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Ein Robot versagt

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Atlan - Der Held vonArkon

Nr. 206

Ein Robot versagt

Magantilliken, der Henker, greift ein- eine Gefühlsbasis wird zur

Gefahrenquelle

von Marianne Sydow

In einer Zeit, die auf Terra dem 9. Jahrtausend v. Chr. entspricht, steht es mit demGroßen Imperium der Arkoniden nicht zum Besten, denn es muß sich sowohl äuße-rer als auch innerer Feinde erwehren. Die äußeren Feinde sind die Maahks, derenRaumflotten den Streitkräften des Imperiums durch überraschende Schläge schwereVerluste zufügen. Die inneren Feinde Arkons sind Habgier und Korruption der Herr-schenden, die – allen voran Imperator Orbanaschol III. – nur auf ihren eigenen Vor-teil bedacht sind und das Gemeinwohl völlig außer acht lassen. Gegen diese innerenFeinde des Imperiums ist der junge Atlan, der rechtmäßige Thronerbe und Kristall-prinz von Arkon, der eine stetig wachsende Schar von verschworenen Helfern umsich sammeln konnte, bereits mehrmals erfolgreich vorgegangen.

Gegenwärtig ist Atlan jedoch nicht in der Lage, den Untergrundkampf gegen denUsurpator und Brudermörder Orbanaschol persönlich weiterzuführen, denn durch dieEinwirkung einer Geheimwaffe der Maahks gelangte er erneut in den Mikrokosmos.

Von dort aus versucht er, zusammen mit Crysalgira, einer adeligen Arkonidin, dieebenfalls dem »Zwergenmacher« zum Opfer fiel, den Weg zurück in sein eigenes,makrokosmisches Raum-Zeitkontinuum zu finden. Dabei kreuzt Atlan erneut denWeg Magantillikens, seines alten Widersachers. Der Henker ist in großen Schwierig-keiten, denn EIN ROBOT VERSAGT …

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Die Hautpersonen des Romans:Magantilliken - Der varganische Henker erhält einen neuen Auftrag.Hermon Xonth und Isthmy - Magantillikens Helfer.Jintha - Tochter eines Diktators.Burjos und Gaddos - Zwei erbitterte Gegner.Atlan und Crysalgira - Zwei Arkoniden auf dem Weg nach Yarden.

1.

Das laute Wimmern einer Sirene riß Jint-ha aus dem Schlaf. Sie richtete sich hastig inihrem Liegestuhl auf und blinzelte verwirrtin die gleißende Helligkeit jenseits der Ve-randa. Die Sonne stand hoch und verwandel-te die sanft dem Tal entgegengeneigteSchneefläche in eine Hölle aus weißemLicht. Das Mädchen tastete geblendet aufdem niedrigen Tisch herum und spürte end-lich die Sonnenbrille zwischen den Fingern.Die Sirene schrillte noch immer. Jinthastand auf und trat an das Holzgeländer, dasdie Veranda umgab. Von dort aus hatte sieeinen guten Blick in das etwa zweihundertMeter tiefer liegende Dorf.

Zwischen den niedrigen, dunklen Holz-häusern wurde es lebendig. Sie sah die ha-stenden Gestalten, entdeckte jedoch nichts,was auf den Grund für diesen unerwartetenAlarm hinwies. Unwillkürlich glitten ihreBlicke weiter nach oben. Genau gegenüber,scheinbar zum Greifen nahe, ragte die ge-waltige, teilweise von Schnee bedeckte Fels-mauer auf, die den letzten Ausläufer desQuamendrin-Massivs bildete.

»Lawinenalarm«, sagte eine dunkle Stim-me neben ihr.

Jintha zuckte zusammen und sah sich um.Sie hatte Burjos nicht kommen hören. Derehemalige Prospektor, der seit nunmehrzwei Jahren der persönliche Beschützer desMädchens war, hielt ein Fernglas in derHand. Er kniff die Augen zusammen, legteden Kopf schräg, als lausche er angestrengt,dann nickte er.

»Es kommt vom Quamendrin«, behaupte-te er. »Sehen Sie das dort?«

Der junge Ckorvone deutete auf einen

dunklen Punkt oberhalb des Dorfes. Jinthamußte das Fernglas zu Hilfe nehmen. Sie er-blickte einen würfelförmigen Bau. Ein paarDutzend Menschen krabbelten wie kleineInsekten aus dem Schutz des breiten Dachesund rannten in wilder Hast dem Dorf entge-gen. Viele stürzten und rollten hilflos in dieSchneewehen.

»Das ist die Beobachtungshütte«, erklärteBurjos. »Von dort aus wird der Quamendrinständig überwacht.«

Jintha war wie erstarrt. Eine Lawine amQuamendrin – der Himmel mochte wissen,was dabei alles geschehen konnte! Dieserunheimliche Berg war ihr seit jeher verhaßt.Als ihr Vater sie drängte, sich für einige Zeitin der Berghütte im Woronongtal zu erho-len, hatte sie sich anfangs mit allen Kräftengesträubt. Aber Teihendru war nicht nur derDiktator des Landes Frinalhan. Er be-herrschte seine Familie restlos, und so muß-te Jintha sich seinen Wünschen fügen. Im-merhin hatte er ihr Burjos mitgegeben, dersich besser als jeder andere in den Bergenauskannte. Ihre Abneigung gegen den zehn-tausend Meter hohen Bergriesen, der mitseinen zahlreichen Nebengipfeln ein Gebir-ge für sich bildete, überging der Diktator miteiner lässigen Handbewegung. »Ich habeAngst«, sagte sie leise. Burjos lächelte leichtund legte ihr die rechte Hand auf die Schul-ter.

»Ich weiß«, nickte er. »Aber hier obensind wir relativ sicher. Bis jetzt steht auchnicht fest, daß die Lawine überhaupt denWeg in unsere Richtung nimmt. Bis jetzt hatgerade das Woronongtal am wenigsten unterden Launen des Quamendrin gelitten.«

Durch die offene Verandatür drang einlautes Summen. Burjos lief hinein. WährendJintha immer noch den Berg anstarrte, hörte

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sie den Wächter drinnen sprechen. Kurz dar-auf kehrte ihr Beschützer zurück. Er hielt inder einen Hand Jinthas dicke Pelzjacke, inder anderen eine Schultertasche aus wasser-dichtem Stoff.

»Kommen Sie!« sagte er. »Wir müssenweg!«

Jintha schüttelte verwirrt den Kopf undsetzte zu einer Frage an, aber Burjos ließ ihrkeine Zeit. Sie zog gehorsam die Jacke an,stellte fest, daß der Ckorvone außer seinerDienstpistole noch ein langes Messer undeinen Knüppel an seinen Gürtel gehängt hat-te und sah ihn fragend an.

»Wollen Sie in den Krieg ziehen?« fragtesie spöttisch.

Burjos zwang sich ein beruhigendes Lä-cheln ab, drehte sich abrupt um und gingvoraus. Jintha folgte ihm fast automatisch.In den letzten zwei Jahren hatte sie sich dar-an gewöhnt, Burjos beinahe blind zu ver-trauen. Er hatte ihr mehrmals das Leben ge-rettet, wenn fanatische Gegner ihres Vatersihre Wut an dessen Familie auszulassen ver-suchten. Im Laufe der Zeit hatte das jungeMädchen für den ehemaligen ProspektorGefühle entwickelt, von denen Teihendruniemals etwas erfahren durfte. Der Diktatorlegte großen Wert darauf, daß seine Töchtersich »standesgemäß« verhielten.

Sie rannten durch den Ziergarten hinterder komfortablen Villa. Burjos half demMädchen über die niedrige Begrenzungs-mauer hinweg. Jintha berührte mit derSchuhspitze einen dünnen Draht und hörtedas scharfe Klicken, aber sie war zu betäubtvon den sich so plötzlich überstürzenden Er-eignissen, als daß sie schnell genug reagie-ren konnte. Ein harter Schlag gegen ihreSchulter warf sie in den Schnee. Dicht überihr krachte ein Schuß. Sie rappelte sich müh-sam auf, wischte sich den Schnee aus demGesicht und sah sich nach Burjos um. DerCkorvone preßte die rechte Hand gegen denlinken Unterarm.

»Warum haben Sie nicht die Selbstschuß-anlage ausgeschaltet?« fragte Jintha fas-sungslos. »Ich verstehe nicht …«

Ihr Beschützer verzog das Gesicht.»Ich erkläre es Ihnen später. Wir müssen

weiter hinauf. Dort gibt es einen Pfad. Nunkommen Sie doch schon!«

»Sie sind verletzt!« protestierte Jintha.»Lassen Sie mich wenigstens mal nachse-hen. Sie könnten verbluten!«

Burjos, der bereits einige Schritte von ihrentfernt war, blieb seufzend stehen.

»Paß auf, Mädchen!« sagte er gedehnt.»Die Beobachtungsstation hat eine schwereErschütterung im Bereich der Nordwand desQuamandrin angemessen. Das ist keine nor-male Lawine, die da auf uns zukommt! Bisjetzt steht noch nicht genau fest, was diesesUnglück ausgelöst hat, aber eines ist sicher:Das Woronongtal wird in spätestens einerStunde nicht mehr existieren. Es ist zu be-fürchten, daß auch der Südhang des Dogrounter der Katastrophe leiden wird. Abgese-hen davon haben die Berechnungen unsererWissenschaftler ergeben, daß der Umfangder Lawine ausreicht, um das Tal an dieserStelle bis in mindestens dreihundert MeterHöhe restlos auszufüllen. Wenn ich jetzt al-so Zeit verschwende, um diesen lächerlichenDurchschuß zu verbinden, dann werde ichnicht einmal mehr dazu kommen, den Ver-band zu wechseln. Wir gehen jetzt dort hin-auf, und ich rate Ihnen, sich zu beeilen.«

Jintha schwieg. Wenn Burjos in dieserWeise mit ihr redete, war die Situationschon so gut wie hoffnungslos. Der zweiteWächter, ein unangenehmer, schmierigerKerl, der in Gaddos' Diensten stand und Jint-ha eher bespitzelte als bewachte, hatte Lanjains Tal begleitet. Die beiden wollten Vorräteeinkaufen.

Lanja! Sie hatte Jintha aufgezogen, unddas Mädchen hing an dieser Sklavin mehrals an ihrer eigenen Mutter.

»Was ist los?« fragte Burjos unwillig, alsJintha plötzlich stehenblieb.

»Sie ist im Dorf!« erwiderte das Mädchentonlos.

Der junge Ckorvone begriff sofort. Erpreßte die Lippen aufeinander, dann packteer Jintha am Arm und zog sie weiter.

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»Wir können ihnen nicht helfen«, erklärteer brutal. »Weder Lanja noch den vielen an-deren. Es wäre sinnlos. Sie haben keineChance mehr.«

»Vielleicht bekommen sie einen Wagen«,wehrte sich Jintha verzweifelt gegen den un-vorstellbaren Gedanken, Lanja zu verlieren.»Wenn sie schnell genug fahren, können siees schaffen!«

»Mag sein«, nickte Burjos tröstend. Erwußte es besser, zog es aber vor, dem Mäd-chen wenigstens diese Hoffnung zu lassen.Über Funk hatte er erfahren, daß die Straßeunterhalb des Dorfes sehen durch Erdrutscheverschüttet worden war. Aber das eigentli-che Drama stand noch aus.

Sie erreichten den Wald und tauchten indie Dämmerung zwischen den hohen, gera-den Stämmen.

Burjos warf einen kurzen Blick zurückund sah an der Flanke des Quamendrin dieersten Vorboten der Katastrophe. Schneestäubte auf und verdeckte die Sicht auf diezerrissenen Felsen.

Unter den Bäumen lag der Schnee nichtso hoch. Sie kamen schneller voran. Überihnen, in den verfilzten Zweigen, rascheltenund flatterten Tiere. Sie schienen die Gefahrzu spüren. Burjos tastete nach seiner Waffeund behielt ihre Umgebung ständig im Au-ge. Aber sie erreichten unangefochten denschmalen Pfad, der sich in engen Windun-gen den Hang hinaufzog, um weiter obenüber einen niedrigen Paß in ein Nebental zuführen. Dort wußte Burjos eine militärischeStation, in der sie Hilfe finden würden. Abersie mußten erst einmal dorthin kommen, undder Ckorvone zweifelte daran, daß sie ihrZiel rechtzeitig erreichen würden.

Einige Minuten später ließen sie denWald hinter sich. Das ferne Rauschen undPoltern hatte inzwischen ständig zugenom-men. Noch war es am Dogro ruhig. Burjosmerkte, daß Jintha kaum noch Luft bekam,und blieb kurz stehen. Er schob den Ärmelseiner Jacke hoch und warf einen Blick aufdie Wunde. Sie schmerzte zwar höllisch,blutete jedoch nicht mehr besonders stark

und sah relativ ungefährlich aus. Jintha setz-te sich auf den Boden und legte den Kopfauf die hochgezogenen Knie. Sie fühlte sichgrenzenlos müde.

Als sie das seltsame, hohle Brausen hörte,hob sie verwundert den Kopf. Ein schrillesPfeifen mischte sich darunter. Es klang wiedamals, als der Vulkan auf Mucarin ausge-brochen war. Aber der Quamendrin war keinVulkan!

Burjos stand wie erstarrt neben ihr. Siefolgte seinen Blicken – und sah die Flam-mensäule, die unterhalb des weit entferntenGipfels in den blauen Himmel schoß.

»Was ist das?« flüsterte sie entsetzt.»Ich weiß es nicht«, murmelte Burjos. Er

half dem Mädchen hoch, und sie gingenweiter. Ab und zu ragten Felsen neben demPfad auf, aber die Lichterscheinung ragte soweit in den Himmel, daß sie sie ständig übersich sahen, Burjos warf immer wiederBlicke auf diese seltsame Flamme. Er ent-deckte dunkle Punkte, sah, wie Felsbrockenvon der Größe eines Mietshauses den Qua-mendrin hinabkullerten, und kam zu derÜberzeugung, daß sie auch in diesem Be-reich des Dogro noch längst nicht in Sicher-heit waren. Aber drüben war jetzt fast derganze Hang in Bewegung geraten, und ein-zelne Brocken fielen aus der Flammensäuleüber ihnen herab. Sie schlugen wie Bombenin den unter ihnen liegenden Waldein.

Er trieb Jintha erbarmungslos an. Es warkeine gewöhnliche Lawine. Irgend etwasgab es am Quamendrin. Vielleicht hatten dieLandbewohner dieser Gegend doch recht,wenn sie den riesigen Berg für den Wohn-sitz rachsüchtiger Dämonen hielten. Aber erhatte seine Aufgabe zu erfüllen. Burjosmußte alles versuchen, um Jintha aus dieserHölle hinauszulotsen. Falls ihm das nichtgelang, er selbst aber am Leben blieb, sowar es besser, wenn er Frinalhan für alleZeiten den Rücken kehrte. Er würde ein sol-ches »Versagen« teuer bezahlen müssen.

Jintha stapfte wie eine Maschine vor-wärts. Als Burjos sie auf die kleine Höhlehinwies, die er über einem Gebüsch jenseits

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des Pfades entdeckte, hob sie nicht einmalden Kopf. Über ihnen glühte der Himmel,und immer zahlreicher regneten brennendeTrümmerstücke auch auf den Dogro hinab.Das Poltern und Rauschen übertönte alles.Ein starker Wind kam auf, der ihnen aufge-wirbelten Schnee und den Gestank brennen-der Tarvobäume entgegentrieb.

Er führte das Mädchen den sanft geneig-ten Hang hinauf, schob sie durch die Büscheund half ihr über die rissigen Felsbrocken.Sein Arm schmerzte fast unerträglich, unddas Gewicht der Schultertasche schien vonMinute zu Minute zu wachsen.

»Da hinein!« keuchte er und zeigte aufdie kleine, dunkle Höhle. Es war nicht vielmehr als eine Nische in den Felsen. Eiszap-fen bedeckten die Rückwand. Darunter rie-selten ein paar Wassertropfen herab, die sicham Boden zu einer mit dünnem Eis bedeck-ten Pfütze sammelten. Jintha wollte sich in-stinktiv in den hintersten Winkel verkrie-chen, aber Burjos hielt sie zurück.

»Wenn das Gestein bricht, sind wir dorthinten verloren«, erklärte er. Sie stand offen-sichtlich unter einer Schockeinwirkung. IhreBlicke gingen durch ihn hindurch. Sie hock-ten nebeneinander auf dem eiskalten Bodenund starrten auf das Chaos, das sich ihrenAugen darbot.

Unmengen von Schnee, Eis und lockerenSteinen aller Größenordnungen hatten sichaus der Flanke des Quamendrin gelöst. Bur-jos sah die Lawine, schätzte die Richtung,orientierte sich und verglich das umgebendeGelände mit den ihm bekannten Daten überden geheimnisvollen Berg. Die Lawineselbst bot für sie jetzt keine überragende Ge-fahr mehr, es sei denn, der Hang des Dorgowürde durch die Erschütterungen ebenfallsin Unruhe geraten. Die Massen von Schneeund Eis würden die kleine Höhle jedochnicht erreichen. Einziger Unsicherheitsfaktorin dieser Rechnung war die Flammensäule.

Burjos griff nach dem Fernglas und späh-te zum Ort des unheimlichen Geschehenshinauf. Noch niemals hatte ein Ckorvone dieSpitze des Quamendrin erreicht, und die

Nordwand mit dem riesigen Überhang, dievon den Dorfbewohnern die »Burg der Dä-monen« genannt wurde, bot ein absolut un-überwindliches Hindernis. Dieser Überhangragte etliche hundert Meter weit aus derSteilwand heraus. Darüber türmte sich eineungeheure Geröllhalde bis fast zum Gipfel.Aus dem unteren Teil dieser merkwürdigenFormation brach der Feuerstrahl hervor. Erstreifte den unteren Rand des Gerölls, dasdadurch in Bewegung geriet und die Lawineauslöste.

Noch während er hinsah, erlebte Burjosdie Demaskierung dieses Überhangs.

Allmählich löste sich die Kruste, die dengeheimnisvollen Gegenstand an der Spitzedes Quamendrin so lange verborgen hatte.Eine metallisch glänzende Kugel kam dar-unter zum Vorschein. Aus dieser Entfernungwirkte sie klein und unbedeutend, aber alsBurjos einen kurzen Größenvergleich an-stellte, stockte ihm der Atem. Das Ding, ausdessen glänzender Hülle das Feuer der Ver-nichtung brach, mußte unvorstellbare Aus-maße haben.

Plötzlich schien der kahle Hang zu ber-sten. Die Verankerungen, mit der die Kugelsich bis jetzt an ihren Platz geklammert hat-te, brachen und lösten Felsbrocken von derGröße kleiner Berge aus der Wand. Wie eingigantischer Ball sprang das Gebilde denHang hinunter. Bei jedem Aufprall nahmdas Ausmaß der Zerstörungen zu. Der Kugelselbst geschah nichts.

»Was ist das?«Jinthas Stimme klang schrill und spitz.

Sie zitterte am ganzen Körper. Die Kugelhatte jetzt ungefähr einen Höhenunterschiedvon zweitausend Metern überwunden. Nochließ sich nicht sagen, wo sie am Ende auf-schlagen würde. Der Feuerstrahl schlug mitvernichtender Gewalt rundum in die Bergeein. Ein paar Sekunden später traf er denWald unterhalb der Höhle. Glühende Ästewirbelten am Eingang vorbei. Ein Schauervon Steinen prasselte herab. Jintha wolltesich in das Chaos hinausstürzen, aber Burjoshielt sie fest. Das Mädchen war völlig hyste-

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risch, trat nach ihm und kratzte. Er wußte,daß vernünftige Argumente jetzt nichts mehrnützten. Darum schlug er zu.

Die Hitze wurde fast unerträglich. Er zerr-te den Körper des Mädchens tiefer in dieHöhle, hockte sich neben Jintha und starrtehinaus. Geisterhaft fingerte der Feuerstrahlan den Bergwänden entlang. Ein kleinerBerg loderte auf und verschwand in einerFahne davonwehenden Staubes. Die Kugelkam näher. Als sie etwa einen Kilometersüdlich des Dorfes aufschlug, schwankte derBoden der Höhle wie bei einem Erdbeben.Ein paar Steine lösten sich aus der Decke.Für den Bruchteil einer Sekunde sah Burjosdas Gebilde ganz deutlich. Es war glatt wieeine Murmel, durchmaß etwa einen Kilome-ter und wies an verschiedenen Stellen Aus-wüchse auf, die durch den Absturz teilweiseverbogen oder abgebrochen waren. Der Feu-erstrahl war verschwunden.

Dann raste eine Wand aus mit Geröll ver-mischtem Schnee den Hang hinunter und be-deckte sowohl die Kugel als auch die letztenÜberreste des Dorfes. Die Lawine hatte ihrZiel erreicht.

*

Der Kommandant der Gefühlsbasis Xe-riomph war defekt. Allerdings wußte er dasnicht, sonst hätte er den Schaden längst ge-meldet. Der Fehler in seinen Schaltkreisenzeigte sich erst, als es schon zu spät war.

Die Antennen der Station nahmen einenImpuls auf. Die Sendung wurde im Unter-sektor »Empfang« entschlüsselt und an denKommandanten weitergeleitet. Es handeltesich um einen Befehl aus der Eisigen Sphä-re. Der Kommandant erteilte dem Sektor»Sendung« die Anweisung, die für diesenFall vorgesehene Bestätigung abzustrahlen.Gleichzeitig informierte er alle anderen Ne-bengehirne und setzte die erforderlichenSchaltungen in Betrieb. Innerhalb von Se-kunden erwachte die Gefühlsbasis zu roboti-schem Leben.

Ein ziemlich untergeordneter Kontrollteil

machte den Kommandanten kurz darauf aufeinen Fehler aufmerksam. Die an die Varga-nen gerichtete Bestätigung war nicht abge-strahlt worden. Der Kommandant zog darausden Schluß, daß die Funkzentrale nicht inOrdnung war und erteilte ihr den Befehl,sich schleunigst zu regenerieren.

Die Funkzentrale befolgte den Befehl. Fürdie Dauer der Untersuchung schloß sie sichzunächst von dem ihr übergeordneten Sektorab. Als sie in ihren eigenen Schaltkreisenkeinen Fehler fand, öffnete sie ihre internenKanäle wieder und meldete das Ergebnis anihre Zentrale weiter. Dort entstand der Ein-druck, die Fehlschaltung müsse innerhalbdes zuständigen Kontrollgehirns liegen. Dergesamte Sektor »Sendung« sperrte die Ver-bindung zu den übrigen Anlagen und suchtenach dem Fehler, der laut Befehl des Kom-mandanten beseitigt werden mußte. In die-sem Komplex wurde auch die Funktion derüberaus wichtigen Emotiostrahler kontrol-liert und gesteuert. Das Robotsystem derGefühlsbasis funktionierte sternförmig. VomKommandanten gingen direkte Verbindun-gen zu den Sektoren, von dort aus wurdendie Nebensektoren informiert, die die Infor-mationen wiederum an zahlreiche kleinereEinheiten weiterleiteten. Es gab Verflech-tungen, die der Überbrückung der Instanzendienten, aber in Fällen wie diesem war jederKomplex fähig, absolut autark zu handeln.

Der Kommandant hatte inzwischen dieEnergieversorgung angekurbelt, die seitdreihundert Jahren darauf beschränkt wor-den war, die wenigen ständig funktionsfähi-gen Teile der Station zu versorgen. Vorran-gig war die Bereitstellung von Energie fürdie Emotiostrahler. Die Speicher füllten sichschnell. Als eine bestimmte Grenze erreichtwar, gab der betreffende Sektor eine Mel-dung ab. Die Abteilung »Sendung« reagiertenicht. Die Kanäle blieben verstopft. DerSektor »Energie« konnte seine Tätigkeit nurdann selbstständig einstellen, wenn ein Feh-ler im eigenen Bereich vorlag. Solange dasnicht der Fall war, blieb der Befehl desKommandanten bestehen. Nach wenigen Se-

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kunden wurde die Kapazität der Speicherüberschritten. Die Energie staute sich. DerKommandant empfing eine Alarmmeldungund ordnete die sofortige Öffnung der Kanä-le an. Aber auch er drang nicht bis zu demzuständigen Teilgehirn durch. Er hätte jetztden Befehl geben müssen, sofort den Ener-giefluß zu den Emotiospeichern zu stoppen,aber gerade da lag seine Schwäche.

Er vermochte einen einmal gegebenenBefehl nicht rückgängig zu machen. Er war-tete auf die Bestätigung, die er gar nicht er-halten konnte.

Als die ersten Überschlagsblitze entstan-den, baute sich automatisch ein Schutz-schirm auf. Er verhinderte zwar, daß be-nachbarte Teile der Gefühlsbasis zerstörtwurden, ließ die immer noch herbeiströmen-de Energie jedoch anstandslos passieren.Der Kommandant sendete unbeeindrucktimmer noch dieselben Befehle.

Schließlich wurde der kritische Punkt er-reicht, und die Speicher flogen auseinander.Der Schutzschirm leitete die nun völlig freiherbeiströmende Energie über die Notfälledieser Art vorgesehene Kanäle nach außenab.

