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J. Eschler, Die musku]~re Beeinflussung der sich bfldenden Kiefergelenke usw. 317 Aus der kieferorthopadischen Abteilung (Leiter: Prof. Dr. reed. Dr. med. denL J. E s c h 1e r) der Universit/~ts-Zahn- und Kieferklinik Freiburg/Br. (Direktor: Prof. Dr. i-I. 1~ e h m) Die muskul/ire Beeinflussung der sich bildenden Kiefergelenke und Parodontien unter Beriicksichtigung der kieferorthop~idischen Therapie Von Prof. Dr. Dr, Josef Eschler, Freiburg/Br. Mit 21 Abbildungen Die Hauptfunktion des Kausystiems ist die Nahrungsaufnahme; zur Zeit der Geburt ist es dafiir jedoch nur sehr mangelhaft ausgebildet. Voll funktionsf~hig sind eigentlich nur Muskulatur und Gelenke. Letztere ermSglichen zwar Unter- kieferbewegungen, besitzen jedoeh noch nicht ihre endgfiltige Form. Muskulatur nnd Gelenke des Kausystems werden zweekm~Big als funktionelle Einheit zum Gelenkmuskelsystem zusammengefal]t. Einzelne Glieder der morphologisehen und funktionellen Kette des Kau- systems, wie die Zs fehlen dagegen noeh vollst~ndig, sie sind nur anlagem~6ig vorhanden. ~ls Keime im Kiefer machen sie zuns eine vom Gelenkmuskel- system, nieb:~ beeinfluBte Entwieklung dutch. Die Z~hne werden erst naeh ihrem Durchbruch~; lnd dutch die Einwirkung der funktionellen Belastungen mit ihren parod0ntialr ~ Geweben zu funktionell vollwertigen Gliedern des Kausystems. Die Durehby ~chsriehtung bzw. Stellung der Z~hne, im wesentliehen zwar durch die Keimlagr bedingt, kann jedoch im Sirme des Funktionskreises yon der Muskel- funktion beth~flul]t werden und umgekehrt ist die Zahnstellung imstande, die Muskelfunkt} ?n bis zu einem gewissen Grade abzu~ndern. Mit der letztgenannten Einschr~nku~g so]l zum Ausdruck gebraeht werden, dab die Muskelt~tigkeit yon den Z/~hnen nur in den Bewegungsabsehnitten des Unterkiefers abge~ndert wer- den kann, in welehen untere Z~hne mit oberen in Kontakt sind. Die Kiefergelenke wiederum, obwohl sie die ffir die Nahrungsaufnahme not- wendigen Unterkieferbewegungen bereits gestatten, sind jedoeh, wie Steinhardt gezeigt hat, funktionell noeh nieht geformt. Nach der Geburt treten in den Gelenk- anlagen ffir die sps Funktion notwendige und sehr wesentliehe Umformungen auf, die in-den ersten Jahren in sehnell ablaufenden Gewebsvorg~ngen bestehen, dann langsamer werden, aber bis fiber das 14. Lebensjahr hinaus fortbestehen. Die Gelenkformung unterli~gt vor dem Durchbrueh der Z~hne ausschliel31ieh und sp/~ter weitestgehend den muskut~ren Einfl/issen. Mit diesen kurzen einleitenden Ausffihrungen sollte zum Ausdruek gebraeht werden, wie unvollst~ndig das Kausystem anatomiseh und funktionell zur Zeit der Geburt ausgebildet ist, zu einer Zeit, zu der das I~eugeborene seine Nahrung nun nicht mehr aus dem Blute der Mutter beziehen kann und imstande sein muB, sie selbst aufzunehmen. Das Kausystem und seine Funktion sind fiir die Lebens- erhaltung des neugeborenen Lebewesens nieht viel unwiehtiger als die Atmungs- organe. Die l~ahrung wird der mangelhaften Ausbildung des Kausystems an- gepal]t, wofiir dann die funktionelle T~tigkeit des eigentlieh einzigen, vollst~ndig vorhandenen und ts Absehnittes des Kausystems, seiner Muskulatur, genfigt, um die I~ahrungsaufnahme und damit das Leben zu siehern. Somit gebfihrt der Muskulatur und ihrer T~tigkeit eine grSl~ere Beaehtung. Die Muskelt~tigkeit/ibernimmt im wesentliehen die funktionelle Gestaltung der 22*

Die muskuläre Beeinflussung der sich bildenden Kiefergelenke und Parodontien unter Berücksichtigung der kieferorthopädischen Therapie

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J. Eschler, Die musku]~re Beeinflussung der sich bfldenden Kiefergelenke usw. 317

Aus der kieferorthopadischen Abteilung (Leiter: Prof. Dr. reed. Dr. med. denL J. E s c h 1 e r) der Universit/~ts-Zahn- und Kieferklinik Freiburg/Br. (Direktor: Prof. Dr. i-I. 1~ e h m)

Die muskul/ire Beeinflussung der sich bildenden Kiefergelenke und Parodontien

unter Beriicksichtigung der kieferorthop~idischen Therapie Von Prof. Dr. Dr, Josef Eschler, Freiburg/Br.

Mit 21 Abbildungen

Die Hauptfunkt ion des Kausystiems ist die Nahrungsaufnahme; zur Zeit der Geburt ist es dafiir jedoch nur sehr mangelhaft ausgebildet. Voll funktionsf~hig sind eigentlich nur Muskulatur und Gelenke. Letztere ermSglichen zwar Unter- kieferbewegungen, besitzen jedoeh noch nicht ihre endgfiltige Form. Muskulatur nnd Gelenke des Kausystems werden zweekm~Big als funktionelle Einheit z u m Gelenkmuskelsystem zusammengefal]t.

Einzelne Glieder der morphologisehen und funktionellen Ket te des Kau- systems, wie die Zs fehlen dagegen noeh vollst~ndig, sie sind nur anlagem~6ig vorhanden. ~ls Keime im Kiefer machen sie zuns eine vom Gelenkmuskel- system, nieb:~ beeinfluBte Entwieklung dutch. Die Z~hne werden erst naeh ihrem Durchbruch~; lnd dutch die Einwirkung der funktionellen Belastungen mit ihren parod0ntialr ~ Geweben zu funktionell vollwertigen Gliedern des Kausystems. Die Durehby ~chsriehtung bzw. Stellung der Z~hne, im wesentliehen zwar durch die Keimlagr bedingt, kann jedoch im Sirme des Funktionskreises yon der Muskel- funktion beth~flul]t werden und umgekehrt ist die Zahnstellung imstande, die Muskelfunkt} ?n bis zu einem gewissen Grade abzu~ndern. Mit der letztgenannten Einschr~nku~g so]l zum Ausdruck gebraeht werden, dab die Muskelt~tigkeit yon den Z/~hnen nur in den Bewegungsabsehnitten des Unterkiefers abge~ndert wer- den kann, in welehen untere Z~hne mit oberen in Kontakt sind.

Die Kiefergelenke wiederum, obwohl sie die ffir die Nahrungsaufnahme not- wendigen Unterkieferbewegungen bereits gestatten, sind jedoeh, wie S t e i n h a r d t gezeigt hat, funktionell noeh nieht geformt. Nach der Geburt treten in den Gelenk- anlagen ffir die sps Funktion notwendige und sehr wesentliehe Umformungen auf, die in-den ersten Jahren in sehnell ablaufenden Gewebsvorg~ngen bestehen, dann langsamer werden, aber bis fiber das 14. Lebensjahr hinaus fortbestehen. Die Gelenkformung unterli~gt v o r dem Durchbrueh der Z~hne ausschliel31ieh und sp/~ter weitestgehend den muskut~ren Einfl/issen.

Mit diesen kurzen einleitenden Ausffihrungen sollte zum Ausdruek gebraeht werden, wie unvollst~ndig das Kausystem anatomiseh und funktionell zur Zeit der Geburt ausgebildet ist, zu einer Zeit, zu der das I~eugeborene seine Nahrung nun nicht mehr aus dem Blute der Mutter beziehen kann und imstande sein muB, sie selbst aufzunehmen. Das Kausystem und seine Funktion sind fiir die Lebens- erhaltung des neugeborenen Lebewesens nieht viel unwiehtiger als die Atmungs- organe. Die l~ahrung wird der mangelhaften Ausbildung des Kausystems an- gepal]t, wofiir dann die funktionelle T~tigkeit des eigentlieh einzigen, vollst~ndig vorhandenen und ts Absehnittes des Kausystems, seiner Muskulatur, genfigt, um die I~ahrungsaufnahme und damit das Leben zu siehern.

Somit gebfihrt der Muskulatur und ihrer T~tigkeit eine grSl~ere Beaehtung. Die Muskelt~tigkeit/ibernimmt im wesentliehen die funktionelle Gestaltung der

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fibrigen Absehnitte des Kausystems, weswegen es ein wohl einmaliges funk- tionelles System im menschliehen wie im tierisehen K6rper fiberhaupt dar- stellt. Am Kausystem kann man, wie bei keinen anderen funktionell zusam- mengeh6renden Organ- und Gewebssystemen, die Entwieklung und Formung der fibrigen ihm eingeordneten Organe und Gewebe in Abh/~ngigkeit yon der Muskelfunktion erl~utern.

Die funktionelle Formung der Gelenke, die Beeinflussung der Zahnstellung und die Ausbildung der Parodontien ist jedoeh nieht so einfach, wie man im all- gemeinen anzunehmen pflegt. Gegenseitige funktionelle Abh/ingigkeit und funk- tionelle Formung beinhalten sehr komplizierte Vorg~nge. Kompliziert deshalb, weil das Kausystem einige weitere verwiekelte und das Geschehen nieht gerade vereinfachende Eigenheiten aufweist.

