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(Aus der Psychiatrischen Klinik der Universitiit Heidelberg. [Direktor: Professor Dr. Wilmanns]. ) Die Psyehologie der Dementia 1)raeeoxl). Yon Hans W. Gruhle, Heidelberg. (Eingeqasgen am 19. Mai 1922.) Der Gedanke erscheint selbstversti~ndlich, jeder, der fiber die De- mentia praecox geschrieben hat, masse auch zugleich fiber ihre Psy- chologie geschrieben haben. Aber dies ist keineswegs der Fall, sofern man das Wort Psyehologie im engeren Sinne faBt. Im Gegenteil: Die meisten Autoren sind diesem Problem direkt aus dem Wege gegangen. Meist flachteten sie sieh in irgendwelehe Seitengebiete. Auch dort liegen sicher viele interessante Probleme: die Fragen der eerebralen Vergnderungen, der Hereditgt, des Zusammenhanges zwischen Konsti- tution und KrankheitsprozeI3, zwisehen kSrperlichen und seelischen Erscheinungen usw. Aber dies alles sind ja keine psyehologischen The- men im engeren Sinne. Wenige Forscher beschgftigen sich mit der psyehologisehen Theorie der Dementia praecox. Daft es so wenige sind, liegt in zwei Umsti~nden. Die einen sehen das Problem gar nicht, und die anderen lehnen das Problem als Problem aus grundsgtzlichen Er- wggungen ab. Die ersteren interessieren nJcht, die letzteren haben etwa folgenden Gedankengang: Dementia praeeox sei (wie auch die Paralyse) sine Gehirnerkrankung, ein organischer Krankheitsprozel3. Dieser Cerebralprozef3 folge eigenen Gesetzen, die durch seine Ursaehe (also irgendein Gift) bestimmt werden. Es gglte, die organisehen Vergnderungen aufzusparen. Die nebenher. laufenden seelischen Vergnderungen seien gesetzlos, zufgllig, wirr und daher uninteressant. Daher sei es grundsgtzlich verfehlt, diese Zufgl- ligkeiten zum Gegenstand wissenschaftlicher Betrachtung zu maehen. Kraepelin z. B. steht einer eigentlichen Theorie der Dem. pr. fern. Er entstammt (ebenso wie Bleuler) jener materialistischen Zeit, in der es sich gleichsam nicht schickte, Theorien zu bilden. Man glaubte, immer nur zu beobachten, klammerte sich an die ,,Tatsachen" und merkte nicht deren logische Formung. Der ganze Gelehrtenkreis, zu dem 1) Dem Wssen dies~r Arbeit als sines Vortrages entsprechend, verzichtete ich auf Literaturangaben und Belege.

Die psychologie der dementia praecox

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Page 1: Die psychologie der dementia praecox

(Aus der Psychiatrischen Klinik der Universitiit Heidelberg. [Direktor: Professor Dr. Wilmanns]. )

Die Psyehologie der Dementia 1)raeeoxl). Yon

Hans W. Gruhle, Heidelberg.

(Eingeqasgen am 19. Mai 1922.)

Der Gedanke erscheint selbstversti~ndlich, jeder, der fiber die De- mentia praecox geschrieben hat, masse auch zugleich fiber ihre Psy- chologie geschrieben haben. Aber dies ist keineswegs der Fall, sofern man das Wort Psyehologie im engeren Sinne faBt. Im Gegenteil: Die meisten Autoren sind diesem Problem direkt aus dem Wege gegangen. Meist flachteten sie sieh in irgendwelehe Seitengebiete. Auch dort liegen sicher viele interessante Probleme: die Fragen der eerebralen Vergnderungen, der Hereditgt, des Zusammenhanges zwischen Konsti- tution und KrankheitsprozeI3, zwisehen kSrperlichen und seelischen Erscheinungen usw. Aber dies alles sind ja keine psyehologischen The- men im engeren Sinne. Wenige Forscher beschgftigen sich mit der psyehologisehen Theorie der Dementia praecox. Daft es so wenige sind, liegt in zwei Umsti~nden. Die einen sehen das Problem gar nicht, und die anderen lehnen das Problem als Problem aus grundsgtzlichen Er- wggungen ab. Die ersteren interessieren nJcht, die letzteren haben etwa folgenden Gedankengang:

Dementia praeeox sei (wie auch die Paralyse) sine Gehirnerkrankung, ein organischer Krankheitsprozel3. Dieser Cerebralprozef3 folge eigenen Gesetzen, die durch seine Ursaehe (also irgendein Gift) bestimmt werden. Es gglte, die organisehen Vergnderungen aufzusparen. Die nebenher. laufenden seelischen Vergnderungen seien gesetzlos, zufgllig, wirr und daher uninteressant. Daher sei es grundsgtzlich verfehlt, diese Zufgl- ligkeiten zum Gegenstand wissenschaftlicher Betrachtung zu maehen.

Kraepelin z. B. steht einer eigentlichen Theorie der Dem. pr. fern. Er entstammt (ebenso wie Bleuler) jener materialistischen Zeit, in der es sich gleichsam nicht schickte, Theorien zu bilden. Man glaubte, immer nur zu beobachten, klammerte sich an die ,,Tatsachen" und merkte nicht deren logische Formung. Der ganze Gelehrtenkreis, zu dem

1) Dem Wssen dies~r Arbeit als sines Vortrages entsprechend, verzichtete ich auf Literaturangaben und Belege.

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Bleuler wie Kraepelin historisch gehSren, war so stark auf den Gegen- stand eingestellt, dal3 er diese seine eigene Einstellung nicht beachtete,

- - nicht beachtete, dab eine reine Empiric unmSglich sei, und da~ in jeder anseheinend noeh so ,,reinen" Beobachtung die Gesichtspunkte der Zuwendung, der Auswahl, der sprachliehen Formung usw. einer unbemerkten theoretischen Grundanschauung entwachsen. Diese steckt z. B. schon in der Kraepelinschen Einteilung in Fiihlen, Wollen und Den- ken, wi~hrend dann bei seiner Beschreibung der einzelnen Symptome ein eigehartiges Dureheinander yon psychologischen Ober - .und Unter- begriffen herrscht. Bei dem groBen Autor der Dem. pr. finder sich also nirgends ein klares System der verwendeten psychologischen Begriffe und daher auch nirgends eine bestimmte psyehologische Theorie dieses Leidens. Aus der Wundtsehen Schule herausgewachsen ngihert sich Kraepelin immerhin derjenigen psychologisehen Grundanschauung, die das vergangene Jahrhundert als Assoziationspsychologie beherrschte. Und im Sinne des klaren Bekenntnisses zu diesen Anschauungen fiber- holt ihn Bleuler. Er kann als ihr eigentlicher Vertreter in der Psych- iatrie gelten. Er versuchte in seiner Dem. pr. yon 1911 eine Theorie der Dem. pr. auf dam Boden der Assoziationspsychologie zu geben. Freilieh ta t er dies wieder mit dem Untergedanken, er babe eigent- lich gar keine Theorie, sondern er gebe nur Beobaehtungen wieder.

- - Dem heute anders orientierten Psychologen erscheint es unbedingt notwendig, dab man sich auf die Prinzipien der angewandten Ordnung besinne, dab man in den Grundfragen often beIcenne. Dabei mag man eine der herrschenden Lehrmeinungen zur Basis seiner Ordnung wi~hlen, oder man mag sieh ein eigenes psychologisches System zurecht machen. Es kommt nur darauf an, daI~ man seinen Generalnenner nennt. Man will ja die Vielheit der Erscheinungen auf gewisse Grundsymptome, gewisse einheitliehe Mechanismen zurfickfiihren.