Der Kommandant registrierte diese Vor-fälle. Er stellte auch die schweren kineti-schen Erschütterungen fest, die die Basisdurchliefen, hielt sich jedoch auch weiterhinan den Auftrag, die Emotiostrahler mit Ener-gie zu versorgen. Der Sektor »Sendung« öff-nete seine Kanäle nicht, weil er einerseits inseinen Schaltkreisen keinen Fehler fand, an-dererseits infolge der nun zerstörten Spei-cher der naheliegenden Spur zu den Energie-erzeugern nicht folgen konnte. Minutenlangblieb die Situation unentschieden. Dannschlug die nach außen abgeleitete Energie indie Schutzschirme zurück. Der Sektor»Energie« registrierte eine Störung im eige-nen Bereich und reagierte sofort. Die Ener-gieerzeugung wurde eingestellt und auchnach einem dringenden Befehl des Kom-mandanten nicht wieder aufgenommen, weilder Weg zu den Emotiostrahlern blockiertwar. Damit war die Gefühlsbasis Xertomph

vorläufig zur Untätigkeit verurteilt. Die ent-standenen Schäden hätte der Kommandantleicht beheben können, wäre nicht dieseFehlschaltung in seinen maschinellen Einge-weiden gewesen. Er beschränkte sich darauf,die betroffenen Sektoren auch weiterhin mitBefehlen zu bombardieren, die jedoch nie-mals befolgt wurden.

*

»Was Sie da berichten, klingt unglaub-lich!«

Der Leiter der militärischen Bergstation,die Jintha und Burjos nach einer gefahrvol-len Wanderung durch das Lawinengebiet er-reicht hatten, kannte Jinthas Identität, aber ervermochte seine Skepsis nicht ganz zu ver-bergen. Burjos hielt sich im Hintergrund,obwohl gerade er die wichtigsten Beobach-tungen gemacht hatte. Sein ganz persönli-ches Problem beschäftigte ihn ausreichend.

»Es stimmt«, gab Jintha bereitwillig zu.»Aber leider war es nicht nur eine Halluzi-nation, die wir erlebten. Sie haben Kund-schafter über den Paß geschickt und die Be-richte erhalten. Sie wissen also Bescheid!«

Der Ckorvone nickte nachdenklich. Er saßJintha an einem kleinen Tisch gegenüberund drehte verlegen einen Becher mit hei-ßem Tee zwischen den Händen. Bur joskonnte sich lebhaft vorstellen, wie diesemMann zumute war. Er selbst hatte sich anJintha gewöhnt. Sie war manchmal launisch,hatte jedoch weder die Gier nach Macht,noch den Hang zur Brutalität von ihrem Va-ter geerbt. Man konnte vernünftig mit ihr re-den. Aber woher sollte der Fremde das wis-sen?

Burjos verfolgte das Gespräch der beidenmit halbgeschlossenen Augen. Er stand ne-ben der Tür, und auch seine lässige Haltungkonnte nicht darüber hinwegtäuschen, daß ersprungbereit und wachsam war. Man hatteseine Verletzung verbunden und ihm einschmerzstillendes Medikament verabreicht.Jetzt wachte er über Jintha und stellte dabeiÜberlegungen an, die er selbst Jintha gegen-

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über nicht hätte äußern dürfen.Sie hatten über Funk ihre Beobachtungen

übermittelt und warteten nun auf die Anwei-sungen des Diktators. Natürlich würde Tei-hendru darauf bestehen, daß man die Kugelfreilegte und genau untersuchte. Dagegenwar im Prinzip nichts einzuwenden. Aber inder Kugel gab es Waffen, das war durch denFeuerstrahl bewiesen. Gerieten sie in dieHände des machthungrigen Diktators, sowar Vaanrhan verloren. Das Gleichgewichtzwischen den beiden Staaten war äußerst la-bil. Bisher hatte man einen offenen Kriegvermeiden können. Vaanrhan war waffen-technisch überlegen, vermied jedoch ab-sichtlich eine Auseinandersetzung. In derHeimat des angeblichen Prospektors hoffteman immer noch, sich eines Tages friedlichmit dem Diktator oder seinem Nachfolgereinigen zu können.

Aber Burjos, der sich vor etwa über zweiJahren als einziger Agent seines Landes indie direkte Nähe Teihendrus hatte schmug-geln können, wußte genau, daß solche Hoff-nungen verfehlt waren. Teihendru würde dieerstbeste Gelegenheit nützen. Es ging ihmnicht um die Reichtümer Vaanrhans, son-dern um mehr Macht. Und darum durfte Tei-hendru die Waffen nicht in die Hände be-kommen, die die Kugel in sich barg. Burjoswußte nicht, wie er die Bergungsarbeiten sa-botieren sollte, aber es stand fest, daß er estun mußte.

Eine halbe Stunde später betrat ein Botedas Zimmer. Er reichte Jintha einen versie-gelten Umschlag. Das zierliche, rotblondeMädchen las die Nachricht und reichte dasBlatt kommentarlos an Bur jos weiter. DerCkorvone hatte Mühe, seinen Triumph zuverbergen.

»Nun?« fragte Jintha ungeduldig. »Wassagen Sie dazu?«

»Es ist ein Befehl des Herrschers«, erwi-derte Burjos scheinbar gleichmütig. »Essteht mir nicht zu, eine eigene Meinung zuäußern!«

»Ich hasse diesen Berg!« rief Jintha lei-denschaftlich. »Und ich werde mich wei-

gern, diese Anweisung zu befolgen. Entwe-der nimmt mein Vater den Befehl zurück,daß ausgerechnet Sie in diesem gefährlichenGebiet die Leitung der Arbeiten überneh-men, oder ich komme mit!«

»So sollten Sie nicht reden«, versuchteBurjos das aufgebrachte Mädchen zu beruhi-gen. »Ihr Vater handelt absolut logisch. Ichhabe gesehen, wo die Kugel aufschlug. Ihmist bekannt, daß ich über die nötigen Kennt-nisse verfüge, um diese Arbeit zu überneh-men. Wenn es ein Unglück gibt und ich da-bei sterbe, dann bin ich selbst schuld, denndann habe ich versagt. Für Versager gibt eskeinen Platz in unserer Gesellschaft!«

Jintha sprang auf und rannte aus demZimmer. Als er sie draußen auf dem Gangaufgeregt diskutieren hörte, fing er einenmitleidigen Blick des Uniformierten auf. Ergrinste verhalten. Jintha würde bei ihremVater seiner Meinung nach überhaupt nichtserreichen.

Er hatte sich geirrt. Eine Stunde späterkletterte er hinter dem Mädchen aus demWagen, der sie bis an den Rand der Un-glücksstelle gebracht hatte. Er ließ sich seineGefühle nicht anmerken, aber er hätte amliebsten laut geflucht. Nun mußte er nichtnur die geheimnisvolle Kugel dem Zugriffdes Diktators entziehen, sondern auch nochfür die Sicherheit des Mädchens sorgen. Alser dann noch erfuhr, daß er erstens mit Gad-dos eng zusammenarbeiten mußte und zwei-tens ein Zimmer direkt neben der Tochterdes Diktators bewohnen sollte, sank seineStimmung auf den Nullpunkt. Ihm standensehr schwere Tage bevor!

2.

»Gefühlsbasis Xertomph im Manetzasy-Sy-stem meldet sich nicht!« dröhnte eine Stim-me aus dem Lautsprecher des Kontroll-raums. »Funktionsaufnahme ist laut Plan inacht Tagen der Standardzeitrechnung erfor-derlich. Die üblichen Nachforschungen blie-ben ohne jeden Erfolg. Xertomphschweigt!«

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»Ich fliege sofort los!« versicherte Ma-gantilliken seinem unsichtbaren Gesprächs-partner.

»Genau das erwarten wir von dir«, kamdie etwas spöttische Antwort. »Schließlichist es deine Aufgabe, für den reibungslosenAblauf der Aktion zu sorgen. Damit du mitdem nötigen Eifer an die Arbeit gehst,möchte ich dir noch etwas verraten. Wir ha-ben noch einmal über deinen Fall gespro-chen. Du hast im Makrokosmos versagt,aber wenn du jetzt gute Arbeit leistest, wärees denkbar, daß wir dir dennoch die Rück-kehr nach Yarden erlauben.«

»Ich werde mir große Mühe geben«, ver-sprach Magantilliken hastig, aber die Ver-bindung war bereits abgebrochen. Der Hen-ker drückte auf eine Taste.

»Isthmy und Xonth, sofort in die Zentra-le!« sagte er leise in ein Mikrophon. Der Rufhallte vielfach verstärkt durch die Räumeund Gänge des Doppelpyramidenschiffs.

Der Kreuzzug nach Yarden hatte begon-nen. Zehntausend voll bemannte Raumschif-fe der Tejonther folgten dem Ruf der ge-heimnisvollen Leerraumkontrolleure. KeinAngehöriger dieser Riesenflotte ahnte auchnur, wo das Ziel lag und was dort geschehensollte. Für die Tejonther handelte es sich umeine heilige Mission. Die kosmischenLeuchtfeuer der Gefühlsbasen wiesen derFlotte den Weg. Daß diese Stationen nichtnur der Orientierung dienten, sondern nocheine weitaus wichtigere Funktion erfüllten,wußten nur jene, die alle dreihundert Jahreden Pilgerzug ins Nichts planten und organi-sierten. Von der Eisigen Sphäre aus über-wachten sie den Weg der Flotte. Nach einemgenau ausgearbeiteten Zeitplan erhielten dieStationen den Befehl, sich zu aktivieren.

Jedesmal, wenn die Flotte der Tejonthersich einer solchen Basis näherte, gelangtesie auch in den Einflußbereich der Emotio-strahler. Die Art, in der die einzelnen Statio-nen die Teilnehmer am Kreuzzug beeinfluß-ten, war genau aufeinander abgestimmt. Stu-fenweise wurden die Tejonther auf ihre Auf-gabe vorbereitet. Fiel eine Basis aus, so

konnte das zu einem Bruch führen, der sichnicht mehr korrigieren ließ. Und das bedeu-tete, daß der Kreuzzug im schlimmsten Falleabgebrochen wurde. Ein größeres Unglückkonnte Magantilliken sich nicht vorstellen.Er hielt sich als einziger Tropoyther außer-halb Yardens auf und trug die Verantwor-tung dafür, daß Pannen dieser Art nicht vor-kamen.

Eine Kugel von einem Meter Durchmes-ser schwebte durch das offene Schott.

»Ich habe die Nachricht gehört«, gab Isth-my bekannt. »Diesmal wirst du eine MengeÄrger bekommen!«

Magantilliken verdrehte die Augen. Derkugelförmige Roboter war eine wertvolleHilfe bei diesem Unternehmen, aber manch-mal ging er dem Henker ziemlich auf dieNerven. Er schien es zeitweilig geradezudarauf anzulegen, seinen Herrn zu ärgern.

»Du sollst diese energieverschwendendeSchweberei hier im Schiff bleibenlassen!«fauchte Magantilliken ungeduldig.

Isthmy kicherte schrill und ließ vier kurzeLaufbeine aus seinem glänzenden Metall-körper wachsen. Als die stählernen Klauenden Bodenbelag berührten, entstand einschrilles Geräusch, bei dem Magantillikensich die Ohren zuhielt.

»Siehst du?« spottete Isthmy. »Du be-hauptest jedesmal, dieses Geräusch wäreeinfach unerträglich. Was soll ich denn nuneigentlich? Fliegen oder laufen?«

»Kümmere dich um den Kurs!« befahlMagantilliken ärgerlich, ohne auf diese Fra-ge einzugehen. Der Roboter schwebte durchdie Zentrale und machte sich an die Arbeit.Inzwischen war auch Xonth eingetroffen.Das breitschultrige Echsenwesen mit denstämmigen Laufbeinen und den grün be-schuppten Klauenhänden paßte auf den er-sten Blick überhaupt nicht in diese kalte,technische Umgebung. Aber der Sklaveschien sich dessen gar nicht bewußt zu sein.Er wußte genau, was er zu tun hatte. Im Ge-gensatz zu dem geschwätzigen Robotersprach Xonth so gut wie nie. Schweigendsuchte er die Daten über Xertomph heraus

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und brachte sie seinem Herrn.Magantilliken warf einen kurzen Blick

auf eine graphische Darstellung. Die Ge-fühlsbasis war an dem Hang eines riesigenBerges verankert. Es würde leicht sein, siezu finden, und der Henker rechnete mit kei-nen großen Schwierigkeiten. Er blätterteweiter und stellte fest, daß Xertomph be-wohnt war. Die Ckorvonen waren Nach-kommen einer varganischen Kolonisten-gruppe.

Dem letzten Bericht zufolge hatten sienach einem Rückfall in die Barbarei begon-nen, eine bescheidene Technik zu ent-wickeln.

»Wir brauchen fast einen Tag, um Xer-tomph zu erreichen«, verkündete Isthmylaut.

»Geht es nicht schneller?« wollte Magan-tilliken ärgerlich wissen. »Wir verlieren eineMenge Zeit.«

»Ich kann nichts daran ändern«, gab derRoboter schnippisch zurück. »Ich weiß, daßdu an andere Schiffe gewöhnt bist, aber dasist nicht meine Schuld.«

Der Henker erhob sich seufzend. SeineAnwesenheit in der Zentrale war im Augen-blick überflüssig. Bevor er jedoch das Deckaufsuchte, in dem seine Privatkabine lag, fielihm Isthmys Bemerkung ein.

»Was meintest du eigentlich damit, daßich Ärger kriegen würde?« fragte er miß-trauisch.

»Das ist offensichtlich«, behauptete Isth-my seelenruhig. »Umsonst bietet man dirnicht die Rückkehr in die Eisige Sphäre an.In Yarden weiß man offensichtlich, daß eini-ge unangenehme Dinge auf dich warten.Darum hält man dir die Belohnung als Kö-der vor.«

»Roboter wie dich sollte man verschrot-ten!« knurrte Magantilliken ärgerlich undstapfte hinaus. Aber so ganz unsinnig warIsthmys Behauptung nicht. Der Henkerkannte seine Artgenossen. Irgend etwassteckte schon dahinter. Seit er auf seinerJagd nach der schönen Rebellin Ischtar aufdiesen Atlan getroffen war, ging einfach al-

les schief. Es war ein Schock für ihn gewe-sen, dem Arkoniden sogar hier, im Mikro-kosmos zu begegnen. Dieser Kerl war ein-fach nicht kleinzukriegen, und wo er auf-tauchte, da gab es Ärger. Magantillikenkannte den Plan, Atlan und das Mädchen,das ihn begleitete, für eine»Blutauffrischung« einzusetzen. Die Tro-poythers waren unsterblich und paradoxer-weise gerade deshalb zum Aussterben verur-teilt, denn sie konnten sich nicht mehr fort-pflanzen. Aber ob es ein besonders guterEinfall war, gerade diesen Arkoniden zur Si-cherung des Nachwuchses einzusetzen,wußte der Henker nicht. Atlan in die EisigeSphäre zu bringen, das war seiner Meinungnach mehr als leichtsinnig.

Er stieß seufzend die Tür zu seiner Kabi-ne auf. Ein Gang durch einen blühendenGarten – das war es, was ihm jetzt fehlte.Abschalten, sich entspannen. Aber auf die-sem Raumschiff gab es kein Erholungsdeck.Die Doppelpyramide war nur einhundert-achtzig Meter lang und in der Mitte sechzigMeter hoch. Für' Magantilliken ein Grundmehr, Ischtar und ihren heißgeliebten Allanin die tiefste Hölle zu verwunschen. An die-sen beiden waren alle seine ehrgeizigen Plä-ne gescheitert.

Auch die Wasserstrahlen der Duschekonnten diese trüben Gedanken nicht völligaus dem Gehirn des Henkers vertreiben. Erversuchte, sich auf das bevorstehende Unter-nehmen zu konzentrieren. Die Aussicht,endlich nach Yarden zurückkehren zu dür-fen, war verlockend. Er würde alles daran-setzen, um seine Auftraggeber diesmal zu-friedenzustellen. Aber obwohl er sich seinZiel in den schimmerndsten Farben ausmal-te, ließen sich gewisse Zweifel nicht aus-schalten. Selbst das Innere der Eisigen Sphä-re, dessen Bild er in seinen Gedanken her-aufbeschwor, besaß nicht mehr den altenGlanz …

Als Isthmy meldete, daß die Umlaufbahnum Xertomph erreicht war, befand Magan-tilliken sich in einer geradezu mörderischenStimmung. Diese verschlechterte sich noch,

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als der aufdringliche Roboter sich daraufversteifte, seine Meldung so lange zu wie-derholen, bis der Vargane in der Zentraleeingetroffen war.

»Was schreist du hier herum!« fauchte erden Roboter wutentbrannt an.»Anweisungen brauchst du? Ich werde dirgleich welche geben. Scher dich in den Kon-verter, du Mißgeburt von einer Konserven-büchse!«

»Zu Befehl«, schnarrte Isthmy gleichmü-tig und setzte sich in Bewegung.

»Halt!« schrie Magantilliken, und die Ku-gel stoppte ihren Flug so plötzlich ab, alswäre sie gegen eine Wand geprallt. DerHenker atmete ein paarmal tief durch, dannwandte er sich grimmig dem Sichtschirm zu.

»Warum sind wir noch nicht gelandet?«fragte er mühsam beherrscht.

»Ich bin gehalten, auf Ihre Anweisungenzu warten, sobald sich unvorhergeseheneGesichtspunkte ergeben«, entgegnete derRoboter. Seine ungewohnte Höflichkeitzeigte dem Henker, daß dieses verflixteDing beleidigt war. Isthmy wartete eine Se-kunde, und als der Vargane bis dahin seinenvorhin gegebenen Befehl nicht widerrufenhatte, schwebte er wieder auf das Schott zu.

»Schon gut«, seufzte Magantillikenschwer. »Du brauchst nicht in den Konverterzu kriechen. Benimm dich gefälligst wiedervernünftig. Was ist los? Ich erwarte, daß dudich jetzt im Klartext ausdrückst!«

Pflichteifrig schwirrte Isthmy zu denKontrollen und nahm einige Veränderungenvor. Auf dem Bildschirm raste die Oberflä-che Xertomphs heran. Binnen Sekundenfüllte eine einzige Bergspitze den Schirmaus. Magantilliken betrachtete den kahlenFelshang, sah einige glasiert wirkende Stel-len und unterdrückte einen Fluch.

»Ist das die Stelle, an der die Gefühlsbasissich befand?« vergewisserte er sich.

»Ja«, erklärte Isthmy erstaunlich knapp.Gleichzeitig änderte sich der Bildausschnittund zeigte nun ein von steilen Hängen um-rahmtes Tal. »Dort ist sie jetzt.«

Magantilliken starrte düster auf die unver-

kennbaren Spuren einer gewaltigen Lawine.Noch wußte er nicht, was in der Station vorsich gegangen war, aber die Gefühlsbasisselbst schien ihren eigenen Absturz verur-sacht zu haben. Ein Blick auf die Masseta-ster bestätigte seine Befürchtungen. Die Ba-sis lag unter einer fast einhundert Meterdicken Schicht von Schnee, Eis und Geröllbegraben. Das hätte dem Henker nicht vielausgemacht, denn seine technische Ausrü-stung war gut genug, um mit solchen Hin-dernissen fertig zu werden. Aber leider gabes noch ein anderes Problem.

An der Unglücksstelle wimmelte es vonEingeborenen. Mit Hilfe klobig wirkenderFahrzeuge gruben sie sich durch das Lawi-nenfeld, und ihr Ziel war nur zu deutlich zuerkennen. Sie suchten die abgestürzte Basis!

»Die Emotiostrahler müssen ausgefallensein«, murmelte Magantilliken. »Sonst wür-de die Station jetzt reagieren und die Kerlezurücktreiben. Unglaublich! Wie konnte soetwas geschehen?«

Er erhielt keine Antwort, denn Isthmyverzichtete diesmal auf Spekulationen, undXonth enthielt sich wie immer der Stimme.

Der Vargane musterte das provisorischaufgebaute Barackenlager am Rand des La-winenfelds. Er beobachtete auch, daß der ge-waltige Berg nach der Katastrophe noch im-mer nicht ganz zur Ruhe gekommen war.Unwillkürlich fühlte er eine Art Bewunde-rung für die Ckorvonen, die unter so gefähr-lichen Bedingungen ihren Wissensdurst zustillen versuchten. Er schaltete die Vergrö-ßerung noch höher und sah sich diese er-staunlichen Wesen näher an.

Während der ersten Expansionsphase sei-nes Volkes hatte man viele Planeten des Mi-krouniversums besiedelt. Der Kontakt zudiesen Kolonien riß später, als die Varganensich mit aller Kraft auf den Makrokosmoskonzentrierten, in den meisten Fällen ab. DieSiedler blieben sich selbst überlassen undnahmen an der schnellen Weiterentwicklungdes Stammvolkes nicht teil. Viele planetareKulturen fielen nach kurzer Blüte in die Bar-barei zurück. Es gab Kriege, und oft genug

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wurden atomare Waffen eingesetzt. Kaumeines der Siedlervölker sah heute noch deneigentlichen Varganen besonders ähnlich.

Bei den Ckorvonen war das anders. Siewirkten stämmiger und kleiner als die Tro-poythers aus Yarden, und ihre Haut wardunkler. Aber sonst gab es keinen gravieren-den Unterschied.

»Welche Waffen wirst du einsetzen?«fragte Isthmy plötzlich.

Magantilliken zuckte zusammen, riß sichvon dem Anblick der konzentriert arbeiten-den Ckorvonen los und drehte sich ärgerlichum.

»Gar keine!«Auch wenn die glatte Kugel, die bis auf

die beliebig ausfahrbaren Handlungsarmeden gesamten Roboter darstellte, zu keinerdirekten Gefühläußerung fähig war, wirkteIsthmy auf eine unbestimmbare Weise ver-wundert.

»Du mußt die Fremden beseitigen«, teilteer mit. Seine Stimme schwankte leicht undverriet damit die Verwirrung, unter der erlitt. »Anders kannst du nicht zur Basis vor-dringen. Außerdem stellen die Eingeboreneneine Gefahr für die Station dar.«

»Unsinn!« wehrte Magantilliken ab. »Ichmische mich einfach unter sie. Eine Ausredewird mir schon einfallen. Und selbst wennsie die Basis erreichen sollten, können sienicht hinein. Mit ihren primitiven Werkzeu-gen ist das nicht zu schaffen. Mein Ent-schluß steht fest. Es werden keine Waffenzum Einsatz gebracht. Ist das klar?«

»Allmählich begreife ich, warum du imMakrokosmos versagt hast«, bemerkte derRoboter. »Hat man so etwas schon gesehen?Ein Tropoyther entwickelt Gefühle. Nochdazu Skrupel! Ich glaube, du wirst alt, Ma-gantilliken!«

»Du widersprichst dir!« bemerkte derHenker gelassen. »Erstens kannst du garnichts glauben, denn du bist nur eine Ma-schine. Zweitens vermag ein Unsterblichernicht zu altern. Bereite die Landung vor.Wir gehen in dem Gebiet der Hochebenenieder, direkt neben diesen merkwürdigen

Ruinen dort. Aber warte noch, bis es in die-sem Gebiet dunkel ist.«

Die Erinnye verließ die Ankunfts-Platt-form des Transmitters und blieb abwartendstehen. Aber die obligatorische Meldung desKommandanten, mit der man sie sonst beimBetreten einer Gefühlsbasis begrüßte, bliebdiesmal aus. Die Erinnye, ein hochgezüchte-ter Roboter mit fast organischen Möglich-keiten des Denkens, öffnete nur zögernd einSchott, denn solange sie keinen Kontakt mitdem Kommandanten hatte, mußte sie damitrechnen, von der Station als unerwünschterEindringling eingestuft zu werden.

Ein schwach beleuchteter Gang tat sichauf. Die Erinnye stellte fest, daß keines derKontrollgeräte auf ihre Anwesenheit reagier-te. Sie wußte nicht, was sie davon zu haltenhatte. Ein wichtiger Auftrag hatte sie überdas Transmittersystem bis nach Xertomphgeführt. Sie sollte hier warten. Ein andererRoboter hätte diesen Befehl zur Kenntnisgenommen und sich um irgendwelche Be-gleitumstände nicht gekümmert. Aber eineErinnye war kein gewöhnlicher Roboter.

Sie eilte durch die zahlreichen Gänge undHallen bis in die Zentrale. Das Kommando-gehirn sah völlig normal aus, reagierte je-doch nicht auf die Bitte, die Situation zu er-klären. Die Erinnye bewaffnete sich mit ei-ner Anzahl von Prüfgeräten und testete dieAnschlußschaltungen durch. Sie fand keinenFehler und schloß sich daher ohne Zögernan das positronische Hauptsystem an. Einkurzer Dialog mit dem Kommandanten ent-spann sich. Im Gegensatz zu dem defektenKontrollgehirn zog die Erinnye sofort dierichtigen Schlüsse, die durch eine Unterhal-tung mit dem Sektor »Sendung« erhärtetwurden.

