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Die Methode der ‚Kollegialen Beratung’: Die Aktivierung des Selbstlernens als Reflexion der pädagogischen Praxis. Analyse eines Tutoriums im Hauptfach der Erziehungswissenschaft. Magisterarbeit zur Erlangung des Grades eines Magister Artium M.A. vorgelegt der Philosophischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn von Fred F. Schmidt aus Dernbach Bonn, 30.12.2002

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Die Methode der ‚Kollegialen Beratung’: Die Aktivierung des Selbstlernens als Reflexion der pädagogischen Praxis. Analyse eines Tutoriums im Hauptfach

der Erziehungswissenschaft.

Magisterarbeit zur Erlangung des Grades eines

Magister Artium M.A.

vorgelegt der

Philosophischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität

zu Bonn

von Fred F. Schmidt aus Dernbach

Bonn, 30.12.2002

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Eidesstattliche Erklärung:

An Eides statt versichere ich, dass die Arbeit

Die Methode der ‚Kollegialen Beratung’: Die Aktivierung des Selbstlernens als Reflexion der pädagogischen Praxis.

Analyse eines Tutoriums im Hauptfach

der Erziehungswissenschaft.

von mir selbst und jede unerlaubte Hilfe angefertigt

wurde, dass sie noch keiner anderen Stelle zur

Prüfung vorgelegen hat, und dass sie weder ganz

noch im Auszug veröffentlicht worden ist. Die Stellen

der Arbeit – einschließlich Tabellen, Karten,

Abbildungen usw., die anderen Werken dem

Wortlaut oder dem Sinn nach entnommen sind, habe

ich in jedem einzelnen Fall als Entlehnung kenntlich

gemacht.

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Inhaltsverzeichnis I

Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung ........................................................................................................... 1

1.1 Fragestellung ........................................................................................................... 3 1.2 Vorgehensweise ...................................................................................................... 5

2 Systemisch-konstruktivistisch geleitete Ausgangsüberlegungen................. 8 2.1 Der Mensch als erkennendes Subjekt:

zum Phänomen der Wirklichkeitskonstruktion im Konstruktivismus ............... 9 2.2 Der systemisch-konstruktivistische Ansatz

als Grundlage weiterer Überlegungen ................................................................ 12 2.2.1 Zum Verständnis von ‚systemisch’ in dieser Arbeit ............................................. 14 2.2.2 Die Unterscheidung einer Inhalts- von einer Beziehungsebene

als besondere Beobachtungsperspektiven in der Pädagogik ............................. 16 2.2.3 Das zugrundeliegende Verständnis eines systemisch-dialogorientierten

Kommunikationsmodells...................................................................................... 18 2.2.3.1 Die zirkuläre Sichtweise ................................................................................... 18 2.2.3.2 Das Symbolische, Imaginäre und Reale einer Erzählung................................ 20 2.2.3.3 Kommunikation aus systemisch-konstruktivistischer Sicht

– eine Frage des Dialogs ................................................................................. 25 2.3 Pädagogische Praxis aus Sicht einer systemischen

Erziehungswissenschaft....................................................................................... 28 2.3.1 Der Ort pädagogischer Praxis als Handlungsfeld ............................................... 29 2.3.2 Zur Bewertung von Situationen in der pädagogischen Praxis ............................ 31 2.3.3 Lernen als konstruktiver Prozess ........................................................................ 33

3 Kollegiale Beratung als methodisch angeleitete Lernform............................34 3.1 Entstehungskontexte ‚Kollegialer Beratung oder Supervision’ ....................... 37 3.1.1 Exkurs in die historische Entwicklung supervisionsorientierter Arbeit als

Ursprung der Lernform ........................................................................................ 37 3.1.2 Darstellung der Entstehungskontexte Kollegialer Beratung

als methodische Variante von Supervision ......................................................... 39 3.2 Kollegiale Beratung als begleitete Intervision.................................................... 43 3.3 Der fragmentarische Ansatz der Lernform ......................................................... 44

4 Struktur und Entwicklung einer Kollegialen Beratungsübung zur Reflexion pädagogischer Praxis......................................................................46 4.1 Zur Struktur einer Kollegialen Beratungsübung................................................ 47 4.1.1 Darstellung des Ablaufs verschiedener Kollegialer Beratungsmodelle............... 48 4.1.2 Idealtypische Phasen im Kollegialen Beratungsprozess..................................... 50 4.2 Die Anleitung einer systemisch-dialogorientierten Kommunikation

im Kollegialen Beratungsprozess: (Re)Konstruktion und Dekonstruktion einer Erzählung .................................... 56

4.2.1 Wirklichkeits(re)konstruktion und –dekonstruktion als ‚kollegiale Leistung’ im Beratungsprozess..................................................... 57

4.2.2 Die kollegiale Begegnung im horizontalen Beratungsansatz .............................. 59 4.2.3 Zur Inszenierung dialogischer Wechselspiele im Kollegialen

Beratungsprozess................................................................................................ 61 4.3 Design einer Kollegialen Beratungsübung zur Reflexion

pädagogischer Praxis mit Studierenden der Erziehungswissenschaft........... 65 5 Analyse eines Tutoriums mit Studierenden der Erziehungswissenschaft

im Hauptfach .....................................................................................................72 5.1 Die TN des Tutoriums ........................................................................................... 72

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Inhaltsverzeichnis II

5.2 Ziel der Analyse ..................................................................................................... 73 5.2.1 Das verwendete Material ..................................................................................... 73 5.2.2 Zur Vorgehensweise............................................................................................ 74 5.3 Dokumentation und Bewertung einer praktischen Anwendung

der ‚Kollegialen Beratungsübung zur Aufarbeitung von Praktikumserfahrung’ ........................................................................................... 76

5.3.1 Dokumentation der Reflexionsarbeit anhand eines Fallbeispiels aus dem Tutorium: „Das typische Praktikum“..................................................... 78

5.3.1.1 Die eingebrachte Erfahrungsschilderung von A zu Beginn der Beratungsarbeit......................................................................... 78

5.3.1.2 Kommentare der Kollegialen Berater zu Beginn der Phase der Problemanalyse....................................................... 79

5.3.1.3 Kommentare der Kollegialen Berater auf Frage 3 der Spekulationssphären in Fb1 ................................................... 80

5.3.1.4 Kommentar des Erfahrungsschildernden in Schritt 6 der Übung..................... 81 5.3.2 Bewertung der Fallbearbeitung im Fallbeispiel ................................................... 82 5.4 Bewertung des Tutoriums aus Sicht der TN....................................................... 83 5.5 Kommentierung des Tutoriums aus eigener Sicht ............................................ 85

6 Fazit und Ausblick ............................................................................................87

7 Literaturangaben...............................................................................................91

8 Anhang ..............................................................................................................97

Anhang A: Praktikumsordnung am Institut für Erziehungswissenschaft der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn vom 01.10.2001 ................ 97

Anhang B: Ausgehändigtes Übungsblatt im Tutorium ‚Kollegiale Beratungsübung zur Aufarbeitung von Praktikumserfahrung’.............. 99

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Das Symbolische und Imaginäre einer Erzählung...........................................24

Abbildung 2: „Dialog-Modell methodisch-bewusst und intuitiv-unbewusst“ (aus Schmid 2002: 13) .....................................................................................26

Abbildung 3: „Kennzeichen konstruktivistischen Erwachsenenlernens“ (aus Schüßler 2000: 175).................................................................................34

Abbildung 4: Skizzenhafte Darstellung der Entstehungskontexte Kollegialer Supervision als Beratungsform (in Anlehnung an Thiel 1994: 200ff)...............40

Abbildung 5: „Meta-Dialog“ über einen imaginären Dritten...................................................70

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Übersicht des Ablaufs verschiedener Kollegialer Beratungsmodelle....................49

Tabelle 2: Die Phasen des Kollegialen Beratungsprozesses: aktive Rollen und Inhalte.......................................................................................53

Page 5: Die Methode der ‚Kollegialen Beratung’: Die Aktivierung ... · Die Methode der ‚Kollegialen Beratung’: Die Aktivierung des Selbstlernens als Reflexion der pädagogischen Praxis

2 Einleitung 1

2 Einleitung

“Erziehungswissenschaft ist ein typisches Massenfach, und der

Studienalltag in diesem Fach ist nicht immer leicht zu bewältigen.

Andererseits bietet es – weil es um zentrale Probleme der

menschlichen Existenz, der Entstehung von Persönlichkeit, der

lernenden Aneignung von Welt, der Konstruktion von Wirklichkeit

geht – wie kaum in einem anderen Fach die Chance, Abenteuer

mit dem eigenen Kopf zu erleben.“

(Vogel 2002: 20)

‚Kollegiales’ oder ‚kooperatives Lernen’, was sich aus Gesprächen über

problematisch empfundene Praxiserfahrungen im Austausch mit anderen

Personen ergeben kann, findet in vielen Lebensbereichen statt – auch

unter Studierenden einer Universität. Es scheint häufig relativ zufällig, wie

es zu dem Gespräch kommt bzw. ob und in welcher Weise

unterschiedliche Meinungen dabei auch passend eingebracht werden

können.

In dieser Arbeit wird mit der Methode der Kollegialen Beratung eine, ein

Reflektieren von Praxiserfahrungen und gemeinsames Lernen

ermöglichende, methodisch angeleitete Dialogform für Studierende der

Erziehungswissenschaft vorgestellt. Die Qualität und Wirkung einer

Problembesprechung soll damit möglichst wenig vom Zufall oder von

dominanten Persönlichkeiten abhängig sein.

Eine institutionelle Rahmenbedingung am Institut für Erziehungs-

wissenschaft der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

begleitet diese Überlegungen in Form der „Praktikumsordnung für den

Magisterstudiengang Erziehungswissenschaft vom 1.10.2001“ (siehe

Anhang A):

„Die Praktikumsordnung regelt die Durchführung der Berufspraktischen

Studien im Magisterstudiengang Erziehungswissenschaft“ (ebd.) an der

Universität Bonn. Gemäß dieser Ordnung ist im „Magisterstudium mit dem

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2 Einleitung 2

Hauptfach Erziehungswissenschaft“ (ebd.) die „Ableistung von zwei

Berufspraktika vorgeschrieben“ (ebd.).

Eine als notwendig betrachtete Aufarbeitung von Praktikumserfahrung

verbindet sich in dieser Arbeit mit dem Anliegen, es Studierenden der

Erziehungswissenschaft zu ermöglichen, sich zur Reflexion der erlebten

Erfahrungen in einer methodisch angeleiteten kollegialen (oder

kooperativen) Lernform zu begegnen. Dabei soll es nicht um ein „richtig“

oder „falsch“ von Meinungen gehen, sondern darum, „die Chance“ zu

nutzen „Abenteuer mit dem eigenen Kopf zu erleben“ (Vogel 2002: 20).

Die Erfahrungen mit der Methode Kollegialer Beratung oder Supervision,

wie sie in der Weiterbildung zur Professionalisierung bereits ausgebildeter

pädagogischer Praktiker beispielsweise am „Institut für systemische

Beratung“ in Wiesloch (vgl. Schmid/Hipp/Caspari 2001: 6) betrieben und

wie sie auch mit Studierenden von SIEGRIED ROTERING-STEINBERG

angewendet wurde (vgl. Rotering-Steinberg 2001a: 381ff), weisen in eine

solche Richtung. Supervision als „Praxis-Beratungs-Instrument“ (Rotering-

Steinberg 2001a: 380) ermöglicht es den teilnehmenden Personen,

Praxissituationen beispielhaft und mit einem hohen qualitativen Transfer

auf zukünftige Entwicklungen hin spielerisch zu reflektieren.

Es ist davon auszugehen, dass Studierenden der erlebte Unterschied

zwischen „Theorie und Praxis“ in der erfahrbaren Alltagswelt häufig

begegnet, ohne dabei explizit hinterfragt zu werden. Die Nützlichkeit einer

Verobjektivierung eines möglicherweise erlebten Theorie-Praxis

Unterschieds als „implizite Wahrheit“, verhindert aufgrund

komplexitätsreduzierender Effekte oft den Blick auf lösungsorientierte

Denkoperationen. Mit der Kollegialen Beratung bietet sich eine

methodische Vorgehensweise an unter dem Deckmantel einer «So-tun-

als-ob» Situation in einer Art „hypothetischer Trance“ über sich selbst,

andere und/oder neue Möglichkeiten nachzudenken. Eine solche

methodisch angeleitete kollegiale Lernform wird zu diesem Zweck in

dieser Arbeit innerhalb eines fragmentarischen Lernansatzes als

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2 Einleitung 3

didaktisches Mittel im Studium der Erziehungswissenschaft favorisiert und

eine geeignete Kollegiale Beratungsübung zu entwickeln versucht. Der

Fokus liegt dabei auf dem praktischen Nutzen einer zu entwickelnden

Kollegialen Beratungsübung zur Aufarbeitung von Praktikumserfahrungen,

der aus einer systemisch orientierten Betrachtungsweise heraus gesetzt

wird.

Unter ‚systemisch’ ist im Folgenden als erste definitorische Eingrenzung

eine Betrachtungsweise gemeint, die sich mit WOLFGANG EBERT (2001) wie

folgt beschreiben lässt: „Die systemische Sichtweise postuliert in

Abgrenzung zur reduktionistischen Sichtweise, daß einzelne isolierte

Phänomene nur als Teil einer komplexen Grundgesamtheit zu verstehen

sind. Das Erkenntnisobjekt wird als Ganzes betrachtet und auf der

Grundlage zahlreicher Rückkopplungen zwischen den einzelnen Teilen

der Grundgesamtheit ist das Ganze mehr als die Summer seiner Teile“

(Ebert 2001: 87).

Auf den Kontext einer Beratungssituation (ratsuchende Person trifft als

Klient auf beratende Person) bezogen, wie sie über eine Kollegiale

Beratungsübung in dieser Arbeit angeleitet werden soll, bedeutet dies mit

BERND SCHMID (1989) eine Betrachtungsweise, „die jedes Ereignis und

jeden Teil eines Klientensystems mit anderen vernetzt sieht, so wie ein

Teil eines Mobiles mit allen anderen in Verbindung steht. Systemische

Betrachtungs- und Vorgehensweisen beziehen diesen wechselseitigen

Beeinflussungszusammenhang ausdrücklich mit ein und versuchen eine

bewusste Entscheidung darüber zu treffen, welche Elemente des Mobiles

(etwa bei einer Organisation) bei unserer Arbeit mitbetrachtet und welche

Elemente direkt oder indirekt beeinflusst werden“ (Schmid 1989: 49).

2.1 Fragestellung

Die Praktikumsordnung „gilt für Studierende, die ihr Studium im oder nach

dem Sommersemester 2001 aufgenommen haben und bezüglich des

Blockpraktikums für alle Studierenden, die ihre Zwischenprüfung im oder

nach dem Sommersemester 2001 abgelegt haben“ (Anhang A). Dieser

Umstand ist von Bedeutung, da die Bearbeitung der Fragestellung als

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2 Einleitung 4

Beitrag zur Implementierung begleitender Maßnahmen zur Aufarbeitung

von Praktikumserfahrungen gedacht ist.

Die Zweckmäßigkeit einer Integration supervisionsorientierter

Arbeitsformen in die universitäre Ausbildung von Pädagogen oder

Erziehungswissenschaftlern (beide Bezeichnungen werden i.d.A.

weitestgehend synonym verwendet) scheint im Allgemeinen unbestritten

(vgl. u.a. Belardi 2000: 373; Huber 2001: 429, Huschke-Rhein 1998a: 48,

Rotering-Steinberg 2001a: 381). Die Argumentation in der

wissenschaftlichen Debatte über Supervision als ‚Hilfe zur Selbsthilfe’ wird

dabei nicht sehr trennscharf aus zwei Perspektiven geführt: zum Einen mit

dem primären Fokus auf professionell oder expertInnengeleiteten und zum

Anderen auf kollegialen oder intervisionsorientierten Anwendungen (vgl.

Thiel 1994).1 Ein methodisches und damit didaktisches Problem der

Umsetzung lässt sich für beide Ausrichtungen in fehlenden

Praxiserfahrungen der Studierenden verorten. Besonders im Hinblick auf

rein kollegial oder kooperativ orientierter Anwendung supervisions-

orientierter Konzepte gewinnen eingebrachte Fallbeispiele keinesfalls an

Transferqualität, wenn die Ideen der TeilnehmerInnen nicht aus

persönlichen Erlebnissen generiert werden können. In Ermangelung

individuell erlebter Praxiserfahrungen bewegen sich Beiträge und

Bemerkungen dann unter Umständen eher von einer Sachebene weg und

lösen durchaus emotionale Irritation(en) aus. Möglicherweise liegt hier ein

Grund für die fehlende Trennschärfe in der wissenschaftlichen Debatte um

diese beiden Anwendungsperspektiven, wenn auf eine/n ausgebildete/n

Supervisor/in in Bezug auf die Arbeit mit Studierenden nicht gänzlich

verzichtet wird. Persönlichkeitsbezogene Dynamiken der TeilnehmerInnen

gewinnen Entfaltungsspielraum, der im ungünstigen Fall eine

professionelle Steuerung in der Lerngruppe braucht, um im kollegialen

Lernarrangement zu bleiben. D.h. gruppendynamisch relevante Einfluss-

1 Im Gegensatz zu ‚Supervision’ verweist ‚Intervision’ auch begrifflich auf eine rein

kooperative Anwendung supervisionsorientierter Arbeit, was im Laufe der Arbeit noch

detaillierter ausgeführt wird (siehe Kapitel 4.2 i.d.A.).

Page 9: Die Methode der ‚Kollegialen Beratung’: Die Aktivierung ... · Die Methode der ‚Kollegialen Beratung’: Die Aktivierung des Selbstlernens als Reflexion der pädagogischen Praxis

2 Einleitung 5

faktoren wie Motivation und Haltung der TeinlnehmerInnen können dann

umso entscheidender ein gutes Gelingen des kollegialen Austauschs

verhindern (vgl. Rotering-Steinberg 2001a: 382). „Gut“ steht in dem

Zusammenhang für eine gelingende Versorgung des Fallgebers mit Ideen

und Meinungen, die sein Thema betreffen – sofern dies die Zielsetzung

der Fallberatung war.

Die Überlegungen in der vorliegenden Arbeit gehen gezielt der Frage

nach, welchen Beitrag eine intervisionsorientierte Form der Kollegialen

Beratungsmethode für Studierende der Erziehungswissenschaft leisten

kann. Dabei steht auch im Theorieteil das Ziel im Vordergrund, die

Zweckmäßigkeit der Methode weniger im Hinblick auf den Kontext

subjektiver Lerntheorien (vgl. dazu u.a. Rotering-Steinberg 1983: 71ff,

Schreyögg 1992: 86ff, Wahl 1991), als hinsichtlich der ablaufenden

Kollegialen Beratungsarbeit als Reflexion pädagogischer Praxis in den

Blick zu nehmen. Mit der Analyse eines Tutoriums mit Studierenden der

Erziehungswissenschaft im Hauptfach wird an einem Fallbeispiel eine

experimentelle, praktische Anwendung auf deren Leistung hin überprüft.

Die zu diesem Zweck in der Arbeit verwendete Kollegiale Beratung (oder

Supervision) aus der systemischen Beratungspraxis kann hier als

begleitete Intervision im Sinne einer strukturierten und moderierten

kollegialen Praxisberatung verstanden werden.

Im Unterschied zu einer expertInnengeleiteten Supervision als

Ursprungsform der Methode wird mit dem Verzicht auf den Begriff

‚Supervision’ im Titel der Arbeit auch terminologisch auf eine von

Studierenden der Erziehungswissenschaft selbsttätig durchführbare

kooperative Form organisierten Selbstlernens hingewiesen.

2.2 Vorgehensweise

Den theoretischen Referenzrahmen der Fragestellung bildet ein

systemisch-konstruktivistischer Ansatz, der neben dem zugrunde-

liegenden Menschenbild eine theoretische Betrachtung der Lernform

ermöglicht. Aus der Fülle zur Verfügung stehender Literatur

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2 Einleitung 6

konstruktivistischer Denkmodelle beschränke ich mich hauptsächlich auf

eine ‚systemisch-konstruktivistische’ oder auch als ‚interaktionistisch-

konstruktivistische’ bezeichnete Pädagogik nach KERSTEN REICH (Vgl.

Reich 2002). Daneben beziehe ich mich auf Veröffentlichungen von

BERND SCHMID (u.a. Schmid 1989, 2000, 2002), der an seinem „Institut für

systemische Beratung“ in Wiesloch (bei Heidelberg) eine

intervisionsorientierte Form Kollegialer Beratung im Rahmen angebotener

Weiterbildungsmaßnahmen lehrt und anwendet. Besonders sein „Dialog-

Modell“ (Schmid 2002: 13) findet bei einer Betrachtung von

Kommunikation aus systemisch-konstruktivistischer Perspektive eine

geeignete Verwendung. Die theoretischen Überlegungen hinsichtlich einer

erwünschten Praktikabilität in Bezug auf die Fragestellung in der

pädagogischen Praxis sind überwiegend von den Ansätzen einer

‚Systemischen Erziehungswissenschaft’ nach ROLF HUSCHKE-RHEIN

(Huschke-Rhein 1987, 1998a, 1998b) beeinflusst. Ergänzt werden diese

von didaktischen Überlegungen aus konstruktivistischer Sicht nach HORST

SIEBERT (Siebert 2000) und INGEBORG SCHÜßLER (Schüßler 2000).

Wie im ersten Teil der Arbeit (Kapitel 2 i.d.A.) gezeigt wird, lassen sich

ebenda die zugrundeliegenden theoretischen Annahmen der hier

aufgezeigten systemisch-konstruktivistisch geleiteten Überlegungen

verifizieren. Darüber hinaus lässt sich aus den sich dabei ergebenden

Annahmen über die Konstruktion von Wirklichkeit und pädagogischer

Praxis eine zentrale These entwickeln:

Studierende der Erziehungswissenschaft können mit der Methode

Kollegialer Beratung dabei unterstützt werden, eine erlebte Praxissituation

im Modus ihrer und anderer Wirklichkeitsvorstellungen selbstlernend zu

reflektieren.

Der zweite Teil der Arbeit (Kapitel 3 i.d.A.) widmet sich einer Annäherung

an den Gegenstand der Fragestellung, der ‚Kollegialen Beratung’. Die

intervisionsorientierte Kollegiale Beratungsform, deren Einsatz mit der

Fragestellung nachgegangen wird, entwickelte sich ursprünglich

methodisch aus supervisionsorientierten Arbeitsweisen. Als besonders

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2 Einleitung 7

geeignet erscheinen mir dabei die Arbeiten von ULRICH THIEL (Thiel 1994,

1998) um die Entstehungskontexte von Kollegialer Beratung als

methodische Variante von Supervision zu betrachten. Die Ausgangslage

weiterer Überlegungen bildet eine intervisionsorientierte kollegiale

Beratungsform in einem horizontalen Ansatz, wie sie beispielsweise von

JEROEN HENDRIKSEN (Hendriksen 2002) in den Niederlanden praktiziert

wird. Die Arbeiten von SIGRID ROTERING-STEINBERG zur Kollegialen

Supervision (Rotering-Steinberg 1983, 1995, 2001a, 2001b) fließen dabei

immer wieder in die Überlegungen mit ein. Daran anschließend wird der

fragmentarische Ansatz der Lernform erläutert, um dann den dritten Teil der Arbeit (Kapitel 4 i.d.A.) der Struktur und konkreten Entwicklung einer

intervisionsorientierten ‚Kollegialen Beratungsübung zur Reflexion

pädagogischer Praxis unter Studierenden der Erziehungswissenschaften’

zu widmen. Nach Sichtung vorhandener Leitfäden zur Durchführung der

Methode lassen sich verschiedene Phasen im Kollegialen

Beratungsprozess explorieren, deren unterschiedliche inhaltliche

Ausrichtung und Gewichtung dabei vorgestellt werden sollen. Das am

Ende dieses Teiles präsentierte Design einer „Kollegialen Beratungsübung

zur Aufarbeitung von Praktikumserfahrung unter Studierenden der

Erziehungswissenschaft“ orientiert sich nach den ebenda dargestellten

Rollenaktivitäten der teilnehmenden Personen und Inhalten der jeweiligen

Teilprozesse, sowie den in dieser Arbeit angestellten Überlegungen.

Im folgenden vierten Teil der Arbeit (Kapitel 5 i.d.A.) liefere ich mit der

Analyse eines Tutoriums mit Studierenden der Erziehungswissenschaft im

Hauptfach eine exemplarische Bewertung der entwickelten Kollegialen

Beratungsübung im praktischen Einsatz. ‚Analyse eines Tutoriums’ soll

dabei darauf hinweisen, dass die Fragestellung in dieser Arbeit neben den

theoretischen Überlegungen über eine experimentelle Anwendung mit

einer kleinen Gruppe von Studierenden praxisorientiert beleuchtet wird.

Das zuvor präsentierte Design einer Kollegialen Beratungsübung wurde

Page 12: Die Methode der ‚Kollegialen Beratung’: Die Aktivierung ... · Die Methode der ‚Kollegialen Beratung’: Die Aktivierung des Selbstlernens als Reflexion der pädagogischen Praxis

3 Systemisch-konstruktivistisch geleitete Ausgangsüberlegungen 8

dazu unter eigener Anleitung in einer einmaligen Sitzung mit 4

Studierenden der Erziehungswissenschaft im Hauptfach durchgeführt und

auf Tonband aufgenommen.

Da es sich in der didaktischen Ausrichtung dabei in erster Linie um eine

„personenzentrierte Qualifizierungsmaßnahme“ (Schmid/Fauser 1994: 4)

handelt, werden im Rahmen vorliegender Arbeit in die Universität

rückwirkende systemqualifizierende Merkmale (z.B. als Beitrag zur

Qualitätsentwicklung von „Universität als lernender Organisation“) nicht

weiter in den Blick genommen.

3 Systemisch-konstruktivistisch geleitete Ausgangsüberlegungen

Die Überprüfung der zentralen These, dass sich Kollegiale Beratung als

methodisch angeleitete Lernform eignet, um Praktikumserfahrung von

Studierenden der Erziehungswissenschaft aufzuarbeiten, fand mit der

Einleitung bereits dahingehend statt, dass eine erste Bedingung geklärt

wurde, die als relevant für die hier angestellten Überlegungen gilt. Dabei

stellte sich heraus, dass eine den Einsatz Kollegialer Beratung betreffende

Rahmenbedingung erfüllt werden kann:

Da der Nachweis eines Praktikums für Studierende der

Erziehungswissenschaft im Grund- und Hauptstudium an der Universität

Bonn m.E. verpflichtender Bestandteil der universitären Ausbildung ist,

muss davon ausgegangen werden, dass Praxiserfahrung von

Studierenden gesammelt wird.

Bevor auf Kollegiale Beratung als Lernform und die Struktur und

Entwicklung einer Kollegialen Beratungsübung im Kontext der

Fragestellung eingegangen wird, liefere ich folgend mit systemisch-

konstruktivistisch geleiteten Ausgangsüberlegungen den theoretischen

Hintergrund der Arbeit. Darin enthaltend dienen zwei für wesentlich

betrachtete theoretische Implikationen der Lernform, der Entwicklung einer

Page 13: Die Methode der ‚Kollegialen Beratung’: Die Aktivierung ... · Die Methode der ‚Kollegialen Beratung’: Die Aktivierung des Selbstlernens als Reflexion der pädagogischen Praxis

3 Systemisch-konstruktivistisch geleitete Ausgangsüberlegungen 9

systemisch-dialogischen Kommunikation, wie sie über die Kollegiale

Beratungsübung angeleitet werden soll:

• Das Phänomen der Wirklichkeitskonstruktion im Konstruktivismus zur

Klärung des zugrundeliegenden Menschenbildes.

• Ein systemisch-konstruktivistischer Ansatz und darin implementierte

lerntheoretische Aspekte als den hier vertretenen Ansatz

konstruktivistischer Theorie und theoretischen Referenzrahmen der

Arbeit.

3.1 Der Mensch als erkennendes Subjekt: zum Phänomen der Wirklichkeitskonstruktion im Konstruktivismus

Das der Kollegialen Beratungsmethode zugrundeliegende Menschenbild

und daraus resultierenden lerntheoretischen Überlegungen beruhen in

erster Linie auf Grundannahmen eines konstruktivistisch geleiteten

Theorieansatzes (vgl. u.a. Thiel 1994: 203). Wirklichkeit wird dabei nicht

abgebildet sondern vom Menschen als erkennendes Subjekt intersubjektiv

hergestellt. Diese hier als ‚Phänomen der Wirklichkeitskonstruktion’

bezeichnete Annahme wird vor allem im sogenannten Konstruktivismus

theoretisch bearbeitet.

Konstruktivismus beschreibt eine erkenntnistheoretische Position, die

Grundfragen epistemologischer Betrachtungen zu klären versucht.2 Der

Mensch gewinnt dabei als erkennendes Subjekt in der Rolle eines

Beobachters an grundlegender Bedeutung für anzustellende Annahmen

über Denk- und Handlungsprozesse.

Die erkenntnistheoretische Auseinandersetzung findet innerhalb

konstruktivistischer Denkmodelle in unterschiedlicher Ausprägung statt.

KARIN KNORR-CETINA (1989) bezeichnet die Vielfalt theoretischer

2 Bezüglich Grundfragen epistemologischer Betrachtungen i.S. von „wann gilt eine

Erkenntnis als Erkenntnis?“ vgl. Fischer 1995: 13-18.

