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Durchschnittslohn¹ nach Tätigkeitsbereich, 2008 Ziel- und Strategiedefinition für Unternehmen Rechnungs- und Personalwesen Sekretariats- und Kanzleiarbeiten Andere kaufmännisch-administrative Tätigkeiten Verkauf Konsumgüter, Dienstleistungen (Detailhandel) Sichern, Bewachen Medizinische, pflegerische und soziale Tätigkeiten Insgesamt Männer Frauen Männer Frauen Durchschnittslohn privater Sektor ¹ Monatlicher Bruttolohn standardisiert auf 40 Std. / Woche. 0 2000 4000 6000 8000 10000 12000 14000 16000 Männer Frauen Tätigkeiten im Baugewerbe Durchschnittslohn¹ nach Ausbildungsabschluss, 2008 0 Universität, Hochschule Höhere Fachschule / Fachhochschule Höhere Berufsausbildung Lehrer/-innen-Patent Matura Abgeschlossene Berufsausbildung Unternehmensinterne Berufsausbildung Obligatorische Schule Andere Ausbildungsabschlüsse Insgesamt 2000 4000 6000 8000 10000 12000 14000 Männer Frauen ¹ Monatlicher Bruttolohn standardisiert auf 40 Std. / Woche. 1998 2000 2002 2004 2006 8000 7000 6000 5000 4000 3000 2000 1000 –24,8 –24,8 –24,7 –24,1 –24,3 0 Männer Frauen Frauen verdienten 2006 im Durchschnitt 24,3% weniger als Männer. Entwicklung Bruttolöhne (in Fr.) und Lohndifferenzen (in %) Die Lohndifferenzen zwischen Mann und Frau QUELLE: EBG, BFS, LSE 2008 NZZ-INFOGRAFIK / tcf. 11 Dienstag, 14. Juni 2011 Nr. 136 SCHWEIZ Neuö Zürcör Zäitung Austausch ganz oben – ruhige Bilderberg-Tage Seite 12 Wie ein Hausarzt am Jungfraujoch seiner Arbeit nachgeht Seite 12 Die grossen Mühen der Genfer Verfassungsgeber Seite 13 Gerangel um Nominationen bei Tessiner Sozialdemokraten Seite 13 Ein Happening mit Nachhall Der Frauenstreik 1991 gab der Frauenbewegung neuen Schub Lila Ballone in Appenzell, Liegestühle auf dem Zürcher Paradeplatz und Suppe kochende, «emanzipierte» Männer. Der Frauenstreik 1991 war ebenso ein Happening wie ein Streik. Ir` ene Troxler «Wenn Frau will, steht alles still.» Unter diesem Motto demonstrierten und streikten am 14. Juni 1991 in allen Regionen der Schweiz Zehntausende oder – glaubt man den Organisatorin- nen – gar Hunderttausende Frauen. Das Datum war kein zufälliges: Auf den Tag genau zehn Jahre zuvor hatten die Schweizerinnen und Schweizer an der Urne dem Verfassungsartikel über glei- che Rechte für Mann und Frau zuge- stimmt. Freilich hatten sich die Hoff- nungen auf echte Gleichheit unterdes- sen zerschlagen, der Artikel entpuppte sich als Papiertiger ohne Wirkung. «Frauen wollen Taten sehen», war da- her ein anderer Slogan, der am Frauen- streiktag auf Transparenten durch die Strassen getragen wurde. Die Frauen protestierten vor allem gegen die Lohn- ungleichheit, die herrschende Rollen- teilung, die Benachteiligung der Frauen in den Sozialversicherungen und im Scheidungsrecht sowie gegen die männ- liche Dominanz in Kaderpositionen. Frauenrolle als Medienthema Dass es zur grössten Demonstration seit dem Landesgeneralstreik von 1918 kommen würde, war zunächst nicht ab- zusehen, als Gewerkschafterinnen zum Streik aufriefen. Monate im Voraus ent- brannte in den Medien eine Debatte darüber, ob ein Streik das richtige Mit- tel sei, um die Gleichberechtigung der Frauen voranzubringen. Auch gestan- dene Gewerkschafter bekundeten Mühe mit der Vorstellung, ihr schärfstes Kampfmittel für Frauenanliegen «miss- braucht» zu sehen. Bürgerliche Politike- rinnen distanzierten sich vom Anlass und befürchteten, er wirke sich kontra- produktiv auf die Gleichstellung aus. Im Schweizerischen Sozialarchiv füllen die in jenen Monaten erschienenen Artikel zur Rolle und zu den Rechten der Frau mehrere Kartonschachteln. Dosierte Provokation Je näher das Datum rückte, desto ent- gegenkommender reagierte die Arbeit- geberseite. In vielen Betrieben wurden Pausen für