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Die neuen Anschauungen über Raum und Zeit. Das Relativitätsprinzip. Von Dr. Ludwig Flamm. Vortrag, gehalten den 19. November 1913. Mit 7 Abbildungen im Texte. ©Ver. zur Verbr.naturwiss. Kenntnisse, download unter www.biologiezentrum.at

Die neuen Anschauungen über Raum und Zeit. - … · auf die Welt zu bringen. ... dachte sich die Erde als eine große Scheibe, auf der, wie ... der bleiche Mond und die funkelnden

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Die neuen Anschauungen über Raum und Zeit.Das Relativitätsprinzip.

Von •

Dr. Ludwig Flamm.

Vortrag, gehalten den 19. November 1913.

Mit 7 Abbildungen im Texte.

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Raum und Zeit! Welche Wichtigkeit haben sie dochgerade heute im menschlichen Leben. Zeit ist Geld, sagtder Amerikaner. Daß aber auch Raum Geld ist, das fühltman, wie ich glaube, wohl am meisten in der Großstadt.Auch der Naturforscher ist gewohnt, dem räumlichen undzeitlichen Verlauf der Naturerscheinungen sein Haupt-augenmerk zuzuwenden. Darum ist uns auch allen dieRaum- und Zeitanschauung vollkommen vertraut, ja wirglauben beinahe, die richtigen Vorstellungen schon mitauf die Welt zu bringen. Es kommt uns schon so vor, alsob unser Verstand allein, ganz frei von jeder Erfahrung,das Wesen von Raum und Zeit erkenne und als ob wirbloß in ihnen, nicht aber an ihnen neue Erfahrungenmachen könnten.

Die neue Entwicklung der Physik lehrt uns einesanderen. Wir kennen heute Erscheinungen, welche zueiner Änderung unserer bisherigen Anschauungen überRaum und Zeit drängen, wovon Ihnen mein heutiger Vor-trag ein Bild entwerfen soll. Aber auch die Geschichteder Wissenschaft lehrt, daß in frühester Zeit Raum- undZeitanschauung sich allmählich erst entwickelt hat undzwar Hand in Hand mit dem Ausbau des astronomischenWeltbildes. jDie Entwicklung der Astronomie brachtegleichzeitig eine Entwicklung der Raum- und Zeitvor-

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Stellung mit sich und es wird außerordentlich zum Ver-ständnis meines eigentlichen Themas beitragen, wenn icheiniges von diesem historischen Werdegang voraus-schicke.

Früh schon mußte der Sternenhimmel mit seinenwechselnden Erscheinungen die Aufmerksamkeit derMenschen auf sich lenken. Und das erste Weltbild, dassie sich machten, war das des bloßen Augenscheines. Mandachte sich die Erde als eine große Scheibe, auf der, wieja noch heute unsere Dichter zu sagen pflegen, dieblaueHimmelsglocke ruht, darüberhin die leuchtende Sonnezieht, der bleiche Mond und die funkelnden Sterne. Götterwaren die Gestirne oder wenigstens von Göttern geführtund die Priester hatten ihren Lauf zu beobachten; dieAstronomie war anfänglich Gottesdienst. Doch mit Stau-nen wurden die Priesteraugen bald gewahr, daß in demanfänglich ganz regellos erscheinenden Wechsel der Him-melserscheinungen doch eine gewisse Ordnung und regel-mäßige Wiederkehr zu beobachten war. Die Götter, dieder Mensch fürchtete, die ihm ihre Gunst bald gewährten,bald entzogen mit despotischer Willkür, diese Götterwaren also doch nicht ganz Herr ihres Willens, vor einemhöheren Geschick mußten sie sich wohl beugen. Odersollten sie selbst Gesetz und Ordnung wollen? Und soverzeichneten diese Priesterastronomen getreulich alleErscheinungen von Regelmäßigkeit, die sie am Sternen-himmel wahrnehmen konnten, und wie stieg ihr Ansehenvor dem Volke, als es ihnen gar gelang, Verfinsterungender Sonne und des Mondes vorherzusagen. Aber auch

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sonst am nächtlichen Sternenhimmel hatten sie viele merk-würdige Entdeckungen gemacht. Die Sterne gingen zwarauf und unter wie Sonne und Mond, aber sie ändertenihregegenseitigeEntfernungnicht.Unveränderlich standensie in bestimmten Gruppen beisammen, an Bilder erin-nernd, die sie mit Namen belegten wie Wagen, Schwan,Drache, Löwe usw. Fest prägten sich diese Sternbilderihrem Gedächtnisse ein und so konnte es jenen ältestenAstromen nicht entgehen, daß es neben diesen Fixsternennoch einige wenige Sterne gab, fünf an der Zahl, diezwischen den anderen weiter wanderten und wie Sonneund Mond von einem Sternbild zum andern zogen. Eswaren dies die fünf mit freiem Auge sichtbaren Planeten,Merkur, der stets nur sehr nahe der Sonne zu sehen war,Venus, bekannt als Morgen- und Abendstern, ferner derrötliche Mars, der helle Jupiter und endlich Saturn.

Inzwischen hatte man auch erkannt, wie die wech-selnde Stellung der Sonne die Jahreszeiten bedingte, wieder jährliche Kreislauf dieses Gestirnes am Fixstern-himmel Aussaat, Wachstum und Ernte bestimmte, alsofür das Leben der Menschen die größte Bedeutung hatte.Sollten die anderen Wandelgestirne, der Mond und diePlaneten für den Menschen gar keine Bedeutung haben?Warum vollführten sie ihre oft recht verschlungenenBahnen zwischen den Fixsternen, alle möglichen Kon-stellationen zeigend, wechselvoll wie Menschenschicksale?Dieser Vergleich war zu naheliegend und zündend wirkteder Gedanke, daß das Schicksal der Menschen in denSternen zu lesen wäre, und eroberte sich schließlich die

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ganze alte Welt. Sonne, Mond und die fünf Planeten, alledie sieben bekannten Wandelgestirne, sollten durch ihrejeweilige Konstellation das Schicksal eines Menschenschon bei der Geburt bestimmen. Alle wichtigen Ent-scheidungen sollten einen guten Ausgang nur bei einergünstigen Stellung der sieben Wandelgestirne nehmen.Die Sterndeuterei oder Astrologie kam hoch-in Blüte undan keinem Fürstenhofe durften Männer fehlen, die sichauf die Deutung der Gestirne verstanden. Mathematikernannte man sie, denn sie mußten zu rechnen verstehen,da es auch galt, die Örter der Gestirne im vorhinein zubestimmen. Nichts zeigt wohl deutlicher den mächtigenEinfluß der Astrologie, als daß alle Völker der alten Weltsich schließlich der siebentägigen Planetenwoche bedien-ten, die bis auf den heutigen Tag erhalten blieb.

Aber den gewaltigsten Schritt vorwärts bedeutetees wohl, als man den sichtbaren Teil des Himmelsgewölbesnach unten hin zu einer Vollkugel ergänzte, in derenMitte die Erde schwebte. Nun hatte man es auf die natür-lichste Art aufgeklärt, wo die Gestirne von ihrem Unter-gang bis zum nächsten Aufgang verblieben; sie setztenihre Bahnen auf der unsichtbaren Hälfte der Himmels-kugel fort. Wir treffen diese Anschauung bereits bei denältesten Naturphilosophen der Griechen, die auch sehrbald die Kugelgestalt der Erde behaupteten. Auch fürdie ganzen verwickelten Bewegungserscheinungen amHimmel hatte die rege griechische Phantasie bald einenMechanismus ersonnen. Und wie sie ihn gestaltete, daranerkennen wir wieder dasselbe Volk, dessen herrliche Bau-

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denkmäler noch heute unsere höchste Bewunderung er-regen und dessen Skulpturen uns gleichsam das Strebennach Schönheit und Vollkommenheit verkörpern. DerHimmel, so dachten sie, muß wohl das Schönste undVollkommenste sein. Der schönste und vollkommensteKörper ist eine Kugel. Alle Himmelskörper müssenKugeln sein. Sonne, Mond und die fünf Planeten sind ansieben ineinandergeschachtelten Hohlkugeln oder Sphärenbefestigt. Diese Sphären sind aus reinstem Kristall unddrehen sich um diamantene Achsen, jede entsprechendder Umlaufszeit des mitgeführten Gestirns. Alle dieseumschließt eine achte Sphäre, welche die Fixsterne trägt.So bewegen sich alle Himmelskörper im Kreise herum,welcher die vollkommenste Linie ist und mit gleicher Ge-schwindigkeit, denn eine ungleichförmige Geschwindig-keit wäre ein Schönheitsfehler. Der Geschwindigkeit jedereinzelnen Sphäre entspricht ein Ton und alle diese Tönestimmen zusammen in wundervoller Harmonie. Freilichdie Menschen sind zu unvollkommen, um diese Harmonieder Sphären zu hören, nur die ewigen Götter schwelgenin diesem Genuß.