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3 Systemisch-konstruktivistisch geleitete Ausgangsüberlegungen 10

Konstrukte, die dem interessierten Leser dabei begegnen, als

unterschiedliche „Spielarten des Konstruktivismus“ (Knorr-Cetina 1989).3

Bei der Suche nach möglichen Antworten auf erkenntnistheoretische

Fragen erklären Vertreter eines Radikalen Konstruktivismus ein (radikales)

Paradigma, indem Erkenntnis nur als Konstruktionsprozess eines

erkennenden Subjekts (=Beobachter) zu verstehen ist. D.h. jede

Wirklichkeit wird als das Produkt dieses Prozesses, als Konstruktion des

erkennenden Subjekts betrachtet. Im Unterschied zu einem ‚gemäßigten’

Konstruktivismus verneinen Vertreter eines Radikalen Konstruktivismus

konsequent eine objektive Wirklichkeit als vorhandene Realität.

Konsequent, als dass ein Vorhandensein objektiver Wirklichkeit im Sinne

eines ‚Ding’s an sich’ (Kant) aufgrund unterstellter Unmöglichkeit einer

rationalen Beweiserbringung verneint wird (vgl. von Foerster 2000: 54).

Der Lernende konstruiert sich nach diesem Verständnis genauso wie der

Lehrende seine - und nur seine - subjektiv erfahrbare Wirklichkeit. Soweit

ERNST VON GLASERSFELD (1995, 1996), als einer der Gründerväter des

Radikalen Konstruktivismus, Richtungen ‚gemäßigt’ konstruktivistischer

Theorie versteht, „ist es die Radikale Auffassung, daß die ontische Welt

unerkennbar ist und bleiben muß, die man da vermeiden möchte“ (von

Glasersfeld 1995: 44).

Da sich der Radikale Konstruktivismus nicht selbst als objektive Realität

vorstellen kann, kommentiert er in Abhängigkeit von dem jeweiligen

Erfahrungswissen beobachtbare Wirklichkeiten. Dies als angebotene

Lösung auf ein als Dilemma konstruktivistischer Radikalität formulierbares

3 Der Psychotherapeut und vielzitierte Autor im Kontext konstruktivistischer

Überlegungen Paul Watzlawick über den Begriff „Konstruktivismus“: „Für [...] die

vermeintliche Entdeckung der Wirklichkeit beginnt sich in den letzten Jahren aus dem

anglo-amerikanischen Sprachbereich bedauerlicherweise der Ausdruck

Konstruktivismus durchzusetzen - bedauerlicherweise deshalb, weil er erstens in der

traditionellen Philosophie bereits in einer etwas anderen Bedeutung verwendet wird;

zweitens, weil er in den frühen zwanziger Jahren für eine kurzlebige Bewegung in der

bildenden Kunst und Architektur der Sowjetunion stand; und drittens, weil er im

Deutschen häßlich klingt.“ (Watzlawick 2000: 10)

Page 15: Die Methode der ‚Kollegialen Beratung’: Die Aktivierung ... · Die Methode der ‚Kollegialen Beratung’: Die Aktivierung des Selbstlernens als Reflexion der pädagogischen Praxis

3 Systemisch-konstruktivistisch geleitete Ausgangsüberlegungen 11

Phänomen, bezeichnen einige AutorInnen häufig auch als

„epistemologischen Solipsismus“ (Schmidt 2000: 35, vgl. ebd.: 40 und

Fischer 1995: 24). Aus erziehungswissenschaftlicher Sicht muss diese

Kritik hinsichtlich der Praktikabilität des ‚Radikalen Konstruktivismus’ für

pädagogische Betrachtungen überprüft werden.

Eine erkenntnistheoretische Diskussion erscheint aus dieser Perspektive

wenig sinnvoll derart, ob und dass das „«Objekt» der Beobachtung“

(Maturana 2001: 78f) für das menschliche Gehirn nicht kongruent

abbildbar ist. Insofern veranschaulicht die Radikalität im Radikalen

Konstruktivismus vor allem die neurologischen Bedingungen des

Wahrnehmungsprozesses.4

Mit SIEBERT ist der Konstruktivismus für die Erziehungswissenschaft eine

„praktische“ Theorie, die erklärt „warum sich die Konstrukte der Lehrenden

und der Teilnehmenden signifikant unterscheiden. Die Sitzordnung

manifestiert die Perspektive: Lehrende beobachten die Teilnehmer/innen,

diese wiederum beobachten die Lehrpersonen“ (Siebert 2000: 21). Der in

dieser Arbeit vertretene ‚gemäßigte’ Konstruktivismus beruht auf einem

systemisch-konstruktivistischen oder interaktionistisch-konstruktivistischen

Ansatz (vgl. Reich 2002, Huschke-Rhein 1987, 1998a, 1998b), der eine

sozial konstruierte „Objektivität“ als Wirklichkeit hinnimmt.5 Wenn von

Interaktion gesprochen wird, wird dabei sowohl von einem „individuum-

zentrierten“ (Schreyögg 1992: 195) als auch einem auf gegenseitige

Beeinflussung beruhenden Konzept ausgegangen (vgl. ebd.: 195ff).

Der Erkenntnisvorgang selbst mit dem Ziel einer ‚viablen’ (von

Glasersfeld), d.h. passenden Konstruktion von Wirklichkeit bleibt dabei

durchaus subjektgebunden (vgl. Fischer 1995: 22f). Der Begriff der

Viabilität ersetzt „im Bereich der Erfahrung den traditionellen

4 Ein weiteres Zitieren der Vertreter eines Radikalen Konstruktivismus muss im Rahmen

vorliegender Überlegungen in dem Zusammenhang gesehen werden. 5 Auch bekannt als ‚Thomas-Theorem’; zur sozial konstruierten „Objektivität“ vgl. auch

Berger/Luckmann 1970.

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3 Systemisch-konstruktivistisch geleitete Ausgangsüberlegungen 12

philosophischen Wahrheitsbegriff, der eine »korrekte« Abbildung der

Realität bestimmt. Diese Substitution ändert natürlich nichts am

Alltagsbegriff der Wahrheit, der die getreuliche Wiederholung oder

Beschreibung einer Erfahrung bedeutet“ (von Glasersfeld 1996: 43).

Erfahrung meint dabei Kognition, die sich als eine Adaption von

Verhaltensweisen beschreiben lässt, die im Glasersfeld’schen Sinne dann

als ‚viabel’, als sinnvoll und passend erscheinen. Die Abhängigkeit vom

erkennenden Subjekt wird – da es als Erzeuger (s)einer äußeren

(objektiven) Realität gilt – in dem hier vertretenen Ansatz um soziale

Implementierungen erweitert. Ein solcher Ansatz fokussiert damit den

Prozess der Herstellung bzw. Konstruktion einer kognitiven Welt und

deren bedingende Faktoren. Die Existenz bzw. die Realität der äußeren

Welt wird nicht dementiert; bestritten wird eine „soziologisch-

funktionalistisch“ (Reich 2002: VII) betrachtete „unbefleckte Empfängnis

der Wahrheit“ (Luhmann 1990: 71) über eine ontisch verfasste äußere

Welt.6

3.2 Der systemisch-konstruktivistische Ansatz als Grundlage weiterer Überlegungen

Im Vergleich mit primär biologisch verfassten (und meist radikal

konstruktivistischen) Ansätzen konstruktivistischer Theoriebildung, die

entscheidend von HUMBERTO MATURANA, FRANCISO VARELA und ERNST VON

GLASERSFELD geprägt wurden (vgl. u.a.: Maturana 2001, Maturana/Varela

1987, Glasersfeld 1996), berücksichtigt ein systemisch-konstruktivistischer

Ansatz nach KERSTEN REICH – als Grundlage weiterer Überlegungen – vor

allem „Erfahrung“, „individuelles Befinden“, „soziale Wahrnehmung“ (Reich

2002: 20f) und deren vernetzte Wirkungsdynamiken als pädagogisch

6 „Ferner gelten konventionalistische oder konstruktivistische Wissenschaftskonzepte in

der Wissenschaftssoziologie heute als akzeptiert mit der Folge, daß die Frage nach

den erkenntnisverzerrenden Interessen (die vorausgesetzt hatten, daß es eine

unbefleckte Empfängnis der Wahrheit gibt) ersetzt wird durch die Frage nach der

historischen Vorherrschaft bestimmter Paradigmata, Konventionen, Konstruktionen,

Systematisierungen des Wissens.“ (Luhmann 1990: 71)

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3 Systemisch-konstruktivistisch geleitete Ausgangsüberlegungen 13

relevante Einflussfaktoren auf den Wahrnehmungs- und

Kommunikationsprozess (vgl. ebd.).

Eine ausführliche Darstellung des systemisch-konstruktivistischen

Ansatzes für pädagogische Betrachtungen und Abgrenzung zu anderen

Ansätzen konstruktivistischer Theorien, liefert REICH mit einer „systemisch-

konstruktivistischen Pädagogik“ (Reich 2002). Aus diesem Ansatz werden

– um die Komplexität darinliegender Gedanken zu würdigen – folgend nur

solche genannt, die als relevante Grundlage weiterer Überlegungen gelten

(was sich sprachlich teilweise in den Überschriftformulierungen

niederschlägt). Ergänzend werden dabei Überlegungen und Modelle von

BERND SCHMID (u.a. Schmid 2000, 2002) einbezogen, wenn sie in Bezug

auf die Fragestellung als theoretisch geeignet eingeordnet werden

können. Daneben werden Annahmen einer systemischen

Erziehungswissenschaft nach ROLF HUSCHKE-RHEIN (Huschke-Rhein

1987, 1998a, 1998b) integriert, die ebenfalls Basisüberlegungen dieser

Arbeit enthalten.

Zu Beginn folgt eine Erläuterung zum Verständnis des Begriffs

‚systemisch’, wie er in dieser Arbeit verwendet wird. Was speziell unter

einer systemischen Betrachtung konstruktivistisch geleiteter und

pädagogisch relevanter Überlegungen gemeint ist, verdeutlicht die

Unterscheidung einer Inhalts- von einer Beziehungsebene als besondere

Beobachtungsperspektiven in der Pädagogik (Reich 2002: 51ff). Auf

dieser Grundüberlegung basiert die Entwicklung eines systemisch-

dialogischen Kommunikationsmodells, welches hier über das „Dialog-

Modell“ nach SCHMID (2002: 13) vorgestellt wird.

Ebenfalls für weitere Überlegungen notwendig erscheint in Bezug auf die

Fragestellung eine Darstellung von ‚pädagogischer Praxis’ aus Sicht einer

systemisch-konstruktivistisch ausgerichteten Erziehungswissenschaft. Der

Ort pädagogischer Praxis wird dabei als Handlungsfeld betrachtet,

innerhalb dessen die Bewertung von Situationen als pädagogische

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3 Systemisch-konstruktivistisch geleitete Ausgangsüberlegungen 14

Kompetenz charakterisiert wird. Lernen wird als ein aktiver, konstruktiver

Prozess verstanden.

3.2.1 Zum Verständnis von ‚systemisch’ in dieser Arbeit

Das dieser Arbeit zugrundeliegende begriffliche Verständnis von

‚systemisch’ bezieht sich auf die Notwendigkeit, die aus

konstruktivistischen Annahmen resultierende Vielzahl konstruierter

Wirklichkeiten in einer Betrachtungsweise über oder auf diese Wirklichkeit

abzubilden.7

Unter ‚systemisch’ ist hier in Anlehnung an REICH (2002) insofern kein

Begriff zu verstehen, „der Unterscheidungen eines Systems als

Beobachtungen markiert, die dann eindeutig, übersichtlich, etwa als

wissenschaftliches Regelwerk oder pädagogische Technik zu

Beobachtern zurückkehren, sondern die stets subjektiv, singulär,

ereignisreich und widersprüchlich an die Beobachter in ihren Beziehungen

selbst zurückgekoppelt bleiben und über diese vermittelt werden“ (Reich

2002: 285). Eine solchermaßen systemisch orientierte Erziehungs-

wissenschaft als eine von einem systemisch-konstruktivistischen Ansatz

geleitete Pädagogik, erkennt mit HUSCHKE-RHEIN, dass „die Rede von

‘Systemen’ grundsätzlich ein Konstrukt des Beobachters darstellt“

(Huschke-Rhein 1998a: 14). Mit dem hier vertretenen Ansatz gilt dabei

auch, dass wirkende Systeme zudem von mehreren Beobachtern

konstruiert werden. Für die pädagogische Arbeit liegt die Bedeutung einer

systemischen Erziehungswissenschaft in systemtheoretisch

ausformulierten Konsequenzen, denn „der Erziehungs- und

Bildungsprozeß“ kann „als eine Form der Ko-Konstruktion oder der Ko-

7 „Zur Terminologie: ‚Erziehungswissenschaft’ ist die Wissenschaft von der Erziehung;

sie umfaßt traditionell die beiden Hauptgebiete: 1.Theorie und 2.Praxeologie der

Erziehung. Genau für diese beiden Hauptgebiete ist auch der Terminus ‚Pädagogik’

gebräuchlich, der aber traditionell drittens noch die Praxis der Erziehung als Praxis

bezeichnet. – Insofern sind die Begriffe ‚Systemische Pädagogik’ und ‚Systemische

Erziehungswissenschaft’ konvertibel, wenn auch nicht semantisch gleichbedeutend.“

(Huschke-Rhein 1998a: 7, vgl. Reich 2002: 17)

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3 Systemisch-konstruktivistisch geleitete Ausgangsüberlegungen 15

Evolution biologischer (körperlicher), psychischer und sozialer Systeme

angesehen werden“ (ebd. 13).

Die Trennung in unterschiedliche Systeme, die alle vernetzt aufeinander

wirken, spielt eine zentrale Rolle für weitere Überlegungen. Eine so

verstandene Herangehensweise ist gemeint, wenn von systemisch

gesprochen wird. Zur Verdeutlichung einer in der Weise (so betrachtet

„passend“ auf kybernetische Denkmodelle verweisend) geführten

Betrachtung, nennen systemisch orientierte AutorInnen häufig eine auf

GREGORY BATESON zurückgehende Analogie (vgl. u.a. Reich 2002: 56,

Schmid 2000: 32, Watzlawick u.a. 1990: 30) 8:

„Wenn man einen Stein, dessen Gewicht, Form und Größe bekannt ist, in

einem bestimmten Winkel mit einer bestimmten Kraft tritt, dann kann man

ziemlich genau vorhersagen, in welcher ballistischen Flugbahn der Stein

fliegen und wo er landen wird. Wenn man jedoch einen Hund tritt, ist das

anders.“ (Schmid 2000: 32) 9

Es verdeutlicht das systemische Verständnis von Systemen, als sich

selbstreferentiell stabilisierende Phänomene, was sich in der häufig

verwendeten Bezeichnung „lebende Systeme“ (ebd.) widerspiegelt.

Selbstreferenz bezieht sich auf „den Umstand, daß ein System von

Beobachtern Unterscheidungen trifft, die das definieren, was das System

bedeutet“ (Reich 2002: 26). Für die Wissenschaftslehre bedeutet diese

Systembetrachtung, dass „jeder wissenschaftliche Satz in den

8 „Passend“ in Anführungszeichen deshalb, weil das Bild einer „nicht-trivialen Maschine“

(von Foerster 2000: 64) von einem technischen Beziehungsverständnis geprägt die

inhaltlichen Zusammenhänge auf dahingehende Un-Regelhaftigkeit hin überprüft –

insofern eignet sich diese Herangehensweise um an Beziehungsverständnisse

anzukoppeln. Als Metapher eignet sie sich sprachlich für theoretische Betrachtungen

daher nur begrenzt wenn pädagogische Prozesse in den Blick genommen werden. 9 Verkürzte Wiedergabe der Analogie nach Schmid 2000: 32; Originalversion

zurückzuführen auf: „Bateson, Gregory: «The Group Dynamics of Schizophrenia», in

Lawrence Appleby, Jordan M. Scher und John Cumming (Herausgeber), Chronic

Schizophrenia. Exploration in Theory and Treatment. The Free Press, Glencoe, I11.,

1960, S.90-105.” (Watzlawick u.a. 1990: 255)

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3 Systemisch-konstruktivistisch geleitete Ausgangsüberlegungen 16

Erziehungs- und Sozialwissenschaften auf die Teilsysteme Subjekt,

Gesellschaft und Natur zu beziehen ist“ (Huschke-Rhein 1987: 4).

HUSCHKE-RHEIN (1998) formuliert für systemisch-konstruktivistisch

orientierte Überlegungen in der Pädagogik: „Wenn kein Gehirn einen

‘direkten Umweltkontakt’ besitzt, sondern jeweils auf der Grundlage seiner

Selbstkonstruktionsfähigkeiten operiert und operieren muß, so können

auch ErzieherInnen nicht auf direktem Wege in das Gehirn eines anderen

eindringen, sie können - und dürfen - dies auch nicht gleichsam auf dem

Befehlswege oder, wie es der Terminus Maturanas ausdrückt, durch

‘instruktive Intervention’ tun, sondern arbeiten selber prinzipiell unter dem

‘Instruktionsverdikt’ und unter dem Vorbehalt der

Selbstorganisationsfähigkeit ihrer Kunden. Darum kann jeder

pädagogische Akt seiner Struktur nach als ‘Konsultation’, als Beratung

beschrieben und verstanden werden“ (Huschke-Rhein 1998a: 15).

Zum „Kernstück einer systemisch-konstruktivistischen Pädagogik“ zählt

REICH die aus kommunikationstheoretischen Überlegungen bekannte (vgl.

Watzlawick u.a. 1990: 53ff) „Unterscheidung einer Inhalts- von einer

Beziehungsebene“ (Reich 2002: IX).

3.2.2 Die Unterscheidung einer Inhalts- von einer Beziehungsebene als besondere Beobachtungsperspektiven in der Pädagogik

REICH (2002) führt eine Unterscheidung einer Inhalts- von einer

Beziehungsebene als zwei besondere Beobachtungsperspektiven in der

Pädagogik als „Sprachspiel“ (Reich 2002: 51) ein, um die

Beziehungsebene als favorisierten Gegenstand seiner und der

Betrachtungen pädagogisch wirkend wollender Personen zu betonen.10

Ausgehend davon, dass der Mensch als erkennendes Subjekt immer als

Beobachter auftritt (=konstruktivistische Annahme), lassen sich – auch

10 Er bezeichnet die „Pädagogik der Gegenwart“ als „ein Entwicklungsland, weil sie die

Beziehungsebene bis heute unterbewertet.“ (Reich 2002:51)

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3 Systemisch-konstruktivistisch geleitete Ausgangsüberlegungen 17

rückwirkend – zwei ineinandergreifende Perspektiven bei der Betrachtung

von Wirklichkeiten einnehmen: eine die inhaltlichen Informationen

(=kausale Betrachtung) und eine die Beziehungswirklichkeiten

(=systemische Betrachtung) in den Blick nehmende.

Inhaltliche Zusammenhänge werden meist als Determinanten

unhinterfragt akzeptiert. Die Wirkung konstruierter und als ontisch verfasst

wahrgenommener Zusammenhänge in der Bewerbung von

Markenprodukten verdeutlicht ein mögliches Ungleichgewicht fokussierter

Aufmerksamkeit:

Das der aus der Zigarettenwerbung bekannte „Marlboro-Mann“ früher als

biologisch erwartet an Lungenkrebs versterben wird, interessiert den

„Marlboro-Raucher“ scheinbar weniger als zu erwarten wäre. Ein Blick auf

die Beziehungsebene würde den Zusammenhang von Freiheit und Nikotin

ad absurdum führen und den von Krebs und Nikotin beginnen zu

hinterfragen.

REICH bezeichnet dieses Phänomen als „ein altes Menschheitsdrama“

(Reich 2002: 51), was sich beispielsweise bereits in der Antike über eine

göttliche Allmacht und damit gebotener Unmöglichkeit eines Hinterfragens

menschlich wahrnehmbarer Beziehungswirklichkeiten ablesen lässt (vgl.

ebd.).11 Bezüglich eines komplexitätsreduzierenden Effekts ist eine an der

Kausalität der Inhaltsebene interessierte Betrachtung notwendig und

sinnvoll – vor allem wenn es um technische Informationen geht.

Interaktionistisch konstruierte – und hier als kulturelle Implementierungen

zu verstehende – Beziehungswirklichkeiten dienen ebenso nicht zuletzt

der Strukturierung von Informationsgewinnungsprozessen. Aus

systemischer Sicht erscheint es sinnvoll diese zu hinterfragen, wenn eine

11 In dem Zusammenhang formuliert REICH (2002) weiter: „Ein solches Denken allerdings

wohnt nicht nur der Antike inne, sondern trägt Spuren bis in die Gegenwart. Noch

immer ist die projektive Figur göttlicher Abhängigkeit nicht entschwunden. Und noch

immer glauben Menschen, daß sie in allem, was sie tun, determiniert sind. Für sie

steht als Beobachter daher bis heute die Inhalts- vor der Beziehungsebene, und sie

wagen es nicht, ihre Beziehung freier und offener zu definieren“ (Reich 2002: 52).

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3 Systemisch-konstruktivistisch geleitete Ausgangsüberlegungen 18

systematische Klärung von Problemsituationen angefragt wird (vgl. Reich

2002: 29ff).

In einer zirkulären Modellvorstellung von Kommunikation zwischen den

Systemen findet sich eine Möglichkeit über die auf der Beziehungsebene

mitschwingenden (meist impliziten) Einflussfaktoren auf die Konstruktion

unterschiedlicher Wirklichkeit(en) hinzuweisen. Ein Blick auf ein dialogisch

angelegtes systemisches Verständnis von Kommunikation als Prozess

verdeutlicht das Gemeinte.

3.2.3 Das zugrundeliegende Verständnis eines systemisch-dialogorientierten Kommunikationsmodells

Nach REICH „fixieren sich Beobachter, wenn sie Kommunikation

beschreiben, meist schnell auf Informationen“ (Reich 2002: 71) und

vernachlässigen damit eine Betrachtung der Ebene kulturell (sozial)

konstruierter Beziehungswirklichkeiten. Eine systemische Betrachtung von

Kommunikation als einen dialogischen Prozess berücksichtigt neben einer

zirkulären Sichtweise zudem eine Erkenntnis der modernen

Hirnforschung, dass „mehr als neunzig Prozent der Vorgänge im Gehirn

für uns unbewusst ablaufen“ (Gerhard Roth zitiert nach: Beckmann 2002:

15). Das der Arbeit zugrundeliegende systemisch-dialogorientierte Modell

von Kommunikation basiert auf einem zirkulären Kommunikationsmodell,

welches im Folgenden beschrieben wird.

3.2.3.1 Die zirkuläre Sichtweise

Es geht in einem systemisch-dialogischen Kommunikationsmodell vor

allem darum, die auf eine inhaltliche Ebene hin wirkenden Einflussfaktoren

zu hinterfragen. Wenn die Beziehungsebene in der Weise als

Beobachtungsfeld angenommen wird, lassen sich unterschiedliche

Betrachterstandpunkte nachvollziehen: „Der Blick auf die Beziehungen

oder die Welt und Produktionen wird stets zu einer Relativierung der

Erwartungen und Ergebnisse engen Beobachtens beitragen. Wo eine

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3 Systemisch-konstruktivistisch geleitete Ausgangsüberlegungen 19

enge Beobachtung Inhalte oder Beziehungen als völlig klar und eindeutig

identifizierbar, beschreibbar, vielleicht auch normativ kontrollierbar erlebt,

da werden Veränderungen der Blicke und Perspektiven uns aus solcher

Eindimensionalität herausführen müssen“ (Reich 2002: 181).

Eine „zirkuläre Sichtweise“ (Reich 2002: 30) kann als eine erste

Abgrenzung zu linear gedachten, kausalen Kommunikationsmodellen

verstanden werden (vgl. ebd.).

linear-kausales Kommuniaktionsmodell: Kommunikationspartner 1 Kommunikationspartner 2

zirkuläres Kommunikationsmodell:

„Die systemische Sichtweise im Blick auf Kommunikation“ wie sie bei

WATZLAWICK u.a. (1990) entwickelt wird, „betrachtet, im Gegensatz zu

anderen psychologischen Schulen, Probleme zwischen Menschen als

Probleme der Interaktion (Wechselbeziehung zwischen

Personen/Gruppen)“ (ebd.: 29). Das zugrundegelegte zirkuläre

(kreisförmige) Modell von Kommunikation verdeutlicht ein systemisch

orientiertes Interesse nach den Wechselwirkungen schauen zu wollen

(vgl. Reich 2002: 30). Dabei steuert ein hoher Anteil unbewusst

ablaufender Prozesse im Hintergrund den Informationsaustausch der

Interaktionspartner. Prozesse, die nicht losgelöst von impliziten Annahmen

ablaufen und auf der Ebene der Beziehungswirklichkeiten betrachtet

werden können. Deren Aneinanderkopplung bedingt die Qualität sich

ergebender Betrachtungen über inhaltliche Zusammenhänge.

Kommunikationspartner 1 Kommunikationspartner 2

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3 Systemisch-konstruktivistisch geleitete Ausgangsüberlegungen 20

REICH unterscheidet drei weitere Beobachtungsperspektiven, auf die sich

erkennende Subjekte als Erzähler von Wirklichkeitsinszenierungen

beziehen: „Symbolwelten“, „Imaginationen“ und „reale Ereignisse“ (Reich

2002: 71ff). In einer systemischen Betrachtungsweise von Kommunikation

wird mit einer Überprüfung der Beziehungsebene zwischen diesen drei

Sichtweisen „das Wechselspiel von Selbst und Anderen“ (Reich 2002:

193) in den Blick genommen.

3.2.3.2 Das Symbolische, Imaginäre und Reale einer Erzählung

„Das Reale trägt immer eine ungewisse Seite. Symbolisch kann

ich schwören, daß meine Ehe ewig währt, imaginär kann ich

darauf vertrauen, die Realität erst wird es zeigen.“

(Reich 2002: 105)

Kommunikation wird hier als Prozess verstanden, indem erkennende

Subjekte Informationen austauschen. Diese Informationen lassen sich wie

bereits dargestellt hinsichtlich einer Inhalts- und Beziehungsebene

unterscheiden. Das Ergebnis der Interaktion bildet sich in Form einer

gemeinsamen Erzählung ab, die hier als „ein sich einigen auf“ eine

Interpretation subjektiv hergestellter Wirklichkeitsinszenierungen

vorstellbar ist. Eine zurückliegende Interaktion besteht „immer in

irgendeiner Weise im Austausch von Information“ (vgl. Schreyögg 1992:

195), deren Verarbeitung sich in Form einer mehrperspektivischen

Konstruktion von Wirklichkeit präsentiert. Bei der bereits dargestellten bio-

psycho-sozial zu verstehenden Interpretation der Informationen lassen

sich unterschiedliche Perspektiven der Beobachtung einnehmen.

Nach dem Neurobiologen GERHARD ROTH „schafft sich das real-materielle

Gehirn eine Welt, die es in eine Umwelt, eine Körperwelt und eine Ich-

(oder Gedanken-) Welt gliedert, und es konstituiert diese drei Welten so,

daß sie sich möglichst scharf voneinander unterscheiden. [...] Darum sind

wir uns selbst notwendigerweise die einzige Wirklichkeit“ (Roth 2000:

253). Der darinliegende und philosophisch oft diskutierte

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3 Systemisch-konstruktivistisch geleitete Ausgangsüberlegungen 21

Ordnungsgedanke spielt aufgrund biologisch bedingter Selbstreferenz

kognitiver Prozesse eine Rolle, wenn es darum geht, den Zugriff auf

Informationen zurückliegender Interaktionen mit dem Ziel einer „neuen“

oder anderen Erzählung methodisch zu ermöglichen. Da es sich um einen

Erkenntnisvorgang handelt, muss von veränderbaren Annahmen über

eine Realität außerhalb der anthropologischen Ausgangslage des

Menschen ausgegangen werden. Ein weniger abstrakt formulierbarer

Zugang ergibt sich über eine Aufteilung in aufeinanderwirkende

Beobachtungsperspektiven, auf die sich der Mensch als erkennendes

Subjekt (Beobachter) nach REICH (2002) nur beziehen kann, wenn er

Wirklichkeit als Erzählung konstruiert: „Symbolwelten, Imaginationen und

reale Ereignisse“ (Reich 2002: 71ff).12

Das Symbolische einer Erzählung:

„Wann immer Informationen ausgetauscht werden, Mitteilungen gemacht

werden, die wir uns zwischen Sender und Empfänger denken können, die

aber auch in einer Person im Selbstgespräch ausgetauscht werden

mögen, geht es um bestimmte Zeichen. Diese Zeichen erscheinen als

signifikante Gesten, als Buchstaben, Worte und Begriffe, Sätze,

Aussagen, die mit Bedeutungen verbunden sind. Ein Gesamt von

Bedeutungen nenne ich symbolisch, insofern damit bestimmte

permanente Dinge, Objekte, Gegenstände oder Sachverhalte bezeichnet

sind, die der Mensch in Übereinstimmung mit anderen Menschen

innerhalb einer bestimmten Zeit und eines bestimmten Geltungs- und

Verständigungsraumes – konstruiert“ (Reich 2002: 76).