Aktionen gewährt, mancher- orts übernahmen Männer die Aufgaben der (ihnen unterstellten) Frauen. Im Mövenpick-Airport-Hotel am Zürcher Flughafen schlüpften die Manager in die Rolle der Zimmermädchen, wäh- rend die Frauen freimachen durften. Ausser dem Verkehr, der vielerorts mit Liegestühlen blockiert wurde, wie beispielsweise am Zürcher Paradeplatz, stand schliesslich kaum etwas still am 14. Juni 1991. Der Frauenstreik geriet vielmehr zu einem fröhlichen, bunten Aktionstag mit Happenings, Speaker’s Corners, Gleichberechtigungs-Gottes- diensten und Frauenparlamenten. Frau trug Pink oder Violett und hielt den obligaten lila Ballon, bedruckt mit ei- nem Paar Frauenaugen, in die Höhe. Auf dem Zürcher Helvetiaplatz schwang Stadtpräsident Josef Ester- mann den Kochlöffel. Auch viele an- fänglich skeptische bürgerliche Frauen- organisationen organisierten schliesslich Veranstaltungen. Das Reizwort Streik hatte dem Anlass die nötige Aufmerk- samkeit verschafft, auch wenn nur eine kleine Minderheit die Arbeit für län- gere Zeit niederlegte. Nachwirkungen Knapp zwei Jahre später bekam die Schweiz die Macht der erstarkten Frau- en wieder zu spüren. Als der Frauen- streik-Organisatorin Christiane Brun- ner die Wahl in den Bundesrat verwehrt wurde, erzwangen sie mit dem Druck der Strasse den Verzicht des Sozial- demokraten Francis Matthey auf das Amt zugunsten von Ruth Dreifuss. Meinung & Debatte, Seite 19 ......................................................................................................................................................................... Kumulation von Gleichstellungs-Jubiläen Martin Senti Am 7.Februar 1971 er- langten die Schweizer Frauen in der letz- ten reinen Männer-Abstimmung das Stimmrecht. Exakt zehn Jahre später, im Februar 1981, startete offiziell die Ab- stimmungskampagne zur Volksinitiative «Gleiche Rechte für Mann und Frau». Am 14. Juni 1981 wurde diese Initiative angenommen und damit der Gleichstel- lungsartikel in der Bundesverfassung verankert. An dieses eher symbolische Ereignis erinnerten protestierende Frau- en zehn Jahre später mit der Organisa- tion des Frauenstreiks vom 14. Juni 1991. So haben sich die Gleichstellungs- Jubiläen über vier Jahrzehnte hinweg ge- wissermassen kumuliert. Und im Verlauf dieser Jahrzehnte haben die Frauen ge- rade dank beherzter Mobilisierung poli- tisch und rechtlich auch viel erreicht. Wichtige Etappen waren zunächst die Revision des Eherechts in den achtziger Jahren – die vormalige Vormundschaft wurde durch Partnerschaft ersetzt – so- wie die 10. AHV-(«Frauen»-)Revision Anfang der neunziger Jahre mit der Ein- führung von Betreuungsgutschriften. Entscheidend verbessert hat sich die Stellung der Frau dann vor allem durch die Revision des Scheidungsrechts. Wei- tere Schritte waren die Konkretisierung des Diskriminierungsschutzes in der Verfassung durch das Gleichstellungs- gesetz – es machte neben der Lohn- gleichheit auch die sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz zum Thema –, ferner die Strafbefreiung des Schwangerschaftsab- bruchs sowie die lange erkämpfte Mut- terschaftsversicherung. In greifbarer Nähe liegt nun auch die Gleichstellung beim Familiennamen hier war der Widerstand bisher besonders zäh. Noch gibt es keine Lohngleichheit Die Gewerkschaften kritisieren die Lohndifferenz zwischen Männern und Frauen Trotz Diskriminierungsverbot und Gleichstellungsgesetz verdienen Frauen im Durch- schnitt immer noch weniger als Männer. Jüngere Studien gehen von einer mittleren Lohndiffe- renz von 24 Prozent aus. Nadine Jürgensen Die Forderungen der Gewerkschaften im Hinblick auf die Aktionen zum Frauenstreiktag sind fast identisch wie vor 20 Jahren: gleicher Lohn für gleiche Arbeit, familienverträgliche