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S Egon Uhlig (1929 – 2009) ge- hört zu den herausragenden deut- schen Koordinationschemikern der Generation nach Walter Hieber (1895 – 1976) und Franz Hein (1892 – 1976). Sein Doktorvater war der Leipziger Professor für an- organische Chemie Leopold Wolf (1896 – 1974), einer der letzten Schüler von Arthur Hantzsch (1857–1935). Egon Uhlig wurde 1929 in Neundorf in Südsachsen geboren. Nach dem Abitur in Annaberg im Erzgebirge studierte er ab 1948 Chemie in Leipzig. Im November 1955 promovierte er mit der Arbeit „Über aromatische Ester und Äther des Triäthanolamins und des Tetra- äthanolammoniumhydroxyds“. 1) Im Jahr 1960 habilitierte sich Uhlig an der Universität Leipzig mit seinen Studien über „Struktur und kom- plexchemisches Verhalten der 2,5-Diaminoterephthalsäure und ihrer Derivate“. 2) Die „messende Koordinations- chemie“ hatte sich in den 1950er Jahren durch die Arbeiten von Ge- rold Schwarzenbach (1904 – 1978) und anderen zu einem lebendigen Forschungsgebiet entwickelt. 3) Zu- dem war präparatives Arbeiten un- ter Inertgas in Leipzig nicht in der Weise möglich wie in Jena, wo Franz Hein zu dieser Zeit an Or- ganochrom- und -molybdän-Ver- bindungen arbeitete. 4) Von der dort vorhandenen Schutzgastech- nik sollte Uhlig später bei der Syn- these von Phosphinliganden und Nickel(0)-Komplexen profitieren. Physikalische Chemie hingegen war in Leipzig, der Wirkungsstätte des Nobelpreisträgers Wilhelm Ost- wald (1853 – 1932), hoch entwi- ckelt. Daher waren Uhligs frühe ei- genständige Beiträge zur Koordina- tionschemie eher physikalisch-che- misch als präparativ orientiert. 5) Die ersten Jahre in Jena S Zum 1. Juni 1960 berief die Universität Jena Egon Uhlig zum Dozenten für anorganische Che- mie. Geräteanschaffungen bei Neu- berufungen kannte die DDR nicht: Uhlig zog mit einem in Leipzig ge- liehenen pH-Messverstärker der Firma Clamann und Grahnert nach Jena um. 6) Das Gerät war für seine Untersuchungen von Komplex- gleichgewichten essenziell. Rüdiger W. Seidel Liganden, Komplexe und Übergangsmetalle waren seine Welt. Als einer der führenden Koordinations- chemiker der DDR hat Egon Uhlig die anorganische Chemie an der Universität Jena geprägt. Egon Uhlig und die Koordinationschemie in Jena BChemiegeschichteV Egon Uhlig (vorne, 2. v. l.) und Mitarbeiter der Koordinationschemie an der Sektion Chemie der Friedrich-Schiller-Universität Jena im Jahr 1983. VV Egon Uhlig untersuchte unter anderem Kom- plexgleichgewichte, arbeitete an 2-substituier- ten Pyridinderivaten als Liganden und syntheti- sierte Nickel(0)-Komplexe. VV Als die Koordinationschemie als brotlose Kunst galt, fand er in der homogenen Katalyse mit Übergangsmetallen seine Nische. VV Uhlig organisierte die Jenaer Mikrosymposien und vernetzte dadurch Koordinationschemiker der DDR und Osteuropas. S QUERGELESEN Die in Jena verfügbaren physika- lischen Methoden waren zu dieser Zeit eher bescheiden, die Synthese stand im Vordergrund. Uhlig setzte zunächst seine in Leipzig begonne- nen Untersuchungen zu Komplex- gleichgewichten von N-Substituti- onsprodukten der 2,5-Diamino- terephthalsäure fort. 7) Bereits im Jahr 1962 berief ihn die Universität 533 Nachrichten aus der Chemie| 61 | Mai 2013 | www.gdch.de/nachrichten

Egon Uhlig und die Koordinationschemie in Jena

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Page 1: Egon Uhlig und die Koordinationschemie in Jena

S Egon Uhlig (1929 – 2009) ge-hört zu den herausragenden deut-schen Koordinationschemikern der Generation nach Walter Hieber (1895 – 1976) und Franz Hein (1892 – 1976). Sein Doktorvater war der Leipziger Professor für an-organische Chemie Leopold Wolf (1896 – 1974), einer der letzten Schüler von Arthur Hantzsch (1857–1935).