12 KARL R. POPPER (1974) unterscheidet die als Realität erlebte Welt in mindestens drei

verschiedene Teilwelten: „Die Welt 1 ist die physikalische Welt oder die Welt der

physikalischen Zustände; die Welt 2 ist die geistige Welt, die Welt unserer psychischen

Erlebnisse (Wünsche, Hoffnungen, Gedanken...), die Welt 3 ist die Welt der intelligibilia

oder der Ideen im objektiven Sinne“ (Popper 1974: 160)

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3 Systemisch-konstruktivistisch geleitete Ausgangsüberlegungen 22

Das Imaginäre einer Erzählung:

„Das Imaginäre ist als Vorstellung anwesend, aber es ist ein steter Fluß

des Vorstellens, Wünschens, Begehrens, der zugleich die Abwesenheit

einer symbolvermittelten Identität zeigt. Doch immer dann, wenn das

Imaginäre in Sprache überführt wird, erscheint das Symbolische“ (Reich

2002: 92).

Das Imaginäre „erzwingt eine Selbstbewußtwerdung und ein

Selbstwertgefühl über den Blick des anderen“ (Reich 2002: 85). Zudem

„ist keine Kommunikation vollständig symbolisch beschreibbar, weil sie

einen auch für uns überraschenden, von Motiven und Begehren

angefüllten Raum umschließt, der uns unsichtbar mit anderen verbindet“

(ebd.: 93).13 Das Imaginäre präsentiert sich in Form von

Wirklichkeitsstilen, die als „Vorlieben von Menschen und Organisationen in

der Art und Weise wie Wirklichkeiten gestaltet werden“ (Schmid/Wengel

2001: 88) verstanden werden können. Nach PIAGET ließe sich im

gemeinten Sinne von „kognitiven Schemata“ sprechen, die ein

„mehrperspektivisches Erkennen“ (Schreyögg 2001: 94f) ermöglichen.

WATZLAWICK spricht in diesem Zusammenhang von „einer Reihe von

Prämissen“, mit denen „wir Menschen an die von uns wahrgenommenen

Phänomene“ herangehen (Watzlawick u.a. 1990: 243ff)14, SIEBERT spricht

von „Deutungsmustern“ (Siebert 2000: 111).

Das Imaginäre zeigt sich in internalisierten Gewohnheiten

(Wirklichkeitsstile), imaginäre Vorstellungen in symbolische Zuschreibung-

13 In einem „dialogischen Spiel zwischen einem Subjekt und einem Anderen ist immer

schon ein weiterer Anderer über seinen anerkennenden Blick eingeschlossen“ (Reich

2002: 85). 14 Ebd. schreibt Watzlawick in dem Zusammenhang: „Aus der Gesamtsumme von

Bedeutungen, die wir schließlich von den zahllosen Einzelkontakten mit den Objekten

der Umwelt gewinnen, bilden wir dann ein mehr oder weniger einheitliches Bild der

Welt, in die wir uns «geworfen» finden (um diesen existentiellen Ausdruck zu

verwenden), und dies ist ein Bild dritter Ordnung. Es besteht guter Grund zur

Annahme, daß es recht gleichgültig ist, worin dieses Weltbild besteht, solange es nur

eine sinnvolle Prämisse für unsere Existenz bietet.“ (Watzlawick u.a. 1990: 243)

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3 Systemisch-konstruktivistisch geleitete Ausgangsüberlegungen 23

en zu überführen bzw. diese mit eigenen imaginären Wünschen und

Hoffnungen zu bewerten.

Zum Verständnis des Realen einer Erzählung:

„Keine Imagination kann auf Dauer ein ganzes Bild von Welt herstellen.

Die Konstruktionen reduzieren Komplexität symbolisch. Das innere

Begehren richtet sich nach Wunschvorstellungen imaginär. Aber die

Ereignisse selbst, wie sie dann real im Leben wahrgenommen werden,

wie sie unmittelbar sinnlich erscheinen, sind immer auch anders, als das,

was symbolisch vorgesehen oder imaginär gewünscht war. Die Löcher in

der konstruktiven Allmacht und Allwissenheit, die weder durch

imaginatives Begehren noch durch symbolische Ordnung gestopft werden

können, nennt Lacan das Erscheinen des Realen. Es sind schwarze

Löcher, sie enthalten nichts, was wir schon wussten oder wollten“ (Reich

2002: 104).

Eine systemische Betrachtungsweise versteht Kommunikation als

intersubjektiven und interaktionistischen Argumentationsprozess (vgl.

Reich 2002: 75), in dem sich symbolisch die Vorinterpretationen der

Kommunikationspartner mit imaginären Vorstellungen und als real

wahrgenommene Ereignisse begegnen. Symbolisch kommunizierte

Inhalte können bei der Rekonstruktion der ursprünglichen Erzählung auf

imaginäre Annahmen hin überprüft werden, wenn sie in Beziehung

zueinander gesetzt und betrachtet werden.

REICH (2002) liefert zur Veranschaulichung ein Modell (vgl. Reich 2002:

86), auf welches sich die folgend entwickelte schematische Darstellung

mit dem Fokus auf den Konstruktionsprozess einer Erzählung stützt

(Abbildung 1). Es bildet sich hier das Symbolische und das Imaginäre

innerhalb der Kommunikationspartner und des Kommunikationsprozesses

stärker mit Blick auf eine unterschiedliche Qualität der verbalisierten

Wirklichkeitskonstruktionen (Erzählung) ab.

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3 Systemisch-konstruktivistisch geleitete Ausgangsüberlegungen 24

Abbildung 1: Das Symbolische und Imaginäre einer Erzählung

Die in Abbildung 1 zur Darstellung des Symbolischen und Imaginären

konstruierten Bezeichnungen einer ‚Symbolwelt’ bzw. ‚imaginären Welt’

zweier Kommunikationspartner (1 und 2), sollen die Selbstreferentialität

der Erzeugung verdeutlichen: „Wann immer wir mit einem anderen

Menschen in Kontakt treten, wann immer wir kommunizieren wollen, so

können wir dies nicht direkt. Wir bleiben in unserer Haut, treten nicht aus

uns so heraus, daß wir direkt in den Anderen eindringen, wir schließen

keine Kabel an, um Daten auszutauschen“ (Reich 2002: 87).

Das Symbolische bezieht sich auf das Imaginäre und umgekehrt (zirkulär).

Kommt ein zweiter Kommunikant hinzu, verhält es sich ebenso:

‚Symbolwelt 1’ kann sich nicht direkt an die ‚imaginäre Welt 2’

anschließen, sondern bemüht sich mit der Auswahl der zur Verfügung

stehenden Zeichen Annahmen über diese abzubilden. Diese Auswahl

enthält bereits implizite Annahmen aus der ‚imaginären Welt 1’, deren

Interpretation oder „Übersetzung“ in ‚Symbolwelt 2’ in Abhängigkeit der

„Deutungsmuster“ (Siebert 2000:111) aus der ‚imaginären Welt 2’

gesehen wird. In der Weise soll hier die von REICH als „Sprachmauer“

(Reich 2002: u.a. 87, 95, 111) bezeichnete Barriere zwischen jeweils

‚imaginärer Welt 1 bzw. 2’ und ‚Symbolwelt 1 bzw. 2’, als auch zwischen

‚imaginärer Welt 1’ und ‚Symbolwelt 2’ bzw. ‚imaginärer Welt 2’ und

‚Symbolwelt 1’ verstanden werden (vgl. ebd.).

Mit der Verbalisierung des Imaginären werden symbolische Bezüge

hinterfragt. Es gelingt eine Verständigung zwischen „imaginären Ich“

(Reich 2002: 93) – von ‚imaginärer Welt 1’ als Projektion eigener

Erzählung

Erzählung

Symbolwelt 1 Symbolwelt 2

imaginäre Welt 1 imaginäre Welt 2

„Sprachmauer“

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3 Systemisch-konstruktivistisch geleitete Ausgangsüberlegungen 25

Begehren in die Annahmen über ‚imaginäre Welt 2’ – und dem „Blick des

Anderen“ (ebd.: 96) – als Spiegelung der ‚imaginären Welt 1’ über

‚Symbolwelt 2’.15

Ist Kommunikation aus systemisch-konstruktivistischer Sicht demnach nur

eine Frage des Dialogs?

3.2.3.3 Kommunikation aus systemisch-konstruktivistischer Sicht – eine Frage des Dialogs

„Die Leidenschaft für die Wahrheit, wird zum Schweigen gebracht

durch Antworten, die das Gewicht unbestrittener Autorität haben.“

(Paul Tillich)

Aus einer engen Betrachtungsweise heraus formuliert müsste in der

Beantwortung der Frage, ob Kommunikation aus systemisch-

konstruktivistischer Sicht nur eine Frage des Dialogs sei, von einem

„Trialog“ zwischen Symbolischem, Imaginären und Realem gesprochen

werden. Das Reale wird aber hier, wie bereits erwähnt, weitestgehend als

mehrperspektivische Erzählung eines zirkulären Dialogs zwischen

‚Symbolwelt 1’ und ‚imaginärer Welt 1’ verstanden. Nach REICH ist das

Reale „kein Absolutum einer Außenwelt im Sinne eines geschlossenen,

gegliederten Seins, und auch kein Absolutum einer konstruierten Welt,

sondern eine Multiplizierung der unterschiedlichen Realitäten von

Beobachtern“ (Reich 2002: 115). Es zeigt sich „ereignishaft“ (ebd.: 112) im

Imaginären als auch im Symbolischen (vgl. ebd.: 112ff).

Das „Dialog-Modell“ von Bernd Schmid (siehe Abbildung 2 aus: Schmid

2002: 13)16 verdeutlicht, dass Kommunikation aus systemisch-

15 „Als Kinder haben wir kaum eine Chance, uns gegen die symbolische Ordnung der

großen Anderen zu wehren. Sie scheinen sie als Wissen und tugendhaftes Verhalten

in uns hineinzupumpen, in uns einzubilden, unser Begehren damit zu kanalisieren.“

(Reich 2002: 89)

Page 30: Die Methode der ‚Kollegialen Beratung’: Die Aktivierung ... · Die Methode der ‚Kollegialen Beratung’: Die Aktivierung des Selbstlernens als Reflexion der pädagogischen Praxis

3 Systemisch-konstruktivistische Ausgangsüberlegungen 26

n

konstruktivistischer Sicht eine Frage des selbstreflexiven (Meta)Dialogs

zwischen Symbolischem und Imaginärem ist. 1

Die Kommunikationspartner werden als geschlossene, selbstreflexive

Systeme charakterisiert (systemisch). In der Kommunikation unterscheidet

SCHMID zwischen „bewusst-methodischer“ und „unbewusst-intuitiver“

Wirklichkeitsinszenierung (=Erzählungen), was der bereits in Anlehnung

an REICH (vgl. Reich 2002: 89) entwickelten Kommunikationsgrundlage

(vgl. Abbildung 1) entspricht.

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Page 31: Die Methode der ‚Kollegialen Beratung’: Die Aktivierung ... · Die Methode der ‚Kollegialen Beratung’: Die Aktivierung des Selbstlernens als Reflexion der pädagogischen Praxis

3 Systemisch-konstruktivistisch geleitete Ausgangsüberlegungen 27

theoretische Denkmodelle geschaffen und darüber hinaus aus

Praktikabilitätsgründen wieder zu reduzieren versucht.17

Das abgebildete „Dialog-Modell“ von SCHMID illustriert, dass die

symbolisch übermittelten Zeichen von ‚Kommunikationspartner 1’ an einen

zweiten Beobachter als „bewusst-methodische Erzählung“ (Schmid 2002:

14) nicht abtrennbar von einer „unbewusst-intuitiven Erzählung“ (ebd.) als

etwas imaginär Hintergründiges vorstellbar ist.

Bezogen auf die Fragestellung liegt die Bedeutung darin, dass wir als

Pädagogen in der Kommunikation den Dialog zwischen den beiden

Erzählformen suchen sollten: „An den eigenen intuitiven Reaktionen auf

das Gegenüber können wir etwas darüber erfahren, was im Hintergrund

vor sich geht. Wir können dies – zur eigenen Steuerung – hochwertige

professionelle Zusammenspiel direkt nutzen. Wir können aber auch mit

dem anderen darüber kommunizieren und so dessen Dialogfähigkeit mit

der unbewusst-intuitiven Ebene und damit eine gemeinsame Kultur des

Dialogs miteinander zwischen diesen Sphären fördern“ (Schmid 2002: 14).

Eine systemisch-dialogorientierte Vorstellung von Kommunikation betont

den dieser Arbeit zugrundeliegenden Anspruch an Kommunikation in

einem Beratungsprozess, bei dem die Betrachtung eines „in uns selbst“

und interaktionistisch geführten Dialogs zwischen Symbolischem und

Imaginären, zur Entdeckung von Wirklichkeitsstilen führen kann.

Wirklichkeitsstile steuern den Prozess der Herstellung oder Konstruktion

von Wirklichkeit. Im Dialog mit einem Anderen begegnen sich mindestens

zwei unterschiedliche Stile, die eine gemeinsame Erzählung nur dann

erzeugen können, wenn Hintergründiges oder Imaginäres dabei

berücksichtigt wird. Indem ein Dialog über den Dialog geführt wird, lässt

sich der Weg zur eigenen Erzählung über die Beziehungsebene

thematisieren.

17 Die Möglichkeit etwas unbetrachtet zu lassen, können und wollen diesbezüglich

angestellte konstruktivistisch geleitete Überlegungen allerdings ohnehin nicht

ausschließen.

Page 32: Die Methode der ‚Kollegialen Beratung’: Die Aktivierung ... · Die Methode der ‚Kollegialen Beratung’: Die Aktivierung des Selbstlernens als Reflexion der pädagogischen Praxis

3 Systemisch-konstruktivistisch geleitete Ausgangsüberlegungen 28

Um den Ort einer systemisch-dialogischen Kommunikation, wie sie für

pädagogisch wirkend wollende Beobachter hier gefordert wird, geht es

folgend, wenn die pädagogische Praxis aus Sicht einer systemischen

Erziehungswissenschaft (Huschke-Rhein 1998a) dargestellt wird.

3.3 Pädagogische Praxis aus Sicht einer systemischen Erziehungswissenschaft

„Wer das erste Knopfloch verfehlt,

kommt mit dem Zuknöpfen nicht zurande.“

(J.W. Goethe)

Die Begrifflichkeit ‚pädagogische Praxis’ bezieht sich auf die Wirklichkeit

pädagogischer Handlungen, die sich nicht nur meist anders darstellt als

man sie sich vorgestellt hat. Zum Wesen pädagogischer Handlungen

zählt zudem die Notwendigkeit, „ihr eigenes Ende zu intendieren“ (Benner

1987: 72). Indem zur Selbsttätigkeit aufgefordert wird, lässt sich vorweg

kein tatsächliches Ziel formulieren, sondern lediglich Annahmen über

künftige Entwicklungen. Eine Aufforderung zur Selbsttätigkeit ist der

Auslöser für nachfolgende Handlungen, die in Abhängigkeit von

unbekannten Faktoren passieren. Eine Forderung an die Lehre kann im

Falle erziehungswissenschaftlicher Ideen nicht lauten: „Erkläre die Praxis

und sage, was zu tun ist!“. Eine Präzisierung des Begriffs pädagogische

Praxis kommt im Effekt nicht ohne Bezugnahme auf

wissenschaftstheoretische Grundannahmen aus, die mit einem

systemisch-konstruktivistischen Ansatz bereits erläutert wurden (siehe

Kapitel 3.2 i.d.A.).

In dieser Arbeit interessieren vorwiegend die pädagogische Praxis

beeinflussenden Aspekte. Dabei liegt der Fokus auf dem Moment der

Wahrnehmung und Interpretation unterschiedlicher Wirklichkeiten und

anzunehmender Abbildungen in handlungsrelevante Entscheidungen.

Page 33: Die Methode der ‚Kollegialen Beratung’: Die Aktivierung ... · Die Methode der ‚Kollegialen Beratung’: Die Aktivierung des Selbstlernens als Reflexion der pädagogischen Praxis

3 Systemisch-konstruktivistisch geleitete Ausgangsüberlegungen 29

3.3.1 Der Ort pädagogischer Praxis als Handlungsfeld

„Erziehung heißt, daß ein bio-psychisches System von den Regeln

der sozialen Kontextsysteme, besonders der pädagogischen

Kontextsysteme bestimmt, eben ‚gesteuert’ wird bzw. werden soll,

aber mit dem Ziel der Selbststeuerung. Bildung heißt dann, daß

die externen Bestimmtheiten, als ‚Steuerung’ durch die sozialen

Kontextsysteme, allmählich abnehmen, und daß der einzelne sich

selbst zu steuern lernt oder gelernt hat.“

(Huschke-Rhein 1998b: 181)

Der Ort pädagogischer Praxis wird hier nicht als ein abstraktes Problem

interpretiert, sondern als Handlungsfeld an der „Schnittstelle zwischen

disziplinärem Wissen und professionellem Handeln“ (Otto u.a. 2002/3: 9).

Wie Studierende der Erziehungswissenschaft in der pädagogischen Praxis

re- bzw. agieren, lässt sich nicht in konkreten Handlungsanleitungen

abbilden. Dem hohen Grad die Situation individuell dynamisierender

Anteile, versucht diese Sicht auf pädagogische Praxis nachzukommen

und würdigt die pädagogische Handlung vor allem als „das zirkuläre

Resultat zwischen theoretischen Einsichten und praktischen Vollzügen im

Praxisfeld“ (Huschke-Rhein 1998a: 17). Der Begriff „zirkuläres Resultat“

(ebd.) fokussiert den Zusammenhang von theoretischen

Wissenskomponenten und praktischem Tun. Die Komplexität dieser

Dialektik wird mit dem Blick auf pädagogische Praxis deutlich.

Mit HUSCHKE-RHEIN (1998a, 1998b) lässt sich pädagogische Praxis „nach

systemischer Auffassung nicht ‚objektivieren’, sondern nur (re-)konstruktiv

beschreiben“ (Huschke-Rhein 1998a: 17). Diese Auffassung bedeutet

auch, dass das Verhältnis von erziehungswissenschaftlicher Theorie zur

pädagogischen Wirklichkeit mehr Scheindilemma als „Tretmine“ (Gudjons

1999: 21) sein könnte.18 Es intendiert keine konkrete Gegensätzlichkeit,

18 Zur Begrifflichkeit „Pädagogik und Erziehungswissenschaft“ schreibt Gudjons: „Freilich

sieht man bereits an dieser Stelle, dass unter dem scheinbar harmlosen

Begriffsgeplänkel eine Tretmine verborgen liegt, auf die man sehr schnell stößt, sobald

man etwas tiefer gräbt: die Frage nach dem Verhältnis von wissenschaftlicher Theorie

Page 34: Die Methode der ‚Kollegialen Beratung’: Die Aktivierung ... · Die Methode der ‚Kollegialen Beratung’: Die Aktivierung des Selbstlernens als Reflexion der pädagogischen Praxis

3 Systemisch-konstruktivistisch geleitete Ausgangsüberlegungen 30

wenn pädagogische Praxis und theoretische Annahmen als „kreative

Konstruktionen“ (Huschke-Rhein 1998a: 17) verstanden werden und sich

nur aufeinander beziehen können. Eine „Theorie-Praxis-Problematik“

(Weinberg 2000: 47) ergibt sich in praxi für die Gestaltung der

pädagogischen Ausbildung (vgl. ebd.). Die momentanen Debatten um die

LehrerInnen-Ausbildung illustrieren (nur) den Bedarf und die Suche nach

geeigneten Ausbildungsmodellen. Ein ‚Wofür’ lässt sich

situationsabhängig beschreiben – der pädagogische Akt „passiert“ in

Abhängigkeit von wirklichkeitsgestaltenden Aspekten.

Die Bedeutung dieses Verständnisses von pädagogischer Praxis bezogen

auf die Fragestellung liegt darin, dass die Idee einer systemisch

orientierten Vorbereitung auf pädagogische Praxis auch in einer zu

vermittelnden Befähigung – die Situation konstituierenden Aspekte

wahrzunehmen – münden sollte. Im Vergleich mit der praktischen Arbeit

eines Mediziners, existiert keine Maschine zur zeitnahen Bewertung

pädagogischer Situationen. Die medizinische Diagnose einer

Darminfektion und Wiederherstellung einer geregelten Darmtätigkeit lässt

sich mit technischem Gerät erreichen – das Ergebnis ist zudem

messbar.19 Die eine Anwendung medizinischer Verfahren

beeinflussenden individuellen Vorgaben durch die psychische und

physische Konstitution des Patienten müssen sicherlich auch dabei

berücksichtig werden. Es zählt zum Wesen erziehungswissenschaftlichen

Wissens, dass es als fallible charakterisiert werden muss. Es sind vor

allem Annahmen über erzieherische Phänomene und diese grundsätzlich

„dem Irrtum unterworfen“ (Gudjons 1999: 14f).

und pädagogischem Handeln, von Wissenschaft und Praxis – und damit die Frage

nach dem Wissenschaftscharakter diese Faches.“ (Gudjons 1999: 21) 19 „Systemtheoretische Studien haben sich (...) mit verschiedenen pädagogischen

Berufen befasst und für das pädagogische Handeln ein unaufhebbares

Technologiedefizit – etwa im Vergleich zu Ingenieuren, aber auch Medizinern –

konstatiert. Gemeint ist damit, dass pädagogische Professionen nicht über Verfahren

und Methoden verfügen, die in der Lage sind, die Erreichung eines vorab definierten

Zieles tatsächlich zu gewährleisten.“ (Böllert/Nieke 2002: S.72)

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3 Systemisch-konstruktivistisch geleitete Ausgangsüberlegungen 31

Eine Reflexion der Wirklichkeitszusammenhänge aus unterschiedlichen

Blickwinkeln erscheint sinnvoll, um die eigene Wahrnehmung einer

Situation in der pädagogischen Praxis wirklichkeitsnah zu bewerten – eine

Maschine dafür gibt es (ja) nicht.

3.3.2 Zur Bewertung von Situationen in der pädagogischen Praxis

„Pädagogik bleibt auch heute noch und in Zukunft eine Kunst,

die als solche, eben als Kunst, nicht erlernbar ist (...).“

(Huschke-Rhein 1998a: 19)

Verglichen mit einem Maler, dessen Resultat von Bemühungen und Talent

ein seinem Verständnis nach fertiges Bild, (seine) Kunst ist, stellt sich

pädagogische Praxis in der dargestellten Weise subjektiver Be- oder

Entwertung. So wie der Maler seine Techniken, kann der Pädagoge seine

Kenntnisse und Fertigkeiten verfeinern um das Gesamtkonstrukt zu

verändern. Das Ergebnis derartiger Bemühungen präsentiert sich im

Vergleich mit dem Werk eines Malers in Form vernetzter Handlungsketten.

Die Fähigkeit, pädagogisches Wissen zu gebrauchen, ist lernbar – das

fertige Bild vor Augen zu haben sicherlich auch eine intuitive Gabe. „Die

Kunst der Pädagogik“ (Huschke-Rhein 1998a: 19) formuliert HUSCHKE-

RHEIN speziell als nicht erlernbare Elemente pädagogischer Arbeit (vgl.

ebd.). Eigene Wirklichkeitsstile und deren Entdeckung in das

Interaktionsgeschehen pädagogischer Situationen einzuordnen,

ermöglicht so verstanden nicht, diese „Kunst“ (ebd.) zu erlernen. Den Blick

auf das Imaginäre als Beobachtungsperspektive einzuführen, erscheint

lediglich als sinnvolle Perspektive für pädagogisch wirkend wollende

Beobachter geeignet. Angestrebte Handlungsveränderungen können dann

passend an die Wirklichkeit der Beteiligten angekoppelt werden, wenn die

Bewertung von Situationen in der pädagogischen Praxis als

Ausgangspunkt weiterer Entscheidungen in den Blick genommen wird.

Pädagogische Kompetenz liegt nach NIEKE (2002) darin, „dass eine

Person dann für kompetent erachtet werden kann, wenn sie erstens fähig

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3 Systemisch-konstruktivistisch geleitete Ausgangsüberlegungen 32

ist, die gegebene Aufgabe auf der Basis des hierfür grundsätzlich zur

Verfügung stehenden Weltwissens, bezogen auf professionelle

Kompetenz des Fachwissens, das in der Erziehungswissenschaft und

deren Bezugsdisziplinen aufbereitet ist, zu bewältigen und zweitens auf

der Basis einer speziellen Berufsethik begründet weiß und entscheiden

kann, was im jeweiligen Fall im wohlverstandenen Interesse der

anvertrauten Klientel zu tun und zu unterlassen ist. Wenn diese beiden

Bedingungen erfüllt sind, kann und muss der jeweiligen Person die

Zuständigkeit für das erforderliche pädagogische Handeln zugesprochen

werden“ (Nieke 2002: 16). WAHL kennzeichnet die angezeigte Komplexität

pädagogischen Handelns als „Handeln unter Druck“ (Wahl 1991: 18f) und

beschreibt mit einem entwickelten KOPING-Konzept eine Möglichkeit für

„Experten auf pädagogischem Gebiet“ sich selbst zu helfen „und ihr

Handeln selbst zu modifizieren“ (ebd.: 196). Es lässt sich mit den

Ausführungen von NIEKE vereinbaren, wenn nach WAHL (1991) das

„Handeln pädagogischer Experten modifizieren zu wollen, heißt, jene

Sinnstrukturen in Frage zu stellen, die bisher unhinterfragt zum „Handeln

unter Druck“ befähigt haben“ (ebd.: 196). Nach WAHL (1991) bedeutet die

Veränderung von Handlungsmustern, die in dieser Arbeit als

Wirklichkeitsstile bezeichnet werden, „stets Verunsicherung,

Erschütterung, (Selbst-)Kritik, kurz ein In-Frage-Stellen der ganzen

Person. Wegen der Verzahnungen zwischen kognitiven, emotionalen und

aktionalen Aspekten des Handelns ziehen Veränderungen im einen Teil

immer auch Veränderungen in den anderen Teilen nach sich“ (ebd.: 193).

Eine die Zusammenhänge nicht würdigende Bewertung der Situation, des

Ist-Zustandes, beeinflusst den Prozess hin zu einem angestrebten Soll-

Zustand.20 Da pädagogisches Handeln „stets auch Interaktionshandeln“

20 Im Vergleich mit Erfahrungen aus Qualitätsentwicklungsprozessen in Einrichtungen

der Erwachsenenbildung, lässt sich die Problematik veranschaulichen: es hat immense

Folgen für den Qualitätsentwicklungsprozess, wenn der Ist-Beschreibung (für viele „die

Zeit vor dem Prozess“) zwecks Reduzierung des Zeitaufwendungen für das Erreichen

Page 37: Die Methode der ‚Kollegialen Beratung’: Die Aktivierung ... · Die Methode der ‚Kollegialen Beratung’: Die Aktivierung des Selbstlernens als Reflexion der pädagogischen Praxis

3 Systemisch-konstruktivistisch geleitete Ausgangsüberlegungen 33

(Wahl 1991: 193) ist, müssen die Handelnden die auf der Basis ihres

Fachwissens angelegten Kriterien zur Einschätzung der

Wirkungszusammenhänge in der Situation reflektieren. Wenn Lernen als

Ziel pädagogischer Handlungen den Ort pädagogischer Praxis ausmacht,

muss diese komplexe Selbstreferentialität unterscheidbarer Systeme

gewürdigt werden.

3.3.3 Lernen als konstruktiver Prozess

„Im Gleichschritt kann man marschieren, vielleicht

auch singen, aber niemals lernen“

(E.M. Stange zitiert nach Harmsen 2002)

Lernen muss als konstruktiver Prozess verstanden werden, bei dem der

Lehrende an den Wirklichkeitsstilen vieler anzukoppeln versucht.

Als dynamischer Gegenstand der „Konsultation“ (Huschke-Rhein 1998a:

23) in einer Gruppenveranstaltung prägt die Heterogenität der

TeilnehmerInnen das Geschehen. Vor dem Hintergrund der

konstruktivistisch geleiteten theoretischen Ausgangsüberlegungen, lassen

sich „Lehren und Lernen als zwei gekoppelte, aber selbständige,

selbstreferentielle Prozesse definieren“ (Schüßler 2000: 164). Die

„Interventionen eines Lehrenden“ können „demnach nur Auslöser

(Perturbationen) für bestimmte kognitive Operationen sein“ (vgl. ebd.).

Damit ergeben sich konstruktive Dynamiken von Interaktions- und

Kommunikationsprozeßen im Lehr-Lern-Geschehen.

Aus einer solchen konstruktivistischen Perspektive konstruiert sich der

Lernende „ein eigenes Bild vom Lerngegenstand und der Lehr-Lern-

Situation. Dieser Konstruktionsprozeß ist aber nicht beliebig, sondern

erfährt durch den situativen Kontext (Lernort, -gruppe, -methoden etc.)

sowie die sozialen Erfahrungen im Kursgeschehen eine Rahmung, die

eines Ziels zu wenig Zeit zugunsten der Formulierung eines beeindruckenden

Leitbildes eingeräumt wird. (vgl. DIE 2002: 8)

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4 Kollegiale Beratung als methodisch angeleitete Lernform 34

bestimmte Wirklichkeitskonstruktionen mehr oder weniger viabel und

dadurch wahrscheinlich werden läßt“ (Schüßler 2000: 154).

