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Die Schlacht von Trantagossa

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Atlan - Held von Arkon

Nr. 186

Die Schlacht vonTrantagossa

Die Maahks greifen an - und dreiTodfeinde begegnen einander

von Marianne Sydow

Im Großen Imperium der Arkoniden schreibt man eine Zeit, die auf Terra dem 9.Jahrtausend v. Chr. entspricht. Imperator des Reiches ist Orbanaschol III. ein bruta-ler und listiger Mann, der seinen Bruder Gonozal III. töten ließ, um selbst die Nachfol-ge antreten zu können.

Gegen den Usurpator kämpft Kristallprinz Atlan, der rechtmäßige Thronerbe desReiches, mit einer stetig wachsenden Zahl von Getreuen und besteht ein gefahrvol-les Abenteuer nach dem anderen.

Doch mit dem Tag, da der junge Atlan erstmals Ischtar begegnet, der schönenVarganin, die man die Goldene Göttin nennt, hat er noch anderes zu tun, als sich mitOrbanaschols Schergen herumzuschlagen oder nach dem »Stein der Weisen« zusuchen, dem Kleinod kosmischer Macht.

Atlan – er liebt Ischtar und sucht sie zu schützen – muß sich auch der Nachstellun-gen Magantillikens erwehren, des Henkers der Varganen, der die Eisige Sphäre mitdem Auftrag verließ, Ischtar unter allen Umständen zur Strecke zu bringen.

Gegenwärtig befindet sich der Kristallprinz erneut in großen Schwierigkeiten. Kaumist er den Maahks entronnen, da gerät er auf Trantagossa, dem strategisch wichtigenimperialen Flottenstützpunkt, der Amarkavor Heng, einem der Mörder Gonozals, un-tersteht, in arkonidische Gefangenschaft.

Atlan kann sich in seiner aussichtslosen Lage glücklich schätzen, daß die Maahksgerade zu diesem Zeitpunkt einen Angriff starten, in dem alles drunter und drübergeht. Denn es entbrennt DIE SCHLACHT VON TRANTAGOSSA …

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Die Hautpersonen des Romans:Atlan - Der Kristallprinz begegnet zwei Todfeinden.Amarkavor Heng - Ein Kommandeur, der unter Verfolgungswahn leidet.Magantilliken - Der Henker der Varganen in einem neuen Körper.Vreena - Eine Informantin des Geheimdiensts.Kiran Thas - Sektionschef des Geheimdiensts von Trantagossa.Tharmiron Obos - Ein Offizier, dem Atlan das Leben rettet.

1.

Ich verließ inmitten einer großen Zahl an-derer Passagiere die bedrückende Enge einerTransportkapsel, beeilte mich, aus demStrom von Menschen herauszukommen, dermich mit sich zu reißen drohte und sah michdann forschend um.

Vor mir lag der Zugang zu einer FreienZone – einem der wenigen Gebiete Enorke-trons, die dem Privatleben vorbehalten blie-ben. Alle anderen Teile der riesigen Anla-gen, die die gesamte Oberfläche des Plane-ten bedeckten und sich bis tief unter dieseichten Meere hinzogen, dienten aus-schließlich militärischen Zwecken. Enorke-tron war eine vom Krieg geprägte Welt,Zentrum des Flottenstützpunkts Trantagossa,der seinerseits einen der drei wichtigstenNervenknoten des Großen Imperiums dar-stellte.

Unter anderen Bedingungen wäre esdurchaus interessant für mich gewesen, die-sen Stützpunkt aus der Nähe kennenzuler-nen. Aber leider hatte man mir bisher wenigGelegenheit gegeben, meine Neugier zu be-friedigen.

Ich war praktisch als Gefangener nachEnorketron gebracht worden, und es grenztefast an ein Wunder, daß ich noch lebte. DerKommandeur dieses Stützpunkts hieß Amar-kavor Heng und gehörte zu der Gruppe vonVerrätern, die unter der Leitung Orbana-schols meinen Vater, den Imperator Gono-zal, ermordet hatten. Mein ehrenwerter On-kel Orbanaschol ließ mich in der ganzen Ga-laxis suchen und machte auch keinen Hehldaraus, was er mit mir zu tun gedachte. Undnun befand ich mich im Machtbereich eines

seiner Spießgesellen, der mich zweifellosmit dem größten Vergnügen dem falschenImperator ausgeliefert hätte.

Mit viel Glück war es mir gelungen, derunmittelbaren Gefahr zu entfliehen und mei-ne Freiheit zu gewinnen. Ich wußte jedoch,daß diese Freiheit eine sehr fragwürdige An-gelegenheit war. Solange es mir nicht ge-lang, Enorketron zu verlassen und Verbin-dung mit Fartuloon und den anderen Getreu-en aufzunehmen, schwebte ich in Gefahr.

Aber noch einen anderen Mann hatte esnach Enorketron verschlagen. Magantilli-ken, der varganische Henker, hielt sich ir-gendwo auf diesem Planeten auf. Er hatteden Körper eines varganischen Schläfersübernommen, den arkonidische Forscherhierhergebracht hatten. Ich nahm als sicheran, daß der Henker einen solchen Schrittnicht freiwillig unternommen hatte. SeinZiel war es, Ischtar und alle anderen freienVarganen zu töten, die sich außerhalb derrätselhaften Eisigen Sphäre aufhielten. Dakeines seiner Opfer auf Enorketron heru-mirrte, würde er sich bemühen, diese Weltso schnell wie möglich zu verlassen. Darinsah ich meine Chance. Ich mußte Magantil-liken finden. Für ihn hatte ich einen be-trächtlichen Wert als Geisel, darum zweifel-te ich nicht daran, daß er mich auf seinerFlucht mitnehmen würde. Ich wiederum sahin Magantilliken die beste Chance, denMachtbereich Amarkavor Hengs unbehelligtzu verlassen und außerdem in Ischtars Nähezu gelangen. Über sie würde ich dann auchwieder Verbindung mit dem Bauchauf-schneider aufnehmen können.

Im Augenblick war ich von diesem Zieljedoch weit entfernt. Niemand schien zuwissen, wo Magantilliken sich aufhielt. Über

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den Bildsprechapparat, den ich einem Ge-heimdienstbeamten abgenommen hatte,konnte ich mich jederzeit über den Fortgangder Fahndung informieren. Man setzte allesdaran, den Varganen zu fangen – allerdingsohne den leisesten Erfolg. Magantillikenhatte sich scheinbar in Luft aufgelöst. Nurein Zufall konnte mich auf seine Spur füh-ren.

Ich hoffte, in den Freien Zonen einen sol-chen Hinweis zu finden, auch wenn meinExtrahirn mich ständig darüber belehrte, wiegering die Wahrscheinlichkeit dafür war,daß mir der Henker über den Weg lief.

Ich schlenderte über den Platz vor derTransportstation. Vor mir lag ein Gewirrsubplanetarischer Straßen, an die sich Mas-senquartiere und Vergnügungsstätten an-schlossen. Die Oberfläche Enorketrons lagweit über mir. Dort oben gab es nichts alsgigantische Raumhäfen und die dazugehöri-gen technischen Anlagen.

Im Augenblick fühlte ich mich relativ si-cher. Ich war zwar nur unzureichend mas-kiert, aber in dieser Masse von Menschenwürde ich kaum auffallen. Ich trug eine ganzgewöhnliche Kombination, und meine ID-Karte würde zwar einer genauen Überprü-fung nicht standhalten, reichte jedoch aus,um die normalen öffentlichen Anlagen zubenutzen. Dank der Hilfe einer älteren Arko-nidin namens Gajana verfügte ich sogar überetwas Geld.

Ich betrachtete das Treiben um mich her-um und überlegte, wo ich am ehesten etwasüber Magantilliken erfahren würde.

Er war hier in der Nähe aufgetaucht, wieich aus den Geheimnachrichten wußte. Aberdann hatte man seine Spur verloren. Ichnahm an, daß er sich irgendwie Informatio-nen über Enorketron und das Trantagossa-Sy-stem verschafft hatte.

An wen konnte er sich gewendet haben?Bei jedem Soldaten, jedem Mädchen, de-

ren Lachen aus den Trinkstuben drang,konnte es sich um die. Kontaktperson desHenkers handeln. Allmählich begriff ichselbst, wie wenig Aussichten ich hatte, zu-

fällig den richtigen Weg zu finden. Gleich-zeitig überfiel mich eine ungeheure Wut.Seitdem ich Kraumon verlassen hatte, ummich in die Gewalt des Henkers zu begebenund so das Leben Ischtars und unseres Soh-nes Chapat zu retten, wurde ich wie einSpielball zwischen den verschiedenstenMächten hin und her geschleudert.

So konnte es nicht weitergehen! Ich muß-te endlich aus dieser Mühle von Schicksals-schlägen hinaus.

Wo soll ich anfangen? richtete ich einenGedanken an die Adresse des Extrahirns.Aber ausgerechnet jetzt verhielt sich der Lo-giksektor schweigsam. Dann eben nicht,dachte ich grimmig, und gleichzeitig hatteich einen Einfall.

Magantilliken würde sich schon aus Vor-sicht nicht an einen Offizier gewendet ha-ben. Ich vermutete zwar, daß er die Mög-lichkeit besaß, seinen Gesprächspartnern dieErinnerung an den Inhalt einer Unterhaltungzu nehmen, aber das dauerte seine Zeit, undOffiziere laufen normalerweise nicht ohneihre Waffe herum.

Ich versuchte, mich systematisch in dieRolle des Henkers zu versetzen. Immerhinhatte ich dem hiesigen Geheimdienst gegen-über einen großen Vorteil – ich kannte denVarganen von früher.

Wie auf den meisten vom Militär be-stimmten Welten, so gab es auch auf Enor-ketron zahlreiche Bordelle unterschiedlicherPreisklasse. Männer, die monatelang imRaum unter härtesten Bedingungen bestehenmüssen, brauchen ab und zu die Gelegen-heit, sich gründlich auszutoben. Und somancher plauderte in trauter ZweisamkeitGeheimnisse aus, die er besser für sich be-halten hätte. Auch Magantilliken dürfte überdiese Dinge informiert sein. Er konnte alsosicher sein, daß eines dieser Mädchen ihmalle Informationen zu liefern vermochte, dieer sich wünschte. Allerdings würde er sichnicht an eine dieser Damen heranmachen,die nur mit den unteren Diensträngen Kon-takt hatte und dementsprechend lediglichdas übliche Raumfahrerlatein zu hören be-

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kam. Offiziere treffen sich entweder in ih-nen vorbehaltenen Kasinos, oder sie suchenEtablissements oberhalb einer gewissenPreisgrenze auf.

Aus diesen Überlegungen heraus klapper-te ich verschiedene Lokale ab, von denenmir jedoch keines als wirklich vielverspre-chend erschien. Dann aber gelangte ich aneinen Raum, der mich geradezu magisch an-zog.

Hier waren alle Voraussetzungen gege-ben. Eintrittsgeld brauchte nicht bezahlt zuwerden. Aber allein die Innenausstattungmachte mir klar, daß ein gewöhnlicher Sol-dat sich den Aufenthalt in diesem Lokalnicht erlauben durfte.

Ich zögerte nicht länger, sondern trat ein.Um mir eine Gesellschafterin zu besor-

gen, brauchte ich nichts weiter zu tun, alseinen Knopf zu betätigen. Ich bestellte einziemlich teures Getränk und schob jedenGedanken an meine nicht gerade umfangrei-che Barschaft zur Seite. Schon nach weni-gen Minuten tauchte eine junge Arkonidinam Eingang der Nische auf.

Ich hatte keinen genauen Plan. Es war aufjeden Fall aussichtslos, diese junge Dameschlichtweg zu fragen, ob sie den Varganenkannte. Aber ich vertraute auf den Zufall,der mir schon oft geholfen hatte. Nach einerminutenlangen, absolut uninteressanten Un-terhaltung wurde ich bereits weniger zuver-sichtlich.

Zeig ihr das Bild! meldete sich plötzlichdas Extrahirn.

Mir war im ersten Moment gar nicht klar,was damit gemeint war, dann begriff ich.

Enorketron war ein Planet, auf dem mannirgends vor Beobachtung sicher war, dashatte ich bereits erfahren. Amarkavor Hengschien unter Verfolgungswahn zu leiden.Seine Spionanlagen waren überall verteilt.Diese Fülle von Informationen über dieStimmung unter den Soldaten und der Be-völkerung wurde durch die Berichte vonzahllosen Geheimdienstbeamten ergänzt.Aus eigener schlechter Erfahrung hatte ichgelernt, daß es hierzulande gefährlich war,

auch nur einem Menschen zu vertrauen. DieSpitzel mischten sich mit erstaunlicher Ge-schicklichkeit unter das Volk. Gewiß hattendie Mädchen in diesem Lokal des öfterenGäste dieser Art. Meine neue Bekannte wür-de also kaum etwas dabei finden, wenn auchich mich als Angehöriger dieser Lauscher-truppe entpuppte.

»Entschuldige einen Moment«, lächelteich sie freundlich an. »Die Pflicht ruft!«

Ohne weitere Umstände zog ich das klei-ne Funkgerät aus der Tasche. Auf einen Ta-stendruck hin erhellte sich der winzige Bild-schirm. Wie ich gehofft hatte, lief die Fahn-dung nach Magantilliken noch immer aufHochtouren. Das scharfgeschnittene Gesichtmit den wulstigen Lippen wurde immer wie-der gezeigt. So auch jetzt.

Ich hielt das Gerät so, daß meine Gefähr-tin es sehen mußte, und an der Art, wie sieüberrascht die Luft durch die Zähne zog, er-kannte ich, daß dieses von langen, goldenenHaaren umrahmte Gesicht ihr nicht unbe-kannt war.

»Kennst du den Burschen etwa?« fragteich sie, und ich bemühte mich, nicht allzuinteressiert zu wirken.

»Er war hier«, nickte sie. »In dieser Ni-sche.«

»Hast du dich mit ihm unterhalten?« stießich sofort nach.

»Nein. Aber das Mädchen, das bei ihmwar, beschwerte sich hinterher über ihn. Erbestellte nicht einmal etwas zu trinken.«

»Sagte sie, worüber er mit ihr gesprochenhat?«

»Nur über ganz belanglose Dinge. Es gibtmanchmal solche Gäste. Meistens sind esSoldaten, die zwar kein Geld haben, abertrotzdem einmal hier hereinschauen möch-ten.«

»Wie heißt du?«»Thiendris«, flüsterte sie, und ich merkte,

daß sie plötzlich Angst vor mir hatte. Ver-mutlich rechnete sie damit, daß ich ihrSchwierigkeiten bereitete.

»Gut, Thiendris«, sagte ich langsam.»Dieser Fremde ist ein sehr gefährlicher

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Mann. Der Geheimdienst sucht ihn verzwei-felt, aber bis jetzt hat man seine Spur nochnicht gefunden. Es kann sein, daß er in sei-nem Gespräch seine weiteren Absichten zu-mindest angedeutet hat. Ich muß wissen,welche Fragen er gestellt hat. Wenn es mirgelingt, einen Hinweis zu liefern, sollst auchdu deinen Vorteil davon haben.«

Sie war jetzt um vieles zurückhaltenderals vorher, aber das Angebot lockte sie. Sieüberlegte kurz, dann meinte sie:

»Ich kann das Mädchen herholen. Esheißt Vreena, und ich weiß, daß sie dir alleFragen so gut beantworten wird, wie sie nurkann.«

Ich versprach mir nicht viel von diesemVersuch, aber es konnte auch nichts scha-den. Vreena kam und ließ sich von Thiendriskurz erklären, worum es ging. Ich beobach-tete ihr Gesicht und wußte, daß meine Ah-nung mich nicht getäuscht hatte.

»Ich kann mich nicht genau daran erin-nern, was der Fremde eigentlich wollte«,sagte sie schließlich achselzuckend. »Er re-dete alles mögliche, das übliche Geschwätzeben. Mehr weiß ich nicht. Es kommen soviele Gäste …«

Ich nickte. Vreenas Erklärung war gut,aber in meinen Augen nicht glaubhaft. Sieselbst hatte den Inhalt des Gesprächs verges-sen. Aber ich war sicher, daß der Henkersich nicht über Belanglosigkeiten mit ihr un-terhalten hatte. Die Frage war nur, wie ichden wirklichen Gesprächsstoff in Erfahrungbringen konnte. Hätte ich wirklich zum Ge-heimdienst gehört, so wäre das kein Problemgewesen. So jedoch mußte ich mir etwaseinfallen lassen.

»Die Gespräche in den Nischen werdendoch sicher irgendwo aufgezeichnet«, mur-melte ich, und Thiendris nickte eifrig.

»Ja. Aber nur Ihre Kollegen haben Zutrittzu diesem Raum. Ich kann Sie hinführen.«

Ich überlegte blitzschnell. Wenn ich erstvor der fraglichen Tür stand, würde dasMädchen von mir erwarten, daß ich mir miteiner Dienstplakette umgehend Eintritt ver-schaffte. Tat ich das nicht, dann mußte sie

mißtrauisch werden. Mir war das zu gefähr-lich. Selbst hier durfte ich nicht sicher sein,daß nicht eines dieser reizenden jungenMädchen zu der Garde von Spitzeln gehörte.

Ich schlug das Angebot also aus undmeinte, ich würde das meinen »Kollegen«überlassen. Wichtig sei ja nur, daß ich über-haupt einen Hinweis gefunden hatte.

»Dann kann ich jetzt gehen?« fragte Vree-na, und ich nickte gnädig.

Thiendris blieb bei mir, und da ich diekurze Rast dazu benutzen wollte, mich un-auffällig weiter über die ziemlich seltsamenVerhältnisse auf Enorketron zu informieren,waren wir bald in ein lebhaftes Gesprächvertieft, bei dem ich selbst wenig redete, da-für jedoch um so besser zuhörte.

Erst nach einer ganzen Weile kam mir zuBewußtsein, daß jede Minute, die ich in die-ser komfortablen Nische verbrachte, micheinen Teil meines Geldes kostete. So standich auf, um mich zu verabschieden. Und ge-nau in diesem Moment sah ich Vreena, sieging auf die Tür zu und begrüßte dort zweiArkoniden, die zwar keine Uniform trugen,aber dafür ihre Impulsstrahler in der Handhielten.

Das galt mir!Ich hatte keine Ahnung, warum das Mäd-

chen Verdacht geschöpft hatte, und es warmir auch ziemlich egal. Ich wußte nur eines:Ich durfte mich auf nichts einlassen, wasmich in Kontakt zu dem allgegenwärtigenGeheimdienst brachte. Ich sah mich kurznach Thiendris um – sie war damit beschäf-tigt, ihr Glas zu leeren und achtete nicht aufmich. Sie schien mit der ganzen Aktionnichts zu tun zu haben. Aber sie würde mirauch kaum helfen, abgesehen davon, daß dieZeit sehr knapp war.

Im Raum herrschte nur schwaches Däm-merlicht. Grelle Lichtbahnen in verschiede-nen Farben zuckten über den schwarzenPlatz in der Mitte, auf dem eine Gruppe vonTänzerinnen ihre akrobatischen Verrenkun-gen vollführte. Hell war es lediglich am Ein-gang, wo durch die offenstehende Tür Lichtaus dem Gang hereinfiel. Vreena zeigte jetzt

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in die Richtung der Nische, und die beidenMänner setzten sich in Bewegung.

Ich tat es ihnen nach. Da sie – um nichtunnötiges Aufsehen zu erregen – die Tanz-fläche umgingen, blieb mir nur der Weg indie entgegengesetzte Richtung. Ich machtemir jedoch keine Hoffnung, daß etwa derAusgang unbewacht geblieben war. In die-sem Fall hätten die beiden sich getrennt, ummir keine Fluchtmöglichkeit zu lassen.

Nachdem ich fast ein Viertel der Tanzflä-che umschritten hatte, entdeckte ich zwi-schen zwei Nischen ein matt glimmendesSchild. Kurz entschlossen nutzte ich denHinweis und stand gleich darauf in einemWaschraum.

Auf den ersten Blick schien es, als hätteich mich nun erst recht in eine hermetischabgeschlossene Falle begeben, aber nochgab ich nicht auf. Ich erinnerte mich an She-lon, jenen Agenten, der mir zum Schein zurFlucht verholten hatte, in der Absicht, michanschließend seinen Spießgesellen zu über-geben. Es war ihm nicht gelungen, aber ichhatte durch ihn gelernt, daß es auf Enorke-tron nicht nur die offiziellen Gänge gab,sondern auch ein Gewirr von Reparatur-schächten, die ziemlich leicht zugänglichwaren.

Hastig sah ich mich um und entdeckte tat-sächlich in einem Toilettenraum einen qua-dratischen Schachtdeckel. Shelons kleinesVielzweckwerkzeug steckte immer noch inmeiner Tasche. Wenn es ihm gelungen war,mit diesem Ding den Verschluß eines ähnli-chen Deckels zu öffnen, mußte ich das wohlauch fertig bringen.

Das Schloß widerstand mir nur wenigeSekunden, dann klappte der Deckel nach un-ten weg. Ich sah ein paar metallene Sprossenin der Wand unter mir und kletterte in denSchacht. Den Deckel wieder zu schließenwar gar nicht so einfach, aber endlich hörteich ein leises Klicken. Ich überzeugte michdavon, daß die Falltür fest eingeklinkt war,dann stieg ich in der absoluten Dunkelheitabwärts, bis ich wieder festen Boden unterden Füßen hatte.

Nach kurzem Suchen hatte ich den Schal-ter für die Notbeleuchtung ertastet. Ichlauschte einige Sekunden lang mit angehal-tenem Atem – oben blieb alles ruhig. Ent-schlossen drückte ich den Kontakt herunter.Einzelne, weit verteilte Lampen flammtenauf und spendeten ein trübes Licht. Ich rann-te los.

*

Kiran Thas hatte große Sorgen. Er war ei-ner von insgesamt zwanzig Sektionschefs,die auf Enorketron den von AmarkavorHeng aufgezogenen Geheimdienst leiteten.

Im Augenblick hätte Thas viel darum ge-geben, diesen Posten verlassen zu können.Es schien, als hätte er eine gewaltige Pech-strähne erwischt.

Es begann damit, daß ein junger Burschenamens Vregh Brathon sich mit unglaubli-chem Geschick einem Verhör entzog. Zwarhatte Thas die Verantwortlichen aufgespürtund sie auch bestraft, aber das änderte nichtsan der Tatsache, daß Brathon unauffindbarblieb. Der Leiter eines Hangars, der diesemBurschen durch seine Unaufmerksamkeit dieFlucht in ein Lazarett ermöglicht hatte, tatjetzt auf einem sehr unangenehmen PostenDienst, und ein Agent namens Shelon grü-belte zur Zeit in einer Arrestzelle darübernach, wie es möglich war, daß ein jungerBursche ihn – den trainierten Kämpfer – aufso schmähliche Weise hatte besiegen kön-nen. Die verräterische Ärztin, die VreghBrathon aus einem Lazarett geschleust hatte,war besonders hart bestraft worden – sie be-fand sich jetzt auf einem Schlachtschiff.

Als hätte Kiran Thas nicht schon genugScherereien, erwachte aus völlig unklarenGründen eine geheimnisvolle Leiche zumLeben und floh mit großartigem Erfolg ausdem Laboratorium, in dem man sie hatte un-tersuchen wollen. Amarkavor Heng schiendiesem seltsamen Fremden mit den langengoldenen Haaren eine ungeheure Bedeutungbeizumessen, denn er hatte befohlen, daßman den wiedererwachten Toten mit allen

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Mitteln jagen und zur Strecke bringen sollte.Thas seufzte vernehmlich. Ihm war nicht

ganz klar, warum Heng so großen Wert aufdie Ergreifung dieses Fremden legte. Gewiß– eine Leiche, die plötzlich auf und davonwandelte, war auf jeden Fall verdächtig.Aber Thas war der Meinung, daß dieses Pro-blem sich früher oder später von selbst erle-digen würde. Der Fremde hatte weder Geldnoch gültige Papiere, würde dementspre-chend zu gegebener Zeit in irgendeiner Wei-se auffallen und dann automatisch an denGeheimdienst geraten. Aber Hengs Befehlegalten sehr viel, und so war Thas gezwun-gen, eine Großfahndung einzuleiten, die erpersönlich für überflüssig hielt.

Ihm erschien das Problem des jungen Ar-koniden als viel schwieriger.

Kiran Thas wußte besser als die meistenanderen Bewohner Enorketrons über Amar-kavor Heng Bescheid. Ihm war seit langemklar, daß der Kommandeur unter Verfol-gungswahn litt. Heng hatte Angst, daß je-mand ihn ermorden würde. Thas wußtenicht, worauf das zurückzuführen war, under hatte auch keine Lust, in dieser Richtungirgendwelche Nachforschungen anzustellen.Kam Heng dahinter, daß sein Sektionschefsich über die Vergangenheit des Komman-deurs den Kopf zerbrach, so war Thas seinesLebens nicht mehr sicher.

Aber auch Brathon war für Kiran Thas ei-ne Gefahr. Er maß diesem jungen Arkonidenkeine große Bedeutung bei, aber er mußteihn fassen. Und zwar bald! Hatte man denrätselhaften Fremden erst geschnappt, sowürde Heng sich an den Gefangenen erin-nern. Der Kommandeur vergaß niemalseinen Mann, auf den auch nur der Schatteneines Verdachts gefallen war. Er würde sichnach Brathon erkundigen, und wenn manden Kerl bis dahin noch nicht aufgetriebenhatte, saß der Kopf des Sektionschefs bereitssehr locker …

Heng war ein unangenehmer Vorgesetz-ter. Nicht nur deshalb, weil man ihn nie zuGesicht bekam – wenigstens nicht persön-lich – sondern auch, weil er keinerlei Ver-

ständnis für menschliche Schwächen auf-brachte. Ein simpler Fehler, wie er jedemeinmal unterlaufen konnte, war für Heng be-reits so etwas wie gewollte Sabotage. EinMann in der Stellung Kiran Thas', der sichzu viele Fehler erlaubte, wurde in den Au-gen des Kommandeurs zum Verräter. Undwie Heng mit solchen Leuten umsprang,wußte Kiran Thas sehr gut.

Er hatte deshalb dafür gesorgt, daß dieSuche nach Vregh Brathon weiterging, wennauch nicht so offensichtlich wie vorher.Amarkavor Heng durfte auf keinen Fall denEindruck gewinnen, man sei in der Fahn-dung nach der wiedererwachten Leichenachlässig.

Als Thas den Anruf bekam, war seineStimmung auf dem absoluten Nullpunkt an-gelangt. Aber dann erkannte er Vreenas Ge-sicht, und er wurde augenblicklich munter.Das Mädchen hatte schon erstaunlich vieleInformationen geliefert – sie war es auch,der man den einzigen konkreten Hinweis aufden Fremden verdankte. Sie selbst hatte sichnicht daran erinnern können, was der Kerleigentlich von ihr gewollt hatte. Auch dieAufzeichnung des Gesprächs brachte keineinteressanten Anhaltspunkte zutage, dennder Mann hatte offensichtlich nur versucht,sich einen allgemeinen Überblick über dieVerhältnisse auf Enorketron zu verschaffen.Niemand konnte sagen, was der Fremde ausden erhaltenen Informationen herausgelesenhatte. Selbst die Positronik, der Thas dasProblem vorgelegt hatte, streikte und erteilteeine solche Vielfalt sich gegenseitig wider-sprechender Auskünfte, daß es sinnlos war,diesen Hinweisen nachzugehen.

»Hier ist ein Mann aufgetaucht«, sagteVreena hastig. Sie schien es sehr eilig zu ha-ben. »Ein Arkonide. Er hat mir seinen Na-men noch nicht genannt, und ich kann michauch schlecht noch einmal an ihn heranma-chen. Er ist bei Thiendris.«

»Was ist mit ihm?« wollte Thas ärgerlichwissen.

»Er hat sich nach dem Fremden mit dengoldenen Haaren erkundigt. Er behauptet,

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zum Geheimdienst zu gehören und hat aucheines von den tragbaren Funkgeräten beisich. Aber er wußte noch nichts davon, daßdas Gespräch zwischen dem Unbekanntenund mir längst ausgewertet wurde.«

Thas rümpfte die Nase.»Das hat nichts zu sagen!« behauptete er.

