sieh mir folgende phys ika l i s ehe , lahysiologische and a n a t o m i s c h e er- geben :

1. Die { Jbe rwindung der S c h w e r k r a f t . Es ist ohne weiteres klar, dass ceteris paribus eine Muskelgruppe, die bei ihrer T~tigkeit die Anziehungskruft der Erde zu iiberwinden hat, mehr Kraf~ auf- wenden muss, als eine andere, bei der das nieht der Fall ist.

2. Die B e w e g u n g s r i e h t u n g der Muskeln . Zum Tell f~llt die Wirkung dieses Faktors mit dem eben (sub 1) erw~hnten zu- sammen. Es ist abet auch yon nieht geringer Bedeutung ffir die Frage der Anstrengung, ob eine Muske]grnppe eine Bewegung nach der Med ianebene des KSrpe r s hin zu v o l l b r i n g e n hat , oder ob die Lokomoiion in einer yon dieser Ebene sieh e n t f e r n e n d e n Richtung stattfindet (Adduktoren and Abdnktoren). Im ersteren Falle wird sie eine geringere Arbeitsleistung zu vollbringen haben, a]s in letzterem.

3. Die f u n k t i o n e l l e ZugehSr igke i~ zu einer anderen, lei- s t u n g s f ~ h i g e r e n MUskelgruppe. Es is~ einlenchtend, class dieses Moment geeignet sein wird, eine Uberanstrengung eines Muskels und damit eine L~hmnng zu verhfiten, die, wenn er bei einer bes~immten Bewegung auf sich allein angewiesen w~re, bald eintreten wiirde.

4. Die h~uf ige re oder se l t ene re Ausf ibung einer F u n k - t ion im gewShn l i ehen Leben, ohne t t i icksicht auf die berufliche Beschs Ganz im allgemeinen gilt der Satz, dass Verriehtungen, die seltener vor sieh zu gehen haben, eher eingestellt werden, als solebe, die regelm~ssig oder nnun~erbrochen benStigt werden. So er- mfiden bekanntlieh Gesehmack und Gerueh sehneller als der fast dauernd in Ansprueh genommene Gesiehtssinn. Bei den znr Tiefen- sensibilit~t in enger Beziehung stehenden Sehnenreflexen tre~en Er- mfidungen nieht oder ers~ bei aussergewSbnlieher Inanspruchnahme auf, w~hrend die zur Oberfl~chensensibilit~t in Beziehung stehenden Hautreflexe raseh ermfiden. Die le~z~eren werden nut bei Bedarf in Ansprueh genommen und sehfitzen uns gegen die Einwirkung der

Die Aufbrauchtheorie und das Gesetz der L~hmungstypen. 455

Aussenwel~, wghrend die tiefe Sensibilitgth indem sie die Lage der einzelneu Teile zu einander and zum ganzen KSrper beherrscht, for~- w~ihrend in Tgtigkeit ist (12). Sehr deu~lich tritt dieses Moment be- kanntlieh bei den durch konsequentes Training hypertrophierten Muskelgruppen zutage. - - A u s diesem Grunde is~ aueh yon Be- deutung:

5. Der phy logene~isch v e r s c h i e d e n e Gebrauch bes t imm- ter M u s k e l g r u p p e n , bezw. i h r e r Innervat~ionszen~ren. Je weniger diese bei den hSheren Sgugetieren benS~ig~ warden, am so unvoilstgndiger ausgebilde~ werden diese Organe im allgemeinen sein. Es will mir aber seheinen, a!s ob bier ein Unterschied zu machen sei bei den namen~lich infolge der aufrechten Iqaltnng und des aufreehten Ganges erforderlichen Bewegungen nach der Richtung bin, ob diese J?unk~ion a) u n u n ~ e r b r o c h e n bezw. sehr h~uf ig vor sich geht, oder b) w e n i g e r hgnf ig nnd in g e r i n g e r e r In tens i tg t . Im letz~eren Falle wird sich, besonders dann, wenn noch ungiinstige meehanische Arbei~sbedingungen hinzukommen, ein reeh~ mangelhaf~es Resul~at ergeben, w~hrend im ersteren eine aussergewShnlich starke Entwicklung der Muskulatur zus~ande kommen kann, die ihre Leis~ungs- fghigkei~ betr~ehtlich zu erhShen vermag. Es ist einleuehtend, dass aus diesem Grnnde a.ueh das Lebensa I t e r einen den Lghm~ngstypus erheblich n~odifizierenden Einfluss ausfiben muss.