Wernicke hatte sehon bei seinem Sejunktionsbegriff yon einer Lok- kerung des festen Geffiges der Assoziationen gesprochen. Otto Gro[3 hatte bei seiner Dementia seiunetiva ~hnliches im Sinne. Er nahm an (1903), dai3 gleichzeitig mehrere funktionell getrennte Assoziationsreihen neben- einander herliefen, und dal3 unbewul~te Assoziationsverb~nde (Kom- plexe) durch selbsti~ndige Wirksamkeit Automatismen schiifen. Diese kSnnten nun selbsti~ndig in das Bewu~tsein ,,einbrechen" und so zu einem BewuBtseinszerfall fiihren. Gro[3' Lehre yon den Assoziations- reihen und -verbi~nden wurde also komp]iziert durch die Aufnahme der Momente des BewuBtseins und Unbewul3tseins, welch beide sich mit der Assoziationspsychologie nicht recht vertragen. Abet Grofl komplizierte seine Gedankengi~nge auch noch durch die Aufnahme des Wfllens, als eines Faktors, der in der Dementia praecox selbst ,,um- geformt" und ,,veri~ndert" werden kSnne. Wie sich dieser abgehnderte

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Wille dann zu den Assoziationsreihen verhalte, blieb -- wie so mancher andere Punkt -- bei Gro[3 unaufgekl~rt. Demgegenfiber bemiihte sich Jung -- Gedanken yon Freud, Gro[3, Bleuler mit eigenen versehmel- zend -- die Lehre yon den Komplexen noeh weiter auszubauen (1907). Er ist geradezu der Theoretiker der Komplexe. Mit ihnen vermag er alles. Zwar ist er klug genug einzusehen, da[t er mit seinen Komplexen ebensogut den hysterischen Meehanismus erkl~rt, und dal~ weder de- skriptiv noch theoretisch ein Unterschied bleibt. Aber er finder einen Ausweg im Somatischen: Der Affekt der Schizophrenie gebe den Anlal~ zu einer Stoffwechselanomalie; diese sch~dige das Gehirn, und hier- dureh erst wfirden die hSchsten Funktionen lahmgelegt. Wie unbe- friedigend solche Meinungen sind, hat Isserlin schon in einer frfiheren Krit ik dargelegt. Bleuler bedeutet nun gegeniiber Jung einen ent- schiedenen Fortschritt. Der gewShnliche geordnete Gedankengang werde durch die Riehtungs- oder Zielvorstellung erzeugt. Diese sei aber eine unendlich komplizierte Hierarchie von Vorstellungen. Selbst aus Vorstellungen aufgebaut, forme diese Zielvorstellung die Begriffe, die auch wieder aus Vorstellungen zusammengesetzt seien. Erleide nun das Assoziationsgefiige eine Lockerung, dann sei die Zielvorstel- lung selbst in ihrem Gefiige geloekert, d. h. insuffizient, und kSnne keine Begriffe formen, da ja ihre zusammenfiigende Funktion auch wieder geloekert sei. Die StSrung des Assoziationsgefiiges bewirke fer- her, da$ das Denken yon der Erfahrung abweiche und unriehtige Bahnen einschlage. Die Affekte bekommen ein relatives l~bergewieht. Was dem Affekt widerspreche, werde abgespalten; daraus entstehen wiederum logische Schnitzer. Diese bedingen Wahnideen und schlieB- lich ergibt sich eine Zerkliiftung der PersSnlichkeit. Ist dieses Sta- dium erreicht, dann reagiere diese kranke Seele natiirlich abnorm auf innere wie gul~ere Vorggnge, und so ergebe sich eine zweite Art yon Symptomen: sekundgre Symptome. -- Hier kSnnen keine genaueren Ableitungen gegeben werden. Die Sachlage ist oft sehr kompliziert. (So hat der ~egativismus z. B. vier disponierende Ursachen und sie- ben Wurzeln.) Hier kommt es nur auf die grundsgtzliehen Theorien Bleulers an. Neben dieser Autorenreihe, ftir die keineswegs vollz~hlig, sondern nur beispielsweise die Namen von Gro[3, Jung, Bleuler an- gefiihrt worden sind, steht eine zweite, in sieh wenig einheitliehe Reihe, deren Gemeinsames nur das ist, da$ ihre AngehSrigen sieh aus irgend- welehen Grtinden nicht mit der Assoziationspsychologie begnfigen, son- dern andere Momente heranziehen. Nut kurz seien einige Autoren angefiihrt.

Frensberg spricht 1886 wenig klar yon einer Abschw~chung des Bewu~tseins, ~hnlieh Schiile 1898 yon einem geschw~chten Bewufi~- sein. Ragnar Vogt zieht 1902 eine Einengung des BewuBtseins heran. Pierre

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Janet, gewandt und unbestimmt wie immer, glaubt in einem abaisse- ment du niveau mental etwas Wesentliches zu sehen (1903). Stransky legt 1903 Wert auf eine intrapsychische Ataxie, darin bestehend, daft die Zusammenordnung yon Intellekt (Noopsyche) und Mfekt (Thy- mopsyche) gestSrt worden sei. Pascal greift die l~sions de la sympa- thie et du self-feeling als wiehtig heraus (1911). Mignard halt sich ganz im allgemeinen: St6rungen des Strebens und der Gefiihlssph~re (1912). Und Kleist formt das, was er als wesentlich beobachtet hat, in dem Worte einer paralogisehen Aktivierungsst6rung (Hemmung und Steigerung). Es handle sich weder um eine reine Assoziations- noch um eine reine Aufmerksamkeitsst6rung, sondern um eine Unfahigkeit, fiber das Gedankenmaterial zu verfiigen; -- um einen Bewul~tseins- zerfall, der bald die Inhalte, bald die Tatigkeit treffe (1913).

Hier spielt schon der Au]merksamkeitsfaktor herein, der als ein Grundsymptom der schizophrenen GeistesstSrung sehon seit l~ngerCr Zeit eine andere Gruppe yon Forsehern interessierte. Tschisch er- wghnte 1886 die Unf~higkeit zur Aufmerksamkeit, Ascha]]enburg (1898) und Sommer (1894) die StSrung der Aufmerksamkeit (optische Fesse- lung). Masselon (1902) betonte die distraction perp~tuelle, und Wcy- gandt endlieh formulierte 1904 und 1907 das Wort yon der apperzep- tiven Verbl6dung. Hinter den Gedankengangen der meisten dieser Au- toren steht der Wundtsche Apperzeptionsbegriff. In diesem enorm umfassenden Begriff steeken die adaptation Binets, die fonction du rSel Janets, der Masselonsche Aufmerksamkeitsbegriff usw. ; -- ja Jung wirft ihm vor, auch noch Wfllen, Gefiihl, Affekt, Suggestion, Zwangs- phanomene und, wer weft3 noch was alles, zu enthalten, und lehnt daher (mit Bleuler) diesen Apperzeptionsbegriff ab. Wundt selbst unterschied sehr wohl die Aufmerksamkeit yon der Apperzeption: Erstere sei sub- jektiv, ein Zustand, eine Bewul~theit, die das zweite, den Vorgang, den Akt der Apperzeption begleite. Die meisten ,,Aufmerksamkeits- autoren" meinen abet nicht jenen subjektiven Zustand, meinen auch nicht den Vorgang der klareren Auffassung (des Rfickens in den Blickpunkt), der bei der Schiz0phrenie angeblich gesch~digt sein solle, sondern sie meinen bald dies, bald das. Nirgends findet sich dort ein Mares System. Den Aufmerksamkeitsakt fiir die fragliche St6- rung verantwortlich zu machen: das geht allenfalls fiir die so- genannte Verflaehung des Gedankenganges, ffir die Stereotypien, Per- severationen, Apathie, Abulie, kurz, die negativen Symptome. Aber schon fiir den aktiven Negativismus und zur Erklhrung des Autismus versagt jenes Moment. Man erinnere sich der Worte Pinels: Sich ganz yon der Umgebung abzusehliel~en: ,,heil~t das nicht, die Aufmerk- samkeit auf den hSchsten Grad spannen und sie mit der hul~ersten Lebhaftigkeit auf ein einziges Objekt richten?" Niemand leugnet ja,

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dab bei der Dementia praecox gelegentlich oder hi~ufig sowohl der Zu- stand der Aufmerksamkeit als die Ti~tigkeit des Apperzipierens ge- stSrt sein kann, aber niemand vermag in dieser StSrung jenen zentralen Faktor zu finden, jene ,,ganz zentrale StSrung" (Jung), naeh der alle suchen.