1k!eben der geschilderten Eigenart des Kausystems muB seiner weiteren morphologisch-entwicklungsgeschiehtliehen und aueh funktionellen Einmalig- keit wesentliche Beaehtung geschenkt werden. Diese Eigenart des Kausystems besteht darin, da~ der Unterkiefer sich aus zwei paramedian gelegenen, vorerst getrennten Knochen entwiekelt und jeder Knochen ein proximales, paramedian gelegenes Getenk besitzt. Dadurch, dab beide Knoehen in der Medianebene fest verwachsen, ist der Unterkiefer um zwei proximale Gelenke beweglich. Es gibt im KSrper kein anderes anatomisches Gebilde, das gleichermal~en wie der Unterkiefer die KSrpermedianebene iiberbriiekt und gleichzeitig um zwei paramedian gelegene proximale Gelenke beweglieh ist, so daB an jeder Unter- kieferbewegung beide Gelenke beteiligt sind. Aus dieser Eigenart des Unterkiefers ergibt sich zwangsl/~ufig eine zweite anar und funktionelle, dem Kau- system spezifische ~Tesenheit. Den paarigen paramedianen Unterkieferteilen ent- spreehend gibt es bilateral gleichsinnig verlaufende Muskeln. Anders ausgedriickt heii]t dies, dab wir jeweils einen linken und eineu rechten symmetrisch angeord- neten Muskel haben.

Die Annahme dfirfte bereehtigt sein, dab die Entwicklung beider Unterkiefer- h/~lften, wenn sie ohne ehlseitige StSrung abl/s doch meist bilateral symmetrisch vor sich geht~ Sonaeh d/irfte auch die Verwachsungsstelle der beiden Unterkiefer- h/~lften in der KSrpermedianebene liegen und bei T~tigkeit bilateral symmetrisch angeordneter Muskeln in der KSrpermedianebene bewegt werden, da sie ent- spreehende, anatomiseh bedingte, symmetrische Funktion entwickeln sollten.

Neuere Untersuehungen fiber die Funktion bilateral symmetrisch angeord- neter Kaumuskeln haben jedoch ergeben, dab sie keineswegs symmetrisch t/s sind: Eine geeignete Methode zur Untersuchung der T/~tigkeit der Kaumuskulatur, wie der quergestreiften Muskulatur fiberhaupt, haben wir in der Elektromyo- graphie. W/~hrend wir, aus der Verlaufsrichtung der 1guskulatur nur die Richtung ihrer Funktion erschlieBen und pr~fen kSnnen, gelingt es mit rein anatomisch- morphologischeu Untersuchungsmethoden nieht, die St/~rke ihrer T/s zu untersuchen. Diese hgngt im wesentlichen yon den nervalen Impulsen ab, die die Muskelfasern auf dem Wege der zentrifugalen Nervenfasern ffir ihre T/~tigkeit erhalten. Beim Neugeborenen ist diese T/~tigkeit ein ausgesprochener l%eftex- vorgang. Ein Reiz, der in der Peripherie gesetzt wird (Beriihrung der Lippen) und der i~ber die zentripetalen Nervenfasern fiber das Ganglion Gasseri in das Kern- gebiet des Trigeminus geleitet und bier auf die motorischen Nervenzellen um- geschaltet wird, gelangt fiber die yon den motorisehen Zellen ausgehenden, zu den Muskeln verlaufenden Nervenfasern in den Muskel und bewirkt hier eine Zuckung bzw. eine Summation yon Zuckungen (Kontraktion). Diese T/s

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des Muskels ist demnach der Reizeffekt eines sensiblen Reizes. Durch die mor- phologische Eigenart der nervalen Versorgung des Kausystems und die eng be- nachbarten Kerngebiete der Nerven des Kausystems geiangt ein 1%eiz aus einem sensiblen Nervengebiet nieht nur in den seinem Segment entsprechenden Muskel, sondern es werden auch noch andere motorische Kerngebiete einbezogen und somit die yon ihnen nerval versorgten Muskeln in T~tigkeit versetzt.

I)em Kerngebiet des Trigeminus sind die Kerngebiete des Fazialis und des Hypoglossus benaehbart. Infolge dieser engen Naehbarsehaft und der Verbin- dungen dieser einzelnen Kerngebiete wird ein geiz in der Peripherie des sensiblen Trigeminus nieht nut im motorisehen Anteil desselben Nerven, sondern aueh in den anderen motorisehen Nerven, im Fazialis und Kypoglossus als l~eizeffekt siehtbar. S o geniigt bei Neugeborenen sehon eine feint Ber/ihrung der Lippen- sehleimhaut, um eine starke Kontraktion, nieht nur der vom Trigeminns ver- sorgten Kaumuskulatur and dadureh Bewegungen des Unterkiefers, sondern such eine Tgtigkeit der gesamten Fazialis- nnd I-[ypoglossusmusknlatur aus- zul6sen. Neben diesen peripheren geizen, die fiber diesen kfirzesten gesehilderten l~eflexbogen verlaufen und beim Neugeborenen sieherlieh noeh die Grol~hirn- rinde nieht mit einbeziehen, gibt es aueh noeh geflexe, die in der ~uskulatur selbst entstehen und die wir als sog. propriorezeptive l~eflexe bezeiehnen.

Von P. H o f f m a n n wurde naehgewiesen, dab bereits dureh eine kleine Deh- hung des Muskels bestimmte sensible Organe in den quergestreiften Muskeln, die sog. k{uskelspindeln, erregt werden, diese Erregungsreize auf sensiblen Nerven- bahnen in das Kerngebiet gelangen, in der motorisehen Nervenfaser in denselben ?r als Reflex zuriiekkehren and hier eine Zuekung veranlassen. Dadureh, dab bei jeder Bewegung bzw. Kontraktion tines ?r skin antagonistiseh tgtiger Muskel gedehnt wird, entsteht hier ein propriorezeptiver Reiz, der den Antagonisten zur Tgtigkeit anregt; es kommt zu einer gewissen Hemmung und Koordination der Bewegung. Wgre dies nieht der Fall, so wiirde bei der Kontrak- tion eines Synergisten eine Bewegung auftreten, die unphysiologiseh, sehlag- artig erfolgen und unkoordiniert ablanfen wfirde. Dies ist besonders im Bereieh des Kausystems sehr bemerkenswert. Neuerdings konnte Car l s65 wghrend der Xiefer6ffnung in den Antago/listen elektrisehe Potentiale als Zeiehen einer Tonus- erh6hung elektromyographiseh naehweisen. Diese Tonuserh6hung in den Leva- toren wghrend der 0ffnungsbewegung bewirkt eine Hemmung der 0ffnnngund Lenkung der Bewegung.

Die registrierten elektrisehen Potentiale yon einem Mnskel sind der Ausdruek einer Erregung. Da dieser meist eine Tgtigkeit folgt, lassen sie einen gewissen Rfieksehlug auf ihre Stgrke zu. Vet allem kann dutch Vergleieh der Aktions- strompotentiale die Stgrke der Ttttigkeit in Parallele gesetzt werden. Mittels der Elektromyographie kSrmen somit gewisse Anssagen fiber die Tgtigkeit der ein- zelnen Muskeln gemaeht werden. Ganz besonders gilt dies fiir die bilateral an- geordneten Kaumuskeln in ihrem bilateralen funktionellen Verhalten.

Untersuehungen fiber die Tgtigkeit der Kaumuskulatur bei Neugeborenen, Sguglingen und Kleinkindern ergaben, dag diese geflextgtigkeit der Muskulatur keineswegs den anatomiseh-morphologiseh bilateral symmetriseh angeordneten Substraten entsprieht. So ist z. B., wie aus den folgenden Abbildungen hervorgeht, der zweifellos and unbestritten anatomiseh symmetriseh angeordnete Masseter nieht bilateral gleiehstar k tgtig. Die oberste Kurve der Abb. 1 zeigt, dag die elektrisehen Potentiale, die vor der ersten Nahrungsaufnahme yon einem Neu- geborenen 22 Stunden naeh der Geburt registriert warden, eine auffallende

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Asymmetrie aufweisen. Die elektrische Registrierung der Tgtigkeit der Masseteren bei diesem Kind wghrend der ersten Nahrungsaufnahme (Abb. 1) und in den folgenden Wochen und Monaten (Abb. 2 und 3) ergab, da$ diese Asymmctrie zwar zungehst bestehen bleibt, sich dann aber mehr und mehr ausgleieht, wie aus den folgenden Kurven (Abb. 3)hervorgeht. Bemerkenswert ist, dab im Alter yon 5 Monaten sieh die Tendenz einer Umlagerung der asymmetrischen Verhgltnisse erkennen l~ltt. Im Alter yon 1 Jahr ist sehlieBlich der reehte Masseter deutlich starker tgtig als der lJnke (Abb. 3, beide unteren Kurven). Dies sind zweifeisohne sehr eigenartige Ergebnisse.

Aus einer sozusagen angeborenen stgrkeren T~tigkeit des linken Masseters entwickelt sieh fiber ein symmetrisches Verhalten beider Masseteren im Alter yon 4 6 Monaten eine stgrkere Tgtigkeit des rechten Masseters. Dies entspricht der Zeit, in der an die Stelle des Saugreflexes allmghlieh der Kaureflex tritt. Unter

normalen Verhgltnissen ist es spgter nieht mehr mSg- lich, den Saugreflex aus- zulSsen, der dadureh cha- rakterisiert ist, dal~ schon eine kleine Beriihrung der

l.~m. Lippen die gesamte Trige- minus-, Fazialis- und Hypo-

~ ' ~ . . . . . . . . ~ ' ~ I . . . . . . . . . . . . . . . . II ......... n~/l~ Ir~r i glossusmuskulaturinTgtig- ~ , r ~ r.,~.,~,.,~,.,,. ................... .,~.._~.. ....... ~ . . . . . . . . keit versetzt. Der Kaure-

flex ist im Kleinkindesalter re.~. siehertich ebenso wie der

..... :75 ........ " ................. 7 : : fTrfrn~rr~n~ ~,_ ! Saugreflex Bin rein reflek- toriseher Vorgang ohne Ein- schaltung des BewuBtseins oder Willens. Die bilateral

: . . . . asymmetrische Tgtigkeit anatomiseh gleichwertiger Kaumuskeln kann ihre Ur- saehe wohl aussehlielMieh

Abb. 1. Akt ionss t romkurven der :Neugeborenen Schi., l~uth, yore i n bilateral asymmetrischen 12. 7. 1955. 1. Xurve vor der ersten ~r 2., 3. und neuromuskulgren Vorggn- 4. Xurve wghrend des ersten Stil lens yore l inken und rechten )fasseter gen haben. Bilateral asym-

metrisch bedeutet, dab der Vorgang auf der einen Seite den Vorgang auf der anderen Seite fiberwiegt, obzwar man auf Grund der entwicklungsgeschicht- lichen und anatomisehen Verhgltnisse einen gleiehwertigen Vorgang annehmen sollte. Die Erregung des einen Masseters ist stgrker als die des anderen. Sonach is~ auch die Annahme berechtigt, dab die Tgtigkeit des einen Masseters die des anderen fiberwiegt. Der eine Masseter ist dem anderen funktionell fiberwertig. Was hinsichtlich der verschiedenen funktionellen Wertigkeit der Masseteren gilt, hat ~uch ffir die fibrigen Kaumuskeln sowohl in bilateraler als aueh in gegenseitiger Beziehung Geltung.