»In diesem Bezirk arbeiten so viele Männer– es kann durchaus sein, daß einer von ihnennicht auf dem laufenden ist.«

»Thiendris teilte ihm mit, daß Aufzeich-nungen gemacht werden«, fuhr Vreena un-beeindruckt fort. »Sie machte ihn daraufaufmerksam, daß er nur mit Hilfe seinesSpezialausweises hineinkäme. Er ist nichthingegangen, sondern meinte, er würde dasseinen Kollegen überlassen. Ich weiß aberauch, daß er nicht versucht hat, seine Dienst-stelle zu benachrichtigen.«

Jetzt wurde Thas doch nachdenklich. Hin-ter diesem Hinweis mochte alles Möglichestecken. Seltsamerweise fiel ihm schon wie-der dieser vermaledeite Brathon ein. DerKerl hatte Shelons Funkgerät mitgehen las-sen. Das war natürlich noch kein Beweis da-für, daß der Fremde mit dem entflohenenGefangenen identisch war, aber es war im-merhin bedenklich, wenn sich jemand alsAngehöriger des Geheimdienstes ausgab.Daß der Mann in dem Lokal nicht zu Thas'Untergebenen gehörte, schien klar. Er hättesich niemals derart nachlässig verhalten.

»Ich schicke ein paar Leute los«, ver-sprach Thas aus diesen Gedanken heraus.»Wenn der Bursche für uns von Bedeutungist, bekommst du vielleicht schon bald deinePassage. Sorge dafür, daß der Vogel nichtdavonfliegt, ehe wir ihn haben.«

Er schaltete ab und gab ein paar schnelleAnweisungen über ein Mikrophon. EinTrupp von Männern in Zivil setzte sich inRichtung auf das Lokal in Marsch. KiranThas lächelte flüchtig, als ihm wieder ein-mal zu Bewußtsein kam, daß er mit seinererreichten Position eigentlich sehr zufriedensein durfte. Dann fiel ihm Amarkavor Hengein, und er unterdrückte jedes Gefühl, dasnicht unmittelbar mit seiner Arbeit in Zu-

sammenhang stand. Bei Heng konnte mannie sicher sein, ob er einen nicht gerade be-obachtete …

*

Amarkavor Heng hatte im Augenblickwahrhaftig andere Sorgen, als seinen hiesi-gen Sektionschef zu beobachten. Er hocktemit düsterem Gesicht in seinem Kontrollses-sel und ließ sich von den Robotern immerwieder die wenigen Informationen vorspie-len, die man bisher über den Fremden hatteliefern können.

Obwohl Heng sich immer wieder einzure-den versuchte, daß er sich in absoluter Si-cherheit befand, wuchs seine Furcht mit je-der Minute. Die letzten Nachrichten warenniederschmetternd.

Er hatte sich schon seit geraumer Zeit andem Gedanken festgebissen, die Wissen-schaftler hätten ihre Hände im Spiel undversuchten, ihn durch einen Mann, den sieals angebliche Leiche einschmuggelten, zuermorden. Die Verhöre waren jetzt beendet– und man wußte einwandfrei, daß keinerder Forscher aus dem Großraumlabor aufSohle dreiundzwanzig ein falsches Spieltrieb.

Die Leiche war echt. Nicht nur die Aussa-gen der Wissenschaftler bewiesen das, son-dern auch die Aufzeichnungen, die über dieUntersuchungen gemacht worden waren. Al-le zwölf Körper, die das ForschungsschiffBARGONNA nach Enorketron gebrachthatte, hatten keinerlei Lebenszeichen mehraufzuweisen. Die anderen elf Leichen be-nahmen sich nicht anders, als man das vonToten gewohnt war – nur eine hatte sicheben selbständig gemacht.

Das Unbegreifliche an diesem Vorgangließ Amarkavor Hengs stets vorhandeneAngst bis ins Unermeßliche wachsen. EinWesen, das den Zustand des Todes überwin-det und dann spurlos verschwindet, mag somanchem furchteinflößend erscheinen. Hengwar fest davon überzeugt, daß der Fremdeall diese Dinge nur aus einem Grunde unter-

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nommen hatte: Es handelte sich um einenMann, der den Auftrag hatte, den Komman-deur von Trantagossa zu ermorden.

Die zahllosen Bildschirme, die die Wändedes riesigen, kreisförmigen Raumes wie einbuntes Mosaik überzogen, waren ohne Aus-nahme in Betrieb. Roboter huschten umherund beobachteten alles, was in den Aufnah-mebereich der Spionaugen geriet. AuchHeng selbst setzte sich immer wieder samtseinem fahrbaren Sessel in Bewegung, fuhrdie langen Kolonnen von Schirmen ab undstarrte verzweifelt darauf, in der Hoffnung,den Mörder zu entdecken. Er fand nichts.Auch die Warnanlagen, die das geheime Sy-stem von Beobachtungszentralen und Ver-bindungsschächten umgaben, die das privateReich des von Angst getriebenen Mannesumfaßte, meldeten keine Störungen.

Obwohl es somit als sicher erschien, daßder goldhaarige Fremde noch nicht versuchthatte, zu dem Kommandeur vorzudringen,fühlte Amarkavor Heng sich ungefähr sowohl, wie ein Mann, der auf einer entsicher-ten Bombe sitzt. Er hielt zwei Impulsstrahlerin den Händen, und wenn er gezwungener-weise etwas essen mußte, so ließ er sich vonseinen Robotern füttern. So oft es ging,schaltete er den Schutzschirm ein, der ihnund seinen Sitzplatz umhüllte.

Es gab keinen Zweifel: Amarkavor Henghatte alles Menschenmögliche unternom-men, um sich gegen den Angriff des Mör-ders abzusichern. Trotzdem hatte er Angst…

2.

Magantilliken stand im schützenden Dun-kel eines verlassenen Schachtes und wartetemit der Geduld eines lauernden Raubtiersauf seine Chance.

Nachdem er sich davon überzeugt hatte,daß er sich nicht mit jedem beliebigenRaumschiff aus diesem Stützpunkt-Systementfernen konnte, gab es für ihn nur eine lo-gische Lösung: Er mußte zu dem Beherr-scher dieser Welt vordringen. Alle anderen

Wege würden einen Zeitverlust bedeuten,den der varganische Henker sich nicht lei-sten durfte.

Die Varganen hatten ihm deutlich genugzu verstehen gegeben, was man von ihm er-wartete. Er hatte seine Aufgabe noch nichterfüllt, und das nahm man ihm in der Eisi-gen Sphäre ausgesprochen übel. Man hatteihn zurückgeschickt und ihm gleichzeitigden Weg in die Heimat versperrt. Erst wenner wenigstens eines seiner Opfer gefundenund ausgeschaltet hatte, würde Magantilli-ken sich in der Eisigen Sphäre mit neuerEnergie versorgen können. Bis dahin saß erin diesem Körper fest.

Die Situation war in den Augen des Hen-kers einfach grotesk. Durch irgendeinendummen Zufall war er ausgerechnet in ei-nem Körper gelandet, der in die Hände derArkoniden gefallen war. Er konnte zwar miteiniger Mühe sein Bewußtsein von dieserHülle lösen, aber das nützte ihm nicht viel.Für eine längere Reise im körperlosen Zu-stand fehlte ihm die Energie. Daher bliebihm nichts anderes übrig, als sich nach ei-nem Raumschiff umzusehen, was auf Enor-ketron auf einige Schwierigkeiten stieß.

Raumschiffe gab es zwar in großer Zahl.Es wäre dem Henker auch nicht schwerge-fallen, eines davon in seinen Besitz zu brin-gen. Aber die Fallen zwischen den zwölfPlaneten des Systems würde er nicht so ein-fach überwinden.

Auf diesem Planeten existierte jedoch einFlugkörper, den man das SKORGON nann-te. Es war allem Anschein nach das privateRaumschiff Amarkavor Hengs, und es durftealle Sperren ungehindert passieren. Zudemwurde es offensichtlich in erster Linie durchRoboter gesteuert, bedurfte also keiner viel-köpfigen Besatzung – ein Umstand, der denWünschen des Henkers sehr entgegenkam.

Um das SKORGON zu erhalten, mußte erjedoch zuerst den Besitzer aufstöbern. Henghielt sich verborgen – niemand hatte ihn inden letzten Jahren persönlich gesehen. Ma-gantilliken hatte verschiedene Fakten zu-sammengezählt und war zu dem Schluß ge-

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kommen, daß in der Nähe des Labors, indem er erwacht war, ein Zugang zu dem ge-heimnisvollen Reich des Kommandeurs exi-stieren mußte. Es würde nicht einfach sein,ihn zu finden. Im Augenblick durfte Magan-tilliken es nicht einmal wagen, seinen Stand-ort zu verlassen, denn auf den Gängen imLabortrakt herrschte lebhafter Betrieb.

Das Labor selbst hatte man hermetischabgeriegelt. Vermutlich befürchtete man,auch die anderen Leichen könnten plötzlichwieder zum Leben erwachen. Überall stan-den bewaffnete Posten herum – einen davonkonnte Magantilliken deutlich sehen, dennder Arkonide lehnte keine zwanzig Meterentfernt an der Wand. Es stand für den Hen-ker jedoch fest, daß er an seinem derzeitigenAufenthaltsort einigermaßen sicher aufgeho-ben war. Der Arkonide hatte seinen Postenbereits vor mehreren Stunden eingenommenund sich seither kaum vom Fleck gerührt.

Der Vargane vergeudete die erzwungeneWartezeit keineswegs. Er stellte eine Reihevon Überlegungen an, die ihm später weiter-helfen konnten, und beobachtete nebenherdie Anzeigetafel eines kleinen, kastenförmi-gen Geräts, das er aus der Beute der Arkoni-den im Labor hatte mitgehen lassen. Die Or-tungsergebnisse waren bisher nicht sehr er-giebig gewesen. Immerhin hatte der Henkerbereits herausgefunden, daß irgendwo jen-seits des Labors Energie erzeugt wurde, de-ren Form nur einen Grund haben konnte: Esgab dort einen Schutzschirm.

Nun sind Schutzschirme in subplanetari-schen Anlagen selten zu finden. Hier, in ei-nem Bereich, in dem verschiedene For-schungen betrieben wurden, die nicht immerungefährlich sein mochten, war sich Magan-tilliken keineswegs sicher, ob es sich nichtdennoch um eine für ihn bedeutungslose An-lage handelte. Aber er hatte sich entschlos-sen, diesem Hinweis nachzugehen, und dar-um wartete er.

Erst nach mehreren Stunden kam er zuder Überzeugung, daß er die Ausdauer derArkoniden wohl doch unterschätzt hatte. DerPosten wurde abgelöst, und ein anderer be-

zog Stellung. Der Henker wurde ungeduldig.Er überlegte, ob er einfach hinausgehen

sollte – er verfügte über Waffen und Ab-wehrmöglichkeiten, die es ihm erlaubten,selbst durch ein konzentriertes Energiefeuerunangefochten hindurchzulaufen. Aber erlegte vorerst noch großen Wert darauf, un-entdeckt zu bleiben. Er wußte, daß er Amar-kavor Heng nicht direkt hinter dem Schutz-feld antreffen würde. Der Weg zu diesemMann würde zweifellos noch sehr lang sein– und sehr gefährlich. Machte er den ge-heimnisvollen Herrscher Enorketrons zufrüh auf sich aufmerksam, so würde selbstseine Ausrüstung ihm nicht mehr helfen.

Der Henker konnte nicht wissen, daßHeng längst damit rechnete, einen solchenBesuch zu erhalten. Obwohl er inzwischeneiniges über den ewig mißtrauischen Kom-mandeur dieses Stützpunkts erfahren hatte,erkannte Magantilliken noch nicht das volleAusmaß der Angst, mit der Heng seit fünf-zehn Jahren lebte.

Er löste sich geräuschlos aus der engenNische, die ihm bisher als Versteck gedienthatte, und schlich tiefer in den Gang hinein.Er war überzeugt davon, daß das Großraum-labor sich irgendwie umgehen ließ. Bisherhatte er gedacht, er könnte Zeit sparen, wenner bis zum Abzug der Wachtposten wartete.Jetzt war er entschlossen, auch einen weitenUmweg in Kauf zu nehmen.

Der Gang krümmte sich, und der letzteLichtschimmer verschwand. Magantillikentastete sich in der tiefen Finsternis mit denHänden vorwärts. Nach einiger Zeit stießenseine Hände gegen einen Kontakt, und erzuckte zurück. Licht flammte auf und zeigteihm seine Umgebung in erbarmungsloserSchärfe.

Der Henker überzeugte sich davon, daßdie inzwischen zurückgelegte Entfernungausreichte. Die Posten, die das Labor um-stellt hielten, würden von den Vorgängen indiesem Teil des subplanetarischen Systemsnichts bemerken.

Anschließend vergewisserte er sich derTatsache, daß es hier ausnahmsweise keine

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Spiongeräte gab. Dann erst sah er sich umund versuchte, den Verlauf dieses verlasse-nen Ganges in das ihm bisher bekannteSchema einzuordnen.

Er befand sich in einer Gegend, die an-scheinend schon seit langer Zeit ungenutztgeblieben war. Staub bedeckte den Boden,und die Belüftung funktionierte nicht mehreinwandfrei. Aber die Wände wiesen keineZeichen von Verfall auf.

Magantilliken entdeckte eine Tür und öff-nete sie. Der Kontakt reagierte einwandfrei– dieser Sektor war also nicht von der Ener-gieversorgung abgeschnitten. Der Raum hin-ter der Tür war leer. An den Wänden gab esSpuren, die bewiesen, daß dort Geräte ge-standen hatten. Man hatte jedoch alles ent-fernt. Auch hier gab es Staub und sonstnichts.

Der Henker ordnete diese Beobachtungein und versuchte, eine Erklärung dafür zufinden, daß man ein absolut brauchbaresGangsystem verlassen hatte. Er wußte, daßes wesentlich ältere Anlagen gab, in denenimmer noch Menschen untergebracht waren.Die Nähe der Laboratorien war seiner Mei-nung nach keine ausreichende Erklärung.

Es gab nur einen logischen Grund, dieseAnlagen aufzugeben: Jemand hatte es so an-geordnet. Jemand, der Wert darauf legte,daß kein lebendes Wesen ihm zu nahe kam.Ein Mann, dessen Mißtrauen so weit reichte,daß er sich selbst hinter starken Schutzschir-men noch bedroht fühlte.

Amarkavor Heng!Magantilliken schloß die Tür. Er warf

einen Blick auf den Boden und stellte fest,daß seine Spuren sich im Staub abzeichne-ten. Dem ließ sich abhelfen. Er schaltete dasAntigravaggregat seines Armbandgeräts einund schwebte gleich darauf einige Zentime-ter über dem Boden dahin. Indem er sich mitsorgfältig berechneten Stößen von Zeit zuZeit an der Wand abstieß, kam er mit be-achtlicher Geschwindigkeit voran. Schonnach wenigen Minuten beschrieb der Gangeinen scharfen Knick. Magantilliken ent-deckte zwei Schalter und löschte das Licht

in dem Teil des Stollens, den er hinter sichgebracht hatte. Er wartete, bis sich seine Au-gen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, underst als er sicher war, daß auch der Rest desWeges in totaler Finsternis lag, ließ er dienächste Serie von Leuchtplatten aufflam-men.

Er hatte sich nicht verrechnet. Der Gangführte ihn genau an sein Ziel. Während dieWachen draußen noch immer darauf warte-ten, daß die elf restlichen Leichen einenAusbruchsversuch unternahmen, beschäftig-te sich Magantilliken konzentriert mit einemSchott, das ihm für kurze Zeit den Weg ver-sperrte. Als er die komplizierten elektroni-schen Verriegelungen beseitigt hatte, da warer nicht nur sicher, sondern er wußte auch,daß er um einen großen Schritt weiterge-kommen war.

Vor ihm lag ein kurzes Gangstück. DasFlimmern eines Energiefelds bewies, daß esnoch weitere Räume gab. Diesen Schutz-schirm mußte er durchdringen. Es wurdetrotz der hervorragenden Ausrüstung, die ersich im Labor besorgt hatte, nicht einfachwerden, aber Magantilliken hatte jetzt Zeit.An diesem Ort würde ihn niemand stören.

3.

Während ich durch den Kabelschachtrannte, versuchte ich, die zurückgelegte Ent-fernung abzuschätzen. Ich durfte dieses Ver-steck nicht ausgerechnet auf einem Haupt-gang verlassen, andererseits aber auch nichtaus der Freien Zone hinausgeraten. In regel-mäßigen Abständen waren die Kontakte fürdie Notbeleuchtung angebracht. Jedesmalwenn ich stehenblieb und den nächstenGangabschnitt in dämmerige Beleuchtungversetzte, lauschte ich zunächst angestrengt.Noch hörte ich nichts von meinen Verfol-gern. Das wunderte mich. Die Männer konn-ten doch unmöglich so dumm sein, um sichnicht auszurechnen, wohin ich so plötzlichverschwunden war!

Vielleicht sind sie noch schlauer und wis-sen bereits, wo du gezwungenerweise wieder

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auftauchen mußt! meldete sich das Extrahirnpessimistisch.

Das war eine Möglichkeit, mit der ich zurechnen hatte. Von nun an achtete ich besserauf die Wände und stellte bald fest, daß estatsächlich nur wenige Ausgänge gab.

Ich bemerkte aber auch, daß diese Türensich deutlich voneinander unterschieden.Die meisten waren nicht anders beschaffenals die, durch die ich diesen Gang betretenhatte: Falltüren, zu denen man über in dieWand eingelassene Sprossen hinaufsteigenmußte. Daneben gab es jedoch in regelmäßi-gen Abständen auch direkte seitliche Aus-gänge.

Kellertüren, verriet mir das Extrahirn.Im ersten Moment erschien mir der Ge-

danke absurd. Schließlich war alles, was un-ter der Oberfläche Enorketrons lag, nichtsweiter als eine Art gigantischer Keller. Dannaber besann ich mich darauf, daß es in derFreien Zone eine Vielzahl von Wohnblocksgab. Anlagen wie diese wurden nach einembestimmten Prinzip angelegt. Von einemsenkrechten Zentralschacht aus trieb manHauptgänge in das Gestein. Man numeriertesie von oben nach unten und nannte sie»Sohlen«. Von dort aus bohrte man sich inwaagrechter Linie weiter in das Gestein, biseine Vielzahl verzweigter Gänge entstandenwar. Sie lieferten den Grundriß des Straßen-systems, an die man Aushöhlungen fürWohnblocks, Maschinenhallen und ähnli-ches anschloß. Erst später schuf man dannauch weitere senkrechte Verbindungen zwi-schen den verschiedenen Sohlen. Die Wohn-anlagen bildeten Zellen für sich. Sie warenzwar in das umgebende Gestein eingebettet,bildeten jedoch regelrechte Häuser. Mei-stens waren sie zwar in den wichtigstenFunktionen an die Hauptversorgungsnetzeangeschlossen, aber sie verfügten auch übereine Anzahl autarker Anlagen. Also moch-ten hier durchaus »Keller« vorhanden sein.

Ich versuchte, mir ein Bild meiner Umge-bung jenseits der Schachtwände auszuma-len, und kam zu dem Schluß, daß ich michvermutlich unter einer der subplanetarischen

Straßen bewegte. Die Falltüren endetenwohl nur in Ausnahmefällen innerhalb vonGebäuden. Vergnügungszentren werden inmilitärischen Anlagen selten von vornhereingeplant, sondern entwickeln sich allmählich,sobald das Angebot an freiem Raum ausrei-chend ist. Durch die seitlichen Türen würdeich dagegen auf jeden Fall in Räume gelan-gen, in denen man mein Erscheinen nicht so-fort beobachten konnte.

Nachdem ich schätzungsweise einen Kilo-meter zurückgelegt hatte, beschloß ich, dieEntscheidung nicht länger hinauszuzögern.Ich mußte mich jetzt in der Nähe der Grenzezwischen dem Wohngebiet und dem an-schließenden Militärgelände befinden.

Ich blieb schweratmend stehen. Die seitli-chen Ausgänge waren mit Kodebezeichnun-gen versehen, die mir jedoch nichts sagten.

Ich probierte mehrere Teile aus Shelonskleinem Werkzeugbündel aus, dann wich dieTür vor mir zurück. Ich spähte in den dahin-terliegenden Raum. Es war stockfinster dar-in. Ich hörte leises Summen wie von einemElektromotor, ab und zu ein seltsamesStampfen und zwischendurch lautstarkesGurgeln aus irgendwelchen Wasserrohren.Ich zögerte noch, in diese Finsternis hinein-zulaufen, denn ich hatte ja nicht einmal diekleinste Lampe bei mir. Dann vernahm ichweit entfernt das Trappeln vieler Schritte,und das gab den Ausschlag.

Hastig löschte ich die Notbeleuchtungund schlüpfte dann in den dunklen Raum.Die Tür ließ sich nahezu geräuschlos schlie-ßen. Ich hoffte, daß meine Verfolger meineSpur nicht sofort entdecken würden. Wennsie Spürgeräte mit sich führten, die selbstnach Stunden noch die Wärmespuren sicht-bar machen konnten, die ich hinterlassenhatte, würden sie mir sehr schnell auf denFersen sein. Aber die beiden Männer hattennur ihre Impulsstrahler bei sich gehabt, unddie Zeit reichte nicht aus, um Nachschub anGeräten herbeizuschaffen.

Tiefe Finsternis nahm mich auf. Ich tapp-te vorwärts und streckte die Hände vor, umnicht plötzlich mit dem Kopf gegen ein Hin-

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dernis zu laufen.Schon nach wenigen Schritten stieß ich

gegen ein heißes Rohr und verbrannte mirprompt die Finger. Lautlos vor mich hin flu-chend, stolperte ich weiter und rannte Se-kunden darauf mit der Kniescheibe gegen ei-ne harte Kante.

Das Bildsprechgerät! teilte mir das Extra-hirn lapidar mit.

Darauf hätte ich auch selbst kommen kön-nen!

Ich zog den kleinen Apparat hervor undschaltete ihn ein. Der winzige Bildschirmspendete zwar nur wenig Licht, aber esreichte, um wenigstens die mir am nächstenliegenden Hindernisse rechtzeitig zu erken-nen. Ich dachte kurz daran, mit Hilfe desGeräts nach dem Lichtschalter zu suchen,verwarf diesen Gedanken jedoch sofort.Meine Verfolger konnten jeden Momenteintreffen – wenn sie dann hier die Festbe-leuchtung sahen, hätte ich mich ebensogutgleich stellen können.

Mühsam suchte ich mir den Weg zwi-schen einem Gewirr von Rohren und Kabelnhindurch. Hier unten herrschte eine sagen-hafte Unordnung. Viele Kabel hingen ver-bindungslos von der niedrigen Decke herab.Unrat bedeckte den Boden. Eines der Ab-flußrohre war undicht, und das herabtropfen-de Wasser hatte eine große, stinkende Lacheauf dem Boden gebildet.

Endlich tauchte die entgegengesetzteWand auf. Nach längerem Suchen fand icheine zweite Tür. Ich atmete auf. Im stillenhatte ich bereits damit gerechnet, daß ich ineine Sackgasse gelaufen war.

Der nächste Raum war ebenfalls dunkel,dafür aber einigermaßen sauber. Dem hal-lenden Geräusch nach zu urteilen, das meineSchritte verursachten, mußte er eine be-trächtliche Ausdehnung besitzen. Um aufkeinen Fall den nächsten Ausgang zu ver-passen, hielt ich mich dicht bei der Wand.Im schwachen Glimmen des Bildschirmssah ich einige Schaltpulte und Verteileranla-gen – von hier aus wurden die einzelnenWohnungen des Blocks mit den lebensnot-

wendigen Dingen wie Frischluft, Getränkenund Speisen versorgt.

Ich tappte weiter, und dann war es mirplötzlich als hörte ich hinter mir Schritte. Ichblieb stehen, und das Geräusch war ver-schwunden.

Das ist nur ein Echo! meinte der Logik-sektor ärgerlich.

Dieser Gedanke war mir natürlich auchgekommen, aber ich blieb mißtrauisch. Alsich weiterging, achtete ich genau auf jedesGeräusch. Bei den ersten zwei Schritten pas-sierte gar nichts, dann war das »Echo«, wie-der da. Kein Zweifel: Jemand befand sichmit mir in diesem Raum. Ein echtes Echoreagiert schließlich nicht so langsam.

Ich blieb wieder stehen und hielt denBildschirm so, daß das Licht in die Richtungfiel, in der der Fremde stehen mußte. Aberder schwache Dämmerschein reichte nichtweit, und ich sah nichts. Eben wollte ichmich wieder abwenden, in der Hoffnung, derFremde würde mich in Ruhe lassen, bis ichden Ausgang gefunden hatte, da geschah es.

Ein plötzliches Geräusch in meinemRücken warnte mich, und ich fuhr herum.Ich sah eine dunkle Gestalt auf mich zuflie-gen und ließ das Bildsprechgerät fallen. Esgelang mir gerade noch, einen Schlag abzu-blocken. Dann warf sich der Angreifer mitder Wildheit eines wütenden Raubtiers aufmich. Ich wehrte mich nach besten Kräften.Die Tatsache, daß das Gerät den Fall unbe-schädigt überstanden hatte und nach wie voreinen schwachen Lichtschein verbreitete,rettete mir das Leben. Als ich das Vibromes-ser in der Hand meines Gegners auftauchensah, wußte ich, daß ich keine Rücksicht neh-men durfte.

Ich wich dem ersten Stich erfolgreich aus.Als der Fremde erneut auf mich zuschnellte,hielt ich den kleinen Impulsstrahler, derebenfalls aus Shelons Ausrüstung stammte,bereits in der Hand. Ich hatte keine Zeitmehr, auf Betäubungsstrahlen umzuschalten.Mein Warnschuß erreichte ebenfalls nichtdie gewünschte Wirkung. Es schien, alsstachle die Waffe in meiner Hand diesen

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Gegner nur noch auf.Er hob die Hand mit dem Messer, und ich

erkannte seine Absicht sofort. Ehe er dieWaffe nach mir werfen konnte, zielte ich aufseine Hand. Aber er schleuderte das gefähr-liche Messer so plötzlich und ohne ersichtli-chen Ansatz einer Bewegung, daß ich michinstinktiv zur Seite warf. Der Schuß löstesich und verfehlte sein eigentliches Ziel. Derdünne Energiestrahl durchdrang die Brustmeines Gegners.

Ich richtete mich auf, dann hörte ich keu-chendes Atmen hinter mir, und diesmal war-tete ich nicht erst, bis ich über die Absichtenmeines neuen Feindes durch die Tat infor-miert wurde. Ich wirbelte herum und gabeinen Schuß auf den Boden ab.

»Stehenbleiben!« befahl ich heiser.Aus der Dunkelheit drang ein höhnisches

Gelächter zu mir, und ich sprang ein Stückzur Seite, aus dem verräterischen Lichtkreisheraus. Ein Vibromesser prallte hart auf denBoden, etwa zwei Meter hinter der Stelle, ander ich eben noch gestanden hatte. Die Ener-gieklinge schrapte mit einem häßlichen Ge-räusch über den Boden und hinterließ einelange Rille in dem harten Beton.

Ich wartete bewegungslos auf die nächsteAttacke, aber es schien, als hätte auch meinGegner jetzt sein Pulver verschossen. Es wartotenstill in dem riesigen Raum. Ich atmetemit weit geöffnetem Mund, um meinemGegner meinen Standort nicht zu verraten,aber er verhielt sich anscheinend genauso,und so stand die Partie vorläufig unentschie-den.

Mir brannte die Zeit unter den Nägeln. Ichmußte weiter, so schnell es ging, und esmachte mich unsagbar wütend, daß ich hierunten in einen sinnlosen Kampf verwickeltwurde.

Was waren das überhaupt für Leute? Wastaten sie in dieser unwirtlichen Umgebung?

Ein leises Rascheln kam von rechts. Ichrührte mich nicht und merkte, wie sich je-mand näherschlich. Der Fremde bewegtesich nahezu lautlos, aber ich vermochteziemlich genau abzuschätzen, wie nahe er

mir kam. Als ich ein etwas stärkeres Ra-scheln etwa zwei Schritte entfernt hörte,duckte ich mich. Der Körper des Fremdenprallte gegen mich, aber seine Hände griffenins Leere. Dafür hatte ich ihn jetzt in derZange. Ich packte ihn an den Beinen undversuchte, ihn in den matten Kreis dämmeri-gen Lichts zu schleifen. Er wehrte sich hef-tig, aber er hatte offensichtlich durch denSturz eine Verletzung erlitten, denn ich wur-de recht gut mit ihm fertig.