So wi~re also Bleuler der einzige, dem wir eine eigentliehe Theorie der Schizophrenie verdanken. Aber gerade gegen ihn hat sieh neuer- dings heftiger Widerspruch erhoben: seine Theorie sei falsch. Aber was heiBt das: ,,falsch" ?

Niemand behauptet, Bleuler habe falsch beobachtet, im Gegenteil, alle sind darin einig, dab in der Sammlung yon Beobachtungen an seinen Endzusti~nden seine Hauptsti~rke liegt. Die Forsehung wird ihm gerade hierfiir dauernd dankbar bleiben. Die Einwi~nde gehen vielmehr dahin, Bleulers Begriffe, d. h. seine logische Bearbeitung seines Materiales, seien nieht klar, nieht folgeriehtig. Immerhin wi~ren dies gleiehsam nur SchSnheitsfehler, die sich ausbessern ]ieBen und eine l~ngere Besprechung nieht lohnten. Bleuler selbst erkli~rt, er sei mit seiner Fassung zufrieden, seine Theorie leiste Gentigendes. Aber so verehrungswiirdig diese seine Einstellung menschlieh auch sein mSge

- - beweist sie doch das innige Verwachsensein seiner PersSnliehkeit mit seinen Problemen -- so h~lt sie die Kritik doch nicht yon den weiteren wesentlichsten Einw~nden ab: sein ganzes System sei nicht falseh -- das hatte keinen Sinn -- sondern unbefriedigend, i~hnlich wie die Weismannsche Theorie yon jiingeren Entwicklungsforschern nicht als falseh, sondern als unbefriedigend bezeichnet wird. Die ganze Assoziationspsychologie habe sich fiberlebt, sie sei von einem ihrer letzten ttauptvertreter -- Ziehen - - gleiehsam selbst unfreiwillig ad absurdum geffihrt worden. Die Motive dieser Ablehnung beruhen nicht in irgend- einem oberfli~chlichen Abwechslungsbedfirfnis, sondern in der Erkennt- nis, dab vieles Psychische von jener Richtung unbeachtet geblieben sei, und dab sich vieles Beachtete nur mit Miihe und Zwang in die Be- griffsschemata der Assoziationspsychologie einffigen lasse. Aber nieht plStzlich wird ein neues System an die Stelle des alten gesetzt, sondern ganz allmi~hlich di~mmerte die Einsicht auf, dab die Assoziationspsyeho- logie zu groBen Wert auf die Gegenstandseite, zu wenig Wert auf die Iehseite, Funktionsseite lege. Bolzanos Ideen (1837) ebneten der neuen Ansehauung langsam den Boden. Seine Unterseheidung von subjek- tiven und objektiven Vorstellungen riihrt das Problem leise an. Robert Zimmermann (1867) denkt in ahnlicher Weise, .Brentano bereitet in seiner Gegentiberstellung yon physisch und psyehisch (in besonderem Sinne) weiter den Weg (1874), Twardowski trifft schon den Kern der Frage, indem er Vorstellungsakt -- Vorstellungsinhalt -- VorstelIungs- gegenstand auseinanderhi~lt (1894). Die verschiedenen Wandlungen, die

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Meinong in seinen Lehren durchmaeht (1890, 1899, 1910), drehen sich doch alle um das gleiche Problem, und in der Fassung: ,,Der Akt er- fal3t durch den Inhalt den Gegenstand" wird ein besonders glficklicher Ausdruek gewonnen. Lipps wahlt ffir das Problem wieder eine andere Wendung, und sehliei31ich mfindet dieser Weg der Forsehung in die Formulierungen Stump/s (Erseheinungen und psychisehe Funktionen [1906]) und Husserls (Logische Untersuehungen II [1913]) ein. Wenn auch Husserl in seiner Phanomenologie ganz unpsychologisch einge- stellt ist und auf ganz anderes hinaus will, so enthalten seine For. schungen doch eine groBe Zahl yon Gedanken, die auch fiir den reinen Psychologen hSehst bedeutsam und fruchtbar sind.

MSgen nun alle diese und andere nicht genannte Autoren mehr erkenntnistheoretisch, mehr phanomenologisch oder mehr psycholo- gisch orientiert sein -- allen kann man den Hinweis auf die Funktion, auf die Aktseite, die Ichseite des seelischen Vorganges entnehmen. Und dies ist das Hauptkennzeichen der neuen Betrachtung, wenn man sie trotz fast hundertjahriger Tradition neu nennen kann, dab das In- teresse an den Erscheinungen (Stump/), der Gegenstandsseite, den As- soziationen, zurficktritt zugunsten der Aktseite, der Ichseite, der Inten- tionaliti~t. In die Psychiatrie leuehten diese Gedanken freilieh noeh wenig hinein, nur Jaspers ist ihnen in seiner Methodenlehre vSllig ge- recht geworden. Und einen weiteren, wenn auch eigenartigen und et- was krausen Niederschlag haben sie in dem Bueh Berzes gefunden (1914): Die primi~re Insuffizienz der psychischen Aktivitat.

Berze, unzufrieden mit den Meinungen der Assoziationspsychologie, fa2t das psyehisehe Leben vonder Seite der Intentionalitat, der Akte. Aber er rut dasjenige, wogegen sieh der ja vSllig anders eingestellte Husserl einmal ausdrficklich verwahrt: er verschmilzt Akt und Aktivitat. Akt ist ihm Tatigkeit, Aktivitat ist Tatigsein. Berze interessiert sieh f fir die Initiative, f fir die aufgewandte Kraft des seelischen Vorganges. Berze nimmt die L/ppssche Energiequantentheorie wieder auf.

Der seelische Organismus verffigt fiber ein bestimmtes Reservoir, Quantum an Energie. Soll ein aui3erer Vorgang nicht nur als Reiz auf den K6rper wirken, sondern soll er sich durchsetzen, d. h. unsere Aufmerksamkeit erregen (passive Apperzeption), so muB er sich eines Teiles dieses Energiequantums bemi~ehtigen. Es besteht ein Wettkampf um die Energie zwischen den Eindrfieken (yon aui3en) und den spontanen Impulsen. Jede leise anklingende Regung hat die ,,Tendenz zum vollen Erleben" (Lipps). Die Verteilung der seelisehen Energie wird nach bestimmten Regeln geordnet (auf die hier nicht nhher einzugehen ist); der regulierende Faktor ist die psychische Aktivitat, die Funktion der intentionalen Sphi~re. Was G. Lehmann 1898 eine herabgesetzte Ener- gie des BewuBtseins nannte, was L6wy 1910 als eine alle psyehischen

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Funktionen treffende Intentionsleere hervorhob, was andere Autoren als Schw~tche der Aufmerksamkeit, Schwi~che der Apperzeption usw. bezeichneten, das nennt Berze Insuffizienz der psychischen Aktiviti~t, Hypotonie des BewuBtseins.