Die M5ghchkeit des verschiedenen relativen funktionellen Verhaltens der Kaumuskeln, insbesondere das bilaterale funktionelle Wertigkeitsverhgltnis ana- tomiseh gleiehwertiger (der beiden Masseteren) und dann auch anatomisch un- gleicher, aber anatomiseh-funktionsgleieher Muskeln (Masseter, Temporalis) stellt unswegen der Unzahl der Relationen vor zur Zeit noeh unl6sbare Zusammenhgnge.

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Betrachten wir einmal die wichtigsten ~uskeln, die beiden 1V[asseteren urtd Schl&fenmuskeln in ihrer bilateralen funktionellen Variabilit~t, so ergeben sich nach den elektromyographisehen Untersuehungen bei Kleinkindern folgende M6glichkeiten der funktionellen Wertigkeit :

1. eine bilateral symmetrische T/s der Masseteren und Schl/~fenmuskeln, 2. eine bilateral asymmetrische T~tigkeit der Masseteren und eine bilateral

symmetrische T/s der Schl/~fenmuskeln, 3. eine bilateral sym-

metrisehe T/~tigkeit der ~asseteren und eine bila- term funktionelle Asymme- trie der Sehl~fenmuskeln,

4. eine bilateral ~sym- metrisehe Ts der Masseteren und eine ipsi- laterMe funktionelle l)ber- Abb. 2. Ak~ionsstromkurven des KindesSchi. , ll~uth, vom 1. 8. 1955

w~hrend der lgahrungsaufnahme aus der Flasche

wertigkeit der Sehl&fen- muskeln,

5. eine asymmetrische T/itigkeit der Masseteren und eine kontralaterale funkfionelle i21berwertigkeit

. . . . . . i ................................................................................................ der Sehl~tfenmuskeln. DiG Tatsaehe der sehr

unterschiedliehen funktio- nellen Wertigkeit der Kau- muskeln, wobei das Nah-

rungsmittelwisse BedeutungaUCh hat,eine undge- :

ihre ausgepr/~gte T/~tigkeit yore Tage der Geburt an, erfordert zwangsl/~ufig eine st/irkere Berfieksichtigung : dieser Verh/tltnisse bei der : : Entwieklung aller ihrer T/~- tigkeit untergeordneten Or- gane und Gewebssysteme : des Kausystems, insbeson- dere betrifft dies die Gelenk- Abb. S. Akt[onsstromkurvon yore Hnken und rechten~asseger vom 12. I .

1956 (l~urve l uad. 2) trod v o m 8. 7.1956 (Kurve 3 mid 4) formung und Formung der Parodontien.

Im allgemeinen ist dig Ansieht verbreitet, dag zwisehen der Zahnstellung bzw. Dysgnathie und Gelenkform engste funktionelle Beziehungen bestehen und dabei die Gelenkform yon der mit der Zahnstellung urs/ichlieh verknfipften Funktion abh//ngig skin soll.

Histologiseh wurde die Gelenkformung insbesondere yon G. S t e i n h a r d t und O. t Io f fe r untersueht. Die Gelenke bei Neugeborenen lassen danaeh zwar sehon die Anlage des Tubereulum artieuiare erkennen, jedoeh ist es gegeniiber den Gelenken bei /~lteren Kindern nur angedeutet. Das Tuberkulum erseheint naeh S t e i n h a r d t erst bei 1 ~ Jahre alten Kindern als deutlich geformter Gelenk-

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h6eker: Bei zweijahrigen Kindern mit Deckbi• ist nach S t e i n h a r d t die Gelenk- bahn stefler als bei gleiehalten Kindern mit geringem ~berbiB.

Die r6ntgenologischen Untersuchungen der Gelenke yon E. t t a u s s e r , D. N e u m a n n und E. R e i e h e n b a c h geben AufschluB fiber die Beziehung der Gelenkform zur Bigart. D. N e n m a n n findet bei Kindern mit Milchz~hnen zwi- sehen den Gelenken bei DeckbiB und den mit regelreehter Okklusion nut geringe Differenzen der Gelenkbahnneigung. Die Untersehiede der Werte der t tShe des Tuberkulum und der vertikalen Lage des GelenkkSpfchens sowie der sagittalen Entfernung des GelenkkSpfchens yore Tuberkulum lagen bei den beiden unter- suchten BiB~rten (DeckbiB und norm~ler l~berbi~) unter 1 mm; nnr bei DeckbiB mit Riickbifi betrug die sagittale Entfernung des Kapi tn lum yore Tuberkulum mehr als 1 ram.

Auch E. t t a u s s e r stellt Beziehungen zwischen den einzelnen Dysgn~thien und der Gelenkform lest, wobei er ~uch Seitendifferenzen der letzteren beob- achier hat.

Bemerkenswert sind die Feststellungen yon R e i c h e n b a e h nnd L e i e r an Patienten, bei denen wegen Gelenkbesehwerden beide Disei entfernt worden waren. Auffallende Seitenabweiehungen vor der Operation konnten trotz Besei- tigung beider Gelenkseheiben nieht behoben werden.

In diesem Zusammenhang sei auch noeh auf die Beeinflussung der Unterkiefer- bewegung durch entzfindliche Prozesse im Bereiehe des Unterkiefers hingewiesen,

�9 bei denen er meist auf die kranke Seite, manehmal auch auf die gesunde Seite abweicht ( S e h u c h a r d t ) . Gelenkvergnderungen sind dabei wohl auszusehliegen. Wir haben dieselben Beobachtungen gemacht. Die Abweiehung des Unterkiefers auf die gesunde Seite wird yon uns darauf zurfiekgeffihrt, dal? diese Seite die Kauseite ist und dabei in den meisten Fallen noeh der s Flfigelmuskel der kranken Seite fiberwertig ist gegenfiber dem der gesunden Seite.

Anch A y o u b A m e r und T h i e l e m a n n konnten rOntgenologisch Seiten- differenzen der Gelenkformen beobaehten, wobei letzterer an einem Fall aueh histologiseh gewisse Differenzen naehwies.

Infolge dieser keineswegs einheitliehen Untersuehungsergebnisse der EinfluB- nahme der Zahnstellung auf die Gelenkform erscheint es gereehtfertigt, dieses Problem noeh einmal zu er6rtern. Bemerkenswert ist, wie eingangs ausgeffihrt, dab die funktionelle Formung der Kiefergelenke beginnt, bevor Zahne dureh- gebroehen sind und die dem Xausystem eigenartige, bilateral symmetriseh an- ge0rdnete Muskulatur lange vorher ihre T~t, igkeit aufgenommen hat. Es ist wohl nicht daran zu zweifeln, dag die Formnng der Kiefergelenke yon der Funk- tion beeinfluBt wird. Dies wird aueh allgemein bejaht. Jedoeh wird sie meist mi t der Zahnstellung in Zusammenhang gebraeht, obwohl sie prim/%r nur zum geringsten Tell yon letzterer beeinflul3t wird. In den ersten Woehen und Monaten nach der Geburt werden die Unterkieferbewegungen und damit aueh die Be- wegung des Gelenkk6pfehens zweifellos aussehlieglieh yon der 1Kiefermuskulatur ausgelSst nnd gelenkt. Die Z~hne kSnnen diese Bewegungen nieht beeinflussen, da sie noeh fehlen.

Der Saugreflex beherrseht Mle Bewegungen und dami t die Funkt ion des Kau- systems. Unter dem Einflug des Saugreflexes, wobei neben geringen {)ffnungs- und Sehliegbewegungen insbesondere Vor- und igfiekbewegungen ausgef/ihrt werden, laufen andere Anpassungsvorgs in den Gelenken ab als sp~ter, wenn das Kind zu kauen beginnt. Dureh die Umstellung auf eine andere Nahrung wandeln sieh aueh die Unterkieferbewegungen, mi t denen die Bewegungen der

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Gelenkk6pfchen engstens in Beziehung stehen. Ausgiebige Vorsehubbewegungen des Unterkiefers treten bei der Nahrungsaufnahme nun nieht mehr auf. Die reiz- auslSsenden Nahrungsstoffe erfordern jetzt vor allem Offnungs-, SehlieB- und Seitw~rtsbewegungen. In den Abb. 2 u n d 3 wurde gezeigt, dab sieh bei dieser Umstellung der Ern~hrungsweise die bilaterale Valenz der Masseterent~tigkeit s kann, indem der w/ihrend des Saugreflexes funktionell prgvalente linke Masseter zur Zeit des Auftretens des Kaureflexes sehws t/~tig werden und der reehte Masseter eine stgrkere T/~tigkeit entfalten kann. GleichermaBen kann aueh die funktionelle Wertigkeit anatomisch ungleichartriger Muskeln wechseln. Der Ubergang zu breiiger oder fester Nahrung erfolgt um die Mitre des 1. Lebens- jahres. Damit wird aueh der Saugreflex yore Kaureflex abgelSst.