Damit war der erste Grundstein gelegt zu einer reinwissenschaftlichen Pflege der Astronomie, denn man hattenun eine Arbeitshypothese, die zuimmergenauerer Prüfunganregte. Machte man sich schließlich auch von allemphantastischen Beiwerk frei, an den ursprünglichen kine-matischen Voraussetzungen hielten die griechischen Astro-nomen zähe fest: Es gab für sie nur Kreisbewegungenam Himmel mit gleichförmiger Geschwindigkeit. Bei zu-

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nehmender Beobachtungskunst merkte man, daß Sonneund Mond ihre Bahn doch in verschiedenen Teilen mitverschiedener Geschwindigkeit durcheilen; man erklärtediese Variationen als nur vorgetäuscht durch eine exzen-trische Stellung der Erde. Die Bahnen der Planetenzeigten merkwürdige flache Schleifen (Fig. 1); man nahman, daß statt des Planeten zunächst nur der Mittelpunkteines kleineren Kreises, des Epizykels, um die Erdekreise, auf dem sich erst der Planet natürlich mit kon-stanter Geschwindigkeit bewegt (Fig. 2). Die Ebene des

Epizykels nahm man ferner etwas geneigt an und manversteht wohl, wie dadurch eine solche Schleifenbahnsich auf den Fixsternhimmel projiziert. Und gleichzeitigbildeten die Griechen auch das mathematische Rüstzeugimmer großartiger aus und beherrschten schon bis zueinem relativ hohen Grade die Erscheinungen am Sternen-himmel rechnerisch.

Das Weltbild der Griechen war und blieb also" eingeozentrisches, die Erde ruhte und alle übrigen Gestirnekreisten um sie. Daß die Erde sich dreht und mit denübrigen Planeten um die Sonne kreist, das heliozentrischeSystem, an das wir heute glauben, auch dieses wurde be-reits von einzelnen griechischen Astronomen vermutet.Aber es konnte nicht durchdringen und Schuld daran

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waren die falschen Vorstellungen, welche die Griechennoch über die Mechanik bewegter Körper hatten. DieKörper sind träge, lehrten sie, nur äußere Kräfte können

Planet

fiffur 2

ihnen Bewegung verleihen und sie bewegen sicli nur solange, als eine Kraft auf sie wirkt. Hört die Kraft aufzu wirken, so suchen sie vermöge ihrer Trägheit mög-lichst rasch wieder zur Ruhe zu kommen. Eine äußere

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Kraft mußte immer auch die Sphären in Bewegung er-halten. Die Erde aber mit allen Menschen darauf, diekonnte sich doch nicht bewegen, davon hätte man ja etwasmerken müssen.

Nach dem Zusammenbruche des klassischen Alter-tums waren es zunächst arabische Astronomen, die durchfleißiges Beobachten das astronomische Weltbild derGriechen ganz im überlieferten Sinne weiter ausbauten.Die jungen Völker des Abendlandes lebten inzwischennoch stumpf jene Zeit dahin, die man als Mittelalter be-zeichnet. Aber fast jäh erwachten sie zum Leben, mitwahrem Heißhunger warfen sie sich plötzlich auf allenvom Altertum überlieferten Wissensschatz und tatkräftigmachten sie sich ihn aber auch zunutze. Sie lasen mitStaunen in den klassischen Büchern, daß man auch gegenWesten segelnd nach Indien kommen müsse, machtensich auf den Weg und entdeckten Amei'ika. Auf ähnlicheWeise fanden sie auch den Seeweg nach Indien. Undgerade dadurch wiederum hatten für sie genaue astro-nomische Kenntnisse die größte praktische Bedeutung,mußten sie ja dem Seemann den Weg weisen über diemächtigen Meere zu den neuentdeckten Gestaden. Aberdas überlieferte Weltsystem hatte einen Schönheitsfehlerbekommen. Mit Häufung von Exzentrizitäten und Epi-zykeln bekam man zwar immer bessere Sternörter, aberauch einen immer unerklärlich komplizierteren Mechanis-mus und ganz genau wollte es doch niemals stimmen.So konnte auch wieder die alte Sterndeuterei festen Fußfassen und erlebte eine neue Blüte, was aber den Astro-

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noraeh gar viele mächtige Gönner brachte. Aber auch dieüberlieferten heliozentrischen Ansichten fanden neue Be-achtung und Kopernikus war es, der zeigte, daß mandamit in das verwickelte Weltsystem eine viel größereEinfachheit bringen könne. Und mit einer damals schonsehr verfeinerten Beobachtungskunst konnte man sichbereits die Aufgabe stellen, die Bahnen der Planeten undihre Geschwindigkeit empirisch zu bestimmen. TychoBrahe und Keppler beobachteten daraufhin den PlanetenMars und der Erfolg waren die berühmten KepplerschenGesetze. Wie sich zeigte, bewegen die Planeten sich inEllipsen, in deren einem Brennpunkt die Sonne steht undnicht mit konstanter Geschwindigkeit, sondern mit va-riabler, und zwar so, daß die Verbindungslinie PlanetSonne, der sogenannte Radiusvektor, in gleichen Zeitengleiche Flächen beschreibt. Die Umlaufzeiten weitererPlaneten nehmen in sehr einfacher gesetzmäßiger Weise

•mit der mittleren Entfernung zu.

Was aber dem heliozentrischen Weltsysteme dieschließliche Geltung verschaffte, das war ein gewaltigerUmschwung, der sich in den mechanischen Anschauungengleichzeitig vollzog. Wir bezeichuen diese neue große Er-kenntnis von damals heute als das Relativitätsprinzip derMechanik. Man war zur Überzeugung gekommen, daß dieErde sich mit noch so großer Geschwindigkeit bewegenkonnte, ohne daß diese Bewegung mechanisch sich be-merkbarmacht, sie mußte nur gleichförmig sein. Und einKörper, erkannte man weiter, auf den keine Kräfte wirken,der behält seine Bewegung geradlinig und gleichförmig

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bei. Die Trägheit ist vielmehr der Widerstand desKörpers gegen jede Änderung der Geschwindigkeit, seies an Größe oder sei es an Richtung. Diese neue An-schauung mit'der dazugehörigen Mechanik nimmt ihrenAnfang bei Gallilei und findet ihre Krönung durch New-ton. Die Kräfte bewirken Änderungen der Geschwindig-keit und der Bewegungsrichtung. Bei uns auf der Erdefreilich treten immer hemmende Reibungs- oder Luft-widerstandskräfte auf, welche jede Bewegimg nachlängerer oder kürzerer Zeit zum Stillstand bringen. Aberdraußen im leeren Weltraum fehlen sie, die Himmels-körper behalten in Ewigkeit ihre Bewegung bei. Daßsich die Planeten aber nicht geradlinig fortbewegen, son-dern in krummer Bahn um die Sonne kreisen, das ist dieWirkung einer anziehenden Kraft, welche von der Sonneausgeht. Aber umgekehrt wirken auch die Planeten mitderselben Kraft auf die Sonne, doch deren Masse ist soüberwältigend groß, daß sie auf sie keine besondere Wir- •kung ausüben können. Dieselbe Anziehung ist es auch,welche den Stein zur Erde fallen läßt, die Anziehung isteine allgemeine Eigenschaft aller Massen, Gravitation ge-nannt. Irgend zwei Massen üben durch den leeren Raumhindurch eine anziehende Kraft aufeinander aus. Sowurde der leere Raum auch Träger von Kräften. Newtonselbst glaubte noch, diese neuartige Vorstellung als Ar-beitsliypothese entschuldigen zu müssen, aber seineSchüler hatten sich bereits vollkommen an den Gedankengewöhnt, warum sollte der leere Raum nicht auch Trägervon Kräften sein können.

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Und der Erfolg dieser neuen physikalischen Vor-stellungen war ein glänzender. Die weitere Entwicklungder Astronomie war eine Kette von immer neuerenTriumphen der Newtonschen Mechanik. Sie gab von denfeinsten Vorgängen am Himmel Rechenschaft und dasVertrauen in sie wurde darum auch bald ein gewaltiges.Mit der Newtonschen Mechanik hoffte man schließlichüberhaupt alles physikalische Geschehen zu begreifen.Sie wurde die Grundlage der ganzen Physik; ja es kameine Zeit, wo man selbst die höchsten Erscheinungs-formen, die des Lebens, auf die Mechanik zurückzuführenhoffte.