Folgende Abbildung veranschaulicht die „Kennzeichen

konstruktivistischen Erwachsenenlernens“ (Schüßler 2000: 175) nach

SCHÜßLER:21

Abbildung 3: „Kennzeichen konstruktivistischen Erwachsenenlernens“ (aus Schüßler 2000: 175)

4 Kollegiale Beratung als methodisch angeleitete Lernform

Eine ‚methodisch angeleitete Lernform’ soll hier verstanden werden als die

Anwendung begründbarer Verfahren zur Reflexion von

Praktikumserfahrung. Wobei ‚Methode’ als ein „Entwicklungsmedium“

verstanden wird, „innerhalb dessen der Lerner seine eigenen Ziele findet“

(Lenzen 2001b: 1047). Lernen wird damit eher i.S. eines eklektischen

lerntheoretischen Ansatzes als (re)konstruktiver Prozess betrachtet, der

21 Hier wird davon ausgegangen, dass es sinnvoll und nicht weiter erklärungsbedürftig

ist, Studierende der Erziehungswissenschaft im Hauptstudium unter erwachsenen-

lernerischen Gesichtspunkten zu betrachten.

Page 39: Die Methode der ‚Kollegialen Beratung’: Die Aktivierung ... · Die Methode der ‚Kollegialen Beratung’: Die Aktivierung des Selbstlernens als Reflexion der pädagogischen Praxis

4 Kollegiale Beratung als methodisch angeleitete Lernform 35

stattfindet, wenn Lernenden unterschiedliche Wirklichkeitskonstruktionen

zur Verfügung gestellt werden.

Die Kollegiale Beratung, wie sie hier als methodisch angeleitete Lernform

präsentiert wird, lässt sich als ein strukturiertes Vorgehen beschreiben, bei

dem sich Studierende in einer systemisch-dialogischen Gesprächsführung

begegnen sollen. In einem horizontalen Beratungsansatz treffen dabei

unterschiedliche Wirklichkeitskonstrukteure aufeinander, um eine zu

klärende Praxissituation (Praktikumserfahrung) gemeinsam zu reflektieren.

Eine Wirklichkeitskonstruktion wird dabei zum Gegenstand einer

gemeinsamen Betrachtung, indem sie als Erzählung in die gemeinsame

Reflexionsarbeit eingebracht wird. Durch eine Heterogenität von

Wirklichkeitsstilen wird dabei eine Betrachtung der Erzählung aus

unterschiedlichen Perspektiven möglich.

Die methodischen Charakteristika von Kollegialer Beratung als Lernform

lassen sich vor allem über deren Bezüge zur Supervision darstellen. Das

liegt zum Einen daran, dass sich die Methode als Lernform aus primär

supervisionsorientierter Arbeit entwickeln konnte. Zum Anderen fand und

findet vor allem in diesem Kontext eine wissenschaftliche

Auseinandersetzung mit der Methode statt. Eine Vielfalt an begrifflichen

Varianten versucht in der Folge das Wesen der hier gemeinten

methodisch angeleiteten kollegialen Lernform zu fassen. Von ‚der’

Supervision kann indes nicht ausgegangen werden, da keine

allgemeingültige Definition dieser Begrifflichkeit auffindbar scheint.22

Vielmehr muss eine solche im Zusammenhang mit den unterschiedlichen

Anwendungsfeldern und zeitlichen Kontexten von Supervision gesucht

werden. Supervision kann vereinfacht als eine Form von Praxisberatung

verstanden werden, mit der eine systemische Herangehensweise an

Problemsituationen verbunden wird: „Supervision als praxisgerichtetes

Reflexions- und Handlungsmodell untersucht Arbeitsprozesse in den

22 Rotering-Steinberg schreibt: „Es gibt keine einheitliche Definition des Begriffs und der

Methodologie von Supervision.“ (Rotering-Steinberg 2001a: 380); vgl. auch Pallasch

1996: 20ff

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4 Kollegiale Beratung als methodisch angeleitete Lernform 36

unterschiedlichsten Bereichen vor dem Hintergrund der Dynamik und

Struktur der jeweiligen Organisation. Arbeitsprobleme,

Koordinationsprobleme, Konflikte und Missverständnisse werden in der

Supervision im Kontext der Strukturen der Organisation und des

Arbeitsfeldes in ihrer Dynamik wahrgenommen, untersucht und bearbeitet“

(Ebert 2001: 26).

Die hier verwendeten Bezeichnungen ‚Kollegiale Beratung’ bzw.

‚Kollegiale Supervision’ werden dabei wohl am Häufigsten angeführt, um

eine so verstandene Praxisberatung innerhalb einer Kollegengruppe zu

bezeichnen und begrifflich von einer expertInnengeleiteten Supervision

abzugrenzen (vgl. u.a. Rotering-Steinberg 1983: 109ff u. 2001a: 385f u.

2001b: 442, Thiel 1998: 198f, Qs Nr.28: 66ff, Schlee 1996: 195, Wahl

1991: 195ff). Nach ROTERING-STEINBERG (2001a) findet man u.a. „folgende

Operationalisierungen“ (ebd.: 380) in der Praxis: „Reflektierte

Praxisberatung“, „Berufsbezogene Selbsthilfe“, „Kritisch angeleiteter

Prozess der Selbstreflexion“, „Systematische Fallbesprechungen als

Problembewältigungsversuche“, „Gruppenunterstützte Selbstreflexion“

(ebd.).

Auf eine zusammenfassende Vorstellung von deren Entstehungs-

kontexten kann zugunsten terminologischer Klarheit nicht verzichtet

werden. Zudem liegen gezielte den Terminus ‚Kollegiale Beratung’ als

Methode betreffende und erschienene wissenschaftliche

Veröffentlichungen bisher nur marginal vor, was nicht zuletzt an der bis

heute oft synonym verwendeten Bezeichnung ‚Kollegiale Supervision’ liegt

(vgl. u.a. Rotering-Steinberg 2001a, Schlee 1994, Thiel 1994).23 Um die

Entstehungskontexte Kollegialer Beratung als Methode vorzustellen,

erfolgt zunächst im Folgenden eine Anpassung an diese terminologische

Gebräuchlichkeit. Im weiteren Verlauf wird jedoch die in dieser Arbeit

favorisierte Bezeichnung ‚Kollegiale Beratung’ vorgezogen (siehe Kapitel

4.2 i.d.A.). 23 Insofern leistet eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Kollegialer Beratung

als Methode im Rahmen der vorliegenden Magisterarbeit einen begründeten Beitrag.

Page 41: Die Methode der ‚Kollegialen Beratung’: Die Aktivierung ... · Die Methode der ‚Kollegialen Beratung’: Die Aktivierung des Selbstlernens als Reflexion der pädagogischen Praxis

4 Kollegiale Beratung als methodisch angeleitete Lernform 37

4.1 Entstehungskontexte ‚Kollegialer Beratung oder Supervision’

Eine Betrachtung der Entstehungskontexte ‚Kollegialer Beratung oder

Supervision’ findet sich bei ULRICH THIEL (vgl. dazu und folgend Thiel

1994: 199ff u. 1998: 172ff). Dabei bezieht er seine Recherchen auf

„vergleichsweise ausgearbeitete und den Prozeßablauf mehr oder weniger

durchstrukturierende Konzepte zur systematischen Reflexion von

Berufssituationen in zumeist institutionalisierten, pädagogisch-sozialen

Handlungsfeldern“ (Thiel 1994: 201). Der Autor unterscheidet

diesbezüglich zwischen „professioneller“ (ebd.: 203), d.h.

expertInnengeleiteter und „kollegialer Supervision oder Beratung“ (ebd.)

und begründet in seinen Ausführungen eine Kombination der beiden

Arbeitsweisen.24

Ein Exkurs in die historische Entwicklung supervisionsorientierter Arbeit

verdeutlicht, warum sich Kollegiale Beratung als eine Arbeitsform darstellt,

deren Ursprung in ‚der’ Supervision zu finden ist.

4.1.1 Exkurs in die historische Entwicklung supervisionsorientierter Arbeit als Ursprung der Lernform

BELARDI sieht die Anfänge und damit den Beginn der geschichtlichen

Entwicklung von institutionalisierter supervisionsorientierter Arbeit am

Ende des 19.Jahrhunderts in Amerika (vgl. Belardi 1994: 335; dazu auch:

Buer 2000: 70).25 Diese mehr mentorähnliche Anleitung von

ehrenamtlichen SozialarbeiterInnen erfuhr bis heute eine Fülle an

24 Aufgrund eigener Erfahrungen und Evaluationen mit Leitungspersonen plädiert Thiel

für eine duale Anwendung von kollegialer und professioneller Supervision in

Weiterbildungsmaßnahmen, da gerade die „Kombination beider Reflexionsformen

deutliche Vorteile“ (Thiel 1994: 211) für die TN bringt. 25 Diese „frühe Sozialarbeiter-Supervision“ gestaltete sich derart, dass einer hohen

Anzahl ehrenamtlicher Helferinnen und Helfer in New York, wenige „hauptberufliche

Administratoren und Berater (Agent Supervisors)“ zur Seite gestellt wurde. Diese

hatten die Aufgabe, ehrenamtliche Kräfte „anzuleiten, zu motivieren und administrative

Kontrolle über die Tätigkeit auszuüben“ (Belardi 1994: 335).

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4 Kollegiale Beratung als methodisch angeleitete Lernform 38

Varianten in unterschiedlichen Arbeitsfeldern von primär psychosozialer

Ausrichtung. Die Entwicklung der Supervision stand fortan vor allem auf

europäischem Gebiet unter dem Einfluss der Erkenntnisse aus der

Psychoanalyse.26 In Deutschland begann nach BELARDI im Jahre 1964

„mit einem Lehrgang für Praxisberatung des „Deutschen Vereins für

öffentliche und private Führsorge“ (in Frankfurt/M.) die reguläre

Supervisoren-Ausbildung für den Sozialbereich“ (Belardi 1994: 336). Im

Unterschied zum amerikanischen Vorbild supervisionsorientierter Arbeit

stand in Deutschland dabei ein Modell des „externen, neben- oder

freiberuflichen Supervisors“ im Vordergrund (ebd.). Die Bedeutung liegt

neben der damit unterschiedlichen Ausrichtung darin, dass

supervisionsorientierte Arbeit in Deutschland in einem von Theorie

geleiteten Methodenpluralismus mündete, der bis dato anhält (vgl. ebd.

und Pallasch 1996: 21f). Die „neuere Supervision“ (Belardi 1994: 336)

zählt seit den 80er Jahren im Bereich der Organisationsberatung zu

personenqualifizierenden Maßnahmen (vgl. ebd.). Damit kann Supervision

heute hierzulande primär als praxisbezogene „Beratung und Weiterbildung

für tendenziell alle Berufe“ (ebd.) bezeichnet werden.

Wenn im Weiteren von Supervision gesprochen wird, ist eben diese

Grundform gemeint und nicht eine funktionsbeschreibende

Vorgesetztenrolle.27 BELARDI (1994) hält fest, dass „die Amerikaner“ (ebd.:

26 Pallasch nennt diese Zeit der (Weiter)Entwicklung „Phase der ‚Psychologisierung’ von

ca. 1900-1960“ und verweist auf die „fachwissenschaftliche Ausbildung und Einsatz

von Psychiatern und Psychologen als Supervisoren“ (vgl. Pallasch 1996: 21). 27 Im englischsprachigen Wirtschaftsraum findet der Begriff „Supervisor“ Anwendung, um

eine „allgemeine Leitungs-, Kontroll- und Vorgesetztenfunktion im industriellen und

administrativen Bereich“ zu beschreiben. Auch in Deutschland finden sich vermehrt

Stellenbeschreibungen, die unter der Bezeichnung Supervisor eine „normale

Vorgesetzten und/oder Vorarbeiterfunktionen im mittleren Management“ als Tätigkeit

fassen (vgl. Belardi 1994: 339). Der vermutliche Unterschied zwischen einem

Supervisor bei McDonald’s mit einer weisungsgebenden Tätigkeit und Aufsicht über

ca. 5 Restaurants und einem ausgebildeten Supervisor der „Deutschen Gesellschaft

Page 43: Die Methode der ‚Kollegialen Beratung’: Die Aktivierung ... · Die Methode der ‚Kollegialen Beratung’: Die Aktivierung des Selbstlernens als Reflexion der pädagogischen Praxis

4 Kollegiale Beratung als methodisch angeleitete Lernform 39

340) schwer verstehen, dass viele deutsche Supervisoren keine

Vorgesetzten sind, sondern „größtenteils freiberuflich und

organisationsextern arbeiten sowie sich in ihrem Selbstverständnis stärker

am Rollenmodell von Berater oder Psychotherapeut orientieren“ (ebd.).

Begriffliche Unklarheiten in Form fehlender definitorischer

Allgemeingültigkeit förderten wahrscheinlich auch das Aufkommen von

Bezeichnungen wie beispielsweise ‚Coaching’. Die Bezeichnung

‚Coaching’ erfreut sich wachsender Verwendung – wohl nicht zuletzt um

einer begrifflichen Unterscheidung von Funktionsträgern in

profitorientierten Wirtschaftsbereichen willen. Auch versuchen

ausgebildete SupervisorInnen möglicherweise auf diese Weise

anzunehmenden Abneigungen potentieller Auftraggeber gegenüber

therapeutisch klingender Supervision zu begegnen (vgl. u.a. Buer

2000: 71, v.Schlippe/Schweitzer 2000: 234ff).

4.1.2 Darstellung der Entstehungskontexte Kollegialer Beratung als methodische Variante von Supervision

Bei der Darstellung der Entstehungskontexte Kollegialer Beratung als

methodische Variante von Supervision (siehe Abbildung 4) wird hier mit

GOTTHARDT-LORENZ (2000) davon ausgegangen, „dass es sich lohnt

Supervision als spezifische Methode“ (Gotthardt-Lorenz 2000: 56) zu

betrachten. Methode wird dabei „als begründetes Praxisgestalten“ (ebd.)

verstanden, was dem dieser Arbeit zugrundeliegenden pädagogischen

Methodenverständnis entspricht. Demzufolge kann Supervision als „eine

theorieorientierte Praxisform unter Einbeziehung der Persönlichkeit“

(Pallasch 1996: 20) und i.d.S. als in unterschiedlicher Ausrichtung

betriebenen psychosozialen Form von Beratung verstanden werden.

für Supervision“ (DGSv) verdeutlicht die Vielfalt der begrifflichen

Verwendungsmöglichkeiten.

Page 44: Die Methode der ‚Kollegialen Beratung’: Die Aktivierung ... · Die Methode der ‚Kollegialen Beratung’: Die Aktivierung des Selbstlernens als Reflexion der pädagogischen Praxis

4 Kollegiale Beratung als methodisch angeleitete Lernform 40

Dabei liegt der Methode der Supervision „ein Basiskonzept zugrunde,

wonach die Möglichkeit gesehen wird, Arbeitsprozesse aufgrund von

beruflicher Reflexion – aus der damit gegebenen Distanz heraus und mit

Hilfe der im Supervisionssystem vorhandenen Ressourcen – unter

erweiterten Perspektiven erfassen und einschätzen sowie dann

gestalterisch beeinflussen zu können. Bezogen auf Arbeitsprozesse und

berufliche Tätigkeiten wird die Fähigkeit zur Selbstreflexion als

Kernkompetenz für die kommunikative Abwicklung von Berufstätigkeiten

und Arbeitsfeldern gesehen“ (Gotthardt-Lorenz 2000: 60).

Abbildung 4: Skizzenhafte Darstellung der Entstehungskontexte Kollegialer Supervision als Beratungsform (in Anlehnung an Thiel 1994: 200ff)

Ausgehend von eben diesem Verständnis von Supervision als der Ort

einer besonderen „berufsbezogenen Lernform“ (Thiel 1998: 172) und

„Praxisberatung“ (ebd.) entwickelte sich Kollegiale Supervision als

praktizierte Variante vorwiegend dort, wo diese bereits als flankierende

Maßnahme Anwendung fand. Das zugrundeliegende Menschenbild

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4 Kollegiale Beratung als methodisch angeleitete Lernform 41

orientiert(e) sich dabei an Annahmen konstruktivistischer Theorie und den

„theoretischen Grundlagen des Forschungsprogramms Subjektive

Theorien“ (Schlee 1996: 189).28 Insbesondere im

Ausbildungszusammenhang von SupervisorInnen selbst, bot sich eine

angeleitete Kollegiale Supervision als „weiche Form“ (Thiel 1994: 201) an,

um den Ablauf von Supervision methodisch selbstlernerisch zu

entwickeln.29

ROTERING-STEINBERG untersuchte in ihrer Dissertation und darauf

folgenden Arbeiten mit „Anleitungen zum Selbsttraining für Lehrergruppen“

(u.a. Rotering-Steinberg 1983) eine Kollegiale Supervision zum Zwecke

einer fallbezogenen Aufarbeitung der Praxiserfahrung von LehrerInnen

(vgl. ebd. und 1995, 2001a, 2001b).30 Ebenfalls in diesen

Entwicklungskontext einzuordnen ist – ergänzend aufgrund primär

fallorientierter Arbeit – in Teilen das Konzept einer ‚Kollegialen Beratung

und Supervision (KoBeSu)’ nach SCHLEE (vgl. Schlee 1996: 188ff). Auch

die Arbeit von Medizinern in sogenannten ‚Balint-Gruppen’ nach MICHAEL

BALINT könnte, hinsichtlich einer in der Arbeitsweise enthaltenen

Abgrenzung zu selbsterfahrungsorientierten Supervisionskonzepten, eher

28 „Hierbei geht es um einen Psychologieentwurf, der sich auf ein epistemologisches

Menschenbild als Gegenstand bezieht. Nach diesem „Gegenstands“verständnis

verhalten sich Menschen nicht mechanistisch in einem Reiz-Reaktions-

Zusammenhang, sondern sie handeln als autonome Subjekte, die prinzipiell zur

Rationalität, Reflexivität und Kommunikation befähigt sind.“ (Schlee 1996: 189) 29 „Nach Aussagen von Gräßlin (Fallner/Gräßlin 1990, 93) wurde der Ansatz der

kollegialen Beratung im deutschsprachigen Raum Ende der siebziger Jahre in der

Akademie Remscheid im Rahmen eines Workshops für Kommunikationsberater und

Supervisoren diskutiert und ausprobiert.“ (Thiel 1994: 201, Lit.Verw. ebd.) 30 „Das Modell der Kollegialen Supervision beruht auf „Kollegialität“ als die Verbundenheit

– oder sozialpsychologisch bzw. gruppendynamisch gesprochen die Kohäsion – der

Mitglieder aufgrund einer gleichen Berufzugehörigkeit; außerdem soll das „Kollegiale“

durch die strukturierte Zusammenarbeit sowohl ein konstruktives, verständnisvolles

Miteinander und faires (Zuhör-)Verhalten sowie Leistungsergebnisse zeitigen“.

(Rotering-Steinberg 2001a:385)

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4 Kollegiale Beratung als methodisch angeleitete Lernform 42

einer Kollegialen als professionellen Supervision zugeordnet werden (vgl.

Stucke 1990: 72ff).31

Als dritte Entwicklungssäule führt THIEL die Kollegiale Supervision

innerhalb bzw. von Arbeitsgruppen in Kirchengemeinden und Stadtteilen

an. Diese mehr projektartige Beratung entwickelte sich (beispielsweise im

Burckhardt-Haus in Gelnhausen) vor allem aufgrund mangelnder

finanzieller und personeller Ressourcen zur Implementierung

professioneller Supervisionsmodelle (vgl. Thiel 1994: 202f).

Allen drei in ihrer Ausrichtung unterschiedlichen Entwicklungskontexten

gemeinsam ist ihre Abgrenzung zur professionellen Supervision i.S. einer

durch ausgebildete Supervisoren geregelten und therapieorientierten

Durchführung einer Einzel- oder Team-Supervision. Dabei ging der Praxis

„in der Regel eine Anleitungs- und in manchen Fällen sogar längere

Fortbildungsphase voraus“ (Thiel 1994: 201), die wiederum von zum Teil

ausgebildeten Supervisoren durchgeführt wurde.

Bemerkenswerterweise sind nach THIEL in Folge die „strukturellen

Ähnlichkeiten“ (Thiel 1994: 206) zwischen den beiden Supervisionsformen

„größer als ihre Differenzen“ (ebd.).

THIEL (1994, 1998) würdigt mit dieser Konnotation – wie viele seiner

KollegenInnen – Supervision als einen entscheidenden

Entstehungskontext von Kollegialer Supervision oder Beratung als

methodisch angeleitete Lernform. Das Fehlen eines ausgebildeten

Supervisors in der Umsetzungsphase als deutlichsten Unterschied zur

Abgrenzung anzuführen, impliziert dennoch weiterhin terminologische

Undeutlichkeit für die weiteren Überlegungen, wenn von Kollegialer

31 Speziell das um die Arbeit von dem ungarischen Arzt und Psychoanalytiker MICHAEL

BALINT Ende der 40er Jahre entwickelte „Spiegelungsphänomen“ (vgl. Rappe-

Giesecke 1994: 74) spielt für die in dieser Arbeit anstehende Konzeption einer

Kollegialen Beratungsübung zur Reflexion von Praktikumserfahrung eine

impulsgebende Rolle.

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4 Kollegiale Beratung als methodisch angeleitete Lernform 43

Beratung und/oder Supervision gesprochen wird.32 Eine Möglichkeit

terminologischer Differenzierung liefert u.a. in den Niederlanden

HENDRIKSEN, wenn er in dem Falle nicht von Super- sondern von

Intervision spricht und Kollegiale Beratung als eine begleitete Intervision

bezeichnet (vgl. Hendriksen 2002). Die Unterschiede zwischen Intervision

und Supervision liegen darin, dass die TeilnehmerInnen ohne einen

Supervisor als Gruppenleiter auskommen und eine wechselnde

Gesprächsführung (Rollenverteilung) methodisch vorgesehen ist (vgl.

Hendriksen 2002: 29).

4.2 Kollegiale Beratung als begleitete Intervision

Das Ersetzen von ‚super’ (über) durch ‚inter’ (zwischen) pointiert die

Gleichrangigkeit der TeilnehmerInnen speziell im Hinblick auf deren

Ausbildungsstand (vgl. Huschke-Rhein 1998a: 185). Der Anspruch an

„Beratungsprofessionalität“ tritt dabei terminologisch zugunsten einer rein

reflexionsorientierten Arbeit unter Gleichrangigen in einem horizontalen

Beratungsansatz in den Hintergrund. Intervision meint im Besonderen den

Austausch von Praxiserfahrung nur „zwischen Menschen, die verwandten

oder gleichen Professionen angehören“ (Schmid/Hipp 1999: 10).

Nach SCHMID und HIPP (1999) fokussiert der „Austausch von

Praxiserfahrung [...] mehr das praktische Handeln in der Situation,

während beim Austausch von Professionserfahrungen auch professionelle

Selbstverständnisse, Kontexte, Karrieren usw. in den Blick genommen

werden“ (Schmid/Hipp 1999: 10). Mit der Verwendung des Begriffs

Intervision anstelle von Supervision als „Selbsthilfe für Praktiker“ (ebd.)

tritt auch begrifflich in den Vordergrund, dass „einer vom anderen“

(Hendriksen 2002: 40) lernt.

32 Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Artikels in einem ‚Handbuch der Supervision’

hat es womöglich als wissenschaftlicher Beitrag zur Debatte über die Methode

Kollegialer Beratung beigetragen – wenn dieser sonst nicht ebd. veröffentlicht worden

wäre.

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4 Kollegiale Beratung als methodisch angeleitete Lernform 44

In der so verstandenen intervisionsorientierten Ausrichtung der Lernform

geht es in der Kollegialen Beratung „um die:

• gegenseitige Beratung bei beruflichen Problemen

• in einer Gruppe von Gleichrangigen

• die innerhalb einer gemeinsam festgelegten Struktur

• zielgerichtet

• Lösungen zu finden versuchen

• in einem autonomen, an Erfahrung orientierten Lernprozess“

(Hendriksen 2002: 24)

Ein solchermaßen ausgerichtete horizontale Begegnung der Teilnehmer

basiert auf einem fragmentarischen Ansatz der Lernform, der folgend

spezifiziert wird.

4.3 Der fragmentarische Ansatz der Lernform

„Wir sind die Ruine von gestern und die Baustelle von morgen“

(Bernd Schmid)

Das Lernen am Beispiel als Grundelement eines fragmentarischen

Lernens beginnt bereits im Kindesalter, wenn die Theorie PIAGET’S

hinsichtlich lernpsychologischer Implikationen betrachtet wird.33 Die

Komplexität und Fülle der wahrnehmbaren Informationen erzwingt

geradezu eine Auswahl (Reduktion) und erfordert kognitive

Transferleistungen.

In der Beratungsarbeit von bzw. mit Organisationen und komplexen

Systemen hat sich der fragmentarische Ansatz als Lernform bewährt,

„wenn es gelingt, mit Schlüsselfiguren qualitativ hochwertige

professionelle Situationen zu inszenieren, die für die gewünschte

33 „Die Annahme von Schemata oder Strukturen als hypothetische Konstrukte wäre

überflüssig, wenn sie nicht als anwendbar auf unterschiedliche Gegenstände gedacht

wären.“ (Montada 1998: 556)

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4 Kollegiale Beratung als methodisch angeleitete Lernform 45

Leistungs-, Organisations- und Kulturentwicklung beispielhaft sind“

(Schmid 2002: 15).

Wissenstheoretisch betrachtet handelt es sich dabei um implizites Wissen,

das als Erfahrungswissen eine „Flexibilisierung der Handlungsstrategien“

(Franke 2001: 55) zukünftiger Handlungen unterstützt: „Flexibilität

bedeutet, [...] dass beim Individuum die Verknüpfung der

Handlungsfunktionen zu Handlungsmustern, die operative Differenziertheit

beim Handeln, die Prioritätensetzung bei den Zielen sowie die Gewichtung

der einzelnen Qualitätsmerkmale des Handelns „konditionalisiert“ sind,

d.h. von subjektiven und objektiven Bedingungskonstellationen des

Handelns abhängig gemacht werden“ (ebd.). Die Zuordnung der

Lernerfahrung in den Bereich impliziter Wissenskomponenten, die von den

TeilnehmerInnen nicht explizit verbalisierbar erscheinen, verdeutlicht die

Problematik einer Evaluation derartig personenqualifizierender

Maßnahmen.34

Die sich während der Bearbeitung exemplarischer Beispiele in der

Kollegialen Beratungsarbeit ergebenden hypothetischen Annahmen über

wirklichkeitskonstruierende Zusammenhänge, können sich im individuellen

Lernprozess als geeignet zum Transfer in zukünftige Denk- und

Handlungsoperationen erweisen. Eine andersartige Herangehensweise an

zukünftige vergleichbare Situationen ergibt sich durch einen neuen Blick

auf vergleichbare Situationen oder alleine durch ein Innehalten und

Erinnern an die Kollegiale Beratungssituation. Im Vordergrund steht im

fragmentarischen Ansatz also, dass an implizite Wissenskomponenten

angeknüpft wird, indem Situationen aus der Praxis beispielhaft reflektiert

werden. Die Praxissituation wird in der Kollegialen Beratungsarbeit über

34 Eine Möglichkeit des Zugriffs auf Handlungswissen als Gegenstand einer

Untersuchung findet sich bei Vorwerg (Vorwerg 1991), indem er davon ausgeht, dass

Handlungswissen „in Form von Ziel-Bedingungs-Mittel-Einheiten gespeichert“ (ebd.:

106) ist.

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5 Struktur und Entwicklung einer Kollegialen Beratungsübung 46 zur Reflexion pädagogischer Praxis

diese hinaus betrachtet, indem der Beziehungsebene beispielhaft

Aufmerksamkeit geschenkt wird.

Lernen wird im fragmentarischen Ansatz somit als:

• aktiver und konstruktiver Prozess verstanden, innerhalb dessen

• die Qualität der Bearbeitung einer beispielhaften Situation den Transfer

in zukünftige Denk- und Handlungsoperationen ermöglichen kann.

5 Struktur und Entwicklung einer Kollegialen Beratungsübung zur Reflexion pädagogischer Praxis

Die Vorgehensweise im folgenden Teil der Arbeit muss vor dem

Hintergrund der bereits dargestellten Entwicklungskontexte und den

theoretischen Implikationen der Lernform gesehen werden.

Für Teilnehmerinnen und Teilnehmer steht im Folgenden die Abkürzung

‚TN’. Bei der Bezeichnung weiterer Akteure wurde zur Vereinfachung

weitestgehend die männliche Form gewählt, ohne dass die damit

unerwähnt bleibende weibliche Form nicht gewürdigt würde.

Den Beginn der Entwicklung einer Kollegialen Beratungsübung zur

Reflexion pädagogischer Praxis bildet eine Darstellung der Struktur von

drei je nach Autor unterschiedlich empfohlenen Modellen des Ablaufs

einer Kollegialen Beratung. Aus diesen werden idealtypische Phasen einer

Kollegialen Beratung exploriert, die das weitere Vorgehen bestimmen und

eine Analyse einer durchgeführten Kollegialen Beratungsübung anhand

beobachtbarer Kriterien ermöglichen. Jede Phase kann dabei als

ablaufender Teilprozess verstanden werden, die im Zusammenspiel den

Kollegialen Beratungsprozess ausmachen.