Das Auftreten des Kaureflexes seheint aber nicht allein an die Umstellung der Ernghrungsweise gebunden zu sein, denn er zeigt sich schon frfiher. Die Kinder beginnen sehon lange vor der Zufuhr hat ter oder breilger Nahrung Gegensts die man ihnen reicht, in den Mund zu steeken und sie als Beil~ger/~te zu benutzen. Die damit verbundenen Reflexe kann man als BeiBreflexe bezeichnen, sie k6nnen als Vorls der Kaureflexe angesehen werden und leiten die Umstellung yon der Saugts zur eigentliehen Kaut'~tigkeit ein. Eine Erklgrung f/Jr das Auf- treten der geigreflexe lange vor der Aufnahme fester Nahrung k6nnte man in der starken Gr6Benzunahme der Zs ab 3.--4. Lebensmonat sehen. Es wiire denk- bar, dag durch das gesteigerte Waehstum und sehlieBlich den Druek des Zahnes gegen die Gingiva sensible Nervenendigungen im Kiefer und in der ihn fiber- deekenden Sehleimhaut erregt werden.

Da dadurch andere Nervenendigungen getroffen werden als dureh die Beriih- rung der Lippen- oder Zungenspitze, werden auch andere Neurone erregt. Der Reizeffekt wird sonaeh aueh vers Anstelle der die Saugbewegungen aus- 15senden Muskelts treten 0ffmmgs- und Schliegbewegungen des Unter- kiefers ausfiihrende Muskelfunktionen.

Die Beigreflexe sind sonach als Vorgs der Kaureflexe anzusehen und dienen zur Vorbereitung des Kausystems fiir die Aufnahme und Zerkleinerung fester Nahrung, damit das Kausys tem fs ist, wenn die Aufnahme fester Nah- rung erfolgt, die yon ihm geforderten Aufgaben zu erfiillen.

Mit der Umstellnng des Reflexgesehehens wande r sieh auch die T/~tigkeit der Muskulatur des Kausystems und damit wiederum geht eine Umformung der Gelenke einher. L e t z t l i c h m u g a l so de r F o r m u n g der K i e f e r g e l e n k e e in n e r v a l b e d i n g t e s R e f l e x g e s e h e h e n z u g r u n d e g e l e g t w e r d e n .

In den ersten Wochen des Lebens entwiekelt sieh zun/~chst eine dem Saug- reflex und den damit verbundenen umfangreiehen Vorsehubbewegungen ent- spreehende Gelenkform: eine flache Gelenkbahn und eine seiehte Gelenkgrube. Mit dem Durehbrueh der Z~hne und sehon vorher (Bei[~reflex) s sich das Reflexgesehehen. Andere Kaumuskelgruppen und Abschnitte einzelner Kau- muskeln erhalten nun stgrkere Reize. Die umfangreiehen Vorsehubbewegungen werden abgel5st yon 0ffnungs-, Schlieg- und Seitwgrtsbewegungen, die Gelenke werden umgestaltet, die Gelenkbahnneigung wird steiler, die Gelenkgrube tiefer.

Ohne auf Einzelheiten der Kiefergelenkform einzugehen, will ieh nur an einige Tatsaehen erinnern. Es besteht keine Kongruenz zwisehen Gelenkk6pfehen und Pfanne. Die Kapsel ist Sehlaff und weit, der Gelenkraum sehr umfangreieh, ein straffer Bandappara t fehlt. Alle diese Eigenarten ermSgliehen umfangreiehe Bewegungen. Mangelhafte Ausbildung die Bewegung einengender Gelenk-

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absehnitte ist aueh die Folge der Vielfalt der Muskulatur des Kausystems und ihrer T~tigkeit.

Ni t dem Durchbrueh der Z/ihne werden nut gewisse Un~erkieferbewegungen teils eingesehr/~nkt, tells abgei~ndert. Bei Vorhandensein der Milehschneidezs k6nnen die den Unterkiefer vorschiebenden Muskeln ihn nicht mehr unmittelbar naeh vorn bewegen. Der Unterkiefer mul3 bei den Vorschubbewegungen erst um den UberbiB gesenkt werden. Der sich ansehliegende Absehnitt der Vorsehub- bewegung geht dann ohne weitere Senkung vor sieh. Mit dem Durehbruch der Seitenz&hne wird die t tebung des UnterMefers eingesehr~nkt. Dieser Vorgang wird als Bighebung bezeiehnet. Das GelenkkSpfchen t r i t t damit aus seiner ur- sprfingliehen Lage, aus der Tiefe der Pfanne naeh unten. Es rutseht abet wieder naeh oben und hinten, sobald die Z&hne spi~ter entfernt werden.

Dureh die Z~thne bzw. ihre Stellung wird einerseits die Ausgangslage des K6pfehens f/it die Bewegungen abge&ndert, andererseits /ibernehmen nun die Z~thne die Fiihrung des Unterldefers, jedoeh nut ffir einen kleinen Teil seiner Bewegungen, n/~mlieh fiir die Abschnitte seiner Bewegungen, solange obere Z~hne mit unteren in Bertihrung sin& Es steht auger Zweifel, dab fiir die Bewegungs- abschnitte des Unterkiefers, wenn die Z&hne des Unterkiefers mit denen des Oberkiefers nieht in Kontakt sind, d ie Zahnstellung kein direktes Fiihrungs- element f/it die Unterkieferbewegung darstellen kann. Sonach wird die Unter- kieferbewegung nut im Bereich vor~ Bewegungsabsehnitten bei Kontakt der unteren mit oberen Z~hnen yon der Zahnstellung beeinfluBt. Die Zahnstellung sehr/~nkt die T~tigkeit der Muskeln ein. Sie werden sieh meist den Verh/~ltnissen anpassen, denn das I-Iindernis ist vielfach zu groB und kann nieht fiberwunden werden. In gewissen F~llen jedoeh werden 1Kuskeln mit einer besonders aus- geprggten Valenz bzw. St/~rke der ihnen zuflieBenden I~eize mit der Zeit Bewe- gungen der ihrer T/~tigkeit entgegenstehenden und diese einsehr&nkenden Z~hne ausl6sen. Es kommt zu Anpassungswanderungen bzw. bei verminderter Anpas- sungsfghigkeit des Parodontiums zu pathologisehen Abbauvorg~ngen und damit zu den marginalen Parodontopathien. In anderen F~llen paBt sieh die Muskel- t&tigkeit an die Zahnstellung an, wenn diese gewisse Unterkieferbewegungen ver- hindert. Es betrifft dies meist alle Unterkieferbewegungen in horizontaler Rich- tung, denen die Z/ihne im Wege sind. Vorschub- und Seitwgrtsbewegungen des Unterkiefers ohne seine geniigende Senkung bis zur Kontaktlosigkeit der Z/~hne sind dann unmSglieh. Horizontalbewegungen mit umfangreicher Senkung des

UnterMefers sind abet fiir die Zerkleinerung derNahrung nieht unbedingt erf0r- derlich; bewuBt werden sie selten ausgef~ihrt. Die h~ufigeren reflektorisehen 0ffnungs- und SehlieBbewegungen unterliegen dagegen fast aussehlieglieh der koordinierten T~tigkeit aller am Unterkiefer angreifenden Muskeln. Die Bahn der Unterkieferbewegung wird dureh T~tigkeit und I-Iemmung synergistiseher und antagonistiseher Muskeln sowie deren Valenz bestimmt.

Die umfangreiehste Einsehr&nkung erfahren die reflektoriseh ablaufenden kaufunktionellen tIorizontalbewegungen des Unterkiefers zweifellos beim Deck- biB. Der Unterkiefer muB meist mehr als ~ cm gesenkt werden, um den Einflug des l~berbisses und damit der Schneidezahnffihrung auszusehalten. Dabei nimmt der interokklusale Raum gleiehermai~en zu. Die Seitenz/ihne k6nnen nur im Durehmesser grSBere Nahrungsbroeken zermahlen als die Sperrung im Seiten- zahnbereieh zur 1)berwindung der Frontzahnftihrung betr&gt. Ffir kleinere Nah- rungsstfieke m u g der Unterkiefer in eine Lage gebraeht werden, aus der die weitere ltebung, f/Jr ihre Zerkleinerung genfigt. Sie wird demnach mit 0ffnungs-

J. Eschler, Die muskul~re Beeinflussung der sich bfldenden Kiefergelenke usw. 325

und Sehliegbewegungen ohne Lateral- und Protralbewegungen erreiehg. Legzgere werden deswegen bald ungerlassen. Den reflekgorischen 0ffnungs- und SehlieB- bewegungen pagg sieh die Gelenkformung mig der Ausbildung einer tiefen Gelenk- grube und steilcr Gelenkbahnneigung an.

Die Anpassung der bewuBten T/~gigkeig der Muskeln an den Uberbi$ ersCreekg sieh fiber eine lange Zeit, meisg fiber mehrere Jahre. So k6nnen Jugendliehe bewugt noch umfangreiehe Vorsehubbewegungen ausf/ihren; obwohl sieh schon eine sgeile Gelenkbahnneigung ausgebildeg hat. Die Gelenkkapsel und B&nd'er lassen noch umfangreiche Bewegungen zu . Einsehrs bewuBt durehgeffihrter Bewegungen greten dann auf, wenn sieh aueh diese Gelenkabsehnitte und die 3/fuskelgs den gewohnten Kaubewegungen angepag t hat. E i n g e s c h r/~ n k t e lDffnungs- u n d V o r s c h u b b c w e g u n g e n m i t s t e i l e r G e l e n k b a h n b e i D e e k -

Abb. 4 Abb. 5

Abb. 4 und 5. RSntgenaufnahmen vom linke~l Kiefergelenk der Patientin Reb., Brunhilde, in geschlossener und maximal ge6ffneter Stellung

bib s i nd s e k u n d a r e A n p a s s u n g s e r s e h e i n u n g e n , da w e g e n de r Z a h n - s t e l l u n g u n b e q u e m e u n d n i c h t u n b e d i n g t e r f o r d e r l i e h e B e w e g u n g e n be i de r K a u t / ~ t i g k e i t n i c h t a u s g e f f i h r t w e r d e n . Das Resultat ist sehlieB- lieh eine funktionelle Itarmonie zwisehen Gelenk- und Muskelsystem einerseits und dem Gebigsystem andererseits. Bleiben die Anpassungsvorg/s der Gelenk- kapsel und der Nuskein aus, indem trotz l~berbig und steilcr Gelenkbahn umfang- reiehe Vor- und 0ffnungsbewegungen (bei G/thnen, Lachen, Sehreck u. /~. oder beveugt) ausgeffihrt werden kSnnen, so sind pathologisehe Gewebsvorgange im Gclenk oder im GebiBsystem die Folge.