Von den physikalischen Vorgängen war es vor allemdie Ausbreitung des Lichtes, welche Newton gleichfallsauf Grund von mechanischen Vorstellungen erklärte. DieLichtstrahlen sind geradlinig und nichts war naheliegen-der, als dabei an den geradlinigen Weg rasch bewegterMassen zu denken. Man stellte sich vor, daß leuchtendeKörper äußerst kleine Körperchen, Korpuskeln genannt,mit außerordentlich großer Geschwindigkeit emittierenund hatte mit dieser Emissionstheorie des Lichtes eineArbeitshypothese geschaffen, die von den wichtigsten op-tischen Erscheinungen in einfachsterWeise Rechenschaftgab und für lange Zeit das höchste Ansehen genoß.

Doch mit der Zeit häuften sich die Entdeckungenimmer mehr, welche für eine Wellentheorie des Lichtessprachen, es sind dies die sogenannten Interferenzer-scheinungen. Ja, man wurde schließlich mit Erscheinun-gen bekannt, welche der Emissionstheorie des Lichtes

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vollkommen widersprachen. Wie der ins Wasser fallendeStein auf der Wasseroberfläche Wellen erregt, die mitkonstanter Geschwindigkeit in Kreisen sich fortpflanzen,so müssen von einem leuchtenden Körper Lichtwellennach allen Richtungen ausgehen in immer größer werden-denden Kugeln. Wie ein tönender Körper in der LuftVerdichtungen und Verdünnungen in periodischer Folgeerregt, die in Kugelwellen sich ausbreiten und ans Ohrgejangend als Ton wahrgenommen werden, so muß auchein leuchtender Körper periodische Wellen erregen, diedas Auge als Licht wahrnimmt. Sogar von den fernenFixsternen kommen die Lichtwellen an unser Auge, nach-dem sie weite Räume durcheilt haben, in denen längstkeine Spur von Luft oder von einem anderen Gas mehrvorhanden sein kann. Der Weltenraum kann somit nichtleer sein; ein Medium muß ihn erfüllen, das die Licht-schwingungen fortpflanzt, und diesen hypothetischenStoff nannte man Lichtäther. Dieser Lichtäther setzt denBewegungen der Himmelskörper aber keinen Widerstandentgegen, denn die Umläufe der Planeten um die Sonnezeigten seit den frühesten genaueren griechischen Beob-achtungen keine Veränderung. Und es war auch optischnicht das geringste zu merken, daß die bewegte Erdeirgend welche Strömungen im Lichtäther hervorgerufenhätte. Je genauer man die optischen Erscheinungen stu-dierte, desto mehr wurde man schließlich zu der Ansichtgedrängt, daß der Äther in Starrheit ruhen müsse. DerWeltäther, so hieß es schließlich, erfüllt kontinuierlichüberall den Raum, er durchdringt infolge seiner aller-

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feinsten Struktur jeden Körper. Seine kleinsten Teilchensind winzig gegen die Moleküle, aus denen die übrigenSubstanzen bestehen, und wie ein grobmaschiges Siebden feinkörnigen Sand einfach durchläßt, so können auchdie Himmelskörper den feinen Weltäther bei ihrer Be-wegung nicht mit sich reißen.

Astronomische Beobachtungen waren es zuerst,welche die Geschwindigkeit des Lichtes bestimmen ließen.Ist die Zeit auch außerordentlich klein, die idas Lichtbraucht, um irdische Strecken zu durchlaufen, könnteman doch mit der Geschwindigkeit des Lichtes in vierZehntelsekunden dreimal die Reise um die Erde machen,so braucht das Licht doch schon von der Sonne zu denPlaneten etliche Minuten, zu den entferntesten sogarschon Stunden. Und dies mußte sich bei der Exaktheit,die astronomische Berechnungen durch die NewtonscheMechanik erhielten, bald bemerkbar machen. Daß aberdie Fixsterne noch ganz außerordentlich viel weiter sindals alle Planeten, das mußte man schon lange vermuten.Wie schon erwähnt, zeigen die Bahnen der Planeten amFixsternhimmel eigentümliche Schleifen, die man seitKopernikus als das Spiegelbild des jährlichen Laufes derErde um die Sonne betrachten kann, wie sie von dem be-treffenden Planeten aus gesehen würde. Und die Längedieser Schleifen läßt direkt die Entfernung des Planetenvon der Sonne berechnen, denn je kleiner diese Schleifen,desto größer die Distanz von der Sonne. Aber erst mitden allerfeinsten Messungsmethoden der modernerenZeit hat man bloß bei einigen Fixsternen gleichfalls solche

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Scbleifen beobachten können und man erhält für diesejedenfalls nächsten Fixsterne bereits Entfernungen; zuderen Durchlaufen das Licht Jahre braucht. Währenddarum auch der Anblick im Fernrohr die Planeten alsScheiben erkennen läßt, behalten die Fixsterne selbst inden stärksten Instrumenten ihr punktförmiges Aussehen.Und wie man schon längst vermutete und auch die Unter-suchung des Sternenlichtes mit der neueren Spektral-analyse glänzend bestätigt hat, sind die Fixsterne nichtsanderes als gleichfalls mächtige Sonnen, größer undglänzender in der Regel als unser eigenes leuchtendesTägesgestirn. Nur ihre riesigen Entfernungen sind es,die sie uns so winzig- klein erscheinen lassen und ihreBewegungen fast verschwindend. Wenn wir es gleichnicht sehen können, so sind wir doch alle überzeugt, daßauch um diese mächtigen Sonnen wie um die unsrigePlaneten kreisen werden, von denen wohl manche in-telligente Wesen beherbergen. Sollten wir wohl jemalsEinblick erhalten in das Leben einer fremden Fixstern-welt? Unsere heutigen optischen Instrumente sind gewißweit entfernt davon. Selbst auf den uns so nahen Planetenlassen sie nur spärliche Details erkennen. Berühmt sinddie sogenannten Kanäle auf unserem NachbarplanetenMars, die durch ihre geometrische Konfiguration denAnschein erwecken, als hätten sie intelligente Wesen an-gelegt. Doch der Marsbewohner ist immerhin noch einreines Gebilde unserer Phantasie und einen sicheren Be-weis seiner Existenz hat uns noch kein Fernrohr geliefert.Um wie viel hoffnungsloser muß es uns bei dem heutigen

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Stande unserer Mittel erscheinen, daß wir jemals dasLeben und Treiben auf einem fernen Fixsternplanetenbeobachten können. Oder sollte es dort bei jenen fernenSternen Wesen geben auf einer solchen Höhe der Kultur,daß sie können, was uns heute noch unmöglich erscheint,daß sie vielleicht unser Leben und Treiben hier auf derkleinen Erde schon längst beobachten und auf den Augen-blick warten, bis auch wir so weit sind. Denn könntenauch wir sie mit Instrumenten, von denen wir allerdingskeine Ahnung haben, gleichfalls wahrnehmen, dannkönnten wir auch mit der fremden Welt in Gedanken-austausch treten. Das Licht wäre der Bote, der die Ver-ständigung durch den weiten Äther trüge.

Es läßt sich gar nicht ausdenken, wie ein solcherVerkehr mit einer fremden Fixsternwelt unseren Ge-sichtskreis wohl erweitern würde. Aber schleppend wärediese telegraphische Verständigung auf jeden Fall, wennman sich vorstellt, daß jetzt abgegebene telegraphischeZeichen auf jenem fremden Himmelskörper vielleichtetwa in zehn Jahren erst ankommen und die Antwortfrühestens in zwanzig Jahren zurück sein kann. Dennalles, was wir mit unseren Wunderinstrumenten an Vor-gängen in jener fremden Welt wahrnehmen würden, dasläge zehn Jahre zurück und genau so ginge es jenenfernen Wesen, sie würden nur sehen, was sich bei unsvor zehn Jahren abgespielt hat. Und wenn jetzt eine ge-waltige Katastrophe die ganze eine Welt zugrunderichtet,die andere hat noch lange keine Kunde davon und dochist der Lichtstrahl der schnellste Bote, den wir kennen.