Die Situation war schwierig. Die eigentli-chen Zerstörungen konnte die Erinnye ohneweiteres beseitigen. Die Emotiostrahler mel-deten volle Funktionsfähigkeit, und auch dieEnergieerzeugung konnte wieder angekur-belt werden. Das alles half jedoch nichts, so-lange das Sendegehirn sich gegen jeden Be-fehl sperrte. Nur der Kommandant selbst

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oder ein bevollmächtigter Vargane durfteeinen solchen Impuls geben. Der Komman-dant weigerte sich, weil seine Fehlschaltunges nicht zuließ. Die Erinnye besaß die nöti-gen Vollmachten nicht. Also mußte ein Tro-poyther her.

Da der Transmitter einwandfrei empfing,wäre das ganz einfach gewesen. Ein Funk-spruch hätte genügt. Aber dieser Funkspruchwurde nicht angegeben. Umgekehrt ließ sichauch der Transmitter selbst nicht umpolen.Die Erinnye saß also in der GefühlsbasisXertomph fest, und solange keine Hilfe vonaußen kam, würde sie die Station auch nichtmehr verlassen können.

Sie wußte, daß der Kreuzzug in Kürze indie Nähe dieses Planeten kommen mußte.Ohne die psychische Beeinflussung durchdie Emotiostrahler bestand die Gefahr, daßdie Tejonther umkehrten. Man würde in derEisigen Sphäre den Fehler bereits bemerkthaben und auf dem schnellsten Wege jeman-den herschicken. Um auf die Ankunft diesesKontrolleurs vorbereitet zu sein, schaltetesich die Erinnye in das Empfangssystem ein.Auf diese Weise erfuhr sie, daß Magantilli-ken bereits unterwegs war. Sie wundertesich keineswegs darüber, daß der Varganedarauf verzichtete, per Transmitter die de-fekte Station aufzusuchen. Er konnteschließlich nicht wissen, daß der Empfangs-teil in Ordnung war. Da er sich auf norma-lem Wege nähern mußte, machte sich dieErinnye pflichteifrig daran, dem Henker denWeg zu ebnen.

Winzige Sonden verließen die Gefühlsba-sis und bohrten sich durch die Schneemas-sen. Die Erinnye stellte die Anwesenheitvon Eingeborenen fest. Sie hätte die ungebe-tenen Gäste ohne Skrupel vernichtet, aberihr fehlten die technischen Möglichkeiten.Immerhin konnte sie einen Schacht schmel-zen, der bis an die Oberfläche führte, mußtejedoch auch damit warten, bis der Henkerdas Lawinengebiet erreicht hatte.

Der so erstaunlich zart und feminin wir-kende Roboter traf alle nötigen Vorbereitun-gen, dann lauschte er mit Hilfe der Geräte

wieder nach draußen. Er bemerkte das Ein-treffen des Doppelpyramidenschiffes, ver-folgte das Manöver, mit dem Magantillikensich dem Planeten näherte, und wurde erstnach einigen Stunden stutzig.

Warum griff der Tropoyther nicht endlichein und beseitigte die Primitiven, die sichdraußen durch den Schnee wühlten?

*

Während der Landung stellte Magantilli-ken fest, daß die Ckorvonen ein für ihnhöchst unerfreulich hohes technisches Ni-veau erreicht hatten. Sie verfügten über einOrtungsnetz, das zwar dem Raumschiffnichts anhaben konnte, die Benutzung einesGleiters aber von vornherein verbot.

»Du solltest es dir noch einmal überle-gen«, empfahl Isthmy respektlos. »Wir erle-digen die Eingeborenen und landen direktneben der Basis. In ein paar Stunden ist allesüberstanden.«

Der Henker würdigte den Roboter keinerAntwort. Er hatte die feste Absicht, dieseAngelegenheit alleine durchzustehen, ohneHilfe und wenn möglich ohne den Gebrauchvon Gewalt. Damit hoffte er einerseits, Plus-punkte bei seinen Vorgesetzten in Yarden zusammeln, andererseits sein Gewissen zuschonen. Aber das waren Dinge, die Isthmyeben nicht verstand.

Sanft wie eine Feder schwebte das Raum-schiff über die schroffen Felsen des Gebir-ges und senkte sich dann auf eine mit kurz-em Gras bewachsene Hochfläche. Die Ge-gend sah kahl und unwirtlich aus. An eini-gen Stellen glitzerten Schneeflecken. Dro-hend und dunkel hoben sich die Silhouetteneines Ruinenfeldes von dem fahlbraunenGras ab. Jenseits der Ebene ragten die Bergewie Mauern auf. Nirgends zeigte sich einLebewesen.

»Wir verlassen das Schiff und fliegennoch in der Nacht bis in die Nähe des Lawi-nengebietes«, ordnete Magantilliken an.»Morgen früh sind wir am Ziel.«

»Die Ckorvonen werden uns einen einzi-

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gen Blick zuwerfen und dann erkennen, daßwir Fremde sind«, stellte Isthmy trockenfest. »Vielleicht kannst du dich als einenEingeborenen ausgeben, aber Xonth undmich werden sie nicht akzeptieren.«

»Warten wir es ab«, murmelte Magantilli-ken und begab sich zur Hauptschleuse. DerZagruler wartete bereits. Er hatte die Schleu-se noch nicht geöffnet. Der Henker warfeinen Blick auf die Kontrollgeräte und stell-te fest, daß sie sich ohne besondere Schutz-maßnahmen draußen bewegen konnten.Xonth und er waren völlig unbewaffnet. NurIsthmy konnte ihnen im Notfall helfen. Eswar ein riskantes Spiel, aber gerade das reiz-te den Varganen.

»Öffne die Schleuse!« befahl er.Der Sklave gehorchte. Ein kalter Wind

wehte Magantilliken entgegen, als er dieRampe betrat. Trotz des Schutzanzugsschauderte der Henker zusammen. Isthmyschwebte an ihm vorbei und umrundeterasch das Schiff.

»Alles in Ordnung«, meldete er, als er zu-rückkehrte. »Eingeborene sind nicht in derNähe.«

Der Henker nickte zu den gespenstischenÜberresten einer riesigen Tempelanlage hin-über.

»Sie werden diese Gegend meiden«, ver-mutete er. »Ich kann es ihnen nachfühlen.«

Isthmy fand an den Ruinen nichts Beson-deres, aber an der Reaktion des Echsenwe-sens merkte Magantilliken, daß nicht nur erder unheimlichen Ausstrahlung dieser Trüm-mer erlag. Gewaltige Säulen trugen Tierwe-sen von monumentaler Größe. Die Skulptu-ren waren erstaunlich gut erhalten. Die halb-menschlichen Gesichter starrten auf dasRaumschiff herab, und es schien, als würdensich die Steinfiguren sprungbereit zusam-menducken. Als Isthmy ein Stück auf diemerkwürdigen Figuren zuschwebte, zuckteder Henker zusammen.

»Zurück!« schrie er dem Roboter zu.Isthmy hielt an. Direkt über ihm glühte

plötzlich ein bläuliches Licht auf. Irgendwoin dieser Anlage mußte es noch Energie ge-

ben, anders war der Vorgang nicht zu erklä-ren. Die Augen eines vogelähnlichen Phan-tasiewesens mit überlangem Schnabel undhalbausgebreiteten Schwingen hatten zuleuchten begonnen, als der Roboter eine un-sichtbare Grenze überschritt. Magantillikenfluchte verhalten, als Isthmy seinem Befehlnicht nachkam, sondern statt dessen langsamzu dem Gesicht des Vogels hinaufstieg. DerRoboter kam nur wenige Meter weit, dannlöste sich aus dem Schnabel der Figur eingleißender Lichtstrahl. Magantilliken schloßgeblendet die Augen. Als er sie wieder öff-nete, schwebte Isthmy dicht vor ihm.

»Verdammtes Ding!« fauchte der Henker.»Warum hast du nicht gehorcht?«

»Ich bin verpflichtet, dich zu schützen«,gab Isthmy gleichmütig zurück. »Jetzt weißtdu, daß du den Figuren nicht zu nahe kom-men darfst. Dein Schutzschirm würde nichtausreichen, um dich gegen einen solchenEnergieschuß zu schützen. Soll ich das ko-mische Ding zerstrahlen?«

»Untersteh dich!« knurrte der Vargane.»Einen besseren Wächter für das Schiff kön-nen wir gar nicht finden. Oder glaubst du,die Eingeborenen wagen es, in der Nähe die-ser Figuren herumzulaufen?«

»Trotzdem solltest du das Schiff nichteinfach hier herumstehen lassen«, warnteder Roboter.

»Die Schleuse bleibt geschlossen«,brummte der Vargane unwillig. »Das Schottöffnet sich nur, wenn ich es will. Das reichtin diesem Falle völlig aus. Und jetzt los!«

Isthmy übernahm die Führung. Dicht hin-ter ihm flog Magantilliken, und dem Zagru-ler fiel die Aufgabe zu, darauf zu achten,daß niemand sie etwa von hinten her be-drohte. Die flugfähigen Anzüge brachten sieschnell voran. Nach wenigen Minuten er-reichten sie den Rand der Ebene. Sie über-querten eine Schlucht und schwebten dannentlang der Berge bis zu dem Paß, den sieschon vom Raum aus gesehen hatten, Ma-gantilliken legte Wert darauf, unauffällig indas Lager der Ckorvonen zu gelangen. Alsbeste Möglichkeit bot sich die Straße an, die

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von der vor dem Gebirge gelegenen Stadt indas Tal hineinführte. Jenseits des Passes lagetwa auf halber Höhe des Abhangs eine ein-same Hütte, die allem Anschein nach nurvon einem einzelnen Ckorvonen bewohntwar. Dort gedachte der Henker für sich undden Zagruler ein landesübliches Kleidungs-stück zu besorgen.

Sie erreichten kurz vor dem Morgengrau-en das aus grob bearbeiteten Baumstämmenzusammengefügte Haus. Magantilliken ließIsthmy und den Sklaven in der Deckung ei-ner Gruppe wintergrüner Gehölze zurückund schlich sich vorsichtig an das Gebäudeheran. Drinnen war alles dunkel und still.Der Henker fand eine unverschlossene Tür,die sich lautlos öffnen ließ, und kurz darauffand er eine Kammer, in der eine Anzahlhalblanger Pelzmäntel hing. Er nickte zufrie-den, suchte zwei passende Mäntel herausund kehrte in den Flur zurück. Noch immerwar es absolut ruhig im Haus. Der Besitzerdieser Hütte hatte offensichtlich einen ge-sunden Schlaf. Magantilliken zog leise dieTür hinter sich zu und kehrte in seiner eige-nen Spur zu dem Versteck zurück.

»Das ist für dich«, erklärte er und reichtedem Zagruler einen der Mäntel. »Wir flie-gen noch ein Stück näher an die Straße her-an. Dann suchen wir uns ein gutes Versteckfür die Schutzanzüge. Wir können sie leidernicht mitnehmen, sonst durchschauen dieKerle uns sofort.«

»Das würde ich auch sagen!« bemerkteeine tiefe Stimme.

Der Henker wirbelte herum.»Keine Bewegung!« warnte der Mann,

der wie aus dem Boden gewachsen zwischenzwei Büschen aufgetaucht war. »Mein Ge-wehr hat die Eigenschaft, sehr zuverlässigzu funktionieren.«

Magantilliken starrte verblüfft in dieMündung einer altertümlichen Explosions-waffe.

3.

Von Gaddas behauptete man im Palast

des Diktators, er sei der personifizierte Tod.Es gab wohl keinen einzigen Ckorvonen, derdiesen Mann mochte. Gaddos war unge-wöhnlich dürr, besaß eine riesige Hakennaseund knallrote, abstehende Ohren. Sein hoherSchädel war blank wie ein polierter Stein,der Mund messerscharf und das Kinn spitz.Gaddos lächelte nie, und es hieß, daß seineeinzige Leidenschaft das Töten war.

Er war im Palast geboren, als das Kind ei-ner Sklavin, die als Konkubi ne von Teihen-drus Vater galt. Daran mochte etwas Wahressein. Gaddos genoß eine Ausbildung, die füreinen Sklaven ungewöhnlich war. Mit, sech-zehn Jahren avancierte er zum Leibwächterdes Diktators. Genau im richtigen Momentschlug er sich auf die Seite Teihendrus, derdamals, mit knapp zwanzig Jahren, einen er-folgreichen Umsturz bewerkstelligte. Seit-dem war Gaddos dafür verantwortlich, daßsein Herr nur von absolut zuverlässigen Leu-ten umgeben war. Gaddos war längst keinSklave mehr, und sein Einfluß ließ sichkaum ermessen. Eine Geste von ihm reichte,um selbst die höchsten Beamten Frinalhanszum Tode zu verurteilen.

Burjos wußte das alles und noch ein biß-chen mehr. Manche Leute behaupteten,Gaddos könne selbst die geheimsten Gedan-ken anderer Ckorvonen erkennen. Der Hage-re schürte solche Gerüchte, denn je ängstli-cher man ihm gegen übertrat, desto eher ver-rieten sich etwaige Verschwörer. Natürlichkonnte er keine Gedanken lesen. Sonst wäreBurjos längst in einer der Folterkammernverschwunden.

»Es geht zu langsam voran«, knarrte Gad-dos und wies auf die Raupenschlepper, diesich mühsam einen Weg durch das Lawinen-gebiet schufen.

»Wir haben keine andere Wahl«, gab Bur-jos nervös zurück. »Der Berg ist unruhig. Je-de Erschütterung kann ein neues Unglückauslösen.«

»Das ist gleichgültig«, sagte Gaddos bru-tal. »Sie kennen Ihre Befehle! Teihendruwill, daß ohne Rücksicht auf das Leben derArbeiter möglichst schnell ein Zugang zu

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dem verschütteten Objekt geschaffen wird.In Vaanrhan muß man die Erschütterung ge-messen haben. Diese Leute sind nichtdumm. Sie werden ihre Spione losschickenund feststellen, daß wir ihnen bald bessergerüstet entgegentreten können. Was schlie-ßen Sie daraus?«

»Vaanrhan wird nicht warten, bis wir dieneuen Waffen in der Hand halten«, erwider-te Burjos ruhig. »Unsere Feinde werden unsangreifen, solange sie sich noch überlegenfühlen.«

»Ich wußte, daß Sie nicht auf den Kopfgefallen sind«, nickte Gaddos zufrieden.»Richten Sie sich nun aber auch nach dieserErkenntnis!«

»Das tue ich die ganze Zeit hindurch«, lä-chelte Burjos.

Gaddos starrte ihn verblüfft an. Der Agentbemerkte mit Befriedigung, daß dieser eis-kalte Bursche irritiert war.

»Die Situation ist folgendermaßen«, er-klärte Burjos. »Je schneller wir die Kugel er-reichen, desto größer sind unsere Aussich-ten, den bevorstehenden Angriff Vaanrhansabzuwehren, nicht wahr?«

Gaddos nickte.»Wenn ich die Arbeiten schneller voran-

treibe, entsteht die Gefahr, daß die Leuteübereilt handeln. Wird dabei eine neue La-wine ausgelöst, dann wird sie nicht nur dieArbeiter unter sich begraben. Wir verliereneine Menge Fahrzeuge, und außerdem wirddie Schicht über der Kugel noch dicker. Dasheißt, wir müssen von vorne beginnen. SindSie immer noch der Meinung, es ginge zulangsam voran?«

»Sie vergessen eines«, schnarrte Gaddosärgerlich. »Sollte einer der Arbeiter versa-gen, so werde ich persönlich dafür sorgen,daß er seine Unvorsichtigkeit bitter bereut.«

»Einen toten Mann können Sie nicht be-strafen«, gab Burjos kalt zurück.

Gaddos setzte zum Sprechen an, entschiedsich dann aber anders. Minutenlang starrtendie beiden ungleichen Männer sich an. Dannwandte Gaddos sich ab. Burjos sah ihmnach, bis die hagere Gestalt in einer Baracke

verschwand. Er wußte, daß Gaddos ihn nichtriechen konnte. Er verzog das Gesicht undstapfte zu einem der Fahrzeuge hinüber.Sein Aufenthalt in Frinalhan würde ohnehinbald zu Ende gehen. Er war schon viel zulange in diesem Land.

Er schwang sich auf den Fahrersitz deskleinen Schneerutschers. Der Motor brumm-te auf, und Burjos lenkte das Fahrzeug in ei-nem riskanten Manöver den Hang des Dogrohinauf. Erst im Einzugsbereich des Lawi-nenfeldes stoppte er die rasante Fahrt. Vor-sichtig glitt er über ein Schneefeld, bis vorihm eine Gruppe von Männern auftauchte.Einer von ihnen bemerkte ihn und winkteaufgeregt. Burjos ließ den Schneerutscherstehen und ging zu Fuß weiter.

»Wie weit seid ihr?«Der Anführer des Vermessungstrupps

grinste schief.»Leider noch nicht fertig«, meinte er. »Ich

wäre froh, wenn ich hier wegkäme. Da obenhängt das Zeug meterdick.«

Burjos nickte gleichmütig, nahm demMann ein Blatt Papier aus der Hand undüberflog die Zahlenkolonnen.

»Wir werden den Quamendrin umtaufenmüssen«, bemerkte ein noch sehr jungerCkorvone, der frierend neben dem Theodoli-ten stand. »An diesem Berg stimmt einfachnichts mehr!«

Er wurde von einem Hustenanfall ge-schüttelt. Burjos sah auf.

»Sie kommen mit mir nach unten«, befahler. »Ich schicke einen Ersatzmann rauf.«

Der Junge wollte protestieren, aber Burjosließ ihn nicht zu Wort kommen.

»Auch ein Hustenanfall kann ausreichen,um eine Lawine auszulösen«, erklärte er.»Tirkan, wenn Ihre Leute weiter nach obenkommen, darf kein lautes Wort mehr gesprochen werden. Zeigen Sie mal Ihre Schuheher!«

Der Anführer der Gruppe gehorchte er-staunt. Burjos schnaufte verächtlich.

»Ich werde mir die Leute in der Verwal-tung vornehmen«, versicherte er grimmig.»Diese Idioten! Sie jedenfalls gehen sofort

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in die Hütte. Ich komme in einer halbenStunde wieder. Dann bringe ich Ihnen denErsatzmann und anderes Schuhwerk. Nochjemand, der erkältet ist?«

Ein anderer Ckorvone meldete sich zö-gernd. Burjos nickte ihm zu und deutete aufden Schneerutscher. Die beiden gingen vor-sichtig in Richtung auf das Fahrzeug davon.

»Das nächste Lager wird direkt im Gefah-rengebiet liegen«, wandte Burjos sich anTirkan. »Ich bin beileibe nicht übervorsich-tig. Aber wenn es eine neue Lawine gibt,wird man mich dafür verantwortlich ma-chen. So, und jetzt möchte ich alle Meßun-terlagen, die Sie bis jetzt fertig bekommenhaben.«

Er lieferte die beiden Männer im Lager abund befahl, sie zu einem Arzt zu bringen.Anschließend marschierte er in jene Ba-racke, in der die Kleidung für die Arbeiterausgegeben wurde. Der Mann, der dieseAufgabe übernommen hatte, sah ziemlichblaß aus, als Burjos endlich schwieg. Erhuschte wie eine erschrockene Maus davonund kehrte kurz darauf mit einem großenKarton zurück. Burjos hob die leichten, auswarmen Fellen und einem Isoliermaterialgearbeiteten Stiefel heraus und nickte zufrie-den. Die kaum versteiften Sohlen warensorgfältig präpariert. Mit ihnen rutschte manselbst auf glatten Eisflächen nicht aus.

Er brachte die Unterlagen in sein Büround sorgte dafür, daß die Werte währendseiner Abwesenheit umgerechnet und aufdie Karte übertragen wurden. Als er eineStunde später zurückkehrte, dämmerte es be-reits. Er trank eine Tasse heißen Tee, wäh-rend ein junges Mädchen ihm einentrockenen Mantel holte. Sein eigener Über-wurf war völlig durchnäßt.

»Sie sollten sich ein wenig ausruhen«,sagte eine Frauenstimme hinter ihm. Erdrehte sich um und lächelte Jintha erschöpftan.

»Dazu habe ich später Zeit«, murmelte er,zog den Mantel an und stieß die Tür auf. Erhörte das leise Brummen der Räumungsfahr-zeuge, die sich vorsichtig über das Lawinen-

feld an die Kugel herantasteten. Er beneidetedie Fahrer nicht gerade um diesen Job. DasGelände war eine einzige Falle. Zwischenden riesenhaften Felsbrocken und den Fel-dern aus fest zusammengepreßtem Schneegab es Spalten, die mit lockerem Materialausgefüllt waren. Wie gefährlich diese Stel-len waren, bewies die Tatsache, daß sie al-lein an diesem ersten Nachmittag sechsFahrzeuge verloren hatten. Zum Glück gabes bisher nur einen Toten zu beklagen.

Burjos stieß die Tür zu einer anderen Ba-racke auf.

»Wie steht es?« erkundigte er sich.»Bis jetzt gut«, antwortete der Meteorolo-

ge, der drinnen Dienst tat. »Es wird kälter,und der Luftdruck bleibt konstant. Nur eineMeldung aus Teihara macht mir Sorgen. DieKollegen in der Stadt haben ein Sturmtiefangemessen. Bis jetzt steht noch nicht fest,ob es sich in unsere Richtung verlagert.«

»Geben Sie mir sofort Bescheid, wennsich etwas verändert«, bat Burjos eindring-lich. »Ich bin über Funk immer zu errei-chen.«

»Gaddos war vorhin hier«, sagte derMann in der Baracke tonlos, als der Agentgerade gehen wollte. »Er verlangt, daß ichihm zuerst Meldung erstatte.«

»Gaddos ist für politische Dinge zustän-dig«, erklärte Burjos kalt. »Wenn er dietechnische Leitung übernehmen will, soll eres sagen. Sie unterstehen mir! Ist das klar?«

Der Meteorologe nickte unglücklich.Burjos kletterte verärgert auf den Schnee-

rutscher. Dieser Gaddos machte ihm Sorgen.Einerseits hatte der Agent nichts dagegeneinzuwenden, wenn eine neue Lawine aus-gelöst wurde, denn nichts anderes hatte erselbst vor. Aber er wollte dafür sorgen, daßdabei keine Menschenleben riskiert wurden.Der Plan, der allmählich in ihm gereift war,wurde durch die Meldung des Meteorologenunterstützt. Eine Alarmsituation, in der alleArbeiter abgezogen wurden – genau daswünschte Burjos sich. Dann konnte er zu-schlagen.

Er glitt langsam über die holperige Piste,

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die sich über das Lawinenfeld zog. Endlichkamen die Fahrzeuge in Sicht. Er sprachkurz mit den Leuten, überzeugte sich davon,daß seine Vorschriften genau befolgt wur-den und kehrte dann ins Lager zurück. ImBüro saß Gaddos. Der Hagere beugte sichüber die Karte und versuchte, aus den Zei-chen schlau zu werden.

»Was soll das dort bedeuten?« wandte ersich an Burjos. Der Agent tat, als hätte ernichts gehört. Er zog seine Stiefel aus undließ sich einen Becher Tee geben. Erst dannsetzte er sich an den Tisch und zog die Kartezu sich herüber.

»Wir werden noch länger brauchen, alszuerst geplant«, stellte er fest.

»Warum?«»Erklären Sie es ihm, Javo. Ich bin zu

müde dazu.«»Wir haben vom Dogro aus die Verände-

rungen am Quamendrin-Massiv vermessenlassen«, sagte der Geologe unsicher. »WieSie wissen, ist eine Menge Gestein imWoronongtal niedergegangen. Wir habenberech net, wo sich diese Felsmassen befin-den müßten. Leider liegt der größte Teil da-von zwischen uns und der Kugel. Das Dingist von Felsen regelrecht eingekeilt. Wirkönnen also nicht, wie ursprünglich vorgese-hen, einen relativ sanft geneigten Schachtgraben, sondern müssen fast senkrecht nachunten gehen. Das bedeutet, daß wir überdem Schacht ein Gestänge aufbauen müssen,an dem wir einen Förderkorb nach unten las-sen.«

»Das ist noch nicht alles«, unterbrachBurjos den Wissenschaftler gähnend.»Erstens wird es nicht einfach sein, diesenSchacht zu graben. Zweitens müssen wir ihnabsichern, damit er nicht gleich wieder insich zusammenfällt. Drittens taucht die Fra-ge auf, wie wir das eben erwähnte Gestängeim Schnee verankern sollen.«

»Ich glaube eher, Sie selbst erfinden jedeMenge Schwierigkeiten, um die Arbeiten zuverzögern!« bemerkte Gaddos mit gefährlichleiser Stimme.

»Fragen Sie die anderen Experten«, emp-

fahl Burjos gelassen und stand auf. »Ich ge-he jetzt schlafen.«

»Ich werde Teihendru über alles unter-richten, was hier geschieht!« versicherte derHagere wütend.

Burjos zuckte die Achseln und ging. ImFlur begegnete er Jintha. Das Mädchen warsehr aufgeregt.