6. Das b i l a t e ra l s y m m e t r i s c h e Z u s a m m e n w i r k e n einiger Muskelgruppen bezw. die Ver~retnng der entspreehenden Zentren in be iden I-lirnhemisphgren. Dieser Pank~ ist namentlich bei den durch cerebrale tterde bedingten L~hmungen zu beriieksiehtigen.

7. Die G e f ~ s s v e r s o r g u n g und die Zahl der i n n e r v i e r e n d e n ~ e r v e n f ~ s e r n bezw. Achsenzy l inde r . Auf diese an~f~omisehen Gesieh~spunk~e, die of~ hervorgehoben werden, mSch~e ich weniger (]ewieht legen, well sic meis~ens doeh sicherlieh yore Muskelvohmen direkt abh~ngen, nnd dieses, wie wit bereits gesehen haben, den ttauptfaktor fiir die Kraf~ bildet. Dss en~sprieht anch der Rouxschen Lehre yon den Erhal~ungs- nnd Ges~altnngsfnnktionen, die dahin geht, dass die Anordnung und Ansbildung der Gefasse in ganz direkter Be- ziehung zur Funktion der Organe steht (12).

S. Endlich wgre noch die ana~omiseh ung i ins t ige Lage e i n i g e r ~ e r v e n zu erw/~hnen, die 5f~ers zu Unrechf, fiir das vor- wiegende Befallenwerden besGmm~er Muskeln geltend gemacht wird. Diese rein lokale Eigen~iimllchkeit hat meines Erach~ens nur fiir die ~ranma~ischen L~hmnngen Bedeutung, die wit fCir unser Problem nur mit bes~imm~en Einschrgnkungen verwer~en k5nnen (siehe un~en).

Unter diesen die GrSsse der Arbeitsleistung der Muskeln deter- Deutsche Zeitschrift f. Nervenheilkunde. Bd. 5S. 3 0

456 Av~n,c~

minierenden Fak~oren geh5ren die sub 1 und 2 genannten zu den- jenigen, die im Falle ungiinstiger Einwirkung zu einem rel~tiven Auf- brauch bezw. zu einer relativen [Tberanstrengung fiihren kSnnen; die sub 3 und 6 erw~hn~en werden eine Schonung der Muskelkraf~ zur F01ge Mben. Bei dem 4. und 5. Moment trit~ die Bedeu~ung des yon l~oux 02)urgierten exogenen Re~zes ffir die Kr/~ftigung der Zellen uad Organe im Kamp% gegeneinander hervor. Weiger~ ha~ sich zwar yon seinem S~andpunkte als Pathologe aus mit grossem Erfo]ge bemiiht zu zeigen, dass zur St~rkung eines Organs ein Reiz nich~ er%rderlich sei, sondern dass diese als Reaktion auf eine Sch/~digung erfo]gen miisse, dass le~ztere oft sogar einea iiber- m~ssigen Ersatz herbeifiihre. Ich muss gestehen, dass es mir schwer fall~, den positiven, aufbauenden und gesta]tenden Faktor des Reizes ffir die Morphologie, speziell far die GrSsse des Volumens der Mus- kulatar, ganz auszusch~lten. Ich sehe auch keinen trif~igen Grund, weshalb diese beiden Faktoren im Organismus nJcht nebeneinaader wirken so]lten; ja, es will reich bediinken, dass die Lehre yon den L~hmungstypen ein Paradigma hierf~ir bilde~. Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass das berei~s yon Lamarck betonte Prinzip der Wir- kung des Gebrauches und l~ichtgebrauches, das Roux als funk~ionelle Anpassung bezeichne~, in der Physiologie und Pathologie der Muskeln die grSsste Rolle spielt.