Verteilung von Erwerbs- und Hausarbeit für Frau- en und Männer sowie Ausbau der staat- lich finanzierten Kinderbetreuung. Zwar haben die Frauen in Sachen recht- licher Gleichstellung viel erreicht in den vergangenen Jahrzehnten. Dass aber die Gleichstellung für die Frauen nun erreicht und das Thema ab- geschlossen sei, dagegen wehren sich die Gewerkschaften. Auch wenn sich eine junge Generation von Frauen ihre Rechte nicht mehr erstreiten müsse, so sei die Gleichstellung noch längst nicht in allen Köpfen der Bevölkerung ange- langt, schreibt beispielsweise Tanja Wal- liser, Sekretärin der Unia. Rollenverteilung Diese Erfahrungen macht auch Daniel Huber, Geschäftsführer von UND, ei- ner Fachstelle für Familien- und Er- werbsarbeit für Männer und Frauen. Die Rollenverteilung zwischen Mann und Frau sei immer noch sehr klar fest- gelegt, beobachtet Huber in der Praxis. Noch immer seien es die Männer, die an «den Schalthebeln» sässen und Verän- derungen herbeiführen könnten, auch im Parlament. Die rechtlichen Voraus- setzungen der Gleichstellung seien ge- geben, woran es nun hapere, sei die kon- krete Umsetzung. 1747 Franken Gerade bei der Lohnungleichheit sta- gniert die durchschnittliche Lohndiffe- renz bei rund 24 Prozent. Frauen ver- dienten im Jahr 2006 im Schnitt 1747 Franken weniger als Männer. Gemäss einer Lohngleichheits-Studie des Büros für Arbeits- und sozialpolitische Studien (Bass) von 2008 verdienen ge- rade auch Akademikerinnen nach der Ausbildung im Schnitt einen Drittel weniger als Männer mit einem Hoch- schulabschluss. Auch in den verschiedenen Tätig- keitsbereichen zeichnet sich noch durchwegs ein Bild der Lohnungleich- heit ab, wobei in den am besten entlöhn- ten Tätigkeiten die grössten Lohndiffe- renzen verzeichnet werden. Frauen und Männer verteilen sich jedoch auch sehr ungleichmässig auf die verschiedenen Tätigkeitsgebiete, so sind im Baugewer- be fast keine Frauen tätig, im Detail- handel jedoch fast 90 Prozent. Woran liegt es, dass trotz gesetzlichen Vorgaben die Lohngleichheit noch nicht durchgesetzt wird? Daniel Huber führt dafür vielfältige Gründe auf: Zum einen sei oftmals die Chancengleichheit nicht gegeben, da eine Frau zwar erwerbstätig sei, sich daneben aber auch hauptsäch- lich um Haushalt und Kinder kümmere. Sie bewältige also ein viel höheres Pen- sum neben der eigentlichen Berufstätig- keit und teile diese nicht etwa mit ihrem Partner. Oftmals fehlten dadurch auch die Wahlmöglichkeiten, eine höhere Po- sition anzustreben oder eine Vollzeit- stelle anzunehmen. Die Kultur in den Betrieben sei ein anderer Grund, so Huber. Oftmals wer- de ein Klima der Konkurrenz gepflegt, eines männlichen Wettbewerbs, der vie- le Frauen nicht interessiere. Frauen seien eher an Inhalten und an Konsens interessiert als an Geld und Karriere. Ein Betrieb müsse deshalb ein anderes Arbeitsklima fördern. Es gehe hier um weiche Faktoren wie die Lebensquali- tät, die für Frauen wichtig seien. Fortschritte Daniel Huber weiss jedoch auch Erfreu- liches aus der Praxis zu berichten: Junge Unternehmer und Väter, die beispiels- weise ihre Startups gründen, seien oft sehr engagiert und aufgeschlossen für ihre Kinder und trügen auch mehr Ver- antwortung bei der Kinderbetreuung als noch die Generation ihrer Väter. Die Chance, die Gleichstellung wirk- lich zu leben, liegt nun in Händen eben- dieser jungen Generation, die viel selbstverständlicher mit dem Anspruch auf gleiche Rechte von Mann und Frau aufgewachsen ist als frühere Generatio- nen. Und dass sich verbliebene Vorteile auf dem Arbeitsmarkt im Privaten ne- gativ auswirken können, merken mehr und mehr auch die Männer. Als die Frauenbewegung 1991 rief, kamen die Frauen scharenweise – wie etwa hier auf dem Helvetiaplatz in Zürich. KEYSTONE

