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Die Deutschen kommen! Semmel statt Brötchen: Welche Worte Deutschen in Österreich Spanisch vorkommen. 26 Warum Deutsche auswandern: Wirtschaftsstaatssekretär Walther Otremba erklärt die heutige Emigrationswelle. 30 Esskultur ist Identität: Die österreichisch-deutsche TV-Köchin Sarah Wiener im Interview. 12 Integration, Flüchtlinge und Migration in Österreich – News, Fakten und Hintergründe Ausgabe 4|2008 ISSN 1995-6606 Integration im Fokus

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Die Deutschen kommen!

Semmel statt Brötchen:Welche Worte Deutschen in Österreich Spanisch vorkommen. 26

Warum Deutsche auswandern: Wirtschaftsstaatssekretär Walther Otremba erklärt die heutige Emigrationswelle. 30

Esskultur ist Identität: Die österreichisch-deutsche TV-Köchin Sarah Wiener im Interview. 12

Integration, Flüchtlinge und Migration in Österreich – News, Fakten und Hintergründe Ausgabe 4|2008

ISSN

1995

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Integration im Fokus

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Integration im Fokus 4|2008ÖIF2

Seit Mitte der 90-er Jahre der Konfl ikt in Tschetschenien blutig eskalierte, fl ohen Hunderttausende seiner Bewohner/innen nach Mittel- und Westeuropa. 2007 kam jeder zweite in Österreich anerkannte Flüchtling aus Tschetschenien. Wenn überhaupt,

wird hierzulande meist über die menschen-rechtliche Lage in der Kaukasusrepublik berichtet. Die aktuelle Publikation von BM.I und ÖIF widmet sich dagegen den sozialen

Umständen in Tschetschenien. Die Broschüre mit dem Titel „Soziale Infrastruktur in Tschetschenien“ liefert Antworten auf zahlreiche Fragen: Wie viel kostet ein Laib Brot? Wie werden Konfl ikte gelöst, wie verbreitet sind Scharia-Gerichte? Und was ist an den Berichten von einem Wiederaufbau des zerstörten Landes dran?

Tschetschenen in Österreich geben Auskunft

Wissenschaftlich ausgewertete Interviews mit in Österreich lebenden Flüchtlingen geben Aufschluss über den Alltag in ihrem Heimatland. Mit

Wie lebt man in Tschetschenien?

Bestellungen: Die Publikation „Soziale Infrastruktur in Tschetschenien“ ist kostenlos im ÖIF-Onlineshop unter www.integrationsfonds.at erhältlich.

Dr. Alexander Janda Geschäftsfü[email protected]

Mag. Franz Wolf-MaierStv. Geschäftsfü[email protected]

Beatrix LewandowskiStv. GeschäftsführerinLeiterin Bereich Sprache und [email protected]

Dr. Christoph StockLeiter Bereich Wohnen und [email protected]

Mag. Ursula SchallaböckLeiterin Bereich Ö[email protected]

Mag. Philippa WotkeLeiterin Kardinal König [email protected]

Mag. Lukas KluszczynskiLeiter Integrationswohnhaus Nußdorfer Straß[email protected]

Mag. Nikolaus MezeLeiter Integrationszentrum [email protected]

Mag. Birgit Kofl erLeiterin Team Sprachprojekte und Qualitätssicherungbirgit.kofl [email protected]

Mag. Alexander SchahbasiLeiter Team Wissenschaft und Forschung sowie Team Internationale [email protected]

Mag. Elena Kalogeropoulos, M. A.Leiterin Team Europäische [email protected]

Natalie Failla, M. A.Leiterin Integrationszentrum [email protected]

Mag. Dilek KetanLeiterin Integrationszentrum Oberö[email protected]

Tschetschenien jenseits der Kriegsbericht-erstattung: Wie viel kostet ein Laib Brot, wie viel ein Arztbesuch?

zahlreichen Statistiken liefert die Broschüre damit komplett neue Einblicke in die Lebensbedingungen in der sonst kaum zugänglichen Republik im Südwesten Russlands.

RusslandDagestan

Nordossetien

Inguschetien

Georgien

Bestellungen: Die Publikation „Soziale

Georgien

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Stephan DuursmaLeiter Liese Prokop [email protected]

Mag. Judith SafarLeiterin Team Beruf: Projekte und Qualitä[email protected]

Mag. Mariane RerichaLeiterin Team [email protected]

Tschetschenien

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www.integrationsfonds.at ÖIF 3

Inhalt

12 Esskultur ist Identität: Die österreichisch-deutsche TV-Köchin Sarah Wiener im Interview.

2� Semmel statt Brötchen: Welche Worte Deutschen in Öster-reich Spanisch vorkommen.

30 Warum Deutsche aus-wandern: Wirtschaftsstaats-sekretär Walther Otremba erklärt die heutige Emigrationswelle.

Editorial

Liebe Leserinnen und Leser,

Impressum: Medieninhaber: Österreichischer Integrationsfonds, A-1030 Wien, Schlacht-hausgasse 30, Tel. +43(0)1/710 12 03-0, Fax +43(0)1/710 12 03-500, [email protected] Herausgeber: Alexander Janda Redaktion: Valentin Schwarz, Ursula Schallaböck, [email protected] Textchef: Valentin Schwarz Fotos: Coverbild: Waldhäusl (Fotomontage); Porträtfotos: Alexander Janda, Franz Wolf-Maier, Beatrix Lewandowski: Helmreich Photo-graphie; Christoph Stock, Ursula Schallaböck, Alexander Schahbasi: S. Krautgartner; Philippa Wotke, Stephan Duursma, Lukas Kluszczynski, Natalie Failla, Nikolaus Meze, Dilek Ketan, Birgit Kofl er, Mariane Rericha, Elena Kalogeropoulos, Jan Kreisky: S. Feiner; Sarah Wiener: Mark Boettcher; Johannes Hahn: BMWF; Franz Beckenbauer: Waldhäusl; Ralf Schumacher: APA PictureDesk; Dirk Stermann: Udo Leitner; Frank Hoffmann: Güssinger Kultursommer; Andrea Breth: Bernd Uhlig; Violetta Oblinger-Peters: privat; photos.com (17); S. Feiner (4, 5, 6, 8, 10, 11, 30, 31, 35, 39); S. Holzner (9); Shutterstock (12, 14, 27, 28, 32, 36); Waldhäusl (24, 44); APA PictureDesk (18, 38, 40, 41) Gestaltung und Produktion: Egger & Lerch, Wien Druck: AV+Astoria Druckzentrum GmbH ISSN 1995-6606

Die Artikel der Gastautor/innen drücken deren persönliche Meinung aus und müssen nicht den Positionen des Österreichischen Integrationsfonds entsprechen.

dass Zuwanderung ein weitaus vielfältigeres Thema ist als in der öffentlichen Diskussion wahrgenommen, zeigt die vorliegende Aus-gabe von „Integration im Fokus“. Unter dem Titel „Die Deutschen kommen!“ beschäftigen

wir uns schwerpunktmäßig mit der vielleicht „unauffälligs-ten“, derzeit aber größten Zuwanderergruppe in Österreich. Rund 18.000 Deutsche sind im vergangenen Jahr nach Österreich zugezogen. Als Mitarbeiter/innen in Tiroler Tourismusbetrieben, als Studierende an den Universitäten, als prominente Österreich-Fans erleben wir die deutschen Zuwander/innen in unterschiedlichen Lebenssituationen.

Wenngleich das Bonmot nach wie vor gelten mag, dass es die gemeinsame Sprache ist, die Österreicher/innen und Deutsche trennt, so zeigt sich bei den deutschen Zuwan-der/innen, dass Migration und Integration nicht automatisch als problembehaftetes Phänomen wahrgenommen werden müssen. Zuwanderung ist ein sichtbarer Gewinn, wenn Integration funktioniert – und wo es Probleme gibt, müssen sie durch professionelle Integrationsarbeit gelöst werden.

Die vorliegende Ausgabe von „Integration im Fokus“ beleuchtet aber auch die internationale Dimension der deutschen Migration sowie integrationspolitische Heraus-forderungen in Deutschland. Wie gehen unsere auswande-rungsfreudigen Nachbarn mit ihren Einwanderern um? Der Hotspot Berlin-Kreuzberg und die Motive deutscher Aus-wander/innen heute sind ebenso Gegenstand von Analysen wie die generelle Zuwanderungs- und Integrationspolitik unserer deutschen Nachbarn.

Einmal mehr zeigt sich, dass Migration und Integration vielgestaltige Phänomene sind, die entsprechend vielfältige Strategien und Lösungsansätze erfordern. In diesem Sinn wünsche ich Ihnen mit der aktuellen Ausgabe von „Integra-tion im Fokus“ eine interessante und abwechslungsreiche Lektüre!

Alexander [email protected]

Österreichischer Integrationsfonds Erste Adresse für Integration. Was sich beim ÖIF aktuell tut. Alexander JandaStart: Deutschland, Ziel: ÖIF. Die Folgen der deutschen Wanderung beim ÖIF. Natalie Failla, Maya BürkDie neuen Gastarbeiter. Warum Deutschland Ein- und Auswande-rungsland ist. Rainer MünzDynamisch an der Donau. Das Integrationszentrum Wien fördert in allen Bereichen. Maria-Anna SlabyExpertise aus erster Hand für den ÖIF. Aktuelles Grundlagenwissen zu Migration und Integration für die ÖIF-Mitarbeiter/innen. Christine VeselyFragen ans „Offene Buch“: Drei Interviews zu Fußball, Polizei-einsätzen und Kopftuch. Natalie Failla„Wer gemeinsam aus einer Schüssel isst, lebt auch friedlich zusammen“. Sarah Wiener im Gespräch.

ÖsterreichWer sind die deutschen Migranten? Die größte Zuwanderungs-gruppe im Profi l. Josef KytirAlarm in der Anatomie: Die Deutschen kommen! Über die Germani-sierung von Österreichs Universitäten. Valentin SchwarzIhr Piefkes, wir Össis: Vorurteile auf der Leinwand. Der Film als Schauplatz von deutsch-österreichischen Animositäten. Frank SternGlanz und Glamour statt Gastarbeit. Sechs deutsche Promis mit österreichischer Wahlheimat im Porträt. Ursula SchallaböckEisbein statt Tafelspitz. Im Tiroler Tourismus werden Deutsche immer öfter von Deutschen bedient. Thomas GeigerDeutsche in Österreich: So lernt Ihr unsere Sprache. Ein Crashkurs gegen linguistische Fehltritte. Rudolf MuhrIntegrationsberichte: Graue Theorie oder praktischer Leitfaden? Zur Lage der wissenschaftlichen Integrationsberichterstattung in Deutsch-land und Österreich. Jan Kreisky

InternationalWarum wandern Deutsche aus? Eine aktuelle Studie gibt Einblick in die Motive der deutschen Emigranten. Walther OtrembaVon der Einwanderung bis zur Einbürgerung: Zuwanderung und Integration made in Germany. Peter SchimanyKosmopolit wider Willen. Der Lebensweg des Geigers Hellmut Stern von Berlin über Shanghai nach Chicago und zurück. Marion NeissVom Ausländerghetto zum Zukunftslabor. Status quo und Perspek-tiven für das Berliner Problemviertel Kreuzberg. Ferda AtamanOffene Grenzen unter Verlierern. Wie Deutschland und Österreich nach 1918 ihre Grenzen füreinander öffneten. Jochen OltmerKulturvermittlung weltweit. Das Goethe-Institut ist auf allen Kontinenten aktiv. Hans-Georg Knopp

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42Lektüre!

Alexander Janda

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ÖIF4 Integration im Fokus 1|2008Integration im Fokus 4|2008

Unter der größten Gruppe an Zuwander/innen gibt es keinen einzigen, der die Leistungen des Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF) in Anspruch nimmt: Die Rede ist von unseren deutschen Nachbarn, von denen immer mehr nach Österreich zuwandern. 17.920 deutsche Staatsbürger/innen sind 2007 nach Österreich ausgewan-dert. Die wirtschaftliche Dynamik und die guten Arbeits-platzchancen, aber natürlich auch die Ausbildungsmög-

Erste Adresse für IntegrationEs tut sich was beim ÖIF: Die Palette aktueller Projekte reicht von der Eröffnung des Integrationszentrums Wien, dem one-stop-shop für Integration in der Bundeshauptstadt, über die Fortsetzung des Erfolgsprogramms „Mentoring für MigrantInnen“ bis hin zur ÖIF-Mitarbeiter/innenkonferenz mit drei namhaften Gastvortragenden.

Alexander Janda

Wie viele Deutsche wandern nach Österreich zu?1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007

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5.��2 5.�27 5.��8 �.113 �.028�.2��

5.5�8�.2��

�.70�7.217 7.1�4

7.127

Quelle: STATISTIK AUSTRIA, Wanderungsstatistik. * Belgien, Dänemark, Finnland, Frankreich, Griechenland, Vereinigtes Königreich, Irland, Italien, Luxemburg, Niederlande, Portugal, Schweden Spanien.

lichkeiten in Österreich machen unser Land für Deutsche überaus attraktiv. Die jeweilige Sprache und Mentalität sind zwar seit jeher Grund für gegenseitige Sticheleien, ernsthafte Integrationsprobleme resultieren daraus freilich nicht.

„Mentoring für MigrantInnen“ wirkt Andere Migrant/innengruppen haben es da weitaus schwerer. Vor allem die erfolgsentscheidende Integration in den österreichischen Arbeitsmarkt ist für viele eine große Hürde. Neben Sprachdefi ziten und mangelnder Ausbildung ist es auch für gut qualifi zierte Zuwanderer oft das mangelnde Wissen über Mechanismen und Besonderheiten auf unserem Arbeitsmarkt, das den Einstieg erschwert. Deshalb haben ÖIF, Wirtschafts-kammer (WKO) und Arbeitsmarktservice (AMS) das Programm „Mentoring für MigrantInnen“ initiiert, dessen Pilotdurchgang erfolgreich durchgeführt wurde. Dank der Mentor/innen unseres Programms, allesamt gut vernetzte Akteur/innen des Wirtschaftslebens, konnten den Teilnehmer/innen wertvolle Hilfestellungen, Ratschlä-ge und Kontakte vermittelt werden. Das hat konkrete Effekte: Mehr Selbstvertrauen, eine nachfrageorientierte Bewerbungsstrategie, Einblicke in die reale Wirtschafts- und Arbeitskultur – und konkrete Jobs als Ergebnisse des Mentoringprogramms. Die begleitende Evaluierung des Pilotdurchgangs zeigt: Mentor/innen und Mentees schätzten Mentoring unisono als sinnvolles Instrument zur Unterstützung der Eingliederung von Migrant/innen in den Arbeitsmarkt ein. Schon während der viermonatigen

Unterstützung auf Augenhöhe: Das Mentoringprogramm von ÖIF, WKO und AMS geht im Herbst in die zweite Runde.

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ÖIF 5www.integrationsfonds.at

Dr. Alexander Janda ist Geschäftsführer des Öster-reichischen Integrations-fonds (ÖIF). Kontakt: [email protected]

www.integrationsfonds.at

Erste Adresse für Integration

Laufzeit des Programms konnte jede/r zweite Mentee in den Arbeitsmarkt eingegliedert werden. Im Vordergrund der Mentoringpartnerschaft standen vor allem das Her-stellen von Kontakten bzw. die Einführung in Netzwerke, die Unterstützung im Bewerbungsprozess sowie die Stär-kung der Motivation. Der ÖIF wird dieses erfolgreiche Programm daher mit seinen Partnern WKO und AMS fortsetzen. Die nächste Runde startet Anfang Oktober.Den Projektbericht des erfolgreichen Pilotdurchlaufs im Frühjahr 2008 fi nden Sie auf unserer Homepage www.integrationsfonds.at.

Integrationszentrum Wien: Die erste AdresseSeine Rolle als „one-stop-shop“ für erfolgreiche Integra-tion baut der ÖIF mit dem am 4. September eröffneten Integrationszentrum (IZ) Wien aus (s. Seite 8). Im IZ Wien sind alle bisherigen Unterstützungsangebote des ÖIF vereint: Egal, ob es um Deutschkurse, um Berufs-ausbildungen, um die Vergabe von Startwohnungen, um Stipendien oder um die Jobsuche geht – das neue

Integrationszentrum Wien ist dafür die erste Anlaufstelle. Hier können die Asylberechtigten und subsidiär Schutz-berechtigten von Montag bis Donnerstag zwischen 7.30 und 18.30 bzw. 15.30 Uhr am Freitag alle ÖIF-Services in Anspruch nehmen. Auch im IZ Wien gilt das

one-stop-shop-Prinzip: Die Flüchtlinge können Unterstüt-zungen aus allen Bereichen bei ein und dem/derselben Mitarbeiter/in beantragen. Sie profi tieren zudem von der

verbesserten Kommunikation unter den Mitarbeiter/innen im neu errichteten Großraumbüro. Sprache, Beruf, Woh-nen und Gesellschaft sind die Kernressorts des IZ Wien, in dem unsere engagierten Expertinnen und Experten maßgeschneiderte Lösungen für Integrationsherausfor-derungen bieten. Wie generell für die Arbeit des ÖIF gilt: Kundinnen und Kunden des IZ Wien sind Asylberechtigte, subsidiär Schutzberechtigte und natürlich auch die öster-reichische Bevölkerung.

ÖIF-Mitarbeiter/innen: Auf Du und Du mit ExpertenBei der jährlich veranstalteten Mitarbeiter/innenkonferenz kommen alle über 100 Mitarbeiter/innen des ÖIF zusam-men: so auch am 2. und 3. September. Neben dem in-ternen Austausch dient die Konferenz dazu, den aktuellen Wissensstand zu den Themen Migration und Integration aus erster Hand zu erhalten. Die drei Experten Stephan Marik-Lebeck (Statistik Austria), Heinz Fassmann (Uni-versität Wien) und Hans Winkler (Die Presse) hielten Im-pulsreferate zu ihren Fachbereichen und führten danach lebendige Diskussionen mit den ÖIF-Mitarbeiter/innen.

Die Weiterbildung aller Kolleg/innen ist uns beim ÖIF ein großes Anliegen: Wir freuen uns bereits auf die nächste Mitarbeiter/innenkonferenz!

Das IZ Wien ist erste Anlaufstelle für Sprachkurse, Jobsuche, Start-wohnungen und vieles mehr.

Volles Haus, voller Garten: Die Eröffnung des Integrationszentrums Wien war mit rund 250 Gästen sehr gut besucht.

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Integration im Fokus 4|2008ÖIF�

Wie und unter welchen Umständen seid ihr nach Österreich gekommen?Maya Bürk: Nach meinem Studium und einem Frei-willigen Sozialen Dienst in der Slowakei habe ich das gemacht, was alle tun: bewerben, bewerben, bewerben. Leider haben es in Deutschland gerade Berufsanfänger nicht einfach – deshalb habe ich mich unter anderem auch in Wien beim ÖIF beworben. Für die Stelle war ich leider zu spät dran, aber beim Integrationszentrum Oberösterreich hat’s zum Glück geklappt.Natalie Failla: In Wien habe ich mich schon vor drei Jahren verliebt: Damals habe ich ein Praktikum bei der ständigen Vertretung Österreichs bei der UNO gemacht. Nach meinem Uniabschluss konnte ich endlich hierherzie-hen und bin seit 2007 beim ÖIF.

Was gefällt euch in Österreich, was nicht?Failla: Die Stadt begeistert mich nach wie vor: Sie ist toll erhalten, das Klima ist gut, Grünflächen sind leicht er-

reichbar und die Leute sind hilfsbereit und freundlich – bis auf die „Herren Ober“ in den Kaffeehäusern vielleicht. Aber an die Ladenöffnungszeiten muss ich mich erst gewöhnen, in Mainz konnte ich bis 22 Uhr einkaufen.

Bürk: Ich vergleiche Länder nicht gerne – jedes hat seine Vor- und Nachteile. Das Arbeitsleben hier ist aber auf jeden Fall entspannter und nicht so ver-krampft wie in Deutschland.

Wie unterscheidet sich der Arbeitsalltag zwischen Österreich und Deutschland?Bürk: Der österreichische Arbeitsmarkt ist viel offener: Auch Neulinge bekommen eine Chance. Gerade Sozialar-beits-Jobs sind in Deutschland viel prekärer, die Verträge meist auf ein Jahr befristet. Auch die Bezahlung ist hier besser!Failla: Ja, die Österreicher sind entspannter und posi-tiver, das Arbeitsklima ist hier offener.

Start: Deutschland, Ziel: ÖIFEinem so breiten Migrationstrend kann sich auch der Österreichische Integrationsfonds (ÖIF) nicht entziehen: Mit zwei deutschen Mitarbeiterinnen von 125 liegt der ÖIF im österreichweiten Schnitt von etwa 1,5 Prozent. Wer sind die Deutschen beim ÖIF? Natalie Failla und Maya Bürk stellen sich im Interview vor.

War es eine Überwindung, sich als Deutscher in Öster-reich bei einem Mentoringprogramm anzumelden? Zitzmann: Grundsätzlich ist für Zuwanderer aus Deutsch-land die Integration in sprachlich-kultureller Hinsicht deutlich leichter. Was mir – genau wie auch Migranten und Migrantinnen aus kulturell und sprachlich entfernteren Herkunftsländern – fehlte, war die Unterstützung eines beruflichen Netzwerks. Genau hier setzt das Mentoring-programm an. Es war deshalb genau die richtige Entschei-dung, mich für das Programm anzumelden. Wie stark hilft oder trennt die gemeinsame Sprache beim Knüpfen von Netzwerken? Werden Sie darauf angespro-chen, kein Österreicher zu sein? Zitzmann: Nur wer eine gemeinsame Sprache spricht, findet Gemeinsamkeiten und interessante gemeinsame

Themen – das ist aus meiner Sicht letztlich die Grundlage erfolgreicher Integration. Bayrisch ist manchen österrei-chischen Dialekten recht ähnlich. Da gibt es wenige Barri-eren. Zuwanderer aus der norddeutschen Tiefebene etwa tun sich meines Erachtens deutlich schwerer in Österreich – sowohl beim Verstehen wie auch beim Verstanden- Werden. Wie wohl oder unwohl fühlen Sie sich in Österreich bzw. Wien im Allgemeinen? Zitzmann: Ich fühle mich hier sehr wohl. Das Angebot in Wien hat Weltklasse und wird ohne großen Tamtam ange-boten – beispielsweise das Sommerkonzert in Schönbrunn oder das Donauinselfest. Auch die Vielfalt macht die Stadt sehr attraktiv – der Brunnenmarkt und der Yppenplatz sind an Lebendigkeit kaum zu übertreffen.

