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Wirtschaf tsteil Die wirtschaftliche Funktion der chemischen Industrie im In- und Ausland Vori W. il. Men c P~a~id~tit der Vet barides dei Chemischeii ittdu>ti ic e. C ' . Die chemisehe lndustric is! cin sehr komplexer Bereich der Wirtschaft, voii dessen Unifang und Hedeutung sich der Nicht- lachmann kaum eine rechte Vorstellong machen kann. Man faGt unter deni Begriff ;,Chemisehe Industrie" alle dicjenigen Industriezweige zusamnicn, die sich zu ihrer Fabrikation in u n i v c r s e 11 e r Weise chemisch-techniseher Vcrfahren be- dienen. hi Gegensatz zur mechariischen Technik, deren Verfahren eine Formgebung bezwccken, is1 das Merkmal der chemischcn Technik die Stoll'umwandlung. Einigc Bcispiele sollen diesm fundamcntalcn Unterschied zwischen mechanischer und rhcmi- sdier Technik etwas deutlicher machcn. Wcnn aus Eisen unrl St ah1 Maschinen gebaut oder aus Textilfasern Kleiderstofte gewebt werden, dann hat sich nur die Form dcr Stoffe ver- anclert. wahrend das Material das gleiche ge,blieben ist. Diese Produktiones fallen also eindetitig in den Bercich dcr mechn nischen Technik. Wenn dagegen aus dem Stickstoff der Lurr nnd dem Wasserstoff dcs Wassers durch Hochdrucksynthese Animoniak gewonnen wird. dann ist das eindcutig eine chc- inische Stoffurnwandlung. Und naturlich erst recht. wenn dann wciter Ammoniak mil dem Sauerstoff der Luft zu Salpctcr- saure oxydiert und zusaininen niit Kalk zu Diingemiiteln ver- arbeitet wird. D a m ist das fertige Enderzeugnis, oamlich Kalkaniinonsalpeter, ein ganz anderer Stoff als Ammoniak. Salpctcrsaure und Kalk. ur?d diese drei Zwischenproduktc sind wiederum ganz andere Stoflc als die Atisgangsmaterialieti I,uft, Wasscr und Gestein, aus denen sie Ietzten Endes stam- ni.en. Dieses Beispiel crsrheint hesonders typisch fur die Uni- wandlung geringwertiger Massenvorkommen in hochwertige Erzeugnisse mit Hilfs der chtmischen Technik. Nicht allc Industriezweige, die chemisch-technische Vertah- re11 anwenden, zahlen zur cheinischen lntiustrie. Wcnn z. 8. aus Sand, Kalk und Soda Glas gewoniien wird. so handelt es sidl dabei zweil'ellos urn einen chemischen ProzeiJ. 'I'rotzdeni wird die Glasindustrie nicht ziir rhemischen lndustric gercch- net. Sie bcdicnl sich namlich der chemischen Technik micht in einer u n i v e r s c II e n , sondern in einer e i n s e i t i g e n . fesr umrissenen Weise und nur zu eiiiem bcstimmten Zweck. nan- lich um Glas zu machen. Demgegeniiber Lahlt z. B. die pharnia- zrutischc lndustrie zur chcmischen Industric. Sie beriutzt die chemische Technik zwar auch nur zii einem hestimmten %wet,k. namlich zur Herstellung van Heilmitteln. Aber sie ist bei ihrer Fabrikatiun nicht auf ein einziges, eng begrenztes (:hemisdm Verfahren fcstgelcgt. verfolgt vielniehr ihr Ziel auf den ver- schiedensten Stoffumwandlungswegen unter Verwendung int- mer iieuer Ausgangsstoffe. Ihre A4rbeitswcise ist typisch l'ur die chemische Industrie. Zwischen den Extremen der universellen und der cinseiti- gen Anwcndung der chemischen Technik gibt es natiirlich in ller wirtschaftlichen Praxis alle moglichen tibergangc. Dahcr IaBt sich der Bereich der chemischen lndustrie durch Begrills- nierkmale auch nicht eindeutig abgrcnzen. Der Umfang der Industriezweigc, die zur chemischen lndustrie perechnet wer- den, ist z. T. durcli historische und traditionellc Faktor,en be- stimmt unti auch van Land zii 12an8d untsrschiedlich. Dadurdi wird leider ein internalionaler Vergleich dcr Statistisken sehr erschwert. Ein Faktum, das oft auBer Acht gelassen wird unu die haufigcn Widerspruche erklart, die sogar in wissenschatt- liclien Abhandlungen zu finden sin8d und manche Fehlschliisse vc rursachen. die selbst auf internationaleu Konferenzen ihr Unwesen treiben. Allen chemischen Produktinnsverfahren ist gemeinsam. daG die Stoffamwandlung eine Werterhiihung dcr Ausgangsmatc- rialien bezwekt. Der Grad der Wertsteigerung tritt um so 55. Jahrg. Nr. 10 1953 PETTE UNn SBIFEN dcutlicher in Erschcinung, je mehr es sieh auf der Seite der Ausgangsstoffc urn gcringwertige Massenbestandteile der Erd- r i d e , wie Gesteine. Wasser, Luft usw.. und auf der andere!] Scite dcr Enderzeugnisse urn hodwertige Giiter, wie Arznci- miltel, Kosmetika, Farben, D-iingemittel, Sprcngstoffe, Iso- lations- und I(onstruktionsmaterialien, handelt. Aus Wertloseni wirti hier Wertvollstes gewonnen. Der Wert der Chemie- ei,zeugnisse zeigt sich meislens besonders auffallig in ihrer hnhen Nutzwirkung. So konnen z. B. Arbeitsersparnis, Lei- stungssteigerung, Verlustminderung und Mehrertragc durch die anwendung chcmischer Erzcugnisse erzielt werden. Wenn man den Begrifl WirkstoCf als Stoff. mit den1 eine spezielle Wir- kung erzielt wcrdcn soll, in wcitestem Sinne auffaBt und auch die Schutzwirkung noch einbezieht, dann hat man damit ein wcsentliches Merkmal aller chcmis&en Erzeugnisse erfagt. Marl kann die Wirkstoffeigenschalt auch in dem Sinn auslegen, daG dadurch ein Vorgang wirksamer gestaltet wird. Die rmiveiselle Fwiktioti (lei. rhumischm Itadits~rie Wenn vorhin gcsagt wurde, dafi das Kennzeichen dcr che- mi5chen lndustrie die u n i v e r s e I1 e Anwendung der chemi- sdien 'L'tchnik ist. so bedarf diese Feststellung noch einer wichtigen Erganzung. Die chemische Industric ist nicht nur universell in ihrer chemisehen Verfahrenstechniik, sie ist vor diem auch universell in ihrer volkswirtschaftlichen Funktioil durch die Anwendung ihrer Erzeugnisse in allen Wirtschafts- und Ldxnsbereichen. Die volkswirtschaftliche Funktion der rileisten Industriezweige erschbpft sich in einer spezicllen Be- darfsdezkungsaufgabe, entweder auf dem Konsumgiiter- oder auf dem Produktionsmittelgebiet. bisweilen auch auf beiden. Die volkswirtschaftliche Funktion der chemischen lndustrie geht dariiber weit hinaus. Die chemische lndustrie liefert Kon- sumgiiter und Produktionsmittcl der verschiedensten Art. Sit liefert der Technik Hilfsmaterialie:~ und Spezialstoffe. sie lie- frrt ihr aher auch neuc Arbeitsverfahrcn zugleich mit den stuiilicheu Mitteln. Als Zulieferantin von Koh- und Hilfsstof- fen ist die chemische lndustrie auch auf das ciigste mit dcr nitchanischen Fertigung verkniipft. In diesern Zusammenhang sol1 nochnials kurz auf die eingangs erwallnten Beispiele au.; dent Bereich dcr Tcchnik hingewiesen werdcn. Wcnn aus Eiscn iind Stahl mit Hilfe mechanischer Verfahren Maschinen gebaut werden. so hat hierbei die Chemie ein entscheidendes usprechen. Fiir den KohgufZ liefert die chemischc In- rn,bindemittel, wid das Enderzeugnis ware ohne den Obcrflachenschutz nahezu unverkauflich. Oder wcnn Textil- lasern zu Stofl'eri verarbeitet werden. so geht das nicht ohne Bleich-. Schlichtc- und hppreturmittel - vom Farben: hi- pragnicren iisw. ganz zu schweigen. Nit Eraeugnissen, dic eincii Vorgang wirksamcr gestaltm oder eine gezielte Wirkung garantieren, pflegen Arbeitsweiscii verbessert zu werden. Man kann auch sagen, es wird dadurch eine Kation;ilisierung trreicht. D i e v o ! k s w i r t s c h a I' t ~ Iicbe Funktion der chemischeri Industrie ist somit die eincr Produktivitiitssteigerung aul allen Gcbieten dcr Wirtschalt. vcrmittclt d LI r ch t'a t i o nc I1 c und ii k o no m i s c h e .A u s n u t z u ti 2 der durch die Stol'funiwandluiig gegebencii RI ii g I i c h k e i t e n. Die k'roduktivitatsstcigerung ist niit einer Leistungssteigc- rung uncl Kustensenkung verbunden. Ger~e~ell ist das kauni zu erfassen. Der Nachweis lai3t sich nur durch eine Vielzahl von Einzelbeispielen erbringtn. Man kaiin dabei den histori- sthcn ocler den statistischen Weg cinschlagen. Eine historische Darstcllung van der Vcrknupfung dcr chemischen Industrie 766