Der Wille bestehe nur aus der Gesamtheit der ]mpulserteilungen oder Intentionen. Nicht Zielvorstellungen regeln die Kraftentfaltung, sondern Leitideen. Diese haben eine bestimmte Valenz oder Kraftwert. Die Valenz des Ichs sei abhi~ngig vom Grade des BewuBtseinstonus. Bei der Schizophrenie liege eine dynamisehe Insuffizienz der einzelnen Akte vor, bedingt durch eine tterabsetzung des gesamten BewuBtseins. tonus. Aber diese Hypotonie habe Grade:

1. Eine Verminderung der spontanen Aktiviti~t, die sich haupt- si~ehlich subjektiv gul3ere, in dem Insuffizienzgefiihl, in dem sogenannten ,,Erleiden" der Umwelt und in manehen Wahnideen.

2. Ein 13berwiegen der reaktiven Aktiviti~t gegeniiber der fast verschwundenen spontanen Aktivitgt; ein Zustand, der sich zumal im passiven Denken und in automatenhaften Handlungen offenbart.

3. Ein vSlliger Verlust des Ichs, der amentiai~hnliche Bilder er- gibt.

4. Eine vollkommene Vernichtung auch der reaktiven Ti~tigkeit: Reaktionslosigkeit, Autismus, Stupor.

Greift man z. B. die Amentia heraus, so habe man zu unterschei- den: die hypotonische und die irritative Verwirrtheit. Nur die erstere finde sich in der Schizophrenie; die zu schwaehe Icht~tigkeit vermSg e die durch Antrieb aus der impressionalen Sphi~re erzwungenen reaktiven Erregungen nicht zu bewi~ltigen. Bei der irritativen Verwirrtheit (bei Vergiftungen und dergleichen) seien dagegen die reaktiven Erregungen an sich zu stark oder zu zahlreich, als dab die Zentralinstanz mit ihnen fertig wiirde.

Schwanke der Tonus des BewuBtseins sehr, so werde das normale Wach-Ich abgel5st yon dem Hypo-Ich, dem zweiten Ich, dem primi- riven Ich mit primitiven Tendenzen. Es entstehe also ein PersSn- lichkeitswechsel, eine Ichmetamorphose, ein Zer/all der PersSnlichkeit, wie die Schizophrenic ihn so oft mit sich bringe. Auch das Ge/i~hlsleben der Schizophrenen sei ja gestSrt, und zwar deshatb, weft die Ge- fiihle der Aktivit~t bedfirfen. Die Geftihle miiBten ni~mlich erst durch einen bestimmten Wahrnehmungsakt bewul~t gemaeht werden. Dieser Akt bedfirfe aber natfirlich der Aktiviti~t. -- Das Gediichtnis sei erhalten, alle formalen Intelligenzleistungen an sich seien konserviert. Treten doch einmal StSrungen alff, so sei es weft die Intention, die Aktivit~t ver- sage. DaB die Au/merksamkeit himfig gestSrt sei, sei sieher richtig. Darin huSere sieh eben das Minus der 10syehischen Aktiviti~t. Auch komme es gelegentlich zu einer ,,Wahrnchmungsschwi~che", insofern in

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den Wahrnehmungsakt natfirlich die Apperzeption eingehe, und diese sei aus immer der gleichen Ursache geschwi~cht. Lasse die Aktiviti~t nach, so iiberwiegen die Automatismen, denn diese brauchen weniger Aktivitat (Nietzsche habe ein Wort formuliert, das auch hierffir passe: "Wo das Leben erstarrt, tfirmt sich das Gesetz"). Das ffihre zu der Theorie des Negativismus: Jede Beanspruchung des Schizophrenen yon auBen erwecke bei der vorhandenen und meist bewui3ten Insuffizienz der Aktivitat schliei~lich Unlust, und diese ffihre eine Abwehrtendenz herbei. Letztere werde allmi~hlich auch ohne Aktivierung der Unlust automatisiert (Autismus). Die Assoziationen seien nicht gestSrt; ea gebe keine Loekerung der Assoziationen.

Bleuler formuliert etwa so: Der Schizophrene will seinem Innen- leben leben, er will atle komplexfeindliehen Assoziationen absperren, daher fltichtet er sieh in den Autismus.

Berze lehrt: Der Schizophrene hat eine allgemeine Abwehrtendenz, um nicht seinen geringen Aktiviti~tsvorrat zu verbrauchen. Daher ent- steht der Automatismus der Abkehr mit dem (unbeabsichtigten) Er- gebnis der Hingabe an das Innenleben.

Es ist unmSglieh, bier alle Symptome in ihrer theoretischen Rtick- fiihrung auf das eine Prinzip Berzes zu besprechen. Er hat es sich schwer gemacht, alles auf dieses eine Moment, die Verminderung der Aktivi- ti~t, zu beziehen. Mit der Bleulersehen Lehre hat er das eine gemein, dab auch er ein Minusmoment fiir alle sehizophrenen Symptome ver- antwortlieh macht: Verminderung bier -- Loekerung dort. Beide For- scher geraten deshalb in Schwierigkeiten, sobald sie die sogenannten produktiven Symptome fassen sollen. Um die heftigen A~fekte, die aus dem Schizophrenen nicht selten hervorbreehen, mit der Theorie in Ein- klang zu bringen, greift JBleuler zu der Ausrede: Die Gleiehgiiltigkeit k6nne maskiert sein, und Berze behauptet yon dem Affekt eines Mo- noideismus oder dem Impulsreichtum eines Erregungszustandes: diese Hyperbulie sei nur scheinbar. Hier enthiillt sieh ein wunder Punkt beider Theorien, und die Erinnerung an einen Scherz Franz Nissls dri~ngt sich auf, dal~ die Gleichgtiltigkeit durch den Affekt verdeckt werde. ~qieht nur diesem, sondern den meisten ,,neuen" Symptomen der Schizophrenie wird Berze nicht gerecht. Seine ,,Hypo"erklarung erscheint bei diesen Punkten nicht ausreichend, kfinstlieh, gequi~lt. Nieht so lautet die Frage, wie sie die beiden Autoren getegentlich ge- geneinander formuliert haben: ,,Wer recht hat", sondern beide spiegeln das gleiche Material in versehiedenen Spiegeln logischer Bearbeitung, In beiden Fassungen steckt eine verborgene Wertung der schizophrenen Symptome als Minderleistungen, der Gedanke der Andersleistungen liegt noch fern. Jedenfalls hat Berze das Verdienst, in der Psychiatrie unter den ersten einen klugen Schritt aus der Assoziationspsychologie

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heraus getan zu haben. Er wendet den Blick auf die Intention, abet er setzt sich seltsamerweise nieht mit den fibrigen Autoren auseinander, die der Assoziationspsychologie fernstehen. U n d e r erscheint so -- viel- leicht gerade dureh den Mangel des Gedankenaustausches mit jenen anderen ,,Funktions"forsehern - - etwas verrannt und eigenbrStlerisch.

Bleuler wie Berze beachten zu wenig, wenngleieh letzterer es ge- legentlich einmal erw~hnt, dab bei der Schizophrenie die einzelnen see- lischen Mechanismen intakt sind. Die Intelligenz ist potentiell nicht gest6rt, die Geffihle sind an sich alle vorhanden und gehSrig stark, und yon den Willensregungen gilt das gleiche. Die drei groBen ,,Verm6gen" der Seele, wenn diese alte Dreiteilung iiberhaupt noch beibehalten wer- den soll, sind an sich unversehrt. So erscheint es wenigstens fiirs erste. Was gest61~ erseheint, ist die Handhabung der an sieh intakten Me- chanismen, der Gebrauch des Apparates. Insofern ist die StSrung in der Tat ,,ganz zentral". Was nfitzt die beste Maschinerie, wenn sio nicht richtig bedient wird! Weder in den Gegenstgnden (den Inhalten) liegt das spezifisch Sehizoide noch in den Akten, die die Gegenst~nde konstituieren, sofern man die prim~iren Symptome der Dementi~ prae- cox ins Auge fal3t. Alle Akte, so verschieden sie untereinander sein m6gen, werden durch die Prim~rst6rungen des Leidelrs nieht getroffen -- yon einigen Ausnahmen wird spater noch die Rede sein. Jenes Schisma, das der Krankheit den Namen gibt, liegt an anderem ,,Ort": in der Verbindung der Akte.