Die methodische Ausgestaltung der einzelnen Phasen (im Ergebnis hier

als ‚Setting’ bezeichnet) im Kollegialen Beratungsprozess in praxi muss im

Zusammenhang mit der Zielsetzung der Durchführung und dem

Erfahrungsstand der TN mit der Methode der Kollegialen Beratung

Page 51: Die Methode der ‚Kollegialen Beratung’: Die Aktivierung ... · Die Methode der ‚Kollegialen Beratung’: Die Aktivierung des Selbstlernens als Reflexion der pädagogischen Praxis

5 Struktur und Entwicklung einer Kollegialen Beratungsübung 47 zur Reflexion pädagogischer Praxis

kontextabhängig entschieden werden. Ziel der in dieser Arbeit zu

entwickelnden Kollegialen Beratungsübung ist explizit die Aufarbeitung

von Praxiserfahrung unter Studierenden der Erziehungswissenschaft im

Hauptstudium. Der Fokus vorliegender Überlegungen liegt dabei auf dem

Ziel einer Wirklichkeitsdekonstruktion einer Erfahrungsschilderung durch

die beteiligten Akteure. Diese wird über eine Wirklichkeitskonstruktion und

–rekonstruktion der Erzählung als kollegiale Leistung im

Beratungsprozess versucht zu erwirken, was die praktische

Vorgehensweise in den Phasen des kollegialen Beratungsprozesses

steuert:

• Der Gebrauch der Theatermetapher (Schmid/Wengel 2001).

• Eine systemisch-dialogische Kommunikation durch ein inszeniertes

dialogisches Wechselspiel.

Insofern und in Anlehnung an vorangestellte Überlegungen kann von

einer methodisch angeleiteten Aktivierung des Selbstlernens zur

Reflexion pädagogischer Praxis gesprochen werden, wenn die Praktika

der TeilnehmerInnen im Kontext erziehungswissenschaftlich relevanter

Arbeitsfelder stattgefunden haben und die Umsetzung methodisch

angeregter Veränderungsimpulse allein bei den TeilnehmerInnen liegt.

5.1 Zur Struktur einer Kollegialen Beratungsübung

Die schon im Kontext Kollegialer Beratung zitierten AutorenInnen liefern in

der angegebenen Literatur zahlreiche Hinweise bezogen auf den Ablauf

und die Phasen einer Kollegialen Supervision bzw. (Praxis)Beratung – je

nach erfolgter terminologischer Festlegung.35 Die Grundlage einer zu

konzipierenden Kollegialen Beratungsübung zur Reflexion pädagogischer 35 vgl. u.a.: „Strukturmodell Systemische Supervision“ bei Huschke-Rhein 1998a: 187ff,

„Lehrersupervision“ bei Petermann 1995: 18f, „Kollegiale Supervision“ bei Rotering-

Steinberg 1983: 109ff u. 2001a: 385f u. 2001b: 442, „Kollegiale Supervision“ bei Thiel

1998: 198f, „Methodenkoffer Kollegiale Beratung“ in Qs Nr.28: 66ff, „Kollegiale

Beratung und Supervision (KoBeSu)“ bei Schlee 1996: 195, in Teilen „KOPING“ nach

Wahl (1991) bei Huber 2001: 420ff (Zusammenfassung) und Wahl 1991: 195ff.

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5 Struktur und Entwicklung einer Kollegialen Beratungsübung 48 zur Reflexion pädagogischer Praxis

Praxis liefert die dargestellte Übersicht des Ablaufs verschiedener

Kollegialer Beratungsmodelle (Tabelle 1). Im Vergleich mit anderen

Quellen (s.o.) liefern Hendriksen (2002: 100, 136), Rotering-Steinberg

(1995: 56f) und Thiel (1994: 209) ebenda, Angaben über die Rollen und

den Ablauf inkl. zeitlicher Angaben einer Kollegialen Supervision bzw.

(Praxis)Beratung.

5.1.1 Darstellung des Ablaufs verschiedener Kollegialer Beratungsmodelle

Es handelt sich in den angebotenen Ablaufschemata (siehe Tabelle 1) um

Vorschläge, die als „Gerüst“ (Rotering-Steinberg 1995: 56) verstanden

werden, die den „Einstieg“ (ebd.) in die Arbeit erleichtern sollen. In diesem

Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass eine Arbeit mit mehr als

acht beteiligten Personen hinsichtlich gruppendynamischer Überlegungen

wenig sinnvoll erscheint (vgl. Haug-Benien 1998: 11).

Außer einem Moderator/Begleiter und einem Berichtenden/

Falleinbringer/Problemsteller (im Folgenden als „Fallgeber“ bezeichnet)

braucht die Übung mindestens zwei Teilnehmer, die gemeinsam als

beratende Kollegengruppe (im Folgenden auch als „Kollegiale Berater“

bezeichnet) auftreten. Nach Verteilung der Rollen schildert der Fallgeber

(s)ein Problem und erläutert seine Klärungsabsichten.

Im darauffolgenden Schritt haben die Kollegialen Berater die Möglichkeit,

unklar gebliebene Zusammenhänge durch Nachfragen an den Fallgeber

näher zu beleuchten. Dieser Teil dient in allen Modellen der

Informationsgewinnung und nicht einer Lösungssuche.

Im nächsten Schritt tauscht die beratende Kollegengruppe ihre

Einschätzungen über die geschilderte Situation aus und entwickelt

konkrete Lösungsvorschläge. Danach bewertet der Fallgeber die

vorgebrachten Ideen. In einer daran anschließenden offenen Runde

haben dieser und die Kollegialen Berater die Möglichkeit zur Diskussion

und Reflexion des Beratungsprozesses. Unterschiede in den empfohlenen

Page 53: Die Methode der ‚Kollegialen Beratung’: Die Aktivierung ... · Die Methode der ‚Kollegialen Beratung’: Die Aktivierung des Selbstlernens als Reflexion der pädagogischen Praxis

Quelle Begleitete Intervision

„Die Ereignismethode“ (Hendriksen 2002: 100, 136)

„Leitfaden zur Kollegialen Supervision“ (Rotering-Steinberg 1995: 56f)

„Leitfaden für die Kollegiale Supervision (Fallarbeit)”

(Thiel 1994: 209)

Phasen des Kollegialen

Beratungsprozesses

Rollen - Begleiter - Problemsteller - (beratende) Gruppe

- Moderator - Berichtender - (beratende) Kollegengruppe

- Zeitwächter/Moderator - Falleinbringer - (beratende) KollegInnen

Vorbereitung

(1) 20 Min.: Bestandsaufnahme und Auswahl der Problemsituation

(2) 2 Min.: Erläuterung des ausgewählten Problems

(1) 5-10 Min.: Darstellung des externen Problem(partners) und Fragen, Wünsche, Gefühle, Klärungsabsichten der/des Berichtenden

(1) 10 Min.: Problembeschreibung

(2) 10 Min.: Schilderung einer konkreten Situation

Problemschilderung

(3) 5 Min.: ungeklärte Fragen aufschreiben

(4) 15 Min.: Informationsrunde

(5) 10 Min.: Situationsanalyse

(2) 2-3 Min.: Nachfragen der Kollegengruppe zur Problemskizze

(3) 5 Min.: Nachfragen der KollegInnen zur skizzierten Gesamtsituation

Befragung

(6) 15 Min.: Beratungsrunde Einschätzungen der Gruppe

(3) ca. 5 Min.: Situationsanalyse, Hypothesenbildung

(4) 10 Min.: Problemanalyse Bilder und Assoziationen, Hypothesen über mögliche Zusammenhänge

Problemanalyse

(7) 5 Min.: Aktionsplan

(4) 5-10 Min.: Beschreibung und Begründung der bereits realisierten od. beabsichtigten Handlungen

(5) 10 Min.: Lösungsvorschläge (erst brainstorming dann kommentieren)

(8) 10 Min.: Abschließende Diskussion

(5) 5-10 Min.: Kollegialer Erfahrungsaustausch Formulierung von Handlungsalternativen

(6) 5 Min.: Entscheidung für einen Weg aus (5)

Lösungsarbeit und

Lösungsfeedback

Ablauf

(9) 10 Min.: Auswertung Zusammenfassung, Lernerfolge

(6) ca. 5 Min.: Rückmeldungen der/des Berichtenden und der Gruppe

(7) 10 Min.: Ähnliche Erfahrungen der anderen KollegInnen und Rückmeldung des Falleinbringers

Offener Austausch und

Prozessreflexion

Dauer ca. 90 Min. Ca. 45 Min. ca. 60 Min.

Tabelle 1: Übersicht des Ablaufs verschiedener Kollegialer Beratungsmodelle

Page 54: Die Methode der ‚Kollegialen Beratung’: Die Aktivierung ... · Die Methode der ‚Kollegialen Beratung’: Die Aktivierung des Selbstlernens als Reflexion der pädagogischen Praxis

5 Struktur und Entwicklung einer Kollegialen Beratungsübung 50 zur Reflexion pädagogischer Praxis

Abläufen zeigen sich bei erster Betrachtung in terminologischen

Akzentuierungen wie z.B. der Rollenbezeichnungen der Akteure (vgl.

Tabelle1). Während HENDRIKSEN von einem „Begleiter“ (ebd.) spricht,

bezeichnen ROTERING-STEINBERG und THIEL diesen als „Moderator“ (ebd.)

– eine andersartige Funktion ist nicht erkennbar: in beiden Fällen

unterstützt dieser eine Strukturierung der Gespräche in der Anfangs- und

Schlussphase und achtet auf die Rollen- und Zeiteinhaltung während der

Kollegialen Beratung.36

Trotz solch unterschiedlicher Bezeichnungen bzw. möglicherweise

Gewichtungen der Rolle des Moderators oder Begleiters und Reihenfolge

der einzelnen Schritte der Übungen, zeigen sich gemeinsame Phasen im

Ablauf (siehe Tabelle 1), die hier als idealtypische Teilprozesse im

Kollegialen Beratungsprozess positioniert werden.

5.1.2 Idealtypische Phasen im Kollegialen Beratungsprozess

Die folgende Beschreibung der Phasen im Kollegialen Beratungsprozess

gilt als Versuch, die Grundstruktur der idealtypisch ablaufenden

Teilprozesse hinsichtlich unterschiedlicher Aktivität der einzelnen Akteure

und inhaltlicher Zielsetzung zu fassen (siehe Tabelle 2). Dabei werden

relevante methodische Hinweise zur praktischen Vorgehensweise in den

einzelnen Phasen erwähnt. Auf die praktische Gestaltung wird im weiteren

Verlauf noch näher eingegangen.

36 Rotering-Steinberg weist in dem Zusammenhang darauf hin, dass bei einer

„expertInnengeleiteten Supervision“ die zeitliche Vorgabe von maximal 45 Minuten

„fast immer eingehalten werden“, gleichwohl berichtet sie, dass Kleingruppen

„erfahrungsgemäß einige Übungsphasen“ benötigen, „um mit solcher Effizienz und

Stringenz problemorientiert, befriedigend zusammenarbeiten können.“ (Rotering-

Steinberg 1995: 57) Diese Feststellung kann aus eigener Sicht als Hinweis darauf

interpretiert werden, dass der erfolgreiche Einsatz einer Kollegialen Beratung (wenn

auch langfristig) mehr über die Methode selbst als über eine professionelle Anleitung

durch beispielsweise einen ausgebildeten Supervisor erreicht wird.

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5 Struktur und Entwicklung einer Kollegialen Beratungsübung 51 zur Reflexion pädagogischer Praxis

Den Beginn einer Kollegialen Beratung prägt neben der Rollenverteilung

unbedingt auch eine Verständigung über deren Ablauf. D.h. hier ist der

Platz für zu treffende Vereinbarungen in Bezug auf das weitere Vorgehen

im Kollegialen Beratungsprozess und bezüglich besonderer Anliegen bzw.

Ergänzungen. An dieser ersten Phase eine Kollegialen Beratung, die hier als

Vorbereitung bezeichnet wird, sind alle TN aktiv beteiligt. Die im Umgang

mit einer Kollegialen Beratung bereits geübten TN beginnen den

Kollegialen Beratungsprozess mit der Bestimmung eines Moderators. Im

Wesentlichen hängt die Besetzung und Ausgestaltung dieser Rolle vom

Übungsstand der Akteure ab. So steht der Moderator gegebenenfalls

schon vorher in Form einer die Übung anleitenden Person fest, zumal

wenn es sich um ein angeleitetes Setting mit weitestgehend ungeübten

TN handelt. Ein Wechseln der Rollen ist dabei vorgesehen. „Das

Freiburger (CH) Supervisionsmodell für Gruppen und Teams“ (Spiess

1996: 246f) empfiehlt zu Beginn einer Sitzung den „Gebrauch von

Metaphern“, „Entspannungsinduktion“ und/oder eine „Trance-Induktion“,

um ein „Bewusstsein und eine Stimmung“ (die folgend auch als innere

Haltung bezeichnet wird) bei den TN zu erzeugen, „welche die unmittelbar

folgenden sowie später instigierten Prozesse“ (ebd.) begünstigen.

Die den Verlauf einer Kollegialen Beratung betont aufmerksame,

zurückhaltende und wertschätzende innere Haltung der TN kann in der

Vorbereitungsphase beispielsweise mit einer Art angeleiteten

Phantasiereise unter Verwendung der Theatermetapher nach SCHMID UND

WENGEL angeregt werden (vgl. Schmidt/Wengel 2001). Zusätzlich kann

der Einstieg über eine metaphorische Trance-Induktion die TN bei ihrer

individuellen Entscheidung für oder gegen eine schilderungswürdige

Situation unterstützen. An dieser Stelle sei noch einmal betont, dass es im

Kontext exemplarischen Lernens im fragmentarischen Lernansatz weniger

um die Auswahl „der richtigen“, als um die einer „passenden“ Situation

geht.

Die Vorbereitungsphase endet mit der Auswahl eines Fallgebers, womit

den anderen TN entsprechend die Rolle der Kollegialen Berater zufällt.

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5 Struktur und Entwicklung einer Kollegialen Beratungsübung 52 zur Reflexion pädagogischer Praxis

In der darauffolgenden Phase der Problemschilderung beschreibt der

Fallgeber (s)ein Problem, indem er eine dafür stehende konkrete Situation

auswählt. Die Kollegialen Berater hören ohne zu unterbrechen

aufmerksam zu. Der Moderator achtet in dieser und den folgenden

Phasen auf die Zeiteinhaltung und weist – falls notwendig und vereinbart –

auch auf die Einhaltung der Rollen hin. Je nach Ziel und Design der

Übung unterstützt er zusätzlich den Fallgeber durch Fragen bei der

Darstellung und Auswahl einer passenden Situation.

Nachdem eine Situation ausgewählt und dargestellt wurde und der

Fallgeber (s)ein damit verbundenes Anliegen spezifiziert hat, haben die

Kollegialen Berater die Möglichkeit, dem Fallgeber Fragen zur weiteren

Informationsgewinnung zu stellen. Während dieser Befragung des

Fallgebers durch die Kollegialen Berater steht eine Klärung der sachlichen

Zusammenhänge im Vordergrund und keineswegs eine nach

Lösungswegen suchende Gesprächsführung.37

Eventuell mit Hilfe des Moderators findet durch Nachfragen eine

Strukturierung des Gehörten statt, bei der die „Kontexte“ (Huschke-Rhein

1998a: 188) und „Systemebenen“ (ebd.) der geschilderten Situation „an

Deutlichkeit gewinnen“ (ebd.) sollen. Es interessiert nicht wie die

Wirklichkeit konstruiert wurde, sondern wie sie sich aus Sicht des

Fallgebers darstellt. Diese mehr sachlich gehaltenen Informationen

werden erst in der darauffolgenden Phase der Problemanalyse „im

Hinblick auf zugrundeliegende Deutungs- und Handlungsmuster zu

reduzieren“ versucht (Thiel 1994: 208).

Nach Thiel geschieht diese Reflexionsarbeit in der Phase der

Problemanalyse „auf zwei ‚Kanälen’: durch bildhafte Vorstellung bzw.

intuitive Assoziationen und durch verbal ausformulierte Hypothesen bzw.

37 Rotering-Steinberg beschreibt diese Phase der Befragung wie folgt: „Sachliche

Nachfragen der KollegInnengruppe zur Problemskizze (d.h. keine Interpretationen oder

Phantasien zur Darstellung und keine „voreiligen Lösungsvorschläge“).“ (Rotering-

Steinberg 2001: 385)

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5 Struktur und Entwicklung einer Kollegialen Beratungsübung 53 zur Reflexion pädagogischer Praxis

Tabelle 2: Die Phasen des Kollegialen Beratungsprozesses: aktive Rollen und Inhalte

Rollen Phasen Moderator Fallgeber Kollegiale

Berater Inhalt

Vorbereitung aktiv aktiv aktiv

• Ein Moderator wird bestimmt * • Der Ablauf der Übung wird

besprochen, Ergänzungen und Vereinbarungen ggf. getroffen

• Weitere Rollenverteilung: Ein Fallgeber wird ausgewählt, die übrigen TN sind die Kollegialen Berater

* je nach Übungsstand steht dieser schon fest

Problemschilderung unterstützend aktiv passiv aufmerksam

• Der Fallgeber schildert (s)ein Problem und liefert eine beispielhafte Situation

• Die Kollegialen Berater hören ohne zu unterbrechen aufmerksam zu

• Der Moderator achtet in dieser und den folgenden Phasen auf die Zeitein-haltung und weist ggf. darauf und auf die Einhaltung der Rollen hin

Befragung unterstützend aktiv aktiv

• Die Kollegialen Berater können sachliche Fragen zur Informationsgewinnung stellen

• Der Moderator unterstützt zusätzlich ggf. bei der Strukturierung des Falles

• Der Fallgeber versucht die gestellten Fragen zu beantworten

Problemanalyse unterstützend passiv aufmerksam aktiv

• Die Kollegialen Berater sammeln ihre Eindrücke und Assoziationen. Dabei werden keine Lösungsvorschläge diskutiert sondern Hypothesen und Erklärungsansätze formuliert

• Der Fallgeber hört ohne zu unterbrechen aufmerksam zu

Lösungsarbeit unterstützend passiv aufmerksam aktiv

• Die Kollegialen Berater entwickeln Lösungsvorschläge in hypothetischer Form und nehmen dabei durchaus Bezug auf eigene Erfahrungen

• Der Fallgeber hört wie zuvor ohne zu unterbrechen aufmerksam zu

Lösungsfeedback unterstützend aktiv passiv aufmerksam

• Der Fallgeber nimmt Stellung zu dem Gehörten und gibt der Beratungsgruppe Feedback, für welchen Lösungsvorschlag er sich (ggf. eher) entscheidet

• Die Kollegialen Berater hören ohne zu unterbrechen aufmerksam zu

Offener Austausch unterstützend aktiv aktiv

• Die Kollegialen Berater und der Fallgeber tauschen sich in einer offenen Runde über die Lösungswege und eigene ähnliche Erfahrungen aus

• Der Moderator unterstützt zusätzlich ggf. bei der Strukturierung

Prozessreflexion aktiv aktiv aktiv

• Die Kollegialen Berater und der Fallgeber berichten über ihr Erleben in den Phasen des Kollegialen Beratungsprozesses und

• geben dem Moderator Feedback, der ebenfalls kurz seine Eindrücke schildern kann

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5 Struktur und Entwicklung einer Kollegialen Beratungsübung 54 zur Reflexion pädagogischer Praxis

Vermutungen im Hinblick auf intrapsychische, interaktionelle und/oder

institutionsbezogene Gesetzmäßigkeiten in der Falldarstellung“ (Thiel

1994: 208). Die immanente Bedeutung beschreibt eine Leistung im

Kollegialen Beratungsprozess, die allein im kollegialen Austausch in Form

von Re- und Dekonstruktion von Wirklichkeit erbracht wird, worauf noch

näher eingegangen wird (siehe Kapitel 5.2.1 i.d.A.). Zur Steuerung dieses

Prozesses und einer möglichen Neigung in konkurrierende

Diskussionsstile zu verfallen, bietet es sich im praktischen Vorgehen an,

eine dialogische Struktur des Ablaufs vorzugeben bzw. zu vereinbaren. Im

Falle der in dieser Arbeit zu entwickelnden intervisionsorientierten

Kollegialen Beratungsübung orientiert sich die vorgegebene Dialogstruktur

an der Idee des ‚reflecting teams’ nach TOM ANDERSEN (1996). Ebenfalls

möglich ist der Einsatz von Systemaufstellungen (vgl. die Arbeit mit

Skulpturen BERT HELLINGERS in: v.Schlippe/Schweitzer 2000: 42ff) oder

Rollenspielen zur Verdeutlichung von Situationskontexten. Bei dem

Einsatz von Rollespielen gelten die Arbeiten von Moreno zum

Psychodrama als maßgebende Methode im Supervisionskontext (vgl.:

Schreyöog 1992: 332-382).38

In der darauffolgenden Lösungsarbeit gilt es dann, geeignete

Lösungsvorschläge in wiederum hypothetischer Form zu entwickeln.

Dabei nehmen die Kollegialen Berater bewusst und/oder intuitiv auch

Bezug auf eigene Erfahrungen um vorstellbare Szenarien formulieren zu

können. Es geht nicht darum nach „richtig“ oder „falsch“ zu sondieren,

sondern darum, sich passende oder mögliche Verläufe vorzustellen.39

38 Zu beachten ist hier die „Gefahr, daß Mitspieler ihre eigenen Projektionen oder

Intentionen in das Spiel hineintragen“ (Schreyöog 1992: 382) und damit

psychotherapeutisch relevante Problemkontexte an die Oberfläche kommen könnten.

Bei weitestgehend ungeübten TN in einem expertenungeleiteten Setting einer

Kollegialen Beratung empfiehlt sich der Einsatz psychodramatischer

Methodenelemente nur dann, wenn die möglichen Folgen bekannt und mindestens ein

TN Erfahrung im Umgang mit der Methode hat. 39 „In den letzten Phasen achtet der Moderator besonders auf die Einhaltung der Regeln

in der Gruppe: keine Abwertungen der Vorschläge, Diskussionen über bessere oder

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5 Struktur und Entwicklung einer Kollegialen Beratungsübung 55 zur Reflexion pädagogischer Praxis

Nach der Lösungssuche nimmt der Fallgeber in der Phase des

Lösungsfeedbacks Stellung zu dem Gehörten und gibt der kollegialen

Beratungsgruppe auch ein Feedback, für welches Lösungsszenario er

sich entscheidet oder entscheiden würde („Welches Lösungsangebot halte

ich ehesten für umsetzbar?“ „Was ist mir aus euren Erzählungen

deutlicher geworden, als es mir vorher klar war?“). Die Kollegialen Berater

hören dem Fallgeber ohne zu unterbrechen aufmerksam zu.

Erst in einer sich daran anschließenden Phase kommt es zum offenen Austausch zwischen den Kollegialen Beratern und dem Fallgeber. Hier

findet sich Gelegenheit, die Lösungswege gemeinsam zu betrachten und

ähnliche oder durch den Beratungsprozess „wachgerufene“ Erfahrungen

einzubringen. Diese „Umkehrphase“ (Spiess 1996: 251) räumt allen TN

die Möglichkeit ein, „einen Transfer zu ähnlichen eigenen Situationen und

Erfahrungen herzustellen“ (ebd.) und verstärkt damit die Idee des

Selbstlernens im Kollegialen Beratungsprozess. Gegebenenfalls

unterstützt der Moderator bei der Strukturierung des Dialogs mit dem Ziel,

dass sich diese Phase nicht zu einer erneuten Lösungsarbeit

verselbständigt.

In der anschließend letzten Phase haben alle TN die Möglichkeit, ihre

Eindrücke auf den Prozess bezogen zu verbalisieren. Es geht in dieser

Phase nicht um Bewertungen von Inhalten, sondern um Eindrücke den

Ablauf und die Rollen betreffend. Diese Prozessreflexion schließt den

Kollegialen Beratungsprozess mit einem Feedback auch an den

Moderator ab.

schlechtere Vorschläge im Keim ersticken. Denn die Entscheidung darüber muß die

Ratsuchende ja schließlich selber treffen.“ (Huschke-Rhein 1998a: 190)

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5 Struktur und Entwicklung einer Kollegialen Beratungsübung 56 zur Reflexion pädagogischer Praxis

5.2 Die Anleitung einer systemisch-dialogorientierten Kommunikation im Kollegialen Beratungsprozess: (Re)Konstruktion und Dekonstruktion einer Erzählung

„Es könnte auch noch anders sein! Wir sind die Enttarner unserer Wirklichkeit!“

(Reich 2002: 121)

In dem angestrebten Kollegialen Beratungsprozess soll es nicht darum

gehen zu (er)klären, was „richtig“ oder „falsch“ an der Darstellung sein

könnte – das Ziel der Kollegialen Beratungsübung wird es sein,

Zusammenhänge und damit Inhalte über die Beziehungsebene klärend in

den Blick zu nehmen. Aus diesem Grund bilden die im ersten Teil der

Arbeit mit einem systemisch-konstruktivistischen Ansatz nach REICH

(2002) dargestellten Beobachtungsperspektiven und das „Dialog-Modell“

(Abbildung 2) nach SCHMID (Schmid 2001:13) die theoretische

Ausgangslage einer systemisch-dialogorientierten Kommunikation, wie sie

hier über eine Kollegiale Beratungsübung angeleitet werden soll.

Eine Klärung der Wirklichkeitszusammenhänge einer als Erzählung eines

Beobachters zu Beginn gelieferten Situation, wird in der Übung über die

Betrachtung unterschiedlicher Systemebenen und deren

Wechselwirkungen versucht. Die narrative Form und die systemische

Betrachtungsweise findet in den Phasen des Kollegialen

Beratungsprozesses dann in einem „»Dreiklang« von Erfinden, Entdecken

und Enttarnen“ (Reich 2002: 121) statt:

Konstruktion oder „Erfinden“ (ebd.) findet statt, wenn die Wirklichkeit einer

Situation durch den Fallgeber konstruiert wird, indem er sie erzählt.

Rekonstruktion oder „Entdecken“ (ebd.) findet statt, wenn der bereits

bestehenden Konstruktion (der geschilderte Fall als Erzählung)

nachgegangen wird.

Dekonstruktion oder „Enttarnen“ (ebd.) findet statt, wenn die Erzählung

durch Verfremdung und Neugestaltung verändert wird.

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5 Struktur und Entwicklung einer Kollegialen Beratungsübung 57 zur Reflexion pädagogischer Praxis

Die drei Möglichkeiten, eine Erzählung im Beratungsprozess zu

betrachten, fügen sich dabei zirkulär, d.h. aufeinander aufbauend und

beziehend, aneinander (vgl. Reich 2002: 118ff).

Die Beratung dient damit weniger dem Ziel einer strategischen

Lösungssuche für ein Problem, als einer Reflexionsarbeit durch eine

ständige Konstruktion und Rekonstruktion der Erzählung mit dem Ziel

einer passenden Dekonstruktion. Methodisch wird ein solches Vorgehen

über die Inszenierung dialogischer Wechselspiele in der Kommunikation

angeleitet. Deren Bedeutung wird noch erläutert und die praktische

Ausgestaltung mit dem Design einer ‚Kollegialen Beratungsübung zur

Aufarbeitung von Praktikumserfahrung’ vorgestellt (siehe Kapitel 5.3

i.d.A.).

Das gemeinsame Reflektieren einer Praktikumserfahrungen auf dem

Wege ständiger Konstruktion und Rekonstruktion – beides mit dem Ziel

eine neue Version der Erfahrungsschilderung zu liefern – wird zuvor als

kollegiale Leistung im Beratungsprozess besonders hervorgehoben. Das

Erbringen dieser Leistung wird durch eine kollegiale Begegnung im

horizontalen Beratungsansatz erleichtert.

5.2.1 Wirklichkeits(re)konstruktion und –dekonstruktion als ‚kollegiale Leistung’ im Beratungsprozess

Um von Konstruktion, Rekonstruktion und Dekonstruktion von Wirklichkeit

im Kollegialen Beratungsprozess sprechen zu können, sei an die

biologisch bedingte Ausgangslage konstruktivistisch geleiteter

Überlegungen erinnert. Demnach konstruiert der Mensch Wirklichkeit als

erkennendes Subjekt aus der Perspektive eines Beobachters (vgl. Kapitel

3.1 i.d.A.).

Im Sinne der notwendigen Komplexitätsreduktion und Ordnung der zur

Auswahl stehenden Informationen, etablieren sich dabei passende

Strukturen oder Stile der Wahrnehmung, die bereits als Wirklichkeitsstile

bezeichnet und dargestellt wurden (vgl. Kapitel 3.2.3.3 i.d.A.). Wenn THIEL

(1994) von intrapsychischen, interaktionellen und/oder

institutionsbezogenen „Gesetzmäßigkeiten in der Falldarstellung“ (Thiel

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5 Struktur und Entwicklung einer Kollegialen Beratungsübung 58 zur Reflexion pädagogischer Praxis

1994: 208) spricht, liefert er einen Hinweis auf die Notwendigkeit eines

systemischen Verständnisses bei der Betrachtung von

Wirklichkeitsausschnitten, die als Erzählung eingebracht werden.

Wirklichkeits(re)konstruktion, und –dekonstruktion hier als eine kollegiale

Leistung der Beratungsübung im Beratungsprozess zu positionieren,

basiert darauf, dass:

1. eine Leistung der Kollegialen Beratung darin besteht, eine erlebte

Situation bereits als bio-psycho-sozial bedingte Konstruktion von

Wirklichkeit bewusst-methodisch („Ich will eine andere Meinung

dazu hören, weil ich wissen will, wo ich falsch liege...“) oder

unbewusst-intuitiv („Mich interessiert wie die anderen das

sehen...“) zu identifizieren, wenn sie als Fall in die Kollegiale

Beratung eingebracht wird. Der Fallgeber nimmt sich als

Beobachter wahr.