Die wirtschaftliche Funktion der chemischen Industrie im In- und Ausland

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Wirtschaf tsteil

Die wirtschaftliche Funktion der chemischen Industrie im In- und Ausland Vori W . il. M e n c

P ~ a ~ i d ~ t i t der Vet barides dei Chemischeii i t t du> t i ic e. C'.

Die chemisehe lndustric is! cin sehr komplexer Bereich der Wirtschaft, voii dessen Unifang und Hedeutung sich der Nicht- lachmann kaum eine rechte Vorstellong machen kann. Man faGt unter deni Begriff ;,Chemisehe Industrie" alle dicjenigen Industriezweige zusamnicn, die sich zu ihrer Fabrikation in u n i v c r s e 11 e r Weise chemisch-techniseher Vcrfahren be- dienen.

h i Gegensatz zur mechariischen Technik, deren Verfahren eine Formgebung bezwccken, is1 das Merkmal der chemischcn Technik die Stoll'umwandlung. Einigc Bcispiele sollen diesm fundamcntalcn Unterschied zwischen mechanischer und rhcmi- sdier Technik etwas deutlicher machcn. Wcnn aus Eisen unrl St ah1 Maschinen gebaut oder aus Textilfasern Kleiderstofte gewebt werden, dann hat sich nur die Form dcr Stoffe ver- anclert. wahrend das Material das gleiche ge,blieben ist. Diese Produktiones fallen also eindetitig in den Bercich dcr mechn nischen Technik. Wenn dagegen aus dem Stickstoff der Lurr nnd dem Wasserstoff dcs Wassers durch Hochdrucksynthese Animoniak gewonnen wird. dann ist das eindcutig eine chc- inische Stoffurnwandlung. Und naturlich erst recht. wenn dann wciter Ammoniak mil dem Sauerstoff der Luft zu Salpctcr- saure oxydiert und zusaininen niit Kalk z u Diingemiiteln ver- arbeitet wird. D a m ist das fertige Enderzeugnis, oamlich Kalkaniinonsalpeter, ein ganz anderer Stoff als Ammoniak. Salpctcrsaure und Kalk. ur?d diese drei Zwischenproduktc sind wiederum ganz andere Stoflc als die Atisgangsmaterialieti I,uft, Wasscr und Gestein, aus denen sie Ietzten Endes stam- ni.en. Dieses Beispiel crsrheint hesonders typisch fur die Uni- wandlung geringwertiger Massenvorkommen in hochwertige Erzeugnisse mit Hilfs der chtmischen Technik.

Nicht allc Industriezweige, die chemisch-technische Vertah- re11 anwenden, zahlen zur cheinischen lntiustrie. Wcnn z. 8. aus Sand, Kalk und Soda Glas gewoniien wird. so handelt es sidl dabei zweil'ellos urn einen chemischen ProzeiJ. 'I'rotzdeni wird die Glasindustrie nicht ziir rhemischen lndustric gercch- net. Sie bcdicnl sich namlich der chemischen Technik micht in einer u n i v e r s c I I e n , sondern in einer e i n s e i t i g e n . fesr umrissenen Weise und nur zu eiiiem bcstimmten Zweck. n a n - lich um Glas zu machen. Demgegeniiber Lahlt z. B. die pharnia- zrutischc lndustrie zur chcmischen Industric. Sie beriutzt die chemische Technik zwar auch nur zii einem hestimmten %wet,k. namlich zur Herstellung van Heilmitteln. Aber sie ist bei ihrer Fabrikatiun nicht auf ein einziges, eng begrenztes (:hemisdm Verfahren fcstgelcgt. verfolgt vielniehr ihr Ziel auf den ver- schiedensten Stoffumwandlungswegen unter Verwendung int- mer iieuer Ausgangsstoffe. Ihre A4rbeitswcise ist typisch l'ur die chemische Industrie.