»Ich muß mit Ihnen sprechen!« flüstertesie. »Kommen Sie schnell, Gaddos darf unsnicht zusammen sehen!«

Der Agent führte sie in sein Zimmer undbot ihr den einzigen Stuhl an. Er selbst setz-te sich auf ein Feldbett. Er war entsetzlichmüde und wünschte sich nichts weiter, alsendlich schlafen zu dürfen. Die Wunde amlinken Arm schmerzte immer noch. Unge-duldig wartete er darauf, daß Jintha zu spre-chen begann. Aber das Mädchen ließ sichZeit. Sie lauschte an der Tür. Draußen gingjemand vorbei.

»Das war Gaddos«, flüsterte sie. »Burjos,dieser Kerl behauptet, Sie wären ein feindli-cher Spion. Er hat den ganzen Tag über mitallen möglichen Leuten gesprochen und vor-hin mit meinem Vater geredet. Ich habeeinen Teil dieses Gesprächs mitbekommen.Gaddos meint, Sie wären nur darauf aus, dieArbeiten zu verzögern, und Sie hätten sichdurch irgend etwas verraten. Mein Vater läßtalle Unterlagen über Sie nachprüfen. Siesind in Gefahr!«

»Das alles ist mir bekannt. Aber machenSie sich keine Sorgen. Meine Vergangenheitist so sauber wie irischgefallener Schnee. Erwird nichts finden.«

»Wenn er nichts findet, dann denkt er sicheinfach etwas aus. Er haßt Sie, und er wirdSie vernichten. Ich habe einen Helikopterbereitstellen lassen. Der Pilot wird alles tun,was Sie ihm sagen. Fliehen Sie, ehe es zuspät ist!«

Der Mann aus Vaanrhan schüttelte lang-sam den Kopf.

»Nein, Jintha. Vor Leuten wie Gaddoslaufe ich nicht davon. Außerdem hätte dasschlimme Folgen für Sie.«

»Mir wird er kein Haar krümmen«, versi-

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cherte Jintha. »Ich bin Teihendrus Tochter.Nehmen Sie mein Angebot an?«

»Ich werde darüber nachdenken«, ver-sprach Burjos. »Aber wenn ich fliehe …«

»Ja?«»Nichts«, murmelte Burjos. Als Jintha

fort war, grübelte er darüber nach, wie er dasMädchen dazu bewegen sollte, ihn notfallszu begleiten. Denn er wußte besser als dieTochter des Diktators, daß Gaddos auch ihrüberlegen war. Er legte das Funkgerät nebensein Kopfkissen und ließ den Empfangsteileingeschaltet. Vielleicht bot sich noch indieser Nacht eine Möglichkeit, seine selbst-gestellte Aufgabe zu lösen. Dann konnte erJinthas Hubschrauber gut gebrauchen.

*

Magantilliken hob langsam die Hände.Der Fremde beobachtete ihn und Isthmywachsam. Dann schweiften seine Blicke zuXonth ab, und das war die Gelegenheit, aufdie der Roboter gewartet hatte. Im Bruchteileiner Sekunde bildete sich eine winzige Öff-nung in seinem stählernen Leib; er zischteleise, und der Fremde sackte in sich zusam-men.

Erleichtert atmete der Henker auf.Die erste Begegnung mit einem Ckorvo-

nen zeigte ihm, daß es unangebracht war,diese Wesen zu unterschätzen. Auch wenndas Gewehr nach varganischen Maßstäbenprimitiv war, hätte der Fremde sowohlXonth als auch Magantilliken töten können.

»Das war knapp«, stellte Isthmy fest. »Esist noch nicht zu spät. Schick mich zurück,und ich hole wenigstens ein paar Waffenher.«

Xonth nickte zustimmend, aber Magantil-liken hatte sich bereits zu sehr darauf festge-legt, es auf friedlichem Wege zu versuchen.

»Du bleibst hier!« befahl er. »Los jetzt,verpasse dem Burschen eine Dosis, die ihnfür etwa zwei Tage außer Gefecht setzt. Bisdahin haben wir es geschafft.«

Isthmy verzichtete auf einen Kommentar.Der Paralysator zischte noch einmal, dann

brachten sie den Ckorvonen in die Hütte.Magantilliken befahl dem Zagruler, denFremden in ein Bett zu legen und ihn gut zu-zudecken.

Als die Sonne aufging, waren sie im Tal.Sie verbargen sich in einem kleinen Wald,und Isthmy suchte einen geeigneten Platz.Zwischen einigen Felsbrocken verstecktensie die Schutzanzüge. Dann schlichen siesich bis an die Straße heran. Es dauerte eineWeile, bis endlich mit lautem Gebrumm einFahrzeug näher kam. Magantilliken gab demRoboter einen Wink, und Isthmy glitt lautlosauf die Fahrbahn hinaus. Zehn Schritte vorihm stoppte der Wagen. Der Fahrer steckteden Kopf aus dem Fenster.

»He, was soll das!«»Keine Aufregung, mein Freund«, lächel-

te Magantilliken freundlich und kletterteüber den Rand der Böschung. »Wir habennur ein paar Fragen an dich.«

Der Fremde spürte die leichte Berührungan seiner Schulter und wollte sich nach vor-ne werfen, aber es war zu spät. Isthmy zogden Handlungsarm mit der Injektionspistolezurück.

»Auf der Ladefläche, schnell!« befahl derHenker. »Und von jetzt an bewegst du dichnur, wenn ich es dir befehle, verstanden?Xonth, auf den Rücksitz!«

Der Roboter verankerte sich mit zweiKlauen auf dem kastenförmigen hinterenTeil des Wagens. Xonth zwängte sich müh-sam durch die Tür und half Magantilliken,den Fahrer festzuhalten. Das Mittel, dasIsthmy dem Ckorvonen injiziert hatte, wirk-te schnell. Der Fremde starrte den Varganenaus glasigen Augen an.

»Wohin fährst du?« fragte der Henker.»Zum Lager.«»In das Lawinengebiet?«»Ja.«»Was sollst du dort?«»Eine Nachricht überbringen.«Das Verhör war mühsam, denn der Ckor-

vone antwortete stets nur auf direkte Fragen.Immerhin wußte Magantilliken nach einerhalben Stunde recht gut Bescheid.

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Der technische Leiter des Bergungskom-mandos stand unter dem Verdacht, dem Dik-tator des Landes Frinalhan feindlich gesinntzu sein. Ein Mann namens Gaddos hatte einegenaue Überprüfung aller Unterlagen ange-ordnet. Dabei war man auf eine Informationgestoßen, aus der sich diesem Burjos leichtein Strick drehen ließ. Der Fahrer sollte die-se Botschaft überbringen. Magantilliken sahkeinen Grund, ihn daran zu hindern. Im Ge-genteil: Wenn er diesen Teil der Erinnerungaus dem Gehirn des Fahrers löschte, lief erGefahr, sich selbst zu entlarven. Denn dasLager stand mit der Regierung in der nahenStadt in Funkverbindung. Der Henker be-schränkte sich also darauf, dem Ckorvoneneinige zusätzliche Informationen einzuge-ben. Demnach waren er und Xonth vomDiktator selbst beauftragt worden, bei derBergung der Feuerkugel zu helfen. Magan-tilliken gab sich als Lawinenspezialist ausdem befreundeten Land Grodh aus. Vondem Ckorvonen selbst erfuhr er, daß es inGrodh so etwas wie Mutanten gab. Damitwar das Problem gelöst, wie er Xonth aufunverdächtige Weise ins Lager bringen soll-te. Isthmy konnte als Werkzeug gelten. DieCkorvonen kannten bereits primitive Robo-ter. In Frinalhan gab es zwar keine solcheMaschinen, aber ein Mann aus einem ande-ren Land durfte sich bestimmt einige Beson-derheiten leisten.

Geduldig warteten Magantilliken und seinSklave, bis der Ckorvone aus der Trance er-wachte. Der Wagen stand auf einer Aus-weichstelle am Rand der schmalen Straße.Der Eingeborene schlug die Augen auf,wischte sich über die Stirn und drehte sichgrinsend nach dem Echsenwesen um.

»Ah«, sagte er. »Die Pause hat mir gutge-tan. Ich denke, wir können weiterfahren.Von hier aus ist es nicht mehr weit. Sie wer-den sicher froh sein, wenn Sie im Lager end-lich eine warme Mahlzeit bekommen.«

4.

Gegen Mittag war Burjos allein in dem

kahlen, ungemütlichen Büro. Er brütete überder Karte des Lawinengebiets.

Allmählich wurde er ungeduldig. Er kamseinem Ziel nicht einen Schritt näher. DasTiefdruckgebiet hatte sich weiter vom Ge-birge entfernt, und die Temperaturen bliebenkonstant unter dem Gefrierpunkt. Der Ver-messungstrupp meldete über Funk, daß dieVerhältnisse im oberen Teil des Dogro bes-ser als erwartet waren – der Schnee hielt undließ sich durch nichts erschüttern. Auch dieFahrzeuge kamen besser voran, und die Pi-ste wurde breiter und fester. Burjos durfte esnicht wagen, unter diesen Bedingungen dieArbeiten durch immer strengere Sicherheits-maßnahmen zu verzögern. Gaddos lungerteohnehin überall herum und wartete auf seineChance.

Wenn es so weiterging, erreichten sie amnächsten Nachmittag den vorherberechnetenPunkt über der Kugel. Noch blieb demAgenten eine reichliche Frist, aber er durftenicht darauf hoffen, daß sein Problem sichvon selbst löste.

Er hörte das Brummen eines Motors, sahzum Fenster hinaus und entdeckte einen Wa-gen, der auf die Baracke zurumpelte. DasFahrzeug trug auf den Seitenwänden dasEmblem des Diktators. Als es anhielt, stie-gen zwei Männer aus. Den einen kannte er.Es war Yern, ein Sklave, der für Gaddos ar-beitete.

Der andere war ungewöhnlich groß undschlank, hatte ein markantes, bronzefarbenesGesicht und langes, goldblondes Haar, dasunter der Kapuze des halblangen Pelzman-tels hervorquoll. Die goldfarbenen Augenwaren von fast hypnotischer Ausstrahlungs-kraft. Sie wirkten auf unbestimmbare Weiseuralt und paßten nicht recht zu der sonst fastjugendlichen Erscheinung des Fremden.Burjos war ein scharfer Beobachter. Ihmentging weder der hochmütige Blick, mitdem der Unbekannte das Lager bedachte,noch das winzige spöttische Lächeln. DerFremde war ihm auf den ersten Blick un-sympathisch.

Dann sah er den dritten Insassen des Wa-

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gens, der sich mühsam durch die für ihn vielzu enge Tür nach draußen quetschte, und erschüttelte verwundert den Kopf. Das Wesenwar nicht größer als ein durchschnittlicherCkorvone, aber mindestens doppelt so breit.Die Beine waren zu kurz, dafür aber unge-mein kräftig. Das von der Kapuze umrahmteGesicht wies fast tierhafte Züge auf. Übereinem breiten, lippenlosen Mund lagen zweiin die Maut eingesenkte Nasenlöcher. Dar-über leuchteten zwei große, hellrote Augenmit senkrecht stehenden, schlitzförmigenPupillen.

Burjos bemerkte noch die metallisch glän-zende Kugel auf der Ladefläche des Wa-gens, dann kamen die drei Besucher auf dieBaracke zu, und er zog sich hastig vom Fen-ster zurück.

Der Agent preßte die Lippen aufeinanderund suchte verzweifelt nach einem Ausweg.Yerns Ankunft hatte mit Sicherheit nichtsGutes zu bedeuten. Wenn die Fremden zu-erst in das Büro des Hageren gingen, konnteer das Gebäude verlassen und sich zu demHubschrauber durchschlagen, dessen Stand-ort Jintha ihm verraten hatte. Er mußte danneben später heimlich zurückkehren, um sei-ne Mission zu erfüllen.

Aber die Ankömmlinge taten ihm den Ge-fallen nicht, den Flur zu verlassen. Hinterder Tür hörte er die Fistelstimme des Skla-ven, dann näherten sich Schritte.

»Treten Sie ein!« sagte Gaddos höflichund hielt den beiden Fremden die Tür auf.

»Sie bekommen Hilfe«, teilte der Hageredem Agenten mit. »Darf ich Ihnen Magantil-liken vorstellen? Und das ist Xonth, sein Ge-hilfe. Die beiden kommen aus Grodh. Tei-hendru hat sie zu uns geschickt, weil sieSpezialisten im Umgang mit Lawinen sind.«

Magantilliken hieß der Fremde also. Einmerkwürdiger Name! Noch merkwürdiger,wenn man bedachte, daß die Leute in Grodhmeistens einsilbige Namen bevorzugten.Und Xonth? Der Agent hatte Grodh einmaldurchquert. Er hatte eine ganze Anzahl vonMutanten gesehen, aber es war keiner darun-ter, der so fremdartig wie dieser eckige Kerl

wirkte, dessen Haut geschuppt war wie dieeines Reptils.

»Wir werden sicher gut zusammenarbei-ten«, bemerkte Magantilliken in diesem Mo-ment. Burjos versuchte, den fremdartigenAkzent einzuordnen. Es gelang ihm nicht,und sein Mißtrauen wuchs. Er merkte, daßMagantilliken ihn spöttisch anstarrte. Ner-vös wies er auf den Tisch.

»Wollen Sie sich die Karte ansehen?«Der Fremde warf nur einen kurzen Blick

auf die graphische Darstellung, lächelte unddeutete mit dem Zeigefinger auf die Stelle,an der man die Kugel vermutete.

»Wie hoch ist die Schicht über dem Ob-jekt?« fragte er.

»Wir wissen es noch nicht genau. Es lie-gen Berechnungen vor, aber sie enthalten ei-ne Reihe von Unsicherheitsfaktoren. Auchunsere Meßgeräte liefern keine genauenWerte. Offensichtlich sind erzhaltige Ge-steinsbrocken in dem Schnee enthalten.«

Burjos breitete die Unterlagen vor Ma-gantilliken aus und erklärte ihm die Situati-on. Von Zeit zu Zeit glitt der Anflug einesamüsierten Lächelns über das goldbrauneGesicht. Die Arroganz des Fremden irritierteBurjos immer stärker. Die Bewohner vonGrodh waren im allgemeinen sehr beschei-den. Ihr Land war arm, und sie bemühtensich, zu allen Staaten gute Beziehungen zuunterhalten. Magantilliken paßte in diesesBild nicht hinein. Das betraf nicht nur seinAussehen, seine Sprache und sein Beneh-men, sondern auch die Tatsache, daß er Tei-hendru mit seinen Kenntnissen unterstützenwollte. Das war eine eindeutige Parteinahmefür Frinalhan.

»Ich werde mir das alles noch einmal anOrt und Stelle ansehen«, näselte Magantilli-ken, als Burjos mit seinem Vortrag fertigwar. »Ich nehme an, daß ich durch Isthmyein wesentlich genaueres Bild erhalten wer-de.«

»Wer ist Isthmy?« wollte Gaddos wissen.»Die Kugel auf der Ladefläche des Wa-

gens«, erklärte Magantilliken herablassend.»Es handelt sich um eine, sehr vielseitige

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Maschine, die in bescheidenem Umfang so-gar denken und selbstständig handeln kann.Ich nenne dieses Maschinenwesen Isthmy.«

»Ein komischer Name«, murmelte Burjos.»Aber bevor ich hinausfahre«, fuhr Ma-

gantilliken ungerührt fort, »möchte ich michgerne erfrischen und auch etwas essen. Wirhaben eine lange und anstrengende Fahrthinter uns.«

»Ich werde für alles sorgen«, versprachGaddos diensteifrig und führte die Besucheraus dem Büro. Burjos sah ihnen in Gedan-ken versunken nach. Für den Augenblickhatte er seine eigenen Probleme vergessen.Magantilliken und dessen schweigsamer Be-gleiter mit der Echsenhaut beschäftigten ihnnoch immer. Er hörte sie draußen noch eineWeile sprechen, dann wurde es still. Gleichdarauf stürzte Jintha in das Büro.

»Yern hat eine Botschaft an Gaddos über-bracht«, stieß sie atemlos hervor. »Esscheint, als hätte man einen dunklen Punktin deiner Vergangenheit entdeckt. Eben hatGaddos über Funk mit meinem Vater ge-sprochen und sich diese Angaben bestätigenlassen. Deine Verhaftung ist jetzt fest be-schlossen. Du mußt sofortfliehen!«

»Hat er Teihendru gegenüber auch diebeiden Spezialisten aus Grodh erwähnt?«fragte Burjos gespannt.

»Nein. Aber das ist doch völlig unwich-tig.«

»Das finde ich nicht«, murmelte Burjosnachdenklich. »Diese Kerle sind mir nichtgeheuer. Wer weiß, woher sie kommen undwas sie planen …«

»Was kümmert es dich?« fauchte Jintha.»Die beiden können dir egal sein. SobaldGaddos die Fremden herumgeführt hat, wirder sich mit dir beschäftigen. Willst du war-ten, bis er zuschlägt?«

»Nein, natürlich nicht«, seufzte Burjosund stand auf. Die Entscheidung war gefal-len. Wenn er sich verhaften ließ, flog allesauf, und Vaanrhan geriet in größte Gefahr.Dennoch gab es einen Punkt, den er noch re-geln mußte.

»Ich nehme dein Angebot an«, sagte er

und legte seine Hände auf Jinthas Schultern.»Aber nur unter einer Bedingung. Dukommst mit! Ich weiß mehr über die Bezie-hungen zwischen Gaddos und deinem Vater.Teihendru wird dich dieser Bestie bedenken-los ausliefern, und du weißt, was dir dannbevorsteht!«

Jintha sah zu ihm auf. Sie wollte wider-sprechen, aber statt dessen schlang sie plötz-lich die Arme um seinen Hals.

»Ich komme mit«, flüsterte sie an seinemOhr.

Burjos drückte sie für einen Moment ansich, dann zog er sie zur Tür. Jetzt tat es ihmleid, daß er so viel Zeit verloren hatte. Wich-tig war nur Jintha, sonst nichts. Er riß dieTür auf – und stand Gaddos gegenüber.

»Sie haben es eilig?« fragte der Hagerekalt. »Das trifft sich gut, denn der Wagenwartet schon. Sie werden noch heute in dieStadt zurückkehren, und Sie, meine Teuer-ste, werden diesen Verräter begleiten. Eswird Teihendru interessieren, zu welchemZweck seine heißgeliebte Tochter einenHubschrauber angefordert und hier in derNähe versteckt hat!«

*

Magantilliken sah vom Fenster aus zu,wie Burjos und das junge Mädchen abtrans-portiert wurden. Die beiden waren gefesselt.Er dachte flüchtig daran, wie leicht er ihnenhätte helfen können, schüttelte dann aber un-willig den Kopf.

Er wollte die Ckorvonen schonen, aberdas hieß noch lange nicht, daß er sich in in-nenpolitische Dinge einmischte. Er hatte ge-nug zu tun, um mit diesem Gaddos fertig zuwerden. Zwar behandelte der Hagere ihnsehr zuvorkommend, aber ein Instinkt warn-te den Henker. Dieser Mann war gefährlich.

»Das Fahrzeug steht bereit«, knarrte derKerl mit seiner unangenehmen Stimme. Ma-gantilliken nickte seinem Sklaven zu, derhastig einen letzten Brocken Fleisch in denMund schob, dann verließen sie die Baracke.Vor der Ladefläche des Wagens, mit dem sie

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in das Lager gekommen waren, blieb Ma-gantilliken stehen.

»Isthmy, komm mit!« befahl er.Die metallene Kugel löste sich gehorsam

von ihrer fahrbaren Unterlage und schwebtelautlos herab. Einen halben Meter über demBoden blieb sie regungslos in der Luft hän-gen. Gaddos verfolgte diesen Vorgang mitgroßem Interesse.

»Das ist wirklich eine bemerkenswerteMaschine«, wandte er sich an Magantilliken.»Woher haben Sie diese Kugel?«

»Ich fand sie in den Bergen«, log Magan-tilliken unbekümmert. »Sie hat mir schonsehr gute Dienste geleistet. Ich weiß nicht,woher sie stammt. Vielleicht aus dem Ver-mächtnis der Ahnen.«

Er sah das gierige Glitzern in den Augendes Hageren und fügte schnell hinzu:

»Ihre einzige schlechte Eigenschaft ist,daß sie nur mir gehorcht. Xonth duldet sie inihrer Nähe, aber sie läßt sich von ihm keineBefehle geben. Man hat schon oft versucht,sie mir abzunehmen, aber es ist noch nie-mandem gelungen. Isthmy kann sich weh-ren, und er tötet bedenkenlos jeden, der sichmit ihm anlegt.«

Gaddos wich vorsichtshalber einen Schrittzurück. Isthmys rotes Orientierungsaugefunkelte den Ckorvonen böse an. Der Hen-ker konnte sich ein Lächeln nicht verknei-fen. Dem geschwätzigen Roboter fiel es si-cher schwer, in dieser Situation auf seineboshaften Bemerkungen zu verzichten.

Der Hagere führte sie zu einem kleinenFahrzeug, in dem gerade vier Personen Platzfanden. Am Steuer saß ein dick vermummterCkorvone.

Er streifte den Henker und dessen Sklavenmit einem neugierigen Blick, wandte sich je-doch hastig ab, als Gaddos auftauchte.

»Bleib hinter uns!« befahl Magantillikendem Roboter.

Zu seinem Erstaunen stieg auch Gaddosein. Er hatte gehofft, sich einigermaßen un-gestört im Lawinengebiet umsehen zu kön-nen. Der Fahrer war kein Problem, aber mitdem Hageren mußte er vorsichtig sein. Er

hatte längst gemerkt, daß jeder in diesemLager vor Gaddos zitterte. Dieser Mannschien über eine ungeheure Macht zu verfü-gen.

Der Wagen setzte sich rumpelnd in Bewe-gung und steuerte in den Hohlweg hinein,den die Räumungsmaschinen in den Schneegefressen hatten. Nach wenigen Minuten ka-men die ersten Arbeitskommandos in Sicht.In Pelze gehüllte Ckorvonen ebneten dieFahrbahn und schaufelten Ausweichstellenin die Schneewälle. In regelmäßigen Abstän-den waren Zelte errichtet worden, in denendie Arbeiter sich ausruhen konnten. Rechtsund links türmten sich Felstrümmer und rie-sige Eisbrocken zu wahren Bergen. Erst jetztbekam Magantilliken einen Eindruck vomwirklichen Ausmaß der Katastrophe, die die-ses Tal betroffen hatte.

»Gab es Überlebende?« fragte er Gaddos,der düster vor sich hinstarrte.

»Wir haben nicht nach ihnen gesucht«,gab der Hagere kaltschnäuzig zurück. »Diebeiden einzigen Augenzeugen sind Burjosund das Mädchen, das mit ihm in die Stadtgebracht wurde. Sie sahen diese merkwürdi-ge Kugel. Sie verkrochen sich in einer Höhledort oben am Hang des Dogro und kamenzufällig mit dem Leben davon.«

Der Wagen hielt schlingernd hinter derbreiten Rückfront eines Raupenfahrzeugs.Sie gingen zu Fuß weiter, drückten sich ander brummenden Maschine vorbei, überhol-ten noch zwei andere Fahrzeuge und standendann am vorläufigen Ende des Weges. LautGaddos war es lebensgefährlich, einfachüber die Lawinenfläche zu gehen. Magantil-liken dachte etwas anders darüber, verzich-tete jedoch auf eine zu deutliche Demonstra-tion seiner Überlegenheit und schickte stattdessen Isthmy los. Der Roboter erhielt denAuftrag, die genaue Lage der Kugel festzu-stellen und nach dem sichersten Weg dorthinzu suchen. Isthmy schwebte lautlos davon.

»Meinen Sie wirklich, daß die Maschinediese Aufgabe lösen wird?« fragte Gaddoserstaunt. »Ich kann es mir kaum vorstellen.Unsere Ahnen müssen Genies gewesen sein,

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wenn es ihnen gelungen ist, ein solchesWunderwerk zu konstruieren!«

»Schon möglich«, lächelte Magantilliken.»Leider wird es eine Weile dauern, bis Isth-my mit den Informationen zurückkehrt. Wirsollten besser in das Zelt da drüben gehen.«

Gaddos sah sich nachdenklich um, warfdann einen Blick auf einen Zeitmesser, dener am Handgelenk trug und zuckte sichtbarzusammen.

»Ich muß Sie leider vorerst allein lassen«,erklärte er eilig. »Die Pflicht ruft! Die Leute,die hier arbeiten, haben die nötigen Anwei-sungen über Funk erhalten, man wird alsoIhre Befehle prompt ausführen. Wenn sieRückfragen an mich oder die technischenBüros im Lager haben, benutzen Sie bitte ei-nes der Funkgeräte in den Zelten.«

Magantilliken blickte ihm nach, als er ha-stig über den Schnee davonlief. Ein ungutesGefühl beschlich ihn.

»Der Kerl wird Ihnen noch viel Ärger be-reiten«, prophezeite Xonth.

Der Henker zuckte zusammen. Er hattesich so sehr an die Schweigsamkeit des Za-grulers gewöhnt, daß es ihm beinahe als einschlechtes Omen erschien, wenn Xonth aus-gerechnet in diesem Moment den Mund auf-machte.

»Wie kommst du darauf?« fragte erscharf.