Egon Uhlig wurde 1929 in Neundorf in Südsachsen geboren. Nach dem Abitur in Annaberg im Erzgebirge studierte er ab 1948 Chemie in Leipzig. Im November 1955 promovierte er mit der Arbeit „Über aromatische Ester und Äther des Triäthanolamins und des Tetra-äthanolammoniumhydroxyds“.1) Im Jahr 1960 habilitierte sich Uhlig an der Universität Leipzig mit seinen Studien über „Struktur und kom-plexchemisches Verhalten der 2,5-Diaminoterephthalsäure und ihrer Derivate“.2)

Die „messende Koordinations -chemie“ hatte sich in den 1950er Jahren durch die Arbeiten von Ge-rold Schwarzenbach (1904 – 1978) und anderen zu einem lebendigen Forschungsgebiet entwickelt.3) Zu-dem war präparatives Arbeiten un-ter Inertgas in Leipzig nicht in der Weise möglich wie in Jena, wo Franz Hein zu dieser Zeit an Or-ganochrom- und -molybdän-Ver-bindungen arbeitete.4) Von der dort vorhandenen Schutzgastech-nik sollte Uhlig später bei der Syn-

these von Phosphinliganden und Nickel(0)-Komplexen profitieren.

Physikalische Chemie hingegen war in Leipzig, der Wirkungsstätte des Nobelpreisträgers Wilhelm Ost-wald (1853 – 1932), hoch entwi-ckelt. Daher waren Uhligs frühe ei-genständige Beiträge zur Koordina-tionschemie eher physikalisch-che-misch als präparativ orientiert.5)

Die ersten Jahre in Jena

S Zum 1. Juni 1960 berief die Universität Jena Egon Uhlig zum Dozenten für anorganische Che-mie. Geräteanschaffungen bei Neu-berufungen kannte die DDR nicht: Uhlig zog mit einem in Leipzig ge-liehenen pH-Messverstärker der Firma Clamann und Grahnert nach Jena um.6) Das Gerät war für seine Untersuchungen von Komplex-gleichgewichten essenziell.

Rüdiger W. Seidel

Liganden, Komplexe und Übergangsmetalle waren seine Welt. Als einer der führenden Koordinations -

chemiker der DDR hat Egon Uhlig die anorganische Chemie an der Universität Jena geprägt.

Egon Uhlig und die Koordinationschemie in Jena

BChemiegeschichteV

Egon Uhlig (vorne, 2. v. l.) und Mitarbeiter der Koordinations chemie an der Sektion Chemie

der Friedrich-Schiller-Universität Jena im Jahr 1983.

VV Egon Uhlig untersuchte unter anderem Kom-

plexgleichgewichte, arbeitete an 2-substituier-

ten Pyridinderivaten als Liganden und syntheti-

sierte Nickel(0)-Komplexe.

VV Als die Koordinationschemie als brotlose Kunst

galt, fand er in der homogenen Katalyse mit

Übergangsmetallen seine Nische.

VV Uhlig organisierte die Jenaer Mikrosymposien

und vernetzte dadurch Koordinationschemiker

der DDR und Osteuropas.

S QUERGELESEN

Die in Jena verfügbaren physika-lischen Methoden waren zu dieser Zeit eher bescheiden, die Synthese stand im Vordergrund. Uhlig setzte zunächst seine in Leipzig begonne-nen Untersuchungen zu Komplex-gleichgewichten von N-Substituti-onsprodukten der 2,5-Diamino -terephthal säure fort.7) Bereits im Jahr 1962 berief ihn die Universität

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Nachrichten aus der Chemie| 61 | Mai 2013 | www.gdch.de/nachrichten

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Jena zum Professor für anorgani-sche Chemie, er wurde Institutsdi-rektor.

Uhlig erweiterte sein For-schungsgebiet um präparative Ar-beiten zu Übergangsmetallkomple-xen mit 2-substituierten Pyridinde-rivaten als Liganden. Besonderes Interesse hatte er daran, wie steri-sche und elektronische Faktoren die Struktur beeinflussen.8)

Mehr Einfluss durch die SED

S Als einschneidend beschreibt Uhlig die Dritte Hochschulreform der DDR (1969 – 1972). Sie setzte die akademische Selbstverwaltung außer Kraft und verstärkte die Kon-trolle durch die SED. Die Fachberei-che der Universität wurden zu Sek-tionen umgegliedert – nach dem Vorbild der angelsächsischen De-partmentstruktur, aber das wurde nicht offen ausgesprochen.

Die staatliche Leitungsebene bil-dete fortan die Sektionsleitung; sie entschied über die Verteilung des Etats, der Planstellen und Lehrver-pflichtungen sowie über die Aus-richtung der Forschung. Die Insti-tutsstruktur des Fachbereichs Che-mie wurde abgeschafft und Uhlig im Jahr 1967 als Institutsdirektor entpflichtet. 1977 wurde er Dekan der mathematisch - naturwissen-schaftlich-technischen Fakultät und hatte dieses Amt über vier Wahlpe-rioden bis 1990 inne.