Sobald ich meinen Gegner einigermaßensehen konnte, ließ ich seine Beine los undrichtete dafür den Impulsstrahler auf ihn.Diese Sprache schien er sehr gut zu verste-hen, denn er blieb bewegungslos liegen undstarrte mich haßerfüllt an.

»Was machst du hier?« fragte ich scharf.»Das geht dich einen Dreck an, du Men-

schenjäger!« fauchte der Fremde und spuck-te nach mir.

»Warum habt ihr mich angegriffen?«Er lachte, und mir rann ein Schauer über

den Rücken. Es war kein echtes Lachen. EinHauch von Wahnsinn schwang darin mit.

Das sind Ausgestoßene, teilte mein Extra-hirn mir lautlos mit. Deserteure vielleicht,oder Verbrecher.

Ich nickte unwillkürlich. Dieser Raumwar ein gutes Versteck. Es kamen vermut-lich nur selten Leute hierher, und wenn manes geschickt anstellte, konnte man sich überdie Versorgungsleitungen alles verschaffen,was man zum Überleben brauchte.

»Ich habe euch nichts getan«, versuchteich es noch einmal. »Und ich habe auchnicht die Absicht, euch zu töten oder zu ver-raten.«

Der Mann antwortete nicht. Ich überlegteverzweifelt, was ich nun mit ihm anstellensollte. Vertrauen durfte ich ihm nicht. So-bald ich ihm den Rücken wandte, würde ermich angreifen. Vielleicht tatsächlich ausAngst, ich könnte ihn den Behörden auslie-fern, vielleicht aber auch nur, weil er mirmeine wenigen Besitztümer abnehmen woll-te. Wenn ich ihm sagte, daß ich selbst michauf der Flucht befand, so würde er entweder

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kein Wort glauben, oder mich bei der erstbe-sten Gelegenheit dem Geheimdienst melden,in der Hoffnung, dadurch sein eigenes Loszu verbessern.

Es blieb mir nur eine Möglichkeit, und ichtat es nicht gerne. Ich wußte aus eigener Er-fahrung, wie schmerzhaft das Erwachennach einem Paralysatortreffer war. Aber indiesem Fall ging es um mein Leben.

Der Körper des Fremden sackte förmlichin sich zusammen, als der Schuß traf. Ichhob das für mich so wertvolle Funkgerät auf.Im Widerschein der Mattscheibe sah ich mirmeine beiden Gegner kurz an, und ich emp-fand jetzt fast Mitleid mit ihnen. Sie mußtenschon sehr lange hier unten dahinvegetieren,und es war anscheinend doch nicht so leicht,an Nahrung heranzukommen.

Weiter! mahnte das Extrahirn, und ich rißmich zusammen.

Ich nahm meinen Weg wieder auf undfand nach einigem Suchen eine Tür. Sie warunverschlossen. Ich fragte mich, warum diebeiden Männer ihr unheimliches Verstecknicht längst verlassen hatten. Es mußte dochin dieser Gegend zahlreiche Möglichkeitengeben, erfolgreich unterzutauchen. Aber ichwürde dieses Rätsel kaum lösen können.Vielleicht hatten sie wirklich den Verstandverloren und kamen gar nicht mehr auf dieIdee, um ein menschenwürdiges Dasein zukämpfen.

Hinter der Tür lag ein Gang. Er war unbe-leuchtet, aber über eine Rampe an seinemEnde drang Licht herein. Vorsichtig schlichich weiter. Wenn mich jetzt jemand sah, wa-ren mir einige unangenehme Fragen sicher.Als Angehöriger einer Reparaturgruppekonnte ich mich schlecht ausgeben, und au-ßer diesen Leuten hatte hier niemand etwaszu suchen.

Aber ich kam ungehindert bis an den Fußder Rampe. Als ich nach oben blickte, sahich eine hellblaue Saaldecke mit farbigenOrnamenten darauf. Es war bedrückend still.Kein noch so winziges Geräusch verriet miretwas über die Vorgänge jenseits der Ram-pe.

Lautlos kroch ich nach oben. Ich hieltmich am Rand der steil ansteigenden Fläche,und sobald ich weit genug gekommen war,richtete ich mich auf und spähte über denRand hinweg.

Vor mir lag ein großer Saal. In dekorati-ven Gruppen standen kostbare Sitzmöbel aufeinem dicken, sehr weichen Teppich. An ei-nigen Säulen rankten sich Schlingpflanzenhinauf. Zwischen ihren breiten, blaugrünenBlättern leuchteten hellrote Blütentrauben.Der Zugang zu der steilen Rampe war durcheine niedrige Brüstung vom übrigen Raumabgegrenzt.

Am entgegengesetzten Ende des Saalsstanden etwa zwei Dutzend metallischschimmernde Gestalten.

Roboter!Ich zog hastig den Kopf ein und tastete

nach meiner Waffe. Dann überlegte ich mir,daß die Maschinenwesen vermutlich desak-tiviert waren. Im ganzen Saal hielt sich keinlebendes Wesen auf – was also hätten dieRoboter hier tun sollen?

Vorsichtig arbeitete ich mich weiter nachoben. Ich wußte nicht, was für ein Raum daswar und welchen Zwecken er diente, aberich tippte darauf, daß man ihn als Empfangs-saal benutzte. Vielleicht wurden hier beipassender Gelegenheit hohe Offiziere bewir-tet.

Ich schwang mich über die Brüstung, liefein paar Schritte und duckte mich dann inden Schatten einer Sitzgruppe. Von hier auskonnte ich die Lage besser sondieren.

Es bestand jetzt für mich kein Zweifelmehr daran, daß die Roboter aktionsunfähigwaren. Sie blickten genau in meine Rich-tung, und doch hatte keiner von ihnen aufmein Erscheinen reagiert. Dafür entdeckteich neben ihnen die Front eines luxuriösenGetränkeautomaten – die Maschinen wurdenanscheinend als Kellner eingesetzt. Undnoch etwas sah ich: Über der Rampe be-deckte ein überdimensionaler Bildschirm diehalbe Wand. Er war jetzt grau und leer.

Meine Vermutung schien zuzutreffen. DerZufall hatte mich in einen Versammlungs-

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raum für die höchsten Offiziere Enorketronsgeführt. Ich wunderte mich, wie einfach manhierher vorzudringen vermochte, sagte mirdann aber, daß bei den entsprechenden An-lässen der Raum mit Sicherheit scharf be-wacht wurde. Auf jeden Fall mußte ich se-hen, daß ich herauskam, ehe jemand michhier fand.

Die Wände waren ebenso wie die Deckemit zahlreichen Verzierungen versehen. Erstnach längerem Suchen entdeckte ich etwas,das einer Tür ähnelte. Da es sich um einenrelativ kleinen Eingang handelte, nahm ichan, daß es sich nicht um das Hauptportalhandelte, durch das die hohen Herrschafteneinzutreten pflegten.

Eben wollte ich mich mit der kleinen Türnäher befassen, da wurde mir die Arbeit ab-genommen.

Ein heißer Schreck durchfuhr mich, alsaus der plötzlich entstandenen Öffnung eineAnzahl geschäftig summender Maschinenhereindrang. Instinktiv ging ich in Deckung.Gleich darauf lachte ich befreit, als mir klarwurde, welchen Sinn diese Invasion hatte.Die Maschinen waren Reinigungsroboter,die emsig daran gingen, auch das kleinsteStäubchen vom Teppich zu entfernen.

Die Maschinen waren starr programmiert.Sie schenkten mir keine Beachtung, als ichzwischen ihnen hindurch auf den Ausgangzuschritt. Ich hatte das Tor zur Freiheit fasterreicht, als ich hinter mir ein leises Sum-men hörte und mich impulsiv umdrehte.

Der Bildschirm war aktiviert worden. Ausverschwimmenden Nebeln formte sich zu-erst ein seltsames Symbol. Dann ver-schwand auch das, und an seine Stelle tratein Gesicht.

Der Mann, der starr und unbeteiligt aufmich herabblickte, war ein Arkonide. SeinKopf schien fast nur aus Haut und Knochenzu bestehen. Der Mund war schmal wie einMesserrücken, die leicht gekrümmte Nasewirkte wie der scharfe Schnabel eines Raub-vogels. Um Mund und Nase zogen sichscharfe Linien. Ich las eine grenzenlose Ver-bitterung aus diesem Gesicht.

Plötzlich begann der Mann zu reden.»Als oberster Vertreter des Großen Impe-

riums heiße ich Sie auf Enorketron herzlichwillkommen …«

Der Mann auf dem Bildschirm sprachweiter, mit monotoner, leiernder Stimme. Erwirkte völlig unbeteiligt, während er eineAnsprache an Leute hielt, die gar nicht vor-handen waren. Aber diese Rede plätschertean mir vorüber und erreichte mich kaum.

Ich sah Amarkavor Heng!Wut, Haß und Erschrecken mischten sich

in mir und bannten mich an meinen Platz. Esdauerte Minuten, ehe mir zu Bewußtseinkam, daß dies keine direkte Verbindung seinkonnte. Was ich sah, war lediglich eine Auf-zeichnung. Man spielte sie vom Band ab,vielleicht um den Bildschirm zu überprüfen.Eine Versammlung stand bevor – daraufwies schon die Anwesenheit der kleinen Ro-boter hin.

Nur allmählich gelang es mir, meine Ge-fühle zu bändigen. Auch wenn der Mann aufdem Bildschirm einer der fünf Mörder war,die meinen Vater getötet hatten, durfte ichnicht einfach hier stehenbleiben und ihn an-starren. Man würde noch weitere Vorberei-tungen treffen, um die Gäste gebührend zuempfangen.

Ich drehte mich abrupt um und trat durchdie kleine Tür.

Wie ich erwartet hatte, gelangte ich zu-nächst in ein Magazin. Die Plätze der Reini-gungsroboter waren leer. Dafür standen imHintergrund fünf Kolonnen von jeweils zehnKampfrobotern. Sie waren noch nicht akti-viert worden, und ich beeilte mich, an ihnenvorbeizukommen. Sie stellten offensichtlichdie Wächter dar, die für die Sicherheit dererlauchten Gäste zu sorgen hatten.

Durch einen zweiten Ausgang kam ich ineinen Wartungsraum, der zu meiner Erleich-terung ebenfalls leer war, wenn auch aus ei-nem Nebengelaß murmelnde Stimmen dran-gen. Dort befanden sich die Männer, die dieEinrichtungen des Saales überprüften.

Ich schlich weiter, in einen Gang hinein,dann lag eine unscheinbare graue Tür vor

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mir, und als ich sie aufstieß, sah ich das Ge-wimmel einer Transportstation vor mir. Ichhatte mein Ziel erreicht!

Niemand beachtete mich, als ich mich un-ter die zahlreichen Leute mischte, die dieTransportkapseln benutzen wollten. Ichdachte an die Geheimdienstbeamten unddrängte mich vorwärts. Man rief mir einigeunfreundliche Dinge zu, weil ich rücksichts-los auf fremde Füße trat, aber dann tauchteeine dunkle Öffnung vor mir auf. Ich drück-te meine ID-Karte kurz gegen ein Sensorau-ge, dann stand ich neben etlichen anderenPassagieren. Die Kapsel war fast voll. Nurnoch zwei Männer wurden hineingelassen,dann schloß sich die Sperre. Als die Tür sichqualvoll langsam schloß, sah ich zwischenden ungeduldig wartenden Soldaten zweiviolette Uniformen auftauchen. Die Männeraus Hengs Geheimdienst kamen zu spät. DieKapsel setzte sich in Bewegung. Aber auchich entfernte mich nun wieder vom Ziel mei-ner Suche. Noch immer wußte ich nicht, wieund wo ich Magantilliken finden sollte. Ichhatte nicht einmal eine Ahnung, wohin dieKapsel mich brachte.

*

Die Fahrt dauerte nur wenige Minuten.Ich benützte die Zeit, um mir den Kopf dar-über zu zerbrechen, was der Vargane imSchilde führen mochte.

Nach wie vor war ich überzeugt davon,daß er die ihm feindlich gesinnte UmgebungEnorketrons schleunigst zu verlassenwünschte. Aber wie? Er brauchte ein Raum-schiff. Auf der Oberfläche und in den unzäh-ligen Hangars gab es davon genug. Mit sei-nen Mitteln mochte es dem Henker auchnicht schwerfallen, eines zu kapern. Das hat-te er jedoch nicht getan, ja, nicht einmal ver-sucht. Ein solches Unternehmen wäre demGeheimdienst nicht verborgen geblieben,und ich hätte über das Nachrichtengerät da-von erfahren.

Wieder versuchte ich mich in die LageMagantillikens zu versetzen, und das Extra-

hirn half mir mit seinen kurzen Hinweisendabei.

Ein Raumschiff allein genügte nicht, umaus dem Trantagossa-System zu entfliehen.Das hatte ich schon bei meiner Ankunft fest-stellen müssen. Die überall im System ver-teilten Raumplattformen und Wachstationenließen kein Schiff passieren, wenn nicht dieausdrückliche Genehmigung für den Flugvorlag. Ich wußte, daß Magantilliken ausdem Labor eine Anzahl von varganischenGeräten mitgenommen hatte, und da ich die,Wirkungskraft der Dinge kannte, die in denStützpunkten der Versunkenen Welten la-gerten, nahm ich an, daß der Henker allesandere als wehrlos war. Gegen die Über-macht im Raum jedoch mochte er trotz al-lem nichts ausrichten können.

Es gibt ein Schiff, das überall unbehelligtpassieren darf! meldete sich mein Extrahirn.

Ich nickte in Gedanken. Das SKORGON!Thiendris hatte mir einiges darüber erzählt,nachdem ich vorher nur ein paar rätselhafteBemerkungen aufgeschnappt hatte.

Amarkavor Heng hatte sich in seinen ge-heimen Zentralen verkrochen. Er verfügteanscheinend über die Möglichkeit, von dortaus alles und jeden zu beobachten. Aber dasgenügte ihm noch nicht. Ab und zu raste eineiförmiger Flugkörper über Enorketron unddurch das gesamte Trantagossa-System.Man nannte es das SKORGON – das hieß»der Verschleierte«. Heng hatte den Befehlerteilt, daß dieser Flugkörper unter keinenUmständen aufgehalten werden durfte. Des-halb nahmen viele Leute an, daß er selbstmit Hilfe des Schiffes Inspektionen durch-führte. Eine andere Meinung war, daß sichan Bord nur Roboter befanden. Gleichgültig,welche Behauptung nun auch zutraf: dasSKORGON mußte dem Varganen als dasFluchtmittel erscheinen.

Er wird Heng persönlich aufsuchen undihn zwingen, ihm das SKORGON zur Verfü-gung zu stellen! behauptete mein Logiksek-tor.

Ich war überzeugt davon, daß diese Be-hauptung den Kern der Sache traf. Damit

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waren aber auch meine Fluchtchancen be-trächtlich gesunken. Magantilliken mit sei-ner varganischen Ausrüstung mochte esschaffen, bis zu Amarkavor Heng vorzudrin-gen. Ich dagegen würde mich schon beimgeringsten Versuch in den engen Maschendes Sicherheitsnetzes verfangen.

Du mußt Magantilliken auf dich aufmerk-sam machen, riet mir mein Extrahirn.

Das war eine logische Schlußfolgerung,aber die damit verbundenen Gefahren wur-den mir nur zu deutlich. Heng ließ sich aufkeinen Fall die Chance entgehen, mich anOrbanaschol III auszuliefern. Ich kannte dieParole, unter der die Jagd auf mich stattfand!

»Bringt mir seinen Kopf!«Befand ich mich einmal in der Gewalt der

Mörder, so würde mir nichts und niemandmehr helfen können.

Du vergißt Magantilliken, wandte das Ex-trahirn ein. Er braucht dich als Geisel, umIschtar zu fangen. Solange sie noch lebt,wird er dich auch gegen Heng beschützen!

Das hieß, den Teufel mit dem Beelzebubauszutreiben, aber es war immerhin eineMöglichkeit. Daß mir von den Varganen herGefahr drohte, war schließlich ohnehin klar.Ein Todfeind mehr oder weniger bedeutetejetzt auch nicht mehr viel. Hinzu kam derverlockende Gedanke, in Hengs Nähe zu ge-langen.

Dennoch beabsichtigte ich, zuerst nochnach einem anderen Weg zu suchen. DasSKORGON befand sich in einem Hangarunter der Oberfläche Enorketrons. Das Ge-lände wurde scharf bewacht, aber vielleichtgelang es mir trotzdem, an Bord des Raum-schiffs zu gelangen.

Ich hatte diese Überlegungen gerade zuEnde gebracht, da hielt die Transportkapselmit einem spürbaren Ruck. Ich wurde vonden übrigen Passagieren mitgerissen, und alsich draußen stand, stellte ich fest, daß ichwieder einmal Glück gehabt hatte. Ohnemein Zutun war ich in einer Gegend gelan-det, die meinem Vorhaben sehr entgegen-kam.

Am anderen Ende der Plattform, auf der

ich stand, sah ich einen Antigravschacht.Zielstrebig schritt ich auf den Schacht zu.

Ich hatte den obersten Ausstieg erreicht, daheulten die Sirenen auf. Ich sah einen grel-len Blitz über den Himmel fahren, dann erstkam nach langer Verzögerung ein dumpfesGrollen.

Eine Detonation!Was war geschehen? Ein schwer beschä-

digtes Raumschiff, das die Landung nichtmehr geschafft hatte?

Ich merkte, daß die anderen Benutzer die-ses Schachtes nicht weniger verwirrt warenals ich selbst. Auf allen Gesichtern sah ichnichts als Bestürzung und Erstaunen. Dannverstummten die gellenden Alarmpfeifen,und eine dröhnende Stimme durchbrach dieplötzliche Stille.

»Raumangriff! Alle Mann auf Gefechts-stationen. Die Maahks kommen!«

*

Erst später erfuhr ich, was sich ereignethatte.

Siebzehntausend Großkampfschiffe derWasserstoff-Methan-Atmer waren, wie ausdem Nichts herbeigezaubert, mitten imTrantagossa-System aufgetaucht. Die häßli-chen Walzen verloren keine Zeit. Sie schos-sen sofort aus allen Rohren. Binnen Minutenhatten sie einen beträchtlichen Teil derRaumplattformen und übrigen Stationen soweit beschädigt, daß ihnen aus dieser Rich-tung kaum noch eine Gefahr drohte.

Die Art, in der dieser Angriff vorgetragenwurde, verriet, daß man sich bei den Maahksschon lange auf diese Gelegenheit vorberei-tet hatte. Offensichtlich hatten sie ihre Ak-tionen genau geplant.

Die Arkoniden erholten sich nur mühsamvon dem ersten Schock, den ihnen die Tatsa-che versetzt hatte, den Gegner plötzlich ineinem der bestgehüteten Systeme desGroßen Imperiums vorzufinden. Es war nie-mandem in den Sinn gekommen, mit einemsolchen Angriff zu rechnen. Die AusrüstungTrantagossas allein sollte nach arkonidischer

Die Schlacht von Trantagossa 19

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Vorstellung ausreichen, um jeden Angreiferabzuschrecken. Darüber hinaus wurde derWeltraum in weitem Umkreis so sorgfältigüberwacht, daß es wohl für immer ein Rätselbleiben würde, wie die Maahks derart über-raschend hatten auftauchen können.

Im Gebiet von Trantagossa standen drei-ßigtausend arkonidische Einheiten verschie-denster Größe. Man hätte meinen sollen, daßsie bei fast doppelter Überlegenheit sehrschnell unter den Maahks aufräumten. Aberjetzt zeigten sich die Nachteile einer überor-ganisierten Militarisierung.

Im Trantagossa-System durfte sich keinSchiff frei bewegen. Befehle waren notwen-dig. Einige reaktionsschnelle Kommandan-ten, die sich ohne Zögern in den Kampf stür-zen wollten, bezahlten ihr Verantwortungs-bewußtsein mit dem Leben – und ihreMannschaften starben mit ihnen. Denn dieWachstationen reagierten auf Maahkraumerund Arkonidenschiffe in einem Punktegleich: Was sich unplanmäßig bewegte,wurde angegriffen.

Im Falle der Methanatmer hatten dieschweren Raumgeschütze wenig Erfolg. Dieplumpen Walzenschiffe verfügten übergroßartige Schutzschirme. Hinzu kam, daßdie Maahks Verluste einsteckten, die jedenAdmiral der arkonidischen Flotte zum sofor-tigen Rückzug veranlaßt hätten. Sie hattensich ihr Schema gut zurechtgelegt und ris-kierten jederzeit den Verlust eines Raumers,wenn zwei andere dafür infolge der gelunge-nen Ablenkung die betreffende Station ver-nichten konnten.

Noch während die arkonidische Abwehr-maschinerie durch das Fehlen konkreter Be-fehle gelähmt war, gelang es den Maahks,ihre Stellung so weit zu festigen, daß die er-sten Walzenraumer in Richtung der Planetenin Marsch gesetzt werden Konnten. Undwährend nun endlich die ersten Kampfrau-mer von den Landeflächen aufstiegen, umden bedrängten Kampfstationen zwischenden Planeten zu Hilfe zu eilen, rollte die er-ste Angriffswelle der Wasserstoff-Me-than-Atmer auf eben diese Welten zu.

Auch Enorketron erhielt Besuch. DreiWalzenraumer drangen bis in die Atmosphä-re vor und luden ihre »Geschenke« ab – ato-mare Bomben, die wenigstens in den erstenMinuten ungehindert die Oberfläche erreich-ten und riesige Teile der Anlagen in strah-lende Krater verwandelten.

Viel zu langsam reagierten die Abwehr-forts, die es auf Enorketron selbst gab.

4.

Als ich merkte, was vorging, war ich nurnoch wenige Meter von der Oberfläche ent-fernt. Ich wurde von einem wild um sichschlagenden Soldaten gegen die Wand ge-drängt, und das war mein Glück. Instinktivgriff ich nach einer Haltestange, um zu war-ten, bis der Schacht wieder halbwegs freiwar – und in diesem Moment merkte ich,wie plötzlich mein volles Gewicht zurück-kehrte.

Mir riß es fast den Arm aus den Gelen-ken, aber ich schaffte es, mich festzuhalten.Ich hörte die Schreie derer, die an mir vorbeiin die Tiefe stürzten. Ich wußte, daß sich inregelmäßigen Abständen Prallfeldschirmeeinschalteten, sobald Störungen im Anti-gravschacht auftraten. Aber infolge der auf-tretenden Panik hatten sich mehr Leute alsnormal in den Schacht begeben – wahr-scheinlich in der instinktiven, wenn auch un-sinnigen Hoffnung, an der Oberfläche grö-ßere Überlebenschancen zu haben.

Die geringe Fläche der Prallfelder ver-mochte diese vielen Menschen nicht aufzu-nehmen.

Verzweifelte Schreie drangen aus der Tie-fe herauf und vereinigten sich in Sekunden-schnelle zu einem Crescendo des Todes. Ichbemühte mich, nicht an das zu denken, wasjetzt dort stattfand. Hunderte von Arkonidenmußten unter der Wucht der auf sie herab-regnenden Körper förmlich zerquetscht wer-den. Verzweifelt bemühte ich mich, diesegrauenhafte Vorstellung abzuschütteln undmich auf den einzigen Punkt zu konzentrie-ren, der mir helfen konnte.

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Ich mußte hinauf. Ein anderer Weg bliebmir nicht.

Die Haltestangen waren in ziemlichemAbstand voneinander angebracht. Ausfällewie diese durfte es unter normalen Bedin-gungen nicht geben. Niemand rechnete da-mit, daß jemand gezwungen sein sollte, sichohne die Unterstützung des tragenden An-tischwerkraftfelds an der Wand hinaufzube-wegen. Genau das aber mußte ich jetzt fertigbringen.

Ich erblickte die nächste Stange einen gu-ten Meter über meinem Kopf, nachdem ichmich in einem Klimmzug nach oben gescho-ben hatte. Meine Hände reichten nicht heran.Ohne meinen sicheren Halt zu verlieren,konnte ich mein Ziel also nicht erreichen.

Ich spürte, wie die Kraft in meinen Armenerlahmte. Die Stange war rund und glatt. Ichwürde mich nicht mehr lange halten können.

Irgendwie schaffte ich es, mich weit ge-nug nach oben zu schieben, um das rechteBein über die Stange zu bringen. Der Zwi-schenraum zur Wand war ziemlich knapp,aber ich zwängte das Bein bis zum Knie hin-ein. Gut so – das zweite Bein. Dann ein Auf-bäumen – meine Hände umklammerten dennächsten Stab. Jetzt war meine Positionschon besser. Ich hatte Halt unter den Fü-ßen. Dabei kam mir zu Bewußtsein, wievielGlück ich wieder einmal gehabt hatte. In derNähe des Ausstiegs waren die Stangen inkürzeren Abständen angebracht, um den Be-nutzern des Schachts im Fall von Stauungendie Möglichkeit zum Abbremsen zu geben.

Immerhin war es trotz allem nicht geradeeine bequeme Leiter, die mich nach obenführte.

Nicht denken! befahl ich mir selbst, undgleichzeitig wünschte ich mir, ich könntemir die Ohren zustopfen. Das Geschrei vonunten war zu einem entsetzlichen Stöhnenherabgesunken. Von oben drang das Röhrenvon Triebwerken in den Schacht. Auch dortwurde geschrien, und ich hatte den Ein-druck, als wäre auf der Oberfläche der Teu-fel los. Niemand kümmerte ich um die Ver-letzten im Schacht, und keiner kam auch nur

auf die Idee, einmal hineinzusehen, um Leu-ten wie mir aus der Klemme zu helfen.

Als ich mich bei meiner kurzen Atempau-se umsah, entdeckte ich noch zwei andereMänner, die sich gleich mir rechtzeitig fest-gehalten hatten. Auch sie bemühten sichverzweifelt, sich in Sicherheit zu bringen.

Nicht denken!Leichter gesagt als getan. Der nächste

Schwung nach oben. Halt fassen, Ausschauhalten nach der nächsten Stange – wie langekönnen fünf Meter werden? Ich hatte denEindruck, als wäre eine Ewigkeit vergangen,bis ich endlich unmittelbar unter derSchachtmündung hing. Mit letzter Kraft zogich mich hinauf. Der Boden war glatt, undmeine Finger rutschten immer wieder ab.Einen schrecklichen Moment lang hing ichmit einer Hand an der Kante, tastete mit deranderen nach einem Halt und wußte, daß ichabstürzen mußte, wenn es mir nicht gelang,mich festzuklammern.

Dann fand meine Rechte Halt in einer Rit-ze, die sich zwischen zwei Bodenplatten ge-bildet hatte.

Ich faßte mit der anderen Hand nach undbiß die Zähne zusammen, als das schartigeMetall in meine Finger schnitt. Dann endlichkam ich mit dem Oberkörper auf den Bodenzu liegen und rang sekundenlang nachAtem, ehe ich mich vollends hinaufziehenkonnte.

Ein kurzer Blick überzeugte mich davon,daß hier von der ehemals straffen Disziplinder Soldaten von Enorketron nichts mehr zubemerken war. Vor der Kuppel hastetenMänner hin und her, und keiner von ihnenschien ein Ziel zu haben. Ein paar hundertMeter entfernt stiegen fette Rauchwolkenauf. Ein Schlachtschiff stand in Flammen.

Ich erinnerte mich der beiden Männer imSchacht und sah mich hastig nach irgendei-ner Möglichkeit um, ihnen zu helfen. In die-sem Moment kam ein Soldat in die Kuppelgestürzt. Sein Gesicht zeigte den Ausdruckder nackten Angst. Ich hielt ihn am Armfest, als er eben Anstalten machte, in denSchacht zu springen.

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»Außer Betrieb!« schrie ich ihn an. »Wogibt es hier ein Seil oder so etwas Ähnli-ches?«

Er starrte mich verständnislos an, riß sichlos und rannte wie von Furien gehetzt wie-der hinaus. Ich schickte ihm einen Fluchnach, entdeckte dann eine Kabelrolle in ei-nem Winkel der Kuppel, die wahrscheinlichnach unten hatte transportiert werden sollen.In fliegender Hast rollte ich ein ausreichen-des Stück ab, durchschnitt das Kabel mit ei-nem Schuß aus dem Strahler, den ich zumGlück nicht verloren hatte, und wand das ei-ne Ende um eine Metallstrebe, die mir festgenug erschien. Ein zweiter Schuß mit starkgedrosselter Energie schweißte das Kabelfest. Ich rannte zum Schachtrand und blicktehinab.