Der Sklave deutete auf einige Ckorvonen,die sichtlich erschöpft auf das Zelt zutrotte-ten.

»Jeder von ihnen hat ein tragbares Funk-gerät«, stellte er lakonisch fest. »Warum hatGaddos uns nicht auch eins gegeben?«

Magantilliken nickte nachdenklich. Eswar tatsächlich merkwürdig. Gaddos hatteden Männern befohlen, den Varganen als ih-ren Vorgesetzten zu betrachten und seineAnweisungen durchzuführen. Andererseitswar Magantilliken denkbar schlecht vondem Ckorvonen ausgerüstet worden. Er be-saß weder ein Funkgerät noch einen eigenenWagen. Wenn Gaddos es wollte, war der an-gebliche Lawinenspezialist aus Grodh vonallen offiziellen Informationen abgeschnit-

ten. Der Henker wurde unruhig, als er an dieerstaunlich leistungsfähigen Funkgeräte imLager dachte. Gaddos brauchte nur in derHauptstadt nachzufragen, und die ganze Sa-che flog auf. Magantilliken schalt sich einenNarren, weil er nicht früher daran gedachthatte. Es wäre besser gewesen, zuerst in derStadt aufzutreten und dann ganz offiziell indas Lager zu kommen.

»Gehen wir hinein«, murmelte er.Im Zelt war die Luft stickig und feucht.

Mehr als ein Dutzend Männer drängten sichauf engem Raum zusammen, tranken heißenTee aus den Thermobehältern und kautenauf gebratenen Fleischstücken herum. Siewaren schmutzig und verströmten einenscharfen Schweißgeruch. Mit ihren zottigenPelzmänteln sahen sie wie Wesen aus einergrauen Vorzeit aus. Eine blakende Öllampeverbreitete trübes Licht. Magantilliken bliebam Eingang stehen. Einer der Arbeiter er-zählte gerade einen geistlosen Witz, der sei-nen Kollegen jedoch zu gefallen schien. DasZelt erbebte unter lautem Gelächter, und derVargane prallte unwillkürlich zurück. Da be-merkte ihn einer der Ckorvonen. Eine Se-kunde später herrschte Totenstille.

»Sieh mal an!« sagte der Witzbold undlöste sich langsam aus der Gruppe. »Das istwohl der Fremde aus Grodh. Ich hoffe, derHerr wird sich bei uns wohl fühlen!«

Magantilliken sah dem Eingeborenen ent-gegen. Er spürte die Feindseligkeit, die ihmentgegensprang. Regungslos blieb er stehen.Xonth stieß ein leises Schnaufen aus. Damitwollte er seinem Herrn zu verstehen geben,daß er diesen ungehobelten Burschen gerneManieren beibringen wollte, aber der Hen-ker gab ihm mit einer Bewegung der rechtenHand den Befehl, sich vorerst zurückzuhal-ten.

Der Ckorvone stand jetzt direkt vor Ma-gantilliken. Er war einen Kopf kleiner alsder Vargane, dafür aber ungeheuer kräftig.

»Auf gute Zusammenarbeit, Herr!« sagteer laut. »Schlagen Sie ein, das ist bei uns soüblich!«

Magantilliken ergriff die Hand, und für

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den Bruchteil einer Sekunde war er unauf-merksam. Der Ckorvone packte zu. Ehe derHenker es sich versah, flog er im hohen Bo-gen durch die Luft und landete zwischen denanderen Arbeitern, die blitzschnell zurück-gewichen waren. Die Männer wieherten vorLachen, aber im nächsten Augenblick ver-stummten sie. Mit katzenhafter Geschmei-digkeit sprang der Vargane auf, packte denmassigen Ckorvonen mit der linken Handam Oberarm, riß ihn nach vorne und schlugihm gleichzeitig die rechte Handkante insGenick. Der Witzbold brach wie ein gefäll-ter Baum zusammen.

Der Atem des Henkers ging ruhig undgleichmäßig wie zuvor, als er sich langsamumdrehte und die erschrockenen Eingebore-nen der Reihe nach ansah. Er hatte nicht ein-mal mit halber Kraft zugeschlagen, dennschließlich wollte er ohne zwingendenGrund keinen der Arbeiter töten.

Die Ckorvonen hielten dem kühlen Blickdes Henkers nicht stand. Magantilliken lä-chelte flüchtig, drehte sich um und verließdas Zelt. Er zog es vor, draußen auf derRückkehr des Roboters zu warten.

Kurz darauf erschien Isthmy. Magantilli-ken holte eine Landkarte aus dem Zelt undließ den Roboter alles darauf einzeichnen,was für ihr weiteres Vorgehen wichtig war.Dann informierte er die Räumungskomman-dos und stellte zufrieden fest, daß man seineAnweisungen respektierte. Zwar fing er vie-le feindselige Blicke auf, aber die pralltenwirkungslos an ihm ab.

Es gab einen guten, sicheren Weg, auchzu Fuß in die Nähe der Kugel zu gelangen.Und in der Gefühlsbasis hielt sich eine Erin-nye auf, die nur darauf wartete, dem Henkertatkräftig zu helfen. Solange es hell war,durfte Magantilliken es nicht wagen, dieseMöglichkeiten auszunutzen. Ungeduldigwartete er darauf, daß es endlich dunklerwurde.

*

Der Wächter, den Gaddos den beiden Ge-

fangenen zugeteilt hatte, nahm seine Aufga-be durchaus ernst. Er sorgte dafür, daß Bur-jos und Jintha sich nicht von ihren Fessenbefreien konnten, denn der Hagere hatte ihndarüber informiert, daß nicht nur der Leib-wächter des Mädchens ein gutausgebildeterKämpfer war. Auch Jintha konnte sich sehrgut ihrer Haut wehren. Aber der Respektdieses Mannes vor Teihendru war immernoch so groß, daß er seinen Schützlingen ei-ne Unterhaltung nicht zu verbieten wagte.Allerdings hielt er die Ohren offen, und dasversuchte Burjos für seine Zwecke aus-zunützen.

»Gaddos wird bald einsehen, daß er einenschlimmen Fehler gemacht hat«, sagte er lei-se zu dem Mädchen.

Jintha schüttelte hoffnungslos den Kopf.»Er mogelt sich schon wieder heraus«, mur-melte sie bitter. »Er findet immer einenWeg. Und wenn er ein paar Leute ermordenläßt, kümmert das meinen Vater wenig. All-mählich begreife ich das ganze Spiel. Duhattest recht. Ob ich Teihendrus Tochter binoder nicht, das spielt überhaupt keine Rolle.Er wird mich ohne mit der Wimper zuzucken zum Tode verurteilen.«

»Wahrscheinlich«, gab Burjos kaltblütigzurück. »Und mein Schicksal dürfte nichtviel anders aussehen. Aber das ist jetzt nichtso wichtig.«

»Wie bitte?«Er grinste verhalten.»Es ist mir durchaus nicht egal, wie ich

sterbe. Aber wenigstens habe ich die Genug-tuung, daß Gaddos uns bald folgen wird.Diesmal hat der alte Fuchs den Kopf zu tiefin die Schlinge gesteckt.«

Jintha sah ihn fragend an. Burjos regi-strierte zufrieden, daß auch der Wächter ge-spannt zuhörte.

»Er wird nicht über uns stolpern«, fuhr erfort. Er sprach leise, damit der Anschein ge-wahrt blieb, als handele es sich um ein Ge-heimnis. »Sondern über die angeblichen La-winenspezialisten aus Grodh. Magantillikenund sein geschuppter Diener kommen nichtaus diesem Land, da bin ich mir ganz sicher.

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Ich möchte sogar wetten, daß sie überhauptnicht auf diesem Planeten geboren sind.«

Das Mädchen schnappte nach Luft.»Du phantasierst!« stellte sie fest. »Die

beiden gebrauchen unsere Sprache, und zu-mindest dieser Magantilliken sieht uns sehrähnlich. Es gibt ein paar alte Überlieferun-gen, in denen behauptet wird, unsere Vor-fahren wären mit Raumschiffen auf Xer-tomph gelandet, aber das sind Hirngespinste,die wissenschaftlich nicht belegbar sind.Selbst wenn etwas Wahres daran ist, dürftedieses geheimnisvolle Volk längst ausge-storben sein. Außerdem – wenn wirklichRaumfahrer zu uns kommen sollten, wel-chen Grund hätten sie, das zu verschleiern?Und warum kümmern sie sich dann als er-stes ausgerechnet um diese Bergungsakti-on?«

»Um an die Kugel heranzukommen.«»Aber Magantilliken hilft Gaddos doch«,

wandte Jintha ärgerlich ein. »Er treibt dieArbeiten schneller voran, und wenn unsereLeute das Ziel erreicht haben, hat er alleinkeine Chance, sich den Fund zu sichern.«

»Er hat bestimmt die Mittel, um genaudas zu tun. Paß auf, Jintha, ich habe die gan-ze Zeit über dieses Problem nachgedacht.Vielleicht irre ich mich in einigen Punkten,aber ich glaube, ich habe die Wahrheit ziem-lich genau erraten. Nimm einmal an, dieseKugel gehört unseren Vorfahren. Ein so rie-siges Ding läßt man nicht einfach auf einemPlaneten zurück, ohne einen zwingendenGrund dafür zu haben. Die Kugel hat alsoeine Funktion. Sie muß sogar sehr wichtigsein. Auf keinen Fall war geplant, daß wirsie untersuchen sollten. Deshalb hat man siean eine unzugängliche Steilwand gebaut, wowir sie niemals hätten erreichen können. So-lange sie da oben blieb, war alles in Ord-nung, und niemand kümmerte sich um uns.Jetzt, wo sie durch einen Zufall in unsereReichweite gerückt ist, hat man jemandengeschickt, der die ganze Sache wieder inOrdnung bringen soll.«

»Das glaube ich nicht«, fiel Jintha ihm insWort. »Wenn unsere Ahnen nicht ausgestor-

ben sind, warum haben sie dann nicht schonfrüher Kontakt zu uns aufgenommen?«

»Ich weiß es nicht«, gestand Burjos.»Vielleicht sind wir ihnen absolut gleichgül-tig. Nur die Kugel interessiert sie.«

»Das ist unlogisch!« behauptete Jintha so-fort. »Die Kugel besitzt Waffen, deren Wir-kungskraft unsere Vorstellung übersteigt.Das Ding ist uralt, aber es funktioniert im-mer noch. Nehmen wir an, Magantillikenwäre ein Nachkomme der Leute, die dieseWaffen konstruiert hat, und seine einzigeAufgabe wäre es, uns von diesem Objekt zuvertreiben. Was wäre dann einfacher, als dasLager und alle Ckorvonen ringsum zu ver-nichten?«

»Du hast recht«, stimmte Burjos zu.»Aber es gibt einen Hinweis darauf, daß dieFremden sich scheuen, uns zu töten, solangesie es vermeiden können. Teihara ist einesehr alte Stadt, auch wenn sie inzwischen et-liche Male den Namen gewechselt hat. DerKern des Palasts wurde vor über eintausendJahren gebaut. Das Quamendrin-Massivliegt ganz in der Nähe, und man wußteschon sehr lange, daß es dort reiche Boden-schätze gibt. Trotzdem hat man sie langeZeit nicht ausgebeutet. Niemand nähertesich dem Berg freiwillig, und Glückssucher,die es trotzdem wagten, bezahlten ihrenÜbermut meistens mit dem Leben. Undplötzlich, vor knapp hundert Jahren, ström-ten die Ckorvonen in Scharen in das Qua-mendrin-Massiv. Schlagartig hatte der Bergseine Schrecken verloren.«

»Es hat ihn noch niemand bestiegen«, gabJintha zu bedenken.

»Wozu auch? Bis jetzt ist man hinrei-chend damit, beschäftigt, die Schätze zu ber-gen, die sich in den unteren Regionen befin-den. Alle Kräfte in Frinalhan werden auf dietechnische Weiterentwicklung konzentriert.Jeder Mann im passenden Alter, der nichtgerade ein Krüppel ist, wird zum Militär-dienst gezwungen. Für sportliche Ambitio-nen bleibt also wenig Raum. Aber ich kennetrotzdem einige Leute, die es sofort wagenwürden, wenn man ihnen nur die richtigen

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Mittel zur Verfügung stellen wollte. Von ei-ner echten Angst dem Quamendrin gegen-über ist nichts mehr zu spüren. Noch vorhundert Jahren hätte man jeden, der sichauch nur hundert Schritt in das Woronongtalhineinwagte, als Todgeweihten betrachtet.«

Jintha war nachdenklich geworden.»Es ist merkwürdig«, gab sie zu. »Aber

ich sehe keinen Zusammenhang zwischendiesen Dingen und dem Verhalten Magantil-likens.«

»Ich schon«, betonte Burjos. »Man hatuns bis vor hundert Jahren daran gehindert,dem Quamendrin nahezukommen. Nicht mitHilfe von Offensivwaffen, sondern auf diestille Art. Daraus schließe ich, daß unsereVorfahren es nicht darauf anlegen, uns um-zubringen – es sei denn, wir werden ihnenzu lästig.«

»Aber wie sollen die Fremden so etwasmachen?« fragte Jintha ärgerlich.

»Mit einer Verbotstafel am Taleingangbestimmt nicht«, nickte Burjos grimmig.»Denk mal an die Niava-Kristalle. Teihen-dru versucht seit Jahren, ihre Macht gezieltzu benutzen, aber er schafft es nicht. ZumGlück, denn das wäre eine WTaffe, der nie-mand auf diesem Planeten etwas entgegen-zusetzen hat. Hypnose! Ein unheimlicherEinfluß auf das Gehirn, dem man sich nichtentziehen kann. Vielleicht aber haben unsereAhnen einen Weg gefunden, die Wirkungder Kristalle künstlich nachzuahmen. Sobaldjemand in den Strahlungsbereich der Kugelkam, befiel ihn die Angst, und er zog sichzurück.«

»Das würde bedeuten, daß die Kugelschon sehr lange nicht mehr in Ordnung ist«,murmelte Jintha. »Warum kümmern sich dieFremden dann aber erst jetzt darum?«

»Ich weiß es nicht. Vielleicht haben siedie Kugel vorher nicht gebraucht.«

»Es klingt alles sehr phantastisch«, ent-gegnete Jintha leise. »Fremde aus dem Welt-raum! Wie sollen sie überhaupt nach Xer-tomph gekommen sein?«

»Mit einem Raumschiff natürlich.«»Das hätte man orten müssen!«

»Mit unseren Geräten?« Burjos lachte lei-se. »O nein! Die Fremden sind uns technischweit überlegen. Sie sind ohne unser Wissengelandet. Wahrscheinlich befindet sich dasSchiff ganz in der Nähe des Quamendrin.Die Ebene der Tempel zum Beispiel wäreein hervorragendes Versteck. Kein Ckorvo-ne, der seine fünf Sinne beisammen hat,wagt sich in dieses Gebiet.«

»Wir müssen etwas unternehmen«, stellteJintha fest. »Selbst wenn sich die Hälfte dei-ner Vermutungen als falsch erweist, ist dieGefahr zu groß. Wir sind vielleicht die einzi-gen, die einen Verdacht geschöpft haben.Man muß Magantilliken gefangennehmenoder ihn wenigstens vertreiben!«

»Das wird er sich kaum gefallen lassen.Man braucht sich diesen Kerl nur anzusei-len, um zu wissen, daß er eiskalt und gewis-senlos seine eigenen Interessen verfolgt.Wahrscheinlich hilft er Gaddos nur, weil ersich die Arbeit sparen will, die Kugel selbstauszugraben. Sobald er sich am Ziel sieht,wird er zuschlagen. Ich hoffe nur, daß Gad-dos lange genug lebt, um Teihendru vorge-führt zu werden. Er soll wenigstens einenBruchteil der Qualen spüren, die er anderenzugefügt hat, ehe er stirbt!«

Jintha schwieg. Sie hatte sich für die Dau-er der Unterhaltung von ihrem eigenenSchicksal ablenken lassen. Jetzt wurde siesich ihrer eigenen Situation bewußt. Be-klommen starrte sie nach vorne, wo in derDunkelheit eine schwach leuchtende Halb-kugel über den Hügeln auftauchte. Dort lagTeihara.

Gegen Mitternacht hielt der Wagen vordem prunkvollen Haupttor des Palastbezirks.Ein Wächter sah kurz in den Wagen, las dieschriftliche Bescheinigung, die der Wacht-posten im Wagen ihm reichte, im Schein ei-ner Lampe und winkte dann lässig seinemKollegen im hellerleuchteten Postenhaus zu.Das Tor öffnete sich lautlos. Sie fuhren überdie Wege, die Jintha seit ihrer Kindheitkannte. Es ging durch einen kleinen Park,dann über die breite Auffahrt, an dessen En-de die Freitreppe lag. Aber diesmal hielt der

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Wagen nicht an der gewohnten Stelle, son-dern bog nach links ab. Die vielfarbige Fas-sade des Herrscherhauses huschte vorbei.Sie tauchten in das Dunkel der zahllosenNebengebäude, wo von dem weiter vornezur Schau gestellten Reichtum nichts mehrzu sehen war. Eine dicke Mauer, deren ein-ziges Tor von bewaffneten Soldaten be-wacht wurde, grenzte das Wohngebiet derniederen Sklaven gegen den Gefängnistraktab. Sie durften passieren und standen wenigspäter vor einem fast fensterlosen Gebäude-klotz aus rotbrauner: Steinblöcken. Schein-werfer tauchten das Haus und den Innenhofin grellweißes Licht. Auf den klobigenWachttürmen der Mauer sah Jintha zahlrei-che Soldaten.

»Ich bin Teihendrus Tochter«, sagte siezu dem Kerkermeister, der die neuen Gefan-genen in Empfang nahm. »Ich muß unbe-dingt meinen Vater sprechen. Es ist lebens-wichtig!«

»Das kann ich mir denken«, nickte dergrobschlächtige Mann und gab dem Mäd-chen einen Tritt. »Vorwärts! Und merk direines: Wer hierher kommt, wird nach seinerAbstammung nicht gefragt!«

5.

Als die Dämmerung hereinbrach, kamenausgeruhte Männer aus dem Lager, um ihreerschöpften Kollegen abzulösen. Magantilli-ken verglich die einlaufenden Meldungenmit der nun um einiges vervollständigtenKarte und stellte zufrieden fest, daß die Ar-beit rasch voranging. Gaddos würde zufrie-den sein. Und nicht nur er, sondern auch dieungeduldig wartende Erinnye in der ver-schütteten Gefühlsbasis.

Die einzige wirklich gefährliche Stellehatten die Fahrzeuge überwunden. Einetückische Spalte wurde von einer primitiven,aber haltbaren Brücke aus Holz überspannt.Die entsprechenden Daten hatte Isthmy ge-liefert, ohne dessen Hilfe dieses Hindernisdie Ckorvonen vor gewaltige Schwierigkei-ten gestellt hätte. Zugleich hatte der Henker

sich damit jedoch seinen eigenen Weg geeb-net. Sobald es dunkel war, wollte er sichheimlich davonschleichen. War die Gefühls-basis erst wieder funktionsbereit, so würdendie Ckorvonen sich innerhalb weniger Stun-den zurückziehen und kaum noch wissen,was sie in diesem Tal eigentlich getan hat-ten.

Der Vargane überschlug die Zeitspanne,die ihm bis zum Eintreffen der tejonthischenFlotte noch blieb. Es waren – auf planetari-sche Verhältnisse umgerechnet – noch vier-einhalb Tage. Isthmy hatte also mit seinendüsteren Prognosen danebengezielt. Nochlange vor Ablauf der Frist würde der Auf-trag erledigt sein. Magantilliken lächelte zu-frieden und verließ das Zelt, um draußennach dem Rechten zu sehen. Es war schonfast dunkel. Die Scheinwerfer der Fahrzeugeschufen vergleichsweise winzige Lichthöfeauf der Oberfläche des Lawinenfelds. AlsMagantilliken den Kopf in den Nacken leg-te, sah er scheinbar direkt über sich den Gip-fel des gewaltigen Berges, der von den letz-ten Strahlen der untergehenden Sonne infeuriges Rot getaucht wurde.

Schließlich wandte er sich ab und stapftezu einem Punkt jenseits des Ausweichplat-zes hinüber. Die Kugel löste sich aus demGewirr der Schneebrocken und schwebtelautlos näher, »Willst du es jetzt schon wa-gen?« fragte Xonth leise. Er folgte seinemHerrn wie ein Schatten, immer bereit, ihnnotfalls bis zum letzten Atemzug zu vertei-digen.

Magantilliken würdigte ihn keiner Ant-wort.

»Ist alles klar?« fragte er den Roboter.»Nein«, antwortete Isthmy prompt.Der Henker wollte ärgerlich auffahren,

aber in diesem Augenblick wimmerte weitentfernt eine Sirene. Er zuckte zusammenund fuhr herum. Aus dem Hohlweg, der aufdie Station zuführte, hasteten Männer. Klei-ne, leichte Fahrzeuge brummten von der ent-gegengesetzten Seite heran.

»Alarm«, stellte der Roboter scharfsinnigfest. »Der Luftdruck fällt mit beängstigender

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Geschwindigkeit. Eine bildschöne Schlecht-wetterfront kommt auf uns zu.«

Magantilliken fand keine Zeit, sich überdie Ausdrucksweise seines Begleiters aufzu-regen, denn die Wagen, die man aus demLager geschickt hatte, hielten neben demdunklen Zelt. Schnee stäubte unter den brei-ten Rädern auf. Fluchend zwängten sich dieCkorvonen auf die unbequemen Sitze. Aufden Varganen achtete niemand. In wilderFlucht wandte sich alles dem relativ sicherenGebiet jenseits des Lawinenfeldes zu.

Im ersten Moment war der Henker wü-tend auf die Eingeborenen. Im Nu waren dieWagen besetzt. Die Plätze reichten geradefür die Arbeiter. Dem Varganen schenkteniemand auch nur einen Funken Aufmerk-samkeit. Dann erkannte er seine Chance.Hastig wandte er sich zu Isthmy um.

»Los!« befahl er. »Das ist die beste Gele-genheit, um unauffällig zu verschwinden.Gib der Erinnye den Befehl, sofort einenSchacht zur Oberfläche zu schmelzen. Dubringst Xonth und mich hin. Sobald wir inder Gefühlsbasis sind, werden wir eine neueLawine auslösen, die den Zugang zum hinte-ren Talende versperrt. Damit sind wir dieEingeborenen für eine Weile los. Das gibtmir Zeit genug, um die Schäden in der Stati-on zu beseitigen.«

»Dein Plan ist gut«, erwiderte der Roboterbedächtig. »Aber leider hast du dir für deineErklärungen zu viel Zeit genommen. DerFahrer wartet auf dich.«

Magantilliken fuhr herum.Etwa fünf Meter entfernt stand ein

Schneerutscher. Der Fahrer hatte die Türenbereits geöffnet.

»Soll ich schießen?« fragte Isthmy leise.Das Gesicht des Ckorvonen war völlig

ausdruckslos. Es ließ sich nicht feststellen,ob er die vorhergehende Unterhaltung mit-bekommen hatte. Wenn ja, dann wußte erzumindest, daß Magantilliken eigene Pläneverfolgte. Sobald Gaddos das erfuhr, war dieMission des Henkers gescheitert.

War sie es wirklich?Magantilliken unterdrückte ein höhni-

sches Lachen. Noch hielt er einige gute Kar-ten in der Hand. Die Ckorvonen würden sichwundern! Warum sollte er nicht mitfahren?Auch Gaddos war nicht fähig, einen Tropoy-ther länger als ein paar Sekunden in ernst-hafte Verlegenheit zu bringen. Außerdembestand immer noch die Möglichkeit, daßder Fahrer keinen Verdacht geschöpft hatte.Ließ Magantilliken es jetzt auf einen Kampfankommen, so brachte er sich nur selbst inSchwierigkeiten, denn ungeachtet der dro-henden Gefahren durch den Wetterum-schwung würde Gaddos ihm umgehend eineganze Meute schießwütiger Eingeborenerauf den Hals hetzen und ihm damit den Wegzur Gefühlsbasis erschweren.

»Wir fahren!« entschied der Henker grim-mig.

Isthmy schwebte schweigend hinter demFahrzeug zum Lager zurück.

*

Seit dem ersten Kontakt mit Isthmy standdie Erinnye in ständiger Verbindung zu demKugelroboter. Sie empfing den Befehl, denSchacht zu schaffen und sorgte umgehenddafür, daß die entsprechenden Geräte ihreArbeit aufnahmen. Dabei lauschte sie denweiteren Nachrichten. Sie erfuhr, daß Ma-gantilliken sich freiwillig in die Gewalt derEingeborenen begab und somit einen weite-ren Zeitverlust in Kauf nahm. Sie verstanddas nicht. Das Verhalten des Tropoythersließ jenes Maß an eiskalter Logik vermissen,dem das Volk in der Eisigen Sphäre seineuneingeschränkte Herrschaft über den Mi-krokosmos verdankte. Aber die Erinnye warim Augenblick gebunden. Sie durfte nichtpersönlich in den Ablauf der Geschehnisseeingreifen. Erstens wartete sie noch immerauf die beiden Fremdwesen, um derentwil-len man sie nach Xertomph geschickt hatte.Zweitens war ihre Anwesenheit in der Stati-on unter den gegebenen Umständen unge-heuer wichtig. Notfalls mußte sie die EisigeSphäre direkt benachrichtigen. Das bedeute-te Selbstzerstörung, aber der Kreuzzug nach

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Yarden war wichtig genug, um selbst einenso komplizierten Roboter zu opfern.