Wie gering der Einflug eines Deckbisses ist, und dag sieh die steile Gelenkbahn erst sp/~ter als sekund/~rer Anpassungsvorgang entwiekelt, sei am folgenden Fall demonstriert: Das 13j/~hrige M~dehen Reb. Brunhilde mit einem ausgepr&gten Deck- und DistalbiB kann den Unterkiefer noeh auf 5,2 em Kante-Kante 5ffnen und um 1,2 em vorsehieben. Auf den Gelenkaufnahmen in gesehlossener und maximaler l)ffnungsstellung (Abb. 4 und 5) sind jeweils sehr flaehe Gelenkbahncn dargestellt. Die weitere Vorschubbewegung des linken Gelenkk6pfehens stimmt mit der Abweiehung der Unterkiefermitte nach reehts bei der Offnungsbewegung und mit der rechten Seite als Kauseite fiberein (Abb. 6 und 7).

Aus den Muskelkurven geht hervor, dab bei diesem DeekbiB nieht vorwiegend mit den Sehl/~fenmuskeln gekaut wird (Abb. 8 und 9). Bei den meisten Deek- biBMndern ist sogar der Masseter fiberwertig im Vcrh/~ltnis zum Temporalis,

326 l%rtschritte der Kieferorthopgdie Bd. 20 I-I. 4 (1959)

Abb. 6 Abb. 7 Abb. 6 m~d 7. t~Sntgen~ufnahmen yore rechten Kiefergelenk der 7Patientin Reb., 13~unhilde, in geschtossel~er und

maximal geSffneter Stel lung

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Abb. 8. Akt ionss t romkurven der l~atientin Reb., Brunhi]de, w/ihrend des Kauens yon Zwieback (Kurve 1 und 2) und Brot immrem (Kurve 3 and 4) yon beiden Massetern. Kurve 1 und 3 yore l inken, Kurve 2 und

4 vom rechten -~Iasseter

wie die elektrischen Un- tersuchungen beider Mus- keln gezeigt haben. Aus- gesprochene, sog. Tem- poraliskauer, bei denen wShrend der Kautgt igkei t der Temporglis dem Mas- seter gegen/iber fiber- wiegt, sind seRen und steheninkeiner Beziehung zum UberbiB. Weiterhin ist aus diesem Fall ersieht- ]ich, dal3 mit dem DeckbiB keine steile Gelenkbahn verbunden ist, wie man erwarten so]Re. Der Uber- bib hat keinen Einflug genommen auf die Bil- dung der Gelenkbahn. Die Bedeutung der Muskel- funktion fiir die Bildung der Gelenkform zieht a uch E. t I a u s s e r mit in Er- wggung. Demgegenfiber bestreitet O. t { o f f e r die Beziehung zwisehen Ge- lenkformung und l~unk- tion, well Kinder, die mi t Sonden ernghrt warden, eine stark ausgebildete Ge- lenkpfanne und ein deut- liches Tuberkulumrelief aufwiesen, Ieh glaube, dab dies ein Beweis ffir die Mannigfaltigkeit

J. Eschler, Die muskul~re Beeinflussung der sich bildenden Kiefergelenke usw. 327

des Funktionsablaufes, in diesem Falle ffir die Unterla, ssung der Vor- und l~iiek- bewegung ist, und daft die VielfMt der Wert, Jgkeiten der einzelnen an den Unter- kieferbewegungen beteiligten 3/[uskeln der groBen Anzahl iter yon ihm gefundenen Variationen der Gelenkform zugrunde liegt.

Obwohl, wie schon er: w/~hnt, sich im Laufe der Zeit die Kaumuskelfunk- tion meist der Zahn- stellung, besonders dem l]berbiB anpal3t, aber erst sekund'~r infolge der da- dureh erzwungenen Kau- gewohnheit, so mug doeh die Ursache der Oelenk: form in der spezifisehen Muskelt/~tigkeit liegen.

Besonders deutlieh kommt die Abh~ngigkeit der Gelenkform yon der Muskeltgtigkeit bei der LaterMverlagerung des Unterkiefers zum Aus- druck. Die LaterMverlage- rung des Unterkiefers wird im allgemeinen aus der Lage der UnterMefermitte zur Oberkiefermitte in Okklusionsstellung dia- gnostiziert. Abet aueh d i e s e - gemeint ist die obere Sehneidezahnmitte - - k a n n nach einer Seite versehoben sein.

B o S a k hat einst 27 M6gliehkeiten der Kiefer- mittebeziehungen zusam- mengestellt. Neben den Dentalverlagerungen der Kie fe rmi t ten- - eigentlich nur Zahnmitten -- , die dureh die Sehrs gender Schneidezs be-

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Abb. 9. Ak~[o~tsstromkurvett der P~t ien t in l leb. , Brtmh[.ide, w~hrend des Xauens yon Zwieback (Kurve 1 mxd 2) u n d B r o t i n u e r e m (Kurve 3 und 4) v o m Tempora l i s . K n r v e 1 und 3 v o i n t i n k e n , K u r v e 2 lllld ~t

yore reehten Tempora l i s

dingt sind, berficksichtigt B o ~ a k auch die Verlagerung der unterkiefereigenen Mitte in Okklusionsstellung. Er unterseheidet aber dabei nieht den lateralen Zwangsbig ( K o r k h a u s ) yon den Verlagerungen der Unterkiefermitte, die aueh bei Senkung des Unterkiefers verbleiben (Eseh le r ) . An ~Iodellen ist die Unterseheidung nieht m6glieh. Nan muB die Pa.tienten kliniseh untersuehen. So ergeben sieh folgende zwei grol3e t tauptgruppen:

1. Der l a t e r a l e Z w a n g s b i g oder die L a t e r a l o k k l u s i o n . Die in Okklusions- stellung verlagerte Unterkiefermitte kehrt bei Senkung des Unterkiefers in die

328 Fortschritte der Kieferorthopgdie Bd. 20 H. 4 (1959)

Sch~delmedianebene zurtick. Die Verlagerung der Unterkiefermitte ist dental, und zwar durch die Zahnfiihrung bedingt (Abb. 10 und 11).

2. Die artikulo-musku]s Verlagerungen: Sie beruhen auf einer Asymmetrie des Gelenkmuskelsystems und werden zweckm~Gig als L a t e r o g n a t h i e n bezeich- net. Dabei unterscheiden sich folgende Fs :

Abb. 10 Abb. 11

Abb. 10. }Iittollinienverlagerung nachliaks in Sctflul~okklusion (Lateralokklusion) Abb. 11. 5iittellinie stellt sich wghrend der 0ffnung ein (yon derselben I 'atientin wie Abb. 9)

Abb. 12 Abb. 13

Abb. 12. Mittellinienverlagerung nachlinks, die bei 0ffnung verbleibt Abb. 13. ~Iitt~llinienverlagerung nach I inks bei der 0ffnungsbewegung der l 'atientin yon Abb. 12 (Laterognathie)

a) bei Senkung des Unterkiefers bleibt die Unterkiefermitte verlagert, sie bewegt sich parallel der Schgdelmedianebene (Abb. 12 und 13).

b) Die Verlagerung tritt erst bei Senkung des Unterkiefers in Erscheinung und bewegt sich welter parallel zur Schadelmediunebene.

c) Die Verlagerung der Unterkiefermitte nimmt w~hrend der Senkung des Unterkiefers noch zu, nach derselben oder entgegengesetzten Seite.

Diese angefiihrten MSglichkeiten sind nur die wichtigsten Verlagerungen. Sie kSnnen funktionsanalytisch ermittelt werden.

Beim lateralen Zwangsbil~ besteht eine weitestgehende Symmetrie des Gelenk- muskelsystems. Besonders die Masseteren zeigen eine bilaterale symmetrische

J. Esehler, Die muskul~re Beeinflussung der sieh bfldenden Kiefergelenke usw. g29

Ts die Gelenke weisen keine bilaterMe Abweiehung in ihrer Form auf. Bei den LaterognatMen dagegen liegt immer eine ausgepr~gte funktionelle Asym- metrie des Gelenkmuskelsystems vor. Meist betrifft dies den Masseter, manchmal aueh den Sehl~fenmuskel, indem der Muskel der Verlagerungsseite gegenfiber dem der Nichtverlagerungsseite funktionell fiberwertig ist. Die zunehmende Ab- weiehung der Unterkiefermitte w~thrend der 0ffnungsbewegung wird dureh eine funktionelle Uberwertigkeit des ~uBeren Fltigelmuskels der Gegensei~e verursaeht. Analog sind die Gelenke geformt. Die Gelenkbahn der Verlagerungsseite ist steiler, der Gelenkraum weiter als auf der Niehtverlagerungsseite. Diese Asymmetrie der Gelenkform ist allein muskul~r bedingt. Zahnfiihrung oder Uberbig k6nnen dafiir nieht verantwortlieh gemaeht werden.

In Untersuehungen an je 20 Kindern mit und ohne Verlagerung der Unter- kiefermitte konnten meine beiden Assistenten (Gress und t I a s se l ) in ihren Dissertationen die Beziehungen zwisehen der Verlagerung der Unterkiefermitte und der Gelenkform best~tigen. Besteht keine Verlagerung der Unterkiefermitte, so sind die Gelenke symmetriseh geformt, w~hrend die Gelenke in Fgllen mit einer Verlagerung der Unterkiefermitte eine asymmetrisehe Form aufweisen.

F/it die kieferorthop~tdisehe Therapie haben diese Befunde groBe Bedeutung, insoweit als es notwendig erseheint, neben der Erzeugung yon Gelenkumbau aueh die T/~tigkeit der Muskulatur an die neue gew/insehte Lage des Kiefers anzupassen. Naeh diesen sehr untersehiedliehen Befunden bei den einzelnen I)ysgnathien ist aueh nieht einheitlieh mit einem entspreehenden Erfolg zu reehnen.