Zwischen den Extremen der universellen und der cinseiti- gen Anwcndung der chemischen Technik gibt es natiirlich in ller wirtschaftlichen Praxis alle moglichen tibergangc. Dahcr IaBt sich der Bereich der chemischen lndustrie durch Begrills- nierkmale auch nicht eindeutig abgrcnzen. Der Umfang der Industriezweigc, die zur chemischen lndustrie perechnet wer- den, ist z. T. durcli historische und traditionellc Faktor,en be- stimmt unti auch van Land zii 12an8d untsrschiedlich. Dadurdi wird leider ein internalionaler Vergleich dcr Statistisken sehr erschwert. Ein Faktum, das oft auBer Acht gelassen wird unu die haufigcn Widerspruche erklart, die sogar in wissenschatt- liclien Abhandlungen zu finden sin8d und manche Fehlschliisse v c rursachen. die selbst auf internationaleu Konferenzen ihr Unwesen treiben.

Allen chemischen Produktinnsverfahren ist gemeinsam. daG die Stoffamwandlung eine Werterhiihung dcr Ausgangsmatc- rialien bezwekt. Der Grad der Wertsteigerung tritt um so

55. Jahrg. Nr. 10 1953 P E T T E U N n S B I F E N

dcutlicher in Erschcinung, je mehr es sieh auf der Seite der Ausgangsstoffc urn gcringwertige Massenbestandteile der Erd- r i d e , wie Gesteine. Wasser, Luft usw.. und auf der andere!] Scite dcr Enderzeugnisse urn hodwertige Giiter, wie Arznci- miltel, Kosmetika, Farben, D-iingemittel, Sprcngstoffe, Iso- lations- und I(onstruktionsmaterialien, handelt. Aus Wertloseni wirti hier Wertvollstes gewonnen. Der Wer t der Chemie- ei,zeugnisse zeigt sich meislens besonders auffallig in ihrer hnhen Nutzwirkung. So konnen z. B. Arbeitsersparnis, Lei- stungssteigerung, Verlustminderung und Mehrertragc durch die anwendung chcmischer Erzcugnisse erzielt werden. Wenn man den Begrifl WirkstoCf als Stoff. mit den1 eine spezielle Wir - kung erzielt wcrdcn soll, in wcitestem Sinne auffaBt und auch die Schutzwirkung noch einbezieht, dann hat man damit ein wcsentliches Merkmal aller chcmis&en Erzeugnisse erfagt. Marl kann die Wirkstoffeigenschalt auch in dem Sinn auslegen, daG dadurch ein Vorgang wirksamer gestaltet wird.

Die rmiveiselle Fwikt io t i (lei. rhumischm I t a d i t s ~ r i e Wenn vorhin gcsagt wurde, dafi das Kennzeichen dcr che-

mi5chen lndustrie die u n i v e r s e I 1 e Anwendung der chemi- sdien 'L'tchnik ist. so bedarf diese Feststellung noch einer wichtigen Erganzung. Die chemische Industric ist nicht nur universell in ihrer chemisehen Verfahrenstechniik, sie ist vor d i e m auch universell in ihrer volkswirtschaftlichen Funktioil durch die Anwendung ihrer Erzeugnisse in allen Wirtschafts- und Ldxnsbereichen. Die volkswirtschaftliche Funktion der rileisten Industriezweige erschbpft sich in einer spezicllen Be- darfsdezkungsaufgabe, entweder auf dem Konsumgiiter- oder auf dem Produktionsmittelgebiet. bisweilen auch auf beiden. Die volkswirtschaftliche Funktion der chemischen lndustrie geht dariiber weit hinaus. Die chemische lndustrie liefert Kon- sumgiiter und Produktionsmittcl der verschiedensten Art. Sit liefert der Technik Hilfsmaterialie:~ und Spezialstoffe. sie lie- frrt ihr aher auch neuc Arbeitsverfahrcn zugleich mit den stuiilicheu Mitteln. Als Zulieferantin von Koh- und Hilfsstof- fen ist die chemische lndustrie auch auf das ciigste mit dcr nitchanischen Fertigung verkniipft. In diesern Zusammenhang sol1 nochnials kurz auf die eingangs erwallnten Beispiele au.; dent Bereich dcr Tcchnik hingewiesen werdcn. Wcnn aus Eiscn iind Stahl mit Hilfe mechanischer Verfahren Maschinen gebaut werden. so hat hierbei die Chemie ein entscheidendes

usprechen. Fiir den KohgufZ liefert die chemischc In- rn,bindemittel, wid das Enderzeugnis ware ohne den

Obcrflachenschutz nahezu unverkauflich. Oder wcnn Textil- lasern zu Stofl'eri verarbeitet werden. so geht das nicht ohne Bleich-. Schlichtc- und hppreturmittel - vom Farben: hi-

pragnicren iisw. ganz zu schweigen. N i t Eraeugnissen, dic eincii Vorgang wirksamcr gestaltm

oder eine gezielte Wirkung garantieren, pflegen Arbeitsweiscii verbessert z u werden. Man kann auch sagen, es wird dadurch eine Kation;ilisierung trreicht. D i e v o ! k s w i r t s c h a I' t ~

I i c b e F u n k t i o n d e r c h e m i s c h e r i I n d u s t r i e i s t s o m i t d i e e i n c r P r o d u k t i v i t i i t s s t e i g e r u n g a u l a l l e n G c b i e t e n d c r W i r t s c h a l t . v c r m i t t c l t d LI r ch t'a t i o n c I 1 c u n d ii k o n o m i s c h e .A u s n u t z u ti 2 d e r d u r c h d i e S t o l ' f u n i w a n d l u i i g g e g e b e n c i i RI ii g I i c h k e i t e n.

Die k'roduktivitatsstcigerung ist niit einer Leistungssteigc- rung uncl Kustensenkung verbunden. G e r ~ e ~ e l l ist das kauni z u erfassen. Der Nachweis lai3t sich nur durch eine Vielzahl von Einzelbeispielen erbringtn. Man kaiin dabei den histori- sthcn ocler den statistischen W e g cinschlagen. Eine historische Darstcllung van der Vcrknupfung dcr chemischen Industrie

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mit der iibrigen Wirtschalt ist in kurzen Ziigen nicht mijglich. auch wenn man sich dabei nur auf die gi.oDen Linien beschran- kcn wurde. W i r miissen uns also mit der statistischen Dar- stellung begniigen, welche die griji3te Fiille von Einzelheiten. wcnn auch recht summarisch, aber doch in der kurzesten Zeit wiederzugeben vermag. Sie gewahrt aber andererseits den Vcrtcil, daB cin iibersichtlicher internationaler Vergleich da- mit verbunden werden kann, ein Vergleich iibrigens mit iiber- raschenden Aufschliissen, deren Bedcutung weit iiber die Che- micwirtschaft hinausgeht.