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Aber die Entfernung von jener fremden Welt, diemit uns in telegraphischen Zeichenwechsel tritt, die würdenwir dann nicht mehr so ungenau wie jetzt bloß in Licht-jahren anzugeben brauchen, auf Tage, Minuten, ja wahr-scheinlich Sekunden genau ließe sich dann mit Leichtig-keit die Zeit bestimmen, die das Licht zum Durcheilendes Zwischenraumes braucht. Wir geben ein Zeichen, dieandere Welt gibt es sofort bei seiner Ankunft an unswieder zurück, und die Hälfte der Zeit, die das Zeichenausblieb, ist die Entfernung jener anderen Welt undzwar, wie es sich für Fixsternentfernungen eingebürgerthat, in Lichtzeit ausgedrückt. Und wenn wir mit unserengroßartigen Instrumenten eine Uhr mit Kalender in derfremden Welt abzulesen vermögen, so wissen wir, daßdiese Uhr mit dem Kalender im selben Augenblick be-reits um jene gleiche Lichtzeit weitergerückt ist. Wirkönnten so auch bei uns eine Uhr mit Kalender auf-stellen, die genau gleichzeitig geht mit den Uhren aufder fernen Fixsternwelt, und gleichzeitige Beobachtungenmit den Bewohnern der anderen Welt würden unseremastronomischen AVissen vom Fixstei'nsystem eine un-schätzbare Fundgrube neuer wertvoller Tatsachen liefern.Doch wenn schon, warum sollten wir dann bloß mit Be-wohnern eines einzigen Fixstern systems in Verbindungtreten? Wenn es diesen und uns gelingen sollte, derartgroßartige Mittel zu erfinden, dann wird dasselbe gewißauch noch Bewohnern vieler anderer Fixsternsysteraegelingen, ein vielverzweigter Weltenverkehr mag sichausbilden. Die gegenseitigen Entfernungen zwischen

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allen diesen Fixsternen wären dann genau bekannt undman einigt sich dann wohl wenigstens für den Verkehruntereinander auf eine gemeinsame Weltenzeit. EineWeltenhauptuhr ist auf einer der Fixsternwelten aufge-stellt und alle übrigen Fixsternwelten richten ihre Welten-uhren nach dieser Hauptuhr unter Berücksichtigung derLichtzeit, so wäre die Ordnung in diesem Welten verkehrgeregelt. Aber wir haben bei diesen Betrachtungen einestillschweigende Voraussetzung gemacht, die nicht unbe-denklich ist. Bekanntlich pflanzt sich das Licht in demruhenden Weltäther fort, gegen den sich die Himmels-körper ungehindert bewegen können, und von dieser Ge-schwindigkeit haben wir ganz abgesehen. Nun wissenwir freilich, daß die Geschwindigkeit unserer Sonne re-lativ zu den übrigen Fixsternen recht klein ist im Ver-gleiche zur Geschwindigkeit des Lichtes. Doch weiß man,ob sich nicht das gesamte Fixsternsystem mit riesigerGeschwindigkeit durch den Äther bewegt? Jenen Sternen,die in der Richtung der Bewegung liegen, denen müßtedas Licht dann nacheilen und erreichte sie später,während es die zurückliegenden Sterne rascher erreicht.Die ganze Methode des Gleichrichtens der Uhren ist da-durch-in Frage gestellt und ebenso die Messung dergegenseitigen Entfernungen durch Lichtsignale.

Um diese ganzen Verhältnisse besser überblickenzu können, wollen wir lieber einen ganz entsprechendenFall auf unserer Erde heranziehen. Wir denken uns einemilitärische Expedition in einem weiten ebenen Gebiete,wo es keinen Sinn hat, sich an bestimmte Wege zu halten,

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weil Straßen ohnehin nicht vorhanden sind. Der Kom-mandant hat die Absicht, in einer bestimmten Richtungeinfach geradeaus vorzudringen. Er selbst befindet sichmit der Hauptmacht im Zentrum und 20 km vorge-

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Vorflut

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schoben ist eine Vorhut, 20 km hinter ihm befindet sichdie Nachhut, auch 20 km rechts und links sind Seiten-kolonnen aufgestellt und noch lagert alles (Fig. 3). Be-fehle und Meldungen übermitteln Boten, welche in derStunde 5 km zurücklegen. So brauchen die Boten zujeder der Nebenkolonnen hin und zurück acht Stunden,und da sie immer auch die Zeit ihres Abganges vom

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Zentrum melden, so können die Nebenkolonnen ihreUhren danach richten, indem sie noch vier Stunden Boten-zeit dazu rechnen. Anders wird die Sache, wenn sich dieganze Heeresmasse in Bewegung setzt, die langsam, aber

dkm die Stunde

-/6km •

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stetig mit einer Geschwindigkeit von 3 km in der Stundeweiterzieht. Die beiden Seitenkolonnen rücken in ihrerursprünglichen Distanz von 20 km in einer Linie mitdem Zentrum vor. Vorhut und Nachhut muß der Ober-kommandant dagegen auf eine Entfernung von bloß 16 kmheranziehen, damit seine Boten dorthin nicht länger aus-

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bleiben als nach den Seitenkolonnen. (Fig. 4.) In dieserMarschordnung jetzt brauchen die Boten zu jeder derNebenkolonnen hin und zurück 10 Stunden. Denn dernach der Seitenhut, die sich selbst weiterbewegt, vomZentrum abgehende Bote hat nun einen längeren Weg

3 km

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fio

zurückzulegen; da er eine schiefe Richtung einschlagenmuß, um immer in der Verbindungslinie Zentrum-Seiten-hut zu bleiben. In einer Stunde ist der Bote 5 km vonseinem Ausgangspunkte A entfernt (Fig. 5), das Zentrumist aber gleichfalls unterdessen um 3 km bis C weiter-gerückt, während der Bote sich in B befindet. Er ent-fernt sich also bloß, wie die Zeichnung erkennen läßt,vom Zentrum 4 km in der Stunde und erreicht die 20 km

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seitlich marschierende Seitenhut somit erst in 5 Stunden.Ebensolange braucht er wieder zurück und bleibt mithinzur Seitenhut 10 Stunden im ganzen aus. Ein vom Zen-trum zur 16 km voranmarschierenden Vorhut abgesen-deter Bote nähert sich dieser bloß 5 km — 3 km = 2 kmin der Stunde und holt sie mithin erst in 8 Stunden ein.Aber zurück nähert er sich dem ihm entgegen marschie-renden Zentrum 5 km -\- 3 km = 8 km in der Stunde underreicht es mithin in 2 Stunden, so daß auch er im ganzen10 Stunden ausbleibt. Und genau dieselbe Zeit bleibtauch der Bote nach der Nachhut aus. Wenn man nungerade so wie früher während des Lagerns in den Neben-kolonnen weiter die Uhren nach dem Zentrum richtet,nur unter Zugabe von jetzt 5 Stunden Botenzeit, so gehendie Uhren in den Seitenkolonnen auch weiterhin richtig.Doch die Uhr der Vorhut geht um 3 Stunden nach, dieUhr der Nachhut um 3 Stunden vor. Wenn ein Bote vomZentrum um 12 Uhr mittags abgeht, so zeigt bei seinemEintreffen bei der Vorhut die so verstellte Uhr 5 Uhr undum 10 Uhr trifft der Bote wieder beim Zentrum ein. Esist so der Anschein erweckt, als brauche der Bote hindieselbe Zeit wie zurück. So funktioniert auf dem Mar-sche, von der etwas längeren Botenzeit abgesehen, dannalles genau so wie vorher während der Ruhe. Die Unter-gebenen des Kommandanten könnten so vielleicht dieMeinung haben, es verhalte sich wirklich alles so wiewährend der Ruhe und halten den so geregelten Standder Uhren für richtig und schließen aus der gleichenBotenzeit, daß wirklich alle Nebenkolonnen die gleiche

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Entfernung vom Zentrum haben. Das allermerkwürdigsteist aber, daß wenn die Nebenkolonnen auch untereinan-der durch die Boten in Verkehr treten, zum Beispiel dieVorhut mit einer Seitenhut, sie auf die gleiche fehlerhafteWeise trotzdem ihre Uhren in Übereinstimmung fändenund für ihre gegenseitige Entfernung, nach der Botenzeitbeurteilt, einen Wert bekämen, wie sie ihn geometrischauch erwarten würden. Das fehlerhafte Verfahren würdesie auf keine Widersprüche führen, solange sie nichtmit dem Meßband ihre Entfernungen nachmessen oderdurch raschere Mittel, als ihre Boten es sind, ihre Uhrenvergleichen. Und gerade in dieser Lage befinden sichdie Bewohner der Fixsternwelten, die aus der Lichtzeitihre gegenseitige Entfernung bestimmen und ihre Welten-uhren damit richten, ohne auf die Bewegung der Systemeim Äther Rücksicht zu nehmen. Geometrisch würdenalle Entfernungen untereinander stimmen und es würdenalle Uhren untereinander Übereinstimmung zeigen unddoch trägt gleichsam der Lichtungsmaß stab in der Be-wegungsrichtung zu kleine Marken auf und die Uhrengehen in Wirklichkeit in der Bewegungsrichtung vor undnach. Und raschere Signale als Lichtsigiiale scheint esnicht zu geben und Meßschnüre von einem Fixstern zumandern lassen sich nicht ziehen, könnte man dies aber,so würde die Differenz zwischen den Angaben des mate-riellen Maßstabes und des Lichtmaßstabes die Geschwin-digkeit der ganzen Fixsternwelt im Äther berechnenlassen und man wüßte dann auch, wie- man die Uhrenzu stellen hat, damit sie wirklich gleichzeitig gehen.