Die Erinnye hoffte, zu einem solchenSchritt nicht gezwungen zu sein, Ihr Selbst-erhaltungstrieb war sehr hoch, denn Wesenwie sie konnten selbst die Tropoythers nichtam laufenden Band herstellen. Das Wartenmachte den Roboter unruhig. Der Schachtwar schnell geschaffen. Er führte nicht ganzbis zur Oberfläche. Das letzte Stück durfteerst dann durchbrochen werden, wenn dieAnkunft des Henkers unmittelbar bevor-stand. Davon aber war vorläufig noch garkeine Rede. Magantilliken führte unnützeDiskussionen mit den Eingeborenen. Isthmy,der alles mitanhörte und in die Station über-trug, platzte fast vor Ungeduld. Der Erinnyeging es nicht anders.

*

Gwarn starrte verbissen auf den Bechermit Tee, der vor ihm auf dem Tisch stand.Ein paar Schritte weiter unterhielt Gaddossich mit dem Fremden. Magantilliken gaboffensichtlich wenig auf die Meinung derMeteorologen.

»Wir wären noch in dieser Nacht in dieNähe des Ziels gekommen«, behauptete er.»Der Sturm läßt noch ein paar Stunden aufsich warten. Sie hätten die Arbeiter noch ei-ne ganze Weile draußen lassen können. Wirverlieren Zeit.«

»Es war nicht meine Idee«, gab Gaddosgleichgültig zurück. »Dieser Burjos mit sei-ner Vorsicht hat eine Menge verdorben. DieLeute sind ohnehin beunruhigt wegen derVerhaftung. Sie bei diesem Wetter zumWeiterarbeiten zu zwingen, könnte zur offe-nen Rebellion führen. Mir ist es egal, wennein paar von den Kerlen draufgehen, aberunser Zeitplan könnte darunter leiden.«

»Das tut er auch so«, bemerkte Magantil-liken ungeduldig.

»Keineswegs«, wehrte der Hagere ab.»Ich bin ein vorsichtiger Mann, Magantilli-ken, und ich glaube, Sie verstehen mich sehrgut. Burjos stellte einen Plan auf, der ziem-

lich weitläufig war. Die einzelnen Schrittewurden an Teihendru übermittelt und gebil-ligt. Mit Ihrer Hilfe werden wir trotz dieserPause schneller vorankommen, aber dasbraucht Teihendru erst zu wissen, wenn ichErgebnisse vorweisen kann. Falsche Ver-sprechungen nimmt er nämlich sehr übel.Für ihn gilt der alte Plan, den wir selbst un-ter ungünstigen Umständen einhalten kön-nen.«

»So ist das«, nickte Magantilliken verste-hend. »Geht es schneller, so ernten Sie dieLorbeeren, geht es langsamer, ist Burjos dar-an schuld.«

Gaddos nickte kühl. Wenig später zogMagantilliken sich mit seinem schweigsa-men Begleiter zurück. Die seltsame Kugelwar in einem angrenzenden Lagerraum un-tergebracht. Jetzt wäre es Zeit gewesen, denMund aufzumachen, und Gwarns Unsicher-heit wuchs. Sollte er dem Hageren den In-halt des Gesprächs mitteilen, daß er draußenmitangehört hatte?

Gwarn war Sklave, und er gehörte mitHaut und Haaren Gaddos. Der Hagere warkein angenehmer Herr. Diener, die sich et-was zuschulden kommen ließen, waren sogut wie tot. Es war nicht so, daß Gaddos sol-che Leute umbrachte – dazu war er ein vielzu guter Geschäftsmann. Er verkaufte unfä-hige Sklaven weiter. Seine bevorzugtenKunden waren einige Ärzte in, Teihara. Esgab noch unzählige medizinische Rätsel zulösen. Was von den Körpern der Opfer üb-rigblieb, rechtfertigte meistens nicht einmalmehr ein Begräbnis. Deshalb hatte Gwarn essich angewohnt, gewissermaßen zweigleisigzu arbeiten. Er war Gaddos gegenüber loyalund berichtete alles, was ihm zu Ohren kam.Dabei sortierte er jedoch sorgfältig alle In-formationen aus, die ihn gerade durch eineWeitergabe an den Hageren in Lebensgefahrgebracht hätten.

Magantillikens aufschlußreiche Erklärungließ nur einen Schluß zu: Dieser Fremdekannte sich im Innern der Kugel aus. Ge-fühlsbasis – diese Bezeichnung war fürGwarn nichtssagend. Immerhin wußte der

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Sklave sehr genau, daß die Kugel mit Feuer-strahlen um sich geschossen hatte. Er zog esvor, mit derlei Gefahren möglichst nicht inBerührung zu kommen. Wenn aber eineVerbindung zwischen Magantilliken und derKugel bestand, dann schleppte der Fremdevermutlich auch einige Waffen mit sich her-um. Gaddos war ein ungeduldiger Mann. Erwürde Magantilliken sofort zur Rede stellen,und da Gwarn seinen Herrn auf Schritt undTritt zu begleiten hatte, war das eine unan-genehme Aussicht.

Und dann war da noch etwas.Auch ein Sklave konnte sich auf dunklen

Wegen Informationen über die politischeLage verschaffen. In Teihara wußte man gutüber Vaanrhan Bescheid. Dort gab es keineSklaverei. Für Leute wie Gwarn war Vaanr-han die einzige Hoffnung, irgendwann ein-mal frei leben zu können. Wenn Teihendrudie Waffen aus der Kugel in die Hände be-kam, war Vaanrhan verloren. Der Fremdedagegen schien sich um das Schicksal derCkorvonen nicht zu kümmern. Er verfolgteeigene Ziele, die weder mit Frinalhan, nochmit dessen Gegner etwas zu tun hatten.Schlußfolgerung: Die sicherste Möglichkeit,Teihendru an weiteren Nachforschungen zuhindern, bestand darin, Magantilliken ge-währen zu lassen.

»Was träumst du da herum!«Gwarn fuhr herum. Gaddos winkte ihm

herrisch zu und schritt zur Tür. Der Sklavetrank einen letzten Schluck Tee, dann folgteer seinem Herrn. Er hatte seinen Entschlußgefaßt.

In dieser Nacht schlief er wie üblich aufeiner Matte vor der Tür des Hageren. Es warnoch dunkel, als jemand ihn heftig an derSchulter schüttelte. Er schlug die Augen aufund erblickte einen der Meteorologen.

»Ich habe eine dringende Nachricht fürGaddos!« erklärte der Ckorvone, als Gwarnsich aufrichtete. »Weck ihn auf!«

Der Sklave gehorchte nur ungern, Gaddoshaßte es, wenn man ihn im Schlaf störte.Aber er hatte Glück, denn die Nachricht warso gut, daß Gaddos in eine für seine sonstige

Mentalität erstaunlich gute Laune geriet.Das Tief hatte sich erneut verlagert. Wäh-rend der Nacht waren zwar die Temperatu-ren gestiegen, aber nach Meinung des Me-teorologen konnte man die Arbeiten unge-fährdet fortsetzen, solange man die üblichenVorsichtsmaßnahmen beachtete.

Der Hagere eilte sofort in das Hauptbüro.Lautsprecher dröhnten auf, und innerhalbvon Sekunden wurde es im Lager lebendig.Erschöpfte Männer bestiegen die Fahrzeugeund eilten auf das Lawinenfeld zurück. Un-ter den ersten, die sich nach draußen bega-ben, waren Magantilliken und Xonth, sowiedie Kugel namens Isthmy, deren Leistungenüberall im Lager teils Bewunderung, teilsabergläubische Angst geweckt hatten.

Gwarn registrierte mit Erleichterung, daßniemand ihm gegenüber einen Verdacht ge-schöpft hatte.

In diesem Augenblick kam ein dringenderFunkspruch für Gaddos herein. Gwarn folgteihm wie gewöhnlich, um sofort zur Stelle zusein, falls der Hagere ihm einen Auftrag ge-ben wollte. Zu seiner Verwunderung wurdeer jedoch aus dem Funkraum gewiesen,nachdem Gaddos nur zwei Worte mit sei-nem bisher nicht identifizierten Gesprächs-partner gewechselt hatte. Auch die Männer,die im Funkraum Dienst taten, wurden vondem Hageren höchst persönlich hinausge-jagt.

»Was mag das nun wieder bedeuten?«murmelte einer der Ckorvonen unsicher, alssie sich vor der nun geschlossenen Tür ver-sammelten. Gwarn hätte die richtige Ant-wort geben können, aber er zog es vor, denMund zu halten.

Seine Gedanken überstürzten sich. Dievöllig unvernünftige Angst, Gaddos könneihm doch auf die Schliche gekommen sein,versetzte ihn fast in Panik. Andererseits hät-te der Hagere deswegen wohl kaum mit Tei-hendru selbst gesprochen. Nein, es mußteeinen anderen Grund geben.

Als Gaddos mit einem heftigen Ruck dieTür aufstieß, zuckte Gwarn deutlich sichtbarzusammen. Aber sein Herr zollte ihm wenig

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Aufmerksamkeit.»An die Arbeit!« herrschte er die ratlosen

Funker an. »Du kommst mit!«Die Tür zu dem Zimmer, welches man

Magantilliken und seinem echsenhäutigenHelfer zugewiesen hatte, flog krachend ge-gen die Wand. Gaddos warf einen Blick aufdie leeren Feldbetten, dann wirbelte er her-um.

»Sie sind mit der ersten Gruppe hinausge-fahren«, warf Gwarn scheu ein.

Gaddos starrte ihn einen Augenblick langfast ausdruckslos an. Der Sklave kannte die-sen Blick. Die Wut des Hageren mußte un-vorstellbar sein. Er duckte sich, als die Handdes hochgewachsenen Ckorvonen sich ab-rupt hob, aber der Schlag, den er erwartete,kam nicht. Statt dessen drehte Gaddos sichum und rannte auf den Ausgang zu. Gwarnfolgte ihm verwirrt und unsicher. Er warvöllig benommen von den sich widerspre-chenden Gefühlen, die auf ihn eindrangen.Er hatte Angst. Er fürchtete den Moment, andem man Magantilliken angriff, denn erwollte noch eine Weile leben. Er zittertegleichzeitig davor, daß es gelang, den un-heimlichen Fremden zu überwältigen. Ma-gantilliken mußte gemerkt haben, daßGwarn das Gespräch mitgehört hatte. DieVerhörmethoden in Teihara waren dazu ge-eignet, den Opfern alles, was sie jemals er-fahren hatten, zu entreißen. Eine entspre-chende Bemerkung des Fremden war fürGwarn das Ende. Und Vaanrhan?

Das Wissen Magantillikens würde Tei-hendru zum mächtigsten Herrscher auf Xer-tomph machen …

»Wo bleibt der Wagen?«Gwarn stolperte vor Schreck und hastete

davon. Als er den Schneerutscher vor derTür der Baracke anhalten ließ, waren auchdie anderen sechs Mitglieder der Gruppe,die Gaddos in das Woronongtal begleitethatte, eingetroffen. Ein zweites Fahrzeugstoppte direkt hinter Gwarn. Gaddos warfsich auf den Nebensitz.

»Los!« befahl er seinem Sklaven. DerMotor heulte auf, und das leichte Fahrzeug

schoß mit einem heftigen Ruck vorwärts.Gwarn sah aus den Augenwinkeln heraus,daß der zweite Wagen ihnen folgte, dannhatte er für eine Weile genug damit zu tun,den Schneerutscher auf der glatten Bahn zuhalten. Mit halsbrecherischer Geschwindig-keit steuerte er den Wagen durch den Hohl-weg. Erst kurz vor dem zur Zeit letztenStützpunkt auf dem Lawinenfeld befahlGaddos ihm, die Geschwindigkeit zu verrin-gern. Fast lautlos kam das Fahrzeug direktvor dem schwarzen Zelt zum Stehen.

Gaddos warf einen Blick nach hinten,dann nickte er seinem Sklaven zu. Die bei-den Ckorvonen sprangen auf den Schneehinaus. Die anderen Männer aus dem zwei-ten Wagen verteilten sich blitzschnell umdas Zelt. Der Hagere zog zwei Waffen ausseinem Gürtel. Eine behielt er in der rechtenHand, die andere reichte er Gwarn.

»Ich will Magantilliken und seinenFreund lebend!« erklärte er leise. »Du darfstalso nur im äußersten Notfall schießen. Undwehe dir, wenn du einen der beiden dabeitötest!«

Gwarn nickte, aber sein Herr war schonam Zelteingang und schlug die Plane zu-rück. Magantilliken war nicht da. Nur vierSklaven in schmutzigen, nassen Pelzjackenstarrten ihnen erschrocken entgegen.

»Wo ist er?«Die Stimme des Hageren durchschnitt wie

ein Peitschenhieb die Stille im Zelt.Die Sklaven duckten sich und wichen

furchtsam ein Stück zurück. Gwarn biß sichauf die Lippen. Es gab keine Minute in sei-nem Leben, in der er Gaddos nicht gehaßthatte, aber in Augenblicken wie diesemdrohte dieser Haß übermächtig zu werden.Die vier Männer hatten nicht die leisesteAhnung, was dieser Kerl eigentlich von ih-nen wollte. Sie konnten gar nicht antworten.

Gaddos zog einen der Männer in die Höheund schlug ihm mit dem Handrücken insGesicht. Der Sklave stöhnte auf. Blut floßaus seiner Nase, und seine dunklen Augenflackerten vor Angst.

»Wo ist Magantilliken?« schrie Gaddos

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mit überschnappender Stimme.»Er ging hinaus, Herr!« stotterte der Skla-

ve und deutete mit seiner zitternden Handauf den Zelteingang. »Er wollte einen Rund-gang machen und die Arbeiten weiter vornekontrollieren.«

Gaddos stieß den Sklaven von sich. DerMann prallte schwer auf den Boden. AlsGwarn, der wie immer hinter seinem Herrnden Raum verließ, sich noch einmal kurzumsah, schrak er zurück. Die Augen der vierSklaven waren so voller Haß, daß er dieseBlicke fast körperlich spürte. Sie wußtennicht, daß Gwarn sich in derselben scheußli-chen Lage befand, sondern hielten ihn füreinen Spießgesellen des Hageren.

Draußen erwarteten sie die übrigen Män-ner. Zwei von ihnen hielten einen gut geklei-deten Ckorvonen mit ihren Waffen inSchach.

»Er kam eben hier an«, erklärte einer derBewaffneten lakonisch. »Er ist der Leiterder Gruppe.«

»Wo ist Magantilliken?« fragte Gaddoserneut.

»Er macht eine Inspektion«, erwiderte derandere verwirrt. »Das tut er doch ständig. Inein paar Minuten wird er wieder hier sein.«

»Wir warten«, entschied Gaddos rasch.»Zwei von euch gehen hinter das Zelt. Paßtauf, daß er euch nicht entwischt, aber bringtihn mir lebend zurück, falls er es versuchensollte. Alle anderen kommen mit in dasZelt.«

Die Zeit verstrich unendlich langsam. Im-mer wieder warf Gwarn einen verstohlenenBlick auf die Uhr. Das Warten machte ihnfast rasend. Hinzu kam die bedrückendeStille im Zelt. Die vier Sklaven hatten sichbeeilt, an ihre Arbeit zurückzukehren. DerGruppenleiter in seinem graublauen Pelzstarrte schweigend vor sich hin. Ab und zuwarf er Gaddos einen Blick zu, aber er wag-te es nicht, eine Frage zu stellen.

»Wo bleibt der Kerl?« wandte Gaddossich nach einer Weile wütend an den vor-nehmen Ckorvonen.

»Ich weiß es nicht. Vielleicht ist er aufge-

halten worden. Soll ich über Funk nach ihmsuchen lassen?«

Gaddos zögerte, dann schüttelte er denKopf.

»Noch nicht«, murmelte er. »Ich will ihnnicht warnen. Der Bursche ist gerissen. Wirwarten noch ein bißchen.«

Aber Magantilliken kam nicht. Endlichrang Gaddos sich doch zu dem Entschlußdurch, bei den Fahrern der Raupenschleppernachzufragen. Das Ergebnis war für Gwarnfast eine Erlösung. Magantilliken befandsich offensichtlich auf dem Weg zur Kugel.Er hatte sich in Begleitung seines Helfersund der seltsamen Maschine von dem Pio-niertrupp entfernt und war auf das nochnicht erschlossene Lawinenfeld hinausge-gangen. Angeblich suchte er nach dem kür-zesten Weg, um die Arbeiten noch schnellervoranzutreiben. Der Sklave beherrschte sicheisern, um seinen Triumph nicht zu zeigen.Diesmal würde Gaddos zu spät kommen!

Der Hagere allerdings gab so schnell nichtauf. Die Tatsache, daß er dem Fremdennachfahren wollte, sagte Gwarn genug. Esgab außer ihm mindestens noch einen Ckor-vonen, der von der Verbindung zwischenMagantilliken und der Kugel wußte. Gaddoshatte begriffen, daß dem angeblichen Lawi-nenspezialisten aus Grodh nichts ferner lag,als die Ckorvonen zu ihrem Ziel zu führen.

Sie kamen schnell voran, solange sie nochden provisorisch geschaffenen Weg benut-zen konnten. Dann blieb das letzte Fahrzeughinter ihnen zurück, und vor ihnen türmtensich Schnee, Eis und Felsbrocken zu fast un-überwindlichen Hindernissen auf. Gwarnhatte die Karte gesehen, auf der Magantilli-ken selbst den besten Weg über dieses ge-fährliche Gebiet eingezeichnet hatte. Dortwar die Verbindung zur Kugel fast geradli-nig. Die Wirklichkeit jedoch sah anders aus.Sie wanden sich zwischen den Hindernissenhindurch und verloren nur deshalb die Ori-entierung nicht, weil sie sich immer wiedernach den Konturen des Quamendrin richtenkonnten. Gwarn steuerte den kleinen Wagenverbissen vorwärts. Neben ihm saß Gaddos.

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Er blickte fast uninteressiert nach draußen.Die Waffe steckte locker in seinem Gürtel.Für einen Moment dachte der Sklave daran,daß er ebenfalls bewaffnet war, und dieflüchtige Idee zuckte in ihm auf, Gaddosumzubringen. Er verwarf den Gedanken.Hinter ihm ratterte das zweite Fahrzeug mitsechs schwerbewaffneten Männern über denunebenen Boden. Sechs Ckorvonen, dieGaddos treu ergeben waren.

»Halt!«Der Befehl kam so plötzlich, daß Gwarn

fast gegen einen Felsbrocken gefahren wäre.Gaddos stieg aus und ging zu dem zwei-

ten Fahrzeug zurück. Einer der Männer ver-ließ den Schneerutscher und begann, sich ander rissigen Wand des Felsbrockens hochzu-hangeln. Oben richtete er sich vorsichtig aufund sah sich um. Gaddos starrte ungeduldignach oben. Der Ckorvone auf dem Fels-brocken duckte sich plötzlich, dann ließ ersich hastig nach unten gleiten. Die letztenzwei Meter überwand er, indem er in denhier recht weichen Schnee sprang. Gwarnbemerkte, wie durch die Erschütterung vondem Schneeberg auf der linken Seite desWagens einige Brocken gelöst wurden undvor ihm auf dem Weg kullerten. Er fühltesich äußerst unbehaglich.

»Wir haben sie gleich«, keuchte der Ckor-vone, als er vor Gaddos stand. »Sie sind nurnoch durch diese Eisbrocken da vorne vonuns getrennt. Es sieht aus, als hätten sieSchwierigkeiten. Die kleine Kugelmaschineschwebt zwischen den Brocken herum. Ma-gantilliken und Xonth sitzen auf einem Fel-sen und warten anscheinend auf etwas. Wirkönnten sie leicht überraschen, wenn wiruns trennen und sie von zwei Seiten angrei-fen.«

»Gut«, nickte Gaddos. »Erkläre Gwarngenau den Weg.«

Der Sklave merkte sich die Angaben desBewaffneten und sah sich dann nach Gaddosum. Der Hagere erteilte den Männern imzweiten Wagen genaue Anweisungen.

»Wir steigen aus«, erklärte er, als er zuGwarn zurückkehrte. »Die Motoren sind zu

laut.«Gwarn kletterte schweigend aus dem

Schneerutscher. Er war froh, jetzt nicht mehrmit verhältnismäßig hohem Tempo über die-se gefährliche Fläche rattern zu müssen.

Die Männer der zweiten Gruppe ver-schwanden auf der anderen Seite des Fels-brockens. Gaddos überließ seinem Sklavendie Führung, sobald sie an die ersten Eis-brocken kamen. Er verzichtete sogar darauf,Gwarn zur Eile anzutreiben, denn auch erbegriff, daß jeder falsche Schritt tödlich seinkonnte. Sie wanden sich durch riesigeBlöcke aus trübem Gletschereis. Spalten la-gen dazwischen, die sie nicht überspringenkonnten. Aber der Ckorvone, der dem Skla-ven den Weg erklärt hatte, hatte diese Hin-dernisse mit einkalkuliert. Unaufhaltsam nä-herten sie sich der Stelle, an der Magantilli-ken ahnungslos wartete.

Gwarn blieb stehen, als sie den Markie-rungspunkt erreichten, den man ihm genannthatte. Mitten in dem Feld aus Gletschereisragte ein Felsen auf, eine schrägliegendePlatte von etwa fünfzig Metern Dicke. Siestieg auf dieser Seite sanft an. An der Bruch-kante am entgegengesetzten Ende solltenMagantilliken und sein Helfer sich aufhal-ten.

Gaddos warf einen Blick auf die Uhr,dann nickte er Gwarn zu.

»Geh hinauf!« flüsterte er scharf. »An derKante richtest du dich kurz auf, dannkommst du zurück.«

Der Sklave betrat vorsichtig den von einerdünnen Eisschicht überzogenen Felsen.Während er sich nach oben tastete, merkteer, wie ihm heiß wurde. Ärgerlich schob erdie Kapuze zurück. Die Steigung wurdestärker, er mußte sich voll darauf konzen-trieren, nicht den Halt zu verlieren. Dichtunterhalb der Kante blieb er für ein paar Se-kunden stehen, um wieder zu Atem zu kom-men, und erst da merkte er, daß er nicht nurdurch die Anstrengung ins Schwitzen gera-ten war.

Die Temperatur stieg!Er warf einen Blick nach oben und er-

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schrak. Deutlich sah er jetzt am Himmel diedünnen, spiralförmigen Wolkentürme, diesich über die Flanke des Quamendrin scho-ben und weiter oben zerfaserten. Ein lauwar-mer Windstoß fuhr durch die Luft. Die Män-ner in der Wetterstation hatten sich geirrt. Eswürde Sturm geben. Den typischen, heißenSturm der Berge.

Rechts ragte der nackte, glatte Felshangauf. Von dort drohte keine Gefahr. Die La-wine hatte alles mit sich gerissen, was lockerwar. Aber ein Stück weiter hinten hingennoch dicke Schneefelder über dem Tal. Dortbefand sich jetzt der Bergungstrupp. Gwarndachte an das, was Magantilliken zu der Ku-gelmaschine gesagt hatte. Er tastete nach derWaffe an seinem Gürtel. Gaddos konnte ihnvon hier aus nicht sehen. Wenn er jetztschoß, war der Fremde gewarnt. Gaddos undseine Leute hatten keine Chance. Und Hilfekam ganz sicher nicht …

Der Sklave biß die Zähne aufeinander.»Für Vaanrhan!« flüsterte er.Er hob die Waffe, zielte auf eine Schnee-

wächte in fast dreihundert Meter Entfernungund schoß. Der Knall brach sich an denFelswänden und kehrte als vielfaches Echozurück. Gwarn feuerte, bis das Magazin leerwar. Er lachte schallend, als er die erstenSchneebrocken fallen sah, schleuderte dieleere Waffe von sich und rutschte über dieglatte Fläche nach unten. Er sah das entsetz-te Gesicht des Hageren vor sich, als er aufihn zuraste, bemerkte auch die Waffe, dieauf ihn gerichtet war und warf sich zur Sei-te. Ein neuer Schuß zerriß die Stille. Schreiekamen von jenseits der Felsplatte. Gwarnnutzte den ungeheuren Schwung, mit dem erüber das letzte Stück des Felsbodens getra-gen wurde. Er landete nur einen Meter vonGaddos entfernt, der zu überrascht war, umschnell genug reagieren zu können. DieFaust des Sklaven traf den Hageren in derMagengegend. Gaddos klappte zusammen.Die Waffe entfiel seinen Händen. Gwarnbückte sich blitzschnell, und als Gaddos sichaufrichtete, drückte der Sklave ab.