Clzeaiisdte Indtistiie ctls Wi?.t~thcrl'tsbff,.oniafc i

Man kann die Kapazitat der chemischen Industrie eines Landes, soweit es sich nicht urn ein atsgesprochenes oder iiber- wicgendes Agrarland handelt, geradezu als Gradmesser fur die miigliche Kraftentfaltung der gesamten Wirtschaft diescs Landes auffassen. Jedenfalls ware ein solcher wirtschal'tlicher Leistungsbarometer nicht weniger geeigriet als die sonst zu r Charakterisierung des Leistun#gsstandes einer Wirtschaft her - angezogenen Zahlenangaben, wie Kohlenforderung, Rohstlah!- Erzeugung-, landwirtschaftliche Hektarertrage, gewerbliche qtundenlohne und Tonnenkilomcter der Verkehrsbetriebe. Zn- sammen mit der Kapazitat des Maschinenhaus und der Elek- trotechnik g ibe die Kapazitat der Chemie den besten An- haltspunkt fur die gesamtwirtschaftliche Produktivitat, die aus einer optimalen Verkniipfung der einzelnen natiirlichen Pro - duktionsfaktoren entspringt. Die drei genannten Industrie- gruppen - man kann sie auch als die wissenschaftlichen In- dustrien bezeichnen - sind die Wegbereiter des technischen Fortschritts. Ihrc Leistung is1 kennzeichncnd fur die gesamte t e h i s c h e Leistungshohe und den Stand der industriellen Aus- riistung einer Volkswirtschaft.

No& mehr als die anderen beiden genannten Industriegrup- pen, Maschinenbau und Elektrotechnik. wird die chemische In- dustrie in ihrer eigenen Leistungsfahigkeit hauptsachlich von geistigen Faktoren bestimmt, vom Stand der Wissenschaft. vom Geist der Forscher und Erfinder, vom Erfahrungsschatz der Techniker und Kaufleute und erst in zweiter Linie von den Kosten der Energie und der Apparatebaustoffe. Sonstige Rohstoffe, die von der chemischen Industrie benotigt werden, fallen im allgemeinen weniger ins Gewicht. Unter Energie- kosten sind diejenigen fur Energietrager im weitesten Sinn zu verstehen, also die Kosten fur Kohlc, Erdol, Erdgas, Wasscr- kraft usw.

Ohne selbst in ihren Rohstoffheziigcn in stlrkcrcm MaDe abhangig zu sein, beeinflufit dic chemische Industrie als Lie- ferantin von Spezialstoffen die Technik aller ubrigen Indii- strien. die lntensitatsstufe der Landwirtschaft. die IProdu'ktivi- t i t des Bergbaues. die Wirtschaftlichkeit der Energie-Erzeuguiig utid des Verkehrswescns. Es sollen im folgenden einige charak- Leristische Entwicklungen herausgegriffen werden.

llic, ChetiLie-Ei/ lwi tkl t i~/~ i f i drri USA Der .4nteil der chemischen lndustrie an dcr industriellen Gc-

sarntproduktion I213t sidi an Hand des amerikanischen Pro- duktionszensus verfolgen. Er zeigt das Bild einer lortgesetzte~~ Steigeruiig (Tab. 1).

' l ' a l )e l le I

N ~ ~ / l o ~ , . f l t / / r k l i a / / ~ W f , I /('

Gesamt- Chemische (;heinie lndustrie In,dustrie Aiiteil inMrd. $ inMrd. $ i n o / t i

1927 26.3 1 .A I

1937 25.2 I .8 7 1947 74.4 .5.9 X 19.50 x9.7 H.X I 0 I952 98.4 IO.8 I I

Wie die Tab. zeigt, hat sirh in USA der Chcmie-Anteil ail der gesamten Industrie-Produktion von 1927 his 1952 von 5

auf 11 v/u erhiiht. d. h. also im L a d e von 23 Jahren mehr als vcrdoppelt. Die arnerikanische Industrie-Yroduktion war im vergangenen Jahr doppclt so hoch wie im Durchschnitt der letzten Vorkriegsjahre, die anierikanisrhe Chemie-Erzeugung ist aber in der gleichen Zcit nuf den vierfachcii Wer t ange- wachsen.

Es erheht sich nun die Fragc, oh dieses am Beisyicl Ameri- kas fur die vergangenen 23 Jahre festgestellte. weit iiberdurch- shnittlich raschc Wachstum der chcmischen Industrie auch in Zukunft anhal'ten wird. Eine solche Frage nach dem Trend dcr zukunftigen Entwicklung ist natiirlich nicht iiur fur die m e - mische Industric von griiBtem Interesse, sondern fiir allc Wirt- schaftszweige gleichermaBen von Bedeutung. Ebenso wichtig wie die Frage ist. ebenso schwierig ist auch ihre Beantwortung. Sie setzt eiiie unifasscnde Untersuchung der dynamischen Krafte der Wirtschaft voraus. Da es nun weder cine Volks- wirtschaft nodi cine Weltwirtschaft im klasaischen Sinn der Worte gibt, ist die Antwort aul die Frage nach der kiinftigen wirtschaftlichen Entwicklung in ihrem Ergebnis um so sicherer, j e groDer und geschlossener der Wirtschaftsraum ist, der un- tersucht wird. Allerdings lialtet ,jeder aucli noch so umfassen- den und griindlichen Untersuchung leider der Unsicherheits- faktor an, dai3 dabei die z. 1'. ausschlaggebenden Imponderabi- lien des politischen Kraftespiels nicht herucksirhtigt werden kiinnen.

Die Amerikaner haben nun in jiingster Zeit den erfolgrei- h e n Versuch unternommen. die wirtschaCtliche Entwicklung der USA und der iibrigen Lander der freien Welt fur die nachsten 25 Jahre vorauszuberecbnen. Auftraggcber iiir diese Untersuchung war Prasident Triirncm, der zu Beginn des Jah- res 1951 eine Kohstoff-Kommission eingesetzt hat, um die Frage der Koshstoff-Vcrsorguiig auf lange Sicht und die sich daraus ergebenden Konsequenzen fur die Kegierungspolitik zu klbren. An der Untersuchung hat ein grolkr Stab von nam- haften Wissenschaftlern und Sachverstacdigen aus Staat und Wirtschaft eineinhalb Jahre lang gearbeitet. Ddas Ergebni,s wurde im Sommer vergangenen Jahres verdffentlicht und fiillt fiinf dicke Bande. Es ist - nach dem Vorsitzenden der RohstolT- Kommission benannt -- als Pnley-Bericht bekanntgeworden und hat in der ganzen Wel t griiBte Beachtung gefunden. Ini Verlaui der weiteren Ausfiihrungen, soweit von der kiinftigen Entwicklung der Wirtschaft die Rede sein wird, sol1 noch an nielireren Stcllen auf diescn Pnlry-Bericht eingegangen werden.