Im allgemeinen gelingg es leieh~, einen der kieferorthop~disehen Verlagerung des Unterkiefers in sagittaler Riehtung entspreehenden Gelenkumbau zu erzeugen, wie die histologisehen Untersuehungen yon B r e i t n e r , H ~ u p l - P s a n s k y u. a. bewiesen haben.

Fiir die Aufreehterhaltung der Unterkieferlage naeh Absehlug der kiefer- orthop&disehen Behandlung spielt aber die Kaut/~tigkeit nnd damit die spezifisehe Wertigkeit der Kaumuskulatur eine groge t~olle. Viele I{ezidive haben ihre Ur- saehe in der ungen/igenden Anpassung der Kaumuskelt~tigkeit an die neue Lage. Aueh sehon die Vorverlagerung des Unterkiefers w~hrend der kieferorthopidisehen Behandlung wird bei einem ausgepr&gten funktionellen (lbergewieht der Retrak- toren gr613ere Sehwierigkeiten bereiten als bei einer funktionellen Ausgegliehen- heir der Protraktoren und Retraktoren. Aueh in I-Iinsieht auf die Distallage des UnterMefers in Okklusionsstellung ist es erforderlieh, kliniseh einen distalen Zwangsbil3 (Distalokklusion, A. M. S e h w a r z , K o r k h a u s ) yon einer artikulo- muskulgr bedingten Distognathie zu unterseheiden. Fernr6ntgenbilder in ge6ffneter nnd gesehlossener Stellung des Unterkiefers ( K o r k h a u s ) sowie aueh die Be- obaehtung der 0ffnungsknrve yon der Seite geben AufschlnG dariiber, ob eine Distalokklusion oder eine Distognathie vorliegt. Bei einer Distalokklnsion be- sehreibt der Unterkiefer bei Senkung eine gr6Bere naeh vorn ausladende 0ffnungs- knrve, w/thrend bei einer Distognathie der Unterkiefer eine kleinere nach riick- w/~rts nnten gehende Kurve ausfiihrt. Ebenso verl~uft die SehlieBungskurve des Unterkiefers. Bei Vorliegen einer Distalokklusion wird der Unterkiefer gem in eine vorgesehobene Stellung gebraeht, die nieht der Okklusionsstellung ent- sprieht, da die Zahnf~hrung zu unbedeutend ist.

Bei allen Zwangsbissen besteht die Hauptaufgabe darin, die Z/~hne entspre- ehend der Neutralbiglage des Unterkiefers zu bewegen. In den Gelenken brauehen nur geringf/igige Umbauvorggnge abzulanfen, und zwar nut in den Getenk-

330 Fortschritte der Kieferorthol0~die 13d. 20 It. 4 (1959)

abschnitten, die dor Bewegung des GolenkkSpfohens yon der orston Kontakt - nahmc der Z~hne bis in die Okklusionsstellung en~spreohen. Allo iibrigon Gelenk- abschnitte sind der Nuskelfunktion boroJts angepagt. Es bedarf auch keinor oder nur oi~er geringf/igigen Abanderung des funktionollen Gleiehgewiehtes der Protmktoron und Retraktoren.

Anders liegen die Dingo be1 artiku~o-muskul~ren Verlagerungon des Unter- kiefors. Bei den Disto- und Mesiognathien besteht eino ausgepr/~gte funktionelle Disharmonie zwisohon den Retraktoren und Protrakt, oren. Die ihrer T'~tigkeit angepagton Gelenkformon bedtirfon umfangreieher Umbauvorgange, ihre T~tig- keJt selbst muB Jn ein funktionelles Gleiehgewieht iiborffihrt werden und nioht zuletzt mug die Kauihnktion, se ies reflektorisoh, zwangsweise odor dureh Ein- sehaltung des Bewugtseins ~bge~ndert worden. Die Kaufunktion ist im wesen~- lichen ein reflektoriseher Vorgang. Sie kann duroh keine kiefororthopadische Apparatur, wedor duroh eino aktive fostsitzende odor abnehmbare, nooh dutch eine funktionell wirkende Appara~nr unmit telbar beeinflnBt werden. Moist wird eine dureh eino Zahnibhlstollung abwegig verlaufendo Kaut~tigkeit (als bestos Beispiel eingefangene Z~hnel naeh der kioferorthop~dischen Zahnbewegung in ihre normale, primare Bahn fiberfiihrt.

Die U n t e r r i o h t u n g dor E l t e r n , da s K i n d a n z u h a l t e n , be i D i s t o - g n a t h i e den U n t e r k i e f e r b e i m K a u a k t n a e h v o r n zu s o h i e b e n , boi ~ I e s i o g n a t h i e n a e h r i i o k w g r t s , u n d boi L a t e r o g n a t h i e n a e h d e r ,an- cloren Se i t e , u n t e r s t f i t z t die k i e f e r o r t h o p g d ~ s e h e V e r l a g e r u n g , u n d b e w a h r t i n s b e s o n d o r e v e t e i n e m R e z i d i v n a e h A b s e h l u B der B e h a n d - tung. E r z i e h u n g u n d G e w o h n h e i t an e ine d e m f u n k t i o n e l l o n G l e i e h - g e w i e h t e n ~ s p r e o h e n d e n K a u f u n k t i o n s i n d I I i l f s m i t t e l i1~ de r k i o f e r - o r t h o p / i d i s o h e n T h e r a p i e , die n i e h t a u g e r a e h t g e l a s s e n w e r d e n d / i r fen . Die G e w S h n u n g an die none K a u t g t i g k e i t g n d e r t a u e h den

Z " g e f l e x a b l a u f , so d a b m i t de r .~elt u n b e w u B t de r n e u e n L a g e an- g e p a g t , g e k a u t wird .

Bei Niehtber/ieksiehtigung der Umstellung dot bei der Kaufunktion ablaufen- den l~eflexmeehanismen werden die dutch die kieferorthopgdiseho ~ppa.ratur und Behandlung eingeleite~en Gelenkumbauvorggnge bei nieht on~spreehender Anpassung der Muskelt~tigkeit dutch sic wieder zuniehte gomaoht. In der manget-

. . . . . . . C e " " " haften Umstellung dor refloktonseh emsoltlgen Kautat l~kei t hegt memos Er- ~ch~ens der h~ufige Mil3erfolg der Einstellung dot Unterkiefermitte bei der Laterognat hie. Mit der Verlagerung der Unterkiefermitte, wobei, wie sehon er- w~.hnt, ihr Verbleiben odor gar ihre zunehmende Verlagerung wghrend der 0ffnungsbewogung des Unterkiefers aussehlaggebond ist ffir die Diagnose der Laterognathie. ist aueh eine einsoitige Kautg~igkcit verbunden I~littellinien- Ka.useitensyndrom E s e h! er). Die Gelenke sind dementspreehend asymmetriseh geformt, einer oder alle Lovatoren der ~iittellinienverlagerungsseite sind /iber- wertig und stfi.rker t~tig als die der Niehtverlagerungsseite. Besteht eine -(Tber- wertJgkeit mehrerer odor MIer Leva~oren, dann bereitet die Einstellung der Unterkiefernfitte besondere Sehwierigkeiten. Diese als totale l~[uskelasymmotrie bezeiehnete Muskelfunktion widersteht einer kiefororthopgdisehen Einstellung der Mittetlinie. Sic kann hSehstens in Sehlugokklusion erreieht werden. Dann h~ndelt es sieh zwar a m eino modelhngBig eingestellte Unterkiefermitte, funk- tionell bestehen abet die Abweiehungen weiter. Die Kautgt igkeit erfolg~ ebenso einseitig wie ve t tier Behandlung.

Ein t{ezidiv ist naeh I~eendigung der Behandlung die Folge. Gfinstiger liegen

J. Eschler, Die muskul~re Beei, nflussung der sich bildenden Kiefergelenke usw. 331

die Verh/~ltnisse bei einer partiellen Asymmetric der Kaumuskelfunktion, wenn ngmlich nut einer der genannten drei Kaumuskeln tiberwertig ist und die beiden anderen eine funktionelle Symmetric oder eine iiberwertige Funktion der anderen Seite aufweisen.

I n diesem Zusammenhang glaub e ich aueh die Bemerkungen yon J. A. S a 1 z- m a n n (Editorial; Facial Asymmetry in the Newborn) znr Arbeit ,,A Common Form of Facial Asymmetry in the Newborn Infant, its Etiology and Orthodontic Significance" ( E l e n a Bode r ) anf~hren zu ctiirfen, die racine Ansicht unter- stti~zem Er sagt: ,,Orthodontists have long been plagued by patients who respond

Abb. 14. ~iodelle derPatient in Ding., 7~osemarie, rnit ~iittellinienverlugerung na.ch links (Luterognathie)

kbb. 15. 3fodelle der Patientin 4er Abb. 14 nach fast einj~hriger Behandlung

Abb. 16. ]~Iodelle der gleichen Patientin z~aeh Ex- tr~ktion tier hltlchmolaren links obeIx, Einstellnng

der ~Iittellinie (siehe Text)

only too readily to treatmens but in whom relapse follows as soon as the appliances are removed. Tbis has been found to occur in patients treated according to any system of mechano-therapy and by many competent orthodontists." Nur liegen die Ursachen des l~ezidivs nach ldeferorthopgdischer Behandlung nieht unmittel- bar in dem mangelhaften Knoehenumbau bei angeborener Osteoporosis, sondern in der Nichtbeeinflussung der Muskelti~tigkeit dureh die kieferorthopitdische Thempie oder dutch 1ViaBnahmen, die geeignet sind, den reflektoriseh ablaufenden einseitigen Kanvorgang symmetriseh zu gestalten.