Ein Happening mit Nachhall - Fachstelle UND€¦ · Liegestühle auf dem Zürcher Paradeplatz und Suppe kochende, «emanzipierte» Männer.Der Frauenstreik 1991 war ebenso ein Happening

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Page 1: Ein Happening mit Nachhall - Fachstelle UND€¦ · Liegestühle auf dem Zürcher Paradeplatz und Suppe kochende, «emanzipierte» Männer.Der Frauenstreik 1991 war ebenso ein Happening

Durchschnittslohn¹ nach Tätigkeitsbereich, 2008

Ziel- und Strategiedefinition für Unternehmen

Rechnungs- und Personalwesen

Sekretariats- und Kanzleiarbeiten

Andere kaufmännisch-administrative Tätigkeiten

Verkauf Konsumgüter, Dienstleistungen (Detailhandel)

Sichern, Bewachen

Medizinische, pflegerische und soziale Tätigkeiten

Insgesamt

MännerFrauen MännerFrauenDurchschnittslohn privater Sektor

¹ Monatlicher Bruttolohn standardisiert auf 40 Std. / Woche.

0 2000 4000 6000 8000 10000 12000 14000 16000Männer Frauen

Tätigkeiten im Baugewerbe

Durchschnittslohn¹ nach Ausbildungsabschluss, 2008

0

Universität, Hochschule

Höhere Fachschule / Fachhochschule

Höhere Berufsausbildung

Lehrer/-innen-Patent

Matura

Abgeschlossene Berufsausbildung

Unternehmensinterne Berufsausbildung

Obligatorische Schule

Andere Ausbildungsabschlüsse

Insgesamt

2000 4000 6000 8000 10000 12000 14000Männer Frauen¹ Monatlicher Bruttolohn standardisiert auf 40 Std. / Woche.

1998 2000 2002 2004 2006

8000

7000

6000

5000

4000

3000

2000

1000

–24,8 –24,8 –24,7 –24,1 –24,3

0

Männer FrauenFrauen verdienten 2006 im Durchschnitt 24,3% weniger als Männer.

Entwicklung Bruttolöhne (in Fr.) und Lohndifferenzen (in %)

Die Lohndifferenzen zwischen Mann und Frau

QUELLE: EBG, BFS, LSE 2008 NZZ-INFOGRAFIK / tcf.