Wer hätte das gedacht: Beim Mentoringprogramm von ÖIF, Wirtschaftskammer und Arbeitsmarktservice (s. Seite 4) war

auch ein Deutscher dabei – und nicht etwa als Mentor, sondern als Mentee. Christian Zitzmann aus Weiden in der Oberpfalz fand mit Unterstützung seiner türkischstämmigen Mentorin Güldane Altan in den vier Monaten der Programmlaufzeit einen Job und erzählt über seine Erfahrungen.

„Die Wiener sind nett und hilfsbereit – bis auf die Ober in den Kaffeehäu-sern vielleicht.“

Ein Bayer in Wien

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www.integrationsfonds.at ÖIF 7

Kolum

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Bis in die frühen 1990er-Jahre war Deutsch-land in Europa das beliebteste Ziel von Migranten. Das galt nicht nur für auswande-rungswillige Österreicher, sondern auch für Polen, Kroaten oder Türken. Die Folgen sind bis heute sichtbar: Unter allen 27 EU-Staa-ten hat Deutschland bei weitem die größte Zahl an Zuwanderern. Von 82 Millionen Einwohnern kamen immerhin 10 Millionen im Ausland zur Welt. Doch diese Zahl wächst

nicht mehr. Die Zeit der starken Zuwande-rung ist vorbei. Heute verlassen immer mehr Deutsche ihr Land. Ein beliebtes Ziel deutscher Auswande-rer ist Österreich. Hier

bilden sie inzwischen die am schnellsten wachsende Gruppe von Ausländern. Auch das hat Folgen: Heute leben in Österreich mehr deutsche als türkische Staatsbürger.

Die Trendwende hat klare Ursachen. Auf einen kurzen Boom nach der Wiedervereini-gung folgten in Deutschland lange Jahre wirt-schaftlicher Stagnation und hoher Arbeits-losigkeit. Für den Osten Deutschlands, aber auch für einzelne Gebiete Westdeutschlands gilt das bis heute. Regionen mit 15 bis 20 Prozent Arbeitslosigkeit sind keine Seltenheit. Viele, vor allem Jüngere, entschließen sich in dieser Situation zur Auswanderung. Wenn sie aus Mecklenburg-Vorpommern, aus Sach-sen-Anhalt oder dem Saarland weggehen, macht es für sie keinen großen Unterschied, ob sich ein neuer Arbeitsplatz in Bayern, in Tirol oder in Wien fi ndet. Denn in Österreich spricht man auch deutsch. Das erleichtert deutschen Zuwanderern den Einstieg. Und geografi sch sind wir von Deutschlands Problemregionen nicht weiter entfernt als Süddeutschland, wo es die Mehrzahl der deutschen Binnenwanderer hinzieht.

Nachbarschaft und die gemeinsame Sprache würden allerdings keine Rolle spielen, wenn Österreich nicht noch etwas anderes

vorzuweisen hätte. Von vielen unbemerkt, war die Alpenrepublik wirtschaftlich extrem erfolgreich. Das Land profi tierte überdurch-schnittlich von seinem eigenen EU-Beitritt 1995. Und mehr als die anderen Länder Europas profi tierte Österreich vom Ende des Kommunismus, dem Entstehen junger Markt-wirtschaften vor der „Haustüre“ und von der EU-Osterweiterung. Seltsamerweise gibt es allerdings auch kein anderes Land, in dem die EU und die Osterweiterungen der Jahre 2004 und 2007 so unpopulär sind wie hierzulande.

4 von 10 Zuwanderern sind EU-Bürger Heute ist Österreich eines der reichsten Länder Europas und der Welt. Die Arbeits-losenrate ist niedrig. In mehreren Regionen und Branchen herrscht ein Mangel an Arbeitskräften. Überdies gibt es freien Zugang zu den Universitäten. Und die Studiengebühren sind äußerst niedrig. Verstärkte Zuwanderung von Arbeitskräften und Studierwilligen ist die Folge: seit 2001 war die Zahl ausländischer Zuwanderer jedes Jahr um 30.000 bis 50.000 Personen größer als die Zahl ausländischer Abwan-derer. Inzwischen kommen 40 Prozent aller Zuwanderer aus Deutschland und aus ande-ren EU-Staaten. Dieser Anteil wird in naher Zukunft weiter anwachsen. Denn bald laufen jene Übergangsbestimmungen aus, die Bürgerinnen und Bürger neuer EU-Staaten bislang den Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt verwehren.

Politisch ist die neue Zuwanderung nach Österreich kaum zu beeinfl ussen. Sie erfolgt legal und überwiegend außerhalb bestehen-der Quoten. Das Beispiel Deutschlands zeigt allerdings, was auch bei uns nachhaltig „wirken“ würde: mehrere Jahre ohne Wirtschaftswachstum, hohe Arbeitslosig-keit sowie Zugangsbeschränkungen beim Hochschulstudium. Dann kämen die Deut-schen und andere Zuwanderer kaum noch nach Österreich. Und etliche Einheimische würden sich wieder nach attraktiven Zielen außerhalb Österreichs umsehen.

Von Deutschlands 82 Millionen Einwohnern kamen 10 im Ausland zur Welt – doch heute wandern Deutsche vermehrt selber aus.

Rainer Münz leitet die Forschung der Erste Bank und ist Senior Fellow am Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitut. Kontakt: [email protected]

Die neuen GastarbeiterRainer Münz

Natalie Failla, M. A.Leiterin des Integrations-zentrum Wien, hat in Mainz/Rheinland-Pfalz Soziologie studiert und die akademische Zusatzqua-lifi kation in Europäischer Migration (EUROMIR) abgeschlossen.

Maya BürkIntegrationsbetreuerin im Integrationszentrum Oberösterreich, hat in Mönchengladbach/Nord-rhein-Westfalen Soziale Arbeit studiert.

Bei bester Laune: Christian Zitzmann hat dank „Mentoring für MigrantInnen“ einen neuen Job.

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Integration im Fokus 4|2008ÖIF8

Dynamisch an der Donau: Integrationsförderung in allen BereichenEs ist soweit: Das Integrationszentrum Wien hat offiziell seine Pforten geöffnet. Der „one-stop-shop“ des ÖIF deckt ein breites Angebot für Asylberechtigte und subsidiär Schutzberechtigte ab. Vom Sprachkurs über die Jobsuche bis hin zur Wohnungsvermittlung können Flüchtlinge aus ganz Österreich hier alle Services zentral in Anspruch nehmen.

Maria-Anna Slaby

Die Eröffnung war ein voller Erfolg: Rund 250 Gäste waren am 4. September gekommen, um das neue Integrati-onszentrum in der Wiener Schlachthausgasse in Augen-schein zu nehmen. Bei prachtvollem Spätsommer-Wetter bestaunten sie eine tibetische Tanzvorführung und wippten zu den kraftvollen Rhythmen des Musikers Ramadu aus Simbabwe. Im Rahmen der Aktion „Offenes Buch“ (s. Seite 10) hatten die Besucher/innen die seltene Gelegenheit, persönlich zu erfragen, wie etwa eine Muslimin ihr Kopftuch bindet oder welche Rolle inter-kulturelle Kenntnisse im Polizeidienst spielen.

Was Anfang September so gelungen eröffnet wurde, ver-fügt jedoch schon über breite Erfahrung und Expertise. Im Integrationszentrum Wien sind die bisherigen Leistungen des ÖIF in Wien – von finanzieller Integrationsförderung über Jobcoaching bis hin zur Wohnungsvermittlung – ge-bündelt und erweitert worden: Alle ÖIF-Services stehen den Asylberechtigten und subsidiär Schutzberechtigten nun fünf Tage die Woche zwischen 7:30 und 18:30 (Mon-tag bis Donnerstag) bzw. 15:30 (Freitag) zur Verfügung.

Das Integrationszentrum Wien finanziert etwa Alphabe-tisierungs- und Deutschkurse sowie Berufsausbildungen

Tel.: 01/710 12 03-200Fax: 01/710 12 03-500Schlachthausgasse 301030 Wien

Öffnungszeiten:Montag bis Donnerstag: 7:30 bis 18:30 UhrFreitag: 7:30 bis 15:30 Uhr

Maria-Anna Slaby ist Mitarbeiterin des Integrationszentrums Wien des ÖIF. Kontakt: [email protected]

oder für den Jobeinstieg nötige Übersetzungen. Studierende können sich jedes Semester für das Liese Prokop Stipendium bewerben. Berufseinsteiger erhalten im Jobcenter professionelle Unterstützung. Aus dem Pool günstiger Startwohnungen werden jährlich 1.600 Personen versorgt. Aber auch Lernbetreuung in der Schule oder Schikurse können vom Integrationszentrum mitfinanziert werden.

Da war das rote Band noch unversehrt: Leiterin Natalie Failla mit ihrem Team bei der Eröffnung des Integrationszentrums.

Besuchen Sie das Integrationszentrum Wien und informieren Sie sich persönlich über unser Angebot!

Das Team des Integrationszentrums freut sich auf Ihren Besuch.

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www.integrationsfonds.at ÖIF �

Expertise aus erster Hand für den ÖIFJährlich veranstaltet der Österreichische Integrationsfonds (ÖIF) eine große Mitarbeiter/innenkonferenz. Dabei steht nicht nur die strukturelle und organisatorische Weiterentwicklung des ÖIF am Programm. Hochkarätige Wissenschafter/innen vermitteln den Mitarbeiter/innen des ÖIF aktuelle wissenschaftliche Expertise zu den Themen Migration und Integration. Zu Gast waren diesmal Dr. Stephan Marik-Lebeck (Bevölkerungsexperte der Statistik Austria), Univ.-Prof. Dr. Heinz Fassmann (Universität Wien) und Dr. Hans Winkler (Kolumnist der „Presse“).

Christine Vesely

Jugendarbeitslosigkeit ist größtes ProblemBevölkerungsexperte Marik-Lebeck informierte die Mit-arbeiter/innen des ÖIF über statistische Erkenntnisse im Migrations- und Integrationsbereich. Seit 1960 sind insge-samt knapp 1,1 Millionen ausländische Staatsangehörige nach Österreich zugewandert. Die Zahl der in Österreich lebenden Ausländer/innen hat sich zugleich verachtfacht. Bis Mitte der 1990er-Jahre stammte die Mehrzahl aus dem ehemaligen Jugoslawien und der Türkei. Seither

haben die Anteile außereuropäischer Immigrant/innen in Österreich zuge-nommen. Ebenso steigt die Zahl der EU-Bürger in Österreich laufend an. 2007 waren ein Drittel aller Ausländer

EU-Bürger. Hingegen stagnieren oder reduzieren sich die Zahlen der Staatsangehörigen aus dem ehemaligen Jugo-slawien und der Türkei durch laufende Einbürgerung. Die Anteile von EU-Bürgern werden künftig weiter steigen, so Marik-Lebeck. Als größte Herausforderung hob er die Jugendarbeitslosigkeit hervor, die bei Nicht-Österreichern bei 20,5 Prozent liegt.

Mehr in Bildung investierenDer Demograf Heinz Fassmann von der Uni Wien betonte angesichts des Problems der Jugendarbeits-losigkeit, wie wichtig es sein, in Bildung zu investie-ren. Vor allem sollten türkische Mädchen und Frauen gestärkt werden, sich zu bilden. So gehen 60 Prozent der türkischen Burschen, aber nur rund 30 Prozent der Mädchen zwischen 15 und 19 Jahren in die Schule. Fassmann berichtete den ÖIF-Mitarbeiter/innen über die

Inhalte und Themen des 2. Integrations- und Migrations-berichtes (s. Seite 28) und betonte die Heterogenität der Zuwanderung. Die Immigration bleibt in Österreich eine strukturelle Erscheinung und wird auch nicht einfach so wieder aufhören. Der Experte ortete Scheindebatten in Österreich über Möglichkeiten der Migrationssteue-rung, bemängelt aber das Fehlen einer Debatte über die Grenzen der kulturellen Freiräume und das Ausmaß an Anpassung.

Journalist Hans Winkler referierte im Rahmen der Mitarbeiterkonferenz 08 des ÖIF über die wichtige Rolle der Medien im Bereich der Integration. Er unterstrich die Verantwortung der Medien, meint aber, man solle diese nicht überschätzen. Eine wesentliche Aufgabe der Medien sei es, in Zukunft nicht nur über Migrant/innen zu berichten, sondern diese auch selbst als Redakteurinnen und Redakteure in den Vordergrund zu rücken: „Ich warte darauf, dass es beim ORF endlich einen Nachrichtenspre-cher mit Migrationshintergrund gibt.“

Mag. Christine Vesely ist Mitarbeiterin des Bereichs Österreich im ÖIF.Kontakt: [email protected]

Bild links: Hans Winkler hofft auf mehr Journalist/in-nen mit Migrations-hintergrund.

Bild rechts: Über 100 ÖIF-Mitarbei-ter/innen kamen bei der Konferenz in Wien zusammen.

Ein Drittel aller Ausländer/innen in Österreich kommt aus der EU.

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Integration im Fokus 4|2008ÖIF10

Fragen ans „Offene Buch“Mit Menschen reden statt über sie: So lautete das Thema der Aktion „Offenes Buch“ bei der Eröffnung des Integrationszentrums Wien. Die Gäste konnten den lebenden „Büchern“ all die Fragen stellen, die sie im Alltag nie loswerden. Zwei Musliminnen, ein kroatischer Rapid-Kicker und zwei Angehörige der Polizei erzählen über Tradition und Diskriminierung, kroatische Architektur und Freizeit ohne Fußball sowie interkulturelle Amtshandlungen.

Natalie Failla

Integration im Fokus: Seit wann sind Sie denn in Österreich und weshalb sind Sie gekommen?Mario Tokic: Ich lebe hier seit 2001. Damals war ich 26 Jahre alt und habe ein gutes Angebot vom GAK erhalten. In Graz habe ich vier Jahre gespielt, dann war ich zwei Jahre bei Austria Wien und nun bin ich das zweite Jahr bei Rapid.

Wo haben Sie so gut Deutsch gelernt? Bei so vielen Spielern aus dem ehemaligen Jugoslawien – da lernt man als Fußballer fast schwerer Deutsch …Tokic: … stimmt. (lacht) Ich habe Deutsch schon in der Schule gelernt. In Österreich habe ich keinen Deutschkurs gemacht, weil ich schon alles sagen konnte.

War es zu Beginn schwierig für Sie in Österreich?Tokic: Nein, ich habe immer Respekt gehabt, vor dem Land, vor der Stadt Graz, das ist wichtig. Zwischen Kroaten und Österreichern ist kein großer Men-talitätsunterschied. Ich komme ja aus Rijeka, das auch Teil der österreichisch-ungarischen Monarchie war. Sogar die Architektur ist gleich!

Und Ihre Freunde? Sind die aus Österreich oder aus Kroatien?

Tokic: Gemischt. Manche sind aus Kroatien, manche aus Österreich. Ich glaube, über den Sport lernt man leich-ter Leute kennen. Aber meine Freunde kommen eigentlich gar nicht aus dem Fußball – ich bin auch froh, manchmal eine Pause davon zu haben. In Kroatien reden alle ständig über Fußball, auch in der Freizeit. Das ist in Österreich angenehmer.

Sie haben einen 12-jährigen Sohn. Wie geht es ihm in Österreich, wird er auch mal ein großer Fußballer?Tokic: Robert spielt Handball. Er war fünf, als wir nach Österreich gezogen sind – und es geht ihm hier gut. Bei Kindern geht das ja ganz schnell. Er hat im Kindergarten in Graz Deutsch gelernt und geht jetzt in Wien in die Schule.

Integration im Fokus: Für den Poli-zistenberuf sieht man immer öfter Werbung. Besonders für Personen mit Migrationshintergrund.Andrea Nekvinda: Ja, das stimmt. Es wird viel Werbung gemacht. Man möchte Leuten, die zugewandert sind, die vielleicht eine andere Hautfarbe ha-ben, die Scheu nehmen, sich für diesen Beruf zu entscheiden.Norbert Brucks: Das Problem ist dabei leider oft die Aufnahmeprüfung. Viele Leute mit Migrationshintergrund schaffen den Test wegen ihrer schlech-ten Deutschkenntnisse nicht. In Bildung zu investieren wäre besonders wichtig. Nekvinda: Es wäre gut, wenn sich der Anteil der Menschen mit Migrationshin-tergrund im Polizeidienst erhöht.Brucks: Ja, da kann ich nur zustimmen.

„In Kroatien reden alle ständig über Fußball“ „Es wäre gut, mehr Migranten bei der Polizei zu haben“

Der Verteidiger Mario Tokic kam vor sieben Jahren aus Kroatien nach Österreich und kickt aktuell bei Rapid Wien. Er spielte 28-mal in der kroatischen Na-tionalmannschaft und war im Kader für die EM 2004 und die WM 200�.

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Natalie Failla, M. A. ist Leiterin des Integra-tionszentrums Wien im ÖIF. Kontakt: [email protected]

Sarah Hafez studiert an der Pädagogischen Hochschule Wien Englisch und Geschich-te und ist Mitglied der Muslimischen Jugend Österreichs.

Integration im Fokus: Sie waren schon öfter als „Buch“ im Einsatz. Welche Fragen kommen besonders oft?Sarah Hafez: Mein Buchtitel ist ja „Muslimin mit Kopftuch“ – also werde ich in erster Linie darauf angespro-chen. Ich fi nde das positiv! Für viele Österreicher ist das Kopftuch ein Tabu. Normalerweise würden sie es als un-höfl ich empfi nden, danach zu fragen.

Haben Sie das Gefühl, so Vor-urteile effektiv abzubauen?Hafez: Ja, auf jeden Fall. Viele Leute wissen einfach zu wenig. Sie fragen dann ganz allgemein: Ist das wirklich so bei euch? Ich bin immer froh, erklären zu können, dass nicht alles Schlechte, das in der muslimischen Welt passiert, seinen Ursprung in der Religion hat. Religion ist nicht dassel-be wie Tradition, obwohl letztere für viele Muslime leider wichtiger ist.

Wie ist das allgemeine Bild der Österreicher von Muslimen?Hafez: Das häufi gste Vorurteil: Muslime sind automatisch Ausländer. Sie werden als fremd wahrgenom-men, auch wenn sie selbst sich vielleicht gar nicht so sehen. Viele sind erstaunt, dass Deutsch meine Muttersprache ist.

Waren Sie im Alltag jemals offener Diskriminierung ausge-setzt?Hafez: Nein, da fällt mir nichts ein. Viele Musliminnen schränken sich aber auch selbst vorauseilend ein: Sie bewerben sich z. B. nicht als Verkäuferin, weil sie fürchten, dass der Chef keine Frau mit Kopftuch im Kundenkontakt arbeiten lässt. Dabei hat Diskriminierung auch viel mit dem eigenen Verhalten zu tun: Wenn ich selbstsicher auftrete, reagiert meine Umwelt darauf und ich bekomme den Respekt, den ich verdiene.

Gerade bei Amtshandlungen hat es große Vorteile, jemanden dabei zu ha-ben, der die Sprache spricht, die Kultur kennt und damit auch die Situation besser versteht.

Gibt es zum Thema interkulturelles Verständnis spezielle Schulungen bei der Polizei?Nekvinda: Ja, da passiert viel. Es gibt viele Fortbildungen zum Thema Konfl ikt-bewältigung und Umgang mit anderen Kulturen. Das interkulturelle Verständ-nis ist sicher besser geworden.

„Es wäre gut, mehr Migranten bei der Polizei zu haben“ „Tabuthema Kopftuch? Reden wir darüber!“

Norbert Brucks (l.) ist Mitarbeiter der Verkehrs-abteilung im Landespolizei-kommando Wien.

Andrea Nekvinda (r.) ist Mitarbeiterin des Bereichs Informationsmanagement und Öffentlichkeitsarbeit im Landespolizeikommando Wien.

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Integration im Fokus 4|2008ÖIF12

success story

Sarah Wiener ist einem breiten Publikum vor allem dank ihrer Auftritte als TV-Köchin bei Johannes B. Kerner (ZDF) und durch die „Kulinarischen Abenteuer der Sarah Wiener“ (ARTE) bekannt. Die Österreicherin mit deutschen Wurzeln führt darüber hinaus in Berlin drei Restaurants und ein erfolgreiches Catering-Unternehmen, dessen etwa 100 Beschäftigte jährlich 400 Veranstaltungen betreuen. Was sagt sie zum deutsch-österreichischen Verhältnis auf kulinarischer Ebene? Wie wichtig ist die Esskultur für die Identität einer Gesellschaft? Und was hält die gesundheitsbewusste Köchin von religiösen Ernährungsvorschriften?

Valentin Schwarz

Integration im Fokus: Frau Wiener, Sie haben mit Ihren Kochkünsten als Österreicherin in Deutschland Karriere gemacht. Wie ist der Ruf der österreichischen Küche beim großen Bruder?Wiener: Ich denke, die meisten Deutschen lieben die österreichische Küche. Sie ist bodenständig, vielfältig, hat viele mediterrane Einfl üsse, ist aber doch nicht zu exotisch.

Ihre Mutter ist Deutsche, Ihr Vater Öster-reicher. Sie haben im Alter von drei Jahren die österreichische Staatsbürgerschaft erhalten, sind in Wien aufgewachsen, sind aber seit langer Zeit vor allem in Deutschland tätig. Fühlen Sie sich mehr als Österreicherin oder als Deutsche?Wiener: Zum einen habe ich nur acht Tage nach meiner Geburt in Deutschland verbracht. Dass ich die österreichische Staatsbürgerschaft also erst mit drei Jahren erworben habe, lag daran, dass ich sie vorher nicht gebraucht habe, dass das keine Rolle gespielt hat. Ich fühle mich aus purem Patriotismus und aus Widerspruchsgeist etwas mehr als Österreicherin – solange ich in Deutschland bin. In Österreich ist das oft genau umgekehrt.

Wie ist das kulinarisch: Welche Küche liegt Ihnen mehr? Wiener Schnitzel mit Erdäpfelsalat oder Bratwurst mit Sauerkraut? Kaiserschmarrn oder Butterkuchen?Wiener: Deutschland hat viele schöne Seiten und ist in mancher Hinsicht Österreich überle-gen – kulinarisch allerdings (noch) nicht.