Es ist begreiflich, dag ich dem kieferorthops Behandlungserfolg bzw. Migerfolg, der kieferorthop~dischen Einstellnng der Unterkierfermitte bei Lateral- okklusion nnd Laterognathien naehgegangen bin. In zwei Dissertationen (I .G5s- sel und R. Lege r ) lieg ieh je 20 Kinder mit einer Lateralverlagerung der Unter- Mefermitte in Okklusionsstellung funktionsanaly~isch und elektromyographisch nachnntersuehen. Die Kinder standen mehr als 2 Jahre iu kieferorthopadiseher

For~sehritte der Kieferorthopp~die Bd. 20 ~ . 4 23

332 For~schritte der Kieferorthop~d[e Bd. 20 ~,:4 (1959)

Behandlung, wobei jeweils der Apparat in der Unterkiefermitteeinstellung an- gefertigt worden war und die Z~hne entsprechend der Einbil3stellung (Esch le r ) bewegt worden waren. 2 J a h r e ist zudem im Durehsehni~ eine Zei~, i n der eine kleferorthops Behandlung mindestens eine wesentliehe Besserung zeigen

sollte. Von den 40 Kin-

dern bet, rai~n 13 F~lle Lateral0kklusionen

und 27 F~lle La~ero' gnathien. Bei den Late- r~lokklusionen konnte

2 Jahren die Mittel , l i n i e in OkklusionssteI-

lung eingestellt oder zumindest eine wesent- liche Besserung erzielt werden. Bei den La- terognathien dagegen, worunter sieh zahl- reiehe F~Ile befanden, die wesentlich l~nger inBehandlung standen, konnte die Mittellinie nicht eingestellt oder nur eine unmerldiche Besserung erreicht wet ' d e n .

In Hinsicht der Muskelihnktion is~ zu bemerken, dag das Nahrungsmittel, be- senders bei partiellen

: :==: Muskelasymmetrien, =::=und d i e augenbhck,:

liche Bezahnung fiir die = : : ~ Kaufunktion zur Zeit

~ =~ ~- : ~ ~ des Kautes~es yon Be- deutung is%: Im ehl-

Abb. 17. Aktionss%romkurven v0m I~{~sse~er und Tempera]is w ~ r e n d des z e l n e i 1 S011 darfibe!~ an Kauens yon Zwieback der Pat ient in der Abb. 14 naeh Abschlaf~ der Behand- Iuag mi~ fas~ ausgeglichener Xaat~tigkeit . 1. Xulwe Yore linken, 2. Kurve anderer Stelle berieh- veto rechten Masseter, 3. Xu rye veto linken, 4. Kurve veto reehten Temporalis t e t werden.

Inwieweit d a s bi: la~erale Verhaiten der Xaut.~tigkeit fiir die Einstethmg der Mittellinie yon Bedeutung ist, sell hier an einem anderen Fall aufgezeigt werden: Bei einem 10jahrigen Ms mit lutsehoffenem Bil3 war die Unterkiefermitte nach links verlagert (Abb: 14), Da in einem Jahr keine Besserung der Mittellinien! veriagerung eintrat, wurden links oben die Miiehmolaren ex t rah ie r t (Abb. 15) und das I~ind dadureh gezwnngen, reehts zu kauen (Abb. 16). Nach diesem Vet' gehen hat sich das Kind eine bilateral ziemlich ausgeghchene Kautatigkeit an- gewehnt (Abb~ 17).

J. Eschler, Die muskulire Beehlflussung der sich bildenden Kiefergelenke usw. 383

Zieht man dus VerhMten der Unterkiefermitte bei der Offnungsbewegung in Betraeht, so kunn man fiber dis Erfolgssieherheit der Einstellung der Unterkiefer- mit te Wesentliehes aussagen. Beim laterulen Zwangsbig bereitet die Einstellung der Unterkiefermitte keine wesentliehen Sehwierigkeiten. Es bedurf nur einer entspreebenden Zuhnbewegung, um den Unterkiefer in die Mitre einzustellen.

I m ttinbliek uuf die Gelenkumbuuvorg/~nge ist dies aueh erkl/irlieh, d u beim luterMen Zwangsbig nut geringffigige Asymmetrien vorhanden sind bzw. die Asymmetrie nur einen Meinen Absehnitt des Gelenkes be~rifft, n/~mlieh den, den das Unterkieferk6pfehen vom Beginn der Zuhnffihrung bis in die endgfil~ige SehluBokklusion durehma eht. Bei der Anwendung des Andresen-tIgupl-Appurutes ersieht man die duffir notwendige Zuhnbewegung am besten aus dem EinbiB. I m Mlgemeinen wird man auf der einen Seite dehnen und auf der anderen Seite die Zahnbogenbreite belassen oder komprimieren miissen. Als zweekm/~gig hat sieh uns der pathologisehe EinbiB erwiesen, wobei man die Unterkiefermitte etwas tiber dis Normulluge naeh der anderen Seite einstellt.

Sehwieriger liegen die Verh.~ltrdsse bei einer Laterognuthie, wenn nimlieh der Unterkiefer bei der 0ffnungsbewegung unf der Verlagerungsseite verbleibt, t t ier hundelt es sieh naeh dem Unterkiefermitte-Kauseitensyndrom um eine ausgepr~gte asymmetrisehe Kautfi$igkei~. Aueh wenn mit ttilfe des kieferor~hop/~disehen Appara~es der Unterkiefer emgestellt wird. w i r d e r wihrend der Kaut/t t igkeit immer wieder uuf die Verlagerungsseite gesehoben. Dis dureh den kieferortho- p/~disehen Appurat eingeleite~en Umbuuvorg~nge werden dutch die Kuutg~igkeit wieder in die der Meferorthopidisehen Behandlung an~agonistisehe l~ichtung gelenkt. Hier bedurf es neben einer umfangreiehen Zahnbewegung aueh eines um- fungreiehen Gelenkumbaues und vor allem aueh einer Verlugerung der Kuuseite. Letzteres kann erreieht werden, wenn man den Patienten beauftrag~, auf der underen Seite zu kauen, oder wenn man im WeehselgebiB die Milehmolaren ex- trahiert, um so den Patienten zu zwingen, nieht mehr auf der prim/~ren Kauseite zu kuuen.

Lunge Zeit ver t rut und ver t r i t t nlan zum Teil aueh heute noeh den Standpunkt, dug die Bildung des Zuhnst/itzsystems dutch den Vorgung des Waehstums und des Durehbruehes des Zahnes bedingt ist. Mit dem Durehbrueh des Zahnes und seinem Erseheinen in der M~mdh6hle wirken jedoeh neben dem Wuehstum aueh noeh funktionell-meehanisehe Krgi%e auf den Zahn ein. Aueh hat man den Ver- erbungsfaktor f/ir die Bildung der Purodontien mi~ in Erwfi,gung gezogen.

Als ieh yon meinem Lehrer K. t I /~upl die Aufgabe erhiel~, mieh mi t der Frage der Ursaehe der Bildnng des Parodontiums zu betkssen, war es mir klar, dal3 nut experimentell oder dureh Auswahl geeigneten Materiales die Kausulgenese der Parodontienbildung zu kl/~ren sei. Es muBten Wege gefunden werden, um die drei Fuktoren Vererbung, Durehbrueh und funktionelt meehanisehe Kr i f t e ur- siehlieh zu trennen, den einen oder underen uuszusehalten und nut einen oder zwei Faktoren einwirken zu lassen.

Der Vererbungsfaktor ist weder im positiven noeh im negutiven Sinne be- einflugbur. In jedem Falle ist mi t ibm zu reehnen. Experimentelt kann nur dann uuf seinen kuusalgenetisehen Weft oder Unwert rfiekgesehtossen werden, wenn die Formung des Parodont, iums dureh Aussehaltung eines der beiden underen Fak- toren zeitlieh verz6gert werden k6m~te oder wenn sie / iberhaupt vermigt wird. Von den beiden anderen Fuktoren ist die Wh'kung des Durehbruehes experimentell ebensoweldg beeinfluBbar, so dab eigentlieh nur der funktionell-meehanisehe Faktor ftir experimentelle Untersuehungen fibrig bteibt.

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334 Fortschritte der Kieferorthop&die Bd. 20 I-I. 4 (1959)

Die funktionell-mechanisehen Kr/~fte wirken hauptsgchhch vom Durchbruch dureh die Sehlehnhaut auf den Zahn ein und werden yon ibm auf die wurzeL

Abb. 18. Intrauterin durchgebroehener Sehneidezalm mit parodon- talem Gewebe yore Sehweineil}tus (siehe Text)

Abb. 19. Die parodontalen Gewebe um den intrauterin durehge- brochenen Sehneidezalm 2 Tage naeh der Geburt des Schweines

(siehe Text)

mngebenden Gewebe itberi tragen. Diese Kr~fte sind tells die aber die Unterkieferbewe- gungen fortgeleiteten Kau- muskelkrgfte, teils wirken sio als Zungen-, Wangen- und Lippenmuskelkr~fte umnitteI- bar aufden Z~hn ein. Der Ein- fluB der funktionell-raechani- schen Bel~stungen auf die Ausbildung des Parodontiums an intr~uterin durchgebroche- hen- Z/ihnen konn~e bcreits mehrmals beschrieben werden (Es chler) . An Hand yon eini- gen Abbildungen soll nochmals kurz darauf eingegangen wer- den. Die iblgenden drei AbbiL dungen zeigen deutlich die ge- weblichen Vorg~nge in der Wurzelhaut und die Neubil- dung der parodontalen Kno- ehenkompakta. W~hrend an dem intrauterin durehgebro- ehenen Zahn die parodontalen Gewebe noeh Zahns~ekehen- s truktur besitzen (Abb. 18), ist, bereits 2 Tage naeh der Geburt eine starke Zellver- mehrung, Umlagerung und Neubildung yon Bindegewebs- fasern zu erkennen (Abb. 19). Naeh 8 Tagen ist keine Spur der Zahns'~ckchenstruktur mehr zu beobachten, die Wur- zelhautfasern und die alveol/~re Knoehenkompakta sind aus- gebildet (Abb. 20). Diese Be- funde konnten an jungen Hun- den experimentell bestgtigt werden, bei denen die Milch- z &hne unter einer Hohlsehiene, also ohne Einwirkung funk- tionell - meehanischer Kr~ite durchbrechen konnten.