11Dienstag, 14. Juni 2011 U Nr. 136 SCHWEIZNeuö Zürcör Zäitung

Austausch ganz oben –ruhige Bilderberg-Tage Seite 12

Wie ein Hausarzt am Jungfraujochseiner Arbeit nachgeht Seite 12

Die grossen Mühender Genfer Verfassungsgeber Seite 13

Gerangel um Nominationen beiTessiner Sozialdemokraten Seite 13

Ein Happening mit NachhallDer Frauenstreik 1991 gab der Frauenbewegung neuen Schub

Lila Ballone in Appenzell,Liegestühle auf dem ZürcherParadeplatz und Suppekochende, «emanzipierte»Männer. Der Frauenstreik 1991war ebenso ein Happening wieein Streik.

Irene Troxler

«Wenn Frau will, steht alles still.» Unterdiesem Motto demonstrierten undstreikten am 14. Juni 1991 in allenRegionen der Schweiz Zehntausendeoder – glaubt man den Organisatorin-nen – gar Hunderttausende Frauen. DasDatum war kein zufälliges: Auf den Taggenau zehn Jahre zuvor hatten dieSchweizerinnen und Schweizer an derUrne dem Verfassungsartikel über glei-che Rechte für Mann und Frau zuge-stimmt. Freilich hatten sich die Hoff-nungen auf echte Gleichheit unterdes-sen zerschlagen, der Artikel entpupptesich als Papiertiger ohne Wirkung.«Frauen wollen Taten sehen», war da-her ein anderer Slogan, der am Frauen-streiktag auf Transparenten durch dieStrassen getragen wurde. Die Frauenprotestierten vor allem gegen die Lohn-ungleichheit, die herrschende Rollen-teilung, die Benachteiligung der Frauenin den Sozialversicherungen und imScheidungsrecht sowie gegen die männ-liche Dominanz in Kaderpositionen.

Frauenrolle als MedienthemaDass es zur grössten Demonstration seitdem Landesgeneralstreik von 1918kommen würde, war zunächst nicht ab-zusehen, als Gewerkschafterinnen zumStreik aufriefen. Monate im Voraus ent-brannte in den Medien eine Debattedarüber, ob ein Streik das richtige Mit-tel sei, um die Gleichberechtigung derFrauen voranzubringen. Auch gestan-dene Gewerkschafter bekundetenMühe mit der Vorstellung, ihr schärfstesKampfmittel für Frauenanliegen «miss-braucht» zu sehen. Bürgerliche Politike-rinnen distanzierten sich vom Anlass

und befürchteten, er wirke sich kontra-produktiv auf die Gleichstellung aus. ImSchweizerischen Sozialarchiv füllen diein jenen Monaten erschienenen Artikelzur Rolle und zu den Rechten der Fraumehrere Kartonschachteln.

Dosierte ProvokationJe näher das Datum rückte, desto ent-gegenkommender reagierte die Arbeit-geberseite. In vielen Betrieben wurdenPausen für Aktionen gewährt, mancher-orts übernahmen Männer die Aufgabender (ihnen unterstellten) Frauen. ImMövenpick-Airport-Hotel am ZürcherFlughafen schlüpften die Manager indie Rolle der Zimmermädchen, wäh-rend die Frauen freimachen durften.

Ausser dem Verkehr, der vielerortsmit Liegestühlen blockiert wurde, wiebeispielsweise am Zürcher Paradeplatz,stand schliesslich kaum etwas still am14. Juni 1991. Der Frauenstreik gerietvielmehr zu einem fröhlichen, buntenAktionstag mit Happenings, Speaker’sCorners, Gleichberechtigungs-Gottes-diensten und Frauenparlamenten. Frautrug Pink oder Violett und hielt denobligaten lila Ballon, bedruckt mit ei-nem Paar Frauenaugen, in die Höhe.Auf dem Zürcher Helvetiaplatzschwang Stadtpräsident Josef Ester-mann den Kochlöffel. Auch viele an-fänglich skeptische bürgerliche Frauen-organisationen organisierten schliesslichVeranstaltungen. Das Reizwort Streikhatte dem Anlass die nötige Aufmerk-samkeit verschafft, auch wenn nur einekleine Minderheit die Arbeit für län-gere Zeit niederlegte.