W a s sagt nun der Paley-Bericht iiher die kiinftige Cbemic- Enhvicklung? Nach Ansicht der amerikanischen Rohstoff- Kommission mufi man im Laufe der nachsten 25 Jahre mit einer wei teren Vervierfachung der amerikanischen Chemie- Produktion rechncn, wahrend gleichzcitig nur eine Verdoppe- lung des arnerikanischen Sozialproduktes crwartet wird. Ilami t wiirde in USA der Antcil der chemischen Industrie an der ge- samten Industriewirtschaft von I 0 " i o im Jahre 1950 aul ni i n d e s t e 11 s 20"/0 his zum Jahre 1975 aiiwachseri. Die amerikanische Chemie-Erzcugung mit einem dcrzeitigeii Brutto-Produktionswert von rd. I!) Mrd. $, die heute S L ~ I n i i t

,Abstand ail der Spitze tlcr Wcltranglistc steht. wiirlde h i s Z L I I ~ I

Jahre 1975 e t w a 7 i Mrd. 8 erreithen. in UM umperechnet de11

gtradezu gigantischen Wcr t von iihcr 3 0 0 Milliardeli.

ilk firi twi(kli irig in d c , t t t i r ir lc w t t w i d i / i g s / c / t ( , ' l t / , i i i ; [ , l ( / i i ( lc , i t i

Es licgt nahe, it] der (~heinie-Etitwi~klullg ( le i - Vereiriigteii Staaten ciiicn Sondcrfall zu sehen. der sick iiicht verallpeniei- iiern lafit. Dies ist his LU einenr gewissen Grad auch zutrei- I'rnd, nam!ich dann. wenil man die absoluten Zifferii hetracli tet. Was jedoch das Tempo der C:hemic-Entwicklung aiigeht, so steht das amerikanische Beispicl keincswcgs vereinzelt uil. Es findet sein Leachtliches Gegenstiick in SowjetruDland. Wah- rend die USA - bei Ausschaltung aller Preisbewegungen - ihre Chemie-Produktion seit den lctzten Jahren vor dern zweiten Wcltkrieg his heute nur vervierfacht Nhaberi. konnte die Sowjetu!iion wahrend des gleicheii Zeitraumes ihre Chc- niie-Erzeugung auf das Funi- his Sechsfahe steigern. Damit hat sich dieses Land nun den Plat;. des zwcitwichtigsten Chc-

FETTE U N D S E I F E N 55. Jahrg. Nr, 10 1953 766

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mielandes der Welt erobert und steht heute in der WeNltrang- liste vor den ehemaligcn 'lraditionslandern Deutschland nnd England. Auch Groghritannien, Japan, Kanada und Polen haben auf dem Chemie-Gebiet eine sprunghafte Aufwarts- entwicklung zu verzeichnen. Die Chemie-Erzcugung ist gegcrl- iiber dcr Vorkriegszeit in GroDbritannien auf fast das Vier - fache gestiegen, in Japan auf das Dreifache, in Kanada ;ruf fast das Vierfache und in Polen sogar auf das Sechsfache. Demgegenuber sind die Zunahmen bei den iihrigen fuhrenden Chemiclandcrn wesentlich geringer. Die folgendcn heiden 'I'ah. geben einen Uberblick uber die Entwicklung de r Chemir- Erzeugung und des Chemie-Exports in den sieben wichtigsten Chemielandern fur die Zeit von 1913 his heute.

ist zu hoffen, dai3 sich die seit 1949 beginnende Aufwartsent- w;cklung der deutschen Chemiewirtschaft fortsetaen wird und ebenso wie in Amerika der Anteil der Chemie innerhalb der dcutschen Industriewirtschaft in den nachsten Jahrzehnten sich von 1 0 auf 20uio verdoppeln wird.

Iiiteiisiuierimg der 1:orsdmig Es kann ohne iibertriiebenen Optimismus festgestellt wer-

den, dat3 in wissenschaftlich-technischer Hinsicht d ie Voraus- sctzungen fur einc derart gewaltige Produktionsausweitung wieder gcgehen sin& 0,der - um cs vorsichtig auszudriicken - sie sind wenigstens in ihren Ansatzen vorhanden. Ein- gangs wurdc schon vnn den drei wissenschaftlichen Industrie-

Tahelle 2

IJie Chcnzie-Ei zeugrtiig &I w i c h t i g ~ t e n L m d e ~ ail MI d. $ u i i d in u i u c l r ~ Weltmi :eirgirtig

191'3 1927 1938 1949 I952 Mrd. $ Mrd $ u/u Mrd. $ ulo Mrd $ ('/u Mrd. $ "/a

USA Sowjetunion Groabritannien Deutschland

Frankreich Italien iibrige Lander Weltproduktion

Japan

0.8 1 0.07 0.26 0.57 0.04 0.20 0.07 0.40 2.38

54 0 3 0

11.0 24.0

1 ,.5 8.5 3.0

15.0 I00

2.25 42.0 0.19 3.6 0.55 10.2 0.85 16.0 0 . I 3 2.4 0.36 ti.7 0.1 7 3 . I 0.85 I t i . 0 ,336 100

3.2 29.0 0.9 8.2 0.9 &ti 2.3 21.4 0.6 5.6 0.6 5.6 0.4 4.1 1.S l i . 5

10.8 100

13.2 47.5 2.1 8.7 2.6 9.4 1,4<- 4.9" 0.5 2.0 1.1 4.0 0.7 2.4 5.1 18.7

27.6 100 .

18.6 42.0 5.0 11.1 3.5 7.9 2.3" 5.22' 1.8 4.0 I .4 3.2 1.1 2.3 9.7 22.0

44.4 1u0 .

19.52 Mill. $ "/u

USA 14 9.8 I 66 13.h Sowjetunion Groghritannien 120 15.8 I62 13.5 Deutschland 209 26.7 314 26.2

Frankreich 71 9.4 I12 9.:; Italien 1s 2.4 5 0 4.2 Weltausfuhr 7.50 1200

::' Deutschland: fur 1919 unc! 1952 nur Bundesgebiet

Japan 14 1.8 18 I .5

Deutschland ist das Land. desscn Anteil an der chemisdicn M'elterzeugung seit 1913 am starksten zuruckgegankcn ist. In - nerhalh der deutschen Wi r t sha f t ist der Chemie-Anteil seit 50 Jahren ungefahr gleich geblieben. Schon vor der Jahfihun- dertwendc stellte die chemische Industrie etwii 10 " i n dca Wer- tes der gesamten deutschen Industric-Produkti,on. Hcute liegt ihr Anteil inncrhalh dcr Bundesrepublik gleichfalls bei 1 0 "is. Deutschland war Jahrzehnte hindurch das fiihrende Chemie- land der Welt. Es hat am Anfang des Jahrhunderts ein Dr i t - tel des gesamten Weltmarktes mit chemischen Erzeugnisseri ganz allein beliefert. Rund 9O0!u der auf der Wel t verbraurh- ten Farbstoffe kamen 1913 aus deutschen Fabriken, im Jahre 1952 nur noch 28.5