Under Zugrundelegung der Muske]gewichte and der erw~hnten, die Arbeitsleis~ung tier einzelnen Muskeln und Muskelgruppen er- schwerenden bezw. erleichternden Faktoren ]~ss~ sich zun~chst der Lokalisa~ions~ypus bei den p e r i p h e r e u L~hmungeu vSllig erkl~ren. Betreffs der Einzelheiten der Beweisf~ihrung gesf.a~te ich mir auf meine (13) eingehenden frfiheren ErSr~erungea zu verweisen. Ich konnte zeigen, dass sich die typische Verteilung der Paresen bei der Bleii/~hmung, d~s regelm/~ssige E r g r i f f e n s e i n der l~ngen H a n d - und F i n g e r s f r e c k e r aus i h r e r rela~iven Uberans~rengung~ alas F re ib l e iben des M. supina~or longas aus se iner e i g e n e ~ M~cht igke i t und der f u n k t i o n e l l e n Zugeh5r igke i~ za der Gruppe der Beuger des Vorderarms mi~ zwingender Notwendigkei~ ergibt. Das Verschontbleiben bezw. die ers~ sehr sp/~ eintre~ende Erkrankung der kleinen Fingermuskeln ist auf die giins~igea physi- k~lischen Verh/~ltnisse zuriickzufiihren, unter denen sie in Ak~ioa ~re~en, und_ auf das Zusammenarbeiten mi~ den k~f~igen langea Beugern. Ich betone, dass diese~ L/~hmungstypus demnach vSllig schon dutch die Quu]it/~t der E inze l l e i s~ungen der erw/~hnten Muskelgruppe beding~ wird. Es is~ einleuch~end, dass, wenn sich zu diesem quali~utiven Faktor der Einzelthnktion noch tier quantitative

Die Aufbrauehtheorie und das Gesetz der L~ihmungstypen. 457

der dutch die Besch~f~igung beding~en h~ufigen Inanspruchnahme derselben Muskeln h inzuaddier t - ein Verhal~en, wie es yon Te leky in vorbildlicher Weise ffir viele Kategorien yon B]eiarbei~ern naeh- gewiesen worden ist -- das Resultat ein um so deutlicheres Werden muss. Die Annahme einer elektiven Wirkung einzelner Gifte aufbe- s~imm~e Nerven, die dem KausMbed~irfnis so wenig geniigen k~nn, wird fiir diese F~lle durchaus en~behrlich.

Dass tier L~hmungs~ypus bei der Bleineuritis in ers~er LiMe, j~ sogar da, wo die Erkl~rung dutch den Aufbrauch sensu strietiori im S~iche l~sst, Mlein dureh die yon mir beton~en Momen~e in eJnwand- freier Weise begriinde~ wird, geh~ noeh aus, folgenden Ums~nden hervor. Es ist bekannt und wird yon den massgebenden Autoren aueh stets hervorgehoben, class die Bleil~hmung gew5hnlich zun~chs~ am E x t e n s o r d ig i tor , commun, beginnt und in leichtere~ Fiillen auf diesen Muskel beschr~nkt bleibea kann; dass die Carpusex~ensoren ers~ nach dem Fingers~recker befallen werden. Nun wird der ge- meinsame F i n g e r s t r e c k e r bei den Anstreichern, die yon E d i n g e r