Welche Rolle spielt es in Deutschland, sprachlich einen österreichischen Einschlag zu haben? Wie ist das im Alltag, wie im Fernsehen? Wird man vorschnell als „putzige Österreicherin“ schubla-disiert?Wiener: Das ist ganz unterschiedlich: Manche hassen den Dialekt, andere lieben ihn und fühlen sich an ihren Urlaub erinnert. Nur putzig fi ndet ihn sicher keiner an mir – dazu bin ich selbst zu wenig davon.

Wie ist der Ruf der Österreicher/innen in Deutsch-land im Allgemeinen?Wiener: Er ist mit Sicherheit besser als der vieler anderer Ausländer.

Worin unterscheiden sich Österreicher/innen und Deutsche Ihrer Meinung nach am stärks-

ten, wo sind die Gemeinsamkeiten?Wiener: Himmel! So einfach ist das nicht: Es gibt nicht „den“ Deutschen oder „den“ Österreicher. Was hat ein Wiener denn mit einem Tiroler gemein, was ein Bayer mit einem Bewohner von Mecklenburg- Vorpommern?

Sie haben im Alter von 17 Jahren die Schule abgebrochen und sind durch Europa gezogen. Dabei haben Sie in Südfrankreich Schafe gehütet, in Spanien Orangen gepfl ückt – Jobs, die heute typischerweise von (illegalen) Migranten aus-geübt werden. Wie lebt es sich so am Rand der Gesellschaft?Wiener: Einer faulen, abenteuerlustigen Sieb-zehnjährigen, die aus der mittel euro päischen Wohlstandsgesellschaft kommt und einen europäischen Pass besitzt, geht es auch in so einer Situation weit besser als den Millionen anderen, die all das nicht von sich behaupten können. Armut ist nicht gleich Armut, da gibt es noch immer große Unterschiede.

Heute reisen Sie für ARTE durch Frankreich und Italien und lernen die dortigen Regionalküchen

„Wer gemeinsam aus einer Schüssel „Wer gemeinsam aus einer Schüssel isst, lebt auch friedlich zusammen“isst, lebt auch friedlich zusammen“

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www.integrationsfonds.at ÖIF 13

kennen. Wie einfach ist es, sich fremde Esskul-turen anzueignen? Reicht eine Reise in ein frem-des Land oder muss man länger in der fremden Kultur leben?Wiener: Wenn man so wie ich bei den „Kuli-narischen Abenteuern der Sarah Wiener“ fast zwei Jahre lang herumreist und sich intensiv mit der Küche und den Essgewohnheiten eines Landes beschäftigt, lernt man sie schon sehr gut kennen. Ich habe während dieser Zeit viele neue Entdeckungen gemacht und meinen kulinarischen Horizont stark erweitert. Die grundlegenden Vorlieben und Essgewohnheiten ändern sich in so kurzer Zeit aber nicht, das ist ein langsamerer Prozess.

Am Anfang Ihrer Laufbahn haben Sie Filmcrews und zahlreiche andere Stars wie etwa Bruce Springsteen oder Kate Moss bekocht, später das Team Telekom bei der Tour de France. Wie unter-scheiden sich die Geschmäcker der internationa-len Berühmtheiten, welche Extravaganzen haben Sie erlebt? Spielt die Herkunft oder mehr der individuelle Charakter eine Rolle?Wiener: Warum sollten Berühmtheiten bes-sere oder ausgeprägtere Geschmacksnerven haben als Sie und ich? Um den eigenen Geschmack zu schulen, brauchen wir alle dasselbe: Konzentration, Aufmerksam-keit, den Willen, uns zu öffnen. Unser Geschmack ist letztlich von unserer Kultur, Sozialisation und unseren frühkindlichen Erfahrungen am meisten geprägt.

Als Köchin haben Sie sich in einem männerdo-minierten Metier bewährt. In der ZEIT haben Sie gegen Magersucht Stellung bezogen und Frauen zu mehr Vertrauen zu sich selbst aufgerufen. Frauen, die sich aus Schönheitswahn selbst kasteien, haben Sie mit Musliminnen verglichen, die sich ver-schleiern, weil sie es angeblich selbst so wollten. Ist Emanzipation ein Teil der europäischen Kultur, an die sich Migrantinnen und Migranten anpassen müssen?

Wiener: Das kann ich als aufgeklärte Mittel-europäerin nur mit einem eindeutigen, lauten „Ja“ beantworten.

In einem Interview haben Sie über übertriebene Ernährungsphilosophien gesagt, diese führten oft dazu, dass die Betroffenen „sich selbst aus der Gesellschaft herauskatapultieren“. Dabei haben Sie folgenden Vergleich gemacht: „Wenn der Dalai Lama aus Höfl ichkeit dem Gastgeber gegenüber Fleisch isst, dann sollte Fritzchen Müller das auch können.“ Was halten Sie von Ernährungsregeln, die sich auf die Religion berufen, etwa im Islam oder Judentum? Provokant formuliert: Katapultieren sich Muslime, die kein Schweinsschnitzel essen, selbst aus der Gesellschaft hinaus?

Wiener: Ich sehe das so: In einer Gesellschaft, wo alle bestimmte Tabus teilen, ist der Tabubrecher der Ausgestoßene. Insofern isoliert man sich natürlich von

der Mehrheit, wenn man für diese Mehr-heit fremde Ernährungsvorschriften rigide durchzieht. Aber: Wir bezeichnen uns nicht umsonst selbst als Kultur der Individualität. Jeder darf und soll nach seiner Façon glücklich werden. Das ist doch ein schöner Gedanke! Doch auch wenn wir das außer Streit stellen, bin ich der Meinung, dass unsere Ernährungs-gewohnheiten in der „Ersten Welt“ ungesund sind, dass wir zu viele tierische Proteine essen.

Welche Rolle spielt die Esskultur einer Gesell-schaft für deren Identität insgesamt?Wiener: Kochen und Essen sind ganz wich-tige Kriterien für Identität und Zusammenge-hörigkeit. Wer gemeinsam aus einer Schüssel isst, lebt auch friedlich zusammen.

Immer wieder ist zu lesen, Sie hätten weder einen Schulabschluss erworben noch einen Beruf erlernt und dennoch Karriere gemacht. Wie schwer ist es, sich ohne Ausbildung berufl ich durchzusetzen? Welchen Ratschlag können Sie Migrantinnen und Migranten geben, die im Bil-dungsbereich Einheimischen oft hinterherhinken?Wiener: Ich habe ganz einfach Glück gehabt. Wenn ich mein Prinzip weitergeben wollte, müsste ich sagen: Füllt jede Woche einen Lot-toschein aus, ihr werdet gewinnen. Für alle anderen gilt: Hört auf eure Eltern – Wissen ist Macht! Kämpft um eine gute Ausbildung, lernt, so viel ihr könnt – als Erstes die Sprache eurer Nachbarn. Im Kämpfen und Überleben sind wir „Underdogs“ besonders gut. Das ist ein Vorteil – nützt ihn! Und vor allem: Nicht aufgeben – nie aufgeben!

Mit Geschick und Fingerspitzengefühl hat

sich Sarah Wiener in der deutschen Kochland-

schaft durchgesetzt.

„Natürlich isoliert man sich durch rigide Ernährungs-vorschriften von der Mehrheit.“

Sarah Wiener, 1962 als Tochter der deut-schen Künstlerin Lore Heuermann und des österreichischen Autors Oswald Wiener geboren, betreibt drei Restaurants in Berlin.

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Integration im Fokus 4|200814 Österreich

Wer sind die Deutschen in Österreich?

In den vergangenen Jahren avancierten deutsche Staats-bürgerinnen und Staatsbürger zahlenmäßig zur Nummer eins unter den jährlich mehr als 100.000 Zuwander/innen aus insgesamt rund 175 Ländern nach Österreich. So

kamen 2007 insgesamt fast 18.000 deutsche Zuwander/innen in unser Land (s. Diagramm S. 4). Das sind

dreimal so viele wie vor zehn Jahren und doppelt so viele wie die in der aktu-

ellen Statistik an zweiter Stelle stehenden rumänischen Zuwander/innen (9.300 Personen).

Unter den in Österreich lebenden ausländischen Staatsangehörigen nehmen Deutsche der Zahl nach mit 124.700 (1. Jänner 2008) den zweiten Rang hinter Serbien und Montenegro (Summe der beiden seit 2006 getrennten Staaten: 133.700 Personen) ein, gefolgt von türkischen Staatsangehörigen (109.700). Die gleiche Rangfolge zeigt sich bei einer Betrachtung nach dem Geburtsland. Die in Österreich lebenden Deutschen sind jünger und verfügen in einem weit über dem Durchschnitt der einheimischen Bevölkerung liegenden Aus-maß über höhere schulische Bildung. Der Groß-teil der Deutschen arbeitet daher in entsprechend

hoch qualifi zierten Berufen.

Gesamtzuwanderung: Boom bis 2005Von den frühen 1960er-Jahren bis in die späten

1980er-Jahre war die Zuwanderung nach Österreich im Wesentlichen von Arbeitskräften aus dem ehemaligen Jugoslawien und der Türkei sowie in weiterer Folge vom Familiennachzug aus diesen Ländern dominiert. Auch der Fall des Eisernen Vorhangs im Jahr 1989 und der EU-Bei-tritt Österreichs im Jahr 1995 änderten an dieser Situation zunächst nur wenig. Insgesamt war die zweite Hälfte der 1990er-Jahre – nach dem Zuwanderungsboom 1989 bis 1993 – durch geringe Zuwanderung geprägt. Erst mit der Jahrtausendwende stiegen die Zuwanderungszahlen

Die heutige Zuwanderung nach Österreich hat ein neues Gesicht: Sie ist jung, deutsch und gebildet.

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www.integrationsfonds.at 15Österreich

Wer sind die Deutschen in Österreich?Knapp 100.000 Menschen sind 2007 nach Österreich eingewandert. Die größte Gruppe unter ihnen muss unsere Sprache nicht mehr erlernen: 18.000 Deutsche kamen letztes Jahr nach Österreich, insgesamt sind sie bereits die zweitgrößte Gruppe ausländischer Staatsangehöriger im Land. Sie sind jünger und gebil-deter als die Einheimischen, arbeiten in höheren Positionen. Für alle, die das nicht glauben können: Hier sind die wesentlichen Zahlen, Daten und Fakten.

Josef Kytir

erneut an und erreichten 2004 mit 109.000 Immigrant/in-nen (exkl. jenen mit österreichischer Staatsbürgerschaft) ein Maximum. Gleiches gilt für den Wanderungssaldo (Zuzüge minus Wegzüge) der Ausländer/innen, der 2004 bei +60.600 Personen lag, fast das Dreifache des Wertes von 2000 (+21.600 Personen). Ab 2005, insbesondere aber in den Jahren 2006 und 2007, mit Inkrafttreten der im Fremdenrechtspaket 2005 (Asylgesetz, Fremden-polizeigesetz, Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz) beschlossenen Maßnahmen, wanderten wieder deutlich weniger ausländische Staatsangehörige nach Österreich zu. Im Jahr 2007 lagen die Zuwanderungszahlen bei 92.000, der Wanderungssaldo für Personen ohne öster-reichische Staatsangehörigkeit bei +38.200.

Differenziert man die steigenden Zuwanderungszahlen zwischen 2000 und 2004 nach EU/EFTA-Bürger/innen und Drittstaatsangehörigen, so zeigt sich, dass Österreich für beide Gruppen in ungefähr gleichem Ausmaß an Attrak-

tivität gewann. So stieg der jährliche Zustrom von Dritt-staatsangehörigen in diesem Zeitraum von 53.000 (2000) auf 83.000 Personen (2004). Relativ noch etwas stärker fiel

der Zugewinn bei den Bürger/innen der „alten“ EU-Länder aus, nämlich von 13.500 (2000) auf 19.900 (2004). Dieser Zuwachs war dabei zum weitaus überwiegenden Teil auf die verstärkte Zuwanderung deutscher Staatsbürger/in-nen zurückzuführen, welche sich von 7.500 im Jahr 2000 auf 13.200 Personen im Jahr 2004 erhöhte. Der Anstieg der Zuwanderung aus den übrigen dreizehn „alten“ EU-Ländern blieb von in Summe 6.000 (2000) auf 6.700 Personen (2004) vergleichsweise bescheiden. Mit jährlich rund 10.000 Personen praktisch unverändert blieb bis 2003 auch der Zustrom von Staatsangehörigen der zehn „neuen“ Mitgliedsländer. Erst das Jahr des Beitritts (2004) brachte hier einen Anstieg auf rund 16.000 Personen.

Deutsche Zuwanderung gegen den TrendAb dem Jahr 2005, also in der aktuellen Phase insgesamt sinkender Zuwanderung, führten die Regelungen des Fremdenrechtspakets zu einem Rückgang des Zustroms um 40 Prozent (2004: 64.800; 2007: 39.000) sowie zu einer Drittelung der Wanderungsgewinne bei Bürger/in-nen aus Drittstaaten (2004: +39.300; 2007: +12.900). Die Zuwanderung aus dem EU/EFTA-Raum stieg im gleichen Zeitraum dagegen weiter deutlich an. Bei näherer Betrachtung zeigt sich allerdings, dass diese Zunahme erneut nahezu ausschließlich auf die weiter steigenden Zuwanderungszahlen aus Deutschland zurückzuführen ist (2004: 13.200; 2007: 17.900 Personen). Verglichen damit stagnieren die Zuwanderungszahlen sowohl bei den übrigen „alten“ EU-Mitgliedsländern bei jährlich knapp über 7.000 Personen als auch bei den im Jahr 2004 beige-tretenen Ländern bei jährlich knapp 16.000 Personen. Lediglich die jüngste EU-Erweiterung (Bulgarien, Rumä-nien) brachte 2007 eine Verdoppelung der Zuwanderung von Personen aus diesen beiden Ländern (2006: 6.100; 2007: 11.400).

Insgesamt dominieren damit die Migrationsströme von Deutschen immer stärker die österreichische Außenwan-derung. Deutsche stehen in der aktuellen Statistik (2007) sowohl bei der Zuwanderung als auch beim Wanderungs-saldo zahlenmäßig mit großem Abstand an erster Stelle. Auf deutsche Staatsangehörige entfallen 27 Prozent des gesamten Wanderungsgewinns mit ausländischen Staatsangehörigen, 40 Prozent des Wanderungsgewinns mit Bürger/innen aus der EU/EFTA und mehr als 80 Prozent der Wanderungsgewinne mit den 14 „alten“ EU-Ländern.

Zuwanderung: Ein Phänomen der JugendInternationale Zuwanderung ist in hohem Maße alters-selektiv. Jugendliche und junge Erwachsene dominie-ren das Migrationsgeschehen. Dies trifft auch auf die

Schon 2004 kamen 13.000 Zuwander/innen aus Deutschland – doppelt so viele wie aus den übrigen 13 EU-Ländern zusammen.

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Integration im Fokus 4|20081� Österreich

Zuwanderung aus Deutschland zu. So waren 43 Prozent der deutschen Zuwander/innen des Jahres 2007 im Alter zwischen 15 und 29 Jahren und weitere 28 Prozent im Alter von 30 bis 44 Jahren. Die zahlenmäßige Dominanz der Jugendlichen und jungen Erwachsenen (15 bis 29 Jahre) hat dabei in den letzten Jahren noch deutlich zuge-

nommen, wohl auch als Folge des verstärkten Zustroms deutscher Studierender auf österreichische Hochschulen. Zusammen entfi elen 2007 also mehr als 70 Prozent der

Zuwander/innen auf die 15- bis unter 45-Jährigen. Zählt man dazu noch die Kinder unter 15 Jahren (10 Prozent), so stellten die über 45-Jährigen knapp 20 Prozent der deutschen Immigrant/innen, wobei lediglich 6 Prozent schon im Pensionsalter (60 Jahre und älter) waren. Das Geschlechterverhältnis ist bei deutschen Immigrant/innen relativ ausgeglichen, wobei Männer zahlenmäßig etwas voran liegen. Im Jahr 2007 gab es 9.700 männliche und 8.200 weibliche Zuwanderer, der Frauenanteil lag dem-nach bei 45 Prozent.

Die Zuwanderung Deutscher konzentriert sich in erster Linie auf Wien (23 Prozent aller Zuwanderer des Jahres 2007), in weiterer Folge auf Tirol (21 Prozent). Jeweils mehr als 10 Prozent entfallen weiters auf die Bundes-länder Oberösterreich und Salzburg. Am wenigsten attraktiv für zuwandernde Deutsche ist das Burgenland. Dieses regionale Muster zeigt sich im Prinzip über alle Lebensphasen hinweg, allerdings zieht Wien im jungen und mittleren Erwachsenenalter die mit Abstand meisten Deutschen an, während im höheren Erwachsenenalter Tirol diese Rolle einnimmt.

Mehr Deutsche als TürkenDie Zahl der in Österreich lebenden deutschen Staats-angehörigen betrug zu Jahresbeginn 2008 insgesamt 124.710 Personen, 62.076 Männer und 62.634 Frauen. Ein Blick in die Statistik zeigt, dass lediglich Bürger/innen

Lebensjahre

Männer Frauen

Personen Personen

Altersprofi l der deutschen Staatsangehörigen in Österreich am 1. 1. 2008

>> aus (den seit 2006 getrennten Staaten) Serbien und Montenegro (133.700) zahlenmäßig stärker in Österreich vertreten sind. An dritter Stelle hinter den Deutschen fol-gen Türkinnen und Türken (110.000) und in weiterer Folge Personen aus Bosnien und Herzegowina (85.200).

Aufgrund der in den letzten Jahren stark gestiegenen Zuwanderung – und da es bei Deutschen ebenso wie bei EU-Bürgern insgesamt kaum Einbürgerungen gibt – erhöhte sich die Zahl Deutscher im Rückblick der letzten Jahre und Jahrzehnte deutlich. So lebten 1981 in Österreich lediglich 41.000 deutsche Staatsangehörige (West- und Ostdeutschland zusammen), etwas weniger als 10 (1971: 47.000) bzw. 20 Jahre (1961: 44.000) zuvor. 1991 und 2001 zeigen die Volkszählungen bereits 57.300 bzw. 72.200 Personen mit deutscher Staatsangehörig-keit. Noch akzentuierter fällt der Anstieg schließlich in der jüngsten Vergangenheit aus. In den Jahre 2002 bis 2007 summierte sich der Zuwachs auf immerhin 52.500 Personen, wobei allein das Jahr 2007 ein Plus von 11.000 deutschen Staatsbürger/innen brachte. Zum Vergleich: Die Zahl aller in Österreich lebenden ausländischen Staatsangehörigen erhöhte sich im vergangenen Jahr um insgesamt rund 28.000 Personen.

Neben der (aktuellen) Staatsbürgerschaft verfügt die Bevölkerungsstatistik auch über Informationen zum Geburtsland der in Österreich lebenden Menschen. In Deutschland geboren und damit irgendwann im Lauf des Lebens nach Österreich zugezogen waren zum Jahresbe-ginn 2008 insgesamt 183.229 Personen, 81.712 Männer und 101.517 Frauen. Nur in Serbien und Montenegro wurden etwas mehr in Österreich lebende Personen geboren (189.600), in der Türkei (156.400) und in Bosnien und Herzegowina (133.000) dagegen deutlich weniger.

Zugewanderte Personen sind im Durchschnitt jünger als die Bevölkerung des Aufnahmelandes. Dies trifft auch auf die in Österreich lebenden Deutschen zu, wenngleich die

Wie alt sind die Deutschen in Österreich?Wie alt sind die Deutschen in Österreich?Altersprofi l der Bevölkerung Österreichs am 1. 1. 2008

Lebensjahre

Männer Frauen

Personen Personen

Lebensjahre

Männer Frauen

Personen Personen

Im besten Arbeitsalter: 7 von 10 Deutschen in Österreich sind zwischen 15 und 44 Jahre alt.

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Pfl ichtschule Lehre Fachschule Höhere Schule1 Hochschule, Universität2

Inländer Deutsche

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37 %

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13 % 12,7 % 13,4 %

20,1 %

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28,7 %

Quelle: STATISTIK AUSTRIA, Mikrozensus-Arbeitskräfteerhebung 2007 (Bevölkerung in Privathaushalten 15 Jahre und älter, Jahresdurchschnitt)1 Allgemein bildende und berufsbildende höhere Schulen2 Inkl. hochschulverwandte Lehranstalten

Wie gebildet sind die Deutschen?

www.integrationsfonds.at 17Österreich

Unterschiede vergleichsweise gering sind. So beträgt bei den Männern das Durchschnittsalter der Inländer genau 40 Jahre, jenes der Ausländer 34,9 Jahre. Für Deutsche liegt der Wert mit 39,7 Jahren kaum unter dem der Inlän-der. Bei den Frauen ist der Unterschied dagegen etwas größer. Hier lauten die Werte 43,3 Jahre (Inländerinnen), 34,5 Jahre (Ausländerinnen) bzw. 39,4 Jahre (Deutsche).

Stark am Arbeitsmarkt …Insgesamt 74,1 Prozent (absolut 67.000 Personen) der in Österreich lebenden Deutschen im Alter zwischen 15 und 64 Jahren waren im Jahresdurchschnitt 2007 erwerbs-tätig, ein etwas höherer Anteil als bei der inländischen Bevölkerung (72,4 Prozent). Die höhere Erwerbsbe-teiligung zeigt sich allerdings ausschließlich bei den Männern. Die Erwerbstätigenquote deutscher Männer lag mit 86,1 Prozent deutlich über jener der Österreicher (79,0 Prozent), während deutsche Frauen in einem etwas geringerem Umfang arbeiten (64,2 Prozent) als Inlände-rinnen (65,9 Prozent). Sehr viel geringer ist verglichen damit die Erwerbsbeteiligung (Erwerbstätigenquote) bei Drittstaatsangehörigen (Männer: 69,8 Prozent; Frauen: 48,7 Prozent). Vergleichsweise gering ist bei deutschen Staatsbürgern das Ausmaß der Arbeitslosigkeit. Absolut 3.400 Deutsche waren den Ergebnissen des Mikrozen-sus zufolge im Jahresdurchschnitt 2007 arbeitslos. Das entsprach einer Arbeitslosenquote (nach internationaler Defi nition) von weniger als 5 Prozent, die damit keinen signifi kanten Unterschied zum Wert der Inländer (3,8 Prozent) zeigt. Die Arbeitslosenquote für Drittstaatsange-hörige betrug im Vergleich dazu immerhin 11,3 Prozent.