Er sah das Loch in der Stirn seines Peini-

gers und wußte, daß Gaddos tot war. Er hieltden Atem an, als ihm die Bedeutung diesesAugenblicks zu Bewußtsein kam. Er hatteGaddos getötet. Sekundenlang war er wiegelähmt, dann schnellte er herum und ranntean dem Felsen entlang. Jetzt gab es kein Zu-rück mehr.

Vor ihm waren Schreie und wilde Flüche.Er duckte sich an das kalte, rissige Gesteinund schob sich behutsam weiter* »Nichtschießen, Isthmy!« gellte MagantillikensStimme auf.

Gwarn lächelte zufrieden. Der Fremdelebte noch, und das war die Hauptsache.Aber er hatte sechs Männer gegen sich, Siewollten Magantilliken lebend, aber das hießnicht, daß sie von ihren Waffen keinen Ge-brauch machen durften. Ihr Befehl lautete,den Fremden kampfunfähig zu machen.Gwarn kannte die Schergen seines Herrn gutgenug. Er mußte Magantilliken helfen, sonstkam der Fremde trotz allem nicht ans Ziel.

Er spähte um die Felskante herum. DieKugel namens Isthmy schwebte in einigerEntfernung über den Eisbrocken in der Luft.Sie rührte sich nicht. Magantilliken und seinHelfer hatten sich nur wenige Meter weiterrechts hinter einem Felsbuckel verschanzt.Die Deckung war ungenügend. Zu GwarnsVerwunderung waren die beiden Fremdentatsächlich unbewaffnet. Jedenfalls machtensie keine Anstalten, die Ckorvonen zu ver-nichten.

Durch eine halbdurchsichtige Eisplattehindurch sah Gwarn einen dunklen Schatten,der sich langsam vorwärtsbewegte. Das Zieldes Angreifers war klar erkennbar. Er wolltedie spärliche Deckung der beiden Fremdenumgehen, um sie von rechts her in Schachzu halten. Gwarn grinste böse, hob die Waf-fe und zielte sorgfältig, Magantilliken undXonth blickten in die falsche Richtung undwürden den herbeischleichenden Ckorvonenzu spät bemerken. Gwarn wartete, bis derandere an eine Stelle kam, die er nur mit ei-nem schnellen Sprung überwinden konnte.Er schoß, sah seinen Gegner zusammenbre-chen und robbte hastig näher an Magantilli-

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ken heran. Hinter einem Eisblock blieb erliegen. Er hielt nach seinem nächsten OpferAusschau.

Ein Schuß krachte, und dicht neben demrechten Ohr des Sklaven spritzten einigescharfe Eissplitter ab. Gwarn zog den Kopfein und rollte sich zur Seite. Er entdeckteden Schützen, der gerade erneut auf ihn an-legte. Gwarn war der Schnellere, und nungab es nur noch vier Gegner. Er versuchte,sie zwischen den Eisbrocken zu erkennen,aber die Schergen Gaddos' waren inzwi-schen vorsichtiger geworden. Sie hatten be-griffen, daß es einer der Ihren war, der sichunerwartet auf die Seite des Henkers stellte.Nachdem auch sie gemerkt haben mußten,daß Magantilliken erstaunlicherweise kaumWiderstand leistete, war das ein schlimmerSchock.

Gwarn verlor allmählich die Geduld. Vonweit her hörte er unheilverkündende Ge-räusche. Ein dumpfes Rumoren lag in derLuft. Das Eis unter ihm vibrierte von Zeit zuZeit. Der Wind wurde stärker und jagte klei-ne Schneebröckchen über die Spitzen derEisblöcke. Sie mußten diesen Ort verlassen,ehe es zu spät war.

Er sah sich nach Magantilliken um undstellte erschrocken fest, daß Xonth inzwi-schen davongeschlichen war. Der Fremdeselbst saß ungerührt auf seinem Platz. Umden schmalen Mund spielte ein spöttischesLächeln.

Links polterte ein Eisbrocken über denBoden. Der Sklave fuhr herum und saheinen Schatten auf sich zufliegen. In einemReflex hob er die Waffe und drückte ab. Erstals der schwere Körper auf den Boden prall-te, erkannte er seinen Fehler. Er hatte Xonthgetötet. Ehe er seine Fassung wiedergewin-nen konnte, schlangen sich von hinten zweiArme um ihn und drückten ihn hart zu Bo-den.

»So, Freundchen«, wisperte eine scharfeStimme an seinem Ohr. »Jetzt reicht es lang-sam!«

Gwarn verrenkte sich fast den hals, umdas Gesicht seines Gegners erkennen zu

können.Es war Magantilliken!Wieder bellte ein Schuß. Der Fremde lä-

chelte böse und schlug Gwarns Handgelenkgegen eine Eiskante. Die Waffe fiel in einenSchneeflecken. Magantilliken ergriff sie, oh-ne den Sklaven dabei aus dem Griff zu las-sen.

»Aufstehen!« befahl der Fremde leise.»Los jetzt, oder soll ich dir Beine machen?Sag deinen Freunden, sie sollen sich umge-hend hier einfinden und ihre Waffen ablie-fern. Und sie sollen sich beeilen, denn ichhabe keine Lust, dieses Spiel noch längermitzumachen. Kommen sie nicht, so stirbstdu.«

»Das hilft Ihnen nicht weiter«, keuchteGwarn verzweifelt. Er verstand nicht, wiedieser Fremde so begriffsstutzig sein konnte.Er mußte doch gemerkt haben, daß Gwarnihm nur helfen wollte. Warum stellte er sichnicht auf seine Seite?

»Das solltest du mir überlassen«, lächelteder Fremde kalt. »Steh endlich auf!«

Gwarn glaubte, einen Film zu sehen, derungeheuer schnell vor seinen Augen ablief.Ihm war schwindelig. Mühsam raffte er sei-ne Kräfte zusammen und kam taumelnd aufdie Füße. Er öffnete den Mund im selbenMoment, in dem der Schuß krachte, merkte,daß er fiel, und wunderte sich darüber, daßer keinen Schmerz spürte. Erst als er dasKnirschen unter seinen Füßen hörte, erkann-te er die Wahrheit.

Magantilliken huschte wie ein Schattenüber den bebenden, gleitenden Boden.Gwarn hörte ihn nach seiner Wundermaschi-ne rufen und lächelte versonnen. Es warsinnlos, jetzt noch zu fliehen. Das Lawinen-feld war in Bewegung geraten. Niemandkonnte das kommende Unglück überleben.Plötzlich fühlte er die grenzenlose Erschöp-fung. Er ließ sich zurücksinken und schloßdie Augen. Er dachte an Gaddos, der weiterhinten im Schnee lag, mit einem dunklenLoch in der Stirn. Für einen Augenblickwurde ihm schwarz vor Augen. Ein urwelt-haftes Krachen riß ihn aus der Ohnmacht.

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Die Felsplatte, an deren Fuß er lag, senktesich herab, zuerst langsam, dann immerschneller.

Tiefe Risse durchzogen das ganze Gebiet,Eis und Schnee stürzten in die Spalten, Fels-brocken setzten sich in Bewegung, als seiensie rachsüchtige Monstren, die alles zerstö-ren wollten, was nach der ersten Katastrophenoch übriggeblieben war. Aber davon merk-te Gwarn nichts mehr. Es dauerte einen hal-ben Tag, ehe wieder Ruhe eintrat. Ein hefti-ger Schneesturm kam auf und verwischte dieletzten Spuren. Als gegen Mitternacht auchdas vorüber war, regte sich im Woronongtalnichts mehr. Der Quamendrin hatte dieseungleiche Schlacht für sich entschieden.

6.

»Das kommt davon«, meinte Isthmy scha-denfroh, »wenn man unbedingt Rücksichtauf ein paar unterentwickelte Wilde nehmenwill.«

Magantilliken rieb sich die schmerzendeStirn und holte ein flaches Päckchen aus derJackentasche. Nachdenklich musterte er dasreichhaltige Angebot an farbigen Gelatine-kapseln und stellte sich dann eine kleineMahlzeit zusammen. Konzentrierte Nah-rung, Wasser, ein schmerzstillendes Mittelund eine milde Droge, die Ordnung in seineGedanken bringen sollte. Daß er eine Reihevon Fehlern begangen hatte, wußte er, abernoch störte es ihn nicht besonders. Er hatteZeit verloren, hielt die ihm gesetzte Frist je-doch für ausreichend.

»Wie weit ist es bis zur Oberfläche?«fragte er, ohne auf die Bemerkungen desKugelroboters einzugehen.

»Zehn Meter«, knarrte Isthmy.»Und die Gefühlsbasis?«»Ist inzwischen ziemlich weit von uns

entfernt. Wir sind mit dem Lawinenstromtalwärts geglitten, während die Station anOrt und Stelle geblieben ist. Der Schachtwurde verschüttet. Die Erinnye ist geradedabei, einen neuen Zugang anzulegen.«

»Dann stimme die Zeiten mit ihr ab und

sorge dafür, daß wir im richtigen Momentam Treffpunkt sind. Diesmal möchte ich denSchacht offen vorfinden, damit keine neuenWartezeiten entstehen.«

Isthmy schwieg einige Sekunden.»Alles in Ordnung«, meldete er dann. »In

ein paar Minuten kann ich anfangen.«Sie befanden sich in einem Hohlraum in-

nerhalb des Lawinenfeldes. Von allen Seitenher waren sie von Eisbrocken eingeschlos-sen. Ab und zu lösten sich noch kleineStücke aus der Decke der Kaverne, aberIsthmy hatte den Varganen in seinemSchutzschirm mit eingeschlossen, so daßMagantilliken vor unliebsamen Überra-schungen sicher war.

»Es war ausgesprochen dumm von dir,dich mitten in der Lawine zu verkriechen,statt die Flucht nach oben anzutreten«, be-merkte der Henker. »Wir hätten uns viel Ar-beit erspart.«

»Allerdings. Vor allen Dingen könntestdu dir keine Sorgen mehr machen und auchnicht mehr an mir herumkritisieren. Die La-wine und der anschließende Schneesturmwären nämlich für ein organisches Wesenwie dich tödlich gewesen. Ja, wenn du denSchutzanzug nicht zurückgelassen hättest…«

»Dann wäre ich keine zehn Schritt weit indas Lager der Ckorvonen gekommen!«

»Man hat dich auch so entlarvt«, stellteIsthmy trocken fest.

»Weil selbst die Ckorvonen sich nichtvorstellen können, daß es eine so idiotischeMaschine wie dich auf ihrem Planeten gebensoll«, gab Magantilliken giftig zurück.

»Ich nehme an, mit der idiotischen Ma-schine meinst du mich. Nun, immerhin habeich dir das Leben gerettet.«

»Was lediglich eine Erfüllung deiner ein-fachsten Pflichten war.«

»Das stimmt«, gab Isthmy zu. »Aber ohnedeinen Leichtsinn wärst du in eine solcheGefahr gar nicht gekommen. Du hast mirnicht einmal erlaubt, auf die Ckorvonen zuschießen, als sie dich angriffen.«

»Ein Energieschuß hätte sofort eine Lawi-

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ne ausgelöst!«»Ich habe nicht geschossen, und trotzdem

sind wir verschüttet. Außerdem hätte ich dieFremden ja auch paralysieren können.«

»Du vergißt, daß Xonth und ich dabeiebenfalls handlungsunfähig geworden wä-ren«, zischte Magantilliken wütend. »Wirsaßen mitten im Zentrum …«

»Mit Schutzanzug wäre das kein Problemgewesen«, unterbrach Isthmy seinen Herrn.»Wenn du ihn nicht zurückgelassen hättest,dann …«

»Schluß!« brüllte Magantilliken wild. DieSchallschwingungen reichten aus, um wie-der einen Schauer kleiner Eisbrocken ausder Decke zu lösen. »Halt endlich denMund, du verdammter Blechkasten. Machdich an die Arbeit, oder ich zerbeule deineAußenhülle!«

»Womit denn?« kicherte der Roboterschrill. »Mit deinen Fäusten? Du würdest dirhöchstens die Handgelenke verstauchen.«

Der Henker zwang sich, keine Antwortmehr zu geben. Es war völlig unsinnig, sichauf Diskussionen mit Isthmy einzulassen.Doppelt unsinnig, sich über dessen Behaup-tungen zu ärgern. Magantilliken atmete auf,als Isthmy endlich begann, einen Ausgangaus dieser kleinen Eishöhle zu schaffen.Selbst wenn man nicht unter Platzangst litt,konnte man sich an einem solchen Ort un-möglich wohl fühlen.

Er tastete nach dem Armbandgerät, dasbis auf einige nützliche Kleinigkeiten in sei-nen Taschen zur Zeit seine gesamte Ausrü-stung darstellte. Es war paradox, daß diesehochwertigen Erzeugnisse der varganischenTechnik auf diesem primitiven Planeten fastvöllig ihre Bedeutung einbüßten. Er ver-mochte es, ein Schirmfeld um sich zu errich-ten, das ihn vor energetischen Waffen allerArt schützte – aber die Ckorvonen verwen-deten altertümliche Gewehre, gegen derenProjektile Magantilliken machtlos war. Erkonnte sich auch in ein Antischwerkraftfeldhüllen, aber aus irgendeinem Grund funktio-nierte der Deflektor nicht mehr. Magantilli-ken mochte an den Schalter herumhantieren,

soviel er wollte, er war und blieb sichtbar.Ein fliegender Mann aber war etwas, wasdiese schießwütigen Ckorvonen zweifellossofort als lohnendes Ziel identifizierten. Daswinzige Gerät beeinflußte außerdem jedesfeindliche Robotgehirn, schützte seinen Trä-ger vor der Erfassung durch energetische Si-cherheitssysteme und öffnete selbst diekompliziertesten positronischen Schlösser –aber das alles waren Dinge, die man aufXertomph erst noch erfinden mußte. Kurz:Der Henker, sonst seinen Gegnern stets weitüberlegen, war darauf angewiesen, sich aufseine eigenen Fähigkeiten zu verlassen. Waser auch tat. Trotzdem kam er allmählich zuder Erkenntnis, daß er die Ckorvonen unter-schätzt hatte.

Nun, dachte er, das macht nicht viel aus.Bald sind wir oben, und dann ist die Aktionso gut wie erledigt. Die Eingeborenen wer-den sich hüten, es noch einmal mit diesemverdammten Berg aufzunehmen.

»Kopf weg!« schrie der Roboter.Magantilliken warf sich hastig zur Seite,

aber er konnte es nicht verhindern, daß eineriesige Ladung Schnee ihn fast unter sichbegrub. Wütend wühlte er sich aus dem kal-ten Zeug. Isthmy kam langsam herabge-schwebt. Seine Sehwellen glitzerten, undMagantilliken hegte den üblen Verdacht,daß diese Maschine ihn zum Narren haltenwollte.

»Der Schacht ist fertig«, verkündete dieKugel ungerührt.

»Wie sieht es oben aus?«»Die Gegend hat sich ziemlich verändert.

Außerdem sind wir weiter abgetrieben wor-den, als ich dachte.«

»Du denkst?« fragte der Topoyther höh-nisch. Isthmy überging die Bemerkung groß-zügig.

»Wir befinden uns fast am Ende des La-winenfeldes«, fuhr er seelenruhig fort.»Draußen liegt der Schnee meterhoch.«

»Das habe ich gemerkt. Warum hast dudeinen Strahler nicht eingesetzt?«

»Mein Waffensystem wurde bei einemAnprall beschädigt und ist zur Zeit nicht ein-

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satzfähig«, erwiderte Isthmy.Magantilliken zuckte zusammen. Bis zu

diesem Augenblick hatte er es für selbstver-ständlich gehalten, daß Isthmy völlig unver-sehrt geblieben war.

»Du hattest genug Zeit, um dich zu rege-nerieren«, stellte er mißtrauisch fest.

»Die Schäden sind zu schwerwiegend. Ichkann sie mit meinen Mitteln nicht beseiti-gen.«

Jetzt war der Vargane alarmiert. Isthmylegte grundsätzlich ein Verhalten an denTag, das für einen Roboter zumindest unge-wöhnlich war. Das hätte ihn aber nicht daranhindern dürfen, seinen Herrn eingehend zuinformieren. Magantilliken setzte zu der Fra-ge an, welche Teile der Kugel sonst nochaußer Betrieb waren, hielt dann aber denMund. Er wußte zu genau, daß er sich auf'Isthmy von nun an nicht mehr voll verlassendurfte. Das war fatal.

»Gehen wir«, murmelte der Tropoythernachdenklich.

Isthmy schwebte voran. Sie verließen denSchacht. Magantilliken war jetzt vorsichti-ger denn je. Er rechnete mit allerlei Überra-schungen, und er hatte sich nicht getäuscht.Über den Rand des Loches hinweg erkannteer in geringer Entfernung mehrere rundeSchneehügel, die verdächtig gleichmäßigangeordnet waren. Isthmy schwebte re-gungslos ein Stück über ihm.

»Ortung?« fragte Magantilliken unruhig.Der Roboter schwieg.Der Tropoyther überlegte fieberhaft, aber

er fand keinen Ausweg. Er mußte zu der Ge-fühlsbasis vordringen, und die seltsamenSchneehaufen versperrten ihm den Weg.Langsam schob er sich weiter aus dem Lochheraus. Er hatte den Schacht fast verlassen,als Isthmy ihn durch eine ungeschickte Be-wegung ins Trudeln brachte. Das rettete demHenker das Leben.

Plötzlich waren die Schneehaufen ver-schwunden. An ihrer Stelle standen Ckorvo-nen in weißen Pelzen, die klobige Waffen inden Händen hielten. Es ratterte und knallte.Rings um den Henker spritzte der Schnee

hoch. Magantilliken regulierte hastig dieEinstellung des Antigravgerätes in seinemArmband. Irgendwie gelang es ihm, unver-sehrt in den Schacht zurückzuweichen. Erblickte nach oben und sah Isthmy, der nochimmer die Stellung hielt, obwohl Dutzendevon Projektilen gegen seine Außenhülleprallten. Die Geschosse konnten das hoch-wertige Material nicht durchdringen, aberauch der Roboter vermochte es kaum, denCkorvonen etwas anzuhaben. Er hätte siehöchstens mit seinen Handlungsarmen un-schädlich machen können, aber es gab zuviele Angreifer.

»Isthmy!« schrie der Vargane hinauf. Erhoffte, daß der Roboter trotz des Lärms sei-ne Stimme identifizierte und verstand. »Setzdich mit der Erinnye in Verbindung und er-kläre ihr die Situation. Anschließend kehrstdu zum Schiff zurück und strahlst eine Mel-dung nach Yarden, ab. Sie sollen überTransmitter jemanden in die Gefühlsbasisschicken. Anschließend läßt du dich an Bordreparieren. Erst dann nimmst du wieder Ver-bindung mit mir auf. Schwirr ab!«

Der Roboter gab keine Antwort. Magan-tilliken sah ihn in unsicherem Flug davon-taumeln, immer wieder von den Geschossender Eingeborenen aus der Bahn geworfen,und ein unangenehmes Gefühl in der Ma-gengegend befiel ihn. Nun stand er ganz al-lein gegen eine Meute von wütenden Ckor-vonen.

Kaum war Isthmy verschwunden, da wur-de der Beschuß eingestellt. Vorsichtig späh-te der Vargane über den Rand des Schach-tes. Die Ckorvonen hatten das Loch um-stellt.

»Kommen Sie heraus!« befahl eine biszur Unkenntlichkeit vermummte Gestalt.»Aber mit erhobenen Händen, wenn ich bit-ten darf.«

Magantilliken befolgte den Befehl. Nochimmer hatte er die geringe Hoffnung, sichaus eigener Kraft befreien zu können. So-bald die Eingeborenen meinten, ihren Ge-fangenen nun sicher zu haben, wollte er sei-ne Kenntnisse in der Kunst des Nahkampfs

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anbringen. Aber auch diese Hoffnung erwiessich als trügerisch, denn ehe er noch in dieReichweite der Ckorvonen kam, sauste einlanges Seil durch die Luft. Ein zweites folg-te, und Sekunden später war der Henker derVarganen so fest verschnürt, daß er keinenFinger mehr zu rühren vermochte. Man ver-staute ihn auf einem leichten, schlittenähnli-chen Gefährt und transportierte ihn ab.

Am Ende des Lawinenfelds wartete einklobiges Fahrzeug mit einem kastenförmi-gen, metallenen Aufbau. Aber Magantillikenwurde wider Erwarten nicht sofort einge-sperrt, sondern erst zu einem Mann ge-bracht, der offensichtlich Gaddos' Stelle ein-genommen hatte. Der Kerl hatte wohl dieAbsicht, ein kleines Psychospiel zu veran-stalten. Er stand regungslos da, starrte denVarganen an und sagte lange Zeit kein Wort.Magantilliken gab die Blicke des Eingebore-nen kalt und scheinbar gleichgültig zurück.

»Ihr Spiel ist aus«, sagte der andere end-lich. »Sie werden keine Gelegenheit mehrerhalten, weiteres Unheil anzurichten. Ichmöchte nicht in Ihrer Haut stecken. Die Ver-brechen, derer man Sie beschuldigt, werdenIhnen einen äußerst unangenehmen Tod ein-bringen. Sie haben Sabotage an einem staat-lichen Projekt verübt, den Tod von einigentausend Bürgern des Landes Frinalhan ver-schuldet und Gaddos ermordet. Der Materi-alschaden läßt sich noch nicht abschätzen.«

Der Vargane schwieg. Er hielt es für unterseiner Würde, auf diese unsinnige Anklagezu antworten. Die Ckorvonen waren an ih-rem Mißgeschick selbst schuld. Die Dro-hung, man würde ihn töten, ließ den Henkervorerst ungerührt. Noch hatte er wenigstensdas Armbandgerät, und es war bisher nochniemandem gelungen, ihn für längere Zeit ineinem Gefängnis festzuhalten. Die Ckorvo-nen würden ihn nicht einen Kopf kürzer ma-chen, ehe sie ihm nicht einige seiner Ge-heimnisse entlockt hatten. Es blieb ihm alsoeine Galgenfrist. Bis dahin war gewiß auchIsthmy wieder zur Stelle. Die Anlagen anBord des Doppelpyramidenschiffs konntendie entstandenen Schäden innerhalb kürze-

ster Zeit beheben.»Es wird übrigens gleich einen ziemli-

chen Knall geben«, fuhr der Ckorvonegleichmütig fort. »Teihendru hat sich er-laubt, ihr herrliches Schiff suchen zu lassen.Das Versteck war nicht besonders originell.Natürlich gehen wir nicht das Risiko ein,uns diesem Flugkörper persönlich zu nähern.Eine ferngesteuerte Rakete mit einer Atom-bombe an Bord wird uns die Arbeit abneh-men.«

Magantilliken preßte die Lippen aufeinan-der und bemühte sich verzweifelt, in diesemAugenblick die, Beherrschung nicht zu ver-lieren. Das war tatsächlich ein harter Schlagfür ihn.

Der Eingeborene zückte umständlicheinen Zeitmesser. Langsam hob er die Hand.Es wurde totenstill. Selbst Magantillikenhielt unwillkürlich den Atem an, als dieHand des Ckorvonen plötzlich nach untenfuhr. Zuerst geschah nichts. Dann zuckte eingreller Blitz über den Himmel. Jenseits derBerge quoll eine dunkle Wolke auf, dieschnell eine nur allzu vertraute Form an-nahm. Erst viel später folgte der Donner derExplosion. Magantilliken zwang sein Ner-vensystem gewaltsam zur Ruhe.

»Sie sehen hoffentlich ein, daß wir nichtmit uns spielen lassen«, bemerkte der Ckor-vone mit einem strahlenden Lächeln.»Vielleicht sind wir in Ihren Augen tatsäch-lich nichts als dumme Halbwilde, aber dasändert nichts an der Tatsache, daß Sie sichnunmehr in unserer Gewalt befinden. Siewerden uns noch sehr viel zu erzählen ha-ben.«

Er nickte einem anderen Eingeborenen zu.Magantilliken sah ein blitzendes Instrumentin dessen Hand. Er konnte der dünnen Nadelnicht ausweichen. Wie ein Feuerstromdurchraste ein Medikament seine Adern,dann schienen sich die Ckorvonen in rasen-dem Tempo von ihm zu entfernen, bis sienur noch die Größe winziger Insekten besa-ßen. Ein dumpfes Dröhnen riß den Varganenin einen Strudel aus Licht und Farben, bis erin die absolute Finsternis der Bewußtlosig-

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keit geschleudert wurde.

*

»Wachen Sie auf!«Er lag auf einer harten Pritsche. Ihm war

kalt. Auf der nackten Haut spürte er das un-angenehme Kratzen einer rauhen Decke. DieWände, die ihn umgaben, waren aus massi-vem Stein gehauen. Hinter einem metallenenGitter mit feinen Maschen hingen eine Lam-pe, ein Lautsprecher und ein Mikrophon. Esgab keine Möbel, nicht einmal einen Tisch.Am Fußende seines Lagers entdeckte Ma-gantilliken ein paar graue Kleidungsstücke.Auf dem Steinboden standen Schuhe, diehart und unbequem aussahen.

Im ersten Moment wußte er nicht, wie erhierhergekommen war und welche Bedeu-tung der Raum hatte. Als ihm endlich dieWahrheit dämmerte, richtete er sich er-schrocken auf.