2. ein in der Phase der Befragung beginnendes Bemühen der TN, die

Erzählung nach impliziten Zusammenhängen zu hinterfragen, als

methodisch inszenierte Reflexion auf eine zurückliegende Situation

interpretiert wird. Dabei stellen die Kollegialen Berater Fragen, um

die gelieferten Informationen aus ihren subjektiven Blickwinkeln zu

beleuchten, die sie aus intuitiv vorhandenen Annahmen über eine

mögliche Antwort entwickeln („Mich interessiert, warum du das so

siehst, weil ich der Meinung bin, dass...“).

3. die Verbalisierung von anderen passenden Versionen der als Fall

eingebrachten Wirklichkeitskonstruktion (‚reframing’) zugleich ein

Ziel darstellt. Ab der Phase der Problemanalyse wird weniger den

gelieferten Informationen aus der Falldarstellung, als den

subjektiven Bedeutungszuweisungen Aufmerksamkeit geschenkt.

Die Kollegialen Berater sollen passende (viable) „neue“ Versionen

der Wirklichkeitszusammenhänge konstruieren.

Dekonstruktion als Prozess begleitet uns bewusst oder unbewusst

ständig und wird hier deshalb auch als antreibendendes Motiv von

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5 Struktur und Entwicklung einer Kollegialen Beratungsübung 59 zur Reflexion pädagogischer Praxis

Denkprozessen verstanden. Diese Annahme wird durch die

Vermutung u.a. von SIEBERT (2000) gestützt, dass Erwachsene oft

unzufrieden mit ihren Deutungen von Wirklichkeit sind. Diesen

Mißmut zu äußern und mit anderen Interpretationen zu

vergleichen, scheint vielen Erwachsenen ein Bedürfnis (vgl. Siebert

2000: 109).40 Natürlich muss das auch als Form einer Leistung der

Kollegialen Beratungsmethode bewertet werden, wenn eine

ebensolche Neigung als Ressource eingesetzt wird.

Eine mehrperspektivische Betrachtung der Erzählung wird erleichtert, da

sich die TN in einem horizontalen Beratungsansatz kollegial begegnen.

5.2.2 Die kollegiale Begegnung im horizontalen Beratungsansatz

Eine auf einer gemeinsamen Lernerfahrung beruhende Lernform wird in

der verwendeten Literatur auch als ‚kooperatives Lernen’ bezeichnet (vgl.

Konrad/Traub 2001, Mutzeck 1996). In dieser Arbeit wird in Bezug auf die

Fragestellung gleichbedeutend der Begriff ‚kollegial’ bevorzugt, um den

Kontext gemeinsamer beruflicher Wirkungsfelder, d.h. der professionellen

Lebenswelt der Akteure, besonders hervorzuheben. Eine Abgrenzung zu

reinen Selbsterfahrungsgruppen zeigt sich dabei an der ständigen

Bezugnahme auf praxisrelevante Inhalte, die in Beziehung zueinander

gesetzt und betrachtet werden sollen (vgl. Rotering-Steinberg 2001a:

382).

40 Der Mediziner und Professor für Neurophysiologie und Neurochirurgische

Rehabilitation an der Universität Bonn Detlef Linke beschreibt dieses Phänomen so:

„In unseren Kulturen meinen viele, auf die Ich-Grenzen acht haben zu müssen, obwohl

dieses Konzept auf einer territorialen Metapher beruht, die bei den in das Geistige

reichenden Interessen gar nicht zur wirklichen Anwendung kommen kann. Haben sie

dann dennoch das Gefühl, die Abgrenzungswand sicher um sich aufgerichtet zu

haben, werden sie von dem Bewusstsein der Enge überfallen und möchten nichts

lieber, als Objektgrenzen einzureißen.“ (Linke 2000: 75)

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5 Struktur und Entwicklung einer Kollegialen Beratungsübung 60 zur Reflexion pädagogischer Praxis

Systemisch betrachtet treffen in der professionellen Supervision

(Ratsuchender trifft als Klient auf Berater) mindestens zwei

unterschiedliche Herangehensweisen der Betrachtung eines Problems

aufeinander, bei der „das Beratersystem ein häufig auch relativ

festgefügtes Wirklichkeitsverständnis mit dem des Klientensystems

kontrastiert und dadurch etwas Neues hervorgebracht werden kann“

(Schmid 1989: 51). Die kollegiale Begegnung im horizontalen

Beratungsansatz meint hier, dass sich die TN in einer Haltung begegnen,

bei der keiner der beteiligten Akteure Wirklichkeitsverständnisse einer

anderen Person vertikal „von einer Meta-Ebene (...) zu steuern versucht“

(ebd.: 52). Die Studierenden im Hauptstudium, die sich in der Kollegialen

Beratungsübung zusammenfinden, sollen sich mit ihren Erzählungen nicht

mit dem Vorhaben begegnen, diese nach implizierten Mustern zu

durchsuchen. Das Imaginäre soll nicht aufgedeckt, sondern selbsttätig

entdeckt werden. Die TN befinden sich mit ihren imaginär bedingten

Konstruktionen des Symbolischen als „Gesamt von Bedeutungen“ (Reich

2002: 76) auf einer Ebene. Eine hierarchische Ordnung ist nicht

vorgesehen – vielmehr ein gemeinsames Betrachten der Erzählung, bei

dem „einer vom anderen lernt“ (Hendriksen 2002: 40).41

Die gemeinsame Betrachtung der als ungeklärt wahrgenommenen

Wirklichkeitskonstruktion wird ermöglicht, indem sich aus einem

möglicherweise festgefügten „Wirklichkeitsverständnis“ (s.o.) eines

Beobachters unterschiedliche Versionen über andersartige

Verknüpfungen der Inhalte (Beziehungsebene) in einem dafür

konstruierten Raum ergeben. Die neuen Perspektiven auf ein

geschildertes Problem sollen von den TN in der Kollegialen

Beratungsübung durch das „strukturierte Betrachten eines Problems aus

41 vgl. ROTERING-STEINBERG: „Das Wissen um die sozial-kognitive Lerntheorie als

theoretischer Rahmen für die Kollegiale Supervision ist notwendig, um zu erkennen,

auf welche vielfältige Art ich bei dieser Supervisionsform lerne: Durch die Kombination

von Modell-Lernen, Fremd- und Selbstverstärkung entsteht nicht nur für den/die

Erzähler/in ein Lernprozess, sondern auch für alle anderen Gruppenmitglieder

(„stellvertretendes Lernen“).“ (Rotering-Steinberg 2001a: 382)

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5 Struktur und Entwicklung einer Kollegialen Beratungsübung 61 zur Reflexion pädagogischer Praxis

unterschiedlichen Perspektiven“ (Mutzeck 1996: 144), welches „neue oder

veränderte Erklärungs- und Lösungsmöglichkeiten in den Blick der

Gesprächspartner“ (ebd.) rückt, entwickelt werden.42 Vertikal

implementierte Rollenhaltungen bzw. -erwartungen oder geschulte

Fokussierungen und Interventionen seitens eines Beratersystems sollen

dabei weniger eine Rolle spielen. Damit wird einmal mehr betont, dass in

der Kollegialen Beratungsübung, wie sie hier entwickelt wird, keine direkte

Lösungssuche im Vordergrund steht. SCHLEE formuliert im Rahmen seiner

Überlegungen zur „Beratung und Supervision in kollegialen

Unterstützungsgruppen“ (Schlee 1996: 188), was auch hier im Sinne eines

fragmentarischen Beratungsansatzes gilt: „Die eigentliche

Veränderungsarbeit müssen und können nur die ratsuchenden Personen

selber leisten“ (ebd.: 190).

Die kollegiale Begegnung im horizontalen Beratungsansatz unterstützt

eine Aktivierung des Selbstlernens durch eine kooperative Reflexion der

beobachteten Situation. Ein mehrperspektivisches Betrachten der

Erzählung soll in der Übung über dialogische Wechselspiele inszeniert

werden.

5.2.3 Zur Inszenierung dialogischer Wechselspiele im Kollegialen Beratungsprozess

Die Inszenierung dialogischer Wechselspiele meint, dass die Akteure im

Kollegialen Beratungsprozess den dialogischen Prozess jeweilig

konstituierende, wechselnde Rollen (spielerisch) einnehmen.

Es ist davon auszugehen, dass den TN der erlebte Unterschied zwischen

„Theorie und Praxis“ in der erfahrbaren Alltagswelt häufig begegnet, ohne

dabei explizit hinterfragt zu werden. Die Nützlichkeit einer

Verobjektivierung dieser impliziten «Wahrheit» als das „Reale“ (Reich 42 vgl. FRANKE: „Wie die Ergebnisse der experimentellen Arbeiten von Reither (1979) und

Hesse (1979) zeigen, kann die Betrachtung des eigenen Tuns und Denkens – ohne

jede Anleitung – zu einer bedeutsamen Verbesserung des eigenen Denkens führen.“

(Franke 2001: 53)

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5 Struktur und Entwicklung einer Kollegialen Beratungsübung 62 zur Reflexion pädagogischer Praxis

2002: 104, vgl. 3.2.3.2) verhindert aufgrund komplexitätsreduzierender

Effekte oft den Blick auf lösungsorientierte Denkoperationen. Mit der

Kollegialen Beratung bietet sich eine methodische Vorgehensweise an,

unter dem Deckmantel einer «So tun als ob» Situation in einer Art

„hypothetischen Trance“ über andere oder neue Möglichkeiten

nachzudenken. Dabei zeigt sich möglicherweise die Kluft zwischen dem

theoretischen Nachdenken über Lösungen und der als Praxis erlebten

Wirklichkeit. Im Moment der Wahrnehmung des Zusammenwirkens

unterschiedlicher Wirklichkeitsgestalter erweist sich dann eine bereits

akzeptierte „objektive Wahrheit“ möglicherweise als Erfindung. Eigene

Wirklichkeitsstile lassen sich in der Begegnung mit unterschiedlichen

„Bildern“ (durch die Inszenierung) und der Verbalisierung von

„Nebenwirkungen“ (Dörner 2001: 307) von Handlung erahnen. Ein

wirklichkeitsnäheres Hypothetisieren über Ausgänge von Interaktionen

gelingt, wenn systemisch vorgegangen wird, d.h. wenn vernetzte

Zusammenhänge dabei erkannt oder erahnt werden. DÖRNER bezeichnet

diese Effekte (ein möglicher Unterschied zwischen Theorie und Praxis) als

„Nebenwirkungen“ (Dörner 2001: 307), auf die das handelnde Subjekt in

der erlebten Situation vielleicht nicht schaut (vgl. ebd.). Die Legitimität

bestehender Wirklichkeitsstile soll spielerisch zu Hinterfragen angeregt

werden, indem sie beispielsweise bewusst verfremdet werden. Nach

SCHMID UND PORTELE (1976) nennt BERT BRECHT diesen Effekt

„Verfremdungseffekt“ (Schmid/Portele 1976: 455ff).43 Hypothetisieren in

den Spekulationssphären bedeutet eine verfremdende

Metakommunikation zu betreiben und zu reflektieren. Es soll nicht darum

gehen, andere von den eigenen Wirklichkeitsvorstellungen zu

überzeugen.

43 Nach Brechts Auffassung handelt es sich „um eine Technik, mit der darzustellenden

Vorgängen zwischen Menschen der Stempel des Auffallenden, des der Erklärung

Bedürftigen, nicht Selbstverständlichen, nicht einfach Natürlichen verliehen werden

kann. Der Zweck des Effektes ist, dem Zuschauer eine fruchtbare Kritik vom

gesellschaftlichen Standpunkt zu ermöglichen.“ (Brecht zitiert nach Schmid/Portele

1976: 455)

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5 Struktur und Entwicklung einer Kollegialen Beratungsübung 63 zur Reflexion pädagogischer Praxis

Um einer solchen Neigung methodisch zu begegnen, soll die Erzählung

eines Erfahrungsschildernden in der Übung dialogisch angeleitet und aus

unterschiedlichen Blickwinkeln rekonstruiert werden. Eine solche

Vorgehensweise durch die Rollenanweisungen erscheint möglich, wenn in

einem vereinbarten und sanktionsfreien Rahmen Ideen als solche auf

Basis der vom Fallgeber gelieferten Informationen von anderen Personen

verbalisiert werden dürfen. Die TN können die jeweilige

Betrachtungsebene im Kollegialen Beratungsprozess wechseln. Mit einer

aus der Informationstechnologie stammenden Begrifflichkeit, findet dieser

Prozess in der Kollegialen Beratungsübung dabei in einem nahezu

‚abgesicherten Modus’ statt, der durch das Setting einen

institutionalisierten Charakter erhält: das Betriebssystem eines Rechners

dient dem Anwender als Kommunikationsmedium oder

Benutzeroberfläche zur Eingabe und Übersetzung von elektronischen

Informationen. Ist dieses defekt, fährt der Computer nach automatischem

Abschalten in einem sogenannten „abgesicherten Modus“ (z.B.

Windows98) hoch, bei dem ein Zugriff auf möglicherweise beschädigte

Systemebenen für ungeübte Anwender teilweise unmöglich ist. Das

System läuft zwar, aber je nach Ausmaß der Beschädigung können nur

Daten heruntergeladen werden und keine neuen aufgespielt. Verglichen

mit der Arbeit im Kollegialen Beratungsprozess hat nur das Primärsystem

selbst, d.h. der Fallschildernde die Möglichkeit „Zugriffsrechte“ zu

vergeben. Die Szenarien können formuliert, aber nicht direkt „eingegeben“

werden.

Mit der Phase der Problemanalyse beginnend, betrachten die TN dann

unter Ausschluss der institutionellen oder sozialen Genese der

Informationen verschiedene Varianten der Konstruktion der vom Fallgeber

wahrgenommenen Wirklichkeit. Erkennen meint dabei nicht abbilden,

sondern vollzieht sich über einen Erkenntnisprozess, der als solcher von

den TN wahrgenommen und gewürdigt werden muss. Die Falldarstellung

wird als Erzählung und somit Ergebnis eines Erkenntnisprozesses

eingebracht, welche von persönlichen Erlebnissen und etablierten

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5 Struktur und Entwicklung einer Kollegialen Beratungsübung 64 zur Reflexion pädagogischer Praxis

Wirklichkeitsstilen, d.h. individueller „Deutungsmuster“ (Siebert 2000: 111)

geprägt ist, aber als solche nicht analysiert wird.

Bei der Arbeit im Kollegialen Beratungsprozess geht es vielmehr darum,

die Art und Weise wie Wirklichkeit gestaltet wird zu reflektieren, indem

passende Dekonstruktionen einer geschilderten Situation aus dem

Praktikum entwickelt werden. Diese Dekonstruktionen sind als kritische

Betrachtung auf das eigene Handeln in sozialen Kontexten in den

Gesamtprozess der Übung eingebunden. Eine vorgegebene dialogische

Struktur in den Phasen des Kollegialen Beratungsprozesses unterstützt

ein damit initiiertes exemplarisches bzw. fragmentarisches Lernen (vgl.

Kapitel 4.3 i.d.A.).

Die Entdeckung imaginär vorhandener Wirklichkeitsstile beginnt, wenn

implizite Zusammenhänge bei der Rekonstruktion der geschilderten

Wirklichkeit erkannt werden. Die Rekonstruktion der vom Fallgeber

geschilderten Zusammenhänge wird methodisch über

Spekulationssphären versucht. Die Strukturen und Ausgestaltung der

geschilderten „objektiven“ Wirklichkeit bieten sich zudem zur

Rekonstruktion an, um den Wechselwirkungen oder Begründungen auf

„die Spur zu kommen“. Wünsche, Vorstellungen und Hoffnungen erweisen

sich möglicherweise als unausgesprochen steuernd – und imaginär. Die

Übertragung in die „Alltagswelt“ weiterer Erkenntnisse liegt bei den TN. In

einer therapeutischen oder in solcher Weise ausgerichteten

professionellen Supervision dominiert unter Umständen mehr das Ziel,

eine Ergänzung und Überprüfung des Repertoires an persönlichen

Inszenierungs-Stilen wirksam zu implementieren.44 Im Rahmen einer

Kollegialen Beratungsübung reicht es aus, die Unterschiedlichkeit der

Interpretationen von Wirklichkeit an die Oberfläche zu bringen.

44 vgl. dazu v.a. die Ausführungen zu „Prämissen dritter Ordnung“ in Watzlawick u.a.

1990: 248ff hinsichtlich einer Unterscheidung zwischen psychologischer und

pädagogischer Zielsetzung.

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5 Struktur und Entwicklung einer Kollegialen Beratungsübung 65 zur Reflexion pädagogischer Praxis

5.3 Design einer Kollegialen Beratungsübung zur Reflexion pädagogischer Praxis mit Studierenden der Erziehungswissenschaft

Das hier entwickelte Design einer Kollegialen Beratungsübung zur

Reflexion pädagogischer Praxis mit Studierenden der

Erziehungswissenschaft orientiert sich in der praktischen Ausgestaltung

neben den zuvor geschilderten Überlegungen, an den empfohlenen

zeitlichen Abläufen (vgl. Kapitel 5.1.1 i.d.A.) und den idealtypischen

Phasen eines Kollegialen Beratungsprozesses (vgl. Kapitel 5.1.2 i.d.A.).

Das Ziel der Übung soll es sein, Studierenden der

Erziehungswissenschaft eine reflexive Aufarbeitung von

Praktikumserfahrungen zu ermöglichen, indem eine ausgewählte Situation

kollegial beraten wird. Dabei werden die TN methodisch über einen

vorgegebenen Ablauf begleitet, die Phasen eines Kollegialen

Beratungsprozesses zu durchlaufen, in dem sich selbstlernerische

Aktivitäten entfalten. Eine kollegiale Leistung (vgl. Kapitel 5.2.1 i.d.A.), soll

über dialogisch inszenierte Wechselspiele ermöglicht werden.

Der Kollegiale Beratungsprozess, welcher anhand dieses Übungsdesigns

angeleitet werden soll, impliziert somit den Versuch ein dialogisches

Verfahren methodisch zu inszenieren. Mithilfe dieses Verfahrens wird die

geschilderte Situation als Resultat einer Beobachtung systemisch

betrachtet. Eine Lösungsarbeit findet aus diesem Grund nur begrenzt

innerhalb der Problemanalyse statt. Die Übung ist so konzipiert, dass sie

ohne einen einleitenden Workshop oder andere Formen der Vorbereitung

durchführbar sein soll.

Beteiligte Rollen (bei 5 Personen):

• 1 Moderator, der die Zeiteinhaltung überprüft und gegebenenfalls auf die Rolleneinhaltung und vorgegebenen Fragen hinweist

• 1 Erfahrungsschildernder (A) und 3 Kollegiale BeraterInnen (B,C, D) Dauer der Übung: ca. 4 Std.

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5 Struktur und Entwicklung einer Kollegialen Beratungsübung 66 zur Reflexion pädagogischer Praxis

(1) 3-4 Minuten:

Vorb

erei

tung

spha

se

• Der Moderator lädt in ein stilles Selbstgespräch ein, in dem mit der Theatermetapher eine Orientierungshilfe zur Auswahl einer klärungsbedürftigen Situation gegeben wird (Notizen machen).

• Die Reihenfolge der Erfahrungsschildernden (A) wird festgelegt.

(2) 5-7 Minuten:

• A schildert eine Situation aus seinem/ihrem Praktikum. • B, C und D hören entspannt zu; dabei versetzen sie sich in eine

Haltung, in der sie:

Prob

lem

schi

lder

ung

o aufmerksam-freundlichen Kontakt zu sich selbst aufnehmen. o Sich mit unfokussierten Blick auf A einstellen.

(3) 2-3 Minuten:

• B, C und D betrachten A und überlegen sich kurz still: (Gegebenenfalls auch Notizen machen!)

1. Was habe ich gehört? 2. Was beschäftigt mich an der Sache?

(4) 5 Minuten:

Bef

ragu

ng

• B, C und D können A Verständnis- und Zusammenhangsfragen stellen.

(5) 3 x 10 Minuten: • B berichtet C und D kurz was er/sie gehört hat und ihn/sie an der

Sache beschäftig • B spekuliert in lockerer Folge den Fragen (Spekulationssphären)

entlang über A.

Spekulationssphären:

Wenn jemand Drittes mich fragen würde: 1. Was hat A, der mir das erzählt hat, eigentlich für eine Erfahrung

gemacht? 2. Was glaube ich, welche Spuren diese Erfahrung bei A zur Zeit

hinterlässt? 3. Welche Möglichkeiten sehe ich (als pädagogische/r Kollege/in) für

A, aus dieser Erfahrung etwas Nützliches zu gewinnen?

• C und D hören B entspannt zu. Dabei ist ihre Aufgabe (gegebenenfalls durch Nachfragen), sich darin zu überprüfen, ob sie B so verstehen wie er/sie A verstanden hat („Habe ich es richtig verstanden, dass du das Gefühl hast, dass A...“).

• B, C und D nehmen keinen Kontakt zu A auf, sondern lassen ihren Eindrücken und Vermutungen freien Lauf.

• A hört zu, muss nichts auf sich beziehen und gibt keinen Kommentar.

Prob

lem

anal

yse

und

Lösu

ngsa

rbei

t

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5 Struktur und Entwicklung einer Kollegialen Beratungsübung 67 zur Reflexion pädagogischer Praxis

• Nun ist C und danach D an der Reihe, in lockerer Folge an den Fragen entlang über A zu spekulieren (die anderen Kollegialen Berater verhalten sich jeweils entsprechend).

(6) 5-10 Minuten:

Lösu

ngsf

eedb

ack

• A berichtet B, C und D was ihn/sie während dieser Phase bewegt hat.

(7) Schritte (2) – (6) mit einer/einem anderen Erfahrungsschildernden (A)

(8) 15 Minuten:

Offe

ner A

usta

usch

und

Pr

ozes

sref

lexi

on

• A, B, C und D tauschen sich über ihre Erfahrungen und möglichen Erkenntnisgewinn während der Übung aus und

• geben dem Moderator ein Feedback.

Erläuterung der Schritte

Im Schritt 1 kann der Moderator unter Verwendung der Theatermetapher

(Schmid/Wengel 2001) den TN eine Orientierungshilfe zur Auswahl einer

klärungsbedürftigen Situation aus der Fülle an Praktikumserfahrungen

geben. Zudem begünstigt ein damit verbundenes begleitetes, stilles

Fokussieren der Gedanken zu Beginn der Übung die Schaffung einer

passenden Stimmung für das weitere Vorgehen. Die Theatermetapher

(Schmid/Wengel 2001) bietet sich hier bei der Entwicklung der

durchzuführenden Kollegialen Beratungsübung an, da den ungeübten TN

eine sprachliche (symbolische) Möglichkeit geboten wird, imaginäre oder

unbewusst-intuitive Elemente der Erzählung zu (re)konstruieren. Die

Verwendung einer Metapher, deren symbolische Artefakte sich der

Elemente einer Theaterinszenierung bedient, hat den Vorteil, dass an „ein

allgemein zugängliches und verfügbares Kulturwissen angeknüpft wird“

(Schmid/Wengel 2001: 82). Die Situation (der Fall) wird als „Stück“

betrachtet und die Problembeschreibung mit der Aufteilung in

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5 Struktur und Entwicklung einer Kollegialen Beratungsübung 68 zur Reflexion pädagogischer Praxis

unterschiedliche Akte und Szenen konkretisiert. Der Erzähler begibt sich

in die Position eines Beobachters „seines Stückes“ und die TN werden

metaphorisch in die Lage von Zuschauern versetzt, was eine

Beobachterperspektive intendiert (vgl. ebd.). Durch die Wahl eines Titels

für das Stück, der „Story, die unter dieser Überschrift erzählt wird“ (ebd.)

und Beschreibung der Bühne und Rollen, wird das Imaginäre oder

Hintergründige in verbalisierbare Symbole übertragen: „Es ist, als wenn

wir mit Mitspielern eine Bühne betreten, auf der einiges für das zu

spielende Stück vorgegeben ist, vieles, insbesondere auch das

Hintergründige aber noch undefiniert ist“ (Schmid 2002: 13). Ein Beispiel,

wie die Theatermetapher in praxi in der Vorbereitungsphase angewendet

werden kann, findet sich im nachfolgenden Teil vorliegender Arbeit

innerhalb der Analyse einer exemplarischen Anwendung der Übung mit

Studierenden der Erziehungswissenschaft im Hauptfach (siehe Kapitel 6.3

i.d.A.).

Für die Phase der Problemschilderung werden die Kollegialen Berater in

Schritt 2 aufgefordert, entspannt zuzuhören und eine bestimmte

Zuhörhaltung einzunehmen. Diese Anweisung hat zwei Intentionen: da

sich die TN in einem Raum befinden, soll diese „Regieanweisung“ dem

Erfahrungsschildernden (A) signalisieren, dass die Zuhörer seiner

Erfahrungsschilderung aufmerksam zuhören. ‚A’ soll möglichst wenig

darüber nachdenken müssen, wie er seine Informationen ‚methodisch-

bewusst’ konstruiert. Die Zuhörhaltung und Aufmerksamkeit wird als

Vereinbarung bereits zu Beginn formuliert, um ‚A’ nicht unter Druck zu

setzen, dass er eine solche mit seiner Erzählung möglicherweise erst

herstellen müsse. Eine zweite Intention bezieht sich auf die Kollegialen

Berater, die mit dieser „Regieanweisung“ in ihre Rolle als Zuhörer

eingewiesen werden. Dabei sollen sie ‚A’ auch körperlich zeigen, dass er

nicht als „auf einer Anklagebank“ sitzend wahrgenommen wird, indem sie

ihn mit ihren Blicken zu erforschen versuchen. Darüber hinaus begünstigt

eine solche Zuhörhaltung die Aufnahme von Informationen über das

„imaginäre Ohr“ der TN, da die Aufmerksamkeit sich nicht auf inhaltliche

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5 Struktur und Entwicklung einer Kollegialen Beratungsübung 69 zur Reflexion pädagogischer Praxis

Details richten sollen, sondern auf deren Vernetzung. Die Befragung

beginnt mit Schritt 3 damit, dass die Kollegialen Berater sich kurz still

überlegen, was sie gehört haben bzw. was sie daran beschäftigt. Damit

wird auch Zeit zum Sortieren eingeräumt. Die TN werden aufgefordert,

daran anschließend Verständnis- und Zusammenhangsfragen zu stellen,

so dass die Kollegialen Berater die Inhaltsebene der Erzählung über die

Beziehungsebene nach fehlenden Informationen „scannen“ müssen. Bei

diesem Vorgang rekonstruieren sie bereits die Erzählung bewusst, weil sie

dazu aufgefordert werden und unbewusst, da sie dabei von ihren eigenen

imaginären Vorstellungen geleitet werden. Anschließend eingebrachte

Fragen ergeben sich über Lücken der (re)konstruierten Zusammenhänge

auf der Inhaltsebene und können als Spiegelung des Imaginären

verstanden werden, das dabei implizit mittransportiert wird. Diese

Vorgehen fördert eine unbewusst-intuitive Spannung zwischen

Imaginärem und Symbolischen, mit dem Raum für intuitive

Wahrnehmungen geschaffen werden soll. Erst in der darauffolgenden

Phase der Problemanalyse bekommen die Kollegialen Berater dann die

Möglichkeit, ihre Rekonstruktionen zu verbalisieren.

Die Inszenierung eines dialogischen Wechselspiels wird in der Übung in

Schritt 5 angeleitet und die Rekonstruktionsarbeit der Kollegialen Berater

über Spekulationssphären begleitet. Die vorgegebene Struktur lässt sich

mit der Arbeit „Reflektierender Teams“ (Andersen 1996: 54) vergleichen

(vgl. ebd.: 72ff). Dieses in der systemischen Familientherapie häufig

verwendete Modell hat sich dort zur „Herstellung eines Klimas von

Kooperation, in dem assoziatives Denken, das Herstellen und

Wahrnehmen von Beziehungen zwischen Dingen und Ereignissen

erleichtert werden“ (v.Schlippe/Schweitzer 2000: 199) bewährt (vgl.

weiterführend auch: Hargens/v.Schlippe 2002). Als „Lieferant“ der

Informationen hört der Fallgeber lediglich zu und darf die im gleichen

Raum ablaufende Interaktion, die „sein Problem“ betrifft, nicht stören bzw.

unterbrechen. Diese Rolle erscheint den TN möglicherweise ungewohnt

und braucht dann im Besonderen eine Unterstützung durch den

Moderator. Der Erfahrungsschildernde befindet sich in der Rolle eines

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5 Struktur und Entwicklung einer Kollegialen Beratungsübung 70 zur Reflexion pädagogischer Praxis

Zuhörers, der nicht eingreifen oder kommentieren darf. ‚A’ muss nichts auf

sich beziehen und soll den Kollegialen Beratern darüber hinaus in der

Weise eine Erlaubnis erteilen, ihren Spekulationen freien Lauf zu lassen

(vgl. Kapitel 5.2.3 i.d.A.). Indem sie diese einem imaginären Dritten

erzählen, verbalisieren sie eine Erzählung dann womöglich unabhängig

von imaginären Vorstellungen anderer als Spiegelung der eigenen

Symbolwelt. ‚B, C und D’ richten ihre hypothetischen Reflexionen

außerdem an einen imaginären Dritten, um das spekulative Moment der

Kollegialen Beratungsphase zu unterstreichen. Im Besonderen erhalten

sie aber dadurch die Möglichkeit, in einen verbalisierten Meta-Dialog mit

ihren Reflexionen einzutreten (vgl. Abbildung 5). Die Kollegialen Berater-

Berater ‚C und D’ sollen sich durch Nachfragen darin überprüfen, ob sie

‚B’ so verstanden haben, wie sie glauben dass er ‚A’ verstanden hat. D.h.

sie sollen das „bewusst-methodische“ (Schmid 2001, vgl. Kapitel 3.2.3.3

i.d.A.) der Erzählung, die als Rekonstruktion über vorgegebenen Fragen

angeleitet wird, nicht nur mit ihren eigenen imaginären Vorstellungen

abgleichen. Indem sie das unbewusst-intuitive der Erzählung fokussieren

sollen, schenken sie der Spiegelung der ‚imaginären Welt 1’ eine erhöhte

Aufmerksamkeit.