namentlich herangezogen werden, keineswegs in besonderem MM~e bei ihrer T~itigkeit angestreng~; yon den ttandstreckern is~ dies ohne wei~eres zuzugeben. Weshalb wird nun jener Muskel friiher und in hSherem Grade gel~hmt und resti~uier~ sich langsamer alsjener? Ein- fach aus dem Grunde, well die Fingerstrecker die schwiichsten s~mt- licher langen Fingermuskeln sind (verg]. meine Arbei~ sub 13 S. 7) und ausserdem ~och bei ihrer Arbei~ die Schwerkraf~ der Erde iiber- winden miissen. Anderersei~.s werden ~on den Weissbindern die B e u g e r der Hand ebenso oft in Bewegung gesetzt wie ihre Strecker. " WeshMb sind jene niemals geliihmt? Well sie, obwohl ihnen eine prozentual geringere Kraft zukomm~ Ms den Handstreckern ~ ihre Muskelgewichte Verhal~en sieh wie 4,4:6,1 P r o z . - under so viel g~instigeren physikalischen und physiologisehen Bedingungen t~tig sind, dass ihre Arbei~sleis~ung Ms eine vial geringere anzusehen is~, als die der Ex~ensoren (vergl. meine Arbei~ sub 13 S. 8). Ferner ist doeh dieselbe regelm~issige L~ihmungsver~eilung bei den Arbei~ern in Bleihti~ten, in Bleiweissfabriken ebensowenig dutch eine iiberm~issige Inanspruchnahme der Vorderarmstrecker zu erkliiren wie bei den an Bleivergi~tung os massenhaft erkrankten Personen der versehiedens~en Berufe, deren Leiden durch den Genuss yon Wasser verursach~ wurde, welches aus bleiha]tigen Lei~ungsrShren s~ammte und eine krank- machende Menge des Gif~es enthielL Eine solche Massenerkrankung mi~ einer ganzen Reihe yon Radialisliihmungen haben noch vor kurzem S e h w e n k e n b e e h e r und Ne i s se r (14) mi~geteil~.

Ebenso pregnant trier die iiberragende Bedeu~ung der die Loka- 30*

458 A~:E~BXC~

lisation der Paresen in ers~er Linie bestimmenden relativen Kraft der Muskeln, ausgedriickt durch ihr Gewicht, sowie der Arbeitsbedingungen, unter denen sie in Aktion tre~en, bei den Polyneuritiden anderer Atlologie, speziell bei der hi~ufigsten, der a l k o h o l i s c h e n hervor. Es wSre doch mehr als gezwungen, annehmen zu wollen, dass bei den zahlreichen yon L~hmungen dieser Art Befallenen verschiedenster Be- rufsarten gerade die Peroneus-und Radialisgruppe im Sinne des qu~ntitativen Aufbruchs stets am meisten angestrengt wiirde. Dass der letztere aber gerade in allen a typ i schen F~llen in Erwi/gung gezogen werden soll~e, zeig[ die oben wiedergegebene Krankenge- sehiehte eines Kellners.

Was nun die i ibr ige~ p e r i p h e r e n L5hmungen anbelang[, so lieg~ es auf der Hand, dass wir die t~raumatischen nur mit ganz bestimmten Einschr~nkungen zur Kl~rung unseres Problems verwerten kSnnen. Dutch eine Verletzung kann jeder Nerv and jeder won ihm abhiingige Muskel gel~hmt werden, ganz ohne Riicksicht auf seine spezielle Muskelkraft oder die Arbeitsbedingungen, unter denen er sich zu bet~tigen pflegt. Fiir uns braucbbar sind nur solche Fi~lle~ in denen das Trauma einen mehre re Muske ln i n n e r v i e r e n d e n N erven naehweislieh in seinem ganzen Querschnitt li/diert oder einen Nervenplexus in toto getroffen hat, oder wenn bei partieller Verletzung eines solehen dureh einen autolo~ischen Operationsbefund konstatiert werden kann, welche As~e versehont geblieben sind. Ebenso wie bei der in meiner Arbeit sub 13 (S. 158) mitgeteilten interessan{en Be- obachtung tritt uns jetzt in der Kriegszeit alltgglich der evidente Be- weis dafiir nnter die Augen, dass sich die normaliter un te r den un- g i ins t igs ten B e d i n g u n g e n a r b e i t e n d e n und desha lb r e l a t i v am meis~en a n g e s t r e n g t e n Muske ln am spgtesten un4 unvol!- st~indigsten restituieren. Bei der Ve~letzung des N. radialis erholen sieh regelmgssig zuerst die Streeker des Carpus and, wenn iiberhaupt, erst sl0gter die Fingerstrecker; bei den Sehiissea durch den N. isehi- adieus bleiben am lgngsten die yore N. pero~eus innervierten Mus- keln, die tiberdies noeh gegea die Erdschwere zu arbeiten and als Abduktoren den Fuss yon der Medianebene des KS~pers zu entfernen haben, gel~hm~, wghrend die iiberaus krgftige Wadenmuskulatur, die zudem die Anziehungskraft der Erde nieht zu iiberwinden hat, ganz regelmgssig zuerst wieder zu fuaktionieren beginnt.