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Aber im Prinzip muß sich auf diese Weise dieGeschwindigkeit gegen den Weltäther auch durch einenirdischen Versuch feststellen lassen. Und es zeigt vonder außerordentlichen Feinheit, deren unsere optischenMessungen fähig sind; daß es tatsächlich gelang, einensolchen Apparat herzustellen, mit dem man diese Dif-ferenz, zwischen Lichtmaßstab und materiellem Maßstabmüßte messen können, selbst wenn die Geschwindigkeitder Erde um die Sonne und die Geschwindigkeit unseresSonnensystems gegen die Fixsternwelt die ganze wahreGeschwindigkeit gegen den Weltäther wäre. In Amerikabaute man diesen Apparat und führte die nunmehr alsMichelsonscher Versuch berühmt gewordenen Messungendurch. Der Apparat besteht im Prinzip aus zwei recht-winkelig zueinander stehenden gleich langen Armen, mitSpiegeln am Ende versehen, die einen in der Richtungdes Armes kommenden Lichtstrahl in sich wieder zurück-reflektieren. Aus dem Zentrum des Apparates wird jeein Lichtstrahl längs jedes Armes entlang geschickt undvom Spiegel wieder ins Zentrum zurückreflektiert. DerLichtstrahl in der Bewegungsrichtung müßte länger aus-bleiben als der Lichtstrahl senkrecht dazu, denn solltensie gleich lange ausbleiben, müßte man ja den Arm inder Bewegungsrichtung verkürzen, wie das Beispiel dermilitärischen Expedition gezeigt hat. Die mit mehr alsgenügender Feinheit ausgeführten Versuche hatten aberdas Ergebnis, daß kein solcher Einfluß der Bewegung zubemerken ist. So drang allmählich die Überzeugungdurch, daß ein materieller Maßstab,, in die Bewegungs-

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richtung gestellt, sich genau so verkürzt wie gleichsamder Lichtmaßstab dies tut. Alle Körper verkürzen sichgleichviel in der Bewegungsrichtung, der Meterstabebenso wie der zu messende Körper und darum kanndiese Verkürzung durch Längenmessung nicht wahr-genommen werden. Aber auch die Bewohner jener kor-respondierenden Fixstern weiten, von denen wir frühersprachen, würden durch Meßschnüre keine anderen Ent-fernungen zwischen den Himmelskörpern herausbekom-men als durch ihre Lichtzeiten, mit welcher Geschwin-digkeit immer die gesamten Fixsterne sich durch denÄther bewegen. .

Daß sich aber jene kühne Annahme von den Kon-traktion aller Körper in der Bewegungsrichtung behaup-ten konnte, das ist auf eine vor sich gegangene gewaltigeÄnderung unserer Anschauungen auf einem ganz anderenGebiete der Physik zurückzuführen, nämlich auf demGebiete der Elektrizität und des Magnetismus. Es ist die-selbe bedeutsame Erkenntnis, der wir es auch in letzterLinie verdanken, wenn heute draußen auf hoher See dieSchiffe untereinander und mit großen Landstationen aufweite Entfernungen hin durch elektromagnetische Wellenverkehren können, um nur eine von den vielen Wohl-taten der sogenannten drahtlosen Telegraphie herauszu-greifen. Bekanntlich übt ein elektrisch geladener Kör-per auf andere Körper in der Entfernung elektrischeKräfte aus, und ein elektrischer Strom übt auf einenMagnetpol in der Entfernung eine magnetische Kraftaus. Aber wir wissen seit Faraday und Maxwell, daß

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elektrische und magnetische Kräfte nicht sofort bei Ent-stehung der Ladung oder des elektrischen Stromes inder Entfernung auftreten, sondern daß sie sich erst all-mählich durch den Äther fortpflanzen. Zum Zwecke derdrahtlosen Telegraphic werden elektrische Schwingun-gen in hohen metallenen Ständern, den sogenanntenAntennen, erregt. Fortwährend fließen Ströme oszillato-risch hinein und hinaus, die Antenne ladet sich immerwechselnd positiv und negativ, es treten also elektrischeund magnetische Kräfte gleichfalls oszillierender Stärkeauf, aber zunächst nur unmittelbar an der Antenne. Dochder Äther pflanzt diese pulsierenden Kräfte fort und soentstehen die elektromagnetischen Wellen, welche sichmit Lichtgeschwindigkeit ausbreiten. • Denn das Licht istselbst nichts anderes als eben solche elektromagnetischeWellen, wie sie zur drahtlosen Telegraphie verwendetwerden, und unterscheidet sich bloß durch die Länge derWellen; denn während die Wellenlänge in der drahtlosenTelegraphie Kilometer beträgt, haben die Lichtwellennur eine Länge von zehntausendstel Millimeter. Sind jaauch die Sendestationen für die elektromagnetischenLichtwellen recht winzig, denn sie sind nichts anderesals die Moleküle oder Atome der leuchtenden Körper.Ja, so ein Atom, das wissen wir heute schon recht genau,ist bereits ein- hochkomplizierter Mechanismus. Elek-trische Kräfte herrschen in seinem Innern, gegen welchewir die stärksten Felder, die je in einem Laboratoriumerzeugt worden sind, als unbedeutend bezeichnen müssen.Und zwar scheint die positive Elektrizität fest an der

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Materie zu haften, während die negative Elektrizitätfreie Beweglichkeit im Atominnern besitzt und aus lauterdiskreten gleichgroßen, sozusagen; Atomen besteht. Elek-tronen nennt man diese Atome negativer Elektrizität.Sie können sich lostrennen vom Atom und mithin fürsich untersucht werden. So treten uns solche freie Elek-tronen zum Beispiel als Kathodenstrahlen in den Rönt-genröhren entgegen oder als Betastrahlen bei radioak-tiven Substanzen. Wie ein elektrischer Strom beim Ein-schalten, wie man sagt, durch Selbstinduktion erst all-mählich seine volle Stärke annimmt und aus demselbenGrunde beim Ausschalten nur allmählich verschwindet,so setzt auch ein Elektron, das bewegt ebenso wirkt wieein elektrischer Strom, seiner Beschleunigung oder Ver-zögerung rein elektromagnetisch Widerstand entgegen,als ob es mechanische Masse hätte. Darum spricht manhier von einer elektromagnetischen Masse und diese istzirka der zweitausendste Teil der Masse eines Wasser-stoffatoms. Die Schwingungen der Elektronen im Atom-innern rufen die Lichtwellen hervor.

Zwischen den einzelnen Molekülen der festen Körpermüssen nun offenbar Kraue wirken, welche sie zwingen,in ganz bestimmten Abständen zu verbleiben. A. H.Lorenz hat nun bewiesen, daß, wenn auch diese Kräfte,welche sich zwischen den Molekülen das Gleichgewichthalten, elektromagnetische Kräfte sind, die Körper beider Bewegung durch den Äther notwendigerweise jeneKontraktion zeigen müssen, welche aus dem Michelson-schen Versuche gefolgert wird. Ja, es genügt anzu-

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nehmen, daß jene Kräfte, welche das Gefüge eines festenKörpers zusammenhalten, gleichfalls solche sind, welchedurch den Äther mit Lichtgeschwindigkeit sich fortpflan-zen, um jene Kontraktion zu erklären. Denn wie in demBeispiele der militärischen Expedition die alte Ordnungdurch Näherheranziehen von Vorhut und Nachhut her-gestellt werden mußte, so wird auch bei diesen sich fort-pflanzenden Kräften das Gleichgewicht bloß durch ent-sprechende Kontraktion wieder erreicht. Also auchbewegte Maßstäbe gestatten somit nicht, die wahrenEntfernungen zu messen, man bekommt mit ihnen die-selben falschen Werte wie bei Verwendung von Licht-zeiten. Wie soll man nun die wahren Entfernungen fest-stellen und die wahre Gleichzeitigkeit? Man muß eineandere Methode ersinnen, die Geschwindigkeit gegen denWeltäther zu bestimmen.