Jeder Akt hat eine Herkunft. Also eine Ursache, wfirde Bleuler ein- wenden. Gewil3, auch eine Ursache. Aber die Ursaehe interessiert bier im Augenblicke nicht, sie liegt auf ganz anderem Gebiet. Hier sind nieht kausale Zusammenh~nge gemeint, sondern die spezifisch psychischen Zusammenh~nge, die man als einffihlbar bezeichnet. Nicht das Verh~ltnis yon Ursache und Wirkung, sondern das von Grund und Folge wird hier betrachtet. Der Name stammt aus dem Bereich des Logischen, yon dort ist er vergleichsweise entlehnt. Doeh daft nicht iibersehen werden, dal~ es sich im Psychischen um ein anderes ,,Aus- einanderaervorgehen" handelt als im Logisehen. Das eine ist eine spezifiseh logisehe, das andere eine spezifiseh psychologisehe Rfick- beziehung, beide aber haben mit dem KausalverhMtnis gar nichts zu tun. Wenn ein seelischer Vorgang b aus einem seelischen Vorgang a eflfffihlbar, also verst~ndlieh hervorgeht, so mag gleiehzeitig in a die Ursache von b gegeben sein. Und wenn ein anderer seelischer Vorgang b' aus einem a' unverst~ndlieh, sinnlos hervorgeht, so mag gleiehfalls in a' die Ursache yon b' angenommen werden. Beide F~lle sind aber eben verschieden. Im ersten erscheint der Zusammenhang verstandlich, psy- chisch sinnvoll, im zweiten nieht. Also Grund genug, das Kausalitats- moment ganz auszuscheiden, einer besonderen Betrachtung zu fiber-

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lassen und eben jenen speziell psychologisehen Sinnzusammenh~ngen ~achzugehen.

Irgendein seelischer Vorgang ,,hat einen Sinn": -- Dies ist eine Aus- drueksweise, die leieht miBverstanden werden kann. Wer allzusehr am Sprachgebrauch des Alltags haftet, denkt bei dieser sprachliehen Wen- dung wohl nur an den Zwecksinn, -- daran, dab dieser Vorgang im tIinbliek auf einen bestimmten Zweck vollzogen worden ist. Aber dies ware nur ein Sonderfall einer allgemeinen Beziehung. Gemeint ist ,S inn" in viel weiterem Umfang, vergleichbar dem, was im Logischen Sinn bedeutet. Was unter psychologischem Sinnzusammenhang ver- standen werden soll, das wird klarer, wenn man das Wort Motivzusam- menhang dafiir w~hlt. Freilich daft man dabei das Motiv nieht in jenem engeren Sinne fassen, in dem es sich vorwiegend auf den Wfllen, auf den EntschluB, auf die Handlung, bezieht. Wenn hier im folgen- den von Motiv die Rede ist, so wird es allgemein in der Bedeutung des ,Grundes (nieht der Ursache) ffir ]ede seelische Regung verwendet. In diesem Sinne kann nicht nur ein Geffihl ein Motiv ffir eine Handlung ~ein, sondern auch eine Handlt{ng ein Motiv ffir ein Geffihl.

Jeder seelische Akt oder Zustand kann daraufhin untersucht wer- den, inwiefern er mit einem oder vielen andern ,,verbunden" ist, nieht etwa in der Auffassung des Assoziiertseins der Assoziationspsychologie, sondern im Sinne des Auseinanderhervorgehens, des motivm~Bigen Zu- sammenhanges. Dies kann bier nicht naher dargelegt werden. Hier wendet sich der Gedankengang sogleich den abnormen Sinnbezie- hungen zu. ~,~ Ein Akt des Geffihls a und ein Akt des Willens b k6nnen beide nor- mal sein, aber ihre Sinnbeziehung a~ .b ist gestSrt; man sagt, man verstehe nicht, wie jemand aus dem Geffihl a zu dem EntschluB b kommen kann: etwa aus Demur zur Gewalttat. Demut ist normal, Ge- walttat ist normal, aber das Auseinanderhervorgehen, jene besondere Funktion, ist gestSrtl).

,,Ich bin eine freie Zitherspielerin, deshalb brauehe ich meine Hei- ratspapiere." Was ist an dieser schizophrenen J~uBerung abnorm? Nieht die Assoziationen sind gestSrt, denn warum soll das Zitherspielen nieht mit der Heirat irgendwie assoziativ verkniipft sein, sondern die Sinnbeziehung ist verlorengegangen, das Motiv hat Not gelitten. Man denke an die Herkunft des Wortes Motiv: das mich Bewegende, das reich zu einem neuen Akt Bewegende. -- Ein Kranker hat die unan- sohauliche GewiBheit, es sei jemand hinter ihm. Er hSrt ihn nicht, er spfirt ihn nicht, aber er weiB. Sucht man nach dem Motiv zu seiner

1) Man ncnnt eine so geformte Funktion im Sprachgebrauch des Alltags h~ufig ,,unlogisch", aber mit Logik ira strengeren Sinne haben solche Geffihls- usw. Be- ziehungen iiberhaupt nichts zu tun.

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GewiBheit, so ergibt sich keine Verkniipfung sonstiger Erfahrungen, kein schlechtes Gewissen, keine Angst usw, sondern eine primare wahn- hafte BewuBtheit. Primer, d. h. unableitbar, uneinfiihlbar, d. h. ohne auffindbares Motiv, ohne Sinnbeziehung ffir unser normales Verm6- gen. Es ist ein typischer sehizoider setzender Akt. -- Ein anderer Kranker sieht drei Marmortische im Caf~ und weiB nun, dab der Welt. untergang unmittelbar bevorsteht. Er ist nicht nur in einfacher In- tention auf diese Marmortische gerichtet, er meint an diesen Marmor- tischen auch nicht etwa ihre besondere Stellung zueinander, sondern er meint diese Tisehe in besonderem Sinn. Die Materie des Aktes (Husserl) ist spezi/iziert, in ihr liegt der ganz besondere Sinn dieser gegensthndlichen Auffassung. Aber in dem Akt selbst, in der Tat- sache, dab in real gesetzten Dingen eine Bedeutung geborgen liegt, ist nichts Abnormes. Man vergleiche diesen Fall mit dem anderen der Volksmenge, die in einem Kometen das Anzeiehen des Weltunter- ganges erblickt. Die intentionale Beziehung ist in beiden Fallen gleich und normal. Versehieden ist der Anlag, das Motiv. Das Volk ent- nimmt seinen Uberlieferungen, seiner Religion usw. den Glauben, da~ augerordentliche Erseheinungen auch eine augerordentliche Bedeutung haben, und so ist ihm der Fall des Kometen nur eine Subsumption unter einen allgemeinen Zusammenhang. Bei dem Mann mit den Marmortischen handelt es sich aber um keinen AnalogiesehluB. Er weiB nieht etwa etwas yon der Symbolbedeutung der Dreizahl, er weig niehts yon einer Figur, die die drei Tische in ihrer Stellung zueinander etwa gebildet hatten, sondern er vermag an den Tischen fiberhaupt nichts AuBerordentliches zu sehen: es waren Marmortische, wie er sie in vielen Cafes hundertfach sah. Und dennoch merkte er ihnen sofort das Symbolwesen an.