Der eine hatte es fast geschafft. Er hingzwei Meter unter, mir und schien jetzt aller-dings am Ende seiner Kräfte zu sein. Aufmeinen Zuruf hin hob er den Kopf. Er sahdas Kabel, und ein verzerrtes Grinsen zeigtesich auf seinem Gesicht. Ich ließ mein im-provisiertes Rettungsseil hinab, und nachwenigen Sekunden stand der Arkonide ne-ben mir. Er begriff sofort, daß wir dem an-deren so schnell als möglich helfen mußten,denn dieser arme Kerl war beträchtlich wei-ter unten hängengeblieben und konnte sichkaum noch halten.

»Schlinge!« stieß der Fremde keuchendhervor. Ich zog hastig die Waffe, und wäh-rend er das Kabel in die richtige Stellungbrachte, schweißte ich das Ende zu einerSchlaufe zusammen. Ich hoffte, daß diesebehelfsmäßige Schlinge das Gewicht aus-hielt. Das Kabel war zu dick, um es einfachzu verknoten.

Der andere beugte sich über denSchachtrand und rief den weiter unten er-schöpft an einer Haltestange hängendenMann an.

»Keine Reaktion«, murmelte er schließ-lich. »Was jetzt?«

Ich streifte mir die Schlinge um dieSchultern.

»Langsam runter lassen!« befahl ich, und

der Fremde verschwendete keine Zeit mitlangen Fragen.

Mit Hilfe des Seiles kam ich ziemlichrasch bei dem hilflosen Mann im Schachtan. Erst als ich neben ihm auftauchte, wand-te er mühsam den Kopf. Er wollte etwas sa-gen, aber dazu blieb keine Zeit. Seine Händewaren weiß vor Anstrengung, und jetztmerkte ich auch, warum dieser Unbekanntekeine Anstalten getroffen hatte, sich selbstzu befreien. Sein rechtes Bein hing in einemmerkwürdigen Winkel herab. Er mußte essich beim Aufprall gebrochen oder verrenkthaben.

Ich hielt mich an der Stange fest. Am ein-fachsten wäre es zweifellos gewesen, denHilflosen zu packen und mich nach obenziehen zu lassen. Aber der Mann, der dasSeil hielt, war bereits ziemlich erschöpft,und es war außerdem fraglich, ob meine pro-visorisch zusammengeschweißte Schlingedas doppelte Gewicht zu tragen vermochte.

Verbissen bemühte ich mich, die Schlingeabzustreifen, ohne dabei in die Tiefe zu stür-zen. Mein Helfer am oberen Schachtrandverstand ohne jede Erklärung, was ich plan-te. Er ließ ein Stück Kabel nach, und ich di-rigierte die Schlinge unter den Körper mei-nes Schützlings. Langsam zog ich an. DerVerletzte gab einen dumpfen Schmerzens-laut von sich, als das stählerne Band seinrechtes Bein berührte, aber er bemühte sichtrotz seiner Schmerzen, mir zu helfen. End-lich hatte ich es geschafft, daß der Mannnicht mehr abstürzen konnte, solange ernicht vollends die Nerven verlor.

»Festhalten!« befahl ich und griff nachseiner Hand. Sie war so fest um die Metall-stange gekrampft, daß er sie nur mühsam zulösen vermochte. Dann hatte er sie um dasKabel seiner Brust geschlossen und besaßeinen ziemlich sicheren Halt. Dennoch muß-te ich ihm auch beim Lösen der zweitenHand helfen.

Ich atmete auf, als der Verletzte nun inder Schlinge hing und langsam nach obenschwebte. Da ich mir jedoch darüber klarwurde, daß die Kräfte des zuerst geretteten

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Mannes für zwei Manöver dieser Art nichtausreichen würden, arbeitete ich mich inzwi-schen lieber selbst weiter nach oben.

Als ich dann wieder neben dem Schachtstand, fühlte ich mich wie ausgelaugt. Ichhatte zwei Männern helfen können – aberdas dumpfe Stöhnen aus der Tiefe war nochimmer nicht verstummt.

»Danke!« sagte der Mann, der mir überden Rand geholfen hatte.

»Was machen wir mit ihm?« fragte ichund deutete auf den Verletzten, der inzwi-schen das Bewußtsein verloren hatte.

Der Fremde zuckte die Achseln.»Es wird wenig Zweck haben, jetzt nach

einem Medoroboter zu rufen«, murmelte ergrimmig. »Wir können ihn mitnehmen. Esgibt einen normalen Fahrschacht. Vielleichtnimmt ihn dort jemand mit nach unten.«

Wir packten den Bewußtlosen und mach-ten uns ohne weitere Diskussionen auf denWeg. Der Fahrschacht war nicht weit ent-fernt. Ein wildes Durcheinander herrschte anseinem Eingang. Ich hatte wenig Hoffnung,unseren Schützling in einem der zahlreichenGleiter unterzubringen, aber mein Begleiterzückte plötzlich einen Dienstausweis, trat anden nächsten wartenden Gleiter heran underreichte, daß der Fahrer die hintere Tür öff-nete. Wir legten den Bewußtlosen hinein,dann schwirrte das Fahrzeug davon.

»Was haben Sie jetzt vor?« fragte derMann, der offensichtlich ein Offizier war.

»Keine Ahnung«, antwortete ich achsel-zuckend.

»Sind Sie keiner Einheit zugeteilt?«Ich schwieg, denn diese Frage war ziem-

lich verfänglich für mich.»Im Augenblick ist so etwas auch nicht

von Bedeutung«, meinte der Fremdeschließlich. »Sie haben mir das Leben geret-tet, und so etwas vergißt man nicht. Ich wür-de vorschlagen, wir bleiben zusammen. Inmeiner Begleitung kommen Sie leichterdurch die Sperren. Ich will versuchen, michzum nächsten Landefeld durchzuschlagenund Verbindung zu meiner Dienststelle auf-zunehmen. Kommen Sie mit?«

Ich überlegte nicht lange. In diesem Ge-biet war der Aufenthalt zur Zeit nicht unge-fährlich für mich. Sobald die Lage auf derOberfläche sich einigermaßen geklärt hatte,würden auch die Kontrollen wieder funktio-nieren. Bis dahin wollte ich diesen Ort ver-lassen haben. Der Geheimdienst suchte michnoch immer.

So machten wir uns auf den Weg.

*

Mein Begleiter hieß Tharmiron Obos undwar einer der leitenden Offiziere in der Kon-trollzentrale für das Landefeld sieben, wie ermir erzählte. Obwohl die Gefahr bestand,daß er von mir bereits gehört hatte, nannteich den Namen, unter dem ich mich hier aufEnorketron bewegte: Vregh Brathon.

Wir gelangten nach einem kurzen Marschüber den Raumhafen an einen Fahrschacht,durch den wir laut Tharmiron eine derTransportstationen erreichen sollten, in derdie Kapseln der Röhrenbahnen hielten.

»Verdammte Maahks!« stieß er zwischenden Zähnen hervor, als wir in weitem Bogendas Wrack eines Schlachtschiffs umgingen.»Ausgerechnet in Trantagossa müssen, dieseBestien auftauchen!«

Ich schwieg und überlegte, wie ich jetztmein selbstgesetztes Ziel erreichen sollte. Ir-gendwie mußte ich Magantilliken und dasSKORGON erreichen – ob Tharmiron mirdabei helfen konnte?

Mir fiel plötzlich ein, was Shelon mirüber Amarkavor Heng erzahlt hatte. Angeb-lich benutzte der Kommandeur einen Teilder Positroniken für seine privaten Zwecke,die in erster Linie darin bestanden, jeden indiesem System zu bespitzeln. Shelon hattegemeint, wenn ein direkter Angriff auf dasTrantagossa-System oder gar auf Enorketronstattfinden sollte, würden sich diese Separat-schaltungen möglicherweise katastrophalauf die Verteidigung auswirken.

Nun wußte ich sehr gut, daß Shelon kei-neswegs ein Reparaturtechniker war, deraufgrund dieser Erkenntnisse bestraft wor-

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den war. Shelon gehörte dem hiesigen Ge-heimdienst an, und sein nicht gerade saube-rer Auftrag lautete, Soldaten zum Desertie-ren zu überreden, um sie dann seiner Behör-de auszuliefern. Aber wenn der Bärtige nunin gewisser Hinsicht genau ins Schwarze ge-troffen hatte?

»Ich verstehe nicht, wie es überhaupt soweit kommen konnte«, bemerkte ich vor-sichtig. »Ein Stützpunkt wie dieser – mansollte meinen, da kämen selbst die Maahksnicht weit!«

Tharmiron reagierte sofort.»Das stimmt«, knurrte er bissig. »Aber

auf diesem Planeten ist so einiges nicht ganzin Ordnung. Unser ehrenwerter Komman-deur hat seine eigene Meinung darüber, wiedie offiziellen Mittel verwendet werden sol-len. Schon seit einigen Jahren wird nur nochwenig getan, um die vorhandenen Einrich-tungen zu verbessern. Bis jetzt habe ich denMund gehalten, um meine Karriere nicht zugefährden, aber ich bin fest entschlossen, ei-ne entsprechende Meldung zu machen, fallsich diesen Angriff lebend überstehe. Undwenn ich bis zum Imperator persönlich vor-dringen muß! Nur weil der Kerl unter Ver-folgungswahn leidet, ist dieser Stützpunkt inGefahr geraten. Ich habe sogar den Ver-dacht, daß er mit seinem SKORGON selbstdie Methans auf die Spur gebracht hat!«

Ich horchte auf.»SKORGON?« fragte ich.»Hast du noch nichts davon gehört?«

fragte er verwundert. »Das ist sein Privat-raumschiff. Es ist nicht groß, aber hervorra-gend ausgestattet. Wenigstens sagt man das.Die Leute, die das Ding für Heng gebaut ha-ben, sind spurlos verschwunden, sie könnenalso nichts darüber berichten. Aber derKommandeur hat angeordnet, daß dasSKORGON von der allgemeinen Raumüber-wachung nicht verfolgt werden darf. Werweiß, wie oft der Kerl damit in der Nähe desSystems herumgeschwirrt ist, ohne auch nurdie einfachsten Sicherheitsmaßnahmen zubeachten!«

Wir kamen nicht dazu, unser Gespräch

fortzusetzen, denn der Schachteingang lagvor uns. Auch hier stauten sich die Fahrzeu-ge. Für Fußgänger waren diese Wege ge-sperrt, aber bei der derzeitigen Lage schiensich niemand mehr um solche Verbote zukümmern. Tharmiron zog erneut seinenAusweis, aber ich hielt ihn hastig am Armfest.

»Weg damit!« flüsterte ich scharf. Er sahmich verdutzt an, dann bemerkte auch er,was sich einige Meter vor uns abspielte.

Einige Soldaten waren damit beschäftigt,einen Offizier zusammenzuschlagen. Im Ge-gensatz zu Tharmiron, der eine normaleKombination trug und daher nicht auffiel,trug sein bedauernswerter Kollege eine Uni-form. Die Soldaten, deren Leben auf Enor-ketron nicht gerade rosig zu nennen war, sa-hen anscheinend eine günstige Gelegenheit,sich an denen zu rächen, die sie für die Miß-stände im Trantagossa-Stützpunkt für ver-antwortlich hielten.

»Verdammt!« knirschte Tharmiron wü-tend.

Ich zog ihn hastig fort. Gegen eine solcheÜbermacht war auch der tapferste Mannmachtlos.

»Ein paar Bomben«, murmelte der Offi-zier. »Und schon bricht alles zusammen!«

»Nicht alles«, versuchte ich ihn zu beruhi-gen. »Aber wo soviel Zwang herrscht, dastauen sich die Aggressionen.«

Wie zur Bestätigung startete in unsererNähe ein Raumschiff unter ohrenbetäuben-dem Dröhnen. Ich sah ihm nach und glaubte,hoch oben am Himmel das Blitzen energeti-scher Entladungen zu sehen. Mir fiel ein,daß es möglicherweise ein Mittel gab, michüber den Verlauf der Kampfhandlungen zuinformieren und zog das Bildsprechgerät ausder Tasche.

Tharmiron schnappte nach Luft. Er kanntediese Art von Geräten. Sie wurden auf Enor-ketron nahezu ausschließlich vom Geheim-dienst benutzt.

Mir war sofort klar, daß ich einen Fehlergemacht hatte. Tharmiron hatte sich nichtsehr freundlich über Heng geäußert. Er muß-

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te annehmen, seine aufsässige Rede vor ei-nem der überall anwesenden Spitzel gehal-ten zu haben.

Das Gerät selbst löste erstaunlicherweisemein Problem.

Ich hatte damit gerechnet, daß sich auchder Geheimdienst in dieser kritischen Situa-tion voll in den Dienst der Verteidigungstellte. Dabei unterschätzte ich AmarkavorHengs abartige Gefühle. Ihn schien es wenigzu kümmern, daß sein Stützpunkt zusam-mengeschossen wurde. Er zitterte nach wievor vor möglichen Mördern.

Magantillikens neues Gesicht erschien aufdem Bildschirm. Ich hoffte, Neuigkeitenüber den Henker zu erfahren und drehte denTon auf höchste Lautstärke. Wir standen ne-ben der Kuppelwand, hinter der der Schachtbegann. Da außer einem Roboter augen-blicklich niemand in unmittelbarer Nähewar, brauchte ich nicht zu befürchten, daßnoch andere Leute auf die Idee kämen, ichgehörte dem Heer der verhaßten Spione an.

Enttäuscht vernahm ich, daß über denVerbleib des Henkers nichts bekannt war.Man suchte noch immer nach ihm. Tharmi-ron stieß neben mir ein wütendes Grunzenaus, und ich verstand ihn nur zu gut. Stattsich um die Verletzten zu kümmern, an derReorganisation der Streitkräfte mitzuarbei-ten und ähnlich wichtige Aufgaben zu über-nehmen, konzentrierten Hengs Kreaturensich nach wie vor auf eine Gespensterjagd.

Dann aber wechselte das Bild, und plötz-lich sah ich mein eigenes Konterfei auf demBildschirm.

»Der Gefangene Vregh Brathon tauchtekurz vor dem Angriff in der Freien Zone derSektion sieben auf. Da er sich intensiv nachdem von uns gesuchten Fremden erkundigte,wird angenommen, daß er mit der wiederer-wachten Leiche in unmittelbarem Zusam-menhang steht. Daher wird befohlen, ihn un-verzüglich zu verhaften, sobald er irgendwoauftauchen sollte. Es ist anzunehmen, daß ersich nach Sektion acht begeben hat.«

Die leiernde Stimme aus dem Lautspre-cher ging im Röhren eines Triebwerks unter.

Als wir wieder einigermaßen hören konnten,hatte die Stimme das Thema gewechselt undbefaßte sich nunmehr mit irgendeiner obsku-ren Verschwörung. Der Alltag des Geheim-dienstes von Enorketron schien durch denAngriff der Maahks nicht betroffen zu wer-den.

»Du siehst diesem Brathon nicht ganz un-ähnlich!« stellte Tharmiron fest und muster-te mich mißtrauisch.

Ich grinste etwas unglücklich. Auch einWeg, meine augenblicklichen Schwierigkei-ten zu beseitigen, dachte ich und faßte einenEntschluß, den mein Extrahirn zwar mißbil-ligte, der mich jedoch mit Sicherheit endlichzu Magantilliken brachte.

Ich tastete in der Tasche nach der kleinenTube, die Gajana mir mit auf den Weg gege-ben hatte.

Tharmiron beobachtete mich aufmerksam,als ich etwas von der weißlichen Creme überden Stellen in meinem Gesicht verrieb, andenen die dünnen Bioplaststreifen saßen.Das künstliche Gewebe löste sich, und ichriß es achtlos ab. Die Haut darunter prickelteetwas, und ich fragte mich, ob ich jetzt nichtziemlich scheckig aussah. An TharmironsBlick erkannte ich, daß er nun klar sah, wener vor sich hatte.

»Man sucht dich also«, sagte er langsam.»Ist es nicht sehr unklug, die Maske abzule-gen? Ich werde dich auf keinen Fall verraten– schließlich wäre ich ohne dich vermutlichnicht mehr am Leben. Aber jeder Spitzelwird dich nun erkennen.«

»Genau das hoffe ich!« entgegnete ichernst. »Allerdings rechne ich damit, daß dumich höchst persönlich beim Geheimdienstabliefern wirst.«

Er sah mich an, als glaube er, ich hätteden Verstand verloren.

»Das kann nicht dein Ernst sein!« stieß erendlich hervor.

»Oh doch. Du wirst sogar gute Gründehaben, das zu tun. Einmal hast du dadurchdie Chance, deine Karriere erfolgreich fort-zusetzen. Zweitens trägst du dazu bei, dieMaahks aus diesem System zurückzuschla-

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gen und ihnen eventuell eine große Nieder-lage zu bereiten.«

Die Augen des jungen Offiziers wurdenschmal. Wie alle Arkoniden, die an diesemsinnlosen Kampf gegen die Maahks teilnah-men, hatte er einen unwahrscheinlichen Haßgegen die Maahks entwickelt. Sie entschei-dend schlagen zu können – das war bisherein Wunschtraum geblieben.

Er sah mich lange so an und schwankteanscheinend zwischen der Meinung, ich seiübergeschnappt, und der Hoffnung, an mei-nen Behauptungen könne doch etwas Wah-res sein.

»Erkläre das näher!« forderte er schließ-lich.

»Da du auf dem Landefeld sieben arbei-test, nehme ich an, daß du weißt, wie derFremde nach Enorketron kam«, begann ichvorsichtig. Ich bewegte mich auf trügeri-schem Boden. Es konnte durchaus sein, daßdie Arkoniden varganische Waffen erbeutethatten, die den Maahks Einhalt gebietenkonnten. Ebensogut war es jedoch möglich,daß man außer den Schläfern und den klei-nen Gegenständen, die Magantilliken an sichgebracht hatte, so gut wie nichts nach Enor-ketron gebracht hatte. Eines war allerdingsvon vornherein klar – Magantilliken würdenicht aus purer Menschlichkeit eingreifen.Selbst wenn ihm die entsprechenden Mittelzur Verfügung standen, das Trantagossa-Sy-stem von den unerwünschten Eindringlingenzu befreien, würde man ihn zwingen müs-sen, sie auch zu benutzen.

Ich glaubte jedoch, einen Weg zu kennen,auf dem man den Henker in diesem Sinnebeeinflussen konnte. Magantilliken befandsich in einer Zwangslage – soviel hatte ichimmerhin schon begriffen. Ich wußte umseine Fähigkeit, den Körper nach Beliebenzu wechseln. Hätte er Enorketron auf diesemWege verlassen, so wäre seine »Leiche« be-reits gefunden worden. Da eine solche Mel-dung bisher nicht eingetroffen war, mußteMagantilliken nach wie vor auf Enorketronsein. Die logische Schlußfolgerung darauswar, daß der Henker seine unheimlichen Fä-

higkeiten im Augenblick nicht voll zu nut-zen vermochte.

Für diesen Fall hatte ich ihm ein lukrati-ves Angebot zu machen. Allerdings war esnotwendig, daß ich das Wagnis einging, mitAmarkavor Heng persönlich Verbindungaufzunehmen.

Tharmiron schnappte den Köder sofort.»Ich selbst habe die Entladearbeiten der

BARGONNA überwachen helfen«, bestätig-te er.

»Waren nur die Leichen an Bord, oderbrachte man noch andere Sachen mit?«

»Ich weiß es nicht genau«, gab der Offi-zier zu. »Man machte ein Riesengeheimnisum diese Angelegenheit. Aber da man eineganze Anzahl ziemlich großer Kisten vonBord schaffte, nehme ich an, daß die Beuteetwas umfangreicher war. Wegen der zwölfKörper hätte Heng wohl auch kaum ein sol-ches Theater veranstaltet.«

Ich nickte zufrieden. Wenn ich davon aus-ging, wie fremdartig die Geräte der Varga-nen waren, wußte vermutlich noch niemand,was die eroberten Gegenstände überhauptdarstellten, geschweige denn, wie man damitumging.

»Ich habe diesen Fremden schon frühergetroffen«, fuhr ich langsam fort. »SeinVolk verfügt über technische Mittel, die füruns einfach unvorstellbar sind. Ich nehmeals sicher an, daß sich unter der Beute diesesForschungsschiffs auch Waffen befinden.Sie mögen dem äußeren Umfang nach kleinsein, aber die könnten imstande sein, dieMaahks vernichtend zu schlagen. Ich verste-he von der Technik der Fremden zu wenig,um mit diesen Geräten umgehen zu können.Aber der Mann, der so plötzlich zum Lebenerwacht ist, ist damit vertraut. Ich habe dieMittel, ihn dazu zu zwingen, daß er uns hilft.Und ich weiß sogar ungefähr, wohin er ge-gangen sein dürfte. Wenn ich die Möglich-keit erhalte, mich mit ihm in Verbindung zusetzen, hat Trantagossa noch eine Chance!«

Tharmiron zögerte immer noch. Ich über-legte verzweifelt, welche Argumente ichnoch vortragen konnte, ohne ihm zuviel über

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Magantilliken und die Varganen zu verraten– ich legte keinen Wert darauf, meine Artge-nossen auf einige Dinge aufmerksam zu ma-chen, die mir später zum Verhängnis wur-den.

Falls es für dich ein ›Später‹ noch gibt,bemerkte mein Extrahirn. Du hast soebenden Kopf in die Schlinge gesteckt.

In diesem Augenblick sprach Tharmiron,und ich merkte, daß ich den Offizier falscheingeschätzt hatte.

»Ich weiß nicht, wer du wirklich bist,Vregh Brathon«, sagte er bedächtig. »Aberich fürchte, du hast keine Ahnung, in welcheGefahr du dich begeben willst! Um das zuerreichen, was du jetzt angedeutet hast, ge-nügt es nicht, wenn ich dich zum Geheim-dienst bringe. Die erforderlichen Befehlekann nur Heng persönlich erteilen. Er hältauf Enorketron alle Fäden in der Hand. Wiedu siehst, interessiert ihn das Schicksal sei-nes Stützpunkts wenig. Er bangt nur um seinLeben. Du willst mit ihm verhandeln. Aberdu weißt nicht, wie Heng auf solche Vor-schläge zu reagieren pflegt. Vielleicht ge-stattet er es tatsächlich, daß du den Fremdensuchst. Möglicherweise erteilt er sogar dieErlaubnis, daß du mit ihm verhandelst. Aberschon beim Einsatz dieser Superwaffen wirdes Schwierigkeiten geben. Heng wird auto-matisch annehmen, daß du einen Angriff aufsein Leben planst. Und selbst wenn er seinMißtrauen in diesem Fall überwindet – so-bald die Lage geklärt ist, wird er sowohldich als auch den Fremden aus dem Weg-schaffen.«

»Das ist mir klar«, erwiderte ich ruhig.»Und ich gehe das Risiko ein, weil ich er-stens nicht tatenlos zusehen kann, wie dieMaahks das Trantagossa-System in einenTrümmerhaufen verwandeln, und weil ichzweitens hoffe, mich ausreichend absichernzu können. Heng ist unberechenbar – ichwerde ihm nicht blindlings vertrauen.«

»Kann sein«, knurrte Tharmiron. »Aberich bin seit einiger Zeit hier und weiß, wo-von ich rede. Ich liefere einen Mann, demich mein Leben verdanke, nicht dem siche-

ren Tod aus.«»Das ehrt dich«, lächelte ich. »Aber wenn

es nicht anders geht, werde ich dich dazuzwingen müssen!«

Der Offizier starrte auf den kleinen Strah-ler, der plötzlich in meiner Hand lag. Erschüttelte langsam den Kopf.

»Lebensmüden Leuten kommt man mitLogik nicht bei«, stellte er resignierend fest.»Also gut, gehen wir …«

Ich sah den winzigen Schatten, der überdas Landefeld huschte und riß Tharmiron zuBoden. Er reagierte sofort, drückte sich ge-gen die Kuppelwandung und schützte denKopf mit den Armen. Der Blitz, der eine Se-kunde später aufflammte, war so hell, daßich ihn körperlich zu spüren glaubte. DasKrachen der Explosion zerriß mir fast dieTrommelfelle, und die Hitzewelle, die überuns hinwegfegte, war fast unerträglich. Aberwir überlebten, und das war die Hauptsache.Rings um uns herum war das. Chaos. DieBombe der Maahks hatte ein gerade starten-des Schiff aus der Bahn gerissen und be-schädigt. Der Raumer heulte wie ein riesen-haftes Geschoß über den Himmel und krach-te dann zu Boden, wobei er eine neue Explo-sion auslöste. Trümmerstücke zischten überuns hinweg, und als wir endlich aufzu-blicken wagten, hatten wir das Gefühl, in ei-ner Hölle gelandet zu sein.

Ich sah, daß Tharmiron die Lippen be-wegte, aber meine Ohren nahmen das Ge-räusch nicht auf. Er faßte mich am Arm undzog mich vorwärts. Wir stolperten um dieKuppel herum.

Der Eingang zum Fahrschacht war jetztfrei. Tote und Verletzte lagen zwischen denTrümmern zerdrückter Gleiter. Wir warendurch die Kuppel von der ungeheuerenDruckwelle einigermaßen verschont geblie-ben, aber auf dieser Seite herrschte totaleZerstörung. Der Eingang zum Schacht warfast völlig versperrt. Stahlstreben hingenherab. Dazwischen hatten sich Fahrzeugeverfangen. Ein Gleiter hing dicht unter derDecke und brannte. Die glühenden Trümmerregneten herab und stifteten weiteres Unheil.

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Tharmiron kümmerte sich um all dasnicht. Er zog mich verbissen vorwärts, undauch wenn ich fürchtete, daß man in dentiefer gelegenen Regionen kaum sichereraufgehoben war, als auf der Oberfläche, sofolgte ich ihm doch.

Die ersten hundert Meter waren die Hölle.Wir stolperten durch brennende und glim-mende Trümmer. Die Rauchschwaden, dieuns von unten entgegentrieben, waren teil-weise so dicht, daß wir uns an den Händenfassen mußten, um uns nicht zu verlieren.Wir husteten uns fast die Lunge aus demHals. Blind von lauter Tränen arbeiteten wiruns vorwärts.

Endlich wurde der Rauch dünner, und dieBrände blieben hinter uns zurück.

»Da unten ist doch nichts mehr zu holen!«keuchte ich, denn es war offensichtlich, daßdie Bombe auch in den subplanetarischenAnlagen verheerende Zerstörungen ange-richtet hatte.

Tharmiron antwortete nicht. Er schrittzielstrebig vorwärts, und ich wunderte mich,woher er die Kraft nahm, sich immer nochaufrecht und gerade zu halten. Ich selbst tau-melte mehr, als ich ging.

Zahllose Menschen hasteten an uns vor-bei. Niemand schien noch zu wissen, wohiner sich wenden sollte. Viele der Männer undFrauen, denen wir begegneten, waren ver-letzt, manche hatten sich mit allen mögli-chen Gegenständen beladen, die sie zu rettenhofften. Ich fühlte mich in einen Alptraumversetzt. Alles, was hier geschah, schiensinnlos. Die Menschen, die nach oben flo-hen, mußten damit rechnen, der nächstenBombe zum Opfer zu fallen. Diejenigen, dieihr Glück in der entgegengesetzten Richtungversuchten, konnten nicht sicher sein, obnicht dieses ganze Höhlensystem bei dernächsten starken Erschütterung in sich zu-sammenfiel.

Tharmiron ließ sich durch nichts beirren.Er drängte sich energisch vorwärts, und ichfolgte ihm, denn ich nahm an, daß er michgeradewegs zu meinem Ziel führte. Ich hattemich nicht geirrt. Er bog nach einiger Zeit in

einen Seitengang ein und blieb endlich voreinem Schott stehen.

»Willst du immer noch zu Hengs Scher-gen?« erkundigte er sich grimmig.

Ich nickte.Er drückte auf einen Knopf, und das

Schott öffnete sich.Drei Männer in den mir bereits bekannten

violetten Uniformen blickten uns entgegen.Sie hielten Impulsstrahler in den Händen.