Aber alle Versuche, diese Geschwindigkeit gegenden Äther zu bestimmen, sind bisher fehlgeschlagen.Denn schon in den Anfangsstadien der Wellentheoriedes Lichtes mußte man einige vermutete gröbere Ein-flüsse als nicht vorhanden erkennen. Vielleicht wird esuns mit allen späteren Versuchen ebenso gehen? Aberwenn sich auch das ganze System der Fixsterne mit sehrgroßer Geschwindigkeit durch den Äther bewegen sollte,so stimmen die Entfernungen, welche man gleich gutdurch Lichtsignale als durch Meßschnüre bestimmt, geo-metrisch vollkommen überein. Man kann sich gleichsamvorstellen, daß das Licht nach allen Richtungen sichgleich rasch fortpflanzt, und bekommt doch gut zusam-

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nienstimniende Uhrstände. Man bekommt zwar unrich-tige Längen und unrichtige Zeiten, aber diese unrichtigenLängen und unrichtigen Zeiten haben die gleichen Eigen-schaften wie richtige Längen und richtige Zeiten. Undin bezng auf sie pflanzt sich das Licht gleich schnellnach allen Richtungen fort wie im ruhenden Äther. Viel-leicht vollziehen sich alle physikalischen Vorgänge inbeziig auf sie genau so wie im ruhenden Äther? Wäredas aber der Fall, so würde man niemals ein Experimentzustande bringen, aus dem sich die Geschwindigkeitgegen den Äther bestimmen ließe. Das wäre eine neueMerkwürdigkeit jenes Äthers, der schon immer ein son-derbares Verhalten zeigte. Er mußte einerseits als rechtstarr angenommen werden, andererseits leistet er denBewegungen der Körper keinen Widerstand, sonderndurchdringt alles. Und nun käme als eine neue Eigen-schaft hinzu, daß man nicht konstatieren kann, ob mansich gegen ihn bewegt oder nicht. Da muß man mitRecht die Frage aufwerfen, ob der Äther überhauptMaterie ist. Als man das Licht noch als mechanischeSchwingungen sich dachte, da brauchte man in der Tateinen materiellen Äther. Doch heute weiß man, daß mar.es beim Licht mit oszillierenden elektromagnetischenKräften zu tun hat, und Träger von Kräften kann auchder leere Raum sein, so hat man ja schon einmal gedacht.Man hat sich jetzt nur vorzustellen, daß der leere Raumdie Kräfte nicht spontan übermittelt, sondern sie mitkonstanter Geschwindigkeit weiterleitet. Diese neu-erkannte physikalische Eigenschaft des leeren Raumes

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schreibt man dann nur fälschlich einem den Raum erfül-lenden Äther zu,. Äther und leerer Raum wären ein unddasselbe. Im leeren Raum kann man aber vom Fixstern-system mit demselben Rechte sagen, es ruht, als esbewegt sich mit einer bestimmten Geschwindigkeit, dennder leere Raum ist unendlich und hat keine Mitte undkeine Grenzen, kurz es ist nichts da, woran man Orts-veränderung oder Ruhe konstatieren kann.' Dann sindaber jene Längen und Uhrstände des bewegten Fixstern-systems gar nicht unrichtig, sondern sind eben die Raum-masse und Uhrstände des bewegten Fixsternsystems unddiese sind eben verschieden von den Raummassen undUhrständen eines ruhenden Systems. Der Raum an undfür sich hat keine bestimmten Maße und keine bestimmteGleichzeitigkeit, sondern Raummaß und Gleichzeitigkeitsind relative Größen, für jedes mit anderer Geschwin-digkeit bewegtes System fallen sie anders aus. Aber siesind alle untereinander vollkommen gleichberechtigt,denn in bezug auf jedes System gilt dieselbe Geometrie,in bezug auf jedes breitet sich das Licht nach allenRichtungen mit derselben Geschwindigkeit aus, und esgelten überhaupt dieselben Naturgesetze. Von einer Ge-schwindigkeit an sich zu sprechen im leeren Raum hatkeinen Sinn, denn es gibt keine absolute Geschwindigkeitoder absolute Ruhe. Wir können nur von der Geschwin-digkeit eines Systems gegen ein anderes sprechen, esgibt nur relative Geschwindigkeit und relative Ruhe. DieSumme dieser Anschauungen ist das Relativitätsprinzip,von Einstein begründet und durch Minkowski zur höchsten

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Vollkommenheit ausgebaut. Darnach spielt sich in einemgegen uns mit konstanter Geschwindigkeit bewegtenSystem alles physikalische Geschehen ganz gleichartigab, nur ist die Raummessung und Zeitmessung in dembewegten System eine andere.

In unserem Beispiel der militärischen Expeditionblieb der Bote nach den Nebenkolonnen während desMarsches 10 Stunden aus, während er früher währenddes Lagerns nur 8 Stunden brauchte. Würde man aufdem Marsche auch den Gang aller Uhren so verändern,daß in 10 Stunden der Zeiger bloß um 8 Stunden weiter-rückt, so bliebe der Bote auch auf dem Marsche schein-bar nur 8 Stunden aus. Dann wäre auf dem Marschevollends alles so wie vorher während der Ruhe. DasRelativitätsprinzip erfordert nun, daß in einem bewegtenSystem alle Uhren von selbst ihren Gang derart verlang-samen, daß die Geschwindigkeit des Lichtes, das ist jader Bote im leeren Raum, dieselbe bleibt. So und nur so,zeigt Einstein, erhält man in Verbindung mit der schonfrüher besprochenen Raummessung und Uhrenverglei-chung die vollkommen gleichberechtigten Raum- undZeitmaße des bewegten Systems. Denn in zwei gegen-einander mit konstanter Relativgeschwindigkeit bewegtenSystemen können in jedem mit gleichem Recht die Be-wohner ihr System als das ruhende betrachten und dasandere als das bewegte und jedes hat von dem anderendie gleichen Eindrücke. Von diesen merkwürdigen Ver-hältnissen soll das Modell ein Bild entwerfen. (DerApparat wurde zuerst von Professor Cohn in Straßburg

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konstruiert1), von mir nur in etwas veränderter Weiseausgeführt, wie ihn die Abbildung zeigt.)

Man sieht an dem Modell oben ein ruhendes System,bestehend aus einem Maßstab und zwei Uhren und darunter

auf einem Wagen ein bewegtes System, ganz ebenso aus-gestattet. Die Maßstäbe sollen die verkleinerte Wieder-gabe von Maßstäben riesenhafter Dimension draußen imWeltraum darstellen, zu deren Durcheilen das LichtStunden braucht. Die Schnur vor den Maßstäben soll sich

') Physikalisches über Kaum und Zeit von EmilCohn, Verlag von B. G. Teubner, Leipzig und Berlin 1911.

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mit der Geschwindigkeit des Lichtes bewegen und daraufbefestigte Marken stellen somit Lichtsignale dar. Mansieht, daß während ein Lichtsignal um fünf Teilstrichedes fixen Maßstabes weitereilt, eine Marke des Wagensbloß um drei Teilstriche sich fortbewegt. Das untere Systembewegt sich also mit dreifünftel Lichtgeschwindigkeitund da3 Verhältnis der Geschwindigkeit des Wagenszur Geschwindigkeit des Lichtsignales ist dasselbe,wie bei unserem Beispiele der militärischen Expeditiondas Verhältnis der Geschwindigkeit der ganzen Heeres-masse zur Geschwindigkeit der Boten. Darum ist auchder Maßstab des unteren Systems, der ja in der Bewe-gungsrichtung steht, entsprechend verkürzt, es deckensich, wie man sieht, zwanzig Teilstriche des unteren Maß-stabes mit nur sechzehn Teilstrichen des oberen Maß-stabes oder auf vier Teilstriche des oberen Maßstabesfallen fünf Teilstriche des unteren Maßstabes, kurz deruntere Maßstab ist vierfünftel verkürzt. Desgleichengehen auch die Uhren des bewegten Systems langsamer,denn während der Zeiger einer oberen Uhr um 10 Stun-den vorrückt, geht der Zeiger einer unteren Uhr bloß umacht Stunden weiter oder, während der Zeiger einer oberenUhr um fünf Stunden vorrückt, geht ein Zeiger einerunteren Uhr bloß vier Stunden weiter, kurz der Gangder unteren Uhren ist vierfünftel verlangsamt. Man über-sieht ferner mit einem Blick, daß die beiden oberen Uhrensynchron sind. Aber auf den riesenhaften Maßstäbendraußen im Weltenraum, deren verkleinerte Wiedergabedas Modell darstellt und längs denen das Licht sich so

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langsam fortbewegt, können die Bewohner nicht miteinem raschen Blick die beiden Uhren übersehen, sondernkönnen ihre Uhren nur so miteinander vergleichen, daßein Beobachter bei der einen Uhr mit einem zweitenBeobachter bei der anderen Uhr Lichtsignale wechselt.Der erste Beobachter bei der linken oberen Uhr gibt um12 Uhr mittags ein Lichtsignal ab, dieses kommt um 6Uhr bei dem zweiten Beobachter an, der im selbenAugenblicke ein Lichtsignal zurücksendet. (Die hinge-gesendete Marke wird an der oberen Signalschnur be-festigt, die zurückgesendete an der unteren Signalschnur.)Dieses kommt um 12 Uhr mitternacht bei dem erstenBeobachter wieder an. Die Bewohner des oberen Systemswerden nun sagen, das Lichtsignal ist im ganzen zwölfStunden ausgeblieben, folglich muß es um sechs Uhr beider zweiten Uhr gewesen sein. Diese hat damals tat-sächlich 6 Uhr gezeigt und ist also wirklich mit derersten Uhr synchron. Aber die unteren Uhren erscheinenuns nicht synchron, sondern die rechte Uhr scheint ummehr als dreiundeinhalb Stunden nachzugehen, und sowird es auch den Bewohnern des oberen fixen Systemserscheinen. Doch auch die Bewohner des unteren Systemskönnen ihre Uhren nur durch Lichtsignale vergleichen.Es soll auch hier ein Beobachter bei der linken Uhr um12 Uhr mittags ein Lichtsignal abgeben, das, wie mansieht, einen Beobachter bei der rechten unteren Uhr um6 Uhr trifft. Dieser gibt wieder im selben Augenblickeein Zeichen zurück, das, wie sich zeigt, um 12 Uhr mitter-nachts pünktlich bei der linken unteren Uhr eintrifft. Also