… weil höher gebildetDas hohe Ausmaß der Erwerbsbeteiligung und die ge-ringe Arbeitslosigkeit sind bereits Hinweise auf das weit über dem Durchschnitt liegende Qualifi kationsniveau der in Österreich lebenden Deutschen im Alter von 15 und mehr Jahren. So verfügten im Jahr 2007 fast die Hälfte (49 Prozent) zumindest über Matura und 28 Prozent über einen darüber hinausreichenden Bildungsabschluss. Bei

den Österreicher/innen lag der Ma-turantenanteil bei 23 Prozent, der Akademiker/innenanteil bei lediglich 9 Prozent. Umgekehrt hatte nur jeder/jede zehnte Deutsche keinen

über die Pfl ichtschule hinausgehende formale Qualifi kati-on, während dies auf 27 Prozent der Inländer/innen und rund die Hälfte der Drittstaatsangehörigen zutrifft.

Innerhalb des österreichischen Arbeitsmarktes fi ndet man Deutsche vor allem in der Sachgütererzeugung (17 Pro-zent), dem Handel (15 Prozent) und im Gesundheits- und Sozialwesen (13 Prozent). Keine besondere Rolle spielt dagegen das medial in diesem Zusammenhang häufi g kolportierte Beherbergungs- und Gaststättenwesen

Univ.-Doz. Dr. Josef Kytir ist Stellvertretender Leiter der Direktion Bevölkerung der Statistik Austria.Kontakt: [email protected]

Der Akademiker anteil der Deutschen ist dreimal so hoch wie bei Inländer/innen.

Überdurchschnittlich gebildet: Deutsche in Österreich haben selten nur die Pfl ichtschule, häufi g sogar ein Studium abgeschlossen.

(7 Prozent). Differenziert man noch nach dem Geschlecht, so dominiert bei den deutschen Männern die Sachgüterer-zeugung (23 Prozent), bei den Frauen das Gesundheits- und Sozialwesen (22 Prozent).

Jeder vierte ein WissenschafterDem hohen Bildungsniveau der in Österreich lebenden Deutschen entsprechen auch die berufl ichen Tätigkeiten. So waren 2007 23 Prozent der berufstätigen Deutschen, aber lediglich 10 Prozent der Inländer/innen als Wissenschafter/innen tätig (Männer: 27 Prozent; Frauen: 18 Prozent) und 24 Prozent (Österreich: 20 Prozent) als Techniker/innen oder in gleichrangigen nichttechnischen Berufen (Männer: 21 Prozent; Frauen: 27 Prozent). Als Hilfsarbeitskräfte arbeiteten dagegen lediglich 4,5 Prozent der Deutschen, ein nur halb so großer Anteil wie bei den Inländer/innen (9,4 Prozent).

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Integration im Fokus 4|200818 Österreich

So viel Aufmerksamkeit wird nur den wenigsten 18-Jährigen zuteil: Alle Jahre wieder stehen die Anwärter/innen auf das Medizinstudium im Mittelpunkt des medialen Interesses. Deutsche Studierende überschwemmten die österreichischen Universitäten, heißt es da, der Ansturm der „Numerus-clausus-Flüchtlinge“ aus dem Norden bedrohe gar die Zukunft des österreichischen Gesundheitssystems, hört man von politischer Seite. Was ist dran an der Aufregung um Studienplätze und Universitätszulassungen?

Valentin Schwarz

Jahrzehntelang war Österreichs Hochschulsystem eine Insel der Seligen gewesen: Maturant/innen konnten studieren, was sie wollten, und genug Plätze gab es auch. Studierende aus dem Ausland dagegen mussten nachweisen, auch in ihrer Heimat über einen Studienplatz

zu verfügen. Während für Inländer/innen also das Maturazeugnis ausreichte, mussten deutsche Abiturient/innen etwa ihren Numerus clausus (NC) erfüllen. Das änderte sich auch nach dem EU-Bei-tritt nicht – obwohl innerhalb der Union

alle Bürger/innen gleich behandelt werden müssen. Die EU-Kommission klagte Österreich deshalb vor dem Europäischen Gerichtshof.

Campieren am CampusIm Sommer 2005 ist es soweit: Nach einem jahrelangen Verfahren verurteilen die Luxemburger Richter Öster-reich und untersagen jede Form der Diskriminierung von EU-Studierenden. Für viele Deutsche wirkt das Urteil wie ein Magnet: Die nach dem fi rst-come-fi rst-serve-Prinzip

durchgeführte Voranmeldung der MedUni Wien führt im Juni 2005 dazu, dass Einschreibungswillige zu Dutzenden am Uni-Gelände campieren. Im Herbst 2005 gibt es an Österreichs Universitäten um 2.200 Erstsemestrige mehr als im Jahr davor – 1.800 davon kommen aus Deutsch-land. In Innsbruck gibt es für 550 Plätze 1.720 Bewer-bungen. Drei Viertel davon kommen aus Deutschland, über 60 Prozent sind es an der Veterinärmedizin in Wien. Die Unis sind überfordert – und die Politik reagiert, indem sie den freien Hochschulzugang für acht Fächer kippt: Neben Medizin dürfen die Hochschulen auch in Zahn- und Veterinärmedizin, Biologie, Psychologie, Pharmazie, Betriebswirtschaft und Publizistik Beschränkungen einführen.

Die Medizinischen Universitäten in Wien und Innsbruck führen daraufhin Aufnahmeprüfungen ein, den so-genannten „Eignungstest Medizin“ (EMS). Bei diesem ganztägigen Examen fi nden sich im Juli 2008 allein in Wien über 4.000 hoffnungsfrohe Ärzt/innen in spe ein, um ihre Tauglichkeit für das Studium unter Beweis zu

Auch nach dem EU-Beitritt diskri-minierte Öster-reich Deutsche an den Unis.

Alarm in der Anatomie: Die Deutschen kommen!

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stellen – unter strenger Bewachung: Neben einer Saal-Security gibt es einen Ordnungsdienst, der die Prüfl inge sogar zur Toilette aus dem Raum begleitet.

Von wegen „dumme NC-Flüchtlinge“Damit nicht genug: Im Februar 2006 beschließt der Nationalrat eine Quotenregelung, der zufolge 75 Prozent der Studienplätze für Einheimische reserviert sind. Für EU-Bürger/innen bleiben nur 20 Prozent, alle übrigen tei-len sich die restlichen 5 Prozent. Tatsächlich rettet diese Quote Jahr für Jahr viele österreichische Erstsemestrige: Rein nach den EMS-Ergebnissen hätten sie etwa 2006 nur 46 Prozent der Studienplätze erhalten statt 75. Die verbreitete Meinung, dass nur diejenigen nach Öster-reich kämen, die für eine deutsche Universität zu dumm seien, muss also bezweifelt werden. Die EU-Kommission jedoch ist mit der Quotenlösung nicht zufrieden – diskri-miniert sie doch ebenfalls EU-Bürger/innen gegenüber Einheimischen. Das eingeleitete Verfahren gegen Öster-reich wurde 2007 für fünf Jahre ausgesetzt. So lange hat Österreich Zeit, um zu beweisen, dass sein Gesundheits-system wirklich bedroht ist, wenn seine Jungmediziner/innen nicht bevorzugt werden.

Valentin Schwarz ist Mitarbeiter des Bereichs Österreich im ÖIF.Kontakt: [email protected]

Alarm in der Anatomie: Die Deutschen kommen!

Volle Reihen, volles Programm: Über 4.000 versuchen sich allein in Wien am achtstündigen Test für das Medizinstudium – eine Folge des Zustroms Deutscher an die Unis.

Herr Minister, die Uni-Zugangsbeschrän-kungen wurden bis 2010 verlängert. Angenommen, Sie hätten die Wahl: Freier Hochschulzugang oder Auswahlverfahren für Studierende?Hahn: Ich möchte den freien Zugang zu Bachelorstudien, wo möglich. Beim Master soll es eine qualitative Auswahl geben – im Sinn der bestmöglichen Studienbedingungen. Was grundsätzlich oft übersehen wird: In Sport, Kunst, Musik und an den FHs haben wir schon immer Beschränkungen – und die soziale Durch-mischung ist dort besser.

Braucht man Zugangsbeschränkungen und Studiengebühren, um den Arbeits-markt nicht mit ungebrauchten Akademi-ker/innen zu überschwemmen?Hahn: Die Arbeitslosigkeit von Akademi-ker/innen ist in Österreich relativ niedrig. Es gibt einen Trend zu höherer Bildung: Laut OECD gehen 40 Prozent eines Jahrgangs an eine Hochschule. Mir ist dabei wichtig, dass sie eine Wahl treffen, die ihren Talenten entspricht. Und wer fürs Studium bezahlt, denkt eben ernsthafter über diese Entscheidung nach. Zugleich versuchen wir Barrieren abzubauen: Da gibt es etwa die Kinderuni, Sparkling Science oder den Studienchecker für angehende Maturant/innen.

Vor dem EuGH-Urteil von 2005 studierten, relativ zur Bevölkerung, zehnmal so viele Österreicher/innen in Deutschland wie umgekehrt. Provokant formuliert: Ist es nicht nur gerecht, dass jetzt umso mehr Deutsche zu uns kommen?Hahn: Dass hier kein Missverständnis aufkommt: Ich bin ganz klar ein Befür-worter studentischer Mobilität. Es freut mich, wenn junge Menschen in anderen Ländern studieren und so internationale Erfahrung sammeln. Aber das Medizin-studium ist sehr teuer – ganz Europa be-schränkt den Zugang. Wir als kleines Land können da nicht für andere einspringen. Meine deutsche Kollegin Annette Schavan sieht das übrigens genauso: Deutschland hatte nie was gegen unsere Quote!

Das Verfahren der EU gegen die Quotenregelung, die 75 Prozent der Studienplätze für Österreicher/innen reserviert, wurde 2007 für fünf Jahre eingefroren. Was passiert, wenn in der Zwischenzeit z. B. ein deutscher Student gegen die Quoten klagt?Hahn: Es stehen zwar alle Rechtsmittel offen, aber entscheidend ist, dass wir in der Kommission ein anderes Bewusstsein geschaffen haben. Den Aufschub nutzen wir für ein gemeinsames Datenmonitoring, das unsere Argumente unterstützt.

Welche dauerhafte Lösung wäre Ihnen am liebsten?Hahn: Ich bin überzeugter Europäer und glaube an die Europäische Familie – aber die Familienmitglieder müssen solidarisch aufeinander Rücksicht nehmen, was Aus-bildungskosten betrifft. Wichtig ist zudem, dass wir ausreichend Ärzt/innen für Öster-reich ausbilden, um unsere medizinische Versorgung zu garantieren.

In Hessen wurden Anfang Juni die allgemeinen Studiengebühren wieder abgeschafft. Die SPÖ hat im Juli die Möglichkeit ausgelassen, gemeinsam mit Grünen und FPÖ dasselbe zu tun. Werden die Gebühren längerfristig bei uns bleiben?Hahn: Wer sich verantwortungsvoll mit dem Thema befasst, weiß: Studienbeiträge sind richtig und sinnvoll. In den letzten Jahren gab es weit weniger Prüfungs-Inaktive, man studiert ernsthafter und kürzer. Zugleich haben wir 38 Prozent mehr Erstzugelassene und 40 Prozent mehr Absolvent/innen pro Jahr als vor der Gebühreneinführung. Sie halten niemand vom Studium ab, auch dank der Beihilfen: Die 50.000 Bezieher/innen bekommen 2009 über 200 Millionen Euro. Diese Fakten kann man nicht wegreden – und das Geld kommt direkt den Unis zugute.

Webtipp: www.sparklingscience.atwww.kinderuni.at

Dr. Johannes Hahn ist seit Jänner 2007 Bundes-

minister für Wissen-schaft und Forschung.Interview

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Integration im Fokus 4|2008Österreich 20

Ihr Piefkes, wir Össis: Vorurteile auf der LeinwandKampfschauplatz Kino: Jahrzehnte-lang verwendeten Österreicher und Deutsche ihre Filme, um die jeweils anderen als humorlos und arrogant bzw. unfähig und leichtlebig hinzu-stellen. Wieso Goebbels im Wien-Film den Dialekt verbot und wie weinselige Heimatschnulzen nach 1945 Österreichs Image aufpolierten, lesen Sie hier.

Frank Stern

Dass der Fremdenhass, die Karikierung des Fremden, die Geringschätzung des national Anderen ein gesamteuropäisches Phäno-men ist, lässt sich kaum bestreiten. Durch die konfl iktreichen Nationalgeschichten gibt es seit Jahrhunderten Wechselbäder von Erzfeinden, in denen sich die großen und kleinen Nationen überbieten. Aber es geht hierbei nicht ausschließlich um Politik. Essgewohnheiten, Kleidung, Sprache, Mentalitäten, Leidenschaften, öffentliches Auftreten, fi nanzielles Gebaren und Über-heblichkeiten können hier genauso Anlass für Häme, Bösartigkeit oder auch Witze hinter vorgehaltener Hand sein. Jeden Sommer ist es zum Beispiel verwunderlich, dass kein europäischer Krieg zwischen Eng-ländern und Deutschen an der Adria oder in

Mallorca ausbricht, wenn früh am Morgen der erbitterte Kampf um die Belegung der Liegestühle am Swimmingpool mit Handtüchern ausbricht. Vor oder nach dem Frühstück sich als Besatzer aufführen, ist die Gretchenfrage.

Der Piefke, ein harmloses KlischeeTourismus und Arbeitsmigration sind die Hauptfelder, auf denen populäre Vorurteile ausgesprochen werden, neue entstehen und überkommene rassistische und frem-denfeindliche Stereotypen auftauchen. Fragt man junge Menschen, was oder wer denn ein Piefke sei, so tun sie sich oft schwer – halt irgendwie „die“ Deutschen, kann man dann hören, kaum jemand kennt noch die schräge ORF-Serie „Die Piefke-Saga“, in der die wechselseitigen Vorurteile fröhlich aufs Korn genommen wurden. Die Politikgeschichte, der An-schluss, das NS-Regime, Krieg haben den Begriff aufgeladen, mit einer historischen Bedeutung versehen, der eigentlich nur noch den Älteren etwas sagt. Dass der Begriff bis heute im Alltag immer wieder, meist aggressiv, auftaucht, hat viel mit den Deutschenbildern zu tun, die seit den 30er-Jahren über die Leinwand fl immerten. Doch sollten wir die Beschimpfung von Autofahrern mit deutschem Kennzeichen nicht überbewerten.

Die gängige österreichisch-deutsche Anmache ist im Konzert der europäischen Vorurteile fast schon ein ungefährliches Fossil so wie andere nationale und regi-onale Vorurteile auch. Franzosen werden Deutsche immer wieder als „Boches“/Schweine, Amerikaner Deutschspre-chende als „Krauts“ betiteln, doch die harten, zum Krieg führenden Inhalte dieser Typisierungen gehören der Vergangenheit an. Die demografi schen Veränderungen haben zumindest in den westeuropäischen Großstädten die jeweilig nationale Spießig-keit ad absurdum geführt. Demgegenüber

Kulturelle Barrieren in der Piefke-Saga: Tourist Karl-Friedrich Sattmann (Mitte) und Tiroler Bergbauer Andrä (links) verstehen einander kaum.

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hat allerdings selbst der durch Billigfl ieger geförderte Touristenboom zwischen Wien und Berlin kaum etwas an den wechselsei-tigen, manchmal plumpen, manchmal fein-sinnigen Gemeinheiten geändert. Während der EM kochten die Gemüter hoch, in der Boulevardpresse fl ogen nur so die Fetzen. Die in alter österreichischer Tradition so bezeichneten Piefkes revanchierten sich in Anlehnung an die Ossis (Bevölkerung der ehemaligen DDR) mit einer Umlaut-angleichung bei den Össis. Das hinderte aber viele Össis dann nicht, einen in der deutschen Olympiamannschaft siegreichen Österreicher sofort mental anzuschließen und eine österreichische Medaille medial zu feiern. Der war dann kein Piefke mehr.

Goebbels verbietet das WienerischeSo friedlich ging es allerdings nicht immer zu. Der mit Zuckerl, Walzerseligkeit und Wiener Mädeln reichhaltig garnierte Spielfi lm der Zwischenkriegszeit kannte jene anreisenden Preußen, die sich sofort nach Grinzing begaben, sich auch schon mal walzermäßig verliebten. In der Regel kehrten sie aber karrieremäßig heim ins Reich, Schmäh und Schlendrian waren nicht das Ihre. Nach 1933, als von Goeb-bels’ Propagandaministerium vertriebene Filmschaffende in Wien nach Brot und Arbeit suchten, kannte der Wiener Film viele Akzente, und die Karikierung des Preußischen hatte bisweilen einen anti-nazistischen Unterton. Nach dem „An-schluss“ bis 1945 gab es immer wieder aus Berlin Anweisungen, schön großdeutsch zu sein, nicht Wiener Hochdeutsch, sondern Nordhochdeutsch im Film sprechen zu lassen und jede antipreußische Anspielung zu unterlassen. Goebbels verbot somit auch das Berlinern im Wiener Film. Allerdings half auch das Verbot, den Namen Österreich im Wiener Lied zu nennen, kaum darüber hinweg, dass das Wiener Lied eben Weaner Lied war und blieb. In den militaristischen Preußen-Filmen der Ufa vor allem über

Friedrich II. und Bismarck kamen die ös-terreichische Kaiserin, die österreichischen Offi ziere und Diplomaten schlecht weg. Sie waren unfähig, korrupt, heuchlerisch, leichtlebig, undiszipliniert, gingen lieber auf Bälle als in den Krieg und erledigten alle wesentlichen Staatsgeschäfte im oder durch das Bett – kurz alles Untugenden für den preußischen Beamten, Soldaten und Zivilist/innen. Solche Filme erwiesen sich zwar als wenig erfolgreich in den Kinos der „Ostmark“, prägten aber nachhaltig das Österreich-Bild in Deutschland. Gleichzeitig waren die angenehmen Seiten dieses Negativbildes auch förderlich, was die ro-mantisierende Touristik in die Alpenrepublik heftig unterstützte, in deren Verfi lmungen es dauernd Alpenglühen, schmachtende Mädeln und Förster gab. Nach 1945 ist es für den österreichischen Nachkriegsfi lm andererseits signifi kant, dass deutsche Gestalten, Mentalitäten, Verhaltensweisen im Sinne der These von Österreich als ers-tem Opfer des NS-Regimes klar von einer

bildlichen und sprachlichen österreichischen Identität getrennt werden. In Filmen mit historischem Inhalt er-scheint es dann oft so, dass die Nazis aus Berlin kamen, der NS quasi überfallmäßig

die intakte österreichische Zivilgesellschaft beschädigt hat, vom Ständestaat keine Rede, allenfalls von der Monarchie. Doch mit den 50er-Jahren lag das Schwerge-wicht auf Weinseligkeit, Hörbiger-Liedern, krachledernen Hosen und umfassend dekolletiertem Dirndl. Die Deutschen ließen die D-Mark in Österreich, und die Gastge-ber waren froh, wenn die Touristensaison wieder vorbei war.

Das neue Feindbild: die EUTrotz aufklärerischem Impetus blieben die Piefkes jedoch Piefkes, und seit der EM haben die Wessis nun endlich neben den Ossis die Össis. Doch ist dies heute

allenfalls ein Nebenprodukt der Begegnung von Deutschen und Österreichern, denn die demografi schen Entwicklungen, die große Anzahl von ehemaligen Bürger/innen der DDR in Österreich, der immense Aus-tausch von Studierenden an deutschspra-chigen Universitäten, nicht zuletzt der Euro haben Mentalitäten, die sich an Schilling und D-Mark klammerten, ausgehöhlt. Vieles, was sich im österreichischen All-tagsbewusstsein auf die Deutschen bezog, wird nun den Bürokraten der EU unter-stellt. Und die eigentliche nationale Furcht gilt nicht Siegfried und seinen Brunhilden, sondern dem Döner.

Vor allem vor den tödlichen Vorurteilsstruk-turen, die es seit 1990 verstärkt auf dem Balkan gab, und den neuen Kriegen auf georgischem Territorium verblassen die preußisch-österreichischen Überbleibsel. Die gefährlichen Bilder des Fremden, die Rassismus, Antisemitismus und Gewalt-bereitschaft gegen kulturell andere nicht ausschließen, verlaufen heute anders, betreffen die ethnischen Minderheiten in unserem Land. Das Reden von Piefkes ist harmlos, der sich immer offener artikulie-rende Rassismus, wie er im Wahlkampf-sommer 2008 ungestraft die Bevölkerung verhetzt, ist es allerdings nicht mehr.

Die Leinwand-Schmachtfetzen der Nachkriegs-zeit förderten den Alpentourismus aus Deutschland.

Ihr Piefkes, wir Össis: Vorurteile auf der Leinwand

Univ.-Prof. Dr. Frank Stern ist Profes-sor am Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien.Kontakt: [email protected]

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Integration im Fokus 4|200822 Österreich Integration im Fokus 4|200822 Österreich

Glanz und Glamour statt GastarbeitNicht nur Student/innen, Hotel-Lehrlinge und Tourist/innen aus Deutschland kommen in die Alpenrepublik. Auch zahlreiche namhafte Prominente haben Österreich zu ihrer Wahlheimat erkoren. Von Kitzbühel bis Güssing, von Motorsport-Star Ralf Schumacher bis Burgtheater-Regisseurin Andrea Breth reicht die Palette renommierter Migrantinnen und Migranten.

Ursula Schallaböck

Der Kaiser in KitzbühelFranz Beckenbauer (Kitzbühel)11. September 1�45 in München

Den WM-Titel holte er als Spieler 1974, als Trainer 1990. 2006 krönte Franz Beckenbauer mit der Organi-sation des größten Sportturniers der Welt in Deutschland seine Karriere als Fußball-Funktionär. Doch zu Hau-se ist „der Kaiser“, dessen elegante Ballbeherrschung als brasilianisch bezeichnet wurde, der in New York gekickt hat, in den Tiroler Alpen.

„Sauwohl“ fühlt er sich laut Eigenaussage in seinem Kitzbüheler Bauernhaus, wo er seit 1982 lebt. Auch hierzulande ist der Präsident des FC Bayern München beliebt: Vor zwei Jahren brachte die öster-reichische Post eine Briefmarke zu Ehren Beckenbauers heraus.