In der praktischen Umsetzung könnte sich in diesem Teil der Übung

zeigen, dass ein solches Vorgehen Irritation bei den TN hervorruft, wenn

diese in gewohnte, eher konkurrierende Diskussionsstile übergehen

wollen.

Abbildung 5: „Meta-Dialog“ über einen imaginären Dritten

bewusst-methodische

Erzählung

unbewusst-intuitive

Erzählung

Symbolwelt 1 Symbolwelt 1

imaginäre Welt 1 imaginäre Welt 1

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5 Struktur und Entwicklung einer Kollegialen Beratungsübung 71 zur Reflexion pädagogischer Praxis

Die dritte Frage der Spekulationssphären, soll dann die TN dazu einladen,

eine neue Version der Zusammenhänge zu liefern. Die Lösungsarbeit

findet mit dem Ziel statt, dass der Rekonstruktionsarbeit eine

Dekonstruktion der zu Beginn eingebrachten Erzählung folgen soll. In

Anlehnung an die Theatermetapher (Schmid/Wengel 2001) kann ‚B’

beispielsweise den Blick auf die Szene mit einem neuen Titel verändern,

so dass die Story für ‚A’ ein passenderes Ende finden kann.

Im Vordergrund steht eine methodisch angeleitete Reflexionsarbeit, die

mit einer Dekonstruktion abgeschlossen werden soll – keine

Lösungssuche in Bezug auf ein mögliches Problem. Ein solches Vorgehen

wird im Kontext systemisch orientierter Beratungsarbeit auch als

„reframing“ (positives Umdeuten) bezeichnet (vgl. v.Schlippe/Schweitzer

2000: 177ff). Durch den Wechsel der „Storyteller“ liefern die Kollegialen

Berater dem Erfahrungsschildernden bis zu drei dekonstruierte Versionen

seiner Erzählung, aus denen er sich eine für ihn passende

(De)Konstruktion auswählen kann. Im Schritt 6 hat ‚A’ dann die

Möglichkeit ein Feedback auf das Gehörte zu geben, ohne sich für eine

Erzählung entscheiden zu müssen.

Nachdem die zu Beginn der Kollegialen Beratungsübung vereinbarten

Anliegen der TN bearbeitet wurden (Schritt 7), wird der Kollegiale

Beratungsprozess im Schritt 8 des Übungsdesigns mit einer

Prozessreflexion abgeschlossen. Dabei soll sich keine weitere Diskussion

der eingebrachten Fälle entwickeln, sondern es kann nun eine

zusammenfassende Bewertung des Ablaufs der Übung und dem Erleben

der eigenen Rollen gegeben werden. Mit einem Feedback an den

Moderator endet die Kollegiale Beratungsübung zur Aufarbeitung von

Praktikumserfahrung unter Studierenden der Erziehungswissenschaft.

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6 Analyse eines Tutoriums mit Studierenden der Erziehungswissenschaft im Hauptfach 72

6 Analyse eines Tutoriums mit Studierenden der Erziehungswissenschaft im Hauptfach

Im folgenden vierten Teil der Arbeit wird mit der Analyse eines Tutoriums

mit Studierenden der Erziehungswissenschaft im Hauptfach eine

exemplarische Bewertung der entwickelten Kollegialen Beratungsübung

im praktischen Einsatz geliefert. ‚Analyse eines Tutoriums’ soll dabei

darauf hinweisen, dass die Fragestellung in dieser Arbeit neben den

theoretischen Überlegungen über eine experimentelle Anwendung mit

einer kleinen Gruppe von Studierenden praxisorientiert beleuchtet wird.

Das in der Arbeit entwickelte Design einer „Kollegialen Beratungsübung

zur Aufarbeitung von Praktikumserfahrung“ (siehe Kapitel 5.3 i.d.A.) wurde

dazu unter eigener Anleitung in einer einmaligen Sitzung mit 4

Studierenden der Erziehungswissenschaft im Hauptfach durchgeführt und

auf Tonband aufgenommen.

6.1 Die TN des Tutoriums

Nachdem die Fragestellung klar und die Entwicklung eines

Übungsdesigns zeitlich absehbar war, konnten 4 freiwillige studentische

KollegInnen mit Praktikumserfahrung als TN eines Tutoriums gewonnen

werden. Um eine horizontale Begegnung der TN (Kollegialität) in der

Beratungsarbeit zu gewährleisten (vgl. Kapitel 5.2.2 i.d.A.), spielten

folgende Auswahlkriterien dabei eine Rolle:

• Die TN studierten zum Zeitpunkt der Durchführung wie der Autor

innerhalb eines Magisterstudiums mit dem Hauptfach

Erziehungswissenschaft im Hauptstudium an der Universität Bonn.

• Vorhandene Praktikumserfahrung konnten die Studierenden mit

jeweils mindestens dreiwöchigen Praktika im Bereich pädagogisch

relevanter Berufsfelder nachweisen.

• Auf persönliches Nachfragen, berichtete im Vorfeld keiner der

Probanden von bereits gesammelten Erfahrungen mit einer

Kollegialen Beratungsmethode.

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6 Analyse eines Tutoriums mit Studierenden der Erziehungswissenschaft im Hauptfach 73

Bei der Durchführung war der Autor in der Rolle des Übungsanleitenden

und Moderators aktiv beteiligt.

6.2 Ziel der Analyse

Das Ziel der Analyse ist es zu überprüfen, ob die in dieser Arbeit

entwickelte Kollegiale Beratungsübung in einer experimentellen

Anwendung mit im Umgang einer Kollegialen Beratung weitestgehend

ungeübten Studierenden überhaupt „funktioniert“.

Das eigene Erkenntnisinteresse beschränkt sich in Bezug auf die

Fragestellung dabei auf die Frage, ob eine zu erbringenden kollegiale

Leistung (vgl. Kapitel 5.2.1 i.d.A.) erbracht und eine oder mehrere

passende Dekonstruktionen einer Anfangserzählung (vgl. Kapitel 5.2.1

i.d.A.) konstruiert werden konnten.

6.2.1 Das verwendete Material

Das verwendete Material zur Dokumentation liefern die

Tonbandaufnahmen eines 4-stündigen Tutoriums. Auf eine

Videoaufzeichnung wurde verzichtet, um möglicherweise auftretende

unkalkulierbare Störeffekte und/oder räumliche Einschränkungen

weitestgehend zu vermeiden.

Insgesamt wurden in dem Tutorium 3 Erfahrungsschilderungen als Fälle

von unterschiedlichen TN eingebracht und entsprechend des über das

entwickelte Design einer „Kollegialen Beratungsübung zur Aufarbeitung

von Praktikumserfahrung unter Studierenden der Erziehungswissenschaft“

angezeigten Bearbeitungsweges betrachtet. Die erste Erfahrungs-

schilderung wurde dabei in Absprache mit der ersten

erfahrungsschildernden Person hauptsächlich als Aufwärmübung

durchgeführt, um das Setting einmal durchzuspielen.

Die hier wiedergegebenen Kommentare der TN bilden die von mir

fassbaren Sprechakte aus einer Abschrift der Tonbandaufnahmen ab.

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6 Analyse eines Tutoriums mit Studierenden der Erziehungswissenschaft im Hauptfach 74

Bedeutung der verwendeten Zeichen bei der Wiedergabe aus der Abschrift (vgl. Oevermann 1997: 5):

.. sehr kurze Pause als merkliche Unterbrechung des Sprech-Flusses

... deutliche Pause (Pause) längere Pause, d.h. mind. 5 sec. (...) in der Abschrift nicht wiedergegebene Sprechakte der

Tonbandaufnahme (z.B. Nennung einer Firma oder andere Namen)

[ ] Kommentare des Verschrifters (d.A.) Die teilnehmenden Personen: TN1 weibliche Person (Studentin) TN2 männliche Person (Student) TN3 männliche Person (Student) TN4 weibliche Person (Studentin) Die Bezeichnungen der Akteure: M * Moderator mit Steuerungsfunktion (d.A.) A Erfahrungsschildernde Person B, C, D Kollegiale Berater

6.2.2 Zur Vorgehensweise

Die Entwicklung von Auswertungskriterien vollzog sich nicht „am Material“

(Schmidt 1997: 548), sondern in Auseinandersetzung mit den bisher

angestellten Überlegungen. Insofern wird mit einer Auswertung des

Fallbeispiels in dieser Arbeit keine weitere Hypothesenentwicklung

angestrebt (vgl. dazu: Schmidt 1997).

Die durchgeführte Kollegiale Beratungsübung erscheint im Hinblick auf

das Ziel der Analyse dann als methodisch inszenierte Reflexion von

Praktikumserfahrung geeignet, wenn eine Fallbesprechung angeleitet

werden konnte, in der:

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6 Analyse eines Tutoriums mit Studierenden der Erziehungswissenschaft im Hauptfach 75

• eine (Re)Konstruktion der Erfahrungsschilderung

• mit dem Ergebnis einer Dekonstruktion der Erzählung von den TN

erbracht werden konnte und

• die als ungeklärt aus Sicht eines Studierenden empfundene und zu

Beginn eingebrachte Erfahrungsschilderung nach der Kollegialen

Beratung aus Sicht desjenigen als aufgeklärter eingeschätzt wird.

Ob eine solche Fallbesprechung in dem Tutorium angeleitet werden

konnte wird an einem Fallbeispiel überprüft, welches als zweite

Erfahrungsschilderung bearbeitet wurde. Die Dokumentation der

Reflexionsarbeit aus dem Fallbeispiel mit dem hier konstruierten Titel „Das

typische Praktikum“ erfolgt zu diesem Zweck:

1. Mit der Wiedergabe der eingebrachten Erfahrungsschilderung von

A zu Beginn der Kollegialen Beratungsarbeit.

⇒ Konstruktion einer Erfahrungsschilderung

2. In Form von Kommentaren der Kollegialen Berater zu Beginn der

Phase der Problemanalyse:

‚B berichtet C und D kurz, was er/sie gehört hat und ihn/sie an der

Sache beschäftigt (die anderen Kollegialen Berater verhalten sich

jeweils entsprechend).’

⇒ Gelieferte Rekonstruktionen der Erfahrungsschilderung

3. In Form von Kommentaren der Kollegialen Berater auf Frage 3 der

Spekulationssphären:

‚Welche Möglichkeiten sehe ich (als pädagogische/r Kollege/in) für

A, aus dieser Erfahrung etwas Nützliches zu gewinnen?’

⇒ Gelieferte Dekonstruktionen der Erzählung von den TN

4. Mit der Wiedergabe des Kommentars des Erfahrungsschildernden

aus Schritt 6 der Übung:

‚A berichtet B, C und D, was ihn/sie während dieser Phase bewegt

hat.’

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6 Analyse eines Tutoriums mit Studierenden der Erziehungswissenschaft im Hauptfach 76

Die Vorgehensweise und Auswahl fragmentarischer Sprechakte der TN

aus bestimmten Kollegialen Beratungsphasen (vgl. Kapitel 5.1.2 und 5.3

i.d.A.) erfolgte nach Sichtung der Abschrift unter der Annahme, dass aus

ebendieser eine dokumentierte Einschätzung in Bezug auf die

Fragestellung am ehesten möglich erscheint. Eine tiefenhermeneutische

Untersuchung der im Kollegialen Beratungsprozess ablaufenden

Interaktionen (vgl. dazu: Dammasch u.a. 1997) wird hier nicht

vorgenommen, da ein solches Vorgehen nach eigener Einschätzung mit

einer gesondert, objektiv-hermeneutisch ausgerichteten Arbeit zu leisten

wäre.

Daran anschließend werden Kommentare der TN aus Schritt 8 der Übung

und eine subjektive Nachbetrachtung des Tutoriums geliefert.

6.3 Dokumentation und Bewertung einer praktischen Anwendung der Kollegialen Beratungsübung zur Aufarbeitung von Praktikumserfahrung

Nachdem sich ein Termin finden konnte, an dem alle TN Zeit hatten,

trafen wir uns an einem Samstagnachmittag bei mir zu Hause.

Zu Beginn des Tutoriums wurden die TN darauf hingewiesen, dass die im

Rahmen meiner Magisterarbeit stattfindende Kollegiale Beratungsübung

auf Tonband aufgenommen werden soll. Nachdem die TN ihr

Einverständnis bekundeten, dass die Beratungsarbeit aufgezeichnet wird,

wurde die Aufnahme gestartet.

Bevor wir mit der Übung anfingen, erläuterte ich den TN kurz den

professionellen Ursprung der Methode und verwies auf den

fragmentarischen Ansatz der Lernform:

M*: Das ist im Prinzip, um es mit einem Bild zu verdeutlichen, wie mit dem

Bau der Schnellbahntrasse: man sieht plötzlich eine Brücke in der Landschaft stehen oder ein Loch im Fels ... und man hat fragt sich: ‚Was machen die hier? Warum bauen die eine Brücke, wenn noch keine Straße da ist?’ ... Dieser fragmentarische Ansatz beruht auf dem Prinzip, dass es sich lohnt, eine Brücke in die Landschaft zu stellen und sich irgendwann ein Komplettbild daraus ergibt, wenn die Schienen da

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6 Analyse eines Tutoriums mit Studierenden der Erziehungswissenschaft im Hauptfach 77

sind. Die Erfahrungen zeigen, dass es mit dem Lernen am Beispiel in kurzer Zeit möglich ist doch Wesentliches zu erfassen und zu verarbeiten.

Daraufhin wurde den TN das in Kapitel 5.3 entwickelte Design einer

„Kollegialen Beratungsübung zur Aufarbeitung von Praktikumserfahrung“

in Form eines Übungsblattes (Anhang B) ausgehändigt und die Rollen und

Aktivitäten der einzelnen Schritte durchgesprochen.

Nach der Beantwortung von noch diesbezüglich offen gebliebenen

Fragen, wurde eine Pause von 15 Minuten nach zwei bearbeiteten

Erfahrungsschilderungen und die Reihenfolge der Erfahrungsschildernden

vereinbart.

Die Kollegiale Beratungsarbeit wurde in der Vorbereitungsphase mit

einem stillen Selbstgespräch der TN eröffnet, das mit der

Theatermetapher als eine Orientierungshilfe zur Auswahl einer

klärungsbedürftigen Situation angeleitet wurde (vgl. Kapitel 5.3 i.d.A.):

M*: [der Regen prasselt auf die Dachfenster, unter denen wir sitzen] Stellt Euch vor ihr sitzt im Publikum eines kleinen Theaters (Pause) Ihr

habt es euch so bequem wie möglich gemacht ... es ist angenehm warm ... es regnet (Pause) es hört sich beruhigend an (Pause) alle sind leise und warten gespannt ... Endlich geht der schwere samtrote Vorhang auf (Pause) ihr seht und hört jetzt eine Inszenierung von einem Stück .. mit verschiedenen Szenen ... Akten und Darstellern ... auf unterschiedlichen Bühnen (Pause) Der Titel des Stückes lautet .. ‚Mein Praktikum’ (Pause) Ihr schaut auf die Bühne .. und habt eine Ahnung davon, was gleich an Stück da oben inszeniert wird ... Vielleicht habt ihr schon eine Idee, welche Bühne mit welcher Szene als erstes gezeigt wird ... Stell Dir ein oder zwei Bühnen und Szenen vor, von denen du das Gefühl hast: ‚Die stehen für etwas, was mich besonders beeindruckt hat’ ... im Guten beeindruckt ... vielleicht im Schwierigen (Pause) Irgendeine Emotion hat es hinterlassen und du denkst gerne oder ungern daran (Pause) Versuch diese Szene, die sich vielleicht schon abspult, unter folgender Fragestellung zu beleuchten:

‚Hat das, was mich beeindruckt hat, gefühlsmäßig etwas mit den beruflichen und pädagogischen Qualitäten der Szene zu tun oder waren es mehr Dinge am Rande, die mich beschäftig haben?’

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6 Analyse eines Tutoriums mit Studierenden der Erziehungswissenschaft im Hauptfach 78

(Pause) Lass die Szene mal zwei bis drei Minuten um diese Frage kreisen .. Wähle eher solche, die vielleicht berufliche und pädagogische Qualitäten haben, ohne direkt klären zu müssen, worin diese bestehen könnten und suche aus diesen eine ... oder maximal drei zusammen-hängende Szenen aus ... [3 Minuten Stille – Ende der Aufnahme]

Bei dem folgenden Fallbeispiel „Das typische Praktikum“ handelt es sich

um die zweite eingebrachte und bearbeitete Erfahrungsschilderung.

6.3.1 Dokumentation der Reflexionsarbeit anhand eines Fallbeispiels aus dem Tutorium: „Das typische Praktikum“

Die Bezeichnungen der Akteure im Fallbeispiel: M * Moderator mit Steuerungsfunktion (d.A.) A Erfahrungsschildernder ist TN2 B Kollegiale Beraterin ist TN1 C Kollegiale Beraterin ist TN4 D Kollegialer Berater ist TN3

6.3.1.1 Die eingebrachte Erfahrungsschilderung von A zu Beginn der Beratungsarbeit

A: Ich habe mir da was überlegt. Drei Bühnenaufgänge ... klassisches Brecht’sches Theater glaube ich ... Ich habe mein Praktikum bei (...) gemacht. Wenn ich jetzt eine Szene herausgreife, tue ich das in drei verschiedenen ..

Erster Aufgang: Ich sitze in meinem Büro und bin neu als Praktikant und werde von demjenigen, der mich betreut auf .. wird mir (...) vorgestellt. Das war alles OK und dann bekomme ich haufenweise Literatur vor mich hingelegt und damit kann ich mich beschäftigen. So ... Vorhang ..

Zweite Szene: Vorhang geht auf, ich sitze noch in demselben Arbeitsbereich und es kommt ein wissenschaftlicher Mitarbeiter .. und die haben einen ganz konkreten Fall zu qualitativer Befragung von Unternehmen und haben da heraus zu arbeiten .. z.B. haben sie einen Fragebogen erstellt in Empirie und da gab es eine Antwortmöglichkeit, die den Teilnehmern .. also Beantwortenden ganz offene Formen ließen und diese Fragen mussten kategorisiert werden. Ich sollte mir mal überlegen, wenn ich das machen würde, was für Ideen ich da hätte, wie man das am besten machen könnte. Fertig aus. Und dann ist er gegangen und ich konnte mir das alleine überlegen. Vorhang.

Dritte Szene: ich sitze in einem neuen Arbeitsbereich und derjenige, der sich für mich zuständig fühlt oder ist, kommt zu mir mit ganz

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6 Analyse eines Tutoriums mit Studierenden der Erziehungswissenschaft im Hauptfach 79

konkreter Arbeitsaufgabe. D.h. er legt mit vor .. ‚Hier, Herr Praktikant lesen Sie sich das mal bitte durch und beantworten Sie mir dazu diese und diese Frage’. Und nachher, wenn sie das gemacht haben, besprechen wir das zusammen ... Und das Problem, was mich dabei interessiert oder beschäftigt ist einfach, wie wird mit einem Praktikanten innerhalb (...) umgegangen. Das waren drei verschiedene Sachen. Einmal das einem eben was zu lesen gegeben worden ist im ersten Vorgang. Im zweiten Vorgang habe ich eine sehr freie Aufgabe gehabt, wo ich anstellen konnte, was ich wollte ... gut oder schlecht mit umgehen, wie ich es mir halt selber erarbeiten konnte. Und in der dritten Möglichkeit habe ich also ganz klare Linien gehabt, was ich zu tun hatte und davon war auch nicht abzuweichen .. Da stelle ich mir dann die Frage, womit komme ich am Besten klar. Oder, wenn man es aus der anderen Perspektive noch betrachten möchte, für den Praktikumstellenanbieter .. wie gehe ich mit meinen Praktikanten um, was ist am sinnvollsten. Ja .. das war’s schon.

6.3.1.2 Kommentare der Kollegialen Berater zu Beginn der Phase der Problemanalyse

B berichtet C und D kurz, was er/sie gehört hat und ihn/sie an der Sache

beschäftigt (die anderen Beiden jeweils entsprechend).

B: Also, was ich auf jeden Fall bei den drei Szenen irgendwie ziemlich

stark auch so rausgemerkt habe, ist .. ich würde die eigentlich sortieren .. untereinander im Endeffekt aber alle zu dem Thema ‚Allein gelassen im Praktikum’ fassen .. Ich fand jetzt eigentlich keine von den drei Szenen war wirklich so, wo man sagen würde, genau so sollte es sein. Weil .. klar dieses ... es kam schon so ein bisschen raus, welche Präferenz er hatte für eine dieser Szenen. Aber ich meine diese Szenen waren jetzt alle nicht wirklich optimal. Also nicht so, wie man es sich eigentlich wünscht, wenn man Praktikum macht .. fand ich.

C: Also, das, was ... ist halt die Frage, die da hervorstach .. die beiden

Fragestelllungen ‚Welche Rolle .. was habe ich von einem Praktikum zu erwarten? D.h. welche Rolle habe ich als Praktikant .. also jetzt als Praktikant nicht als Praktikantin .. [lacht] .. und .. wie sieht eine optimale Praktikumbetreuung aus?’ ... diese drei Szenenbeispiele, die zeigten eigentlich, dass du als Praktikant [zu A] erst mal [M* macht D aufmerksam darauf] ... oder das der Praktikant erst mal für sich alleine stand und letztendlich halt erst mal überhaupt nichts von einer Praktikumbetreuung zu sehen war.

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6 Analyse eines Tutoriums mit Studierenden der Erziehungswissenschaft im Hauptfach 80

D: Ja – also, was ich gehört habe, habe ich hier oben [seine Notizen] hingeschrieben ‚typische Praktikumsituation’ ... also ich finde das total typisch ... was für mich im Zentrum steht, ist immer so dieses Gefühl von Abhängigkeit. Also, dass man da sitzt .. man hat ja noch keine .. also klar man hat die Rolle Praktikant, aber die ist noch unbestimmt .. dann ist man darauf angewiesen, dass irgendwer kommt und irgendwas gibt und muss immer auch bereit sein, um dann auch anzuspringen ... ich meine .. klar wird man dann gefragt ‚Interessiert Sie das?’ aber ... [lacht] die Frage, die mich beschäftigt dabei ist, wie man letztendlich aus diese passiven Rolle rauskommt .. also, aus dieser Rolle, dass man als Praktikant letztendlich immer so .. in dieser Abhängigkeit steht, also ob das irgendwie möglich ist. D.h. ob ich irgendwie ... ja, also das kenne ich halt bei meinen eigenen Praktika auch immer viel .. wie ich dann z.B. mit Situationen umgehe, wo ich halt merke, das finde ich halt Scheiße, dass ich jetzt hierhin gesetzt werde und .. einfach nur lesen soll. Das beschäftig mich daran und dann auch den entsprechenden Ton zu treffen oder auch einschätzen zu können, vielleicht ist es ja auch legitim, dass ich jetzt drei Tage da sitze ... ich glaube, das ist auch noch so ein Problem, dass diese Zeitwahrnehmung ja auch total verschoben ist. Also, Leute, die da arbeiten, für die sind 4 Wochen ein Klacks. Für einen selber sind die ersten 2 Tage .. dauern 5 Jahre ... also .. das sind so die Sachen, die mich daran beschäftigen.

6.3.1.3 Kommentare der Kollegialen Berater auf Frage 3 der Spekulationssphären in Fb1

Welche Möglichkeiten sehe ich (als pädagogische/r Kollege/inn) für A, aus

dieser Erfahrung etwas nützliches zu gewinnen?

B: (...) man verschiedene Cheftypen, verschiedene Aufgaben kennen

gelernt hat, sich selber einfach mal ausprobieren konnte. Und im Endeffekt finde ich, ist es das perfekte Ergebnis von einem Praktikum, weil er halt jetzt meinte, dass er jetzt weiß, welcher Aufgabentyp ihm liegt ... weil man dann auch, wenn man weiß, was man braucht auch bei einem zukünftigen Chef oder auch bei einem Mitarbeiter einfach sagen kann ‚Du hör mal, du sagst mir jetzt das und das, damit kann ich gar nichts anfangen. Mir fehlen noch die und die Informationen, dann kann ich das gerne bearbeiten.’ Darum ist es eigentlich perfekt gelaufen.

C: Ich denke ... ja ich glaube, für mich würde vielmehr der Lern ... also

primär oder unter ... ja oder ... ja nicht ... ja .. ich glaube der Lernerfolg erst mal, dass halt überhaupt die eigenen Vorstellungen über ein

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6 Analyse eines Tutoriums mit Studierenden der Erziehungswissenschaft im Hauptfach 81

Praktikum definitiver werden. Also, dass du [!] auch mittlerweile weißt, was du willst oder was du nicht willst oder wo du halt Änderungsmöglichkeiten siehst. Dann die zweite Ebene .. ja, artikulierst du es oder versuchst du halt irgendwas daran zu ändern und ich glaube die dritte, wenn du selber mal Praktikanten hast, dass du es besser machst ... [lacht]

D: Ja schon also den Überblick zu gewinnen oder gewonnen zu haben,

was es für Anleitungsmöglichkeiten gibt und daraufhin zukünftige Entscheidungen zu treffen. Vielleicht auch mit einem Verweis auf die Erfahrung ... so von wegen, in dem und dem Praktikum habe ich das mal so und so kennen gelernt und das fand ich im Rückblick irgendwie nicht so interessant und deswegen fände ich es dann schon besser, wenn sie mir jetzt noch mehr Informationen geben würden oder sie mich ein bisschen freier agieren lassen würden ... also, dass man das auch einfach so als Erfahrungsschatz nutzt. Also nicht nur so im Hinterkopf hat, sondern auch direkt das (Pause)

M*: Verbalisieren kann? D: Ja .. und auch präsentieren. Auch als positives Beispiel. Weil das ist ja

oft auch so, dass man in irgendeine Praktikumstelle kommt ... ja, dass ein Praktikum eben nicht so durchgeplant ist. Man kommt da ja nicht hin und dann haben vorher alle abgesprochen, was jetzt passieren soll (...) also, dass die Leute so einen Plan hatten, was passieren soll. Ich habe es viel öfter erlebt, dass ich dahin kam und dann ‚Huch – da ist ja ein Praktikant!’ ... also .. dass halt keine Vorstellung da war, was denn da eigentlich geschehen soll. Und ich glaube, wenn man den Leuten dann Vorschläge macht, wie es aussehen könnte und wie man es auch schon selber erlebt hat, ist es für die ja auch hilfreich. Es ist ja nicht so, dass nur totale Unsicherheit auf der Seite des Praktikanten ist, sondern auch auf der anderen Seite. Das dann glaube ich ... ja für die vielleicht auch manchmal so eine Notlösung einfach ist ... so in der Richtung ‚Ich gebe dem irgendwas zu lesen und dann hast du was zu tun’ und die gar nicht sehen .. wie er und sie wirklich auch davon profitieren können. Also, dass sie da jemanden haben, der ja ganz neu in diesem Unternehmen drin ist und vielleicht noch ganz andere Perspektiven hat und so.

6.3.1.4 Kommentar des Erfahrungsschildernden in Schritt 6 der Übung

A berichtet B, C und D, was ihn/sie während dieser Phase bewegt hat. A: Also, erst mal möchte ich vielleicht die Anmerkung machen ... ich habe

mir bewusst diese drei Szenen ausgesucht .. Der Gesamtpraktikumverlauf enthielt alle Facetten, die sich dazwischen

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6 Analyse eines Tutoriums mit Studierenden der Erziehungswissenschaft im Hauptfach 82

bewegen ... muss ich dazu sagen. Diese drei Punkte, die ich beschrieben habe, waren wirklich Eckpfeiler und alles dazwischen war da ... so aus eurem Gespräch darüber .. würde ich jetzt mitnehmen ... oder .. nehme ich mit, erst mal eine ganz andere Betrachtungsweise. Ich hatte für mich so die einzelnen Punkte klar ausgemacht und wusste für mich, was gefällt mir gut, was fand ich superscheiße .. wenn ich das jetzt so formulieren darf ... und .. aber dadurch, dass ich das jetzt mal von allen höre, bekomme ich einen andere Blick darauf .. inwiefern ... wie gehe ich damit um? Ist es sinnvoll für mich, dass ich das so erlebt habe? Oder nicht? .. War es gut, dass ich quasi mal da gesessen habe und mich geärgert habe ... was machen die eigentlich hier mit mir? Kann ich mich das nächste mal dagegen auflehnen oder denen mal sagen ‚Das gefällt mir nicht so gut, kann ich meine eigenen Stücke anbringen?’ ... Das finde ich insgesamt schon .. na gut, das hat mich fast ein bisschen überrascht, weil ich nun dann doch gemerkt habe ‚Ich war in meinem Urteil doch schon klar damit ... mit diesem Praktikum aber .. es bietet doch jetzt ganz andere Betrachtungsweisen ... konkret auf einzelne will ich jetzt auch gar nicht so eingehen, weil eigentlich alle drei Sachen ineinander greifen ... finde ich.