*

»Sieh mal an!« murmelte der Mann hinterdem Arbeitstisch und musterte mich auf-merksam. »Unser verlorengegangenerSchützling kehrt ganz von selbst in das Nestzurück! Wozu sind Sie eigentlich so langegeflohen, wenn Sie sich jetzt von selbst stel-len?«

Ich ließ mich von dem heiteren Gespräch-ston nicht täuschen. Der hagere Mann mitt-leren Alters hieß Kiran Thas und war Sekti-onschef. Wer es in Hengs Diensten so weitbrachte, durfte nicht zimperlich sein.

»Sie sind also der gesuchte Vregh Bra-thon«, fuhr Thas fort und stützte sich mitden Unterarmen auf die Tischplatte. »Ichfreue mich, Sie zu sehen. Ob diese Freudeallerdings beiderseitig sein wird, muß sichnoch erweisen. Zaroia Kentigmilan hat unsempfohlen, Ihnen gründlich auf den Zahn zufühlen. Wir werden das tun!«

Tharmiron trat einen Schritt vor und standnun unmittelbar vor dem Tisch, hinter demThas in selbstgefälliger Pose hockte.

»Passen Sie auf, Thas!« sagte er langsam.»Und hören Sie mir gut zu! Dieser Mann hatmir das Leben gerettet, und ich hätte ihn un-ter keinen Umständen hierher gebracht,wenn ich nicht wüßte, daß er über wichtigeInformationen verfügt. Wir haben Ihnen die-se Geschichte bereits erzählt. Wenn Sie jetztnicht sofort Ihre Pflicht tun und Brathon dieMöglichkeit geben, sich mit dem geheimnis-vollen Fremden in Verbindung zu setzen,bringe ich Sie vors Kriegsgericht! Die Aus-künfte dieses Mannes können entscheidend

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dafür sein, ob Trantagossa zerstört wird odernicht!«

Thas blickte den Offizier beinahe gleich-gültig an.

»Brathon wird zweifellos Gelegenheit be-kommen, sich mit seinem seltsamen Freundzu unterhalten«, erklärte er spöttisch. »Abererst dann, wenn ich das für richtig halte.Vorher möchte ich noch ein paar Auskünftevon ihm haben. Zum Beispiel, woher erkommt und wer er wirklich ist.«

Tharmiron ballte die Hände zu Fäusten.»Draußen ist der Teufel los«, knirschte er,

»und Sie vergeuden hier unten die Zeit! FürIhre Fragen haben Sie noch reichlich Gele-genheit, wenn der Kampf vorbei ist! Ichwarne Sie – Sie machen sich mitschuldig amUntergang dieses Stützpunkts, wenn Sienicht endlich etwas unternehmen!«

Ich sah die blitzschnelle Bewegung undstieß einen Warnschrei aus. Tharmiron warfsich zur Seite, aber es war zu spät. Aus derVorderkante des Tisches hatte sich der Laufeines Paralysators geschoben. Der Schußtraf den jungen Offizier voll, und er ging so-fort zu Boden. Mein Versuch, ihm zu Hilfezu kommen, wurde von der Wache vereitelt,die hinter mir stand.

»Keine Bewegung!«Ich stand stocksteif da und überlegte fie-

berhaft, wie ich die Situation zu meinenGunsten ändern könnte.

Ich hatte selbstverständlich mit Schwie-rigkeiten und Mißtrauen gerechnet, aber an-gesichts der kritischen Lage geglaubt, dieseHindernisse meistern zu können. Daß mansich beim Geheimdienst in einem solchenMaße über das Geschehen im System hin-wegsetzen würde, hatte ich nicht erwartet.Tharmiron hatte mich gewarnt, und auch dasExtrahirn war mit meinem Vorhaben nichteinverstanden gewesen. Trotzdem hatte iches gewagt. Und nun stand ich diesen Män-nern gegenüber, die sich den Teufel darumscherten, daß die Maahks angriffen.

»Bisher hat Ihr Komplize geredet«, wand-te Thas sich an mich, als wäre gar nichts ge-schehen. »Jetzt würde ich ganz gern auch

von Ihnen etwas hören!«»Was geschieht mit diesem Mann?« woll-

te ich wissen.Die Frage paßte dem Sektionschef nicht

ins Konzept, aber er rang sich doch zu einerAntwort durch.

»Unsere Lazarette kennen Sie ja«, erklärteer gelassen. »Wenn Tharmiron Obos dortwieder entlassen wird, werden einige Stückein seiner Erinnerung fehlen. Er wird nieman-den denunzieren, und er wird auch in Zu-kunft nicht mehr über Probleme nachden-ken, die ihn nichts angehen. Er wird einfolgsamer kleiner Raumsoldat sein – gesetztden Fall, er überlebt die Operationen.«

»Sie sind ein Monstrum!« stieß ich her-vor. »Sie passen genau zu Ihrem Komman-deur!«

»Was wollen Sie eigentlich?« fragte Thasachselzuckend. »Er hat immerhin eine Chan-ce, zu überleben! Das ist etwas, was Siewohl kaum erhalten werden. Aber ich habeden Eindruck, ich verschwende tatsächlichmeine Zeit, wenn ich mich jetzt mit Ihnenunterhalte. Wenn Sie erst einige Stunden beiuns waren, wird unser Gespräch sicher vielflüssiger und aufschlußreicher ausfallen!«

Thas gab der Wache einen lässigen Winkmit der manikürten Rechten. Der Unifor-mierte, dessen Waffe während der gesamtenUnterhaltung auf mich gerichtet gebliebenwar, versetzte mir einen Stoß, und ich stol-perte zur Tür. In diesem Augenblick erhelltesich ein Bildschirm auf dem Arbeitstisch desSektionschefs. Ich sah Amarkavor Heng undblieb unwillkürlich stehen.

Thas war merklich blasser geworden.Auch seine Selbstsicherheit trat nun nichtmehr so deutlich hervor. Der Anblick desKommandeurs fuhr ihm sichtlich in dieKnochen.

»Vregh Brathon ist sofort zum Tor C zubringen!« dröhnte die Stimme Hengs durchden Raum. »Er ist dort unversehrt abzulie-fern. Sie, Thas, bürgen mir dafür mit IhremLeben!«

5.

Die Schlacht von Trantagossa 29

Page 30: Die Schlacht von Trantagossa

Magantilliken lächelte beinahe amüsiert,als er den dritten Schutzschirm durchschrit-ten hatte. Heng schien sein Leben wirklichsehr hoch einzuschätzen. Der Kommandeurhatte alle technischen Mittel seines Volkesausgeschöpft, um jedem Unbefugten dasEindringen in sein geheimes Reich zu ver-wehren. Er hatte dabei jedoch nicht mit denErrungenschaften der varganischen Technikgerechnet.

Die Schutzschirme stellten für den Hen-ker keine ernstzunehmenden Hindernissedar. Die Alarmvorrichtungen waren in sei-nen Augen vergleichsweise primitiv ange-legt. Und die wachsamen Robotanlagen, de-ren positronische Sonden auf jede Unregel-mäßigkeit reagierten, waren machtlos, wennsie den Eindringling nicht aufspüren konn-ten.

Ähnlich war es bei den elektronischenVerriegelungen der Schotte. Magantillikenshochwertige Geräte ertasteten die notwendi-gen Impulse, kopierten sie und strahlten sieerfolgreich ab. Widerstandslos öffnete sichein Tor nach dem anderen. Die maschinellenDiener Amarkavor Hengs vermochten diegefälschten Impulse des Henkers nicht zu er-kennen. Die Spionaugen, auf deren Installie-rung Heng auch in seinem eigenen Machtbe-reich nicht verzichtet hatte, traten nur dannin Tätigkeit, wenn die positronischen Sicher-heitseinrichtungen den entsprechenden Be-fehl gaben. Dieser Fall jedoch trat nicht ein,und so blieb Magantilliken völlig unbe-merkt.

Er gelangte durch zahlreiche Gänge bis anden Zugang zu einer Transportröhre, undhier trat erstmals ein etwas schwierigeresProblem auf.

Das Transportsystem war auf Hengs Indi-vidualimpulse ausgerichtet. Niemand außerihm selbst konnte es benutzen, es sei denn,der Kommandeur hob über die Zentralschal-tung die Kontrolle für begrenzte Zeit auf.

Magantilliken war sich kurze Zeit imZweifel darüber, ob er nicht aus Gründender Zeitersparnis eine Entdeckung in Kaufnehmen sollte. Er war jetzt weit genug vor-

gedrungen, um einen solchen Schritt zu wa-gen. Die gewaltigen Ansammlungen emp-findlichster technischer Einrichtungen jen-seits der kahlen, schmucklosen Metallwändemachten es seinem Gegner unmöglich, ener-getische Waffen konzentriert einzusetzen.Mit einem nicht allzu starken Beschuß je-doch wurde der Schutzschirm, den er jeder-zeit aktivieren konnte, spielend leicht fertig.

Aber dann ging er doch an die zeitrauben-de Arbeit. Er hatte sich inzwischen ein ziem-lich genaues Bild von Amarkavor Heng ge-macht. Die Tatsache, daß der Kommandeursich hinter so vielen Abwehranlagen ver-schanzte, diente dem Henker als Beweis da-für, daß Heng nicht zu den mutigsten Leutengehörte. Bemerkte er, daß der Vargane sichauf dem Weg zu ihm befand, so würde erzweifellos die Flucht ergreifen.

Der Henker legte jedoch keinen Wert dar-auf, Heng um den halben Planeten zu jagen.Er fürchtete außerdem, daß der Arkonide aufdie Idee kommen könnte, sich mittels seinesSKORGONS der Verfolgung zu entziehen.Das aber hätte sich mit Magantillikens Plä-nen schlecht vertragen.

Er atmete auf, als nach fast einstündigerkonzentrierter Arbeit auch dieses Problemgelöst war. Der Impuls, der den Einstieg zurRöhrenbahn öffnete, war in MagantillikensGeräten gespeichert. Von nun an vermochteer Hengs Transportsystem zu benutzen,wann immer er das wollte.

Die erste Fahrt war nur kurz. Die Tür fuhrauf, und Magantilliken blickte in einenkreisförmigen Raum von etwa einhundertMetern Durchmesser. Bis in etwa Hüfthöhezogen sich pultartige Schalttafeln an denWänden entlang. Darüber befanden sichzahllose Bildschirme. Die Roboter, die dieAnlage überwachten, hatten den Eindring-ling noch nicht bemerkt, und Magantillikensorgte dafür, daß dieser Zustand auch erhal-ten blieb. Unsichtbar für die positronischenAugen der Servomaschinen betrat er denSaal.

Enttäuscht stellte er fest, daß AmarkavorHeng sich zur Zeit nicht in dieser Zentrale

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aufhielt. Er entdeckte die Zugänge zu denPrivatgemächern des Kommandeurs, aberauch dort hatte er keinen Erfolg. Als er nachdieser Suche in den Saal zurückkehrte, be-merkte er, daß sich inzwischen etwas verän-dert hatte.

Die riesige Fläche des Deckenbildschirmszeigte jetzt nicht mehr den freien Weltraum,sondern eine Raumplattform, die offensicht-lich der totalen Zerstörung nahe war. BlasseLichtstrahlen durchschnitten die Schwärzedes Raumes und griffen nach der Station imNichts. In lautlosen Detonationen lösten sichdie zahlreichen Aufbauten in sich rasch aus-dehnende Glutbälle auf. In Sekundenschnel-le zerbrach das ganze Gebilde.

Magantilliken runzelte unwillig die Stirn.Er mußte herausbekommen, was dort vorsich ging.

Er schritt an der langen Reihe der Bild-schirme entlang, sammelte Fakten und Ein-drücke, sah eine Außenaufnahme, die offen-sichtlich auf diesem Planeten entstanden warund eine fast zerstörte Landefläche zeigteund bekam endlich ein Raumschiff zu Ge-sicht.

Es war walzenförmig und wirkte drohendund häßlich. Es sandte Energiestrahlen aufeinige angreifende Kugelraumschiffe undverfügte offenbar über erstaunlich guteSchutzschirme, denn die Arkoniden erziel-ten trotz Einsatzes aller Mittel keinen ernst-haften Treffer.

Magantilliken wandte sich ab. Das Pro-blem war geklärt, aber ein anderes entstandan seiner Stelle.

Er wußte von dem erbitterten Krieg, dendie Arkoniden gegen jene Wasserstoff-Me-than-Atmer führten, die man Maahks nann-te. Den Henker ging diese kosmische Aus-einandersetzung nichts an. Er sah auch kei-nen Sinn in diesem Krieg, denn die Maahkskonnten mit den zerstörten Sauerstoffweltender Arkoniden nichts anfangen. In umge-kehrter Richtung galt dasselbe.

Obwohl er daher weder für die Arkoni-den, noch für die Maahks irgendwelcheSympathien hegte, hätte er letzteren jetzt am

liebsten den Hals umgedreht – bildlich ge-sprochen, denn die Maahks besaßen gar kei-nen Körperteil dieser Art.

Die Auseinandersetzung im Trantagossa-Sy-stem störte die Pläne des Henkers. Es galtnicht mehr, nur die arkonidischen Abwehr-anlagen zu überwinden, sondern auch zuverhindern, daß die Aggressoren das SKOR-GON angriffen. Magantilliken nahm an, daßHengs Fluchtschiff hervorragend bewaffnetwar. Es bestand also durchaus die Chance,die feindlichen Reihen zu durchbrechen.Aber er allein konnte nicht das Schiff steu-ern und die Waffen bedienen. Das hieß, daßer wahrscheinlich auch noch diesen Hengmitschleppen mußte.

Der Henker verzog unwillig das Gesicht.Die Zwangsmaßnahme seiner Artgenossen,die ihm die Rückkehr in die Eisige Sphäreverweigerten, erschwerte es ihm, sein Zielschnell und konsequent zu verfolgen.

Er fand einen Bildschirm, der ihm Aus-kunft darüber gab, wo er den Kommandeurantreffen konnte. Die Raumschlacht nahmeine Entwicklung, die ihm gar nicht gefiel.Auf Enorketron wurden Bomben abgewor-fen. Auch wenn die Arkoniden es nochschafften, das Steuer herumzureißen und dieAngreifer zu verjagen, bestand die Gefahr,daß die Maahks dem Henker gründlich dieSuppe versalzten. Auch wenn der Hangarfür das SKORGON noch so gut abgesichertwar, mochte ein Zufallstreffer verheerendeFolgen zeitigen.

Magantilliken vertraute sich erneut derRöhrenbahn an. Diesmal dauerte die Fahrtetwas länger.

*

Auch für Amarkavor Heng kam der An-griff der Maahks völlig überraschend. Erhörte die Alarmsignale und eilte in die Zen-trale. Als er dort eintraf, war zwischen denPlaneten der Kampf bereits in vollem Gan-ge. Der Deckenbildschirm zeigte die Wal-zenraumer der Maahks und eine Anzahl vonKampfszenen, die dem Kommandeur einen

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ungeheuren Schrecken einjagten.Er hastete zu seinem Spezialsessel, rief

durch einen Tastendruck einen seiner Robo-ter herbei und erkundigte sich aufgeregt,was eigentlich geschehen war.

Nachdem die Maschine ihren Bericht her-untergeleiert hatte, saß Heng sekundenlangganz still da. Ihm war klar, daß er vor einemWendepunkt stand. Es ging nicht mehr nurum Verschwörungen und Mordversuche,sondern auch um seine Karriere.

Wie sollte er dem Imperator des GroßenImperiums diesen ungeheuerlichen Überfallerklären?

Er überlegte eine Weile, dann kam ihmdie Erleuchtung.

Natürlich, so und nicht anders mußte essein! Jemand hatte sich mit den Maahks inVerbindung gesetzt und ihnen alles Wis-senswerte über den Stützpunkt verraten. Je-mand, der nichts anderes plante, als Amar-kavor Heng zu schädigen.

Amarkavor Heng knirschte erbittert mitden Zähnen. Wer konnte hinter dieserSchweinerei stecken?

Es gab unzählige Verdächtige. Es bliebauch keine Zeit, jetzt alle entsprechendenFakten den Positroniken zur Auswertung zuübergeben. Bis die Maschinen das umfang-reiche Material durchsucht hatten, war dasTrantagossa-System nur noch ein Trümmer-haufen.

Bei dieser Gelegenheit erinnerte sichHeng einmal mehr daran, daß er keinem or-ganischen Wesen mehr über den Weg trauendurfte. Jeder, dem er begegnete, konnte einpotentieller Mörder sein. Er fluchte wütendvor sich hin und starrte zum riesigenDeckenschirm hinauf. Die Schwärze des in-terplanetarischen Raumes wurde vom ste-chend hellen Filigrannetz unzähliger Ener-giestrahlen durchzogen. Noch hatten dieMaahks völlig freie Bahn. Die stationärenRaumplattformen führten einen aussichtslo-sen Kampf gegen die Walzen, die zwar äu-ßerlich plump wirkten, jedoch unglaublichgeschickt manövrierten. Wie mordgierigeInsekten um einen hilflosen Tierkoloß, so

schwirrten sie behende um ihre Opfer her-um.

Gegen seinen Willen wurde Heng vondem grausigen Schauspiel gefesselt. DieAlarmsirenen waren verstummt, seit er denFuß in diesen Raum gesetzt hatte, und diebedrückende Stille gab dem Geschehen aufdem Bildschirm etwas Unwirkliches.

Erst nach mehreren Minuten kam ihm zuBewußtsein, daß es so nicht weitergehenkonnte. Mehr als die Hälfte der Raumplatt-formen war bereits zerstört. Viele der Re-laisstationen, die der Nachrichtenübermitt-lung dienten, trieben als ausgeglühte Trüm-mer durch das Vakuum.

Wo blieben die arkonidischen Schlacht-schiffe?

Amarkavor Heng spürte eine leichte Be-wegung neben sich und drehte langsam denKopf zur Seite. Ein Roboter hatte sich nebendem Sessel aufgebaut. Die roten Augenzel-len glühten unheildrohend.

Für einen kurzen Moment erlag Heng ei-ner Täuschung seines überreizten Unterbe-wußtseins. Das ausdruckslose Gesicht ausStahl verwandelte sich in das Antlitz einesgoldhäutigen Fremden, der ihn mordlüsternbetrachtete. Mit einem Schrei fuhr der Kom-mandeur hoch – die Illusion erlosch. Erblitzte die Maschine zornig an.

»Was willst du?« fragte er barsch.Der Roboter reagierte nicht auf die wech-

selnden Launen seines Herrn.»Ein feindliches Raumschiff nähert sich

diesem Planeten«, berichtete er unbeein-druckt. »Zwei weitere ziehen nach. Die Ab-wehr sollte eingeleitet werden.«

Heng zuckte zusammen. Er hatte diesenBefehl rast vergessen.

Schon vor Jahren hatte er dafür gesorgt,daß niemand sich in diesem System herum-treiben konnte, ohne die ausdrückliche Er-laubnis dazu zu haben. Die Gefahr, daß einRaumschiff – von Mördern und Verräternbesetzt – von dem vorgeschriebenen Kursabwich und das SKORGON angriff, erschi-en ihm als sehr real. Daher hatte er sichgründlich nach allen Seiten abgesichert. Im

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Rahmen dieser Maßnahmen hatte er sichauch die Freiheit genommen, seine gegebeneBefehlsgewalt etwas zu weit auszudehnen.

Kein Schiff durfte den Planeten verlassen,ohne daß einwandfreie Unterlagen vorlagen.Und selbstverständlich durfte auch keinesstarten, solange sich der Verdacht erhob, einVerräter befinde sich an Bord. Auf den Nor-malbetrieb des Stützpunkts wirkte sich die-ser Befehl kaum negativ aus. Wurde jedochAlarm geschlagen – womit Heng niemalsernsthaft gerechnet hatte –, so mußte derKommandeur persönlich bestimmte Sperrenaufheben, damit eine wirkungsvolle Vertei-digung aufgebaut wurde.

Heng rollte eilig zu den Kontrollen, legteseine rechte Hand auf eine Sensorplatte undidentifizierte sich dadurch. Anschließend er-teilte er den Befehl, sofort und mit allen ver-fügbaren Kräften den Kampf gegen die Ag-gressoren aufzunehmen.

Die Positronik verdaute diese Anweisungblitzschnell und leitete die Befehle weiter.An einer Stelle stieß sie auf Widerspruch.Eine gegenteilige Anweisung, die der Kom-mandeur wenig früher gegeben hatte, lag vorund mußte zunächst überprüft werden. EineKontrollampe flammte auf, und Heng, dersich eben wieder der Betrachtung des grausi-gen Schauspiels widmen wollte, wurde jähaus seinen Gedanken gerissen.

Er musterte die Anzeigen und fand sehrschnell heraus, worum es ging.

Die Sicherheitsorgane hatten noch immerden bisher vorrangigen Befehl, mit allerKraft nach dem geheimnisvollen Fremdenzu suchen, der sich irgendwo auf Enorketronherumtrieb. Da der Befehl von Heng persön-lich kam, durfte auch nur er ihn wieder auf-heben.

Nur kurze Zeit zögerte der Kommandeur.Er wußte ziemlich genau, welchen Ausgangder Kampf nehmen mochte, wenn er dieMänner und Frauen des Geheimdienstesweiterhin für diese anscheinend aussichtslo-se Suche einsetzte. Heng war sich darüberim klaren, daß er auf keinen einzigen Mannverzichten konnte, wollte er diesen unver-

schämten Einbruch der Maahks in eines derZentren des Großen Imperiums nicht zu ei-ner absoluten Niederlage der Arkonidenwerden lassen.

Aber etwas in ihm warnte ihn. DieserFremde war gefährlich. Nicht nur die Tatsa-che, daß man ihn noch immer nicht hatteaufspüren können, war bedenklich. Auchnicht die beklemmende Erkenntnis, daß essich bei dem Goldhäutigen um eine zum Le-ben erwachte Leiche handelte. Heng dachtean ein kleines Wesen namens Ütr'ang, dasihm jahrelang als Gefahrenspürer gedienthatte. Dieser Bursche hatte sich im Augen-blick der Landung der BARGONNA, mitder auch die mysteriösen Körper auf diesenPlaneten gelangt waren, getötet. Er hatte ei-ne Gefahr gespürt, die so schrecklich war,daß er lieber seinem Leben selbst ein Endesetzte, als das weitere Geschehen abzuwar-ten.

Und plötzlich hatte Heng eine Art Er-leuchtung – jedenfalls glaubte er das.

Der Fremde war an allem schuld!Er war nicht nur ein gedungener Mörder,

sondern auch ein Verräter. Die Rächer Go-nozals mußten ihn geschickt haben. Er hattenicht nur auf höchst ungewöhnliche Weiseden Weg nach Enorketron gefunden, son-dern gleichzeitig dafür gesorgt, daß Heng imgefährlichsten Moment ausreichend abge-lenkt wurde!

So war es!Heng schnappte nach Luft, als ihm die

Tragweite dieser »Erkenntnis« zu Bewußt-sein kam.

Der Mörder hatte den Maahks genaue An-weisungen erteilt. Er arbeitete mit diesenMonstren zusammen, nur um einen einzel-nen Mann zu töten. Indem die Methans inTrantagossa einfielen, hoffte er, sich derÜberwachung entziehen zu können!

Heng stieß einen Laut der Wut aus. DasSpiel war geschickt eingefädelt!

Der Kerl hatte sich aus dem Laboratoriumgeschlichen und irgendwo Unterschlupf ge-funden. Wahrscheinlich besaß er sogar Ver-bündete unter den zahllosen Verrätern, mit

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Page 34: Die Schlacht von Trantagossa

denen Heng sich ständig herumschlagenmußte. Darum also hatte man ihn bishernicht entdeckt! Er wartete ganz ruhig ab, wiedie Spinne in einem gespannten Netz. Jetzt,da der Angriff der Maahks über Trantagossahinwegrollte, würde er vermutlich bald ausseinem Versteck kriechen. Er würde festdaran glauben, daß er, Heng, sich nunmehrausschließlich mit der Koordinierung derKampfhandlungen beschäftigte. So hoffte er,unbemerkt an sein Opfer heranzuschleichen!

Das sollte ihm nicht gelingen. Er würde inseine selbstgestellte Falle laufen, und Amar-kavor Heng würde Orbanaschol nicht nurden Verräter und Schuldigen an den Zerstö-rungen im System liefern, sondern gleichzei-tig auch einen direkten Hinweis auf denAufenthaltsort des Kristallprinzen Atlan.

Amarkavor Heng erteilte den Befehl, dieSuche nach dem Fremden unter allen Um-ständen fortzusetzen. Dann lehnte er sich zu-rück und lachte schallend.

Die Zeit der Ungewißheit und der ständi-gen Furcht würde bald weit hinter ihm lie-gen. Der Augenblick der Befreiung war na-he.

Sobald Orbanaschol diesen Hinweis inder Hand hielt, würde er alles daran setzen,Atlan und dessen Komplizen zu fassen. Erwürde dafür sorgen, daß dieser Gefahren-herd ein für allemal ausgelöscht wurde. Unddamit war Heng zumindest eine Sorge los.

Ihm blieb das Lachen im Hals stecken, alser hinter sich das leise Gleiten eines Schottshörte. Er fuhr herum – und dann traten ihmförmlich die Augen aus den Höhlen.

Keine fünf Meter trennten ihn von seinemMörder.

*

Magantilliken bemerkte, daß die Trans-portkapsel zum Stillstand kam. Ehe er denBefehl gab, der die Tür öffnen sollte, hüllteer sich vorsorglich in seinen Schutzschirm.Er rechnete zwar damit, einen Feigling an-zutreffen – aber gerade diese Leute schießenbisweilen am schnellsten.

Das Schott glitt mit einem leisen, schlei-fenden Geräusch zur Seite. Dahinter wurdeein Saal sichtbar, der Magantilliken für denBruchteil einer Sekunde verwirrte. Er glaub-te bereits, die Kapsel habe ihn genarrt undihn im Kreis herumgefahren. Dann erst er-blickte er Amarkavor Heng.

Der Arkonide saß in einem seltsamen Ses-sel, dessen Lehnen von Schaltern und Lam-pen förmlich übersät waren. Das leise Ge-räusch der sich öffnenden Tür ließ denKommandeur herumfahren. Sekundenlangstarrte er aus weit aufgerissenen Augen denHenker an, der gelassen einen Schritt in denSaal hineintrat. Dann brach ein entsetzterSchrei über die schmalen, blutleeren Lippendes Hageren, und seine Hand ruckte hoch.

Magantilliken lächelte verächtlich, als derSchuß des Impulsstrahlers seinen Schutz-schirm traf. Unbeeindruckt ging er weiter.

Heng fingerte an den Schaltern auf derSessellehne herum, und der Sessel setztesich in Bewegung. Magantilliken bemerktealarmiert, daß der Kommandeur sich inRichtung auf eine der Türen davonzuma-chen versuchte. Er mußte einer möglichenFlucht des Arkoniden unbedingt einen Rie-gel vorschieben.

Eine kurze Umjustierung eines Teils deskastenförmigen Geräteblocks brachte einenüberraschenden Erfolg. Statt anzuhalten, wieder Henker es erwartet hatte, fiel nur einTeil der Mechanik aus, die den Sessel vor-wärtsbewegte. Die Folge war, daß HengsSitzgelegenheit sich mit wahnwitziger Ge-schwindigkeit im Kreis zu drehen begann.Der Kommandeur hatte den ersten Schreckkaum verdaut, da begann er laut und anhal-tend zu schreien.

Magantilliken verzog das Gesicht undtippte den Schalter an. Der Sessel hielt soplötzlich, daß Heng vornüberkippte und aufden Boden krachte. Er starrte furchterfüllt zudem Varganen hinauf. Sein Gesicht hatteeinen leicht grünlichen Schimmer angenom-men, und seine Todesangst war unverkenn-bar.

Heng war fast so groß wie der Körper, in

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dem Magantillikens Bewußtsein zur Zeitsteckte. Er trug eine zartblaue Kombination,die sich eng an seinen Körper schmiegte.Gerade dadurch wirkte er auf den Varganenbeinahe lächerlich. Denn Heng war geradezuerschreckend dürr. Er erinnerte den Henkeran eine bestimmte Art von langbeinigen Vö-geln, die er einmal auf einem Planeten gese-hen hatte. Auch der Kopf war schmal undknochig, und er saß auf einem lächerlichlangen, dünnen Hals.

Heng beschränkte sich noch immer dar-auf, Magantilliken anzustarren. Er atmetekeuchend, und auf seiner Stirn sammeltesich der Schweiß.

»Aufstehen!« befahl der Henker.Amarkavor Heng erhob sich unbeholfen.