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auch die Bewohner des unteren Systems, die sich fürruhend halten werden, schließen gleichfalls, da dasLichtsignal im Ganzen 12 Stunden ausgeblieben ist, daßes um 6 Uhr bei der anderen Uhr eingetroffen sein muß.Nun zeigte die andere Uhr in diesem Augenblicke 6 Uhr,also ist sie synchron mit der ersten Uhr. Dagegenerscheinen diese beiden Uhren den Bewohnern des oberenSystems als nicht synchron, den Bewohnern des unterenSystems werden hinwiederum die oberen Uhren un-synchron erscheinen. Man sieht, die Gleichzeitigkeit istin den beiden Systemen eine ganz verschiedene. Aberin beiden Systemen finden die Beobachter, daß das Licht20 Teilstriche des Maßstabes in 6 Stunden zurücklegt.Die Geschwindigkeit des Lichtes ergibt sich für beideSysteme gleich.

Aber auch die beiden in "Wirklichkeit so riesenhaftgroßen Maßstäbe werden die Bewohner nicht mit einemBlick miteinander vergleichen können, sondern könnendies nur so ausführen, daß wieder die beiden Beobachter,während sich der andere Maßstab vorüberbewegt, umdie gleiche Zeit die Marke des anderen Maßstabes ab-lesen, welche sich ihnen gerade gegenüber befindet. DieBewohner des oberen Systems sollen diese Maßstabs-̂vergleichung gerade um 12 Uhr machen. Der eine obereBeobachter bei Teilstrich 0 liest am unteren Maßstab um12 Uhr gleichfalls die Marke 0 ab. Der zweite obereBeobachter dagegen bei Teilstrich 20 liest am unterenMaßstabe um 12 Uhr die Marke 25 ab. Die Bewohnerdes oberen Systems schließen somit, daß 25 Teilstriche

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des unteren Maßstabes sich mit 20 Teilstrichen ihresMaßstabes decken, daß der untere Maßstab mithin vier-fünftel verkürzt ist, also genau so, wie auch wir es sehen.Auch die Bewohner des. unteren Systems müssen sich zurMaßstabsvergleichung wieder ihrer beiden Beobachterbedienen, die gleichfalls gerade um 12 Uhr die eben vor-beigleitende Marke des oberen Maßstabes ablesen sollen.Der untere Beobachter bei Teilstrich 0 liest um 12 Uhram oberen Maßstabe gleichfalls die Marke 0 ab, dochder zweite Beobachter bei Teilstrich 20 liest um 12 Uhram oberen Maßstabe die Marke 25 ab. Die Bewohnerdes unteren Systems finden somit, daß sich der obereMaßstab von 0 bis 25 mit dem unteren Maßstab von 0bis 20 deckt, daß also der obere Maßstab vierfünftelverkürzt ist. Aber auch die Vergleichung des Gangesder Uhren des anderen Systems können die Bewohnerder Maßstäbe nur wieder durch Zusammenarbeiten derbeiden Beobachter anstellen. Der linke obere Beobachtersieht um 12 Uhr die linke untere Uhr bei sich vorbeibe-wegen und liest auf ihr gleichfalls 12 Uhr ab. Derrechte obere Beobachter sieht dieselbe Uhr um 10 Uhrvorbeiziehen und liest auf ihr 8 Uhr ab. Die Bewohnerdes oberen Systems finden somit, daß in 10 Stunden derZeiger der unteren Uhr bloß um 8 Stunden sich fortbe-wegt, daß der Gang der unteren Uhr also vierfünftelverlangsamt ist, genau so, wie es auch uns erscheint.Wir sehen mithin alles so, als wären wir selbst Be-wohner des oberen fixen Systems. Im unteren Systemdagegen sieht der Beobachter bei 20 um 10 Uhr die

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rechte obere Uhr vorbeigleiten und liest auf ihr 2 Uhrab. Der untere Beobachter bei 0 sieht dieselbe Uhr ansich um 8 Uhr vorüberziehen und liest auf ihr 10 Uhr ab.Die Bewohner des unteren Systems finden also, daß inder Zeit von 10 Uhr vormittags bis 8 Uhr abends, alsoin 10 Stunden, der Zeiger der oberen Uhr von 2 Uhr bis10 Uhr, also bloß 8 Stunden weitergerückt ist, daß alsodie obere Uhr einen vierfünftel verlangsamten Gang hat.Also die Bewohner des oberen Systems finden mit ihrenMaßstäben und ihren Uhren, daß die Bewohner desunteren Systems verkürzte Maßstäbe sowie unsynchroneund verlangsamte Uhren besitzen, die Bewohner desunteren Systems finden dagegen, mit ihren Maßstäbenund ihren Uhren, daß die Bewohner des oberen Systemsverkürzte Maßstäbe sowie unsynchrone.und verlangsamteUhren besitzen und zwar alles im gleichen umgekehrtenVerhältnis. Die Bewohner des unteren Systems werdensich für ruhend halten und das obere System für bewegt.Wer von den beiden hat recht? Beide haben recht;denn es gibt keine Raummessung und Zeitmessung ansich, sondern es gibt ebensoviele verschiedene Raum-messungen nnd Zeitmessungen, als es Geschwindigkeitenbewegter Systeme gibt. Und keines hat den Vorzug vordem anderen.

Wie das Modell zeigt, sind die Forderungen desRelativitätsprinzips widerspruchslos zu erfüllen, und zwar,wie sich mathematisch beweisen läßt, nur auf dieseeinzige Weise. Überhaupt hat das Relativitätsprinzip inden Händen der Mathematiker einen großartigen Ausbau

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erlebt. Unser dreidimensionaler Raum kann nicht für sichbestehen ohne die Zeit und ebenso kommt der Zeit keineselbständige Existenz zu, sondern es bestehen nur Raumund Zeit miteinander und bilden eine vierdimensionaleMannigfaltigkeit, welche Minkowski „die Welt" nennt.Nur diese vierdimensionale Welt hat absolute Abmessun-gen. Wir zerlegen diese Welt in Raum und Zeit, aber wirzerlegen sie anders, wenn wir uns mit anderer Geschwin-digkeit bewegen, und kommen so zu Räumen mit ver-schiedenen Abmessungen und verschiedener Gleichzeitig-keit. Aber wie wir die Welt auch in Raum und Zeit zerlegen,wir nehmen immer dieselben Naturgesetze wahr. Und dieGesetze der Physik erhalten in dieser vierdimensionalenWelt eine wunderbar vereinfachte und elegante Gestalt.

Wenn in dem einen System die Bewohner die Maß-stäbe des anderen Systems verkürzt finden, die Bewoh-ner in dem anderen System wieder die Maßstäbe des erste-ren verkürzt, so wird man schon dadurch auf den Gedan-ken geführt, daß beide Bewohner auch ganz verschiedeneKräfte wahrnehmen werden. Und dies läßt sich an fol-gendem Fall noch viel klarer sehen. Wenn eine elektri-sche Ladung mit beträchtlicher Geschwindigkeit sichbewegt, so wird man außer den elektrischen Kräften inihrer Umgebung auch noch magnetische Kräfte wahr-nehmen, denn bewegte Elektrizität wirkt wie ein elek-trischer Strom. Aber Beobachter, die sich mit der beweg-ten Ladung mitbewegen, nehmen nur elektrische Kräftewähr, denn in bezug auf sie hat ja die elektrischeLadung keine Bewegung. Der mitbewegte Beobachter