Es giht keine zweite Induslricgruppe - von reineri Riistuugs- iiidustrien abgesehen -, die durch die zwei Weltkriege derdrt kntastrophale KiiLkschlage erlitten hat, wie die Chemiewirt- schaft. Sie mui3te die Beschlagnahme der Patente und Waren- zeichen, die Enteigiiung und Zerstiirung von Fashriken und Niederlassungen. die Zerreiijung der chcmischcn Verbundwirt- schaft zwischen Ost- und Westdeutschland durch Zoncntren- nung und srhliei3lich Dcmontagen, Produktions- und For- schngsverbote hzw. -beschrankungen auf zahlreichen Gebieteii iiber sich ergehen lassen. Ihre fuhrende Stellung auf dcm We'ltmarkt ging dabei verloren. Nach den1 ersten Weltkrieg wurdc dcr Riickschlag fast wieder aufgeholt. Nach dcm zweiten

181 14.7 85 I 37.3 1100 27.5

191 15.6 3 1 8 301) 4.5 3.6 3 9

100 8.1 18.; 5 9 4.X 48

1250 2500

24.4 94"

gt uppen gesprochen, niinilich dem Maschineiibau, tler Edektro- technik und der Chemie. Nun, es gibt wohl keine zweite 111- dustrie, fiir die eine a u l Iange Sicht Letriehene Grundlageu- lorschung so unentbehrlich is t wie fiir die chemische Industric. Es gab nach dem Zusanimenhruch sehr viele Pessimistem die der Meinung waren, dai3 init der erzwungeiien Offenlegung aller Betriehsgeheimnisse der chemischen Industr.ie die Bundels- republik sich fur alle Zukunft mit dem Erwerb auslan,disc'tlei- Lizenzen begniigen musse. Es ist kein Geheimnis. wenn d e n - gegenubcr heute lcstgestellt wcrden kann. daii wir nicht daraul ingewiesen sind. uns einseitig d i e Erfahrungen des Auslan:ih zunutze zu machen. sondern dai3 man sich im Ausland schhov wicder ernsthaft um Lizenzen deutscher chemischer Verfahreri bemiiht.

Glucklicherwci~se kiinneii wir I'eststelleii. tlalS W issenschal t und l'echnik auch im Chemie-Eereich in den hoffnungsloserr Jahren nach 1945 iiicht die Flinte ins Korn geworfen hatten. Unsere Wissenschaftler haben setbst griiflter materieller Not getrotzt. Die Institute waren gro1Stenteils zerstort und die Etats bis zur Licherlichkeit zusammengeschrumpft; RS waren -. und das sollte offen ausgesprochen werden - vor der Wahrungsreform Armut und oft sogar Hungcr standige Be- gleiter derer, die ihren wissenschaftlichen Beruf uber materielle Augenblicksverlockungen slellten. Es bietet sich so seIten Ge- lexenheit in unserer schnellebigen Zeit, diese Tatsachen ins - -

Wcltkrieg ware eine solche Erwartung vermessen. GleichwohlG~cdachtnis zuriickzurufen, daD sie hier einrnal ausdriicklich er-

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wahnt werdeu solleii. Der selbstlosen C;rurldlageIllorschullg auf dem Chemiegebiet verdanken wir unseren beispiellosen Auf- stieg. Auch durch grogten finanziellen Aufwand lal3t sich diese idealistischi Grundhaltung nicht kompensieren. Und nur des- halb ist die deutsche Chemiewirtschaft nicht hoffnungslos und endgiiltig ins Hintertreffen geraten.,

Es gibt aber Grenzen, die nicht unterschritten werden kon- nen. Sie betreffen nicht nur die materiellc Ausriistung der In- stitute mit den nun einmal unentbehrlichen, wenn auch kost- spieligen Apparaturen, sie betreffen auch die heute no& noto- risrhe Unterhewertung d f r geistigen und wisaenschaftlichen Arbeit. Bereits im vorigen Herbsi: wurde anladlich des 75jiih- rigen Jubilaums des Chcmicverbandes rnit allem Nachdruck auf diesen Punkt hingewiesen!

Wi r von der chemischen Industrie haben jedenfalls aus die- ser Erkenntnis die notigen Schlugfolgerungen gezogen und schon 1950 unsere Mitgliedsfirmen aufgerufen, einen ,.Fontls der Chemie zur Forderung von Wissenschaft und Lehre" zu schaffen. Bis Eade dieses Jahres wcrden es 5 Mill. DM sein, die von der chemischcn Industrie aus freiwilligen Spcndeti zur Forderung der Wissenschaft aufgehracht wurden. Damit kann aber nur ein kleincr Tcil aller Wunsche erfullt werden, aber es ist zu hoffen, dai3 dieses Beispiel Schulz macht und dar- iiber hinaus der wissenschaftlichen Arbeit ihre friihere Stellung zuruckzugewinnen hilft.

( l ie Chetiiie ( i l b Ex~ort lcckto , .

Auf die Abschweif'urig in den wissenschaftlich- theoretische:~ Brreich konnte schon deshalb nicht verzichtet weaden. weil er scblechthin die Voraussetzungen fur unsere Export-Erfolqe schaffen mug. Und wenn wir jetzt zur volkswirtschaftlichen Betrachtung der chemischen lndustrie zuriidckebren, so sei daran erinnert, dai3 sie ihre beispiellose Dynamik in erster Linie dcn Forschungserfolgen verdankt. Leider konnen diese Fragen von der so iiberaus interessanten finanzpolitischeri Seite hier nidit behandelt werden. Es mull jedenfalls nur bei der Feststellung bleihen, da6 es Milliardenbetrage sind, die die chemische In- dustrie in allernachster Zcit bcnotigt, um die praktische Nutz- aiiwendung aus den internationalen Forschungsergebnisserl ziehen zu konnen. Dabei ist der ganze Komplex der Kern- chemie nicht einmal eingerechnet

Wcnn nunmehr au f den Export eingegangen werden soll, su darf wohl vorausgesetzt werden, dad unsere Export- probleme einigermagen gelaufig sind. Taglich ist von den sich zuspitzenden Wettbewerbskampfen auf den internationalen Markten unter scharfstem Preisdruck ZLL horen. Die bundes- deutsche Chemie-Produktion in der Groi3enordnung von 1 0 Mrd. DM jahrlich exportiert 20°/0 ihrer Erzeugung. Sie zahlt damit auch jetzt noch zu unseren wichtigsten Devisen- bringern, obgleirh die Export-Situation der letzten 40 Jahre mit erschreckender Deutlichkeit zeigt, wieviel Terrain wir ver- loren haben. Wahrend wir noch 1913 mehr als ein Viertel des internationalen Chemiegeschafts bestritten. sank unser Anteil bis 1940 auf 4"io. Er wird sich in niichster Zeit nur wenig uber die jetzt erreichten 10"in erheben kijnnen; dafiir ist dcr Vorsprung, den das Ausland wahrend und vor allem nach den] Kriege erreichen konnte, zu grog.