Er schlotterte am ganzen Leib.»Hören Sie auf, zu zittern!« befahl der

Henker ärgerlich. »Ich tue Ihnen nichts!«Er sah es an dem Blick des Komman-

deurs, daß der Hagere ihm kein Wort glaub-te. Er seufzte abgrundtief. Er hatte zwar ge-wußt, daß Heng Angst hatte, aber daß dieseFurcht ein solches Ausmaß erreichen könn-te, hätte er nie geglaubt.

Amarkavor Heng löste endlich für einenkurzen Moment die Blicke von der imponie-renden goldhäutigen Gestalt und sah hilfe-heischend zu seinen Robotern hinüber. DieMaschinen verrichteten unbeeindruckt ihreArbeit. Das war nicht anders zu erwarten,denn sie waren fest programmiert. Aber woblieben die, die er zu seinen persönlichenWächtern erhoben hatte?

Starr vor Entsetzen entdeckte Heng sieendlich. Sie standen neben dem Schott, daszu seinen Privatgemächern führte. Keinervon ihnen hob auch nur den kleinen Finger,um seinem Herrn zu Hilfe zu eilen. Sie ver-hielten sich völlig unbeteiligt.

»Was haben Sie mit meinen Robotern ge-macht!« erkundigte Heng sich nach gerau-mer Zeit mit schwacher Stimme.

»Abgeschaltet«, gab Magantilliken gelas-sen zurück. »Natürlich nur die, die keinewichtigen Funktionen zu erfüllen haben.«

Darüber – so fand Heng – konnte man ge-

teilter Meinung sein. Jetzt, da der Mördervor ihm stand, interessierte ihn die Flut vonInformationen nicht im geringsten. Wichtigwaren für ihn einzig und allein jene maschi-nellen Diener, auf die er sich gewohnheits-mäßig verlassen hatte.

»Warum bringen Sie mich nicht endlichum!« brach es plötzlich aus dem total ver-ängstigten Mann heraus. »Warum quälen Siemich so? Sie haben Ihr Ziel erreicht, und…«

Der Vargane hob in einer unnachahmlichruhigen Bewegung die Hand, und Heng ver-stummte augenblicklich.

»Warum sollte ich Sie töten?« fragte derHenker verständnislos.

Heng starrte ihn verwirrt an. Der Schockund die Erkenntnis, daß er gegen diesenFremden machtlos war, wirkten sich nach-teilig auf sein Denkvermögen aus. Allmäh-lich jedoch erwachte in ihm ein schwacherHoffnungsschimmer. Vielleicht verfolgtedieser Fremde tatsächlich ganz andere Pläne.Lag ihm etwa daran, hier auf Enorketron dieMacht zu übernehmen? Sollte er von innenher das Werk der Zerstörung beenden, dasdie Maahks von außen begannen?

Wenn es so war, dann führte der Weg zudiesem Ziel unweigerlich über den Kom-mandeur. Hengs kostbare Persönlichkeit be-saß also doch einen gewissen Wert. Aber erdurfte den Fremden nicht reizen, sonstbrachte der Kerl ihn am Ende doch noch um.

Magantilliken wartete gespannt auf eineAntwort. Er sah, wie es hinter der Stirn deshageren Arkoniden arbeitete. Heng schienangestrengt nachzudenken.

Dem Varganen war wirklich nicht ganzklar, warum dieser Mann vor Furcht fast zer-floß. Er wußte, daß seine bloße Anwesenheitauf diesem Planeten einiges Aufsehen erreg-te. Das war verständlich. Ein Körper, denman für tot hielt, erwachte zum Leben. Fürdiese Intelligenzen mußte das ein furchtein-flößender Vorgang sein. Aber das allein warmit Gewißheit nicht der Grund für das selt-same Verhalten des Kommandeurs. DaHeng immer noch damit beschäftigt schien,

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den Schock zu überwinden und keine An-stalten traf, dem Henker eine Antwort zu er-teilen, ergriff der Vargane wieder das Wort.

»Ich brauche das SKORGON!«Der mächtigste Mann im Trantagossa-

Stützpunkt hatte allmählich das Gefühl, alswürde ihm der Boden ruckweise unter denFüßen hinweggezogen. Immer dann, wenner mit viel Mühe eine logische Erklärung fürdie sich überstürzenden Vorgänge zusam-mengebastelt zu haben glaubte, wurde dasGedankengebäude bis in seine Grundfestenerschüttert und prasselte wie ein Kartenhausauf ihn herab.

»Wozu?« fragte er krächzend.Magantilliken bedachte ihn mit einem

teils verächtlichen, teil erstaunten Blick. Erbegriff immer weniger, wie dieser Mann inseine derzeitige Position hatte kommen kön-nen. Die Schlußfolgerung, die sich aus derForderung ergab, lag doch auf der Hand!

»Um dieses System zu verlassen«, erklär-te er widerwillig.

Heng betrachtete ihn mit neuem Interesse.Wenn es so war – nun, auch das war eineMöglichkeit, den unheimlichen Fremdenloszuwerden. Allerdings mußte er versu-chen, den Kerl von seinem eigenen Raum-schiff abzubringen. Er war nicht gewillt,sein kostbarstes Gut einfach wegzuschen-ken.

»Das SKORGON ist im Augenblick nichtraumtauglich«, log er verzweifelt. Nach ei-nigem Überlegen setzte er eifrig hinzu:»Aber ich werde Ihnen selbstverständlich zueinem anderen guten Schiff verhelfen!«

Wenn er geglaubt hatte, bei dem Varga-nen eine deutliche Reaktion zu erzielen, dieihm endlich eine stichhaltige Erklärung lie-ferte, so sah er sich getäuscht. Magantillikenheftete seine goldenen Augen nachdenklichauf die Reihe der Bildschirme. Auf seinemscharf geschnittenen Gesicht erschien plötz-lich ein interessierter Ausdruck. Er trat einenSchritt näher an die Reihe der Schirme her-an, und Heng folgte ihm beinahe automa-tisch.

Er sah verschiedene Szenen, und dann

entdeckte er diejenige, die den Fremden zufesseln schien.

Eine Spionkamera übertrug das, was inKiran Thas' Büro gerade vorging. Heng hat-te sein Mißtrauen gegenüber dem Sektions-chef zwar nicht vergessen, aber es erschienihm als relativ unwichtig. Er fragte sich, wasden Fremden an diesem Bild interessierte.Nur vage tauchte in ihm eine Erinnerungauf. Dieser junge Mann, der gerade vonThas befragt wurde, kam ihm auf seltsameWeise bekannt vor. Er durchforschte seinGedächtnis, dann fiel es ihm wieder ein.

Vregh Brathon!Thas hatte es also doch noch geschafft,

diesen Burschen einzufangen. Wenn Hengnur endlich gewußt hätte, an wen dieser Bra-thon ihn erinnerte! Er hatte diesen Mannschon einmal gesehen, wenigstens glaubte erdas. Aber er war sich auch sicher, daß diesesZusammentreffen schon weit zurück lag undnicht hier auf Enorketron stattgefunden hat-te.

»Lassen Sie diesen Mann hierher brin-gen!« befahl der Fremde in diesem Momentund deutete auf Vregh Brathon.

Heng versuchte, Zeit zu gewinnen. Werimmer nun Brathon sein mochte – er hattekeine Lust, gleich zwei potentielle Feindeum sich zu haben.

»Was wollen Sie von ihm?« fragte ermißtrauisch. »Er ist völlig unwichtig. Erheißt Vregh Brathon und …«

Er sah das Lächeln auf dem bronzenenGesicht des Fremden und zuckte zusammen.

»Brathon?« wiederholte Magantillikenamüsiert. »Bisher nannte er sich Atlan!«

Um Heng drehte sich alles mit rasenderGeschwindigkeit. In seinen Ohren rauschtedas Blut, und das Herz schlug mit der Ge-walt einer Trommel bis in seine Kehle hin-auf. Aus weiter Ferne dröhnte OrbanascholsStimme durch seine Gedanken.

»Bringt mir seinen Kopf!«Der Schwindel ließ nach. Heng sah auf

dem Bildschirm, wie Thas den Gefangenenmit einer ungnädigen Kopfbewegungentließ. Wie ein Rasender stürzte er zu den

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Kontrollen. Er wollte den Namen des Kri-stallprinzen in das Mikrophon schreien, aberdann begriff er, daß er Atlan nicht zu Ge-sicht bekommen würde, wenn seine wahreIdentität dem Sektionschef bekannt wurde.Atlans Kopf war von ungeheurem Wert. DiePrämie, die dem Überbringer winkte, war sohoch, daß auch der loyalste Untertan in sei-ner Treue wankend werden mußte. Ein der-art wertvoller Gefangener in den Händen derVerräter war für Heng eine unmögliche Vor-stellung.

Er riß sich zusammen und erteilte den Be-fehl, Brathon auf dem schnellsten und si-chersten Weg zu einem der wenigen Zugän-ge zu seinem Schlupfwinkel zu bringen.

6.

Für einige Sekunden schien die Szene indem Büro zu erstarren. Thas starrte noch im-mer auf den Bildschirm, und mein Bewacherwar beim ersten Ton aus dem Lautsprecherstehengeblieben. Auch mir selbst war derSchrecken in die Glieder gefahren, aberdann überlegte ich, daß ich ja genau dieseSituation hatte herbeiführen wollen.

Es war für mich nur ein Rätsel, welchemUmstand ich die plötzlich erwachte Auf-merksamkeit Hengs zu verdanken hatte.

Magantilliken hat sein Ziel erreicht, be-hauptete mein Extrahirn selbstsicher. Einenso wichtigen Mann wie Thas wird Hengnicht unbeobachtet lassen. Dein Bild erschi-en zur richtigen Zeit auf dem richtigen Bild-schirm. Der Henker hat dafür gesorgt, daßman seine Geisel zu ihm bringt. Wenn dasstimmte, hatte ich endlich doch wenigstensden ersten Teil meines Zieles erreicht.

Thas hob langsam den Kopf. Er sah micheine Zeitlang schweigend an, dann zuckte erresignierend die Achseln.

»Schade!« brummte er ärgerlich. »Duscheinst ein wichtiger Fang zu sein. Ich hättedeine kleinen Geheimnisse gerne aus dirherausgeholt, aber offensichtlich will sichder Kommandeur selbst das Vergnügen ma-chen.«

Er drückte auf einige Knöpfe auf seinemArbeitstisch, und kurz darauf erschienenmehrere Männer in violetten Uniformen.Thas erwachte zu voller Aktivität. Er erteilteeine Reihe von Befehlen, deren Folge zu-nächst darin bestand, daß die Uniformiertenin höchster Eile verschwanden. Als sie zu-rückkehrten, erkannte ich sie kaum wieder.Sie trugen jetzt Kombinationen, die aussa-hen, als hätten sie sie einigen der Flüchtlingeentwendet. Auch ihre Gesichter wirktennicht mehr so gepflegt wie vorher. Man leg-te offenbar Wert darauf, draußen nicht iden-tifiziert zu werden. Den Grund konnte ichmir denken.

Bei mir selbst war keinerlei Maske not-wendig. Ich sah bereits abgerissen genugaus.

Die fünf Männer nahmen mich in die Mit-te und führten mich durch ein Gewirr vonKorridoren, in denen es von Geheimdienst-lern wimmelte. Vor einem Schott bliebenwir stehen.

»Paß gut auf, Kamerad!« begann der An-führer der Gruppe grimmig. »Wir habeneinen ziemlich langen Weg vor uns. Umdich ordnungsgemäß abzuliefern, müssenwir über die Oberfläche. Du weißt selbst,wie es da draußen aussieht. Wenn wir dichfesseln und irgendeiner von diesen ver-schreckten Kerlen die entsprechendeSchlußfolgerung zieht, wird man uns erbar-mungslos angreifen. In diesem Fall stirbstdu zuerst, ist das klar? Das gleiche gilt auchfür den Fall, daß du einen Fluchtversuch un-ternimmst und damit die Aufmerksamkeitauf uns lenkst. Du hast die Wahl. Benimmstdu dich anständig, so passiert dir vorläufignichts. Andernfalls sag mir gleich Bescheid,dann wirst du geschockt, kommst in eine Ki-ste, und wir transportieren dich als Gepäck-stück weiter.«

Ich nickte gleichmütig. Der unnötig langeVortrag bewies mir, daß auch die Männerdes Geheimdienstes ihrer selbst nicht mehrso sicher waren, wie sie vorgaben. Sie stan-den in Hengs Diensten und hatten zumgroßen Teil durch ihr Verhalten die jetzige

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Krise heraufbeschworen. Jetzt rächte es sichbitter, daß man brave Soldaten nicht anstän-dig behandelt hatte, wie sich das schließlichgehörte.

»Ich spiele mit«, versprach ich, und dasstimmte vollkommen. Ich hatte gar nicht dieAbsicht zu fliehen, aber das würden dieseMänner wohl kaum verstehen.

Das Schott glitt auf. Wir gelangten ineinen nur schwach beleuchteten Gang. Ichhörte, wie der Eingang sich hinter unsschloß und drehte mich um. Von außen sahdie Wand an dieser Stelle absolut unverfäng-lich aus.

Nach einem kurzen Marsch kamen wir inein Gewirr von Korridoren, und ich stelltefest, daß wir uns in einer Freien Zone befan-den. Noch immer trafen wir keinen einzigenArkoniden. Die Türen zu einigen Wohnun-gen standen offen. In den Räumen dahinterherrschte ein grauenvolles Durcheinander.Meine Bewacher kannten sich in diesem Ge-biet gut aus. Sie führten mich zielstrebigdurch das Labyrinth hindurch zu einem klei-nen Antigravschacht, der uns in die nächst-höhere Etage brachte. Und hier begannendie Schwierigkeiten.

Wir gerieten in einen Strom von Men-schen, in dem es schwer war, sich nicht zuverlieren. Einer der Männer blieb ständig inmeiner Nähe. Immer wieder tastete er ner-vös in der Tasche herum, in der er einen Im-pulsstrahler in Kleinausführung mit sich her-umschleppte. Ich hoffte, daß er nicht dieNerven verlor, denn diese Menge war soverängstigt, daß der leiseste Anlaß genügte,um den Gang in ein Schlachtfeld zu verwan-deln.

Mühsam drängten wir uns durch diestumpfsinnig dahinstampfende Reihe vonArkoniden, die an dem Schachtausgang vor-beizog. Kaum hatten wir das geschafft, wa-ren wir in diesem Strom von Menschen ein-gekeilt, und uns blieb nichts anderes übrig,als uns treiben zu lassen. Wir schoben undwurden geschoben, eingezwängt zwischenMännern und Frauen, in deren Gesichterndie nackte Angst stand. Nur wenige dieser

Flüchtlinge trugen mehr mit sich als das,was sie auf dem Leibe hatten.

Von vorne erklang lautes Geschrei. Ichreckte mich und versuchte, über die Köpfeder Masse hinwegzusehen. Dann erkannteich den Grund für die Aufregung. Wir be-fanden uns in der Nähe einer Transportstati-on, die erstaunlicherweise noch in Betriebwar. Die Aussicht, sich auf diesem Wegeretten zu können, wirkte auf die angsterfüll-ten Flüchtlinge wie eine Droge. WildeKämpfe um einen Platz in den engen Kap-seln loderten auf. Ich hörte das Zischen ei-nes Paralysators.

»Da kommen wir doch unmöglichdurch!« wandte ich mich an meinen Bewa-cher. Der Mann nickte grimmig und deutetemit dem Kinn zur rechten Seitenwand hin-über. Anscheinend gab es noch andere We-ge, ins Innere der Transportstation zu gelan-gen.

Der Mann drängte sich rücksichtslosdurch die Menge, und ich folgte ihm, soschnell es ging. Je näher wir der Wand ka-men, desto leichter ging es. Kurz vor unsweitete sich der Gang trichterförmig, undder heißumkämpfte Eingang lag in der Mitteder Stirnwand. Auf ihn konzentrierten sichdie Flüchtlinge.

Die anderen erwarteten uns bereits. Ichwunderte mich flüchtig darüber, wie sie soschnell hierhergelangt sein mochten, abermir blieb wenig Zeit. Wenige Meter vor unszweigte ein dunkler Gang ab, den niemandzu beachten schien. Die Aufmerksamkeit al-ler war nach vorne gerichtet, wo jetzt das Zi-schen der Paralysatoren heftiger wurde. Nie-mand sah uns auch nur nach, als, wir denGang verließen.

»Dummes Volk«, flüsterte einer der Ge-heimdienstler ärgerlich und wischte sich denSchweiß von der Stirn.

»Sei doch froh!« zischte ein anderer zu-rück. »Solange die sich da draußen prügeln,kommen sie wenigstens nicht auf dummeGedanken.«

»Dafür haben sie aber auch kaum eineChance, nach oben zu kommen!« wandte

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der erste mürrisch ein. »Ein paar Kapseln,die noch passieren können, reichen niemalsaus!«

Betretenes Schweigen folgte, das der An-führer jedoch abrupt beendete.

»Keine Diskussionen!« befahl er.»Weiter!«

Der dunkle Gang beschrieb nach wenigenMetern einen Knick. Als wir uns aus derSichtweite der Flüchtlinge befanden, flamm-ten tragbare Lampen auf und erhellten unse-re Umgebung. Das Schreien und Fluchenblieb allmählich hinter uns zurück. DieMänner legten ein Tempo vor, das mir infol-ge meiner Erschöpfung Schwierigkeiten be-reitete, aber darauf nahm niemand aus derGruppe Rücksicht.

»Hier!« stieß der Anführer nach geraumerZeit hervor. Er blieb plötzlich stehen, daßich förmlich in ihn hineinrannte.

»Paß gefälligst auf, wo du deine Füße hin-setzt!« fauchte er mich an, dann wirbelte erherum. »Licht!«

Die grellen Kegel der Scheinwerfer rich-teten sich auf die einförmig graue Wand.Der Anführer bückte sich und tastete überdie glatte Fläche. Mit einem leisen Zischenöffnete sich ein verborgenes Schott. Dahin-ter lag ein senkrechter Schacht, der von mat-ter, rötlicher Helligkeit erfüllt war.

»Probe!«Einer der Männer nestelte einen Kasten

von seinem Gürtel los und warf ihn in denSchacht. Der Kasten schwebte langsam nachoben.

»Rein mit euch!«Während wir uns dem Antischwerkraft-

feld des kleinen Schachtes anvertrauten,dröhnten plötzlich Schritte durch den Gang.Der Anführer stieß einen wütenden Fluchaus, hangelte sich vorsichtig in die Öffnunghinein und betätigte einen Kontakt. DasSchott schloß sich.

»Schneller!« befahl er nervös. »Da hat ei-ner geredet. Verdammt, wenn diese Massenhier hereinströmen …«

Ich verstand allmählich, worauf sich dieMacht des Geheimdienstes von Enorketron

gründete. Man hatte sich seine eigenen Ver-bindungen geschaffen. Es mochte unzähligesolcher Schächte geben, die immer noch inBetrieb waren. Wahrscheinlich wurden ihreGeneratoren nicht über das normale Ener-gienetz gespeist, so daß sie selbst den Raum-angriff gut überstanden. In mir brodelte es.Warum öffnete man diese Wege jetzt nicht,damit sich all die Verzweifelten da draußenretten konnten?

Wenn sie die Oberfläche erreichen, be-deutet das noch lange nicht, daß sie in Si-cherheit sind, wurde ich durch das Extrahirnerinnert. Interessanter ist schon die Frage,warum man den geheimen Einstieg soschwer erreicht!

Ich richtete eine entsprechende Frage anden neben mir schwebenden Mann.

»Ein Brand!« knurrte der Geheimdienstlerzurück. »Wir hätten mitten hindurch ge-mußt.«

Das hieß allerhand. Wenn die Zerstörungbis in diese Tiefen hinabreichte, wie sah esdann erst oben aus?

»Wenn unsere Verbindungen nicht durchden Angriff gelitten hätten, wärst du per Eil-boten an den Kommandeur geschickt wor-den«, fuhr der andere fort. »In diesem Sek-tor sind eine Reihe von Gängen eingestürzt,nur dadurch wird alles so schwierig.«

»Ruhe!« fauchte der Anführer von untenherauf.

Schweigend schwebten wir weiter. Nacheinigen Minuten krachte es unter uns laut.Schreie waren zu hören, aber die Flüchtlingewaren noch zu tief unter uns, um eine Ge-fahr zu bedeuten. Daher war ich überrascht,als ich sah, wie nervös meine Begleiterdurch diese Geräusche wurden. Als Sekun-den später ein Ausstieg vor uns auftauchte,wurde ich aus dem Schwerefeld gerissen.Zwei Männer packten mich an den Armenund zogen mich so schnell es ging weiter.

Wir hatten kaum zehn Meter zurückge-legt, da entstand hinter uns ein leises Sum-men. Ich erhielt einen Stoß in den Rücken,taumelte nach vorne und fiel. Fast gleichzei-tig brach hinter uns die Hölle los. Eine Glut-

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welle fauchte über uns hinweg. Aus derDecke des niedrigen Gangs lösten sich glü-hende Fetzen von Plastikmaterial, die durchden plötzlich entstandenen Luftzug über unshinweggewirbelt wurden und weiter vorneden Bodenbelag zum Glimmen brachten.Nur allmählich trat Ruhe ein.

»Weiter!« befahl der Anführer mit heise-rer Stimme.

Ich warf einen kurzen Blick zurück undbiß die Zähne zusammen. Dieser Schachtwar eine teuflische Falle!

Man hatte offensichtlich das Schott miteiner Sicherheitsschaltung versehen. Wer esbetätigte, ohne die geheimen Schaltungengenau zu kennen, der leitete seine eigeneVernichtung ein.

Das Tückische daran war, daß die irgend-wo eingebauten Waffen erst nach einigerZeit reagierten. Es mußten sich schon sehrviele Arkoniden im Schacht befunden ha-ben, als die Hölle über sie hereinbrach. Ichdachte daran, daß auch diese Vorrichtungenihre Existenz mehr oder weniger direkt demKommandeur dieser Station verdankten.Allmählich konnte ich es kaum noch erwar-ten, diesen Kerl zwischen die Finger zu be-kommen!

Wir stolperten hustend und keuchenddurch den stinkenden Rauch, der von denglimmenden Plastikflächen aufstieg. DieLöschanlagen nahmen ihre Tätigkeit nachanfänglichem Zögern auf und berieseltenuns mit klebrigem Schaum, der das Vordrin-gen nicht gerade angenehmer gestaltete. Alsdieser Teil des Weges hinter uns lag, sahenwir aus, als wären wir direkt aus einer Klär-anlage gekrochen, und wir rochen auch soähnlich. Dann tauchte eine massive Wandvor uns auf. Der Anführer winkte erneut ei-nem anderen Mann, den Lichtkegel seinerLampe auf einen bestimmten Fleck zu rich-ten. Ich wartete ungeduldig. Endlich zischteein verborgenes Schott auf, und ich blicktein einen kleinen, leuchtend blauen Hangarhinein. Bis auf einen Gleiter war der Raumleer.

»Alles einsteigen«, knurrte der Anführer

sarkastisch und klemmte sich selbst hinterdie Steuerarmaturen.

Ich versank fast in den dicken Polstern.Mir wurde allmählich klar, daß es sich hierum keinen gewöhnlichen Fluchtweg aus dentiefer gelegenen Sektionen handelte. Wahr-scheinlich war das ein Ausgang aus demFuchsbau, der das private Territorium KiranThas' darstellte. Für seine Bediensteten hätteder Sektionschef kaum ein so luxuriöses Ge-fährt bereitgestellt.

Er hält dich für sehr wichtig, meinte meinExtrahirn lautlos.

Falsch, gab ich in Gedanken zurück. Erhat lediglich eine Todesangst vor seinemChef. Heng würde ihm die Hölle heiß ma-chen, wenn ich nicht heil abgeliefert werde.

Inzwischen hatte sich ein weiteres Schottgeöffnet, und dahinter wurde ein Teil desfast planetenumspannenden Raumhafenssichtbar. Es war bereits dunkel, aber derHimmel glühte förmlich. Die Schlacht umTrantagossa war in vollem Gang, und nichtwenige der beteiligten Raumschiffe schienenin der unmittelbaren Nähe Enorketrons zukämpfen.

Auf der Oberfläche dieses Planeten spürteman die Auswirkungen der gigantischenSchlacht bereits sehr deutlich. Rechts zeich-nete sich eine dumpf glühende Halbkugelgegen den Horizont ab. Dort mußte einer derBombenkrater liegen. Wenn ich daran dach-te, daß in einem ziemlich großen Bereich diewichtigsten Anlagen ausgefallen waren, kamich zu dem Schluß, daß die Maahks ein be-deutendes Kraftwerk in die Luft gejagt hat-ten. Dafür sprach auch die Tatsache, daßman selbst auf der Landefläche mit derEnergie sparte, wo immer es ging. Sonst wardas ganze Areal hell ausgeleuchtet. Jetztkämpften einige wenige Scheinwerfer einentapferen, aber fast aussichtslosen Kampf ge-gen die unwirkliche Dämmerung, die dervon Energiestrahlen durchzuckte Himmelüber diesen Teil des Planeten ergoß.

Der Gleiter löste sich fast lautlos vom Bo-den und schwebte durch das Schott. DerMann am Steuer fluchte leise vor sich hin.

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Nachdem er versucht hatte, sich mit Hilfe ei-ner Infrarotbrille zu orientieren, warf er dasDing wütend zu Boden und fuhr mit einergrimmigen Entschlossenheit weiter, diemich tatsächlich das Schlimmste fürchtenließ. Es war klar, daß auf diesem Geländedie relativ schwachen Wärmeausstrahlungenorganischer Wesen praktisch völlig überla-gert wurden.

Auf einen kurzen Befehl hin beugten sichdie anderen weit hinaus und versuchten, dieGestalten von Flüchtlingen und ähnlichenHindernissen rechtzeitig zu erkennen. Ein-mal ragte die gewaltige Silhouette einesSchlachtraumers wie ein glattpolierter Bergim Zwielicht vor uns auf. Wir hatten dasSchiff kaum umfahren, als dessen Triebwer-ke plötzlich dröhnend zu arbeiten begannen.Ein Warnschrei durchdrang den ohrenbetäu-benden Lärm, und ich klammerte mich fest.Wie ein Geschoß raste der Raumer imAlarmstart in den Himmel hinauf. DieDruckwelle wirbelte den Gleiter davon, aberder Pilot verstand sein Handwerk glänzend.Er fing uns schon nach wenigen Sekundenwieder ab und ließ sich dann in einigen safti-gen Flüchen darüber aus, was er von diesemUnternehmen, mich zu transportieren, hielt.

»Wir sind bald da«, murmelte mein Ne-benmann nach einiger Zeit. »Regt euch dochnicht unnötig auf. Den armen Kerl erwartetschließlich kein schönes Schicksal.«

Unwilliges Knurren antwortete ihm, dannwurde der Gleiter erneut aus seiner Bahn ge-rissen. Keine fünfhundert Meter entfernt hät-te ein verirrter Strahlschuß der Maahks dieOberfläche Enorketrons getroffen.

Der Pilot zog den Gleiter verzweifelthoch. Nur knapp entkamen wir der Druck-welle, die sich diesmal parallel zum Bodenausdehnte. Hinter uns flog irgend etwas indie Luft. Glühende Trümmer stücke jaultenan den Fenstern vorbei. Es gab einen hefti-gen Ruck, dann rasten wir der Oberflächeentgegen.

»Mist!« schrie der Pilot unbeherrscht aufund hämmerte auf den Kontrollen herum.Der Gleiter entzog sich jeder Kontrolle und

drehte sich ein paarmal um seine Längsach-se. Obwohl sich die automatisch reagieren-den Sicherheitsgurte längst um unsere Kör-per geschlossen hatten, wurden wir brutaldurchgerüttelt. In einem übelkeiterregendenKarussell rasten abwechselnd die an vielenStellen brennende Oberfläche des Planetenund der unheimliche Himmel an den Fen-stern vorbei.

Ich sah den Boden mit irrsinniger Ge-schwindigkeit auf uns zurasen und schloß imstillen mit meinem Leben ab.

*

»Was werden Sie unternehmen, wenn At-lan hier eingetroffen ist?« fragte Heng lau-ernd.

In den vergangenen Minuten hatte er sichseine Selbstsicherheit mühsam zurücker-kämpft. Der Henker schenkte ihm nur wenigAufmerksamkeit. Dieser seltsame Fremdewar dem Kommandeur unheimlich, gleich-zeitig jedoch war er wider Willen fasziniert.Magantilliken saß in einem Sessel, den dieDienstroboter herbeigeschafft hatten. SeineHaltung war entspannt, als gäbe es nichts,was ihm in dieser Umgebung gefährlichwerden könnte.