Auch die p o s t d i p h t h e r i s c h e Akkomoda~ ions l i / hmung konnte ieh nach melner Theorie ungezwungen erklgren (vergl. meine Arbeit sub 15).

Ebenso bestgtigg das sogenannte R os eab aeh-S em onsehe Gesetz die eminente Bedeutung meiner Argumente. Dieses besagt bekannt-

Die Aufbrauchtheorie und das Gesetz der L/ihmungstypen. 459

l~ch, dass bei allen progressiven Sehgdigungen des N. r e e u r r e n s vagi der ErweRerer der Stimmritze (M. erieo-ary~aenoideus ioos~ieus) immer friiher yon L~hmung betroffen wird, als die gleichfalls yon ihm versorg~en Verengerer. Mori~z Sehmid~ und KSrner , denen sich sp~er E d i n g e r ansehloss, heg~en die Ansehauung, dass hier zuers~ diejenigen Fasern erliegen, die eine a n d a u e r n d e ArbeR zu verrieh~en haben, w~hrend die nich~ oder ers~ sp~er versorgenden Glot~isverengerer nur bei der Phonation ~ i g sein miissen. In der Diskussion zu meinem Vor~rage im/~rztlichen Verein zu Frankfur~ a/M. am 6. II. 191i (s. dessert Jahresberieh~ S. 10, Miinehen, Lehmann, 19i2) bemerk~e jedoeh der Laryngologe Vohsen: ,,Es is~ aber dutch niches bewiesen, dass sieh die Abduktion der S~immlippen bei ruhigem A~men in der Ta~ so verhglt, wie wir das im Larynxspiegel bei der Atmung unter kiinstlichen Verh/~ltnissen sehen, und ob in der Tat die Erweiterer bei der Atmung in steter Aktion sind." Wie dem nun auch sein mag, ich lege bei der Erkl~rung dieser L~hmungsform das Hauptgewicht auf den M e h r a u f w a n d yon Energ ie , der meines Erachtens zweifellos yon dem 0finer der Glottis zu leisten is~. Er hat den Giessbeckenknorpel zu drehen und nach Ri id inger wahr- scheinlich auch noch riickw/~rts zu schieben; der Endeffekt ist eine E n t f e r n u n g yon der Med ianebene des KSrpers . Diese Be- wegung erfordert sicherl[ch eine grSssere Arbei~sleistung als die Funk- tion der Verengerer, deren Bewegung nach der Medianebene hingeht. Die Verengerung der Stimmritze geht zum Tell schon yon selbs~ vor sich, wenn die Postici zu wirken aufhSren; der zur Phonation er- forderliche kr~ftige Schluss wird dann dutch die Mm. thyreo-ary- taenoid, in~. et ext., crico-ary~aenoid, lateral, und aryt. transversi e5 obliqui herbeigefiihrt. Die kontraktile S~bstanz des Posticus betr/~g~ nach G r a b o w e r 06) 82 rag, die der genannten Verengerer zusamme~ 182 rag. Die grSssere ArbeR wird also keineswegs dutch eine grSssere Kraf~ erleichtert; das Gegenteil ist der Fall. Ferner hat dieser Forscher die Zahl der in jedem einzelnen yore Recurrens ver- sorg~en Kehlkopfmuskel vorhandenen nervSsen Elemen~e durch Z~h- lung der Achsenzylinder festgestellt. Er land, dass der Erweiterer eine betr~chtlich geringere Zahl yon Nervenelementen besitzt, als jed_er andere yon Recurrens versorgte Kehlkopfmuskel. Und das nicht nur absoht, sondern auch relativ~ d. h. im Verh~ltnis zu den Gewich~en der einzelnen Muskeln. Also auch die mikroskopischen Innervations- verh~Rnisse stempeln den Posticus zu einem schw~cheren Muskel. Ferner miisste, falls der quantitative Aufbraucl~ bei der Recurrens- 1/~hmung in betr/~chtlicherem MM~e in die Wagschale ilele, bei ]ndi- viduen, die die Glot~isschliesser berufsm//ssig ~iberanstrengen (Redner~

460 AuE~Bacu

Sgnger usw.)aueh einmal die L~hmung dieser Kehlkopfmuskeln zur Beobaehtung gelang~ sein. Eine Mitteilung dieser Ar~ babe ich aber nirgends finden kSnnen.