Am Gaspedal im Flachgau

Ralf Schumacher (Hallwang)30. Juni 1�75 in Hürth

Lange Zeit drehte Ralf Schumacher im Schatten seines Bruders Michael seine Runden auf den Strecken des Formel-1-Zirkus. Dabei ist der „kleine Schumacher“ WM-Vierter von 2001 und 2002 und damit – hinter Seriensieger Michael – der zweiterfolgreichste deutsche Formel-1-Pilot der Geschich-te. Seit sieben Jahren lebt Schumacher mit Frau Cora und Sohn David in Hallwang bei Salzburg – zum Missfallen des deutschen Fiskus. Seit 2008 ist Schumacher nicht mehr in der Formel 1 aktiv, sondern tritt in der Deutschen Tourenwagen-Masters (DTM) in die Fußstapfen alter Formel-1-Bekannter wie Mika Häkkinen oder Jean Alesi. Und auch Frau Schumacher ist nicht untätig: Cora eröffnet dieser Tage eine exklusive Boutique in der Salzburger Altstadt.

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Mag. Ursula Schallaböck ist Leiterin des Bereichs Leiterin des Bereichs Österreich im ÖIF. Österreich im ÖIF. Kontakt: ursula.schalla [email protected] [email protected] integrationsfonds.at

In Peking aufs Paddel-PodestVioletta Oblinger-Peters (Schärding)14. Oktober 1�77 in Schwerte

Seit Peking 2008 kennt sie jeder im Land: Violetta Oblinger-Peters war ein Lichtblick im heimischen Olympischen Team. Die Wild-wasser-Slalomkanutin paddelte auf Rang drei und besserte damit die österreichische Medaillenbilanz gehörig auf. Der Sprung aufs Podest war ein grandioses Comeback der geborenen Deutschen: Erst im März 2008 war sie im AKH Linz am Herz operiert worden. Der Wassersport ist im Leben von Oblinger-Peters berufl icher und privater Fixpunkt: Nicht genug, dass sich in ihrer Familie Kanu-Weltmeister und Vizeweltmeister fi nden, auch ihr Mann Helmut ist begeisterter Paddler und holte in Peking einen siebten Platz.

Regiegröße mit Wiener Wurzeln

Andrea Breth (Wien) 31. Oktober 1�52 in Rieden bei Füssen

Das Theater kennt seit jeher keine Landesgrenzen: Andrea Breth, Regisseurin am Burgtheater, ist dafür bestes Beispiel. Es war 1999, als die studierte Literaturwissenschafterin nach gefeierten Engagements an zahlreichen Bühnen von Zürich bis Bremen als Hausregisseurin am Burgtheater in Wien landete. Die Stadt an der Donau kannte Breth dabei schon aus Kindheitstagen: Ihr Großvater lebte im 3. Bezirk. Am Burgthe-ater inszenierte sie höchst erfolgreich etwa Schillers „Don Carlos“ und Lessings „Emilia Galotti“. Nach einer krankheitsbedingten Unterbre-chung meldete sich Breth 2008 mit der hochgelobten Inszenierung von „Motortown“ von Simon Stephens zurück und will sich in Zukunft zusätz-lich der Oper widmen.

Ein Deutscher mit HumorDirk Stermann (Wien) 7. Dezember 1��5 in Duisburg

Jeder kennt Dirk Stermann: Ob als Moderator der FM4-Kultsendung „Salon Helga“, als satirischer Kommentator des Song Contests oder als Kabarettist in der ORF-Show „Dorfers Donnerstalk“ – Stermann ist ein Publikumslieb-ling. Nach Wien gekommen ist Stermann bereits 1987, als Wien für ihn noch

„das Ende der Welt“ am Eisernen Vorhang war. Schon bald machten Stermann und sein kongenialer Partner Christoph Grissemann sich mit ihrem fl otten Mundwerk beim ORF einen Namen und wechselten mit der Gründung 1995 zum Jugend-Radiosender FM4. Seither ging es steil bergauf: Erfolgreichen Kabarett-programmen folgten Theaterarbeiten und der Kinofi lm „Immer nie am Meer“.

Zwischen Trailer und TheaterFrank Hoffmann (Güssing) 1�. Juli 1�38 in Radebeul

Für eine Generation von Österreicher/innen ist Frank Hoffmann der Burgthe-ater-Schauspieler, den sie am häufi gsten in Aktion gesehen haben: Zwischen 1975 und 1994 moderierte er im ORF die TV-Sendung „Trailer“, in der er auf lockere Art und Weise aktuelle Filme vorstellte. Seine eigene Heimat ist dabei die Theaterbühne: Bereits seit 1967 ist der Träger des Ehrenkreuzes für Kunst und Wissenschaft der Republik Österreich Ensemble-Mitglied des Hauses am Ring. Im Moment ist Hoffmann aber vor allem im Südburgenland aktiv: Als Intendant des Güssinger Kultursommers hat er 2008 etwa Shakespeares „Was ihr wollt“ inszeniert.

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Integration im Fokus 4|200824 Österreich

Eisbein statt TafelspitzDer deutsche Tourist, der im Urlaub auf Tiroler Berge klettert, um am Gipfel zu seiner Überraschung von einem Landsmann empfangen und bewirtet zu werden, ist mittlerweile sprichwörtlich geworden. Doch was ist dran an dieser Anekdote? Wie deutsch ist Österreichs Tourismus wirklich? Eine Analyse zur Beschäftigungssituation der Deutschen in Österreichs Tourismuswirtschaft im Zeitraum 2003 bis 2008.

Thomas Geiger

Der Film „Man spricht deutsh“ ist ein satirischer Tourismusklassiker von Hanns Christian Müller und Gerhard Polt, welcher den Italienurlaub der bayerischen Familie Löffl er karikiert: von deutschen Gerichten auf der Speisenkarte bis hin zu italienischen Kellnern, die sich abmühen, mit ihren Gästen deutsch zu sprechen. Will der deutsche Durchschnittsgast tatsächlich deutsche Speisen, deutsch sprechende – oder am liebsten bundes-deutsche – Kellner?

Flucht vor Hartz IVTatsächlich ist dieses Klischee kaum ein Grund da-für, dass über 10.000 deutsche Arbeitnehmer in der „goldenen Alpenrepublik“ arbeiten: vielmehr sind es Ar-beitslosigkeit und Hartz IV. Ein Blick in die Statistik erklärt, warum der Gast so oft mit Thüringer Charme und Säch-sischer Heiterkeit an den Rezeptionen der Hotels und auf den Sonnenterrassen in den Schigebieten begrüßt wird. Aber nicht nur an vorderster Front fi nden wir deutsche Mitarbeiter; auch Mitarbeiter, die der Gast seltener zu

sehen bekommt, wie Köche, Hausmeister und Zimmer-mädchen, stammen zunehmend aus Deutschland.

Betrachtet man die statistische Entwicklung, so scheint der Trend zu deutschen „Gastarbeitern“ ungebrochen. Waren im Jahr 2003 noch 3,1 Prozent aller Arbeitnehmer in der österreichischen Tourismusbranche Deutsche, so sind es im Jahr 2007 bereits 5,9 Prozent. Noch deutlicher kommen diese Zahlen zur Geltung, wenn man sich auf die Tourismushochburg Tirol konzentriert. 2003 waren 6,7 Prozent aller Arbeitnehmer im Tiroler Tourismus Deut-sche, 2007 bereits 13,2 Prozent.

Drei von zehn Lehrlingen sind DeutscheWesentlich eindrucksvoller sind die Werte bei den Lehrstellen in der Tiroler Hotellerie und Gastronomie. Ein knappes Drittel aller Lehrlinge ist hier im Besitz der deutschen Staatsbürgerschaft. Allerdings ist bei den Lehr-lingen, konträr zum Gesamtarbeitsmarkt, ein Rückgang der Deutschen zu verzeichnen. Von 31,5 Prozent der

Neue Töne im Tiroler Alpenidyll: Statt „Griaß di“ werden Touristen immer öfter mit „Guten Tag“ willkommen geheißen.

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www.integrationsfonds.at 25Österreich

Thomas Geiger, MBA ist Referent der Sparte Tourismus und Freizeit-wirtschaft der Wirt-schaftskammer Tirol.Kontakt: [email protected]

„Deutsche Lehrlinge sind älter und lernen einfacher“

Seit wann setzen Sie in Ihrem Betrieb verstärkt auf Mitarbeiter aus Deutschland? Seit 2005 haben wir deutlich mehr deutsche Mitarbeiter.

Wie groß ist der Anteil an Bewerbungen aus Deutschland? Er liegt bei etwa 15 Prozent, auch bei Blindbewerbungen, und umfasst alle Positionen, vom Koch bis zum Zimmermädchen.

Wie sehen Sie die Ausbildungsqualität, die die deutschen Mitarbeiter mitbringen? Die deutschen Lehrlinge sind in der Regel älter als die einheimischen und lernen einfacher: Viele haben schon Abitur und fangen erst dann mit einer Lehre bei uns an. Die bereits ausgelernten Fachkräfte, die zu uns kommen, haben zwar eine gute Basis, ihre Ausbildung ist aber nicht mit einer österrei-chischen vergleichbar. Ihnen fehlt auch merklich die Erfahrung.

Was sind die wichtigsten Beweggründe, nach Österreich zu kommen? Da ist zum einen die hohe Ausbildungsqualität bei uns. Zum anderen fi nden viele, vor allem in Ost-deutschland, keinen Arbeits- oder Ausbildungs-platz. Eine Rolle spielt, dass sie Österreich häufi g aus Kindheitsurlauben kennen. Die freie Unterkunft und Verpfl egung sowie unser System mit 14 Monatsgehältern sind weitere Argumente.

Wie sehen Sie die Anzahl an deut-schen Mitarbeiten im österreichischen bzw. im Tiroler Tourismus? In Österreich sind es 6, in Tirol sogar 13 Prozent – das ist beachtlich. Allerdings sperren etwa in Berlin gerade viele neue Hotels auf. Die freuen sich natürlich über die bei uns ausgebildeten Top-Mitarbeiter – der Wettbewerb wird auch für uns härter werden.

Lehrlinge im Jahr 2005 auf 28 Prozent im Jahr 2007. Angesichts sinkender Arbeitslosenzahlen und des Wirtschaftswachstums lässt sich folgende Pro-gnose stellen: der Anteil der deutschen Mitarbeiter in der österreichischen, insbesondere aber in der Tiroler Tourismuswirtschaft, wird à la longue auf hohem Niveau stagnieren. Zusätzliche Arbeits-marktangebote, im Besonderen aber zusätzliche Ausbildungsstellen in Deutschland, können aber auch die deutschen Mitarbeiter motivieren, wieder im eigenen Land tätig zu werden.

Gerade der österreichische Tourismus bietet für die Deutschen hervorragende Bedingungen. Neben der in Saisonbetrieben üblichen freien Kost und Lo-gis bieten die österreichischen Tourismusbetriebe einzigartige Referenzen, die weltweit gefragt sind. Der Tourismus kann weder auf Vorrat produzieren

noch ins Ausland abwandern und bietet somit Arbeitsplatz-garantien bei besten Verdienst-möglichkeiten, wozu kaum eine andere Branche im Stande ist. Auch das ist sicherlich einer

jener Faktoren, warum die Deutschen nicht nur aus zwingend-sozialen Gründen, sondern mit viel Freude und Engagement hierzulande mitarbeiten – wie alle Beteiligten in der multikulturellen öster-reichischen Tourismuslandschaft.

Der Tourismus bietet Arbeitsplatzgaran-tien: Er kann weder abwandern noch auf Vorrat produzieren.

„Die besten Köche kommen aus Österreich“

Sie haben vor kurzer Zeit die Lehre als Koch abgeschlossen, mit 2� Jahren doch recht spät. Warum ist das so gekommen? Ich hatte in Deutschland eine andere Lehre begonnen, diese aber abgebrochen. Nach der Bundeswehr konnte ich nichts anderes fi nden. Ich habe mich dann entschlos-sen, Koch zu werden – und bin aus Mecklenburg-Vorpommern in die Tiroler Bergwelt übersiedelt.

Die Arbeit in Hotellerie und Gastronomie ist ja bekanntlich phasenweise sehr anstrengend. Sind Sie mit Ihrer Arbeitsstelle hier zufrieden?Klar ist es oft anstrengend, aber welcher Job ist das nicht?! Ich selber kann in der ruhigen Zwischen-saison auf Urlaub gehen und die Ruhe genießen. Mit dem Job bin ich super zufrieden – ich kann im Mitarbeiterhaus gratis wohnen und im Betrieb umsonst essen.

Warum sind Sie nach Österreich gekommen?Die Möglichkeiten hier sind einfach unschlagbar. Mein Küchenchef hat mich immer gefördert. Bei Lehrlingswettbewerben habe ich landesweit eine Gold- und bundesweit eine Silbermedaille gewon-nen. Da ist man schon mächtig stolz drauf.

Wie sieht Ihre Zukunftsplanung aus? Kurzfristig bleibe ich mit meiner Freundin sicher in Kirchberg, weil ich noch viel lernen muss. Unser Traum wäre es aber, einige Zeit auf einem Luxusschiff oder in einem Top-Hotel in Dubai zu verbringen. Irgendwann will ich auch nach Deutschland zurück – auch wenn Österreich für mich ein großes Stück Heimat geworden ist.

Warum arbeiten so viele Deutsche in Öster-reich? Erstens: Jobs und Kohle. Zweitens: sensa-tionelle Aufstiegschancen, da die Ausbildung hier das Nonplusultra ist. Alle Hotels weltweit nehmen uns mit Handkuss. Köche gibt es überall – aber die besten kommen von hier!

Das sagen die Beteiligten

Siegfried Egger, Alpen-residenz Adler in Kirchberg sowie Landesausbil-dungsreferent der Sparte Tourismus in der WK Tirol

Oliver Quand, Jungkoch, 2� Jahre, Alpenresidenz Adler in Kirchberg, ursprünglich aus Meck-lenburg-Vorpommern

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Integration im Fokus 4|20082� Österreich

Deutsche in Österreich: So lernt Ihr unsere Sprache

Würstel mit Semmel statt Würstchen mit Brötchen – das öster reichische Deutsch hat nicht nur auf kulinarischer Ebene mehr Feinheiten, als man im ersten Moment glaubt. Deutsche, die nach Österreich übersiedeln, fühlen sich oftmals, als müssten sie neu in die Schule gehen – und nicht etwa zur Schule. Aber was genau ist das österreichische Deutsch: ein Dialekt, eine eigene Sprache? Eine Begriffsbestimmung mit praktischen Tipps.

Rudolf Muhr

Warum kann man überhaupt vom „österreichischen Deutsch“ sprechen? Grundlage dafür ist die Auffassung, dass das Deutsche eine „plurizentrische Sprache“ ist, weil sie in mehreren Ländern als Staatssprache vorkommt und jedes dieses Länder ein eigenes Sprachzentrum darstellt, das auf die Norm der Sprache einwirkt. Das zeigt sich in Unterschieden in Aussprache, Wortschatz, Grammatik und im Sprachgebrauch. Das österreichische Deutsch ist zwar keine eigenständige Sprache, da die sprachlichen Unter-schiede zu gering sind, aber auch kein Dialekt des Deut-

schen, da seine Sprachmerkmale einen landesweit gültigen Status haben. Zum österreichischen Deutsch gehört daher die Gesamtheit aller sprachlichen Formen des Deutschen, die es innerhalb der Grenzen Österreichs gibt, und nicht nur die gesprochenen regionalen Formen. Es

gibt somit auch Unterschiede innerhalb der Standardsprache (Schriftsprache), die in Österreich allgemein akzeptiert sind und hierzulande die gültige Norm darstellen.

Mehr als nur ein DialektDie in Deutschland weit verbreitete Meinung, dass das ös-terreichische Deutsch nur ein Dialekt des Deutschen sei, ist daher in Hinblick auf die Eigenstaatlichkeit Österreichs nicht korrekt. Für das Deutsche gilt dasselbe wie für das Englische, Spanische oder Portugiesische. Zwar ist sprachlich nicht alles anders, aber doch mehr, als man es vermutet. Es heißt also (ein wenig) umlernen und auch von der weit verbreiteten Ansicht Abschied zu nehmen, dass Österreich nicht Ausland ist und das eigene Deutsch auch für Österreich gilt.

Wo gibt es Unterschiede? Im Sprachverhalten: Die Ös-terreicher/innen verwenden innerhalb eines Gesprächs oft mehrere Varianten des österreichischen Deutsch, je nachdem, ob man persönliche oder allgemeine Standpunkte vertritt. Persönliches wird grundsätzlich in einer Variante des Innenstandards (= eine großregionale oder regionale

Variante des österreichischen Deutsch) ausgedrückt, Unper-sönliches in einer standardnahen Variante (= österreichisches Hochdeutsch). Die Annahme, dass es sich dabei um ein Zei-chen der Unsicherheit handelt, ist falsch. Vielmehr ist es ein Hinweis auf die innersprachliche Mehrsprachigkeit der Öster-reicher/innen, die sich seit 1945 entwickelt hat. Wenn man wissen will, wie diese klingt, braucht man sich nur die Lieder des Austropop von Ambros, Fendrich, Danzer, EAV usw. anhören bzw. die Sendung „Was gibt es Neues?“ im ORF sehen. Wichtig ist es auch zu wissen, dass es kein Zeichen mangelnden Respekts ist, wenn die Arbeitskolleg/innen plötzlich in einer „normalen“ österreichischen Sprachform mit ihrem deutschen Kollegen zu sprechen beginnen. Das ist ein Zeichen dafür, dass er/sie als akzeptiert und dazugehörig betrachtet wird. Die Österreicher/innen erwarten nicht, dass Deutsche so sprechen wie sie selbst. Man kann ruhig seine deutsche Aussprache beibehalten.

Deutsche Zuwander/innen: Vokabel lernen!Man sollte aber mit der Zeit wichtige österreichische Wörter übernehmen, diese korrekt aussprechen und sich darüber im Klaren sein, dass es zahlreiche Wörter gibt, die eine andere Bedeutung haben: Also „Sackerl“ und nicht „Tüte“, „Semmel“ und nicht „Brötchen“, „Zuckerl“ und nicht „Bonbon“, Sessel/Stuhl bedeuten dasselbe, Rente/Pension sind auch dasselbe usw. Zahlreiche Begriffe im staatlichen Bereich sind anders: Bezirk = Stadtbezirk und „Landkreis“, der „Nationalrat“ steht für den „Bundestag“, der „Exekutor“ ist kein Scharfrichter, sondern der „Gerichtsvollzieher“ usw. Die Verkleinerungs-form ist in Österreich -erl oder -l, -el (Achterl/Hendl/Würstel) und selten oder gar nicht -chen (Hähnchen, Würstchen usw.). Manchmal gibt es auch nur kleine Unterschiede, wie „ausständig“ statt „ausstehend“; „offen sein“ (Fenster) statt „auf sein“, „durchwegs“ statt „durchweg“ usw., die man leicht für Fehler hält, es aber nicht sind. Es gibt auch Unterschiede im Geschlecht von Substantiven: „das Cola“ und nicht „die Cola“, „das Match“ und nicht „der Match“, „die Tram“ und nicht „das Tram“ usw. Es gibt auch einige

Weder Dialekt noch eigene Sprache: Das österreichische Deutsch ist eine eigene Variante der Standardsprache.

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wichtige grammatische Unterschiede: Vergangenes wird in der gesprochenen Sprache fast ausschließlich im Per-fekt erzählt. Außerdem bilden die Verben stehen, liegen, sitzen, eilen, schweben, schwimmen, stecken, frieren, lehnen, springen das Perfekt mit sein und nicht mit haben: ich bin gestanden/gesessen/gelegen usw. Statt „war ge-wesen“ wird in Österreich üblicherweise das Präteritum (war) oder das Perfekt (ist gewesen) verwendet. Nicht zu vergessen sind auch die zahlreichen Unterschiede bei der Verwendung der Präpositionen: Zu Ostern und nicht an Ostern, am Jahresende statt zum Jahresende, in die Schule gehen statt zur Schule gehen, etwas auf die Wand kleben statt an die Wand kleben, zum Fluss gehen statt an den Fluss gehen, bei der Kassa zahlen statt an der Kasse zahlen usw.

Mal aufs „mal“ verzichtenZuletzt sei noch auf wichtige Gesprächsregeln hingewie-sen. In Österreich zählen Rang und Hierarchie viel, das sollte man bei der formellen Anrede berücksichtigen. Man muss nicht zu allem eine Meinung haben und diese stets kundtut und alles bis ins letzte Detail diskutieren. Das wird als besserwisserisch und dominant angesehen. Mei-

Ass.-Prof. Dr. Rudolf Muhr ist Professor am Institut für Erziehungs-wissenschaften der Universität Graz und Leiter der „Forschungs-stelle Österreichisches Deutsch“.Kontakt: [email protected]

Weitere Informationen zum österreichischen Deutsch:www.oedeutsch.athttp://info.oedeutsch.atwww.adaba.at

„Tüte“ „die Cola“„Bonbon“

„Sackerl“„das Cola“„Zuckerl“

nungen und vor allem Kritik werden sehr oft indirekt geäußert. Das Finden von Kompromissen, Vermeiden von Konfl ikten und die Harmonieerhaltung sind wichtige soziale Ziele.

Prinzipien gelten, so lange sie sich als nützlich erwiesen und praktikabel erwiesen haben und können, wenn es die Situa-tion erfordert, auch spontan geändert werden. Man versucht auch die Umstände und Wünsche des Gesprächspartners mit-zudenken und bei der Formulierung der eigenen Standpunkte miteinzubeziehen. Und man sollte bei der Verwendung des Wörtchens „mal“ vorsichtig sein. Es gilt nicht als höfl ich, sondern als sehr insistierend, zu sagen: „Kannst du mir das mal geben“ oder „Kannst du gerade mal zu mir kommen“. Als einfache Regel sei empfohlen, dass man statt „mal“ einfach „bitte“ oder ein Abtönungswort wie „vielleicht“ verwendet.

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Integration im Fokus 4|200828 Österreich

Integrationsberichte: Graue Theorie oder praktischer Leitfaden?