Der Kommandeur hatte bereits mehrereVersuche gestartet, sich mit seinem seltsa-men Gast zu unterhalten. Magantilliken rea-gierte nicht darauf. Er beschränkte sich dar-auf, die Bildschirme zu betrachten. Ab undzu glitt ein verächtliches Lächeln über seinescharfen Züge. Die wulstigen Lippen kräu-selten sich spöttisch, wenn Kampfszenensichtbar wurden, bei denen Arkoniden aufArkoniden schossen. Aber er machte auchnicht den Eindruck, als sympathisiere er mitden Maahks. Ihm schien dieser entsetzlicheKampf gleichgültig zu sein.

Heng wurde durch diese Haltung immerwieder verunsichert. Er sagte sich ein umdas andere Mal, daß auch das Leben desFremden davon abhing, daß die Arkonidendie Methans in Schach hielten. Wenn dieMaahks endgültig durchbrachen, konnte

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auch das SKORGON nicht starten.»Warum antworten Sie nicht?« fuhr der

Kommandeur ärgerlich auf, als Magantilli-ken ihn nicht einmal eines Blickes würdigte.

Die Nichtachtung, die der Fremde ihm an-gedeihen ließ, machte ihn wütend. Sie triebihn sogar fast zur Weißglut.

Der Henker wandte träge den Kopf.»Sobald Atlan hier ist, werden wir star-

ten«, teilte er dem Kommandeur gleichmütigmit.

»Warum sind Sie so versessen darauf, denjungen Mann in die Hand zu bekommen?«stieß Heng umgehend nach, ehe der Fremdewieder in sein Schweigen versinken konnte.

»Das geht Sie nichts an«, sagte der Varga-ne gelassen.

Heng knirschte mit den Zähnen.»Überlassen Sie ihn mir!« fauchte er. »Ich

brauche ihn!«»Ach nein«, lächelte der Henker freund-

lich. »Was Sie nicht sagen! Zufällig ist esbei mir genauso. Warum also wollen Sie ihnhaben?«

Heng stürzte sich aufgeregt in einen Be-richt, und Magantilliken hörte gelangweiltzu. Die Intrigen dieser Barbaren interessier-ten ihn in keiner Weise. Als Heng nicht auf-hören wollte zu reden, hob der Henker är-gerlich die Hand. Der Kommandeur ver-stummte augenblicklich. Noch immer wardie Angst um sein Leben die stärkste Trieb-kraft all seiner Handlungen.

»Können wir uns denn nicht einigen?«versuchte Heng es zaghaft noch einmal.»Wenn Sie Atlan nicht mehr brauchen, dannüberlassen Sie ihn mir. Ich gebe Ihnen dafürdas SKORGON. Das ist doch ein fairer Han-del, nicht wahr?«

Die mühelose, fließende Bewegung, mitder Magantilliken sich erhob, ließ Heng vorSchreck förmlich zusammenschrumpfen.Wie ein Turm stand die mächtige Gestaltdes Varganen vor dem zitternden Komman-deur.

»Wenn Sie jetzt nicht augenblicklich mitIhrem Geschwätz aufhören«, erklärte derHenker gefährlich leise, »dann drücke ich

Ihnen Ihre dünne Kehle solange zusammen,bis kein Ton mehr herauskommt. NehmenSie sich in acht! Wenn Sie sich anständigbenehmen, lasse ich mich vielleicht dazuhinreißen, Ihnen Ihr lächerliches Leben zuschenken. Wo bleibt dieser Atlan über-haupt?«

»Ich weiß es nicht«, stotterte Heng betrof-fen.

»Und warum können Sie es nicht feststel-len?«

Die ohnehin harte Stimme des Henkersbekam jetzt einen so eisigen Klang, daßHeng unwillkürlich zurückschreckte.

»Die Verbindungen sind zum Teil zer-stört«, hauchte er ängstlich. »Der Angriff…«

Magantilliken schnitt dem Kommandeurmit einer heftigen Handbewegung das Wortab und zog sich wieder an seinen Platz zu-rück.

Der Vargane war durchaus nicht so gelas-sen, wie es für Heng den Anschein erweck-te. Im Gegenteil – er war sogar ziemlich ner-vös. Er dachte an das SKORGON. Währendder langen Wartezeit hatte er sich lange ge-nug mit den in diesem Saal vorhandenenKontrollanlagen beschäftigen können. Er be-zweifelte stark, daß er imstande sein sollte,das Raumschiff selbst zu fliegen. Atlankonnte eine Hilfe sein – aber er würde viel-leicht nicht ausreichen.

Dem Henker blieb keine Wahl. Er mußteauch Heng dazu zwingen, mit ihm diesenPlaneten zu verlassen. Und dabei entstandenetliche Schwierigkeiten. Der Kommandeurwar darauf aus, Atlan zu töten. Heng hattesich in diese Idee schon so verrannt, daß esschwerhalten würde, ihn zur Ruhe zu zwin-gen. Magantilliken hatte nichts dagegen ein-zuwenden, daß die beiden Arkoniden sichgegenseitig abschlachteten. Aber er mußteAtlan wenigstens so lange beschützen, bis erIschtar gefangen hatte.

*

Wir hatten Glück. Dicht hinter uns fand

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eine weitere Explosion statt, und der dabeientstehende Luftwirbel drückte uns wiedernach oben. Das bedeutete eine Galgenfristfür uns, die der Pilot geschickt nützte. Zwarstotterten die Triebwerke und setzten fürbange Sekunden aus, aber es gelang ihm,uns aus der Nähe des Gefahrenherds zu brin-gen. Lange würde das Fahrzeug sich nichtmehr in der Luft halten. Einer der heranra-senden Trümmerbrocken mußte es empfind-lich beschädigt haben.

Auch der Pilot erkannte diese Tatsacheund tat das einzig Mögliche. In einem steilenGleitflug näherten wir uns einem Teil derLandefläche, der von der Zerstörung weitge-hend verschont geblieben war. Die Trieb-werke heulten gepeinigt auf, als ihnen dasletzte an Leistung abverlangt wurde, dannrutschte der Gleiter funkensprühend undschlingernd über den Boden, genau auf einehalbkugelige Kuppel zu.

»Festhalten!« schrie der Pilot und bemüh-te sich, das Kreischen zu übertönen, dasdurch unsere Bauchlandung entstand.

Die Kuppelwandung wuchs drohend voruns auf. Die Bremswirkung reichte nichtganz, um das Fahrzeug rechtzeitig zum Still-stand zu bringen. Wir krachten in die Wandhinein, aber zum Glück entstand kein wirk-lich großer Schaden. Der Gleiter allerdingswar nun restlos hinüber, und in der Kuppel-wand zeichnete sich eine ziemlich großeDelle ab. Wir lösten hastig die Sicherheits-gurte und verließen die traurigen Überrestedes Gefährts.

Nach allen Seiten sichernd, sahen meineBegleiter sich um. Die kleinen Impulsstrah-ler lagen schußbereit in ihren Händen. Sieschienen auch hier mit Flüchtlingen zu rech-nen. Als sich keine Bewegung zeigte, winkteder Anführer mit der Waffe auf eine schma-le, dunkle Öffnung hin, die sich wenige Me-ter vor uns in der silbrigen Wand zeigte.

Zwei der Männer setzten sich in Bewe-gung, und ich bekam wieder einen Stoß vonmeinem persönlichen Wächter.

Obwohl mir diese Behandlung gar nichtgefiel, setzte ich mich folgsam in Trab. Ein

Blick nach hinten überzeugte mich davon,daß die beiden restlichen Männer rückwärts-gehend unseren Abzug sicherten.

Ein kurzer Halt entstand, als wir den Ein-gang erreichten. Dann kam von drinnen einehalblaute Stimme.

»Alles in Ordnung!«Ich wartete nicht erst auf die nächste

»Ermunterung«, sondern ging vor meinempersönlichen Wächter her.

Drinnen war es stockfinster. Die Hand-lampen der beiden Geheimdienstler schnit-ten scharfe Lichtkegel in die Dunkelheit. Ichhatte den unbestimmten Eindruck, mich imoberen Teil eines sehr großen Raumes zubefinden. Das Licht geisterte über ein häßli-ches Metallgeländer, wie man es zur Ab-grenzung von Galerien in großen Werkräu-men verwendet.

»Schacht ist ausgefallen!« meldete einelakonische Stimme vor uns.

Mein Begleiter fluchte leise und schubstemich wütend vor sich her. Ich stolperte überein vergessenes Werkzeug. Unsere Schrittedröhnten auf den metallenen Platten wiePaukenschläge. Ich fragte mich, wo es hiereinen Zugang zu Hengs Zentralen gebensollte, aber selbst mein Extrahirn stellte dar-über keine Vermutungen an.

Wir erreichten die schmale Lichtinsel, inder die beiden Männer sich aufhielten, dieals Vorhut dienten. Die Lampen richtetensich auf den oberen Abschnitt einer Treppe.Die Stufen bestanden aus engmaschigenMetallgittern, und sie wären genau wie dasGeländer von einer zentimeterdicken Öl-und Dreckkruste überzogen.

»Wir gehen voran«, bestimmte einer derbeiden, die auf uns gewartet hatten. Inzwi-schen waren auch die beiden letzten Männerzu unserer Gruppe gestoßen. »Immer Absatzfür Absatz. Wir müssen sichergehen, daßman uns nicht unten erwartet!«

»Wenn, dann hätte man uns längst erledi-gen können«, knurrte mein Wächter unge-halten. »Worauf wartet ihr noch? Ich will esendlich hinter mir haben!«

Der Abstieg dauerte fast eine Stunde. Die

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Treppe schien gar kein Ende zu haben. DieUmständlichkeit der Geheimdienstler brach-te mich fast zur Raserei. Sie hielten tatsäch-lich auf jedem Treppenabsatz an und verge-wisserten sich, daß sich in unserer Umge-bung nichts rührte. Sie hatten anscheinendvöllig vergessen, daß jemand, der unter unsin der Halle lauerte, sich durch ein solchesVerhalten von einem Angriff nicht würdeabhalten lassen. Immerhin kamen sie auf dienicht ganz unvernünftige Idee, meinem Be-gleiter den Gebrauch der Lampe zu untersa-gen. Wir erhielten genug Licht von den bei-den anderen Gruppen, um uns orientieren zukönnen, aber wir mußten uns vorsichtigerbewegen, und dadurch verzögerte sich unse-re Ankunft am Ziel weiter.

»Ende!« gab endlich eine halblaute Stim-me unter uns bekannt. Ich atmete auf – undhielt dann entsetzt den Atem an.

Ein blasser Lichtfinger griff aus der Dun-kelheit nach einem der beiden Männer. Erbrach zusammen, und die Lampe rollte überden schmierigen Boden. Der andere hattesich mit einem Hechtsprung in Sicherheitgebracht, dabei jedoch vergessen, seinenScheinwerfer abzuschalten. Diese Unvor-sichtigkeit kostete auch ihm das Leben.

Zum Glück reagierten die beiden Geheim-dienstler über uns schnell genug. Der letzteschwache Lichtschimmer verschwand wieweggewischt, und gleichzeitig raste einEnergiestrahl in die Richtung, in der derSchütze sich befinden mußte.

Ich lauschte, um etwas über die Folgendieses Schusses zu erfahren. Aber entwederhatte der Schütze rechtzeitig seine Stellunggewechselt, oder er war so schnell gestor-ben, daß er keinen Schrei mehr hatte aussto-ßen können.

Über mir entstand ein leises Kratzen. Eswar nur ein schwaches Geräusch, aber in derbedrückenden Stille dieser Halle klang esfast wie ein Gongschlag.

Schon die nächste Sekunde bewies mir,daß wir es mit einem ungewöhnlichen Geg-ner zu tun hatten. Der Schuß blitzte auf, undmit einem verzweifelten Schrei kippte der

Wächter über uns über das niedrige Gelän-der hinweg. Ich hörte den dumpfen Aufpralletwa fünf Meter unter mir und schaudertezusammen. Innerhalb weniger Sekundenwar die Schar meiner Begleiter auf zweiMänner zusammengeschrumpft.

Heißer Atem traf mich im Nacken. MeinBewacher hatte sich neben mir auf dieschmutzigen Stufen geduckt. Ich fühltemehr, als daß ich es hörte, wie er nach seinerWaffe tastete, die er wegen der Schwierig-keiten beim Abstieg weggesteckt hatte. Ichbekam seine Hand zu fassen. Er wehrte sichgegen mein Vorhaben, aber da auch er esnicht wagte, ein lautes Geräusch zu verursa-chen, schaffte ich es, ihm den Strahler zuentwinden. Ich spürte, wie er angstvoll zurSeite rückte und grinste verächtlich. Eineganz bestimmte Ahnung über die Natur un-seres Gegners hatte sich in mir festgesetzt.Ich schob mich vorsichtig näher an das Ge-länder heran und tastete nach dem Verlaufder dünnen Metallstangen. Als ich sichersein konnte, auf kein Hindernis mehr zu tref-fen, schleuderte ich den Strahler in die Tie-fe.

Nur der Bruchteil einer Sekunde verging,dann löste die Waffe sich noch vor demAufprall in einen kleinen Glutball auf. Undeinen Augenblick später starb der vorletztemeiner Begleiter.

Außer mir war jetzt nur noch der Mannneben mir am Leben. Wenn ich mich nichtgeirrt hatte, mußte nun bald etwas passieren.

Und es geschah auch!Übergangslos flammte grelles Licht auf.

Für einige Atemzüge waren wir so geblen-det, daß wir kaum etwas erkennen konnten.Dann schlug der Arkonide an meiner Seitemit einem entsetzten Stöhnen die Hände vordie Augen.

Jetzt sah auch ich, welchem Zweck dieHalle diente.

Mehrmals hatte ich im Licht der Lampenin einiger Entfernung zur Treppe eine matt-graue Wand gesehen. Jetzt erwies es sich,daß es sich keineswegs um die Begrenzungder Halle gehandelt hatte. Die Scheinwerfer

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an der weit entfernten Decke des Hangarsrissen erbarmungslos jede Einzelheit des voruns liegenden Flugkörpers aus der Finster-nis.

Das Ding war eiförmig und ruhte aufzwölf großen, beinahe plump wirkendenLandetellern. In der Seitenwand zeichnetensich die Umrisse eines Schleusenschotts ab.Die grauschimmernde Hülle wurde vonzahlreichen Kuppeln und antennenförmigenAuswüchsen verunziert. Das ganze Gebildeatmete eine schwer faßbare Aura der Dro-hung und der Macht aus.

Ich sah das SKORGON!Nur mühsam befreite ich mich aus dem

Bann der Überraschung, in den diese Ent-deckung mich geschlagen hatte. Geräuschedrangen aus der Tiefe herauf, und ich blicktenach unten. Jetzt sah ich den so ungeheuertreffsicheren Feind deutlich vor mir.

Drei Roboter strebten sternförmig demFuß der Treppe entgegen. Ihre Waffenarmewaren erhoben. Trotz der Helligkeit war dasFlimmern vor den Abstrahlöffnungen deut-lich zu erkennen.

Ich hatte also richtig vermutet.Bilde dir nicht zu viel darauf ein, spöttelte

mein Extrahirn. Es gehörte kein besondererScharf sinn dazu!

Ich verzog das Gesicht. Der aktivierte Ge-hirnteil hatte eine ganz persönliche Taktikentwickelt, mein Selbstbewußtsein zu stär-ken!

Dann fielen mir die vier Toten ein, undeiskalte Wut erfüllte mich. Der Plan war sosimpel und dabei so mörderisch, daß es michvor Grauen schüttelte. Nur Heng persönlichkonnte sich dieses Verfahren, eventuelleMitwisser zu beseitigen, ausgedacht haben.

Er hatte natürlich gewußt, daß man michdurch diese Halle bringen würde. Da ich alsGefangener die Treppe hinunterstolperte,war nicht anzunehmen, daß ich eine Waffebesaß. Die Roboter brauchten also nur dieStrahlungsquellen anzupeilen, die auf dasVorhandensein der kleinen Strahler hindeu-teten. Heng hatte dabei allerhand riskiert.Ich hätte mir immerhin eine Waffe aneignen

können. Ihm selbst wäre es zweifellos sehrlieb gewesen, mich als Leiche zu besichti-gen; ich zweifelte jedoch daran, daß Magan-tilliken sich damit zufrieden gegeben hätte.Für den Henker hatte ich nur dann einenWert, wenn ich gesund und munter blieb.

Der Mann neben mir atmete zischend ein,und ich schrak zusammen.

Dieses Problem hatte ich fast vergessen!Hengs brutaler Schachzug bewies mir,

daß er niemanden mit dem Wissen um denStandort des SKORGONS in die zweifelhaf-te Freiheit Enorketrons entließ. Die Fragewar jetzt, wie die Roboter reagierten. Siehatten fünf Strahlungsquellen vernichtet. Siewußten zweifellos, daß nur ein lebender Or-ganismus unbeschädigt weitergeleitet wer-den durfte. Aber waren sie auch imstande,herauszufinden, wer von uns der Richtigewar?

»Kommen Sie herab!« befahl eine metal-lische Stimme.

Ich erhob mich resignierend. Gleichgültigwas jetzt geschehen mochte, ich mußte demBefehl Folge leisten. Wenn ich mich mit denMaschinen anlegte, zog ich auf jeden Fallden Kürzeren.

Mein Begleiter hingegen zögerte. In sei-nen Augen flackerte panische Furcht. Aucher hatte das grausame Spiel inzwischendurchschaut. Sein Leben war keinen Pfiffer-ling mehr wert, wenn er sich den Roboternauslieferte.

Ich überlegte krampfhaft, ob ich ihn nichtirgendwie retten konnte. Es gab kaum nocheine Chance. Es sei denn, die Roboter hiel-ten die Vernichtung der Waffen für gleich-bedeutend mit dem Tod ihrer Träger.

Kurz entschlossen schritt ich nach unten.Der Mann vom Geheimdienst folgte mirnicht. Entweder hatte er denselben Gedan-ken verfolgt wie ich, oder die Furcht bannteihn an seinen Platz. Die Treppenstufenschienen sich ins Unendliche auszudehnen,als ich den starrenden Waffenarmen immernäherkam. Jeder Schritt hallte wie einGlockenschlag durch die unwirkliche Stilleder Halle. Dreck blätterte und brach unter

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meinen Füßen ab und fiel als ständiger Re-gen nach unten.

Die letzte Stufe. Mir kam kurz der Gedan-ke, daß ich mich geirrt haben könnte. Beiden Zwischenfällen während der Fahrt zudiesem Ort mochte der Pilot die Orientie-rung verloren haben. Hatte man uns an ei-nem ganz anderen Ort erwartet? Waren die-se Roboter vielleicht mit dem Befehl ausge-stattet, jeden Eindringling zu töten?

Dann wärst du nicht mehr am Leben! trafdas Extrahirn seine herzlose Feststellung.

Ich trat auf den Boden des Hangars undblieb stehen. Die Roboter rührten sich nicht.Sie starrten mich mit ihren roten Sehzellenvöllig unbeteiligt an und schienen vorüber-gehend jedes Interesse an mir verloren zuhaben. Es dauerte einige Minuten, dannsenkte eine der drei Maschinen ihren Waf-fenarm.

»Folgen Sie mir!« befahl der Roboter la-konisch, drehte sich abrupt um und stampftedavon. Ich ging hinter ihm her auf die Wandzu, in der gerade jetzt eine dunkle Öffnungerschien. Ich hatte sie noch nicht erreicht, dazischten hinter mir Waffen auf. Ich fuhr her-um.

Die beiden verbliebenen Maschinen hat-ten den Treppenabsatz unter Feuer genom-men, auf dem ich den letzten meiner Beglei-ter wußte. Sie schossen solange, bis das Me-tall als glühende Masse herabzutropfen be-gann. Als die Strahlen erloschen, drehtenauch sie sich um und entfernten sich nachentgegengesetzten Seiten. Ihre harten Schrit-te riefen hallende Echos hervor. In einigerEntfernung blieben sie regungslos an derWand stehen. Ihre Waffenarme richtetensich starr gegen den Fußboden. Die Fallewar erneut hergerichtet.

Ich durchschritt das schmale Schott, undgleichzeitig erlosch das Licht hinter mir. Imungewissen rötlichen Dämmerschein des vormir liegenden Korridors erkannte ich dieRückfront des Roboters, der mit gleichmäßi-ger Geschwindigkeit vor mir herschritt. DieMaschine drehte sich nicht ein einziges Malum. Sie wußte, daß ich ihr folgte.

7.

Heng spürte einen schwachen Triumph.Der Fremde hatte sein Manöver durch-schaut, und jetzt war es zu spät. Der Kom-mandeur wußte, daß er nicht viel gewonnenhatte, indem er Zeit herausschlug, aber erhoffte verzweifelt, daß ihm doch noch einguter Ausweg einfiel.

Einstweilen wartete Magantilliken noch.Atlan befand sich auf dem langen Weg zurZentrale. Heng hätte ihn durch den Flucht-schacht schicken können, der die direkteVerbindung zum Hangar herstellte, aber daswäre für seinen Geschmack zu schnell ge-gangen. Er hätte selbstverständlich demFremden auch mitteilen können, daß Atlanseinen Weg direkt am SKORGON vorbeinehmen mußte – und dann wären sie jetztschon an Bord des Raumschiffs.

Hengs einzige reale Hoffnung war derUmstand, daß der Fremde allmählich unge-duldig zu werden begann. Vielleicht gelanges ihm, diesem Kerl die lange Wartezeit sozu vergällen, daß er darauf verzichtete, die-sen Atlan mitzunehmen. Wenn er dasSKORGON nahm und endlich auf Nimmer-wiedersehen verschwand …

Heng schrak zusammen, als der Fremdeplötzlich aufsprang und auf die Reihe derBildschirme zuging. Die Roboter hatten denBefehl, den Gefangenen auf einem mög-lichst umständlichen Weg in die Zentrale zubringen. Hengs unheimlicher Besucher hatteoffenbar nicht viel Ahnung von der arkoni-dischen Technik, denn Heng war überzeugtdavon, daß er die vorgenommenen Schaltun-gen nicht hatte interpretieren können.

Aber Heng hatte einen winzigen Punktvergessen. Das Schicksal wollte es, daß demKommandeur ausgerechnet sein eigenes Si-cherheitsbedürfnis zum Verhängnis würde.

Überall in den geheimen Anlagen befan-den sich Spionaugen. Sie schalteten sich ein,sobald ein anderer Arkonide als AmarkavorHeng persönlich in ihren Erfassungsbereichgeriet. Bei Magantilliken hatten diese Geräte

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versagt, da er ihre Funktionen störte. Viel-leicht war dieser Umstand schuld daran, daßHeng die kleinen Kameras schlicht verges-sen hatte.

Auf einem der Bildschirme erschien klarund deutlich das Bild Vregh Brathons, derim Kielwasser eines Roboters einen rötlichbeleuchteten Gang durchschritt.

Heng schrak zusammen, sagte sich dannaber, daß der Fremde die Bedeutung diesesVorgangs kaum erkennen dürfte. Er war mitden subplanetarischen Anlagen nicht ver-traut, und die Koordinaten, die automatischin den unteren Bildrand eingeblendet wur-den, mußten für ihn nichtssagend bleiben.

Als der Vargane sich jedoch mit wütendverzogenem Gesicht umdrehte, erkannteHeng, daß er immer noch dazu neigte, die-sen Gegner zu unterschätzen. Der Fremdetat einen kurzen Schritt in die Richtung desKommandeurs, und Heng wartete die weite-ren Folgen gar nicht erst ab. Wieselflink glitter zum Schaltpult. Er drückte die Taste her-unter und wollte dem Roboter eben befeh-len, Atlan zum SKORGON zurückzubrin-gen, da spürte er eine schwere Hand imNacken.

»Noch ein Fehler in dieser Art, und duhast Gelegenheit, den Zustand kennenzuler-nen, vor dem du dich am meisten fürchtest!«

Heng hielt den Finger zitternd über dieTaste, zu verängstigt, um auch nur die leise-ste Bewegung zu wagen.

Aus der Stimme des Fremden klang un-verhohlene Wut. Für den Kommandeur ver-liefen die Sekunden quälend langsam. EineEwigkeit schien zu verstreichen, ehe Magan-tilliken die Hand von der dürren Schulterdes Arkoniden nahm.

»So!« sagte der Vargane grimmig. »Undjetzt wollen wir endlich zur Tat schreiten.Atlan und der Roboter bleiben dort stehen,wo sie sich jetzt befinden. Ich weiß, daß derFluchtschacht nur wenige Meter entfernt en-det. Für dumm lasse ich mich so leicht nichtverkaufen, Heng! Sie gehen voran – undfalls Sie immer noch die Absicht haben soll-ten, einen ihrer kleinen Tricks zu gebrau-

chen, lassen Sie den Gedanken bitte fallen.Meine Waffe bleibt auf Sie gerichtet. Beimkleinsten Verdacht schieße ich. Vielleichtziehe ich es aber auch vor, Ihnen persönlichden Hals zu brechen.«

Heng wankte gebrochen auf das Schottzu. Seine Hoffnungen zerrannen von neuem.Dieser Gegner verwirrte ihn. Er erkannteauch den Grund dafür.

Seit vielen Jahren hatte sich kein lebendesWesen mehr in der unmittelbaren Nähe desKommandeurs befunden. Selbst Ütr'ang, daskleine Fremdwesen, war weit entfernt in ei-ner Spezialkabine untergebracht gewesen,die es niemals verlassen durfte. Heng war anden Umgang mit Menschen nicht mehr ge-wöhnt. Er war seinen Untergebenen überle-gen, solange er sie aus der Entfernung beob-achten und manipulieren konnte. Er fühltesich in der Gesellschaft seiner Roboter un-überwindlich, und er hatte sich im Laufe derZeit zu sehr daran gewöhnt, daß alles, was eranordnete, auch befolgt wurde.

Der Vargane brachte Hengs Weltbilddurcheinander. Er kümmerte sich nicht imgeringsten um die Wünsche und Vorstellun-gen des Arkoniden. Er schien auch keinenFunken Respekt vor Heng zu empfinden.

Heng herrschte über Trantagossa nichtdurch seine überragende Persönlichkeit, son-dern durch das genaue Gegenteil. Indem ersich für alle seine Untertanen unsichtbarmachte und nie an die Öffentlichkeit trat,baute er eine Legende der Unnahbarkeit undder Macht auf, die der Wirklichkeit nichtstandhalten konnte. Heng besaß nicht dasFormat, das er zu haben glaubte. Vielleichtwäre er imstande gewesen, diese Fähigkei-ten zu entwickeln. Aber seit dem Mord anGonozal hatte er sich von diesem WegSchritt für Schritt entfernt.

Er kämpfte gegen sich selbst an, als er dasSchott öffnete. Ganz langsam begriff er, waszu tun er beabsichtigte, und ihm wurdeschwindelig. Er verließ den Posten, auf demer jetzt hätte bleiben müssen. Trantagossabefand sich in höchster Gefahr, und er alsKommandeur war unfähig, dem Kampf eine

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Wendung zu geben. Er schlug sich mit die-sem Fremden herum, den er – wie er nunklar erkannte – nur durch sein früheres Ver-sagen an diesen Ort gelockt hatte. Er hättedie Bekanntschaft dieses Gegners nie ge-macht, wenn nicht sein SKORGON den ein-zigen Fluchtweg dargestellt hätte.

Er mußte etwas unternehmen. Etwas, wasihn rehabilitierte. Ein arkonidischer Kom-mandeur, der in einer solchen Situation ver-sagte, konnte nirgends mit Verständnis rech-nen. Am allerwenigsten bei Orbanaschol.

Der Weg zum SKORGON war frei. DerSchacht lag in düsterem Glühen vor ihnen.Er überwand einen Höhenunterschied vonfast dreitausend Metern. Weit über ihnen lagder Hangar.

Heng setzte den Fuß auf die Plattform undspürte den kraftvollen Sog des Antischwer-kraftfelds, der ihn nach oben riß. Die Per-spektiven verzerrten sich. Eben noch hatte erauf der Plattform gestanden und nach obengeschaut. Jetzt stürzte er mit dem Kopf vor-an mit ungeheurer Geschwindigkeit in einebodenlose Tiefe.