Wenn ich reich nun aueh nich~ der Meinn~g Vohsens (1. e.) anscLliessen kann, dass meine Anschauungen, denen er zus~imm~, im Widersprueh mit der Aufbrauchtheorie zu stehen scheinen, da ich die grSssere Widers~andskraft der stgrkeren ~Iuskulatur betonte, wghrend E d i n g e r nur yon dem Erliegen tier zumeis~ in Ansprnch genommenen spr~ehe, so wird doch jeder Unbefangene zugeben, dass der Ver- ~eilungstypus der Lghmungen bei den Erkrankungen dot peripheren Nerven dutch das yon mir gefundene Gesetz in. viel weitgehenderer und nmfassenderer Weise aufgehellt wird, als dureh die Ersatztheorie. Es vermag aueh da, we der Aufbraueh sensu strie~iori bei der Be- griindung versag~, oder als zwm_elnaft angesehen werden muss, die Fluehg der Erseheinungen auf diesem Gebie~e restlos zu erklgren. Damig wird selbstverstgndlieh die Bedeutnng tier Ersatztheorie Nr die Pa+~hogenese der eingangs dieses Aufsa~zes aufgezghl~en Erkrankungen in keiner Weise beriihr~.. Und ferner darf nieht /ibersehen werden, dass die E din ger sehen Gedanken tiber den Aufbrauel~ resp. die Uber- %nktion ihre grosse Fruehtbarkeit aueh in der Lehre yon de~ Lgh- mungen dadureh erwiesen haben, dass haupts~eh!ieh sie die _Anregung gaben zu einer Nr die Klinik verwertbaren q n a l i t a t i v e n Ana lyse de r Maske !e inze l l e i s t ungen .

aenes Gese~z babe ieh folgendermassen formu!iert: D ie j en igen Mnskeln bezw. M u s k e l g r n p p e n e r l ahmen am r a s e h e s t e n und ~ o l l k o m m e n s t e n , bezw. erhoIen sieh am langsams~en und am wen igs t en , die die ge r ings t e Kra f t (ansgedrf iek t d u t c h alas N u s k e l g e w i e h t ) be s i t zen und ihre A r b e i t s l e i s t u n g nn t e r den ung t in s t i g s t en phys ika l i s ehen , p h y s i o l o g i s c h e n nnd a n a t o m i s c h e n B e d i n g u n g e n zu v o l l b r i n g e n haben, w g h r e n d d ie in d ieser Bez iehung bes se r g e s t e l l t e n Muske ln yon der Lghmnng g rSss t en te i l s v e r s e h o n t b le iben.

Da die Grund!agen meiner Theorie der Lghmungstypen physi- kalise~er, physiologiseher nnd anatomiseher Natur sind, so mussten sie auela auf die sp ina len und c e r e b r a l e n Lghmungen anwendbar ~ein, wenn sie iiberhaup'~ zutreffen. Und in tier Tat konnte dies zu- ngchsg ftir die seh la f fen Riiekenmarksl~hmnngen - - d i e spastisehen, insbesondere die spinale I~emiplegie, decken sieh, was die Verteiiung tier Lghmungen anbetriffg, gr5ss~entei!s mit den cerebralen-- , vor Mlem fiir die P o l i o m y e l i t i s sowohl der Kinder ale der Erwaehsenen, fiir ihre Lokalisagion an den Beinen ebenso,wie an den Armen dar-