Von den Lebensverhältnissen sozial schwacher Bevölkerungsgruppen – wie etwa der Flüchtlinge und Migrant/innen – hat man oft nur recht vage Vorstellungen. Damit Integrationspolitik ans Ziel führt, müssen die zuständigen Behörden ihre Wissenslücken schließen – das gilt für Deutschland wie für Österreich. Öffentliche Berichte erweisen sich in beiden Ländern seit langem als gute Möglichkeit, fehlendes gesellschaftliches Wissen zu kompensieren. Wie funktioniert die Migrations- und Integrationsberichterstattung in Deutschland und Österreich und vor welchen Problemen steht sie?

Jan Kreisky

Bereits zu Ende des 19. Jahrhunderts erschienen in der österreichisch-ungarischen Monarchie wie auch im Deutschen Reich Berichte zur sozialen Lage. Seitdem unternahmen staatliche Stellen oder auch Privatinitiativen immer wieder Versuche einer systematischen, wis-senschaftlichen und an empirischen Daten orientierten Sozialberichterstattung. Doch wie der Grazer Soziologe Christian Fleck im Juli 2008 bei einer Tagung der Kom-mission für Migrations- und Integrationsforschung an der Akademie der Wissenschaften in Wien anmerkte, blieben solche Initiativen weitgehend punktuell. Es gelang bisher kaum noch, die Ansätze von Sozialberichterstattung auszuweiten und zu verstetigen. Anders sind die Erfolge der Wirtschaftsforschungsinstitute zu bewerten, die eine solche Kontinuität mit ihren regelmäßig veröffentlichten Prognosen tatsächlich erreichten. Dennoch besteht in Österreich relative Kontinuität der Berichterstattung über einzelne Politik- und Verwaltungsbereiche. So ist etwa schon der fünfte Familienbericht vorgelegt worden – Frauen-, Jugend-, Sicherheits- und Hochschulberichte machen seit längerem gesellschaftliche Probleme sichtbar und belegen soziale Verhältnisse mit präzisen Daten. Vergleichsweise jung ist – in Österreich wie in Deutschland – die Migrations- und Integrationsbericht-erstattung.

Österreich: Interesse steigtSpätestens seit Beginn der 1990er-Jahre gewann, bedingt durch die angestiegene Zahl von Asylwerbern, das Thema Migration in der deutschen Öffentlichkeit erheblich an Bedeutung. Auch in Österreich nahmen Wanderungen einen immer größeren Stellenwert in der demografi schen Entwicklung ein. Diese Tendenz verstär-ke, gemäß Stephan Marik-Lebeck von Statistik Austria, auch die Nachfrage nach einschlägigen statistischen Da-ten. Berichte zu den viel diskutierten Themen Migration und Integration erreichen öffentliche Aufmerksamkeit für die Problemlagen, wie auch das relativ große Medien-interesse an der Präsentation des 2. Österreichischen Migrations- und Integrationsberichts zeigte.

Während in Österreich die Initiative zum 1. Österrei-chischen Migrations- und Integrationsbericht (2003) mehr von wissenschaftlicher Seite ausging, etablierte sich in Deutschland in diesem Bereich bereits ein stärker offi zi-elles Berichtswesen. Berichte über Migrationstendenzen erscheinen in Deutschland institutionell eher getrennt von jenen zum Stand der Eingliederung von Zuwander-ern. Dies gilt insbesondere für den Migrationsbericht des Innenministeriums und den Lagebericht der Integrations-beauftragten. 2000 beauftragte der Deutsche Bundestag

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Integrationsberichte: Graue Theorie oder praktischer Leitfaden?

Mag. Jan Kreisky ist Mitarbeiter der Teams Wissenschaft und Forschung und Internationale Projekte im ÖIF. Kontakt: [email protected]

die Bundesregierung, jährlich einen Migrationsbericht vorzulegen. Bislang veröffentlichte die Bundesregierung fünf Migrationsberichte, die letzten beiden wurden durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in Nürnberg erstellt.

Deutschland: Integration messen – auf allen EbenenIntegrationsberichterstattung geschieht in Deutschland auf allen Ebenen des föderalen Systems. Institutionen der Kommunen, der Länder und Behörden des Bundes stehen dabei in Konkurrenz, meint der Migrationsforscher Dietrich Thränhardt von der Universität Münster. Jeder

versuche, sich und seine Leistungen der Öffentlichkeit gegenüber zu prä-sentieren, die diese Berichte jedoch nur in geringem Ausmaß zur Kenntnis nehme. Kommunen waren Vorreiter der Etablierung eines Integrationsmo-

nitorings, das kritische Beobachtung und Bewertung des Integrationsprozesses bezweckt. Wiesbaden entwickelte schon 2003 ein Indikatorensystem. Ab 2008 folgen Stuttgart und Berlin mit eigenem Monitoring zum Inte-grationsstand. Auch Bundesländer, etwa Bayern oder Rheinland-Pfalz, veröffentlichen seit den 1990er-Jah-ren Integrationsberichte. Der Trend zur Messung von Integration setzt sich auch auf Bundesebene durch. Die Aktivitäten für den Nationalen Integrationsplan sollen noch in dieser Legislaturperiode in einen indikatoren-gestützten Bericht münden. Überdies gab die Beauftragte der Bundesre-gierung für Migration, Flüchtlinge und Integration bereits den 7. Bericht über die Lage der Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland heraus.

Drei Gefahren: Wie unabhängig, verständlich und öffentlichkeitswirksam sind die Berichte?

Aus dem Dargelegten lassen sich folgende Problem-kreise sozialer Berichterstattung erkennen:

1. Wer ist für regelmäßige Berichtslegung verantwortlich? Sind es die öffentlichen Stellen, die in Eigenregie Berichte als Leistungsbilanz legen? Treten etwa Ministerien als Auftraggeber an evaluierende Wissenschafter heran? Oder werden Wissenschafter aus Eigenem aktiv?

2. Welche Funktionen sollen diese Berichte erfüllen? Kön-nen derartige Berichte einen Beitrag zu einer sachlicheren Diskussion leicht emotionalisierbarer Themen leisten? Können diese trotz des Anspruchs der Wissenschaftlich-keit allgemein verständlich gehalten und dem Abbau von Vorurteilen förderlich sein?

3. An welche Zielgruppen sind diese Berichte gerichtet? Fraglich ist nach wie vor, ob sich die Berichte eher an eine breitere Öffentlichkeit oder an eine engere Zielgruppe, an die politische und bürokratische Spitze oder an ein spezi-elles Fachpublikum, richten sollen. Genügt es, wenn eine Fachöffentlichkeit informiert wird und die Ergebnisse all-mählich auch wissenschaftsferne Bevölkerungsschichten erreichen?

All diese offenen Fragen liegen am Knotenpunkt zwischen politisch-administrativer und wissenschaftlicher Praxis und müssten daher von beiden Seiten betrach-tet werden. Tagungen wie jene an der Akademie der Wissenschaften zum Stellenwert der Migrations- und Integrationsberichte leisten hierfür einen konstruktiven Beitrag.

Bund, Länder und Kommunen wettei-fern in Deutschland um das Interesse der Öffentlichkeit.

Integration scharf im Bild: Der Medienandrang bei der Präsentation des 2. Österreichischen Migrations- und Integrationsberichts im November 2007 zeigt das steigende Interesse auch in Österreich.

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Integration im Fokus 4|200830 International

Warum wandern Deutsche aus?

Man muss sie nicht mehr mit der Lupe suchen: Deutsche verlassen ihr Land immer häufi ger und gehen auf länge-re Zeit ins Ausland.

Warum wandern qualifi zierte Arbeitskräfte aus Deutsch-land aus? Wie schätzen sie ihre Situation im Gastland ein? Und unter welchen Umständen würden sie wieder nach Deutschland zurückkehren? Mit diesen Fragen beschäftigt sich die Studie der Prognos AG. Sie präsentiert interes-sante Befunde nicht nur für die deutsche Standortpolitik im Kampf gegen den „Brain drain“, sondern auch für die Migrationsdebatte. Regional betrachtet der größte Teil der ausgewanderten Deutschen bevorzugt das europäische Ausland als Destination. Differenziert man die Fortzüge Deutscher in die Länder der Europäischen Union, so liegen die Nachbarländer Österreich und Polen sowie Großbritannien mit einem Anteil von jeweils rund 15

Prozent aller Auswan-derungen auf den ersten drei Plätzen.

„Brain circulation“Allerdings: Nicht alle Deutschen, die das Land verlassen haben, sind tatsächlich Auswanderer. Vor allem im Bereich der Höher- und Höchstqua-lifi zierung gibt es auch diejenigen, die zu Aus- und Weiterbildungszwecken oder aufgrund einer befris-teten Entsendung durch den Arbeitgeber zeitweilig ins Ausland gehen und wieder zurückkehren. Diese Form der Wanderung nennt man „brain circulation“. Brain

Die Studie „Gründe für die Auswanderung von Fach- und Führungskräften aus Wirtschaft und Wissenschaft“ im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie erhob Motive für Migration aus Deutschland – und präsentiert unterschiedliche Auswanderer-Typen.

Walther Otremba

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circulation ist vor allem wichtig, um Wissen zu transferie-ren und Kenntnisse und Fertigkeiten aus dem internati-onalen Umfeld an den Standort Deutschland zu bringen. Zudem eröffnet die Mobilität von Arbeitskräften wichtige Verbindungen und bildet internationale Netzwerke. Die Beweggründe für eine Auswanderung aus Deutschland sind in der Regel eine Mischung aus wahrgenommenen Defi ziten in Deutschland und der Attraktivität von Arbeits- und Lebensbedingungen im Zielland. Die Auswanderung wird als Ergebnis des Zusammenspiels von sogenannten Push- und Pull-Faktoren verstanden.

Einkommen und Jobsituation ist entscheidendDie Prognos-Befragung zeigt deutlich, dass eine Verbes-serung der Einkommens- und Beschäftigungssituation mit großem Abstand der am häufi gsten genannte Grund für die Auswanderung ist. Dabei wird zum einen die schlechte Einkommens- und Beschäftigungssituation in Deutschland beklagt (Push-Faktor: 53 Prozent der Befragten) und gleichzeitig die Erwartung besserer Berufs- und Einkommensperspektiven im Zielland geäußert (Pull-Faktor: 68 Prozent). Weitere Pull-Faktoren, die von den Befragten häufi g genannt werden, sind „bessere Möglichkeiten zur Verwirklichung von Werten und Vorstellungen“ (39 Prozent) und „höhere Lebens-qualität“ (39 Prozent). Die „Verbesserung des materiellen Lebensstandards“ wird von 27 Prozent der Befragten als Grund für die Auswanderung genannt. Weitere wichtige Push-Faktoren – also negativ wahrgenommene Lebens-bedingungen in Deutschland, die eine Auswanderung begünstigen – umfassen die „Belastung mit Steuern und Abgaben“ (38 Prozent) und „Bürokratie“ (31 Prozent) sowie „fehlende gesellschaftliche Toleranz und Gestal-tungsfreiheit“ (25 Prozent).

Unterschiede zwischen Wirtschaft und WissenschaftBei den tiefer gehenden Analysen der Auswanderungs-motive zeigen sich keine signifi kanten Unterschiede zwischen Fachkräften (z. B. Handwerksmeister, Referent, technische Angestellte) und Führungskräften (z. B. lei-tende Angestellte, Geschäftsführer), wohl aber zwischen Auswanderern aus Wissenschaft und Forschung im Vergleich zu denen aus Wirtschaft und Industrie: Die unbefriedigende Einkommens- und Beschäftigungssi-tuation in Deutschland (Push-Faktor) ist für zwei Drittel der Wissenschafter ein Auswanderungsgrund, aber

nur für die Hälfte der Fach- und Führungskräfte aus der Wirtschaft. Die Erwartung besserer Berufs- und Einkom-mensperspektiven im Ausland (Pull-Faktor) nennen 85 Prozent der Wissenschafter im Vergleich zu zwei Dritteln der Fach- und Führungskräfte aus der Wirtschaft. Die Lebensqualität im Ausland ist für Personen aus der Wirt-schaft bedeutsamer als für Wissenschafter: Der Wunsch nach einer Verbesserung der Lebensverhältnisse wird von Personen aus der Wirtschaft deutlich häufi ger angegeben (35 Prozent) als von Wissenschaftern (15 Prozent).

Besserer LebensstandardAuswanderer, die ihren materiellen Lebensstandard verbessern wollen (27 Prozent), versprechen sich von der Migration vor allem ein höheres Einkommen (87 Prozent) kombiniert mit geringeren Abgaben (71 Prozent). Gerin-gere Lebenshaltungskosten werden deutlich seltener genannt (31 Prozent) und sind vor allem das Resultat von Minderausgaben bei Dingen des täglichen Bedarfs wie Essen, Kleidung, aber auch bei Ausgaben für die persön-

liche Absicherung. Die Hoffnung auf die Verbesserung des materiellen Lebensstandards ist abhängig vom Einkommen der Auswanderer: Die Er-wartung sinkender Abgaben und stei-gender Einkommen ist besonders bei

niedrigen und hohen Einkommen ausgeprägt. Fehlende Toleranz und Gestaltungsfreiheit werden von noch rund einem Viertel der Befragten als Auswanderungsgrund genannt. Dabei wird insbesondere die fehlende Toleranz im Umgang mit Personen ausländischer Herkunft in Deutschland beklagt.

Besserer Lebens-standard und mehr Einkommen sind zentrale Motive von Auswander/innen.

Ihre Koffer packen Deutsche aus ver-schiedenen Gründen: Arbeitslosigkeit, hohe Steuern, bessere Berufsperspektiven im Ausland.

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Integration im Fokus 4|200832 International

>> Auswanderer-Typen im VergleichIn der Studie der Prognos AG wurde zudem eine Auswan-derer-Typologie erstellt. Sie umfasst folgende Gruppen:

Typ 1 – Fachkräfte ohne HeimwehLebensqualität: Diese größte Gruppe wird geprägt durch einen hohen Anteil an Auswanderern mit einer Qualifi zie-rung als Facharbeiter, Geselle und Meister sowie einer Beschäftigung in den Branchen unternehmensnaher Dienstleistungen und Industrie. Die Auswanderer dieser Gruppe sind überwiegend männlich, kinderlos und knapp zwei Drittel sind über 35 Jahre alt. Die Auswanderer die-ser Gruppe hegen wenig Rückkehrabsichten: 61 Prozent können sich eine Rückkehr nach Deutschland in abseh-barer Zeit nicht vorstellen.

Typ 2 – Berufl ich unzufriedene HochgebildeteHauptmotiv dieser zweitgrößten Auswanderergruppe sind fehlende Einkommens- und Beschäftigungsperspek-tiven in Deutschland (50 Prozent) gepaart mit der Suche nach neuen Perspektiven für Beruf und Einkommen im Aufenthaltsland (24 Prozent). Es sind vor allem promo-vierte und habilitierte Akademiker, die diese Gruppe aus-machen. Die Rückkehrmotivation dieser Gruppe ist hoch: Über die Hälfte will in absehbarer Zeit nach Deutschland zurückkehren.

Typ 3 – Jungakademiker mit hohem FrauenanteilInternationale Erfahrungen und die Suche nach neuen Herausforderungen sind die Hauptmotive dieser Gruppe. Auswanderer dieses Typs sind tendenziell jünger, die Hälf-te ist unter 34 Jahre alt. Der Anteil der Frauen liegt mit 46 Prozent deutlich oberhalb des Durchschnitts (35 Prozent). Bezüglich der Branchen zeigt sich ein Schwerpunkt im Bereich Baugewerbe sowie Informations- und Kommuni-kationstechnologie. Eine Rückkehr nach Deutschland ist für über der Hälfte (59 Prozent) in absehbarer Zeit geplant bzw. vorstellbar.

Typ 4 – Elite auf der Suche nach PerspektivenDiese Kategorie umfasst Hoch- und Höchstqualifi zierte auf der Suche nach besseren Berufsperspektiven. Mehr als 90 Prozent haben einen Hochschulabschluss, mehr als die Hälfte und damit überdurchschnittlich viele sind promoviert oder habilitiert. Zahlreiche Wissenschafter

(37 Prozent) und Beschäftigte aus der Medizin bzw. dem Gesundheitswesen fi nden sich in dieser Gruppe. Eine Rückkehr nach Deutschland ist von immerhin zwei Drit-teln dieser Personen in absehbarer Zeit vorstellbar.

Typ 5 – Fachkräfte mit FamilieHauptmotiv für die Auswanderung dieser recht kleinen Gruppe ist die Verbesserung der Beziehung zu Familie und Freunden. Berufl iche Motive spielen eine untergeord-nete Rolle. Der Altersdurchschnitt ist niedrig, die Mehr-zahl der Auswanderer dieser Gruppe ist unter 34 Jahre alt. Der Anteil der Männer liegt unterhalb, derjenige der Frauen oberhalb des Gesamtdurchschnitts. Die Rückkehr-motivation ist vergleichsweise niedrig und bei weniger als der Hälfte der Personen (47 Prozent) vorhanden.

Schwierigkeiten im GastlandNeben den Auswanderungsmotiven wurden mit der Befragung auch die organisatorischen Voraussetzungen sowie die Relevanz von öffentlichen oder privaten Unter-stützungsleistungen für die Auswanderung beleuchtet. Die Ergebnisse zeigen, dass der Auswanderungsprozess von einem guten Viertel der Antwortenden als absolut problemlos empfunden wurde. Vergleichsweise proble-matisch gestalteten sich hingegen

für 29 Prozent die Klärung der Wohnsituation im Gastland (Wohnungssuche, Anmietung, Kauf und Umzug),

für ebenso viele der Antwortenden die Klärung der Einrei-se- und Aufenthaltsformalitäten und

für 37 Prozent die soziale und fi nanzielle Absicherung durch Rente, Kranken- oder Arbeitslosenversicherung. Hilfestellung bei der Auswanderung kommt überwiegend aus dem privaten Umfeld oder direkt vom Arbeitgeber. Nur 13 Prozent der Antwortenden geben an, professi-onelle Dienstleistungen für Auswanderer, wie sie bei-spielsweise das Rafaelswerk, der Deutsche Akademische Austauschdienst oder die Bundesagentur für Arbeit anbieten, genutzt zu haben.

Erwartungen werden erfülltDie Studie zeigt weiter: Die Erwartungen, die die antwor-tenden Fach- und Führungskräfte an die Auswanderung geknüpft haben, erfüllen sich überwiegend. Entspre-chend hoch ist die Zufriedenheit der Antwortenden mit ihrer Entscheidung, Deutschland zu verlassen. Im direkten Vergleich der Lebenszufriedenheit vor und nach der Auswanderung ergibt sich ein klares Bild: Gaben vor der Auswanderung 55 Prozent der Auswanderer an, mit ihren Lebensbedingungen insgesamt zufrieden zu sein, waren es danach im Ausland 84 Prozent. Die positive Bewertung der persönlichen Lebensbedingungen geht einher mit einer Verbesserung der berufl ichen Situation. Zum einen sinkt der Anteil der Nicht-Berufstätigen mit der Auswanderung von 28 Prozent auf 3 Prozent der Antwortenden. D. h., dass zahlreichen Auswanderern – insbesondere denen, die im Ausland im Bereich Wis-

Präzise deutsche Arbeit wird überall geschätzt: Vor allem Hochgebildete und Fachkräfte kehren Deutschland den Rücken.

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Dr. Walther Otremba ist Staatssekre-tär im deutschen Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie.Kontakt: [email protected]

senschaft und Forschung tätig sind – mit dem Weggang aus Deutschland eine berufl iche Perspektive eröffnet wird. Für einen Großteil der Berufstätigen verbessert sich im Ausland zudem die berufl iche Position: Knapp 60 Pro-zent der Auswanderer sind im Gastland als Führungskraft tätig; in Deutschland lag der Anteil bei 26 Prozent.

Motive für die RückkehrDie Studie hat auch das Potenzial der Heimkehrer unter den deutschen Fach- und Führungskräften im Ausland ermittelt. Auf die Frage „Wollen Sie in absehbarer Zeit nach Deutschland zurückkehren?“ antworten 7 Prozent, dass für Sie die Rückkehr bereits feststeht. Weitere 46 Prozent stehen einer Remigration in absehbarer Zeit offen

gegenüber. Für 47 Prozent wiederum kommt eine Rückkehr in absehbarer Zeit nicht in Frage. Was die Motive angeht, die die Antwortenden zur Rückkehr nach Deutschland bewegen, ist festzustellen, dass neben privaten

Gründen, die die Situation von Familie und Freunden und das persönliche Wohlbefi nden im Ausland betreffen, auch berufl iche und einkommensbezogene Aspekte eine zentrale Rolle spielen. Letzteres ist insbesondere in der Gruppe der in Wissenschaft und Forschung Arbeitenden ein wichtiger Punkt.

Rückkehr bei besseren Berufschancen und weniger SteuernBilanz der Studie im Hinblick auf die Rückgewinnung von ausgewanderten Fach- und Führungskräften aus Deutschland: Sowohl für die dauerhafte Auswanderung von Fach- und Führungskräften als auch für die Rückkehr sind stets Bündel von privaten und berufl ichen Faktoren ausschlaggebend, die nur begrenzt einem wirtschafts-politischen Einfl uss unterliegen. In jedem Fall wird sich eine stabile konjunkturelle Entwicklung mit der damit einhergehenden Arbeitsplatzsicherheit insbesondere für Fachkräfte und den sich eröffnenden berufl ichen und Einkommensperspektiven für Führungskräfte positiv auf deren Rückkehrbereitschaft auswirken. Darüber hinaus sollten politische Aktivitäten zum Brain Gain unterschied-liche Motiv-Typen berücksichtigen. Insbesondere für Wissenschafter ist zu vermuten, dass eine verbesserte Berufs- und Einkommenssituation in Deutschland die Rückkehrneigung weiter steigern wird. Für bereits gut etablierte Fach- und Führungskräfte aus der Wirtschaft würde eine Verringerung der Einkommenssteuerlast ein Signal setzen, das ihre Standortbindung an Deutschland erhöht. Ihre Erwartungen an einen kontinuierlichen beruf-lichen Aufstieg und den Zuwachs an Verantwortung und Entscheidungsbefugnissen sind hingegen in erster Linie durch eine dynamische Unternehmenskultur zu befriedi-gen, zu deren weiterer Entwicklung in Deutschland eine stabile Konjunktur und gute wirtschaftliche Rahmenbedin-gungen einen entscheidenden Beitrag leisten.