Im Kahmcir dieser Betrachtung sol1 jedoch nicht allein die tiationale Funktion der Chemiewirtschalt untersucht wer,den. Die Zeit autarkisth eingestellter Nationalwirtschaften wird hciffentlich bald der Vergangenheit angehoren und von einem echten internationalen Wettbewerb verdrangt werden, in dem allein die echte Leistung die Oberhand ,behalt. Ich glaubbe, dal!, wir trotz unserer durch die Kriegsfolgen so verschlechterten Startbedingungen dieser Periode rnit Ruhe und Zuversicht ent- gegensehen konnen. Uni dem Prinzip der Objektivitat soweit wie moglich Rechnung zu tragen, soll in den weiteren Aus- fiihrungen iiber die internationale Entwidclungsrichtung der chemischen Industrie weitgehend auf den schon zitierten Pnley-Bericht gestiitzt werden.

C'hertiic i t i d 7'exhlwirtsctui\/

Es sind vor allem zwei grode Bereiche der iridustriellell Pro- duktion, die in immer starkerem MaGe von der chemischen I n - dustrie bestimmt werden, das sind die Textilwirtschaft und die gesamte Werkstoffwirtschaft. Auf beiden Gebieten ist der Chemie-Antcil in einer unaufhaltsamen Zunahme begriffen. Zwischen der Textilwirtschaft und der chemischen Industrie bestehen seit jeher die engsten Verbindungen. Man rechnet den Beginn der chemischen Industrie von dem Zeitpunkt an, a!s es gelang, Soda und Schwefelsaure grol3technisch darzu- stellen und zugleich Chlorkalk als Nebenerzeugnis zu gewin- nen. Dadurch wurde das Waschen und Bleichen der Textil- iasern und Textilgewebe stark verbilligt und der Baumwolle der Weg geebnei. Der Spinnmaschine und dem mechanischen Webstuhl war dadurch ein billiger Rohstoff gesichert, und das Maschinenzeitalter konnte beginnen. Ah dann die Teerfarb- stoffe, die Farbercihilfsmittel und die vielerlei Textilhilfsmit- tel aufkamen, rechnete man aus, ,dal3 vom Wert des fertigen Textilerzeugnisses ab Fabrik der grodere Teil auf chemischc Erzeugnisse und chemische Vorgange entfiel und der klleinere auf Textilfasern und 'Textilarbeitsgange.

Dann iibernahm die Chemie auch noch die Schaffung von kiinstlichen Textilfasern - Kunstseide, Zellwolle und neuer- dings vollsynthetische Fasern --, die sich den naturgewachse- nen Ausgangsstoffen in vieler Hinsicht iiberlegen zeigten, weil sie in der Ketorte sozusagen ?,nach Mad", d. h. fur ganz spe- zielle Arispruche gesdiaffen wurden. Der Anteil der chemisch gewonnenen Fasern am Gesamtverbrauch der vier Hauptbr- kieidungsfasern ge~ht aus Tab. 4 hervor.

Tabelle 4

A itteile der Huui~lbekleidutLgsli~ser~i ii i "lo des Gesnnit- verbrauchs

1 900 1913 IF27 1937 1947 1952

Chemiefaser Baumwolle Wolle in " l o in 'J!n in "In

0.0 80.9 18.7 0.2 85.4 14.0 2.2 81.2 15.9

10.9 77.2 11.2 1 1 . 7 74.8 13.5 1s 7 68.8 12.4

Seide in " l o

0.4 0.4 0.7 0.7 0.2 0.1

1900 wurden auf der Welt insgesamt rund 4 Mill. to Tex- tilfasern verbraucht, darunter knapp 1000 to Kunstseide. 191s war der gesamte Textilfaser-Verbrauch auf 6 Mill. to gestie- gen und derjenige von Kunstseide auf 12000 to. Im Jahre 1037 hat der Gesamtverbrauch an den Hauptbekleidungs- fasern S Mill. to uberschritten, und der Verbrauch an Chemie- fasern war auf iiber 800000 to angewachsen. 1941 waren in einem Weltverbrauch an Textilfasern von etwas iiber 8 Mill. to bereits 11/4 Mill. to Cbemiefasern cnthalten. Damals hatte die Chemiefaser zum erstenmal die Wolle ubertliigelt. Im einzel- nen zeigt Tab. 5 die stiirmische Entwidrlung auf dem Gebiet dcr Chemiefasern wahrend der letzten 25 Jahre, insbesondere den sprunghaften Anstieg der vollsynthetisihen Fasern wah- rend der letzten 5 Jahre.

'I'abelle 5 Wellet ~ r . u g i l r i g WJV Chemie{nserti in 10W t o

Kunstseide

1927 196 1937 543 1944 70,; I949 7 4 3 I950 X i 4 1951 96 I 1952 81 7

Zellwolle ___-

- 28.1 'I 10 4x2 7 I0 833 726

vollsynth. Fascrn zusaniin'ii

- I3f i - 82 7 SO I 1 4 3 1 7 1272 74 I662

I 1 6 1915 1x1 I724

Fur die Zukunft wird mit einem weiteren Anwachsen de5 Chemie-Anteils an der Bekleidungswirtshaft gerechnet. Schon

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im Jahre 1960 wird vielleicht die Halfte aller Bekleidungs- gewebe aus chemisch-synthetischen Fasern bestehen, wenn man nach Metern und nicht nach Gewicht rechnet. Wertmai3ig diirfte der Chemie-Anteil an Bekleidungstextilien bis dahin auf 7 0 his 80 "/u angestiegen sein. Der Paley-Bericht erwartet, dail srhon im .Jahre 1960 allein in USA I / , Mill. to vollsyntheti- scher Chemitfasern gewonnen werden. Bei den Chemiefasern aus Zellstoff wird his 1975 auf der Welt mindcstens mit einer Verdoppelung der heutigen Za,hlen gerechnet. Die Chemis c!urfte dann im Jahre 1975 allein genau so vie1 Bekleidungs- fa8ern liefern, wie auf der Welt insgesamt im Jah re 1900 vcr- hraucht w urden.

Rein gewichlsmafiig wird in1 Jahre 1975 d r r bisherige Hnchstverbrauch an Bekleidungsfasern mit etwa 10 Mill. to nur wenig oder gar nicht iiberschritten werden, obwohl die Bev6lkerung der Wel t his dahin um mehr als ein Drittel ZLI-

nehmen wird und noch dazu die Lcbenshaltung sich besscrn scrll. Die Welt kommt mit einer geringeren Gewichtsmenge an Bckleidungsfasern aus, weil die Bekleidung durch den ver- starkten Einsatz der Chemiefasern immer leichter wird, ohnc jedoch ihre schutzende Wirkung einzubunen. Ein Gewebe aus vcvllsynthetischen Chemiefasern hat nur den funfzehnten 'lei1 des Gewichts eines Gewebes aus Naturfasern.

Die fiihrende Stellung, die Deutschland in der Vergangen- heit einmal auf dem Chemiefaser-Gebiet eingenommen hat. geht aus Tab. 6 hervor.