Es ergeben sich zwei Einw~nde: Erstens, das Abnorme lage doch im intentionalen Wesen des Aktes, n~mlich im Inhalte im engeren Sinne, in den vermittelnden Empfindungen. Diese seien abnorm. Aber man fragt den gebildeten Kranken, und er bestreitet es: Die Empfin- dungen seien nicht abnorm. Dann besteht weiter die M6glichkeit, nicht die elementaren Empfindungen seien alteriert, sondern ihr Zu- sammenhang: die Gestaltqualit~t. Aber auch dies best reitet der Kranke. In der J~ugerung eines anderen Kranken wird dies deutlich: ,,Es waren dieselben Bilder an den W~nden wie immer, und doch bemerkte ich plStzlieh: sie b e d e u t e t e n . . . " Also die Erfahrung, die Ausfragung spricht gegen diesen Einwand. Der andere lautet, dab das Abnorme dennoch im intentionalen Akt l~ge: er sei n~mlich ein anderer Akt duich Vermischung, es sei eine Aktkoppelung. Ein Geffihlsakt be- sonderer Art sei dem Wahrnehmungsakt zugesellt, und hieraus ergebe sieh das Neue: der Gefiihlsakt intendiere das BedeutungsbewuBtsein

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des Wahrnehmungsaktes. Dies 'ist in der Tat richtig ftir den A]]ekt- kranken. Beim Melancholiker z. B. mag aus dem Gefiihlsakte tier Angst motivm~tf~ig ein Bedeutungserlebnis (der schwarze Anzug des Arztes bedeute ihren baldigen Tod) hervorgehen. Aber hierin liegt gerade der Untersehied des Affektwahns zum schizophrenen Wahn. ]~eim letzteren ergibt die Erfahrung eine groge Zahl sicherer primarer Bedeutungserlebnisse ohne jeden Affekt: vSllige Ruhe, vSllige Sicher- heit der klaren Bedeutungskonstatierung. Wenn also die Affekt- theorie der Wahnidee iiberhaupt riehtig ist, d a n n i s t sie eben nur fiir den Affektwahn richtig (furehtsames Kind, Melancholie), obwohl sich auch dort sehr ernste Einwande ergeben. Beim Affektkranken f~nde sich ja ein normales Motiv, eben der Affektl), und aus diesem ginge der Wahn ja dann einfiihlbar, verstandlich hervor. Fiir den schizo- phrenen Wahn trifft dies nicht zu, dort finder sich eben kein normales Motiv; die Uberzeugung erscheint primar2). Das gleiche gilt natiir- lich fiir die impulsiven Handlungen, fiir die Echosymptome, fiir das Unterlassen sonst selbstverst~ndlicher Reaktionen usw. Nirgends fin- det sich ein einsichtiges Motiv. Freilich tr i t t in der Wirklichkeit des schizophrenen Lebens nun ~ofort eine Mischung mit natiirlichen Mo, riven ein. Wenn ein Kranker das prim~tre Bedeutungserlebnis einmal hat, dann reagiert er so und so darauf, und diese Reaktion kann dann sehr einfiihlbar, sehr motivverstandlich sein. Es ist das alte Beispiel, wenn er aus einem anderen prim~tren Erlebnis der Dementia praecox, aus den Sinnest~uschungen, Wahnideen ableitet. Diesen h~ufig vor- kommenden Mechanismus sollte man als ,,sekund~r" bezeichnen, in anderem Sinne, als Bleuler es rut. Zum mindesten ist Bleulers Aus- drucksweise doppeldeutig. Meint er mit sekund~r die Reaktion einer schon zerfallenen PersSnlichkeit auf die Einfltisse der Umwelt, so bleibt dies ungewil~, denn eben diese Reaktion kann ja dann auch schon pri- mar zerfallen, schizophren, sein. Meint er dagegen nur die an sich nor- male Reaktion auf sehizophren abnorme Motive, so wiirde sich dies mit meiner Formulierung decken. W~hrend beim primar gestSrten Motiv- zusammenhang, sehematiseh ausgedriickt, der eingeklammerte Pfeil ab- norm ist, a [ ] b, ist beim Sekund~trsymptom das eingeklammerte a ab- norm und der Pfeil normal, [ ] - ~ b.

Aber die MotivstSrung hat ja auch eine subjektive Seite. Die schi- zophrenen Kranken sprechen soviel yore Gedankenmaehen oder Ge-

1) Denn da$ der Mfekt dem Grade nach oder wiederum seiner Herkunft nach abnorm sein kann, ~ndert an dem hier verfolgten Gedankenzusammenhang niehts.

*) Die Ansrede, der Mfekt sei dem Wahnkranken nur nieht bewuBt, er sei aber primi~r da, ist natiirlieh eine Spiegelfechterei. - - Man vergleiche iibrigens Leidesdor] (1865): Die Wahnvorstellungen des Verriickten entbehren jeder einheitliehen Grund- lage, sie kSnnen yon Mfekten begleitet, aber nicht yon ihnen erzeugt sein.

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dankenabziehenl). Selbst unbeteiligt sein, nur Schauplatz sein, dies heiBt ja gerade die fehlende Anerkennung, dab etwas aus mir entspringt. Man spricht yon einer IchstSrung und meint damit, dab jenes Etwas nicht aus mir, d. h. aus der Gesamtkonstellation der Motive meiner Pers6nliehkeit hervorgehe (aus der einheitlichen strukturellen Leben- digkeit [Dilthey]). ,,Man pfropfte mir einen fremden Gedankengang ein, die natiirliehsten Verriehtungen wurden gestSrt", heiBt es in einem Beispiel yon Leidesdor/. DaB diese Selbstbeobaehtung, diese Selbstkritik fiberhaupt noch m6glich ist, verdankt der Sehizophrene dem Umstande, dab seine formalen Akte selbst noch ungestSrt sind.

Wer meinem Gedankengang bis hierher gefolgt ist, mag leicht auf den Einfall kommen, es sei nun wieder einmal ein Prinzip aufgestellt worden, das psychologisch alles erkli~ren wolle: die Motivst6rung. Und zudem sei doch aueh dieses Prinzip wieder, insofern i~hnlich den Ideen von Bleuler und Berze, negativ. Und trotzdem stecke doch in der Sehizophrenie so viel Positives, Produktives, wie etwa die Beti~tigung dieser Kranken in der Kunst erweise. Und in der Tat, dieser Einwand hi~tte recht, die MotivstSrung kann nicht alles erkli~ren~). Sondern eirL zweites Moment kommt hinzu, das sich vom ersten wesentlich unter- scheidet. Das erste, die MotivstSrung, ein wesentlich qualitativer Faktor, von dem in Zukunft noch zu untersuchen sein wird, inwieweit es einheit- lieh ist oder noeh gegliedert werden kann, und das zweite ein quantitativer Faktor, das Moment der Aktivitat. Berze hat es allein in seiner ne- gativen Seite gefaBt und sich selbst dabei Schwierigkeiten getiirmt, viel- leicht in dem Bestreben, mSgliehst haushi~lterisch mit den Erkli~rungs. mSglichkeiten zu verfahren. Aber es erseheint mir unleugbar, dal3 in vielen Fallen der Dementia praeeox ein Plus an Impulsen vorhanden ist. J~hnlich wie in dem heute als Einheit aufgefaBten manisch-depres- siren Irresein bald eine Hypo-, bald sine Hyperphase vorhanden ist, so zeichnen sich manche Verlaufe oder Phasen der Schizophrenic durch ein Plus, andere durch ein Minus an seelischer Aktiviti~t aus. Auch Kleist meint dies vielleieht, wenn er yon Aktivierungssteigerung und Aktivierungshemmung spricht. Wenn man daran denkt, dab manche Katatoniker wochenlang toben, so wundert man sich sehr, dab allein sehon durch diese Tatsache Berze an seinem Alleinprinzip der Insuf- fizienz der Aktivitht nicht irregemacht worden ist. Aber auch manche andere Beobachtung von langdauernder Produktiviti~t sehizo-

1) Auch fiber dieses altbekannte Symptom hat Berze mancherlei wertvolles Neue beigebraeht.