Wie stark stieg die deutsche Auswanderung in den letzten Jahren an?

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Welche europäischen Zielländer waren 2006 am beliebtesten?

Quelle: Prognos AG

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Vereinigtes KönigreichPolen

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Pull-Faktoren

Bessere Berufs- und Einkommensperspektiven

Bessere Möglichkeit zur Verwirklichung von Werten und Vorstellungen

Höhere Lebensqualität

Höherer materieller Lebensstandard

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Push-FaktorenEinkommens- und Beschäftigungssituation in Deutschland

Steuern und Abgaben in Deutschland

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Knapp die Hälfte der Auslandsdeut-schen ist offen dafür, schon bald wieder zurückzukehren.

Quelle: Statistisches Bundesamt 2007

Quelle: Statistisches Bundesamt 2007

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Welche Gründe sind entscheidend?

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Integration im Fokus 4|200834 International

Von der Einwanderung bis zur Einbürgerung: Zuwanderung und Integration

Schrumpft Deutschland? Die Zahlen zeigen: 685.000 Geburten konnten im letzten Jahr 827.000 Sterbefälle nicht aufwiegen. Seit der Wiedervereinigung war die deutsche Geburtenbilanz stets negativ – wurde aber meist durch Zuwanderung ausgeglichen. Damit ist seit einigen Jahren Schluss: 2007 zogen nur 45.000 Personen mehr nach Deutschland zu als weg. Ein Überblick über die deutsche Migrations- und Integrationspolitik, die auf diese Herausforderung reagiert.

Peter Schimany

Einwanderung nach Deutschland hat heute in erster Linie zwei Formen: Arbeitsmigration und Familiennachzug. Das Aufenthaltsgesetz aus dem Jahr 2005 und seine Reform vom August 2007 widmen sich beiden Formen der Im-migration. Weitere Neuerungen des Aufenthaltsgesetzes: Integrationskurse, Bleiberecht, Arbeitsmarktzugang und Einbürgerungen.

Familiennachzug: Integration im Vorfeld erleichtern Ehegatten, die ihrem Partner nach Deutschland folgen wollen, müssen zumindest 18 Jahre alt sein und vor der Einreise einfache Deutschkenntnisse auf dem Niveau A1 des gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen nachweisen. Der Erwerb einfacher Sprach-kenntnisse noch vor der Einreise soll dabei die Integration der nachreisenden Ehepartner erleichtern. Ausnahmen gibt es für Hochqualifi zierte, bei denen geringer Integra-tionsbedarf besteht, sowie für Bürger/innen der EU und visumsfreier Staaten.

Selbstständige und Hochqualifi zierte: Zuwanderung erleichtern

Bislang musste ein einreisewilliger Selbstständiger für einen Aufenthaltstitel 1 Million Euro in Deutschland investieren und zehn Arbeitsplätze schaffen – diese

Werte wurden mit der jüngsten Reform halbiert. Ähnliches gilt für die Immigration von Hochqualifi -zierten aus Drittstaaten: Statt 86.400 Euro müssen diese ein Jahreseinkommen von nur noch 63.600 Euro nachweisen. Um einem möglichen Fachkräftemangel in Deutschland weiter vorzubeugen, beschloss die Bundesregierung im Juli 2008 zudem ein eigenes Aktionsprogramm. Neben der Ausschöpfung des im Inland vorhandenen Arbeitskräftepotenzials – etwa durch Qualifi zierungsmaßnahmen – sollen damit die Bedürfnisse des Arbeitsmarkts durch gesteuerte Zu-wanderung erfüllt werden:

Akademiker/innen aus Osteuropa: Die Übergangsfristen, die den deutschen Arbeitsmarkt von den neuen EU-Mit-gliedern abschotten, werden zwar bis 2011 verlängert. Für Akademiker/innen aus den acht neuen EU-Staaten steht er jedoch ab 2009 offen.

Saisonarbeit: Der saisonale Arbeitskräftebedarf der Landwirtschaft wird auch künftig gedeckt.

Bildungspotenzial nützen: Erleichterungen gibt es für die Anerkennung von im Ausland gemachten Abschlüssen.

Wirtschaftsmonitoring: Ein spezieller Index misst die Erwartungen der Unternehmen, was den Arbeitskräfte-bedarf der kommenden sechs Monate betrifft.

Frauen schätzen die deutschen

Integrationskurse: Sie stellen �0 Prozent aller

Teilnehmer/innen.

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Dr. Peter Schimany leitet den Bereich „Forschungskontakte, Wissenschaftlicher Beirat“ beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und ist apl. Professor an der Universität Passau.Kontakt: [email protected]

Katrin Hirseland leitet das Referat „Bundesweites Integrationsprogramm“ beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge.Kontakt: [email protected]

Die Teilnahme an Integrationskursen ist für Neuzuwander/innen verpfl ichtend, aber auch schon länger in Deutschland lebende Migrant/innen können das Angebot nützen.

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�00 Stunden für die IntegrationSeit 2005 gibt es ein bundesweit einheitliches Inte-grationsangebot in Deutschland – mit der Reform vom grationsangebot in Deutschland – mit der Reform vom Juli 2007 wurde dieses nun weiter verbessert. Im Juli 2007 wurde dieses nun weiter verbessert. Im Mittelpunkt der Maßnahmen, die dem Grundprinzip des „Förderns und Forderns folgen“, steht der sogenannte Integrationskurs: Dieser umfasst – ähnlich den Deutsch-Integrationskurs: Dieser umfasst – ähnlich den Deutsch-Integrationskursen, die in Österreich im Rahmen der Integrationsvereinbarung stattfi nden – 600 bis 900 Stunden Sprachkurs und 45 Stunden Orientierungskurs zu deutscher Rechtsordnung, Geschichte und Kultur. Die zu deutscher Rechtsordnung, Geschichte und Kultur. Die Teilnahme am Integrationskurs ist für Neuzuwander/in-nen aus Drittstaaten mit zu geringen Sprachkenntnissen verpfl ichtend – doch können auch bereits in Deutsch-land lebende Migrant/innen den Kurs besuchen. Diese land lebende Migrant/innen den Kurs besuchen. Diese

nehmen das Angebot gerne an: In der Praxis stellen sie die Mehrheit der Kursteilnehmer. Vor allem Frauen sind mit über 60 Prozent stark vertreten. Ergänzende Maß-nahmen des Bundes umfassen etwa Beratungsangebote sowie etwa Beratungsangebote sowie berufsbezogene Sprachförderung. Auf Länderebene liegt der Schwer-

punkt hingegen auf der Bildung von Schüler/innen mit Migrationshintergrund. Kommunale Projekte runden das Gesamtkonzept ab.

Gemeinsam planen, aus der Praxis lernenVielfalt braucht Koordination: Angesichts der großen Zahl staatlicher und nicht-staatlicher Integrationsinitiativen haben Bund, Länder, Kommunen und Vertreter der Zivil-gesellschaft im Juli 2007 den „Nationalen Integrations-plan“ beschlossen. Damit haben alle Beteiligten nicht nur die integrationspolitischen Themen der nächsten Jahre

gemeinsam defi niert, sondern auch ein umfangreiches Paket an Selbstverpfl ichtungen verabschiedet. Das vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gemeinsam mit den zentralen Akteuren der Integrationsförderung mit den zentralen Akteuren der Integrationsförderung entwickelte „bundesweite Integrationsprogramm“ hin-gegen hat den Auftrag, Vorschläge zur Integrationspraxis auszuarbeiten und Empfehlungen zur Weiterentwicklung auszuarbeiten und Empfehlungen zur Weiterentwicklung der Integrationsangebote zu formulieren. Im Zusam-menspiel von politischer und praktischer Ebene soll ein wirkungsvolles Gesamtkonzept der Integrationsförderung entstehen.entstehen.

Einbürgerung und IntegrationAuch die Einbürgerung funktioniert nun deutschland-weit einheitlich: Seit 1. September 2008 müssen Neu- Deutsche einen eigens entwickelten Test be-stehen, in dem sie ihre Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung sowie der Lebensverhältnisse in Deutschland nachweisen. Für den Prüfungserfolg müssen 17 der 33 Fragen richtig beantwortet wer-den. Von den insgesamt 310 Fragen beziehen sich 300 auf ganz Deutschland und zehn auf das jeweilige 300 auf ganz Deutschland und zehn auf das jeweilige Bundesland. Folgende Maßnahmen runden den Einbür-gerungstest ab:Alle Fragen sind öffentlich mit Hintergrundinformationen zugänglich.Einbürgerungswillige können beliebig oft zum Test antreten – Kostenpunkt je Test: 25 Euro.

Vom Test befreit sind all jene, die zumindest über einen deutschen Hauptschulabschluss verfügen, unter 16 Jahre alt sind oder durch Alter oder Krankheit beeinträchtigt sind. Die Bundesregierung wirbt für mehr Einbürgerung – zumal deren Zahl seit 2000 von 187.000 auf 113.000 gesunken ist.

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Integration im Fokus 4|20083� International

Kosmopolit wider Willen: Hellmut Stern, Violinist Er fl oh mit seinen Eltern vor den Nazis, fi nanzierte mit seiner

Musik das Überleben der Familie in Ostasien, spielte bei den Israelischen und auch den Berliner Philharmonikern: Die Biografi e Hellmut Sterns, geb. 1928, ist ein packendes Beispiel für das bewegte Leben vieler Emigranten.

Marion Neiss

„Gershwin? Kenn´ ich nicht, wer ist denn das?“, fragt Anfang der 50er-Jahre in Jerusalem der junge Geiger Hellmut Stern, als ihm ein Job angeboten wird und er die „Rhapsody in Blue“ vorspielen soll. Stattdessen gibt er die „Gräfi n Mariza“, wird unter Vertrag genommen und erhält ein Engagement im legendären „King-David-Hotel“. Hier wechselt er auf den Stuhl des Pianisten, ohne jedoch sein Geigenspiel zu vernachlässigen, da er alles versucht, ins Israel Philharmonic Orchestra aufgenommen zu wer-den. Diese Chance lässt nicht lange auf sich warten, denn einige Monate später ist der große Geiger Isaak Stern Gast im „King-David-Hotel“. Der junge Geiger nimmt allen Mut zusammen, tritt auf Isaak Stern zu und beginnt mit den Worten: „Ich spreche russisch“. „Ich auch“, entgegnet der Angesprochene. „Ich heiße Stern“, fährt der junge Geiger fort. „Ich auch“, bemerkt Isaak Stern. „Ich spiele Geige“, und unvermeidlich lautet die Replik: „Ich auch“. Das Eis ist gebrochen und Isaak Stern lädt den Aspiranten zum Vorspielen ein. Nach einigen Tagen erhält Hellmut Stern die Aufforderung, der Jury des Israel Philharmonic Orchesters vorzuspielen.

Hellmut Stern, 1928 in Berlin geboren, beginnt seine mu-sikalische Laufbahn mit fünf Jahren am Klavier, begleitet und unterrichtet von seiner Mutter. Mit neun Jahren erhält er eine Geige, die ein Philantrop seiner Schule mit der Bitte gestiftet hatte, diese dem musikalisch begabtesten

Kind zu geben. Hellmut Sterns erste Versuche auf der Violine kommentiert seine Geigenlehrerin mit den Worten: „Naja, wenn er fl eißig übt, könnte etwas aus ihm werden.“

Die Eltern von Hellmut Stern erkennen sehr bald nach 1933 die Gefahr, die als Juden in Deutschland auf sie zukommt. Alle Auswanderungs-bemühungen scheitern vor allem aus fi nanziellen Gründen, denn das Einkommen des Vaters als Gesangslehrer und das der Mutter als Klavierlehrerin

decken gerade den Lebensunterhalt der kleinen Familie. Doch auch die Quotenregelung der Einwanderungsländer wie auch die Verweigerung von Transitvisa verhindern die Ausreise. Als letzte Möglichkeit bleibt die Emigration nach China. Der Mutter gelingt es, durch den „Hilfsverein der deutschen Juden“ – der Hilfsstelle der gesamten nicht-palästinensischen Auswanderung der Juden – einen Arbeitsvertrag als Pianistin nach Harbin zu erhalten. So verlässt die Familie am 21. November 1938 Berlin und erreicht am 31. Dezember Shanghai.

Geigenunterricht in der MandschureiShanghai ist das Fluchtziel derjenigen, denen es an Geld, Beziehungen und Einreisepapieren mangelt, denn hier in der „offenen Stadt“ wird weder ein Visum noch ein Affi davit verlangt. Etwa 15.000 Flüchtlinge aus Mitteleu-ropa fi nden zwischen 1938 und 1945 Asyl in der chine-sischen Metropole. Die Sterns hingegen treibt es weiter ins mandschurische Harbin, um den Vertrag der Mutter zu erfüllen. Sie hoffen, dort bessere Lebensbedingungen vorzufi nden, denn im Shanghaier Stadtteil Hongkew, in dem das Gros der Flüchtlinge untergebracht ist, herrschen bittere Armut, Hunger und Arbeitslosigkeit. Doch diese Hoffnungen erfüllen sich nicht; zwar hat die Familie ein

Dach über dem Kopf, aber es fehlt an den elemen-tarsten Dingen. Dafür erhält die Familie ein Klavier

– ganz zum Verdruss des 11-jährigen Knaben, denn nun muss er neben dem Geigenunterricht zusätzlich täglich Klavier spielen. Doch die Violine

bleibt das erste Instrument für Hellmut Stern, der in Harbin von Vladimir Trachtenberg, dem Konzertmeister

des dortigen Symphonieorchesters, unterrichtet wird. Die musikalische Begabung, die Disziplin und der Fleiß des Knaben tragen 1942 die ersten Früchte, denn mit 14

Jahren gibt Hellmut Stern sein erstes öffentliches Kon-zert. Drei Jahre später wird er Mitglied des Harbiner Symphonie Orchesters.

Wirtschaftlich geht es der Familie immer schlechter, sodass Hellmut Stern gezwungen ist, in Nachtklubs

und auf chinesischen Hochzeiten – teils als Pianist, teils als Geiger – Geld zu verdienen. Neben dem täglichen Überlebenskampf werden immer wieder Überlegungen

Finanzielle Hürden und die restriktive Politik der Ziellän-der verhinderten beinahe die Flucht der Familie Stern.

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angestrengt, auf welche Weise man in ein wirtschaftlich stabileres Land emigrieren könnte. Doch eine Weiter-wanderung bleibt Illusion. 1945 steht die Familie vor dem

fi nanziellen Ruin. So nimmt Hellmut Stern das Angebot an, als Pianist mit einem Trio in die Innere Mongolei zu gehen, um dort in einem Eisenbahner-club aufzutreten. Wenig später holt er seine Eltern nach, in der Hoffnung, sie

hier besser versorgt zu wissen, doch völlig mittellos kehrt die Familie Ende 1947 nach Harbin zurück und beginnt erneut, sich aktiv um Ausreisemöglichkeiten zu kümmern. Erst nach der Staatsgründung Israels 1948 gelingt es ihnen, die Ausreiseerlaubnis aus China und eine Einrei-seerlaubnis nach Israel zu erhalten. Im Oktober 1949 verlässt Hellmut Stern mit seinen Eltern das chinesische Exil. Israel erreichen sie am 31. Dezember.

Bernstein und KarajanDie Eltern versuchen sich im Land einzuordnen, was nicht einfach ist. Der Vater hat mit 70 Jahren keinerlei Aussicht auf ein Einkommen, und die gelegentlichen Engagements der Mutter als Pianistin reichen nicht für den Lebensun-terhalt. So entscheiden die Eltern im Frühjahr 1956, in die USA zu übersiedeln. Hellmut Stern hat nicht die Absicht, den Eltern zu folgen. Er lebt sich rasch in die israelische Gesellschaft ein und spielt noch immer auf seiner Geige, die er in Harbin auf einem Haufen Sonnenblumenkerne gefunden hat, als er ins Israelic Philharmonic Orchestra

aufgenommen wird. Hier lernt er die Violinvirtuosen Jascha Heifetz und Yehudi Menuhin und auch den Dirigenten Le-onard Bernstein kennen und reift zum Profi musiker heran. Sowohl im Land als auch im Orchester fühlt er sich aufge-hoben. Aber Ende des Jahres wird er an das Krankenbett des Vaters nach Chicago gerufen. Mit dem Versprechen an das Orchester, auf jeden Fall zurückzukehren, verlässt er im Dezember 1956 Israel.

Doch vom Israelic Philharmonic Orchestra war es ein Ab-schied für immer, von Israel ein Abschied auf viele Jahre. Hellmut Stern bleibt in den USA. Wieder beginnt die Suche nach einem Orchester. Als er fast ein Engagement in der Tasche hat und gefragt wird, ob er gewerkschaftlich organi-siert sei, antwortet er: „Selbstverständlich. In der Histad-ruth in Tel Aviv.“ Damit sind die Einstellungsbedingungen in einem amerikanischen Orchester nicht erfüllt. Wieder bleibt ihm nichts anderes übrig, als in Bars zu spielen, und erst als er 1958 ordentliches Gewerkschaftsmitglied wird, steht dem Engagement im St. Louis Symphony Orchestra und später im Orchester von Rochester nichts mehr im Wege. Im Juli 1961 vermeldet eine Chicagoer Lokalzei-tung: „Ein Bürger von Evanston wird Mitglied der Berliner Philharmoniker.“ Hellmut Stern hat sich entschieden, nach Europa zurückzugehen. Mit Herbert von Karajan startet der 33-Jährige nun seine Karriere beim Berliner Philharmo-nischen Orchester. 1962 besteht er die Kandidatur zum Ers-ten Geiger. Tourneen mit dem Orchester lassen ihn Israel, Amerika und China wiedersehen.

Nach harten Jahren in Ostasien gelang es den Sterns erst 1�4�, nach Israel weiterzureisen.

Dr. Marion Neiss ist Historikerin am Zentrum für Anti-semitismusforschung der Technischen Universität Berlin. Kontakt: [email protected]

Die Reisen des Hellmut Stern: teils erzwungen, teils freiwillig

Chicago (1961)

Berlin (1938 und 1961)

Harbin (1939–1945)

Haifa (1949)

MailandGenua

Neapel

Port Suez

Kapstadt

Massawa

St. LouisShanghai

Port ArthurDjalatun

Manila„Saitensprünge“ nennt der heute 80-jährige Hellmut Stern seine Lebenserinne-rungen, die auch ins Japanische und Chine-sische übersetzt sind. In

seiner Autobiografi e schildert er nicht nur den langen und schweren Weg seiner Exil- und Emigrationserfahrung, sondern auch ein Stück internationaler Musikgeschichte.

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Integration im Fokus 4|200838 International

Vom Ausländerghetto zum ZukunftslaborBerlin-Kreuzberg gilt vielen als das Paradebeispiel gescheiterter Integration. Aber sind die Bewohner des „Türkenghettos“ wirklich schuld daran? Und birgt die kulturelle Vielfalt nicht auch wirtschaftliche Chancen?

Ferda Ataman

Ein Satz geht mir nicht aus dem Kopf, den ein Mann während einer Recherche in Berlin-Kreuzberg zu mir sagte. „Es sind die Deutschen, die sich hier nicht integrieren wollen“, sagte er. Ihm sei es nämlich schleierhaft, wo all die Humanisten und die Ökodeutschen aus dem Stadtteil ihre Kinder zur Schule schickten. Der Mann hieß Kenan Bulus, ein 42-jähriger Türke. Er schimpfte über die Perspektiven seiner Kinder aufgrund von „100 Prozent Migrantenanteil an den Schulen“. Ihn mache es wütend, dass ständig von den

Integrationsmängeln der Migranten die Rede sei. Tatsächlich sprach er damit eine ent scheidende Frage in der Integrations-debatte an: Wer grenzt sich eigentlich von wem ab? Wenn es um Probleme mit Zuwanderern geht, ist häufi g von sogenannten Parallelgesellschaften die Rede, in die sich Zuwanderer angeblich zurückziehen, um unter sich zu bleiben. Wirft man einen oberfl ächlichen Blick auf jenen Teil von Kreuzberg, der von vielen „Little Istanbul“ genannt wird, dann sieht es auch danach aus.

Fremdsprache Deutsch mitten in BerlinDie größte Migrantengruppe in Berlin sind mit 170.000 Menschen die Türken. Und auffallend viele von ihnen leben schon seit Jahrzehnten in diesem Viertel. Allein auf dem Kottbusser Damm, einer eher kurzen Berliner Straße, befi nden sich vier Moscheen, unzählige Supermärkte und Bäckereien, Videotheken und Ramschlä-den, die alle von Türken und Arabern geführt werden. Wer hier nur Deutsch spricht, hat bisweilen Schwierigkeiten, sich beraten zu lassen.

Friedlicher Tummelplatz oder sozialer Brennpunkt? An Kreuzberg scheiden sich die Geister.

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Vom Ausländerghetto zum Zukunftslabor

Der problembela-dene Teil Kreuzbergs löst inzwischen nicht nur bei Lokalpolitikern Sorgenfalten aus: Im Norden haben über die Hälfte der Anwohner einen Migrationshintergrund, die Arbeitslo-sigkeit unter Türken liegt hier bei rund 40 Prozent. Die sogenannte „Jugend-delinquenz“ steigt von Jahr zu Jahr, vor allem bei Rauschgiftdelikten – immer mehr unter 16-Jährige handeln mit Drogen und konsumieren sie. Hier verlassen so viele die Schule ohne Abschluss, dass es schon als normal gilt. Kreuzberg ist zum Prototyp eines Migrantenviertels einer deutschen Stadt geworden.

Kreuzberg: unfreiwilliges „Türkenghetto“Das haben sich die Türken selber ausge-sucht, so eine weitverbreitete Meinung in der deutschen Öffentlichkeit. In dieses Türkenghetto haben sie sich zurückgezo-gen, um unbehelligt ihre Sitten in ihrer Sprache auszuleben, so der Vorwurf. Doch das stellt die Entstehungsursachen dieses – und anderer – Migrantenviertel auf den Kopf. Am Beispiel von Berlin-Kreuzberg lässt sich sehr gut nachweisen, dass der Wandel vom Arbeiterviertel zum „Einwan-derghetto“ die Konsequenz einer Melange aus Politik, immobilienwirtschaftlichem Profitdenken und struktureller Diskriminie-rung ist.