NachwirkungenKnapp zwei Jahre später bekam dieSchweiz die Macht der erstarkten Frau-en wieder zu spüren. Als der Frauen-streik-Organisatorin Christiane Brun-ner die Wahl in den Bundesrat verwehrtwurde, erzwangen sie mit dem Druckder Strasse den Verzicht des Sozial-demokraten Francis Matthey auf dasAmt zugunsten von Ruth Dreifuss.

Meinung & Debatte, Seite 19

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Kumulation von Gleichstellungs-JubiläenMartin Senti U Am 7. Februar 1971 er-langten die Schweizer Frauen in der letz-ten reinen Männer-Abstimmung dasStimmrecht. Exakt zehn Jahre später, imFebruar 1981, startete offiziell die Ab-stimmungskampagne zur Volksinitiative«Gleiche Rechte für Mann und Frau».Am 14. Juni 1981 wurde diese Initiativeangenommen und damit der Gleichstel-lungsartikel in der Bundesverfassungverankert. An dieses eher symbolischeEreignis erinnerten protestierende Frau-en zehn Jahre später mit der Organisa-tion des Frauenstreiks vom 14. Juni 1991.

So haben sich die Gleichstellungs-Jubiläen über vier Jahrzehnte hinweg ge-wissermassen kumuliert. Und im Verlaufdieser Jahrzehnte haben die Frauen ge-rade dank beherzter Mobilisierung poli-tisch und rechtlich auch viel erreicht.Wichtige Etappen waren zunächst die

Revision des Eherechts in den achtzigerJahren – die vormalige Vormundschaftwurde durch Partnerschaft ersetzt – so-wie die 10. AHV-(«Frauen»-)RevisionAnfang der neunziger Jahre mit der Ein-führung von Betreuungsgutschriften.Entscheidend verbessert hat sich dieStellung der Frau dann vor allem durchdie Revision des Scheidungsrechts. Wei-tere Schritte waren die Konkretisierungdes Diskriminierungsschutzes in derVerfassung durch das Gleichstellungs-gesetz – es machte neben der Lohn-gleichheit auch die sexuelle Belästigungam Arbeitsplatz zum Thema –, ferner dieStrafbefreiung des Schwangerschaftsab-bruchs sowie die lange erkämpfte Mut-terschaftsversicherung. In greifbarerNähe liegt nun auch die Gleichstellungbeim Familiennamen – hier war derWiderstand bisher besonders zäh.

Noch gibt es keine LohngleichheitDie Gewerkschaften kritisieren die Lohndifferenz zwischen Männern und Frauen

Trotz Diskriminierungsverbotund Gleichstellungsgesetzverdienen Frauen im Durch-schnitt immer noch weniger alsMänner. Jüngere Studien gehenvon einer mittleren Lohndiffe-renz von 24 Prozent aus.

Nadine Jürgensen

Die Forderungen der Gewerkschaftenim Hinblick auf die Aktionen zumFrauenstreiktag sind fast identisch wievor 20 Jahren: gleicher Lohn für gleicheArbeit, familienverträgliche Verteilungvon Erwerbs- und Hausarbeit für Frau-en und Männer sowie Ausbau der staat-lich finanzierten Kinderbetreuung.Zwar haben die Frauen in Sachen recht-licher Gleichstellung viel erreicht in denvergangenen Jahrzehnten.

Dass aber die Gleichstellung für dieFrauen nun erreicht und das Thema ab-geschlossen sei, dagegen wehren sichdie Gewerkschaften. Auch wenn sicheine junge Generation von Frauen ihreRechte nicht mehr erstreiten müsse, sosei die Gleichstellung noch längst nichtin allen Köpfen der Bevölkerung ange-langt, schreibt beispielsweise Tanja Wal-liser, Sekretärin der Unia.