Die Aufbraueh~.:heorie and das Gesetz der L/~hmungstypeu. 461

ge~an werden, an den letzteren sogar zahlenm~ssig, da spezielle Enter- suehungen yon Aeby iiber die Gewieh~e der kindliehen Armmuskeln vorliegen. Die viel hgufigere Erkrankung der proximalen Muskeln an diesen Gliedmassen bei tier Poliomyelitis infantum liess sich so auf das einfaehste aufklgren, ebenso wie das vorwiegende Betroffensein der distalen Gruppen bei der subaku{en und ehronisehen Vorderhorn- erkrankung der Erwaehsenem Die Unters~mhung dieser L~hmungen ebenso wie derjenigen bei den versehiedenen Formen der Muske l - a t roph ie bezw. M u s k e l d y s t r o p h i e ergab das interessan~e Resul~ag, dass tier Tyious der L~hmungen regelm~ssig dureh das dem L ebens - a l t e r e igen t i iml iche Kr~f~verhg l tn i s der e inzelnen lV[uskel- g ruppen , sowie dutch die W i r k u n g des auf den v e r s e h i e d e n e n A l t e r s s t u f e n d i f f e r e n t e n Gebrauehes oder N ich~gebrauehes derseiben bestimmg warde. (Betreffs der Einzelheiten der Beweis- fiihrung s. sub 13 S. 167--1.74.)

Die regelmgssig wiederkehrende Verteilung der residugren Paresen bei der dureh die Kapselhgmorrhagien beding~en vulggren e e r e b r a l e n H e m i p l e g i e war seit den bekann~en Un~ersuehungen yon W e r n i e k e und Mann (,,Pr~dilektions~ypus:')Gegensgand zahlreieher Erklgrungs- versuehe bis in die neueste Zeit Jainein. Ieh bin lest /iberzeug~, dass zur Aufhellung such dieses Lghmungstypus in a l l e r e r s t e r Linie die bei den peripheren nnd spinalen Paralysen beton~en Nomen~e heran- zuziehen sind, und dass sie allein durehaus geniigen, die gyioisehe Lokalisa~ion dieser L~hmungen ebenso zwanglos zu erklgreu, wie deren Ausnahmen und die bekannten Modifikationen bei der infan~i]en Hemi- parese. Zu diesem Sehlusse muss meines Eraehgens jeder gelangen, der die AusNhrangen sub 1; S. 174--188 sorgf~ltig und unbefangen studiert. Aueh das in den letz~en Jahren yon einigea Forsehern (Gierl ieh [17], Foers~er [18]) bei den spas~isehen Lghmungsformen in den Vordergrund geraekte pt~ylogenetisehe Moment - - Vergieieh mi~ den subkortikalen Fluehtbewegungen bezw. der Kle~gerhaltung and den Kletterbewegungen der Affen bei Un~erbreehung des Traetus eorgieo-spinalis - - diirfte im ietz~en Grunde gleiehfal!s auf die wieder- holt urgierten physikalisehen and physiologisehen Faktoren zuriiekzu- ~'/ihren sein. Weitere Naehforsehungen werden s~eh hierauf ztl er- streeken haben.

Endlieh m5ehte ieh noeh erwghnen, dass Pe ln~r (19) geneigt is~, die eharakteristisehe Haltung der an Paralysis agitans Leidenden mi~ meiner Lghmungstheorie zu erklgren.

Zum Sehlusse rnag, naet~dem wit ers~ vet kurzem den 100. Ge- burts~ag yon Ju l ius R o b e r t Mayer gefeiert hubert, auf Grand der vorstehenden Ausf/ihrungen darauf hingewiesen sein, dass aueh in dem

462 AUE~ACH

hier erSr~er~en wicht igen Kapi~el tier kl inischen Pa tho log ie vor al lem e n e r g e ~ i s c h e G e s i c h t s p a n k t e eine bef r ied igende Kl~rung gebraeh~ haben, cieren Herrschuf t in den exak~en l~uturwissenschaf~en sowie in der Phys io logie der grosse He i lb ronner Arz~ und_ Na~urforscher fes~ begriinde~ hu~.

Literatur. 1) E d i n g e r , Der An~eil tier Fuktion an der Entstehung you ~%rven-

krankheiten. Wiesbaden 1908. J . F . Bergmann. (S. bier auch die frfiheren Arbeiten desselben Autors fiber dieses Thema.)