Tabelle 6 ATiteile (lev wichiigsten Erxugerlander fiir K i insr se i c lp i t n d

Zellwolle i n 310 d e r We1Lerzciigung Kunstseide Zellwolle zusammen

1927 1935 1939 1935 1939 1927 1

Deutschland 16.3 10.6 14.0 26.8 40.8 16.9 12.7 Japan 3.3 24.0 20.7 9.6 27.7 3.3 22.1 USA 32.4 27.5 28.6 3.3 4.7 32.4 24.3 Italien 19.1 9.2 10.3 47.9 17.5 19.1 14.3 GroBbritannien 15.1 11.5 9.6 7.8 5 4 15.1 11.0 Frenkreirh 10.0 6.6 4.9 3.5 1.4 10.0 6.2 soast.Liinder 3.8 10.6 11.9 1.1 3.0 6.8 9.4

Welterzeugung 100 100 100 100 100 100 I00

26.8 24.1 17.0 13.8

7.6 3.2 7.5

1 no

110s Zeitnlter der K t t n s ~ s t o f ~ .Wenn der Pnley-Bericht annimmt, daB sich in USA die Er-

zeugung von Chemiefasern wahrend der nachsten 2.5 Jahre verdoppeln wird, so ist das nichts A4ui3ergewij~hnlic~es, son- dern entspricht nur etwa dem Ausmad der Produktionssteige- rungen, rnit denen er im Durchschnitt der gesamten Industrie- wirtschaft redmet. Auf einigen Gebieten dcr Chemie-Erzeu- gung gehen jcdoch seine Vorausschatzungen weit uber dieses Ma8 hinaus. Dies gilt in erster Linie iur den Sektor der Kunststoffe, auf dem die berichtende Kommission eine Steige- rung auf das Zahnfache fur wahrscheinlich halt. In USA hat die Kunststoff-Erzeugung heute hereits die Grenze von 1 Mill. to- uberschritten. Die Tatsache, dai3 Fachleute ernsthaft his 197.5 einen weiteren Anstieg dieser gewaltigen Produktion auf rund I0 Mill. to erwarten - das ist eine Menge. die gewichts- inai3ig der monatlichen Steinkohlenfiirderung der Bundes- republik entspricht -, besagt ni&s anderes, als daB man dem Kunststoff-Gebiet fast unbegrenzte Moglichkeiten zuschreibt.

Nach Ansicht der Rohstoff-Kommission werden sowohl dic meisten NE-Metalle, wie Kupfer, Zink, Blei und Zinn, als audi Leder und Kautschuk in zunehmendem MaBe durch synthe- tische Chcmie-Erzeugnisse verdrangt. Der klassische Werkstoff Holz wird kunftig im Regelfall nur noch in Verbindung mit Kunststoffen verwendet werden. die im iibrigcn auch dem Glas und der Keramik immer mehr Konkurrenz machen werden. Auch Stahlblech wird auf einer Reibe von Anwendungsgebie- ten gegen Kunststoff ausgctauscht werden, eine Entwidrlung, die sich z. B. im Karosseriebau heute schon deutlich abzeichnet.

Diese Voraussagen des Berichtes finden in den Beombachtun- gen der letzten 30 Jahre eine starke Stutze. Wahrend der

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Verbrauch von Eisen und Stahl. Kupfer, Blei und Zink von 1800 bis etwa 1920 sich mehr als verhundertfacht hat. seitdem aber nur noch sehr schwach weiter gestiegen ist, zeigen seit 1920 alle uberwicgend chemisch gewonnenen Metalle, insbe- sondere Leichtmetalle und Legierungen. eine Verzwanzig- lachung und die Kunststoffe sogar eine Verfiinfzigfachung. Daraus ist zu folgern: Der Werkstoff bzw. das Konstruktions- material der Zukunft mui3 ein Stoff des leichten Gewichts unJ der leichten Verarbeitbarkeit sein.

Angtregt durch die Elektrotechnik, die nach neuem und im- iner vollkommenerem Isoliermaterial verlangte, ha t die Che- mie diese Gruppe kiinstlicher Stoffe geschaffen, die als Spc- zialwerkstoffc den mannigfac-hsten Verwendungen angepafit werden kiinnen. Sie sind leicht verformbar, halten die starksten Beanspruchungen sowohl chemischer als auch mechanischer Art aus und haben ein leichtes Gewieht. Sie kiiilnen zusamnien mit organischen und ancirganisrhen Materialicn aller Art ge- p d t werden und lasscn sich unter Druck auch in Formen oder auf Oherflachtn spritzen. Es gibt unter ihnen schon einige. die den Metallen ihren lctzten Vorzug, die Widcrstandsfahig- keit gegen hijhere Hitzegrade. streitig marhen.

Der Weltverbrauch an Kunststoffen iihertrifft z. Z. den Uinfang der meisten Nichteisenmetalle. wenn man nicht (Ins Cewicht. sondern den Rauminhalt als Ma8 zugrunde legt.

Kunststoff Aluminium Kupfer Zink Blei

Imrner neue Gebiete werden der Kunststoff -Verwendung er- schlossen, wofiir der rasch anwachsende Bedarf von Kunststoff- Folien als Verpackungsmittel besonders typisrh ist. Hier stehen wir in Europa - im Vergleich zu den USA - erst am Anfang, aber 'bcreits jetzt ist erkennbar, dai3 der Bedarf in den nachsten Jahren sprunghaft ansteigen wird.

Aurh Leder und Naturkautschuk werden ebenso rasch von synthetischen Erzeugnissen iiberflugelt werden. Wenn sich dcr Gummi-Bedarf in den nachsten 25 Jahren verdreifachen sollte. d. h. auf jahrlich 6 bis 7 Mill. to ansteigt, kann der Natur- kautschuk bestenfalls 2 his 2.5 Mill. to decken. Rund Zwei- diittel wird also die chemische Synthese lierern mussen.

Tab. 8 gibt einen Ilberblick uber die Kunststoff-Erzeugung in den wichtigstcn Landern. Sie zeigt vor allem sehr ein- drurksvoll, dai3 Deutschland zusammen mit USA einmal d'as fiihrende Kunststoffland der Wel t war und erst nach dem zweiten Weltkrieg von USA ganz in den Hintergrund ge- drangt wurrle.

Tahelle 8

K i i i i s f . ~ l O f f - E r T P i i j i z i i z . p rler widitigsten LunrI~r in 1000 lo 7tnd i n '!o &r W c l ~ n r z e ~ r g i ~ ~ r g

19-27 1938 1949 19.52 1000 to O / n 1000 to O / o 1000 to o / o 1000 to O/O

USA 25 b0 75' 25 7 0 0 67 I100 61 Deutschland 1.5 20 70 23 75" 7'> 190" 1 1 Groabritannien 1 1 15 33 I I 100 1 0 200 I I UdSSR 8 I 1 15 .5 30 d 60 3.1 Frankreich 6 8 12 1 30 3 4.5 2.5 Italien z 3 6 2 i n I 25 1.4 Welt 75 300 I050 1800

'' Deutschland: fur 1949 und 19.52 nur Bundesgehiet.

(Wird im nachsten Heft fortgesetzt.)

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