Neuerdings konnten auch an durehgebrochenen Z'~h- nen in Ovarialzysten dieselben ~

J. Eschler, Die muskul~re Beeinflussung der sich bildenden Kiefergelenke usw. 335

Befunde erhoben werden. In beiden F~llen bleibt die Bildung einer funktionell geformten Wurzelhaut aus. An in Ovarialzysten durchgebroehenen Z~hnen zeigt das Bindegewebe entlang der Wurzel noch die Struktur des Zahnss Knochengewebe ist nur stellenweise zu finden und sehr dfinn ausgebildet (Abb. 21).

Untersuchungen fiber die Bezie- hungen zwischen der Dicke des Kie- i'erh6hlenbodens und der Kauseite ~assen aueh erkennen, inwieweit die funktionellen Belastungen f/Jr die Strukturierung des Knochens Be- deutung haben. Zweifellos sind die funktionell-meehaIfis chen Betastun- g e n d e r Zs auf der Kauseite starker als auf der Niehtkauseite. R6ntgenologisch wurde der Nach- weis erbracht, dab der Kieferh6hlen- boden auf der K~useite dicker ist als auf der Nichtkauseite, allerdings unter der Voraussetzung, daI] die Nasenatmung nieht asymmetrisch behindert ist ( E s e h l e r , Meer- k S t t e r ) . N~ehuntersuchungen von Patienten mit Perforation der KieferhShle bei Extr~kt ion best/~- tigten, dalt die Perforation in jedem Falle auf der Nichtkauseite iag, was ffir das Fehlen oder ffir eine sehr dfinne Knochenlamelle um die Wurzelspitze sprieht ( E s e h l e r ,

Abb. 20. Die parodoo~alen Gewebe um den intrauterin M a n g o ld). Damit ist wohl zur durehgebroehenen Schneidezahn 8 Tage nach tier Geburt Genfige bewiesen, dab das Parodon- des Sehweines (siehe Text) tium ein Produkt der funktionell-mechani- sehen Belastungen ist.

Die l)arodontien stellen hoch differen- zierte, an die funk- tionell-mechanisehen Kr/~fte angepaBte Ge- websformen dar. Die- se Anpassung und Differenzierung errei- ehen sie im Laufe der Zeit nach dem Durch- :kbb. 21. Zahns~ekehenstruktur des parodontalen Bindegewebes um einen in eine bruch der Zahne, so Ovarialzyste durehgebrochenen Pr~molaren dab sie schliel~lich die Fahigkeit erlangen, den funktionellen Belastungen %Viderstand entgegenzusetzen. Undifferenzierte Gewebe sind funktionell-mechanisch minderwertig und kSnnen niemals ihre Aufgabe erffillen, i~it der Anpassung und Differenzierung der Gewebe

836 Fortschritte der Kieferorthop/~die Bd. 20 H. 4 (1959)

an die funktionell-mechanisehen Belastungen nehmen die undifferenzierten An- teile an Menge ab. Damit vermindert sieh aber die Reaktionsf~higkeit tier paro- dontalen Gewebe.

Allgemein biologisch gesehen, bedeutet die Differenzierung Funktionsf~higkeit. Damit geht ein Verlust der Teilungs- und Vermehrungsfghigkeit der Zellen einher. Dureh die Teilung verjiingen sieh die Zellen; Verlust der Teilungsf/~higkeit kommt also dem Altern gleich. Mit der Abnahme der TeiIungsf~higkeit der Zellen und der damit verbundenen verminderten M6glichkeit, neues Gewebe zu bilden, geht aueh die Anpassung an gegnderte Einfliisse verloren.

F/it die kieferorthop/~disehe Therapie sind diese allgemein biologisehen Vor- g~nge und Zusammenhgnge yon grSgter Bedeutung. Mit der Einwirkung der funktionellen Belastungen auf die Zghne formen sich die paradentalen Gewebe im Parodontinm, sie differenzieren sieh und passen sich den einwirkenden Be- lastungen an. Damit geht ihnen aber gleiehzeitig die F~higkeit, sich ge/~nderten Einwh'kungen anzupassen, verloren. Und eine jede kieferorthop/~dische Kraft kommt einer Ab/tnderung der funktionell-meehanisehen Kraft gleieh. Das Wesen der kieferorthopgdisehen Zahnbewegung liegt in der Abgnderung und l~iehtung der Xr~fte, sehlieBlieh in Neubildung yon Zellen und Anpassung der Gewebe an die funktionellen Kr/~fte in der neuen Stellung. Dies bedeutet, dab die kiefer- orthop~disehe Zahnbewegung am erfolgreiehsten ist, wenn m~n sie, bevor sieh die paradentalen Gewebe differenziert und den einwirkenden Kr/tften angepagt haben, in Angriff nimmt. In den letzten Jahren hat man sieh zwar immer mehr naeh diesen Voraussetzungen geriehtet, jedoeh ersehien es mir notwendig, aueh yon allgemein biologisehem Standpunkt kurz darauf hinzuweisen, dag mit der Meferorthop~disehen Behandlung m6gliehst fr/ihzeitig naeh dem Durehbrueh der entspreehenden Zghne begonnen werden sollte, d. h. also nieht abzuwarten ist, his die spezifisehe Differenzierung der parodontalen Gewebe vollzogen ist.

Zusammen~assung Die ~oImung der Kiefergelenke ist bis zum Durchbruch der Z/~hne ausschlieglich yon

der T/~tigkeit der einzelnen Kaumuskeln abhi~ngig. Es wird zwischen der anatomisch begriin- deten Funktion und der neuromuskul~r bedingten funktionellen Wertigkeit der einzeln6n Nuskeln unterschieden. Im I-Iinblick auf die Masseteren und Schli~fenmuskehl werden fiinf u dieser vier Muskeln als wichtigste WertigkeitsverhMtnisse an- gefiihrt. Naeh dem Durchbruch der Zi~hne und schon vorher mit dem Auftreten des BeiB- reflexes als Einleitung der UmsteUung des Saugreflexes auf den Kaureflex k0nnen sich die WertigkeitsverhMtnisse der Kaumuskeln indern. Stats Vor- und l~iickbewegungen des Unterkiefers werden nunmehr 0ffnungs- und Schliegbewegungen unter dem Einflug des Kaureflexes ausgeffihrt. Unter Einwirkung der reflektorischen Kaubewegungen formen sich die Kiefergelenke. Bei funktionellen Asymmetrien der Kaumuskulatur werden asymmetrische Kiefergelenke gebildet.

Die Z/~hne bzw. die Zahnstellung haben nur einen sehr geringen Anteil an der Gestal- tung der Kiefergelenke. Unter dem EinfluB der Zahnfiihrung werden nur die Gelenk- absehnitte geformt, die den Unterkieferbewegungen unter der Fiihrung der Zihne zugehSren. So gibt es bei Jugendlichen trotz eines Deekbisses hi~ufig noch seichte Gelenkgruben und eine flache Gelenkbahnneigung. Mit dem Deckbig mug keineswegs eme Uberwertigkeit des Temporalis verbunden sein. Zahnstellung und Kaumuskelfunktion stehen zun~chst in keiner Beziehung; erst infolge der durch die Zahnstellung erzwungenen Kaugewohnheit kann die Muskelfunktion eine Abinderung erfahren und aueh erst unter diesen Umst~tnden passen sieh die Kiefergelenke der Kaugewohnheit und der Zahnsteflung an (sekundi~re Anpassung der Kiefergelenke).

Auf Grund der Bedeutmlg der Kaumuskelfunktion und besonders der Wertigkeit tier

U. Heckmann, ~euere Untersuchungen fiber die funktionellen Vorg~nge beim Stillen 337

einzeinen Kaumuskeln wird zwischen Zwangsbissen nnd artikulo-muskul~iren Fehlstellungen des Unterkiefers unterschieden. Es wird auf die Bedeutung der funktionsanalytisehen Unter- suchung hingewiesen. Aus der Okklusionsstellung bzw. an Kand der iKodelle kSmlen die ZwangsbiSarten nicht yon den gnathisehen Verlagerangen untersehieden werden. In diesem Zusammenhang wird besonders auf den lateralen Zwangsbil] und die Laterognathie ein- gegangen. Die asymmetrische Muskeliunktion bei der Laterognathie kann mit keiner kiefer, or~hop~tdischen Methode allein abgeandert werden, wean nicht gleichzeitig die damit ver- bundene einseitige Kaat~tigkeit durch Gew5hnung in eine symmetrische Kautatigkeit oder in eine Kautat igkeit auf der lqiehtverlagernngsseite der Unterkiefermitte fiberffihrt wird. Auch dutch Zahnverlust auf der prim~tren Kauseite kann bei einer gleichzeitig durehgefiihrten kieferorthop~disehen Zahnbewegung eine symmetrische Kautatigkeit and so sehlie$1ich die Einstellung der Unterkiefermitte erreicht werden. Zum Sehlu$ wird auf die Kausalgenese des Parodontiums eingegangen und auf die Notwendigkeit der friihzeitigen Einleitung der kieferorthop~disehen Zahnbewegung hingewiesen.

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Anschrif t d. Yerf.: Freiburg/]3r., tIugstetterstraBe 1

Aus der Klinik nnd Poliklinik fiir Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten der ~artin-Lnther-Universit~tt Halle/Saale

(Direktor: Prof. Dr. reed. Dr. reed. dent. E. R e i c h e n b a c h )

Neuere Untersuchungen fiber die funktionel len Vorg~inge beim Stillen 1)

u Dr. Ursula Heekmann, Rostock Mit 3 Abbildungen

D e r T r i n k m e c h a n i s m u s bei t ier na t i i r l i chen Ern/~hrung de r N e u g e b o r e n e n w a r o f t A n l a $ zu w i s senscha f t l i chen U n t e r s u c h u n g e n , die j e d o c h zu ganz unCerschied- l i chen E r g e b n i s s e n gef f ihr t haben . So l egen A u e r b a c h , B a r t h u n d D e p e n d o r f

1) Vortrag, gehalten 'auf der gemeinsamen wissensehaftlichen Tagung der Deutsehen Arbeitsgemeinschaft zur Ei~orschung der Parodontopathien (Al'pa) und der Deutsehen Gesellschaft fiir Kieferorthop~die am 1. 3uni 1958 in Bonn.