2) K a r l W e i g e r t , Artikel ,,Entziindung". Eulenburgs Realenzyklopgdie 1880 und 1 8 8 5 . - Die Lebens~iusserungen der Zellen unter p~thologischen Verhiiltnissen. Jahresbericht der Senckenbergschen iNaturforschenden Gesell- sehaft 1886, S. 75.

3) S. A u e r b a c h , Zur Pathogenese tier Polyneuritis. Miineh. r e e d . Woehenschr. 1904, 57r. 33.

4) D e r s e lb e, Neurologische Untersuehungen an ~adrennfahrern. _Neurol. Zentralbl. 1905.

5) MSb ius, Uber einige ungewShnliche F~ille yon Bleil~ihmung. Zentralbl. f. ~Nervenheilkde. 1886, 1Nr. 1.

6) R. F i e k , Itandbuch der Anatomie und Meehanik der Gelenke unter Berficksichtigung der bewegendea Muskeln. Bardelebens Handbuch der Ana- tomie des Menschen. 2. Bd. 1. Abt. 2. Teil. Jena 1910.

7) F. F r o h s e und M. F r / i n k e ] , Die Muskeln des mensehlichen Arms. Bardelebens Handbuch der Anatomie des Menschen. 2. Bd. 2. Abt. 2. Tell. Jena 1908.

8) T e l e k y , Zur Kasuistik der Bleil~hmung. Deutsche Zeitsehr. s 1Ner- venheilkde. 1909. Bd. 37, S. 234.

9) A e b y , Die Muskeln des Vorderarms und der Hand bei Si~ugetieren und beim Mensehen. Zeitschr. f. wissenschai~l. Zoologie. 1860. Bd. 10, S. 3tff.

10) W. and E. W e b e r , ~Iechanik tier menschlichen Gehwerkzeuge. GSt- tingen 1836. S, 217.

11) B a u e r und B iach , Uber die Ermfidbarkeit des Babinskisehen Zehen- ph~nomens und seine Beeinflussung dutch den Patellarsehnenrefiex. l'<eurol. Zcntralbl. 1910. S. 116.

12) W. R o u x , Der l~ampf tier Teile im Organismus. Ein Beitrag zur Vervo]]st~ndigung der mechanischen Zweckm~issigkeitslehre. Leipzig 1881.

13) S. A u e r b a e h , Die ttauptursaehen der hiiufigsten Lfihmungstypen. Vo]kmanns Sammlung klinischer Vortr~ge Nr. 633/634. J . A . Barth, Leipzig 1911.

14) S c h w e n k e n b e c h e r und l g e i s s e r , Bleivergiftungen dutch die Wasser- leitung. Jahresbericht des ~irzflichen Vereins zu Frankfurt a/M. ~Einchen, Lehmann. 1914. S. 178.

15) S. A u e r b ach, Zur Pathogenese der postdiphtherischen Akkomodations- liihmung. Deutsche Zeitschr. s iNervenheilkde. Bd. 49, S. 94. 1913.

16) G r a b o w e r , Ubersicht fiber einige ~ltere und fiber die neueren Ar- beiten auf dem Gebiete der Inncrvation des Kehlkopfes. Zeitschr. f. die ges.

Die Aufbrauchtheorie und das Gesetz der L~ihmungstypen. 463

I~eurol. und 1)sychiatrie. 1910. Bd. 1. Heft 9. - - Die Verbreitung und Zahl der l%rvenfasern an den Kehlkopfmuskeln und die Hinf~lligkeit des Erweiterers der Stimmritze. Arch. f. Laryngologie. Bd. 16, S. 189.

17) 1~. G i e r l i c h , Tiber Symptomatologie, Wesen und Therapie der hemi- plegischen Liihmung. Wiesbaden, g. F. Bergmann. 1913.

18) O. F o e r s t e r , Das phylogenetische Moment in der spastischen L~h- mung. Berl. klin. Woehenschr. 1913. ~Nr. 26 u. 27.

19) 1)eln~r , Das Zittern. Seine Erscheinungsformen, seine Pathogenese und klinische Bedeutung. (Monographien a. d. Gebiete d. Neurol. u. Psychiatrie, herausgegeben yon Alzheimer u. Lewandowsky, Hef~ 8.) Berlin, Springer. 1913.