3) Freilich soU die MotivationsstSrung keineswegs nur negatlv verstanden wer- den: Fehlen der normalen Motive, sondern sie soll aueh im Auftreten neuer abnormer uneinffihlbarer Motivationen bestehen. Hierher wiirde z. B. eine spezifisehe Wahn- funktion gehSren.

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phrener Kranker spricht ffir die Annahme einer Aktivit~tssteigerung~ Um nicht durch eigenes reichlieh vorhandenes Material zuviel Raum zu beanspruchen, sei hier nur an den yon Morgenthaler a,ls der Wal. dau bekanntgewordenen Kfinstler erinnert. Auch den ~lteren Psych- iatern ist dieses Hypermoment nicht entgangen. Pinel erwi~hnt (etwa 1802) sinnreiche Konstruktionen der Kranken; zuweilen sei die Ima- gination auf dem hSchsten Grad der Entwicklung, der Fruchtbarkeit~ und des Geschmacks; auffallende Ideen wfirden in der witzigsten Weise dargestellt. Berze wird sich nicht verwundern diirfen, wenn man bei aller Wertschi~tzung seiner geistvollen Arbeit sein Prinzip ffir unzu. reichend erkl~rt, diese produktiven Schizophrenien zu erfassen. Nach ihm soll sich aller Rest yon Aktivit~t auf die betreffende Strebun~ stiirzen, wobei die Konzentration dieser Strebung auch noch passiv gedacht werden soll. Das ist unmSglich.

Als ein zweites Primi~rsymptom der Dementia praecox hi~tte dem- nach eine Unordnung des Aktivit~tshaushaltes und eine Anomalie der Aktiviti~tsvorr~te zu gelten. Und in diesem Sinne wfirde ich den Stu- por zu den Prim~rsymptomen zi~hlen im Gegensatz besonders zu Bleu. ler. Bei ihm gehSrt er ja zu den Sekund~rsymptomen. Der StuporSse handelt nach ihm normal, d. h. aus einer normalen Motivbeziehung, im Sinne des obigen Schemas: ~ -+ b. Denn der Wahnkranke zieht sich nach dieser Auffassung unbefriedigt yon der Nichterfiillung seiner Wahnansprfiche in den Stupor zurfick, wie etwa sich der yon der Welt unbefriedigte Asker in die Wfiste zurfickzieht. Abnormes Motiv (Wahn)~ -~ normale Motivbeziehung -~ normale Handlung (sich zuriickziehen). Mir pers6nlich erscheint eine so weitreichende Einffihlung in abnorme Zusammenh~nge gezwungen, mir erscheint die Erkl~rung des Stupors aus einem Minus yon Impulsen (prim~rer Art) befriedigenderi). J~hn. lich wie Berze seine Aktiviti~tsinsuffizienz als ein letztes, psycholo- gisch nicht welter ableitbares Primi~rsymptom ansieht, so gilt dies hier auch ffir die Hyperfunktion. Aus nicht nigher zu bezeichnenden Herktinften -- die physiologischen Ursachen werden vielleicht einmal aufgedeckt werden -- zeigt sich bei der Schizophrenie eine Vermeh- rung oder Verminderung nicht bestimmter Impulse, sondern der Im- pulse fiberhaupt, wobei (wie auch bei anderen Psychosen) das Plus oder Minus mehr das Motorische oder Gedankliche oder auch beides treffen kann. So kSnnte z. B. das einf6rmige Verbigerieren eines er. regten Katatonikers als motorische Hyperimpulse bei gedanklicher Lcerc auf dcm Grunde der MotivstSrung begrifflich geformt werden. Hier hi~tte sehr vieles von demjenigen Platz, was Berzefeinfiihlig, abernieht nur ,,sich einffihlend" ausgeffihrt hat. Denn Sicheinfiihlen, dies heif~t

1) Man denke an die zum mindesten ~u[3erlichen Ahnlichk~iten mit den Stuporen bci Encephalitis lethargica.

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das Hineintragen normaler Motivzusammenhange in abnorme Phano- mene (Akte und Zustande), wahrend es sich bier gerade um das Ge- genteil, um abnorme Momente sui generis handelt.

Jedenfalls hat dieses Hypo und Hyper mit den Assoziationen, mit tier ganzen Sphare der Gegenstande gar nichts zu tun, es ist nur ein Plus oder ein Minus der Intentionsffille.

Oben war davon die Rede, dab anscheinend die einze]nen seelischen Akte ungest6rt seienl); in der Verbindung der Akte liege das Sehisma der Schizophrenie. Dies war gleichsam eine vorlaufige Annahme. Je tz t ist noch eine Untersuehung n6tig, ob nicht auch manche Akte selbst Not gelitten haben. Dabei soll hier yon Akten und Funktionen vice ~r gesprochen werden, ohne auf die filr diese ErSrterung unwich- tigen Unterschiede zwischen Akten und Zustandlichkeiten einzugehen.

Der Gedanke liegt nahe, dal~ auch ein Qualitditsmoment seelischer Gegebenheiten auf der Ichseite abnorm sein mSge: die Gefiihle. Gibt es bei der Schizophrenie qualitativ abnorme Gefiihle ? -- Sofort springt der Einwand auf: Ware dies nicht eine Wiedereinffihrung der Mfekt- theorie ? Keineswegs. Es ist bier nieht gemeint, dab aus einem qua- litativ abnormen Gefiihl a nun motivmaBig normal die normale Hand- lung b hervorginge, la___.~ -~ b, dies ware sekundar im obigen Sinne. Son- dern die Annahme steht zur ErSrterung, dab zu der MotivstSrung als BeziehungsstSrung nun noch eine Akt- bzw. Zustandsst6rung hinzu- trete. I a I I~1 b. Man mul~ eben unterseheiden, ob jene abnormen Ge- fiihle, -- selbst motivlos -- normal motivieren, oder ob sie abnorm motivieren. Die fibliche Affekttheorie nimmt abnorme Motive (a), aber normale Motivationen an. Hier werden beide als abnorm unter- stellt. Und in dieser Annahme lieBe sich ein weiterer Tell der schizo- phrenen Symptome theoretisch fassen. Aber vielleicht bedarf es dieser Annahme gar nicht, dab es qualitativ abnorme Einzelgeffihle bei der Schizophrenie gibt. Vielleicht ist nur in manchen Fallen das Gesamt- gefiihl, das Lebensgefiihl, besser das PersSnlichkeitsbewuBtsein abnorm. Dies ware als Ergebnis der MotivgrundstSrung kein Wunder; es ware das BewuBtwerden der Systemst6rung der Motive, oder man kSnnte auch formulieren: Das BewuBtwerden der gestSrten Struktur der see- lischen Griinde, der psyehisehen Sinnzusammenhange. Man denke etwa an Schrebers Selbstbeurteilung in seinen Denkwiirdigkeiten. Anderer- seits erinnere man sieh an jene paranoiden Verlaufe, bei denen es ge- zwungen ist, yon geistigem Zerfall zu sprechen, -- bei denen die Wahn- gebilde relativ solitar sind. Hier sind offenbar die Motivstrukturen nur auf einem bestimmten Gebiete gestSrt, wobei freilich das Wort ,,Gebiet" wenig gliieklich erscheint und nut bfldlich gemeint ist.