Auch das Forschungsklima än-derte sich zum Ende der 1960er Jah-re: Praxisrelevanz war nun gefor-dert. Der Nähe zu den Volkseigenen Betrieben Carl Zeiß Jena und Jenaer Glaswerk war wohl geschuldet, dass die chemische Forschung in Jena auf Gläser, Polymere und optische Speichermaterialien ausgerichtet sein sollte. Die Koordinationsche-mie galt nun als „brotlose Kunst“ und „Spielwiese für Esoteriker“.6)

Jedoch war die Ära der homoge-nen Katalyse angebrochen und die Koordinationschemiker in Jena fanden dort ihre Nische. Uhligs Gruppe richtete ihr Hauptaugen-merk fortan auf die übergangsme-

tallkatalysierte stereoselektive Po-lymerisation von Butadien. Indus-trieller Partner waren die Chemi-schen Werke Buna in Schkopau.9) In diesem Kontext untersuchte Uh-lig elektronenreiche Komplexe von Übergangsmetallen der 10. Gruppe unter präparativen Gesichtspunk-ten.10)

Aufgrund des Kupferschiefervor-kommens in der Mansfelder Regi-on im Südharz betrat er in den 1980er Jahren mit der Extraktion von Nichteisenmetallen ein Ar-beitsgebiet, bei dem die Koordina-tionschemie in Lösung wieder im Vordergrund stand.11)

Uhlig organisierte die Jenaer Mi-krosymposien über Koordinations -chemie und elementorganische Chemie, die alle zwei Jahre statt-fanden. So trug er wesentlich dazu bei, die Koordinationschemiker in der DDR und in Osteuropa zu ver-netzen.

Zu Beginn der 1980er Jahre ver-knappten sich die Devisen dras-tisch; infolgedessen brach in der DDR die Versorgung mit dem, was ein moderner Forscher benötigte, weitgehend zusammen. Bis zum En-de der DDR gab es an der Sektion Chemie der Universität Jena bei-spielsweise kein hochauflösendes Massenspektrometer und kein auto-matisches Einkristalldiffraktometer.

Nach der Wende

S Der Neuanfang im Jahr 1989 brachte entscheidende Verbesserun-gen: Institutsgebäude wurden in-stand gesetzt und der Gerätepark ausgebaut. Die Evaluierungsmaß-nahmen nach dem Ende der DDR empfand Uhlig, der nie Mitglied der SED gewesen war, als entwürdigend. So musste er nach über 30 Jahren als Hochschullehrer noch einmal sein Diplomzeugnis vorlegen.5) Während er im Juni 1990 zum letzten Mal in die Sowjetunion reiste, wählte ihn die neue chemisch-geowissenschaft-liche Fakultät in Abwesenheit zu ih-rem ersten Dekan.

Im August 1990 wurde die Aus-richtung der XXVIII. International Conference on Coordination Chem-

istry (ICCC) in Gera unter den schwierigen Bedingungen dieser Zeit zu einem Höhepunkt am Ende von Uhligs wissenschaftlicher Lauf-bahn. Unter den Teilnehmern wa-ren viele Protagonisten der Koordi-nationschemie und der metallorga-nischen Chemie aus der Bundesre-publik und dem westlichen Aus-land. Uhlig überlieferte dieses Zitat eines Schweizer Kollegen: „Wäh-rend der Konferenz brach ein Staat zusammen – und die Konferenz lief, als wenn nichts wäre. Das können nur die Deutschen. Woanders wäre alles in einem Chaos versunken!“

Egon Uhlig starb am 21. Juni 2009 in Jena.

Literatur

1) E. Uhlig, Dissertation, Universität Leipzig,

1955.

2) E. Uhlig, Habilitationsschrift, Universität

Leipzig, 1960.

3) W. Schneider, E. Giovannini, Helv. Chim.

Acta, 1978, 61, 1949.

4) L. Beyer, E. Hoyer, Nachr. Chem. 2000, 48,

1493.

5) H. Hennig, Coord. Chem. Rev. 2002, 224, 1.

6) E. Uhlig, Das Institut für Anorganische

Chemie der Friedrich-Schiller-Universi-

tät Jena in den Jahren von 1958 bis

1968 in: Geschichte der Chemie in Jena

im 20. Jh. Materialien II: 1945 bis Mitte

der 1960er Jahre, 23, Jena, 2005.

7) E. Uhlig, Z. Anorg. Allg. Chem. 1962, 314,

321.

8) E. Uhlig, Z. Chem. 1978, 18, 440.

9) S. Möhlhenrich, Nachr. Chem. 2012, 60,

544.

10) E. Uhlig, D. Walther, Coord. Chem. Rev.

1980, 33, 3.

11) E. Uhlig, Coord. Chem. Rev. 1982, 43,

299.

Ich danke Carl Krüger, Mülheim an der Ruhr,

und Gerhard Erker, Münster, für die Inspirati-

on, diesen Beitrag zu verfassen. Wolfgang

Seidel, Jena, gilt mein Dank für die Durch-

sicht des Manuskripts und die Überlassung

des Bildmaterials.

Rüdiger W. Seidel hat an

der RWTH Aachen und der

Heinrich-Heine-Universi-

tät, Düsseldorf, Chemie

studiert. Nach der Promoti-

on bei Iris M. Oppel an der

Ruhr-Universität, Bochum, im Jahr 2010 ab-

solvierte er einen Postdoktorandenaufenthalt

bei Christian W. Lehmann am MPI für Kohlen-

forschung in Mülheim an der Ruhr. Zu seinen

Interessen zählen chemische Kristallografie

und Strukturanalyse.

[email protected]

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