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nimmt also ein ganz anderes Kräftesystem wahr als derruhende Beobachter und dies darf uns nicht wunder-nehmen, denn er mißt ja auch mit mitbewegten Meß-instrumenten. Diese Erscheinungen stehen ganz in Ein-klang mit den Gesetzen der modernen Elektrizitätslehre,der Elektronentheorie, welche überhaupt als der derzeithöchst entwickelte Zweig der Physik zu gelten hat. Beianderen physikalischen Erscheinungen kann das Relativi-tätsprinzip dazu benützt werden, um überhaupt erst dieGesetze bei höheren Geschwindigkeiten daraus zuerschließen, indem nämlich für den mitbewegten Beob-achter die Erscheinungen so verlaufen müssen, als oballes in Ruhe wäre. Darum ändert das Relativitätsprinzipvielfach die bestehenden physikalischen Gesetze etwasab, aber nur um Größen, die sich erst bei Geschwindig-keiten, die vergleichbar sind mit der Lichtgeschwindig-keit, bemerkbar machen. Auch die Gesetze der Mechanikändern sich etwas, doch sind selbst die Geschwindig-keiten der Planeten so klein gegen die Lichtgeschwindig-keit, daß diese Abweichungen ganz verschwinden. Beiganz großen Geschwindigkeiten muß nämlich die Masseeines Körpers größer werden und ungleich, je nach derRichtung der Kraft gegen die Geschwindigkeit. DieElektronen, welche sich mit Geschwindigkeiten bis gegendie Lichtgeschwindigkeit bewegen, zeigen tatsächlichdieses Verhalten ihrer Masse. Diese Masse ist zwarelektromagnetischen Ursprunges, aber es gehört zu denschönsten Folgerungen des Relativitätsprinzips, daß dieMasse nur eine Eigenschaft der Energie ist, und zwar

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jede Energie, gleichviel ob sie nun elektrische odermagnetische ist oder sonst irgend eine, ist träge. Auchdie mechanische Masse ist bloß die Wirkung des gesam-ten Energieinhaltes der Körper. Aber die Lichtgeschwin-digkeit ist die obere Grenze aller Geschwindigkeiten;denn man würde schon unendlich viel Arbeit leistenmüssen, um eine Masse auf Lichtgeschwindigkeit zubeschleunigen und bei Lichtgeschwindigkeit würde dieDimension aller Körper in der Bewegungsrichtung aufNull zusammenschrumpfen. Aber alle Kräfte durch denleeren Raum müssen sich mit Lichtgeschwindigkeit aus-breiten.

Dies sollten nur einige Beispiele sein, um dieBedeutung des Relativitätsprinzipes für die modernePhysik zu illustrieren. Bisher kam man damit nochniemals in Widerspruch mit der Erfahrung, sondernbrachte vielmehr besonders in den Zusammenhangzwischen den Gesetzen der Optik und der Elektrizitätdie durch die elektromagnetische Lichttheorie erforder-liche Übereinstimmung in ungezwungendster Weisezustande. Und ob es sich auch weiter so glänzendbewährt, nur davon wird seine Geltung abhängen. Aberwie dem auch sein möge, es ist ein gewaltiger Schrittvon den ersten naiven Vorstellungen.über Himmel undSterne bis zum heutigen Relativitätsprinzip, das selbstMinkowski einmal eine „Verwegenheit mathematischerKultur" nennt. Und die durch das Relativitätsprinzipgebotenen Anschauungen über Raum und Zeit bezeichnengewiß einen bedeutenden Markstein in unserer Erkenntnis

Verein nat. Kenntn. LIV. Bd. 5

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und wären vielleicht der geistreichste Irrtum, denn dieMenschheit je begangen hat, sollten sie sich doch als un-richtig herausstellen. Und ist es nicht merkwürdig, daßunser großer deutscher Philosoph, Emanuel Kant, Raumund Zeit bloß als „Anschauungsformen unseres Denkens",wie er sich ausdrückt, bezeichnet und dies ein Jahr-hundert früher? Ich glaube, daß man da die „Verwegen-heit" milder beurteilen kann und sich vielleicht rascheran die neuen Anschauungen gewöhnt, als es ursprünglichden Anschein hatte.

Anhang.

Die Verwendung von Lichtsignalen zum Gleich-richten der Uhren ist bereits in den grundlegendenArbeiten von A. Einstein enthalten. Es ist das Verdienstdes englischen Mathematikers Edward V. Huntington*),als erster auch die Verhältnisse diskutiert zu haben, dieeintreten, wenn man mit Lichtsignalen auch die Distanzenbestimmt.

Es sollen auch einige Angaben über denverwendetenApparat nachgetragen werden, der in der mechanischenWerkstätte des II. physikalischen Laboratoriums derk. k. Technischen Hochschule in Wien ausgeführt wurde.Würde man die beiden Maßstäbe wirklich für den Welten-raum anfertigen und den unteren tatsächlich mit drei-

*) A New Approach to the Theory of Relativity. Phil.Mag. XXIII, 494 (1912).

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fünftel Lichtgeschwindigkeit bewegen, so müßte manbeide gleich groß dimensionieren und der mit so bedeu-tender Geschwindigkeit bewegte untere Maßstab würdedann von selbst jene Kontraktion aufweisen. Desgleichenmüßte man die unteren Uhren genau so konstruierenwie die oberen Uhren, es sollen etwa alle ganz gleichePendeluhren sein mit genau gleich langem Pendel, unddie am unteren Maßstab aufgestellten Uhren werdendann von selbst jene Verlangsamung des Ganges auf-weisen. An dem Modell ist die Lichtgeschwindigkeitaber nur symbolisch durch einen Schnuvlauf dargestellt,den man mehr oder weniger rasch bewegen kann, aberjedenfalls nur mit einer zur merklichen Hervorbringungdieser Effekte ganz und gar unzureichenden Geschwindig-keit. Darum muß der untere Maßstab von vornehereinverkürzt und die im Verhältnis zur Lichtgeschwindigkeitrichtige Geschwindigkeit des TVa^ens und die richtigeUmdrehungsgeschwindigkeit der Uhrzeiger muß durchpassende Schnurlautübersetzungen erreicht werden. Sobesitzt an dem ausgeführten Modell die Lichtsignalwelledrei Transmissionsscheiben von einem wirksamen Radiusvon 100 mm, 60 mm und 15 mm. Auf der größten Scheibevon 100 mm Radius läuft die Lichtsignalschnur, dagegenauf der mittleren Scheibe von 60 mm Radius die Schnur,•welche sich mit dem Wagen bewegt. Der Wagen läuftauf vier Rädern, von denen die vor den Zifferblätternsichtbaren niederen Räder in einer Führungsrinne deslangen Grundbrettes laufen, während die beiden großenLaufräder hinter den Zifferblättern mit einer Übersetzung

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1:5 die Zeiger der unteren Uhren bewegen. Auf derZeigerwelle der oberen Uhren sitzt eine Transmissions-scheibe von einem wirksamen Radius von genau dergleichen Größe wie der Radius der großen Laufräderdes Wagens und ist durch einen Schnurlauf mit derkleinsten Scheibe der Lichtsignalwelle von bloß 15 mmRadius verbunden. Zum Überfluß ist noch vermittelstgleich großer Transmissionsscheiben ein Schnurlaufzwischen den beiden oberen Uhren geführt und ebensoauch zwischen den beiden unteren Uhren, um die Sicher-heit des Funktionierens besser zu gewährleisten. DieAbbildung gibt einen seitlichen Blick von rückwärtsin den Mechanismus des Apparates.

Die Dimension der großen Laufräder des Wagenshängt natürlich von der Länge der Maßstäbe ab. Bei demausgeführten Apparat, der im ganzen fast vier MeterLänge hat, ist die Teil strich di stanz am oberen Maßstab65 mm, am unteren Maßstab 52 mm, und der Radius dergroßen Laufräder des Wagens mußte 62 mm gewähltwerden. Alle Transmissionsscheiben wurden aus Holzausgeführt und als Schnüre 3 mm dicke Transmissions-saiten, mit den üblichen Ösen geschlossen, verwendet.Es mußte in Rechnung gezogen werden, daß der wirk-same Radius der Transmissionsscheiben um die halbeDicke der Saiten größer ist als der Radius der Rinnen-:basis an der Peripherie. Für die ganz enge Transmissionvon der Laufradachse zur Uhrzeigerwelle des Wagenskam beiderseits je ein nahtloser Gummiring statt derSaite in Verwendung.

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Während die beiden oberen Uhren auf gleiche Zeiteinzustellen sind, muß die rechte untere Uhr gegen dielinke untere Uhr gerade um dreiunddreifünftel Stundenzurückgestellt werden. Man setzt den ganzen Apparatam besten durch Fortschieben des Wagens in Tätigkeitund sowohl die Lichtsignale als auch die Uhrzeiger be-wegen sich mit der entsprechenden Geschwindigkeitgleichzeitig weiter, kurz die Zeit jener Systeme nimmtihren Verlauf mehr oder weniger schnell, wie rasch maneben den Wagen fortschiebt. Läßt man den Wagen aberstille stehen, so halten auch die Lichtsignale und alleUhrzeiger inne und so bleibt gleichsam die Zeit jenerSysteme für diese Augenblicke stille stehen.

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