1) Auch dies haben die alten Autoren schon sehr wohl be schrieben (Pinel usw.)

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Also man bedarf vielleicht der Annahme einzelner GefiihlsaktstS- rungen gar nicht. So bliebe noch eine Besinnung darfiber iibrig, ob es sich nicht empfiehlt, abnorme Akte des Wollens (subjektiv: des Ursaeh- bewuBtseins) anzunehmen, oder ob man mit den bisher angefiihrten Momenten auskommt. Es hat z. B. den Anschein, als wenn das Sym- ptom der Ambivalenz (Bleuler) am besten nicht nut aus der Motivst5- rung gefaBt werden kSnnte. Sicher haupts~ichlich aus der MotivstSrung. Denn wenn ein Kranker sich nicht zwischen Wollen und l~ichtwollen entseheiden kann, so hat er eben keine normale Motivsetzung. Das he i ] t es geht ihm nicht etwa wie dem normalen Unsehliissigen, der unter der Wirkung zweier normaler konkurrierender Motive mit je normaler Motivation steht (der Esel zwischen den zwei Biindeln Heu), sondern die Funktion der Motivation selbst, die von den Motiven gleichsam ausstrahlt, ist bei ihm gestSrt. Au~erdem empfiehlt es sich aber, viel- leicht noch eine StSrung des Willensaktes selbst anzunehmen. Denn es liegt in seinem Wesen -- unabhangig von seiner Herkunft -- auf ein bestimmtes Ziel strebend gerichtet zu sein. Und dies ist bei der Ambivalenz offenbar nicht der Fall. Und auch der Negativismus ware wohl am ungezwungensten als eine Motivst6rung plus einer AktstS- rung zu betrachten. Hier bei der Ambivalenz wird der Gegensatz zu Bleuler besonders deutlich: Bleuler meint, der Ambivalente liebe die Rose um ihrer SehSnheit willen und hasse sie zugleich wegen der Dor- nen. Das rut der Normale, der sich gerade beim Pfliicken einer Rose blutig gerissen hat, ja auch. Gerade so scheint mir das Wesen der Ambivalenz des Gefiihles nicht erklart werden zu kSnnen. Sondern ich wfirde denselben Tatbestand in meiner Terminologie so Iassen, dab aus abnormer Motivherkunft ein normaler Akt des Gefiihls der l~eigung und ein normaler Akt des Gefiihles der Abneigung gleichzeitig auf die Rose gerichtet sind. Das Abnorme liegt in der Sinnlosigkeit der gleich- zeitigen Entseheidung fiir entgegengesetzte Geffihlsakte. Aber ich lasse auch die MSglichkeit gern gelten, dab hier auch der Akt der Zuwen- dung selbst, ganz unabhangig von seinem Motiv, abnorm verandert sein mSge.

Bisher war es vielleieht ein Fehler der neueren Psychopathologie (ira engeren Sinne), sich zu sehr in den Schizophrenen einzufiihlen, in dem Sinne, als sei er ein Normaler mit einigen abnormen, motiv- mal~ig in Rechnung zu stellenden Momenten und Mechanismen. So veffahrt Bleuler vielfach, z. B. bei der oben wiedergegebenen Um- schreibung des Autismus. Aber die sonstige Psychologie lernte es ge- rade in den letzten Jahrzehnten allmahlich, diesen methodischen Feh- ler abzulegen. In der Tierpsychologie z. B. fiihlte man sich zuerst in das Tier ein in der irrigen Tendenz, die Tierpsyche sei eigentlich

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gleich der menschlichen Psyche unter tierischen Voraussetzungen. Es war jene Zeit, in der man annahm, daft die Naehtigall ihren Ge- sang zum Lobe Gottes erschallen lie ft. Freilich war diese Einstel- lung oft recht kiinstlich und nur dem Kundigen kenntlieh verklei- det. Erst die neueren Untersuchungen Wol/gang K6hlers haben uns endgiiltig aus dieser Phase gelSst. In der Kinderpsychologie behan- delte man die Secle des Kindes lange Zeit wie die Seele des Er- waehsenen unter den Einschr~nkungen der kindlichcn Grenzen. Erst die Forschungen Biihlers haben hier herausgefiihrt. In der Psychologie des Primitiven beging man den gleichen Fehler, der dureh die Lamp- rechtsche Verirrung noch kompliziert wurde, die Primitivenseele sei gleich der Kindesseele. Von diesem Stadium befreiten die vortrefflichen Ge- dankengeffige der franzSsischen Diirckheimschule und besonders von Levy-Bri~hl: Denke in der VSlkerpsychologie nicht, wie wenn Du ein Primitiver w~rst, sondern denke primitiv. Und jetzt besteht eine leiehte Gefahr, dab man bei der gewissen Verwandtschaft, die sieh zwisehen den primitiven und schizophrenen Gedankenverb~nden ~u- fterlich ergibt, die Feststellungen der modernen Primitivenforschung auf die Untersuchung der Schizophrenen iibertragt. Aueh bier kann es nur heiften: Fiihle Dich nicht in den Schizophrenen so ein, wie wenn Du selbst einige schizophrene Eigentiimlichkeiten hattest, sondern denke sehizophren. Der Scherz liegt nahe, daft man selbst schizophren seiu miiBte, um hinter diese Mechanismen zu kommen. Aber die genannten modernen Forscher haben die trefflichsten Einsichten gewonnen, ohne selbst anthropoid, kindlich, primitiv zu sein. Es kommt auf die Methode der Betrachtung an. Nicht die alte naive Einfiihlung ist zul~ssig, dab das EiehhSrnchen miihevoll seine Nahrung sucht, oder der Wasser- fall sich mutig in die Ticfe stiirzt, sondern die Ausschaltung der anthro- pistischen, in unserem Falle der normalen Motivationen ist erforder- lieh. Vor allem mSge die Einstellung fallen, daft die Forsehung immer nut nach einem Minus sucht; sie m5ge das ,,Anderssein" an dessen Stelle setzen. Es handelt sieh also um eine psychologisehe Theorie der Schizophrenie, die sich der Sphere der Gegenst~ndlichkeit ent- ~uBert und im Aktgebiete bleibt (ira engeren Sinne). Dabei sind frei- lieh nicht nur die reinen Akte in ihrer pathologischen Formung selbst gemeint, sondern auch ihre Verkniipfung, die ja wiederum aktm~$ig betrachtet werden kSnnte.

Soll also, so kSnnte jemand sehlief3en, im Wellenspiel der Theorien die Assoziationspsyehologie als falsch verworfen, die Aktpsychologie an ihre Stelle gesetzt werden ? Keineswegs. Keine Theorie ist an sich falsch, nur befriedigt die eine oft nicht mehr und wird dureh eine an- dere erg~nzt oder ersetzt, die mehr zu leisten seheint. Die Assoziationen sind das Material der Psyche. Die sehlieftliche Gestalt der schizo-

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phrenen Symptome ist materialbedingt. Die Frage: ,,Warum in diesem Falle gerade diese Symptome?" kann nur assoziationspsyehologiseh beantwortet werden. Die Assoziationspsychologie versueht das Problem zu 15sen; Warum diese Wahnideen ? ; die Funktionspsychologie das an- dere : Warum i~berhaupt Wahnideen ?

Endlich kann sich noch der Einwand erheben, ob die vorgetragenen, speziell fiir die Symptome der Dementia praeeox dargelegten Ansiehten nieht ebensogut ffir alle anderen Psyehosen gelten dfirften ? Das ist jedoch nicht der Fall. Dort werden ganz andersartige psychologisehe Formulierungen benStigt und gefunden.

Die vorgetragenen Theorien stellen nur eine logische Spiegelung dar, giiltig, bis sie yon einer besseren logischen Bearbeitung abgelSst werden.

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