Die beiden Weltkriege hatte Kreuzberg einigermaßen gut überstanden. Zwei Drittel der Häuser sind heute noch Altbauten. Doch in den 50er-Jahren trieb es Westber-liner Stadtplaner um, sie wollten futuris-tische Betonbauten errichten und die herun-tergekommenen Häuser ohne Badezimmer abreißen lassen. Zur Strategie gehörte, Gastarbeiter und andere, die billig wohnen mussten, in die dürftigen Wohnungen ein-zuquartieren. Bis auf Weiteres, so der Plan.

Vor allem türkische Arbeitsmigranten erhielten die schlechtesten Wohnungen ohne Bäder. Das war stadtplanerisch so

vorgesehen, denn es hieß, Bäder bräuchten Ana-tolier ohnehin nicht, und als „Gastarbeiter“ würden sie nicht lange bleiben. Die

Berliner Politik lehnte es explizit ab, Infrastruktur wie Schulen, Kindergärten oder Sozial-dienste an die neuen auslän-

dischen Bewohner anzupassen. Am Ende würden diese noch motiviert, nach Berlin und „in die Ballungsgebiete zu drängen“, so ein Bericht des regierenden Bürgermeis-ters aus dem Jahr 1972. Doch die aktive Hausbesetzerzone der 70er-Jahre und das deutsche Ausländerrecht sorgten dafür, dass der Wunsch des Berliner Senats – we-niger Ausländer in absehbarer Zeit – nicht in Erfüllung ging.

Verfehlte GastarbeiterpolitikAusgrenzende Botschaften gab es allerdings auch auf Bundesebene. Inte-grationspolitik war in den 80er-Jahren unter Kanzler Helmut Kohl hauptsächlich geprägt von Rückführungsstrategien: Man bot ehemaligen Gastarbeitern an, ihre Sozialbeiträge und Renteneinzah-

lungen auf einen Schlag auszuzahlen, wenn sie dauerhaft in ihre Heimat zurückkehren. Und auch in den 90er-Jahren fühl-ten sich Migranten nicht

wirklich willkommen, als Wahlkämpfe mit Anti-Asylpolitik und Parolen wie „das Boot ist voll“ geführt wurden.

In Folge waren neue soziale Brennpunkte: In einem engen Raum konzentrierten sich Rückständigkeit, Festhalten an der Identität als Ausländer, dürftige Fortschritte bei den Deutschkenntnissen, eine schlech-te Bildungsbilanz – alles auch Produkte jahrzehntelanger Vernachlässigung durch die Politik, die eine mangelhafte Infrastruk-tur bewusst in Kauf nahm, um weitere Zuwanderer abzuschrecken. Die bis heute anhaltende – und inzwischen laut beklagte – Unfähigkeit vieler Schulen etwa, sich an

die Lernbedürfnisse der Zuwandererkinder anzu-

passen, ist ein Resultat der Politik der Gastarbeiterjahre.

So ist es nicht verwunderlich, dass Türken seit Jahrzehnten aus Kreuz-berg wegziehen, sobald sie in die Bildungselite oder ökonomisch auf-

steigen. Wer will sein Kind schon freiwillig auf Schulen schicken, deren Schüler über-wiegend aus Problemkindern bestehen? Seit rund 30 Jahren bleiben daher vor allem diejenigen Türken und ihre Nachkommen in Kreuzberg unter sich, die heute für eine gescheiterte Integration stehen.

Unternehmerdynamik im ProblemkiezDoch Deutschland, das sich selbst seit einigen Jahren als „Einwanderungsland“ bezeichnet, richtet sich langsam auf seine neue Rolle ein. Inzwischen hat auch die Ver-waltung in der deutschen Kapitale erkannt, dass in Migrantenvierteln wichtige Potenzi-ale und so manche Wunderkinder unent-deckt bleiben. Im Integrationskonzept des Senats von 2005 steht daher, „der positive Umgang mit Vielfalt fördert die Handlungs-fähigkeit einer Stadt und führt zu Vorteilen im internationalen Wettbewerb um Attrak-tivität“. Was sich hinter dem Amtsdeutsch verbirgt: Das jahrzehntelang geschmähte „Ghetto“ muss gefördert werden. Kreuz-berg, mit seinem Multikulti-Mix und dem aufkeimenden Unternehmergeist derer, die nichts zu verlieren haben, wird in Zukunft zum Labor für eine positive Besetzung des Wortes „Migrantenviertel“. Immerhin.

Ferda Ataman ist Politikwissenschafterin und Redakteurin bei Spiegel Online.Kontakt: [email protected]

Ausgrenzende Botschaften prägten die Politik der 80er und �0er Jahre.

Fahne zeigen für das Heimatland – aber welches? In Berlins „Little Istanbul“ ist das oft nicht so klar.

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Integration im Fokus 4|200840 International

Offene Grenzen unter VerlierernNach dem Ersten Weltkrieg waren Österreich wie Deutschland wirtschaftlich am Boden. In teilweise geheimen Verträgen erleichterten sie deshalb einander die Zuwanderung. Die Wirtschaft profi tierte schon vor achtzig Jahren von Migration – das großdeutsche Denken ebenfalls.

Jochen Oltmer

Österreich verweigerte 1�25 einen Wanderungs-vertrag mit Frankreich: Es wollte kein Gastarbei-terland wie Polen oder Jugoslawien sein.

Das Taubenfüttern konnten sich nach 1�18 nur wenige leis-ten: In der Zwischen-kriegszeit jagte eine Krise die andere.

1919 verboten die siegreichen Alliierten einen Zusam-menschluss Österreichs und Deutschlands. Beide Staaten standen im Migrationsbereich nach Kriegsende vor vergleichbaren Herausforderungen. Aufgrund der politischen Veränderungen durch die Friedensverträge überschritten wahrscheinlich etwa 5 Millionen Menschen in Europa die – zum Teil neuen – Grenzen. Unter den Österreichern waren Ende der 1920er-Jahre mehr als 10 Prozent, insgesamt 764.000 Menschen, auf einem der Territorien der anderen Nachfolgestaaten des Habsbur-gerreiches geboren worden. Deutschland nahm in den ersten Nachkriegsjahren mehr als 1 Million Menschen aus den abgetretenen Gebieten auf, darunter über

800.000 aus den nunmehr polnischen Ter-ritorien und rund 150.000 aus dem wieder französischen Elsass- Lothringen.

Von Beginn an unterhielten Deutschland und Österreich privilegierte Migrationsbe-ziehungen. So wurden schon bei der Ver-schärfung der Meldevorschriften für Aus-länder in Deutschland 1919 Österreicher ausgenommen, sie konnten wesentlich rascher mit einer unbefristeten Aufent-haltserlaubnis rechnen als Angehörige anderer Staaten. Trotz der in ganz Europa nach dem Ersten Weltkrieg aus-zumachenden Tendenz, Grenzen und Arbeitsmärkte abzuschotten, waren Österreich und Deutschland beson-ders früh bemüht, die Visumpfl icht im beiderseitigen grenzüberschreitenden Verkehr abzuschaffen. Das gelang in

einem Vertrag 1925. Mit diesem Visumabkommen ging es beiden Seiten darum, die außenpolitische Verbunden-heit der Kriegsverlierer zu demonstrieren.

Österreich, ein Gastarbeiterland?1928 gab es insgesamt 3.156 deutsche Beschäftigte in Österreich. Die Zahl der österreichischen Arbeitskräfte in Deutschland lag 1929 mit über 11.000 um das Dreifache höher. 1925 und 1926 intensivierten sich die österrei-

chisch-deutschen Gespräche über die Erleichterung des Arbeitsmarktzugangs für Deutsche in Österreich und umgekehrt. Beide Seiten hatten daran großes Interesse: Der Wiener Regierung ging es wegen der hohen struktu-rellen Erwerbslosigkeit darum, Arbeitsmöglichkeiten für Österreicher im Ausland zu erschließen. Sie wollte damit aber nicht in außenpolitische Abhängigkeit gegenüber ehemaligen gegnerischen Staaten geraten. Trotz der

Perspektive, 8.000 erwerbslosen österreichischen Metallarbeitern Arbeit in Frankreich zu vermitteln, scheiterten 1925 französisch-österreichische Verhandlungen über ein Wanderungsabkommen auch deshalb, weil sich Wien aus

Prestigegründen zurückzog: Der Abschluss eines Wan-derungsvertrags mit Frankreich hätte Österreich, so die Wiener Vorstellung, auf eine Stufe mit jenen osteuropä-ischen Ländern (Polen, Tschechoslowakei, Jugoslawien) gestellt, die bereits Anwerbeverträge mit Frankreich abgeschlossen hatten.

Dem „Anschluss“ den Weg ebnenAußenpolitische Motive spielten auch für Deutschland eine wichtige Rolle bei der Ausgestaltung der migrations-politischen Beziehungen. Eine weitergehende Öffnung des deutschen Arbeitsmarkts für österreichische Arbeits-kräfte galt als eine Option mit großem außenpolitischen Nutzen, wie das Reichsarbeitsministerium in Berlin im Juni 1925 konstatierte, denn „für die Aufrechterhaltung des Anschlussgedankens könnte es kaum eine wirk-samere Demonstration geben“. Darüber hinaus strebten die Regierungen der Weimarer Republik danach, die dominierende polnische Zuwanderung nach Deutschland zu beschneiden und stattdessen den Anteil der Beschäf-tigten zu erhöhen, die aus den starken deutschen Min-derheiten in Osteuropa oder aus Österreich stammten.

Geheimpakt bevorzugt ÖsterreicherDie Gespräche 1925 und 1926 führten zu einer klaren, aus Gründen der Vermeidung außenpolitischer Verwick-lungen mit anderen Staaten aber geheimgehaltenen Privi-

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Offene Grenzen unter Verlierern

Apl. Prof. Dr. Jochen Oltmer ist Professor am Institut für Migra-tionsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) der Universität Osnabrück.Kontakt: [email protected]

legierung österreichischer Arbeitskräfte. Sie mündeten nach Verhandlungen im Oktober und Dezember 1928 in einen regulären Wanderungsvertrag zwischen Öster-reich und Deutschland. Der Vertrag selbst formulierte die Bedingungen, die aus den zahlreichen europäischen Wanderungsverträgen dieser Zeit bekannt sind. Die nicht veröffentlichten Sonderbedingungen bevorzugten aber er-neut österreichische Arbeitskräfte in Deutschland gegen-über anderen Ausländern: Freie Wahl des Arbeitsplatzes, keine Beschränkung des Umfangs der Beschäftigung von Österreichern in Deutschland, günstiger Rechtsstatus und bessere Arbeitsbedingungen, darunter auch die Bestimmung, dass in keinem Fall „Österreicher mit Polen in gemeinsamen Unterkünften wohnen oder unter pol-nischen Vorarbeitern arbeiten“ sollten. Insgesamt führte der deutsch-österreichische Wanderungsvertrag zu einem Erfolg: Während 1928 nur 490 österreichische Landar-beiterinnen und Landarbeiter in Deutschland gezählt wurden, waren es 1929 schon 3.021.

Im Dienst der NS-AufrüstungMit dem Beginn der Weltwirtschaftskrise und den in der Folge in ganz Europa einsetzenden Beschränkungen

des Arbeitsmarktzugangs für Ausländer sanken die Anwerbeziffern allerdings bereits wieder deutlich ab, bewegten sich aber dennoch weiterhin auf einem wesentlich höheren Niveau als vor dem Wanderungs-abkommen. Erst im Zuge der nationalsozialistischen Aufrüstungspolitik, die den deutschen Arbeitsmarkt 1936/37 leergefegt hatte, stieg die Zahl der österrei-

chischen Beschäftigten in Deutsch-land wieder stark an, bevor mit dem „Anschluss“ Österreichs im März 1938 die restriktiven deutschen Re-gelungen über den „Arbeitseinsatz“ und die Kontrolle der inländischen Ar-

beitskräfte auf das annektierte Nachbarland übertragen wurden. Eine starke, staatlich geförderte, gelenkte und zum Teil erzwungene Abwanderung aus den öster-reichischen Gebieten in das „Altreich“ war die Folge. Die privilegierten Migrationsbeziehungen zwischen der Weimarer Republik und der Republik Österreich mündeten damit in eine weitreichende Anpassung des österreichischen Arbeitsmarkts an die Bedürfnisse von nationalsozialistischer Aufrüstungspolitik und Kriegs-wirtschaft.

Dank der Verträge integrierten sich die Österreicher rasch in die NS-Kriegswirtschaft.

Nicht wenige Öster-reicher arbeiteten in der Zwischenkriegs-zeit an deutschen Werkbänken.

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Integration im Fokus 4|200842 International

Kulturvermittlung weltweit: Das Goethe-InstitutWer sich im Ausland für die deutsche Sprache oder aktuelle Entwicklungen in Deutschland interessiert, hat seit über fünfzig Jahren einen guten Ansprechpartner: Das Goethe-Institut als das weltweit tätige Kulturinstitut der Bundesrepublik Deutschland fördert die Kenntnis der deutschen Sprache im Ausland und pfl egt die internationale kulturelle Zusammenarbeit. Darüber hinaus vermittelt es ein umfassendes Deutschlandbild durch Information über das kulturelle, gesellschaftliche und politische Leben. Im letzten Jahr haben fast 200.000 Menschen weltweit einen Deutschkurs und über acht Millionen eine vom Goethe-Institut organisierte Veranstaltung besucht.

Hans-Georg Knopp

Für diese Aufgaben unterhält das Goethe-Institut über 150 Institute im Ausland und in Deutschland. Das Auslandsnetzwerk besteht aktuell aus 147 eigenen Präsenzen (134 Goethe-Institute und 13 Verbindungsbü-ros) in insgesamt 82 Ländern. Von diesen Knotenpunkten aus werden Deutsch-Ausländische Kulturgesellschaften, Goethe-Zentren, Lesesäle sowie Prüfungs- und Sprach-lernzentren betreut. So ergibt sich ein Netzwerk aus über 800 Anlaufstellen, mit dem die Arbeit kompetent und zielgruppenorientiert gestaltet werden kann. Die Zentrale des Goethe-Instituts liegt in München, wo Fachabteilungen für Sprache und einzelne Kultursparten die Institute weltweit beraten.

Kultur als dritte außenpolitische SäuleAn vielen Orten der Welt ist das Goethe-Institut bereits seit mehreren Jahrzehnten aktiv, in Athen schon seit 1955. Gegründet wurde das Goethe-Institut als Verein zur Fortbildung ausländischer Deutschlehrer vier Jahre vorher. Der spätere Kanzler Willy Brandt hat die Auswär-

tige Kultur- und Bildungspolitik in den 1960er-Jahren zur „Dritten Säule“ der deutschen Außenpolitik erklärt und damit eine deutliche Aufwertung der auswärtigen Kul-turpolitik bewirkt, die seither gleichberechtigt neben der Wirtschafts- und Sicherheitspolitik steht. Eine Besonder-heit der deutschen Organisation Auswärtiger Kulturpolitik ist das System der Mittlerorganisationen. Neben dem Goethe-Institut sind eine ganze Reihe weiterer Fachorga-nisationen in der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik aktiv. Der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) kümmert sich um Kontakte im universitären Bereich, die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (gtz) um Entwicklungshilfsprojekte. In diesem System nimmt das Goethe-Institut als wichtiger Akteur zentrale Aufgaben der deutschen auswärtigen Kultur- und Bil-dungspolitik wahr. „Kultur“, „Sprache“ und „Information“ sind dabei die Hauptfelder der weltweiten Tätigkeit.

Für die inhaltliche Arbeit bedient sich das Goethe-Ins-titut des Facettenreichtums der offenen Gesellschaft

Top-modern und gut vernetzt: das Goethe-Institut.

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Dr. Hans-Georg Knopp ist Generalsekretär des Goethe-Instituts. Zuvor arbeitete er für das Goethe-Institut u. a. in Bombay, Jakarta und Chicago und leitete das Haus der Kulturen der Welt in Berlin.Kontakt:[email protected]

Das Österreich Institut: 10.000 profi tieren jährlich

Auch Österreich engagiert sich in der Sprachvermittlung im Ausland: Das 1997 gegründete Österreich Institut (ÖI) konzentriert sich regional vor allem auf Ost- und Südosteuropa. In Istanbul bietet ein Lizenzpartner Kurse an. Die Palette des ÖI reicht von allgemeinen Deutschkursen auf allen Kompetenzniveaus bis hin zu fachsprachlichem Unterricht etwa für Ärzte, Krankenpfl eger oder Bauarbeiter. Das ÖI produziert multimediale Materialien zum Deutschlernen: Fachsprachenmappen z. B. für die Bereiche Bank und Recht. Der „Öster-reich Spiegel“ erscheint viermal jährlich als Zeitung mit CD. Das online frei verfügbare „Ös-terreich Portal“ besteht aus interaktiven Übungen und Arbeitsblättern zu aktuellen Themen.

Zahlen und Fakten zum Österreich Institut: 10 Standorte in 8 Ländern: Slowakei, Ungarn, Italien, Slowenien, Serbien, Tschechische

Republik, Polen, Türkei. Die Zentrale befi ndet sich in Wien. über 1.200 Sprachkurse im Jahr für alle Altersstufen 10.000 Kursteilnehmer/innen jährlich Webtipp: www.oesterreichinstitut.org, www.oesterreichportal.at (red)

und Kultur aus Deutschland, verbindet Erfahrungen und Vorstellungen der ausländischen Partner mit seiner interkulturellen und fachlichen Kompetenz. Das Goethe-Institut versteht sich als Partner für alle, die sich aktiv mit Deutschland und der deutschen Sprache und Kultur beschäftigen. Unsere Arbeit erfolgt eigenverantwortlich und politisch ungebunden. Das Goethe-Institut wird zu einem großen Teil durch Beiträge des Auswärtigen Amts und des Bundespresseamts fi nanziert. Im Jahr 2007 betrug die Zuwendung durch das Außenministerium rund 175 Millionen Euro, der Gesamtetat lag bei rund 230 Millionen Euro. Mit steigenden Eigeneinnahmen durch Sprachkurse, Lizenzen und Sponsoring ist das Goethe-Institut für die öffentliche Hand in Deutschland eine überdurchschnittlich günstige Kultureinrichtung.

Deutsch-Lerner weltweit vernetzenDie individuelle Kontaktpfl ege mit den Partnern vor Ort und die Organisation und Veranstaltung von Kulturpro-grammen sowie Sprachkursen zählt zu den Linientätig-keiten der Goethe-Institute. Durch das weltweite Netz-werk ergeben sich zusätzliche Chancen für internationale Projektarbeit. Zwei aktuelle Beispiele für Großprojekte des Goethe-Instituts sind etwa die Initiative „Schulen: Partner der Zukunft“ und die Afrika-Initiative der Bundes-regierung. Gemeinsam mit der deutschen Zentralstelle für das Auslandsschulwesen stellt das Goethe-Institut Kontakt zu 1.000 besonders leistungsstarken Schulen im Fach Deutsch her und fördert den Austausch der Schüler und Lehrer mit deutschen Partnern. Auf diese Weise entsteht ein Netzwerk, das junge Leute aus allen Erd-

teilen auf Deutsch miteinander verbindet. Ein weiterer Schwer-punkt liegt in Afrika. Dort gründet das Goethe-Institut derzeit neue Institute (etwa in Daressalam und Luanda) und entsendet Kulturmanager und Experten für

schulischen Deutschunterricht an lokale Einrichtungen. Außerdem koordinieren wir zusammen mit afrikanischen Partnern größere Kulturprojekte rund um das Thema „Kultur und Entwicklung“.

Die europäische Zusammenarbeit wird für Einrichtungen wie das Goethe-Institut in Zukunft noch weiter an Bedeu-tung gewinnen. Seit zwei Jahren arbeitet das Goethe-Institut mit dem British Council, der Alliance Française und Kulturinstituten aus 22 weiteren EU-Ländern im Rahmen von EUNIC (European Union National Institutes for Culture) eng zusammen. 2008 hat das Goethe-Ins-titut die Präsidentschaft von Emil Brix, dem Leiter der kulturpolitischen Sektion im österreichischen Außenminis-

terium, übernommen. Mit der Einrichtung einer internati-onalen Summer School, die dieses Jahr erstmals in Berlin stattfand und junge Mitarbeiter/innen der internationalen Partnerorganisationen untereinander vernetzt, möchte das Goethe-Institut neue Wege gehen und einen Beitrag zur europäischen Integration leisten.

Integration als Thema der ZukunftWie überall in Europa ist Integration auch in Deutschland ein wichtiges Thema. Angesichts von 15,3 Millionen Menschen mit sogenanntem Migrationshintergrund setzt sich Deutsch-land zunehmend mit seiner Rolle als Einwanderungsland auseinander. Themen wie „Kopftuchstreit“, „Einbürge-rungstest“ oder „Pfl ichtkurse in Deutsch“ schlagen hohe Wellen. Seit 2007 gelten neue gesetzliche Regelungen zur sprachlichen Integration von Zuwander/innen und für den Nachzug von Ehegatten. Die meisten Betroffenen kommen dabei aus der Türkei, aus Russland und dem Kosovo. Das Goethe-Institut hat innerhalb von wenigen Wochen eine neue Sprachprüfung entwickelt („Start Deutsch 1“) und seine Arbeit in der Qualifi zierung von neuen Lehrkräften verstärkt. Daneben hat das Goethe-Institut 2007 zusammen mit der Ludwig-Maximilians-Universitität München und den Kammerspielen München eine Gesprächsreihe mit dem Titel „No integration?!“ organisiert, auf denen Themen wie Kosmopolitismus und Hyper Diversity diskutiert und gängige sowie umstrittene Konzepte zu Multikulturalismus und Integration refl ektiert wurden.

Das Goethe-Institut im Internet: www.goethe.de

Weltweit 1.000 Schulen mit besonders gutem Deutschunterricht sind im Netzwerk „Schulen: Partner der Zukunft“ vereint.

Page 44: Die Deutschen kommen! - medienservicestelle.atmedienservicestelle.at/migration_bewegt/wp-content/uploads/2012/03/IBIB_ÖIF_fokus... · aus Tschetschenien. Wenn überhaupt, wird hierzulande

Integration fördern. Chancen sichern.

Österreichischer Integrationsfonds A-1030 Wien, Schlachthausgasse 30Telefon: +43(0)1/710 12 03-0Fax: +43(0)1/710 12 03-500E-Mail: [email protected] www.integrationsfonds.at

Österreichische Post AG / Sponsoring.Post 08Z037821S www.integrationsfonds.at