Nur für einen Augenblick fiel Heng derTäuschung zum Opfer, dann hatte er sichdaran gewöhnt. Er befand sich nicht zum er-stenmal in diesem Schacht. Er drehte sich imFallen und sah Magantilliken in kurzer Ent-fernung. Ein verwegener Gedanke durch-zuckte das Gehirn des Kommandeurs. Wennes schiefging, brach er sich gemeinsam mitdem Henker den Hals. Und wenn der Frem-de rechtzeitig Verdacht schöpfte, würde ersich zweifellos rächen.

Aber wenigstens konnte Heng dann vorsich selbst bestehen.

Er versuchte zu schätzen, wie lange derFall noch dauern würde. Er hatte noch etwazwei Minuten Zeit. Er begann sich bereitsGedanken darüber zu machen, wie es wei-tergehen sollte, wenn er den Feind ausge-schaltet hatte.

Vregh Brathon wartete im Gang. Atlan,der Kristallprinz – wie auf einem Silberta-blett serviert.

Heng verzog sein hageres Gesicht zu ei-

nem satanischen Grinsen und tastete unauf-fällig nach der Waffe, die er immer noch imGürtel stecken hatte. Der Fremde hatte esnicht für nötig gehalten, den Kommandeurzu entwaffnen. Für seinen Schutzschirm wa-ren die schwachen Energiestrahlen kein Pro-blem. Aber Atlan besaß keinen solchenSchutz.

Der »Boden« des Schachts kam näher.Heng entdeckte die Zeichen an der Wandund hielt sich bereit. Es mußte alles sehrschnell gehen. Der Fremde durfte nicht ge-warnt werden, denn seine Reflexe waren un-glaublich schnell.

Der Arkonide sah sich vorsichtig um undstellte zufrieden fest, daß der Gegner etwaszurückgeblieben war. Er machte sich keineGedanken darüber, warum sich die Schwere-beschleunigung auf derselben Weise aus-wirkte, wie auf ihn selbst. Er dachte nur anseinen Plan – und der erschien ihm nunschon wesentlich erfolgreicher. Der Abstandzwischen ihm und dem Goldhäutigen bedeu-tete eine zusätzliche Sicherheit.

Der Fluchtschacht war exakt gepolt. Henghatte ihn bisher nur zu Trainingszweckenbenutzt – der Ernstfall war vor diesem un-glückseligen Tag nicht eingetreten. Die Be-schleunigung hielt bis zum letzten Momentan. Erst wenige Meter vor dem Ende desSchachtes wurde Heng ziemlich rauh ge-bremst. Er kannte die ungeheure Kraft, dienach ihm griff, und er stellte sich hervorra-gend darauf ein. Er entspannte den Körperso vollkommen, daß der Aufprall desBremsfeldes ihm nicht einmal einen blauenFlecken einbrachte. Er kannte auch die Mar-kierung, an der er sich auf die nächste Rich-tungsänderung einzurichten hatte undschwang sich erstaunlich geschickt herum.

Der Sog des seitlichen Feldes packte ihnund riß ihn auf die Wand zu. Noch währender auf das seitliche Schott zuschoß, krümmteer sich zusammen und streckte die Beine,sobald er die Öffnung passiert hatte. SeineFüße fanden Halt. Mit einem mächtigenSchwung warf Heng seinen dürren Körperaus dem Bereich des Feldes und rollte sich

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geschickt ab. Direkt vor ihm lagen die Kon-trollen. Er sprang hoch, schlug mit der ge-ballten Hand auf einen Knopf und zoggleichzeitig mit der anderen Hand die Waffeaus dem Gürtel.

Als er herumwirbelte, sah er Atlan keinezehn Meter entfernt neben dem Roboter ander Wand stehen.

Heng grinste verzerrt.Er hatte es geschafft. Der Fremde würde

nicht von einem relativ harmlosen Prallfeldaufgefangen werden, sondern die Beschleu-nigung blieb bestehen und schleuderte ihngegen die Stirnwand des Ganges, wo er ohneZweifel von den verheerenden Schwerkraft-feldern buchstäblich zerdrückt wurde. UndAtlan, die wertvollste Beute der ganzen Ga-laxis, stand hilflos vor ihm und wartete aufsein Ende.

Der Kommandeur gestattete sich ein fastübermütiges Lachen. Ganz zum Schluß warer doch klüger als alle seine raffiniertenGegner. Er hatte gesiegt.

Vorsichtig umging er das Zugfeld undhob die Waffe. Die Augen des jungen Arko-niden weiteten sich kaum merklich, als erden Tod so dicht vor sich sah. Heng genoßden Augenblick seines großen Triumphesund schoß.

*

Magantilliken beobachtete Heng mißtrau-isch. Erst als der Arkonide sich bedenkenlosdem Schacht anvertraute, folgte ihm derVargane. Er rechnete jeden Augenblick da-mit, daß Heng ihn in eine Falle zu führenversuchte.

Er bemerkte, daß der Kommandeur sichvergewisserte, seine Waffe am gewohntenPlatz zu finden. Er sah auch den vorsichti-gen Blick, mit dem Heng sich davon über-zeugte, daß Magantilliken ihm folgte. Dannentdeckte er die Markierungen an der Wandund sagte sich, daß dieser Kerl etwas imSchilde führte.

Er ließ blitzschnell die Möglichkeiten Re-vue passieren, die sich dem Arkoniden auf

Grund der Eigenheiten dieses Schachtes zueinem Angriff boten. Der Schacht selbst warnichts als eine schier endlose Röhre mitspiegelglatten Wänden. Eingebaute Waffenschien es nicht zu geben. Magantilliken warder Meinung, daß solche Vorrichtungenauch kaum einen Sinn hatten. Bei der unge-heuren Beschleunigung würde es schwierigsein, ein Objekt durch automatische Systemeerfassen und vernichten zu lassen. Noch da-zu bestand die Gefahr, daß man dabei denFalschen traf. Heng war viel zu feige, umein solches Risiko auf sich zu nehmen.

Die einzige Waffe war die Schwerkraftselbst. Die Prallfelder, die diese rasendeFahrt zu bremsen hatten, mußten ein ziemli-ches Ausmaß besitzen. Wenn sie versagten,würde jeder Passagier von den starken Zug-feldern am Ende des Schachts zerschmettertwerden.

Der Henker nahm eine Schaltung an sei-nem Armbandgerät vor und überzeugte sichdavon, daß der Schutzschirm auf volle Stär-ke geschaltet war. Gleichzeitig sorgte er da-für, daß er mit einem einzigen Hebeldruckein Schwerefeld errichten konnte, das aus-reichen würde, um dem Sog des Schachtsentgegenzuwirken. Vorsichtshalber testete erdie Wirkung. Heng bemerkte nichts davon,daß Magantilliken seine rasende Fahrt füreinen winzigen Augenblick aufhob. Er kon-zentrierte sich jetzt voll auf die Wandmar-kierungen – für Magantilliken ein sicheresZeichen dafür, daß die Entscheidung nahewar.

Die Bestätigung dafür kam, als Heng kurzdarauf brutal gebremst wurde. Die schnel-len, erstaunlich geschickten Manöver, mitdenen er die Wirkung der nun wirksamenneuen Felder unterstützte, sagte dem Henkergenug.

Der Kommandeur verschwand in der seit-lichen Schachtöffnung, und Magantillikenverlor keine Sekunde mehr. Das eigeneSchwerefeld entstand. Magantilliken er-reichte den Punkt, an dem Heng abgefangenworden war. Jetzt existierten die Prallfeldernicht mehr. Auch die Projektoren, die der

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Arkonide durch das Schott gezogen hatte,waren abgeschaltet worden.

Magantilliken verzog abfällig das Ge-sicht. Dieser Wicht wagte es also doch!

Er bremste seine Geschwindigkeit soweit, daß er sich nicht mehr vor etwaigenKnochenbrüchen zu fürchten brauchte. Ervermochte mit seinem kleinen Gerät dieKraft des Sogs nicht völlig aufzuheben, aberdas war auch gar nicht notwendig.

Durch geschickte Schaltungen, die seinenFall einseitig bremsten beziehungsweise be-schleunigten, zielte er genau auf den Aus-gang zu. Er würde draußen etwas hart auf-kommen, aber das bereitete ihm im Augen-blick noch die geringsten Sorgen.

Er wußte inzwischen, mit welcher Hart-näckigkeit Heng den Gedanken verfolgte,diesen Atlan in die Finger zu bekommen.Ihm war es egal, ob er den jungen Arkoni-den tot oder lebendig bei seinem Imperatorablieferte. Magantilliken dagegen brauchteAtlan lebend. Nur so würde es ihm gelingen,Ischtar schnellstens in eine Falle zu locken.Hatte er sie getötet, würde man ihm sicherdie Rückkehr in die Eisige Sphäre gestatten.Und das war ein Ziel, das der Vargane unbe-dingt erreichen mußte.

Die Öffnung lag vor ihm. Er fiel hin-durch, und noch während er hastig das An-tischwerkraftfeld abschaltete, das ihn jetztpraktisch gewichtlos machte, sah er Amar-kavor Heng.

Der Kommandeur stand wenige Schrittevor dem Varganen. Er konzentrierte sichvoll auf Atlan, der sich jetzt von der Wandabgestoßen hatte und dem hageren Arkoni-den entgegenblickte. Heng konnte von derAnkunft des Henkers nichts bemerkt haben,denn dieser Vorgang war bisher völlig ge-räuschlos verlaufen.

Magantilliken begriff die Situation sofort.Er wußte, daß ihm keine Zeit mehr blieb,den Einsatz der Waffe Hengs auf techni-schem Wege zu verhindern. Er spürte seinGewicht zurückkehren und fühlte den Bodenunter seinen Füßen. Wie ein bronzehäutigesRaubtier hechtete er in einem weiten Sprung

vorwärts. Im selben Augenblick, in dem erdie Schultern des Kommandeurs packte, lös-te sich der Schuß.

*

Zuerst war ich verblüfft, als der Roboterurplötzlich stehenblieb, als sei er gegen eineMauer gerannt. Dann drehte sich die Ma-schine langsam, um und sagte mit ihrer ble-chernen Stimme:

»Sie werden gebeten, an diesem Ort zuwarten.«

Ich zuckte die Achseln und wollte micheinfach auf den Boden setzen. Aber damitwar die Maschine nicht einverstanden.

»Mein Befehl lautet, daß wir stehenblei-ben sollen, wo wir uns zum Zeitpunkt derInformation befanden!« erklärte er katego-risch, und da er diesen Worten Nachdruckverlieh, indem er seinen Waffenarm leichtanhob, gab ich zähneknirschend nach. ZumGlück hatte er nichts dagegen, daß ich michwenigstens gegen die Wand lehnte.

Was hatte dieser Aufenthalt nun wiederzu bedeuten?

Magantilliken will möglichst schnell dasSystem verlassen, erklärte das Extrahirn. Eswäre unlogisch, dich erst in die Zentrale zuschaffen, wenn du jetzt schon fast neben demSKORGON stehst!

Es wäre noch logischer, mich gleich anBord zu bringen, dachte ich ärgerlich zu-rück.

In diesem Fall wäre die Gefahr gegeben,daß du einen Fluchtversuch wagst. Der Ro-boter hat reine Wachfunktionen – er würdedich an Bord des Schiffes zwar nicht aus denAugen lassen, aber er versteht nichts vonder Technik. Spezielle Befehle wären not-wendig. Sie zu geben, erfordert ebenfallsZeit. Es ist anzunehmen, daß du dich jetzt aneinem Ort befindest, den auch Magantillikenund Heng passieren müssen, um zum Han-gar zu gelangen.

Wieso Heng? dachte ich verblüfft.Der Henker wird ihn ebenfalls als Geisel

mitnehmen, verkündete das Extrahirn selbst-

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sicher. Schon für den Fall, daß er selbst mitder Technik des Raumschiffs nicht fertigwird.

Das klang einleuchtend. Eigentlich hätteich auch von selbst darauf kommen können,aber ich war bereits ziemlich erschöpft. Ichhoffte nur noch auf eines: daß Magantillikenmir nach dem Start erlaubte, mindestens ein-mal um die Uhr zu schlafen.

Nur mühsam hielt ich mich auf den Bei-nen. Ich verwünschte den Roboter bis in dieletzte Ecke der Galaxis, aber das half auchnicht viel. Selbst als ich ihm einen wütendenVortrag darüber hielt, wieviel Rost sich inseinem mechanischen Gehirn angehäuft ha-ben könnte, gestattete er mir nicht, michendlich niederzulassen. Er ließ meine Be-schimpfungen wortlos über sich ergehen. Er-schöpft gab ich es auf. Es macht keinenSpaß, jemanden anzuschreien, der daraufüberhaupt nicht reagiert.

Der spöttische Kommentar des aktiviertenGehirnteils zu meinen überflüssigen An-strengungen blieb erstaunlicherweise aus.Ich starrte mißmutig vor mich hin und fragtemich, wie lange ich hier noch warten mußte.Dann zischte etwas, und ich drehte hastigden Kopf in die Richtung, aus der das Ge-räusch kam. Der Roboter hatte nichts dage-gen einzuwenden. Er wachte lediglich dar-über, daß ich meine Füße auf dem richtigenFleck behielt.

Ein Schott hatte sich in der Wand desGangs geöffnet. Ich entdeckte jetzt erst dieKontrollen, die sich dicht daneben befanden.Trotz meiner Erschöpfung begriff ich im-merhin, daß dies der Eingang war, durch denmeine beiden Todfeinde kommen mußten.Ich knirschte in ohnmächtiger Wut mit denZähnen. Die Chance war einmalig – und nurdiese idiotische Maschine hinderte mich dar-an, die Gelegenheit wahrzunehmen.

Ich dachte daran, es trotz des drohendenWaffenarms zu wagen und mich mit einemSprung in eine Position zu begeben, in derich den beiden eines über den Kopf gebenkonnte, aber es war ohnehin zu spät.

Wie ein Geschoß wurde eine Gestalt aus

der Tür katapultiert. Der Arkonide, bei demes sich um keinen anderen als Heng handelnkonnte, schien es äußerst eilig zu haben. Erbewegte sich mit einer Geschwindigkeit, dieich diesem dürren Kerl niemals zugetrauthätte. Kaum berührte er den Boden, da floger auch schon auf die Schalttafel zu, rammtedie Faust gegen einen Knopf und wirbelteherum. Ich blickte genau in die Öffnung ei-nes Impulsstrahlers.

Heng schien den Augenblick sehr zu ge-nießen. Wenn ich es nicht schon lange vor-her begriffen hätte, so wäre mir durch seinVerhalten jetzt klar geworden, daß er einenausgeprägten Hang zum Sadismus hatte.

Er ließ sich Zeit mit dem Schuß, der ihmbei Orbanaschol nicht nur einen HaufenGeld, sondern mit Sicherheit auch einegroße Beförderung einbringen würde.

Mit langsamen Schritten, die er selbst ver-mutlich für würdevoll hielt, stakste er heran.Die Waffe lag schußbereit in seiner Hand.

Es ist kaum möglich, zu beschreiben, wasmir in diesem Augenblick durch den Kopfging. In erster Linie empfand ich eine un-glaubliche Wut. Bis hierher hatte ich michdurchgeschlagen, war in alle möglichen ge-fährlichen Situationen geraten und hattedoch immer wieder einen Ausweg gefunden.Jetzt schien mein Glück mich endgültig imStich zu lassen.

Es war sinnlos, einen Ausfall zu versu-chen. Der Roboter wachte über mich. Sobaldich mich bewegte, würde der tödliche Strahlseinen Waffenarm verlassen. Aber wenn ichstehenblieb, war ich ebenfalls verloren. Beijedem Schritt, den Heng zurücklegte, rech-nete ich mit dem absoluten Ende.

Und dann kam eine zweite Gestalt aus derSchottöffnung. Ich brauchte nicht zu raten,um wen es sich handelte. Ich ahnte ver-schwömmen, daß Heng mit diesem Gegnernicht mehr gerechnet hatte, da schnellte Ma-gantilliken von hinten auf den Kommandeurlos. Er packte ihn an den Schultern und rißihn um ein winziges Stück nach hinten. DerSchuß, der sich in diesem Augenblick löste,fuhr etwa einen Meter über mir in die Wand.

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Stehenbleiben! gellte die Gedankenstim-me des Extrahirns durch mein Gehirn.

Im letzten Augenblick unterdrückte ichden instinktiven Wunsch, einen Sprung zurSeite zu machen. Ich stieß mich lediglichvon der Wand ab, so daß ich nun frei stand.In meinem Rücken spürte ich die Hitze, diedie Wand ausstrahlte, und ich hatte das Ge-fühl, langsam geröstet zu werden.

Magantilliken handelte schnell und um-sichtig. Er wußte, daß er ohne die Hilfe desArkoniden das SKORGON niemals erhielt.Er hatte aber auch nicht die Absicht, michals Geisel zu verlieren. Er hielt Heng mit ei-nem eisernen Griff im Nacken fest. SeineRechte fuhr herunter und umfaßte das Hand-gelenk des Kommandeurs. Obwohl der Var-gane sich scheinbar überhaupt nicht an-strengte, stieß Heng ein unterdrücktes Stöh-nen aus. Seine Finger öffneten sich, und derStrahler polterte auf den metallenen Boden.

»Kommen Sie her!« befahl der Henkermir mit harter, klirrender Stimme.

»Das geht nicht«, erklärte ich wütend.»Dieser Roboter schießt, sobald ich michbewege.«

Magantilliken boxte seinem Opfer auffor-dernd in den Rücken, und Heng beeilte sichzu meiner Überraschung, den Befehl schleu-nigst aufzuheben. Ich hatte den Eindruck, alshätte er mit dem Henker schon etliche Über-raschungen erlebt. Der Kommandeur vonTrantagossa hing in der Pranke des Henkersund zitterte am ganzen Leib.

Ich entfernte mich aufatmend von derpflichteifrigen Maschine. Nach einigenSchritten stand ich Amarkavor Heng endlichvon Angesicht zu Angesicht gegenüber. DerHaß, den ich gegen ihn empfand, drohte,meine Selbstbeherrschung hinwegzuspülen.Das Verlangen, ihn zu töten, war nicht nurauf den feigen Mord an meinem Vater zu-rückzuführen. Was ich hier auf Enorketronerlebt hatte, wog alleine schon schwer ge-nug.

Reiß dich zusammen! befahl mein Extra-hirn energisch. Jetzt ist für solche Anfällenicht die richtige Zeit. Erstens wird Magan-

tilliken es nicht zulassen, daß du ihn um-bringst, und zweitens kann er jederzeit denRoboter wieder auf dich hetzen!

Ich ballte die Fäuste und blieb stehen.Aber meine Augen mußten wohl die Gefüh-le verraten haben, mit denen ich mich her-umschlug. Heng drückte sich ängstlich ge-gen den Henker.

Dieser Anblick gab mir meine Fassungzurück. Heng war bis in den letzten Winkelseines Körpers mit Angst ausgefüllt. Flüch-tig dachte ich daran, daß fünfzehn JahreAngst eigentlich auch eine Art Strafe füreinen Mord waren. Dann dachte ich an dieMänner, die draußen im Hangar kaltblütigermordet worden waren …

»Gehen wir!« knurrte Magantilliken undließ Heng los. »Und keine Dummheitenmehr, verstanden?«

Der Kommandeur zuckte zusammen. Ichselbst bewunderte den Henker fast um seineunerschütterliche Ruhe. Der Vargane verlorkein Wort darüber, daß Heng versucht hatte,ihn zu töten.

*

Während wir den Weg zum Hangar zu-rücklegten, hatte ich Gelegenheit, den neuenMagantilliken eingehender zu betrachten.Sein Gesicht kannte ich bereits. Der neueKörper, den er sich zugelegt hatte, wies kei-ne großen Unterschiede zu der ersten Exi-stenzform auf, in der ich diesem Mann be-gegnet war. Nur die Arme waren etwas län-ger, und der Brustkorb womöglich nochbreiter. Unter der enganliegenden arkonidi-schen Kombination, die er während seinerFlucht einem Wissenschaftler entwendethatte, zeichneten sich deutlich die kräftigenMuskeln ab.

Sonst bot er das typische Bild eines Var-ganen. Bronzefarbene Haut, langes, golde-nes Haar, goldene Augen. Er wirkte soselbstsicher, daß es bereits in Arroganz aus-artete. Den Begriff »Furcht« schien er nurvom Hörensagen zu kennen.

»Vorsicht!« warnte ich hastig. »Da drau-

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ßen warten Roboter. Sie haben meine fünfBegleiter ermordet.«

Heng schleuderte mit seinen Blickeneinen wahren Hagel von Blitzen auf michab. Offensichtlich hatte ich wieder einmalrichtig getippt. Magantilliken lächelte ver-ächtlich. Er griff nach einem Kästchen, dasan seinem Gürtel hing und nahm daran eineEinstellung vor. Dann betätigte er einenKontakt, und das Schott zischte in die Halte-rungen.

Licht flammte auf. Ich hielt Ausschaunach den beiden Robotern. Die Maschinenstanden immer noch auf ihren Positionen.Sie rührten sich nicht, als wir in den Raumhinaustraten.

Vor uns stand das SKORGON.Heng schien jetzt endlich begriffen zu ha-

ben, daß ein Kampf gegen den Varganen sogut wie sinnlos war. Er drückte auf einenKontakt neben dem Schott. Drüben beimRaumschiff rührte sich etwas. Die seitlichangebrachte Hauptschleuse öffnete sich. Ei-ne Rampe wurde ausgefahren.

»Bitte«, sagte Heng mit einer Stimme, ausder tiefste Erschöpfung und Niedergeschla-genheit klang. »Bedienen Sie sich.«

Er wollte sich umdrehen, aber Magantilli-ken hielt ihn am Arm fest.

»Was wollen Sie noch?« fragte Heng är-gerlich. »Sie haben Ihr Ziel erreicht!«

»Nicht ganz«, korrigierte der Henker.»Vorerst habe ich nur ein Raumschiff. Ichbrauche aber auch noch einen Piloten!«

Der Kommandeur wurde weiß wie dieWand. Ich wunderte mich darüber, denn ichkonnte mir nicht vorstellen, daß Heng dieseMöglichkeit noch nicht in Betracht gezogenhatte. Erst später merkte ich, daß der Arko-nide trotz der Schicksalsschläge, die derHenker ihm versetzt hatte, immer noch zustark in seinem festgefahrenen Denkschemasteckte. Es war für ihn unvorstellbar, daß je-mand einen Mann wie ihn so einfach mirnichts dir nichts entführte.

Der Vargane verzog abfällig das Gesicht.Er hielt nicht viel von diesem Kommandeur.

»Los!« knurrte er und versetzte Heng

einen Schlag in den Rücken, der den Arko-niden auf das SKORGON zutaumeln ließ.»Sie auch!« teilte er mir dann mit.

»Ich werde Ihnen ewig dafür dankbarsein, daß Sie so freundlich waren, mich vondieser höllischen Welt fortzubringen«, ant-wortete ich spöttisch und tat, als wollte ichmich verbeugen.

Magantilliken sah mich nur starr an. Ichzuckte die Achseln und folgte Heng.

An Bord des SKORGONS taute Amarka-vor Heng sichtlich auf. Er hatte auch allenGrund, auf dieses Schiff stolz zu sein. Wieer beiläufig berichtete, hatten seine LeuteJahre gebraucht, um den Raumer auf den jet-zigen Stand zu bringen.

Der größte Teil des Innenraums wurdevon den technischen Einrichtungen bean-sprucht. Dennoch gab es mehrere Kabinen.Ich bemerkte den zufriedenen Blick desHenkers und ahnte, daß er uns während derSchlafperioden einzeln einschließen würde.Er riskierte sonst Mord und Totschlag anBord. Die Zentrale lag im Bug. Heng führteuns auf dem schnellsten Weg dorthin, undich hielt die Luft an, als ich die hervorragen-de Ausstattung sah.

Die Triebwerke machten noch einenziemlich normalen Eindruck. Die Waffensy-steme jedoch hätten in jedem Schlachtschiffeinen guten Eindruck gemacht. Die Schutz-schirme konnten auf eine solche Stärke ge-schaltet werden, daß wir uns selbst vor denMaahks nicht zu fürchten brauchten, solangesich nicht ein Dutzend der Riesenwalzengleichzeitig mit uns befaßten. Am stärkstenjedoch beeindruckten mich die positroni-schen und ortungstechnischen Einrichtun-gen.

Magantilliken verlor kein Wort über dasSKORGON. Er war an die varganischeTechnik gewöhnt und betrachtete dieses ei-förmige Schiff vermutlich als einen besserenEinbaum. Ich dagegen spielte mit dem Ge-danken, später das SKORGON in meinenBesitz zu bringen. Es würde eine großartigeBereicherung der kleinen Flotte bedeuten,die Fartuloon auf Kraumon zusammenge-

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bracht hatte.Es ist zu auffällig! behauptete das Extra-

hirn, aber ich hörte gar nicht hin, sondernbeobachtete Heng. Der Kommandeur hattesich immer noch nicht mit seinem Schicksalabgefunden, sah aber wohl ein, daß er sichvorläufig dem Henker beugen mußte.

Er drückte einige Tasten herunter, und dieBildschirme vermittelten uns einen Eindruckdavon, wie es über dem Hangar und in derUmgebung Enorketrons zur Zeit aussah.

Ich erschrak, als ich das Ausmaß derRaumschlacht zum erstenmal auf diesemWege sah.

Draußen wimmelte es von Walzenrau-mern. Die Wasserstoff-Methan-Atmer hattenklar erkannt, daß Enorketron der wichtigsteder zwölf Planeten war, und sie griffen rück-sichtslos an. Gegen die Maahk-Schiffe wirk-ten die arkonidischen Kugelraumer beinaheunbedeutend. Dennoch kamen auch die Me-thans nicht ohne Opfer davon. Hunderte vonWalzenraumern trieben als ausgeglühteWracks davon. Die Arkoniden wehrten sichverbissen ihrer Haut.

Die Einspielungen – Heng übernahm sieüber ein Schaltsystem von seiner Zentraleunter dem Hangar – zeigten auch Enorketronselbst. Hier hatten die Zerstörungen ein Aus-maß erreicht, das schon jetzt einen Schlußzuließ: Gleichgültig, wie dieser Kampf auchausgehen mochte, würde man ganz Trant-agossa zumindest für viele Jahrzehnte nichtmehr in der bisherigen Form nützen können.

»Starten Sie endlich!« grollte die Stimmedes Henkers durch den mit Kontrollen voll-gestopften Raum.

Heng zuckte zusammen. Auch er hattemit einer Art grausiger Faszination auf dasBild gestarrt, das sich uns bot.

Er tat mir leid. Auch wenn wir Feinde wa-ren, glaubte ich seine Gefühle zu kennen.

Das Zentrum seiner Macht zerfiel. Einigeseiner Schlupfwinkel, von denen aus er je-den einzelnen seiner Untertanen hatte beob-achten können, waren bereits der allgemei-nen Zerstörung zum Opfer gefallen. Brändetobten durch die subplanetarischen Anlagenund verschlangen Dinge, deren Wert sich introckenen Ziffern kaum noch ausdrückenließ. Es würde lange dauern, bis man auchnur die Toten begraben hatte …

Es war weit mehr als nur ein Stützpunkt,den die Maahks hier und jetzt zu vernichtenversuchten. Einer der wichtigsten Eckpfeilerdes Großen Imperiums schwankte, und dieFolgen dieser Schlacht ließen sich im Au-genblick noch nicht einmal annähernd be-rechnen.

Heng löste seine Blicke von den Schirmenund wandte sich seiner Arbeit zu. Das Dachdes Hangars schob sich zurück. Rücksichts-los fuhr der Arkonide die Triebwerke hoch.Wie ein Geschoß schnellte sich das SKOR-GON in die Lufthülle Enorketrons hinauf,dem freien Raum entgegen, in dem die ent-fesselten Gewalten des Krieges tobten.

Ich machte mir wenig Sorgen um die Si-cherheit des Schiffes. Niemand würde einemso kleinen Raumer eine übermäßige Beach-tung zuteil werden lassen. Aber die Situationin der Zentrale erweckte ein ungutes Gefühlin mir.

Wir waren drei Männer an Bord, und je-der war der Todfeind des anderen. Mir kames vor, als hörte ich das leise Ticken einerZeitbombe. Lange ging das ganz sicher nichtgut. Auf jeden Fall wußte ich, daß mir keineUrlaubsreise bevorstand …

ENDE

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