6.3.2 Bewertung der Fallbearbeitung im Fallbeispiel

Mit einer Bewertung der Fallbearbeitung im Fallbeispiel wird hier noch

einmal zusammenfassend erläutert, was mit den gelieferten

dokumentierten Fragmenten aus dem Fallbeispiel „Das typische

Praktikum“ bereits versucht wurde darzustellen: die von dem

Erfahrungsschildernden eingebrachte Erzählung wurde von den

Kollegialen Beratern aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet und

diese Arbeit am Ende des Kollegialen Beratungsprozesses aus Sicht von

‚A’ als hilfreiche Betrachtungsmöglichkeiten angenommen.

Der Erfahrungsschildernde erzählte zu Beginn drei aus seiner Sicht

unterschiedliche Situationen aus seinem Praktikum. Dabei konstruierte er

eine Erzählung mit Bildern aus der Symbolwelt des Theaters mit drei sich

vom Inhalt her unterscheidenden Szenen. Sie wurden von ihm als

getrennt voneinander vorgegeben. Einen Zusammenhang stellte er her,

indem ihn wohl die Frage daran beschäftigte, „womit er am besten klar

kommt“ bzw. „wie der Praktikumstellenanbieter am sinnvollsten mit einem

Praktikanten umgehen soll“. Die Kollegialen Beratern (re)konstruierten mit

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6 Analyse eines Tutoriums mit Studierenden der Erziehungswissenschaft im Hauptfach 83

ihren Kommentaren zu Beginn der Problemanalyse die Zusammenhänge

der gelieferten Informationen aus ihrer Sicht. Zu Beginn der

Problemanalyse, bei der sie die Erzählung noch einmal nach-erzählten,

also rekonstruierten, fasste ‚B’ beispielsweise alle drei Szenen unter dem

Titel „Allein gelassen im Praktikum“ zusammen. ‚D’ bezeichnete das

Gehörte als eine „typische Praktikumssituation“ und betonte ein Gefühl

von „Abhängigkeit“, das er rausgehört habe. Diese Zusammenhänge

konstruierten die Studierenden nicht beliebig. Die Kollegialen Berater

bezogen sich dabei auf eigene Praktikumserfahrungen und Vorstellungen,

wie ein solches ablaufen soll. Zugespitzt formuliert arbeiteten sie nicht

mehr an dem Fall, um die Fragen des Erfahrungsschildernden zu

beantworten, sondern auf Basis der eigenen imaginären Vermutungen.

Die sich daraus ergebenden Perspektiven mündeten dann in

unterschiedlichen Bewertungen der Erfahrungsschilderung. Aus einer als

ungeklärt eingebrachten Praktikumserfahrung wurde eine solche, die als

„Erfahrungsschatz“ nützlich eingeordnet werden konnte. Am ehesten

gelang es dann ‚D’ eine konkrete Handlungsperspektive zukünftiger

Praktikumsituationen zu formulieren.

Den Zweck der Fallbearbeitung bestätigte TN2 als Erfahrungsschildernder

dann im Schritt 6 der Übung, als er berichtete, was ihn während dieser

Kollegialen Beratung seines Anliegens bewegt hatte. Er teilte mit, dass er

„fast ein bisschen überrascht“ sei über die „ganz andere“

Betrachtungsmöglichkeit auf die 3 Szenen, die ihm die Kollegialen Berater

vorgeführt haben. In einer ebenfalls auf Tonband aufgezeichneten

Nachbesprechung, zu der ich mich zwei Tage später mit ihm getroffen

hatte, bestätigte er diese Haltung.

6.4 Bewertung des Tutoriums aus Sicht der TN

In der Prozessreflexion im Schritt 8 der Übung, schilderten die TN ihre

Erfahrungen und den möglichen Erkenntnisgewinn nach den drei

durchgeführten Fallbearbeitungen. Es zeigte sich dabei, dass alle

Erfahrungsschildernden durchweg positiv beeindruckt von der

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6 Analyse eines Tutoriums mit Studierenden der Erziehungswissenschaft im Hauptfach 84

Zusammenarbeit und den Ergebnissen der Fallbearbeitungen waren (in

der Reihenfolge der Wortmeldungen):

TN2: (...) in dieser simulierten Problemlösung, die wir da jetzt hatten,

ergibt sich ja schon eine konkrete Problemlösung für meine Sachen, die ich mir selber im Kopf mache.

TN1: (...) Geh mit einem positiven Gefühl raus .. habe auch mein

Problem soweit bearbeitet .. bzw. bin mit der Bearbeitung ein Stück weitergekommen (...)

TN4: Also für mich ist das natürlich was anderes, weil ich kein Problem

gestellt habe .. und so die Position nicht eingenommen habe. Und halt nur in dieser beratenden Funktion da war. Und ich fand’s auch sehr gut (...)

TN3: Bezogen auf meinen eigenen Fall, sehe ich es glaube ich so, dass

man neue Ansatzpunkte hat. Also noch nicht so, dass da jetzt irgendeine Lösung im Raum ständ .. oder so .. aber einfach, so eine Richtung oder neue Kombination von ... ja schon .. also auch schon von der gleichen, die man vorher hat, aber die einfach nur neu kombiniert werden.

Darüber hinaus bewertete TN3 die Rollenkonstruktion des

Erfahrungsschildernden als „überzeugend“, der dabei „ganz

rausgenommen“ wurde:

TN3: Überzeugend finde ich wirklich, dass der eine ganz raus

genommen wird und quasi nur zuhören kann und nicht eingreifen, wenn über das, was er gesagt hat, gesprochen wird. Das finde ich richtig überzeugend.

Bemängelt wurde von TN4 und später von TN3 bestätigt, dass die

Kollegialen Berater in Schritt 5 der Übung keinen „Dreierdialog“ über die

Erfahrungsschilderung führen sollten, bei dem offen diskutiert werden

konnte:

TN4: (...) weil ich eigentlich glaube ich halt eher diese dialogische

Modelle vorziehe, weil ich das Gefühl habe, dass sich dadurch vielmehr entwickeln kann. Also, wenn ich mich in zwei Minuten

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6 Analyse eines Tutoriums mit Studierenden der Erziehungswissenschaft im Hauptfach 85

hierhin setze und schnell alles aufschreibe und dann letztendlich das darstelle und nur nachfragen kann ... ich hatte permanent ein Bedürfnis da .. also einfach in Dialog zu treten .. meinetwegen so ein Dreierdialog halt zu führen (...)

TN3: (...) wenn jeder darstellt, was er gehört hat und was es für ihn

bedeutet und das dann irgendwie die anderen nur verstehen sollen, wie er das meint ... das hat mich nicht so richtig überzeugt. Also, da hatte ich dann auch den Eindruck, dass es zu so einer gewissen Wiederholung herausfordert. Also, wenn schon zwei davon gesprochen haben, und dann das dritte einsetzt.

6.5 Kommentierung des Tutoriums aus eigener Sicht

Die geleistete Arbeit der studentischen KollegInnen in dem Tutorium wird

aus eigener Sicht als erfolgreiche Kollegiale Beratungsarbeit bewertet:

• Die Erfahrungsschildernden konnten mit neuen Sichtweisen auf ihre

eingebrachten Erzählungen bedient werden.

• Die TN lieferten den Erfahrungsschildernden dabei keine fertigen

Lösungsangebote auf „ihr“ Problem, was sich aus den

Schlusskommentierungen entnehmen lässt. Vielmehr regten sie in der

vorgeführten Reflexionsarbeit ein weiteres selbsttätiges Nachdenken

der zuhörenden, erfahrungsschildernden Person an.

• Die kollegiale Leistung wurde von den TN dankend angenommen und

konnte ohne eine professionelle Steuerung (beispielsweise durch einen

ausgebildeten Supervisor) erbracht werden. Daraus lässt sich

schließen, dass eine gemeinsame Betrachtung der als ungeklärt

wahrgenommenen Wirklichkeitskonstruktion über die Kollegiale

Beratungsübung angeleitet wurde. Die Klärung einer möglicherweise

engen Betrachtung eines Wirklichkeitsausschnittes konnte (systemisch)

durch andersartige Verknüpfungen der Inhalte (Beziehungsebene) in

einem dafür konstruierten Raum angeleitet werden. Einer als ungeklärt

zu Beginn der Fallbearbeitung empfundenen Erfahrung konnten in der

Kollegialen Beratungsarbeit verschiedene Ansätze einer Betrachtung

zur Klärung gegenübergestellt werden.

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6 Analyse eines Tutoriums mit Studierenden der Erziehungswissenschaft im Hauptfach 86

Als Teilnehmer mit Vorkenntnissen aufgrund der Auseinandersetzung im

Zuge vorliegender Überlegungen fiel mir die Einhaltung der Rolle des

Moderators persönlich leichter als ich es im Vorfeld angenommen hatte.

Nach Sichtung der Abschrift der letzten beiden Fallbearbeitungen

reduzierte sich mein Einfluss auf das Geschehen auf Hinweise die

Rolleneinhaltung und den Ablauf betreffend. Ich gehe davon aus, dass die

Rolle des Moderator ebenso von einem anderen Teilnehmer hätte

ausgefüllt werden können, ohne unterschiedliche Betrachtungen der

Erzählung zu verhindern. Die Theatermetapher zeigte sich daneben als

geeignetes Verfahren um den Studierenden eine Symbolwelt anzubieten,

über die sie sich auf der Inhaltsebene verständigen konnten. Ohne

gesondert darauf hinzuweisen, bedienten sich die TN während den

Fallbearbeitungen dieser Symbolwelt.

Kritisch anzuführen ist im Zuge einer Kommentierung des Tutoriums aus

meiner Sicht, dass es TN4 selten gelang, sich an die „Spielregeln“ der

Übung zu halten. Während den Fallbearbeitungen empfand ich dies

teilweise als störend. Vor allem in der Phase der Problemanalyse und

Lösungsarbeit musste ich häufiger darauf hinweisen, keinen (Blick)Kontakt

zu ‚A’ zu suchen bzw. diesen direkt anzusprechen. Meine Vermutung ist,

dass es TN4 auch deshalb nur selten gelang, die

Erfahrungsschilderungen konkret auf die Inhalte bezogen zu

kommentieren. Vielmehr abstrahierte TN4 sehr schnell komplexe

theoretische Vermutungen, über die ein permanenter Diskussionsdruck zu

liegen schien – wahrscheinlich, um den Wert der Ideen zu klären. Dies

und die Kritik aus der Prozessreflexion bestätigt auf der anderen Seite

auch, dass die Durchführung einer Kollegialen Beratung auf einem

Kommunikationsverhalten der TN aufbaut, welches dem alltäglichen

Gesprächsverhalten unter Umständen nicht entspricht. Insofern bewerte

ich die Kritik als Argument für den Einsatz der Übung, wenn ein darin

implementiertes systemisch-dialogisches Kommunikationsverhalten als

geeignet für eine pädagogisch wirkend wollende Klientel angesehen wird.

Zudem verdeutlicht dies die Schwierigkeit, eigene Wirklichkeitsstile als

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7 Fazit und Ausblick 87

veränderungswürdig einzustufen und sich auf möglicherweise befremdlich

wirkende Herangehensweisen einzulassen.

7 Fazit und Ausblick

Die Überlegungen in der vorliegenden Arbeit gingen der Frage nach,

welchen Beitrag eine intervisionsorientierte Form der Kollegialen

Beratungsmethode für Studierende der Erziehungswissenschaft leisten

kann.

Mit der Praktikumsordnung am Institut für Erziehungswissenschaft (siehe

Anhang A) wurde zu Beginn eine relevante Grundlage der Fragestellung

vorgestellt, aus der ein möglicher Beitrag als wesentliches Ziel der in

dieser Arbeit vorgestellten Kollegialen Beratungsübung entwickelt wurde.

Im Vordergrund stand dabei die Aufarbeitung von Praxiserfahrung unter

Studierenden der Erziehungswissenschaft. Bei der Auswahl der

theoretischen Annahmen überwog aus diesem Grund das Interesse, die

Zweckmäßigkeit der Methode weniger im Hinblick auf den Kontext

subjektiver Lerntheorien, als hinsichtlich der ablaufenden Kollegialen

Beratungsarbeit in den Blick zu nehmen.

Auf der Basis eines systemisch-konstruktivistischen Ansatzes konnte

gezeigt werden, in welcher Weise Menschen i.S. erkennender Subjekte

aus ihren Beobachtungen heraus Wirklichkeitszusammenhänge

konstruieren. Die Beziehungsebene wurde dabei als eine geeignete

Perspektive eingeführt, um Situationen in der pädagogischen Praxis

bewerten zu können. Eine systemisch-dialogische Vorstellung von

Kommunikation unterscheidet in der Herangehensweise eine bewusst-

methodische Erzählung über eine symbolisch vermittelte Ebene von einer

unbewusst-intuitiven Erzählung, die von den imaginären Vorstellungen der

Zusammenhänge geprägt wird. Symbolisch kommunizierte Inhalte können

bei der Rekonstruktion der ursprünglichen Erzählung dann auf imaginäre

Annahmen hin überprüft werden, wenn sie mit anderen Wirklichkeitsstilen

neu in Beziehung zueinander gesetzt und betrachtet werden. Mit der

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7 Fazit und Ausblick 88

systemisch-dialogischen Auffassung bei der Betrachtung der

Verbalisierung von Wirklichkeitssausschnitten als Erzählungen konnte

gezeigt werden, dass sich – auch rückwirkend – eine die hergestellten

Beziehungswirklichkeiten in den Blick nehmende Beobachtung

(re)konstruieren lässt.

Zur methodischen Inszenierung eines solchermaßen systemisch-

dialogischen Kommunikationsverständnisses wurde die Methode der

Kollegialen Beratung als eine intervisionsorientierte Form strukturierter

und moderierter kollegialen Praxisberatung vorgestellt. Studierende der

Erziehungswissenschaft werden in den vorgestellten Phasen des

Kollegialen Beratungsprozesses dabei unterstützt, die hergestellten

Wirklichkeitszusammenhänge im Modus ihrer und anderer

Wirklichkeitsvorstellungen selbstlernend zu reflektieren. Die Kollegiale

Beratungsarbeit wurde darüber hinaus einem fragmentarischen

Lernansatz zugeordnet, da die Wirklichkeitszusammenhänge einer

Erfahrungsschilderung beispielhaft während der Reflexionsarbeit

mehrperspektivisch betrachtet werden. Dabei wird an implizites Wissen

nicht nur des Erfahrungsschildernden, sondern auch der Kollegialen

Berater exemplarisch angeknüpft. Ein solchermaßen kollegiales und

darüber hinaus stellvertretendes Lernen wird als ein aktiver und

konstruktiver Prozess verstanden. Eine qualitativ hochwertige Bearbeitung

einer beispielhaften Situation auf der Beziehungsebene ermöglicht dabei

den TN einen Transfer in zukünftige Denk- und Handlungsoperationen.

Die Kollegiale Beratungsübung, wie sie hier als methodisch angeleitete

Lernform entwickelt wurde, ermöglicht zu diesem Zweck ein strukturiertes

Vorgehen, bei dem sich Studierende in einer systemisch-dialogischen

Gesprächsführung begegnen. In einem horizontalen Beratungsansatz

treffen unterschiedliche Wirklichkeitskonstrukteure aufeinander, um eine

zu klärende Praktikumserfahrung gemeinsam zu reflektieren. Eine

Wirklichkeitskonstruktion wird dabei zum Gegenstand einer gemeinsamen

Betrachtung, indem sie als Erzählung in die gemeinsame Reflexionsarbeit

eingebracht und gemeinsam bearbeitet wird. Die Heterogenität der

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7 Fazit und Ausblick 89

teilnehmenden Wirklichkeitsstile prägt die gemeinsame Betrachtung der

Erzählung aus unterschiedlichen Perspektiven, die durch dialogische

Wechselspiele inszeniert wird. Die Inszenierung dialogischer

Wechselspiele meint, dass die Akteure im Kollegialen Beratungsprozess

den jeweiligen dialogischen Prozess konstituierende, wechselnde Rollen

(spielerisch) einnehmen. In den vorgestellten Phasen des Kollegialen

Beratungsprozesses wird von den TN über eine ständige Konstruktion und

Rekonstruktion der Erzählung dann eine kollegiale Leistung

hervorgebracht, die im Ergebnis eine Dekonstruktion der

Anfangserzählung in Form neuer Wirklichkeitszusammenhänge liefert.

Mit einer experimentellen, praktischen Anwendung der entwickelten

‚Kollegialen Beratungsübung zur Aufarbeitung von Praktikumserfahrung’,

konnte in einem Tutorium mit Studierenden der Erziehungswissenschaft

im Hauptfach an einem Fallbeispiel gezeigt werden, dass dabei eine

Aktivierung des Selbstlernens ausgelöst wird. Die Studierenden konnten

dazu aufgefordert werden, eine Praktikumserfahrung exemplarisch

einzubringen und systemisch, d.h. mehrperspektivisch zu betrachten. Aus

den Kommentierungen der Studierenden kann entnommen werden, dass

die angeleitete Kollegiale Beratungsarbeit neue Betrachtungs-

möglichkeiten und ein verändertes Nachdenken über die zu Beginn

geschilderte Praktikumserfahrung angeregt hat. Verschiedene

Wirklichkeitszusammenhänge und damit Inhalte konnten über die

Beziehungsebene klärend in den Blick genommen werden. Eine

Bewertung oder Umsetzung der methodisch ermöglichten

Veränderungsimpulse liegt allein bei den TeilnehmerInnen.

Eine Überprüfung der Wirksamkeit angeregter Veränderungsimpulse

wurde in dieser Arbeit nicht vorgenommen, da ein solches

Forschungsinteresse einen längeren Bearbeitungszeitraum beansprucht.

Vorstellbar wäre zu diesem Zweck, dass sich Studierende der

Erziehungswissenschaft im Hauptfach nach ihrem Praktikum in

verschiedenen Kollegialen Beratungsgruppen zusammenfinden. In einem

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7 Fazit und Ausblick 90

einleitenden Workshop sollte den Studierenden die Methode vorgestellt

und demonstriert werden. Hier wäre auch Gelegenheit mit den

Studierenden die Phase der Problemanalyse intensiver als in dem

durchgeführten Tutorium im Rahmen dieser Arbeit zu thematisieren.

Jeweils 5 Studierende sollten sich dann in vereinbarten Abständen treffen

sowie nicht mehr als 2 Fallbearbeitungen pro Sitzung anstreben und auf

Tonband aufzeichnen. In Nachinterviews im darauffolgenden Semester

könnte eine mögliche Wirksamkeit angeregter Veränderungsimpulse

abgefragt und im Verbund mit den aufgezeichneten Tonbandaufnahmen in

einer qualitativen Studie überprüft werden.

Die vorliegende Arbeit konnte bestätigen, dass sich die Methode

Kollegialer Beratung eignet, um Praktikumserfahrungen mit Studierenden

der Erziehungswissenschaft in einer strukturierten Vorgehensweise

aufzuarbeiten. Studierende der Erziehungswissenschaft werden mit der

Methode Kollegialer Beratung dabei unterstützt, eine erlebte

Praxissituation im Modus ihrer und anderer Wirklichkeitsvorstellungen

selbstlernend zu reflektieren.

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8 Literaturangaben 95

Maßnahmen in einer ostdeutschen Großstadt. Institut für systemische Beratung, Wiesloch. SCHMID, B./PORTELE, G, 1976: Brechts Verfremdungseffekt und soziales Lernen. In: Gruppendynamik. Forschung und Praxis. Heft 6, Dezember 1976. Stuttgart: Klett, S.455-464. SCHMID, B., 2000: Der systemische Ansatz in Training und Beratung. In: Trainer-Kontakt-Brief Nr.30, 3/2000 S.31-32. SCHMID, B./WENGEL, K., 2001: Die Theatermetapher. Perspektiven für Coaching, Personal- und Organisationsentwicklung. Seite 81-90 in: profile, Internationale Zeitschrift für Veränderung, Lernen, Dialog. Heft 01/2001 (Erstausgabe d. Zeitschrift). SCHMID, B./HIPP, J./CASPARI, 2001: Didaktikreader. Handbuch der Lernkultur am Institut für systemische Beratung. Studienschrift, Institut für systemische Beratung, Wiesloch. SCHMID, B., 2002: Persönlichkeitsentwicklung, Professionelle Begegnung und Kulturentwicklung. In: Lernende Organisation, Nr.6, Wien: ISCT (Institut für systemisches Coaching und Training), März/April 2002, S.6-15. SCHMIDT, C., 2001: „Am Material“: Auswertungstechniken für Leitfadeninterviews. In: Friebertshäuser, B./Prengel, A. (Hrsg.): Handbuch Qualitative Forschungsmethoden in der Erziehungswissenschaft. Weinheim u. München: Juventa Verlag, 2001, S.544-568. SCHMIDT, S.J. (Hrsg) 2000: Der Diskurs im Radikalen Konstruktivismus. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 8.Aufl. SCHREYÖGG, A., 1992: Supervision – ein integratives Modell: Lehrbuch zu Theorie & Praxis. 2.Aufl., Paderborn: Junfernmann. SCHÜßLER, I., 2000: Deutungslernen. Erwachsenenbildung im Modus der Deutung - Eine explorative Studie zum Deutungslernen in der Erwachsenenbildung. Baltmannsweiler: Schneider-Verl.Hohengehren. SIEBERT, H., 2000: Didaktisches Handeln in der Erwachsenenbildung: Didaktik aus konstruktivistischer Sicht. Neuwied; Kriftel: Luchterhand (3.Aufl.). SPIESS, W., 1996: Entspannung, Metaphern, Imaginationen, ......Brainstorming: Das Freiburger (CH) Supervisionsmodell für Gruppen und Teams. In: Pallasch, W./Mutzeck, W./Reimers, H. (Hrsg.): Beratung – Training – Supervision: eine Bestandsaufnahme über Konzepte zum Erwerb von Handlungskompetenz in pädagogischen Arbeitsfeldern. Weinheim u. München: Juventa Verlag, 1996, S.241-253. STUCKE, W., 1990: Die Balint-Gruppe. 2.Aufl., Köln: Deutscher Ärzte-Verlag. THIEL, U., 1994: Professionelle und kollegiale Supervision – Begründung und Praxis ihrer Kombination. In: PÜHL, H. (Hrsg.): Handbuch der Supervision 2. Berlin: Wirtschaftsverlag Volker Spiess GmbH, 1994, S.199-211.

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8 Literaturangaben 96

THIEL, U., 1998: Fortbildung von Leitungskräften in pädagogisch-sozialen Berufen. Ein integratives Modell für Weiterbildung, Supervision und Organisationsentwicklung. Weinheim & München: Juventa (2.Aufl.). VOGEL, P., 2002: Das Studium der Erziehungswissenschaft. In: OTTO, H.-U./RAUSCHENBACH, T./VOGEL, P. (Hrsg.): Erziehungswissenschaft in Studium und Beruf. Eine Einführung in vier Bänden, Band 2: Erziehungswissenschaft: Lehre und Studium. Opladen: Leske und Budrich, 2002, S. 13-20. VORWERG, R. (1991): Zur Struktur von Handlungswissen. Dissertation vorgelegt der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät des Wissenschaftlichen Rates der Humboldt-Universität zu Berlin (–91HB4719–). Wahl, D. 1991: Handeln unter Druck: der weite Weg vom Wissen zum Handeln bei Lehrern, Hochschullehrern und Erwachsenenbildnern. Weinheim: Deutscher Studienverlag. WATZLAWICK, P./BEAVIN, J.H./JACKSON, D., 1990: Menschliche Kommunikation: Formen, Störungen, Paradoxien. Bern: Hans Huber (8.unv.Aufl., Orig. 1969). WATZLAWICK, P., (Hrsg.) 2000: Die erfundene Wirklichkeit. Wie wissen wir, was wir zu wissen glauben? Beiträge zum Konstruktivismus. München: Piper Verlag GmbH (12.Aufl.). WEINBERG, J. 2000: Einführung in das Studium der Erwachsenenbildung. Bad Heilbrunn: Klinkhardt (überarb. Neuaufl.).

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9 Anhang 97

9 Anhang

Anhang A: Praktikumsordnung am Institut für Erziehungswissenschaft der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn vom 01.10.2001

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9 Anhang 98

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9 Anhang 99

B AB

D

AB

C

AB

Anhang B: Ausgehändigtes Übungsblatt im Tutorium ‚Kollegiale Beratungsübung zur Aufarbeitung von Praktikumserfahrung’ Personen: 1 Moderator (überprüft Zeiteinhaltung; erinnert ggf.an die Rollen und

Fragen) 1 Erfahrungsschildernder (A) und 3 kollegiale BeraterInnen (B,C, D) Dauer der Übung: ca. 4 Std.

1) 3-4 Min.: Der Moderator lädt in ein stilles Selbstgespräch ein (Notizen machen)

Die Reihenfolge der Erfahrungsschildernden (A) wird festgelegt. 2) 5-7 Min.: A schildert eine Situation aus seinem/ihrem Praktikum.

• B, C und D hören entspannt zu. Sie versetzen sich in eine Haltung, in der sie

o aufmerksam-freundlichen Kontakt zu sich selbst aufnehmen. o sich mit unfokussierten Blick auf A einstellen.

3) 2-3 Min.: B, C und D betrachten A und überlegen sich kurz still

(ggf. Notizen machen):

1. Was habe ich gehört?

2. Was beschäftigt mich an der Sache?

4) 5 Min.: B, C und D können A Verständnis- und Zusammenhangsfragen stellen. 5) 3 x 10 Min.: B berichtet C und D kurz was er/sie gehört hat und ihn/sie an der Sache

beschäftig; B spekuliert in lockerer Folge an den Fragen (Spekulationssphären) entlang über A.

Spekulationssphären:

Wenn jemand Drittes mich fragen würde: 1. Was hat A, der mir das erzählt hat, eigentlich für eine Erfahrung

gemacht? 2. Was glaube ich, welche Spuren diese Erfahrung bei A zur Zeit

hinterlässt? 3. Welche Möglichkeiten sehe ich (als pädagogische/r Kollege/in) für

A, aus dieser Erfahrung etwas Nützliches zu gewinnen? • C und D hören B entspannt zu.

o Dabei ist ihre Aufgabe (gegebenenfalls durch Nachfragen), sich darin zu überprüfen, ob sie B so verstehen wie er/sie A verstanden hat. („Habe ich es richtig verstanden, dass du das Gefühl hast, dass A...“)

• B, C und D nehmen keinen Kontakt zu A auf, sondern lassen ihren Eindrücken und Vermutungen freien Lauf.

• A hört zu, muss nichts auf sich beziehen und gibt keinen Kommentar. Nun ist C und danach D an der Reihe, in lockerer Folge über den Fragen

entlang über A zu spekulieren (die anderen Kollegialen Berater verhalten sich jeweils entsprechend).

6) 5-10 Min.: A berichtet B, C und D was ihn während dieser Phase bewegt hat. 7) Schritte 2) – 6) mit einer/einem anderen Erfahrungsschildernden (A) 8) 15 Min.: A, B, C und D tauschen sich über Erfahrungen und möglichen

Erkenntnisgewinn während der Übung aus.

A AA

B

A

C

A

D

A

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LEBENSLAUF

Fred Ferdinand Schmidt, geboren am 11.10.1972 in Dernbach (Westerwald)

Anschrift Heinrich-von-Kleist-Str. 23 53113 Bonn

Telefon E-Mail

0228-2094797 [email protected]

Staatsangehörigkeit deutsch Familienstand seit 04.08.2000 verheiratet mit Michaela Schmidt, geb. Becker

1979 – 1983 Pfarrer-Giesendorf Grundschule, Dernbach

1983 – 1988 Mons-Tabor-Gymnasium, Montabaur

1988 – 1990 Staatl. Realschule, Montabaur

1990 – 1993 Staatl.-Peter-Altmeier Gymnasium, Montabaur

22.06.1993 Abitur

07/1993 – 06/1994 Grundwehrdienst

07/1994 – 07/1995 08/1995 – 09/2001

Management-Ausbildungsprogramm bei McDonald’s Deutschland Inc. 1. Assistent und stv. Restaurantleiter (ab 04/1996 als Teilzeit Angestellter)

Studium Magisterstudiengang: Erziehungswissenschaft (Hauptfach)

Politische Wissenschaft (Nebenfach) Soziologie (Nebenfach)

SS 1996–SS 1997 Studium an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz

WS 1997/98 – WS 2000/01 Studium an der Ruprecht-Karls-Universität in Heidelberg

SS 1998 Zwischenprüfung in Politische Wissenschaft

WS 2000/01 Zwischenprüfung in Erziehungswissenschaft

seit SS 2001 Studium an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn

SS 2001 Zwischenprüfung in Soziologie

Praktikum 03/2000 – 08/2000 09/2000 – 09/2001 04/2002 – 09/2002

Seminarbegleitung/Administration: Institut für systemische Beratung, Wiesloch Curriculum „Systemisches Coaching und Teamentwicklung“ Institut für systemische Beratung, Wiesloch Mitarbeit im DIE-Projekt „Qualitätsentwickler/in in Einrichtungen der Erwachsenenbildung“: Deutsches Institut für Erwachsenenbildung (DIE), Bonn

Bonn, 30.12.2002