RollenverteilungDiese Erfahrungen macht auch DanielHuber, Geschäftsführer von UND, ei-ner Fachstelle für Familien- und Er-werbsarbeit für Männer und Frauen.Die Rollenverteilung zwischen Mann

und Frau sei immer noch sehr klar fest-gelegt, beobachtet Huber in der Praxis.Noch immer seien es die Männer, die an«den Schalthebeln» sässen und Verän-derungen herbeiführen könnten, auchim Parlament. Die rechtlichen Voraus-setzungen der Gleichstellung seien ge-geben, woran es nun hapere, sei die kon-krete Umsetzung.

1747 FrankenGerade bei der Lohnungleichheit sta-gniert die durchschnittliche Lohndiffe-renz bei rund 24 Prozent. Frauen ver-dienten im Jahr 2006 im Schnitt 1747Franken weniger als Männer. Gemässeiner Lohngleichheits-Studie des Bürosfür Arbeits- und sozialpolitischeStudien (Bass) von 2008 verdienen ge-rade auch Akademikerinnen nach derAusbildung im Schnitt einen Drittelweniger als Männer mit einem Hoch-schulabschluss.

Auch in den verschiedenen Tätig-keitsbereichen zeichnet sich nochdurchwegs ein Bild der Lohnungleich-heit ab, wobei in den am besten entlöhn-ten Tätigkeiten die grössten Lohndiffe-renzen verzeichnet werden. Frauen undMänner verteilen sich jedoch auch sehrungleichmässig auf die verschiedenenTätigkeitsgebiete, so sind im Baugewer-be fast keine Frauen tätig, im Detail-handel jedoch fast 90 Prozent.

Woran liegt es, dass trotz gesetzlichenVorgaben die Lohngleichheit noch nichtdurchgesetzt wird? Daniel Huber führtdafür vielfältige Gründe auf: Zum einensei oftmals die Chancengleichheit nichtgegeben, da eine Frau zwar erwerbstätig

sei, sich daneben aber auch hauptsäch-lich um Haushalt und Kinder kümmere.Sie bewältige also ein viel höheres Pen-sum neben der eigentlichen Berufstätig-keit und teile diese nicht etwa mit ihremPartner. Oftmals fehlten dadurch auchdie Wahlmöglichkeiten, eine höhere Po-sition anzustreben oder eine Vollzeit-stelle anzunehmen.

Die Kultur in den Betrieben sei einanderer Grund, so Huber. Oftmals wer-de ein Klima der Konkurrenz gepflegt,eines männlichen Wettbewerbs, der vie-le Frauen nicht interessiere. Frauenseien eher an Inhalten und an Konsensinteressiert als an Geld und Karriere.Ein Betrieb müsse deshalb ein anderesArbeitsklima fördern. Es gehe hier umweiche Faktoren wie die Lebensquali-tät, die für Frauen wichtig seien.

FortschritteDaniel Huber weiss jedoch auch Erfreu-liches aus der Praxis zu berichten: JungeUnternehmer und Väter, die beispiels-weise ihre Startups gründen, seien oftsehr engagiert und aufgeschlossen fürihre Kinder und trügen auch mehr Ver-antwortung bei der Kinderbetreuungals noch die Generation ihrer Väter.

Die Chance, die Gleichstellung wirk-lich zu leben, liegt nun in Händen eben-dieser jungen Generation, die vielselbstverständlicher mit dem Anspruchauf gleiche Rechte von Mann und Frauaufgewachsen ist als frühere Generatio-nen. Und dass sich verbliebene Vorteileauf dem Arbeitsmarkt im Privaten ne-gativ auswirken können, merken mehrund mehr auch die Männer.

Als die Frauenbewegung 1991 rief, kamen die Frauen scharenweise – wie etwa hier auf dem Helvetiaplatz in Zürich. KEYSTONE