Seine Kleidung war verschwunden, dasArmbandgerät hatte man ihm abgenommen.Damit waren seine letzten Hilfsmittel verlo-ren. Er fluchte unterdrückt, aber ein gehässi-ges Lachen aus dem Lautsprecher brachteihn rasch zum Schweigen.

»Das hätten Sie sich nicht träumen lassen,wie?« klang eine kalte Stimme auf. »Sie sit-zen fest, Magantilliken. Ich weiß, daß Sieein großartiger Kämpfer sind, aber gegendiese Wände läßt sich mit Muskelkraftnichts ausrichten. Die Dinge, die wir in Ih-ren Taschen fanden, werden im Augenblicksehr intensiv untersucht. Ich weiß, daß Sieaus dem Weltraum zu uns kamen. Sie verfü-gen über Kenntnisse, die ich haben will.«

»Warum?«»Das ist eine dumme Frage. Um der Herr-

scher über diesen Planeten zu werden, wassonst?«

»Dann sind Sie also dieser machtgierigeDiktator Teihendru, über den ich so viele Ih-rer Leute habe schimpfen hören.«

»Sie sollten nicht versuchen, mich zu rei-zen, Magantilliken«, sagte Teihendru leise.»Vergessen Sie nicht, daß ich Ihr Leben von

nun an gestalten kann, wie es mir Spaßmacht. Man sagt von mir, ich hätte einenHang zur Grausamkeit. Solche Gerüchtesind mir nur willkommen. Mein Volk zittertvor mir, und gerade deshalb leistet es auchsehr viel. Aber wechseln wir das Thema. In-teressiert es Sie nicht, warum wir Sie soschnell durchschaut haben?«

»Ich kann es mitdenken«, murmelte derVargane unwillig.

»Meine Tochter gab mir die ersten Hin-weise. Ich hätte ihr vermutlich kein Wortvon ihrer phantastischen Geschichte ge-glaubt, aber kurz darauf meldete sich einFallensteller, der Sie beim Diebstahl über-rascht hatte. Nun, ich schickte ein paar Flug-zeuge los, die mir hervorragende Aufnah-men von der Ebene der Tempel mitbrachten.Es war alles ganz einfach.«

»Es war ein Fehler, das Raumschiff zuzerstören«, bemerkte Magantilliken.

»O nein«, wehrte Teihendru ab. »DiesesFahrzeug war mir entschieden zu gefährlich.Solange es sich auf unserem Planeten be-fand, hatten Sie immer einen Rückhalt. Er-stens hätten Sie Xertomph jederzeit verlas-sen können, und zweitens war das Schiff eindeutlicher Wegweiser für alle, die etwa nachIhnen suchen sollten.«

Magantilliken lachte leise vor sich hin.Der ganze Irrsinn der Situation kam ihm zuBewußtsein. Dieser kleine Diktator bildetesich tatsächlich ein, einen hervorragendenFang gemacht zu haben. Er wußte nichts vonder tejonthischen Flotte, die in wenigen Ta-gen in das System eindringen würde. Wenndie Gefühlsbasis bis dahin nicht repariertwar, würde Teihendru vermutlich mehrRaumschiffe zu sehen bekommen, als ihmlieb war. Und nicht nur Schiffe, sondernauch Waffen. Abgesehen davon, daß esgleichgültig war, ob die verwirrten Tejon-ther sich auf Xertomph austobten oder nicht.Ohne den Kreuzzug nach Yarden war auchTeihendrus Herrschaft beendet.

»Was wollen Sie von mir?« fragte derHenker abweisend.

»Das sagte ich bereits. Technische Infor-

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mationen. Besonders interessieren michWaffen aller Art.«

»Sie werden Ihnen nichts mehr nützen,wenn Sie mich nicht sofort freilassen.«

»So?«Magantilliken hörte den spöttischen Un-

terton heraus. Es war sinnlos. Teihendru hat-te sich in seiner Idee festgerannt und würdeihm nicht einmal zuhören. Außerdem wußteer viel zu wenig über die kosmischen Zu-sammenhänge, als daß er die Folgen seinesVorgehens verstehen konnte. Dennoch muß-te der Vargane es versuchen. Die Existenzeiner ganzen Welt hing davon ab.

»Ich muß in die Station eindringen!« er-klärte Magantilliken eindringlich. »Die Ku-gel unter dem Schnee ist ungeheuer wichtig.Sie muß innerhalb der nächsten vier Tageihre Arbeit aufnehmen. Teihendru, ich war-ne Sie! Es geht nicht um Sie oder um mich,sondern um das Leben unzähliger Wesen.Ich werde dafür sorgen, daß mein Volk sichum Sie kümmert. Sie sollen Waffen haben,soviel Sie wollen. Aber lassen Sie mich mei-ne Arbeit tun. Xertomph und viele anderePlaneten werden sonst aufhören zu existie-ren!«

»Ach nein«, sagte Teihendru freundlich.»Was Sie nicht sagen! Mir scheint, ich habeversehentlich einen der legendären Göttereingesperrt. Mich wundert nur eines: WennIhre Macht tatsächlich so ungeheuer großist, warum haben Sie sich dann so leichtübertölpeln lassen?«

Magantilliken schwieg. Jedes weitereWort wäre Zeitverschwendung gewesen.

»Nun«, begann Teihendru beschwingt.»Ich schlage vor, wir überlassen das Aus-spinnen von Märchen den alten Weibern undwenden uns wieder dem Kern dieses Ge-sprächs zu. Sind Sie bereit, für mich zu ar-beiten?«

Der Vargane antwortete auch jetzt nicht.»Sehr entgegenkommend sind Sie nicht«,

stellte Teihendru unbeeindruckt fest. »Aberdas macht nichts. Noch haben Sie Zeit, essich zu überlegen. Wenn Sie vernünftig sind,können Sie sich Ihre Zukunft sogar recht an-

genehm gestalten. Wenn nicht – aber dasdürfen Sie sich selbst ansehen, denn sonstglauben Sie mir am Ende nicht. Ich will Ih-nen nur soviel verraten: Wir verfügen überein Mittel, das jeden zum Sprechen bringt.Das Traurige daran ist nur, daß jemand, derdem Einfluß der Niava-Kristalle einmal aus-gesetzt wurde, für den Rest seines Lebenseine Hülle ohne Geist ist. Ein lallender Idiot,der nicht einmal fähig ist, die einfachstenDinge zu tun. Das wäre doch ein sehr un-würdiges Ende für einen Mann von denSternen, in dessen Händen das Schicksal sovieler Planeten ruht, nicht wahr?«

Teihendru kicherte höhnisch, dann riß dasGeräusch abrupt ab.

Magantilliken stützte den Kopf in dieHände und starrte blicklos zu Boden. Ver-zweifelt suchte er nach einem Ausweg. DieLage war hoffnungslos. Zwar bestand dieMöglichkeit, daß die Gefühlsbasis dochnoch rechtzeitig in Betrieb gesetzt wurde,aber an seinem persönlichen Schicksal än-derte sich dadurch wenig. Selbst wenn manihn aus den Klauen dieses machtgierigenDiktators befreite, würde er durch eine sol-che Rettung nur vom Regen in die Traufegeraten. Er hatte seine Chance, in die EisigeSphäre zurückkehren zu dürfen, verspielt.Alle seine Bemühungen waren erfolglos ge-blieben.

»Teihendru!«Im Lautsprecher knackte es.»Sie wünschen mich zu sprechen, edler

Herr?« fragte der Diktator höhnisch.»Ich nehme Ihr Angebot an. Lassen Sie

mich heraus, damit ich mit der Arbeit begin-nen kann.«

Das Gelächter des Ckorvonen sprengtefast den Lautsprecher aus seiner Fassung.

»Köstlich!« keuchte Teihendru, als erwieder zu Atem gekommen war. »Ich lasseSie heraus, Sie beginnen mit der Arbeit, undderen erster Teil besteht darin, daß Sie sicheinen schnellen Fluchtweg suchen. HaltenSie mich wirklich für so dumm? Ich lasseIhnen Schreib- und Zeichenmaterial in dieZelle bringen, und wenn Sie brav sind, er-

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laube ich Ihnen in ein paar Wochen den er-sten Spaziergang.«

Die Erinnye wanderte ruhelos durch diestillen Räume der Station. Der Kontakt zuMagantilliken war abgerissen. Isthmy hieltsich oben versteckt. Er berichtete vom Ab-zug der Eingeborenen, die nun, da sich derVargane in ihrer Gewalt befand, anschei-nend das Interesse an der geheimnisvollenKugel unter dem Schnee verloren hatten.Der Schacht war fast fertiggestellt, aber esgab niemanden, der ihn benutzen konnte.Höchstens die Erinnye selbst würde sichdurch ihn an die Oberfläche begeben, um je-nen verzweifelten Impuls nach Yarden abzu-strahlen, der die Tropoythers über die Situa-tion auf Xertomph aufklärte und gleichzeitigden komplizierten Robotkörper in eine Glut-wolke verwandelte.

Es blieben noch drei Tage bis zum Ein-treffen der Tejonther, und die Zeit vergingschnell.

Ein leiser Gongschlag rief die Erinnye indie Zentrale. Ein Bildschirm hatte sich akti-viert und zeigte das Innere der Transmitter-kammer. Die beiden Fremden waren endlicheingetroffen. Blitzschnell entwickelte derätherisch wirkende Roboter einen Plan,durch den alle Schwierigkeiten gelöst wer-den konnten.

7.

Ein Sog, der sie unwiderstehlich davon-wirbelte, Dunkelheit, dann ein glühenderWirbel, in dessen Mittelpunkt sie geschleu-dert wurden, unerträgliche Schmerzen undschließlich die erlösende Stille einer tiefenOhnmacht – das waren ihre letzten Ein-drücke. Als sie wieder zu sich kamen, befan-den sie sich in einem lichtdurchflutetenRaum. Die fremdartigen Kontrollelementean den Wänden schienen sie mit ihren bun-ten Lichtern höhnisch anzublinzeln.

»Wo sind wir?« fragte Crysalgira benom-men.

»In einer varganischen Station«, vermute-te Atlan. Er wollte sich den Schweiß von der

Stirn wischen, stieß jedoch mit demHandrücken gegen den Helm des tejonthi-schen Raumanzugs, den er immer noch trug.Ein rascher Blick auf die Kontrollsystemevermittelte ihm zweierlei Erkenntnisse. Er-stens war der Raum um sie herum mit eineratembaren Atmosphäre gefüllt. Zweitenswar fast gar keine Zeit vergangen, seitdemsie die Gefühlsbasis im Mithuradonk-Sy-stem betreten und dort Bekanntschaft mit ei-ner neuen teuflischen Falle der Varganen ge-macht hatten.

»Die tejonthische Flotte …«, begann Cry-salgira, die sich überdeutlich an die kritischeSituation auf dem luftleeren Trabanten erin-nerte.

»Die Tejonther sind wir erst einmal los«,unterbrach Atlan das Mädchen und klappteden Helm zurück. In tiefen Zügen sog er diefrische Luft ein. »Das Mithuradonk-Systemdürfte ebenfalls weit entfernt sein. Man hatuns durch einen Transmitter geschickt.«

Die arkonidische Prinzessin wußte, daßman im Großen Imperium fieberhaft an derEntwicklung eines solchen Geräts arbeitete.Bisher waren alle Bemühungen erfolglos ge-blieben.

»Diese Varganen werden mir immer un-heimlicher«, gestand sie leise. »Sie müssenuns technisch unvorstellbar weit überlegensein!«

»Das sind sie auch«, versicherte Atlangrimmig. »Das Traurige daran ist nur, daßsie ihre hervorragenden Kenntnisse nicht fürvernünftige Ziele einsetzen. Aber lassen wirdas. Suchen wir lieber nach einem Aus-gang.«

Es wurde ihnen sehr schnell klar, daß sieohne fremde Hilfe diesen Raum nicht verlas-sen konnten. Atlan kannte sich mit der var-ganischen Technik inzwischen ganz gut aus,und die Betätigung eines Türkontakts bedeu-tete kein Problem für ihn. Das Schott jedochreagierte auf seine Bemühungen überhauptnicht.

»Vielleicht ist die Station längst verlas-sen«, überlegte Crysalgira ängstlich. »Werweiß, in welcher Ecke dieses Universums

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wir gelandet sind. Wie groß ist eigentlich dieReichweite solcher Transmitter?«

»Ich weiß es nicht.«Atlan dachte unwillkürlich an den Plane-

ten der Vulkanbäume, die Robotstation unddas dort aufgestellte Gerät, das ihn mitten inden Palast des Kyriliane-Sehers beförderthatte. Er glaubte, das Gesicht dieses vargani-schen Mutanten vor sich zu sehen, die riesi-gen Kristalle, die dem vom Wahnsinn zer-fressenen Unsterblichen die verlorengegan-genen Augen ersetzten, und er schütteltesich.

»Die einzige Bekanntschaft mit einemTransmitter«, fuhr er hastig fort, »bei der ichhätte Vergleiche anstellen können, liegt er-stens sehr lange zurück und läßt sich zwei-tens mit der bestehenden Situation nicht ver-gleichen, denn es waren keine technischenGeräte daran beteiligt. Fartuloon besaß ein-mal einen großen, sehr ungewöhnlichen Kri-stall. Er nannte ihn Omirgos. Mit Hilfe die-ses Kristalls ließen sich ähnliche Effekte er-reichen, wie wir sie eben erlebt haben.«

Atlan kam nicht dazu, Einzelheiten überdieses Erlebnis preiszugeben, denn völligunerwartet öffnete sich das Schott.

»Ihre Geschichte ist sehr interessant«, be-merkte das von durchsichtigen Schleiernumwehte, mädchenhaft zarte Geschöpf, dashalb schwebend, halb tänzelnd in der Tür-öffnung erschien. »Ich würde sie mir gernein Ruhe anhören, aber leider drängt dieZeit.«

Crysalgira krallte die Finger der rechtenHand in Atlans Arm, und auch der Arkonidewich unwillkürlich einen Schritt zurück. DieErinnye blieb einige Schritte vor ihnen ste-hen und vollführte scheinbar sinnlose Bewe-gungen mit den Armen. Atlan vermochte dieAugen nicht von ihr zu wenden. Die dünnenSchleier schimmerten und änderten bei jederBewegung ihre Strukturen. Er glaubte, eineferne Musik zu hören. Die Bewegungen deserstaunlichen Roboters bekamen einen Sinn.Sie wurden zu einem eigenartigen Tanz, derAtlan völlig in seinen Bann schlug.

Komm zu dir, du Narr! befahl sein Extra-

hirn mit schmerzhafter Intensität.Der Arkonide blinzelte verwirrt. Schlag-

artig war die Musik verschwunden. Die Er-innye wedelte immer noch mit den Armen,aber der Tanz hatte seine Wirkung verloren.

»Genug!«.Die Stimme des Arkoniden durchdrang

wie ein Schrei die absolute Stille. Die Erin-nye erstarrte mitten in der Bewegung. Crys-algira stand wie gebannt an ihrem Platz, undder leere Blick in ihren Augen bewies, daßsie dem Einfluß des Roboters erlegen war.Atlan packte das Mädchen bei den Schulternund zog es zur Seite. Die Arkonidin zucktezusammen und stöhnte unterdrückt auf.

»Dieses Biest …«, stieß sie hervor, aberin derselben Sekunde hatte auch die Erinnyesich wieder gefangen.

»Es ist sehr bedauerlich«, stellte sie fest.»Sie hätten sich nicht dagegen auflehnensollen, denn dann wäre alles leichter gewe-sen.«

Ein von hauchzartem Gespinst umwehterArm hob sich gebieterisch. Etwas Kaltesstreifte das Gesicht des Arkoniden. Crysalgi-ra stieß einen leisen Seufzer aus und sank insich zusammen. Atlan versuchte, den schlaf-fen Körper aufzufangen, aber plötzlich hieltihn etwas fest und gestattete ihm nicht diegeringste Bewegung. Eisige Kälte füllte ihnaus. Er hatte das Gefühl, in einem Eisblockzu stehen. Seltsamerweise wurde er nichtbewußtlos. Hilflos mußte er zusehen, als dieErinnye sich bückte und Crysalgira mit einerHand flüchtig an der Stirn berührte. Einkindliches Lachen ertönte, bei dem der Ar-konide deutlich spürte, wie sich die kleinenHaare in seinem Nacken kribbelnd aufrich-teten.

»Sieh an«, sagte der Roboter mit seinerglockenhellen Stimme. »Dieses Mädchen istdavon überzeugt, daß Sie ein großartigerKämpfer sind und ein sehr ritterlicher jungerMann dazu. Das ist interessant. Unter diesenUmständen werden Sie sicher bereit sein, al-les zu tun, um dieser bezaubernden Frau einunerfreuliches Ende zu ersparen.«

Atlan starrte den Roboter haßerfüllt an.

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Die Erinnye lachte amüsiert und wandte sichab. Crysalgira schwebte neben dem künstli-chen Wesen her. Die beiden verschwandendurch das offenbleibende Schott im Innernder Station. Wütend bemühte sich der Arko-nide, dem unsichtbaren Gefängnis zu ent-kommen. Es gelang ihm nicht.

Du verschwendest deine Kräfte! warntedas Extrahirn. Spare sie dir lieber für späterauf. Du bekommst noch genug zu tun. Etwasstimmt nicht in dieser Station!

Das habe ich auch schon gemerkt, dachteAtlan ärgerlich. Aber was hat die Erinnyemit uns vor?

Sie wird es dir mit Sicherheit in kürzesterZeit mitteilen. Eines steht bereits fest: InYarden bist du nicht gelandet. Es scheintfast so, als gäbe es im Augenblick keineMöglichkeit, dich und Crysalgira dorthin zubringen.

Die Rückkehr der Erinnye unterbrach dielautlose Unterhaltung. Atlan wurde von un-sichtbaren Kräften durch das Schott gezogenund in einen großen Raum transportiert. Ersah mehrere Bildschirme, von denen jedochnur einer in Betrieb war. Auf der milchigenFläche zeichneten sich schroffe, teilweisevon Schnee bedeckte Berge ab. In der Mitteder kuppelförmigen Halle erhob sich ein mitseltsamen, metallisch glitzernden Auswüch-sen bedeckter Buckel. Daneben lag Crysal-gira regungslos auf dem harten Boden.

»Sie ist bei Bewußtsein«, bemerkte dieErinnye beiläufig. »Sie wird also unsere Un-terhaltung genau verfolgen können.«

»Was willst du?«Atlan war überrascht über die Tatsache,

daß seine scheinbar völlig steifgefrorenenLippen verständliche Laute zu formen ver-mochten.

»Du wirst Magantilliken befreien undhierher bringen«, erklärte die Erinnye gelas-sen. »Du hast genau drei Tage Zeit. NachAblauf der Frist stirbt Crysalgira.«

Der Arkonide war dem Roboter beinahedankbar dafür, daß eine kurze Pause ent-stand. Das gab ihm Gelegenheit, die Infor-mation zu verdauen, daß ausgerechnet der

Henker der Varganen wieder einmal seinenWeg kreuzen sollte.

»Ich gebe dir jetzt alle Informationen, diedu brauchst, um deinen Auftrag zu erfüllen«,fuhr die Erinnye fort. Atlan stellte grimmigfest, daß der Roboter jetzt jede Höflichkeitvermissen ließ. »Ich gebe dir den Rat, auf-merksam zuzuhören.«

*

Dir bleibt gar keine Wahl! kommentiertedas Extrahirn, als der Roboter seinen Vor-trag beendet hatte. Es geht nicht nur umCrysalgira, und es ist auch nicht der richtigeAugenblick, um etwa vorhandene Rachege-lüste dem Henker gegenüber abzureagieren.Ohne Magantillikens Hilfe kannst du diesenPlaneten nicht verlassen.

Die Erinnye verlor keine Zeit. Sie fragteden Arkoniden nicht einmal, ob er bereit wä-re, den Auftrag zu übernehmen. Für den Ro-boter war es selbstverständlich, daß Atlangehorchte.

Es dauerte nur wenige Minuten, bis dieErinnye ihren Gefangenen samt dem nochimmer bestehenden Fesselfeld in einen an-deren Raum brachte. Diesmal handelte essich eindeutig um eine Schleuse. Das Au-ßenschott war geöffnet. Atlan sah die glit-zernde Wand eines nach oben führendenSchachtes, dann fielen die eisigen Fesselnvon ihm ab. Der Wechsel kam so plötzlich,daß der Arkonide fast das Gleichgewichtverlor. Mühsam hielt er sich auf den Beinen.

»Das ist alles, was ich dir mitgebenkann«, sagte die Erinnye ungerührt und wiesauf einige kleine Gegenstände, die nebendem Ausgang auf dem Boden lagen. »EinParalysator und ein leider nicht besondersleistungsfähiger Hitzestrahler. Das Wichtig-ste ist dieser kleine Kasten. Du kannst damitein Anti-Schwerkraftfeld erzeugen und dichgegebenenfalls unsichtbar machen.«

Sie erklärte ihm die entsprechendenSchaltungen. Atlan konzentrierte sich aufdiese Erklärungen, aber seine Gedanken irr-ten immer wieder ab. Die Versuchung, eine

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der Waffen an diesem Roboter auszuprobie-ren, war groß. Nur die Überzeugung, daß dieErinnye gegen derartige Angriffe ausrei-chend geschützt war und sich außerdem anCrysalgira rächen würde, hielt ihn zurück.

»Wie sieht es mit Kleidung aus?« fragteer. »In diesem Raumanzug wird man michsofort als einen Fremden erkennen und michebenfallseinsperren.«

»Das ist dein Problem«, erwiderte die Er-innye. »Du solltest dich jetzt auf den Wegmachen. Crysalgira hat nicht mehr vielZeit!«

Reiß dich zusammen!Die Ermahnung des Extrahirns kam gera-

de noch rechtzeitig. Wortlos wandte Atlansich ab. Er benutzte das varganische Gerät,um durch den senkrecht nach oben führen-den Schacht schwerelos zur Oberfläche auf-zusteigen. Am Schachtausgang wartete einemetallische Kugel von etwa einem MeterDurchmesser auf ihn. Die Erinnye hatte ih-ren Gefangenen über Isthmy informiert, undso war Atlan nicht überrascht, als der Robo-ter ihn sofort ansprach.

»Wir sollten uns beeilen«, meinte das Ku-gelwesen mit knarriger Stimme.»Magantilliken steckt in großen Schwierig-keiten.«

Atlan seufzte.»Du solltest deine Stimmbänder ölen«,

empfahl er bissig. »Ich brauchte Kleidung.«»Weiter vorne wirst du alles finden, was

du dir wünschst«, versprach Isthmy und flogvoran.

Sie überquerten mehrere Wälle aus Stei-nen und Eisbrocken. Es war bitter kalt, undAtlan schloß den Helm des Raumanzugs,weil die Luft wie mit Messern in seine Lun-gen schnitt. Die Spuren der gewaltigen Ka-tastrophe waren nicht zu übersehen. Ab undzu ragten dunkle Gegenstände aus den vomSturm zusammengetriebenen Schneewehen.Reste von Fahrzeugen, zersplitterte Metall-streben, einzelne Räder und zerfetzte Zelt-planen. Nach einem fast zehn Minuten lan-gen Flug erreichten sie das, was vom Lagerder Ckorvonen übriggeblieben war. Die

wanderende Schicht, die das Tal mehrerehundert Meter hoch ausfüllte, hatte dieleichten Barackenbauten zum Teil vor sichhergeschoben. Zwischen Leichtmetallwän-den, die von der Wucht des Aufpralls wiePapier zerknittert worden waren, lagen Teilevon Instrumenten, Ausrüstungsgegenständealler Art, Waffen und Papierfetzen herum.Atlan erblickte einige entsetzlich zugerichte-te Leichen.

»Bediene dich!« forderte Isthmy lako-nisch und blieb über einem der Toten in derLuft hängen.

Der Arkonide biß die Zähne zusammen.Er ließ sich nach unten sinken und musterteden Eingeborenen kurz. Trotz der entstellen-den Verletzungen ließ sich deutlich erken-nen, wie sehr diese Wesen den Arkoniden –und den Varganen natürlich auch – ähnelten.

»Du verlierst nur Zeit!« warnte Isthmy.Wortlos ging Atlan weiter und durchsuch-

te einen wahren Berg von Trümmerstücken.Er hatte Glück. Er fand ein paar weiche Fell-stiefel, die ihm sogar paßten, einen unförmi-gen Pelzmantel mit Kapuze, ein festes Mes-ser und einen Streifen Munition. Einige Me-ter weiter lag ein Gewehr mit kurzem Lauf,das sogar noch funktionierte. Seinen klobi-gen Raumanzug ließ er zwischen zwei auf-fälligen Gebäuderesten zurück.

»Schalte deinen Deflektor ein!« befahl erdem Roboter.

»Das geht nicht«, erwiderte Isthmy. »Anmir sind etliche Teile nicht in Ordnung.«

Atlan fluchte leise vor sich hin, währendsie sich in der Deckung der zerrissenenBerghänge weiter talwärts arbeiteten. Amliebsten hätte er den Roboter zurückgelas-sen, aber das war nicht ratsam, denn Isthmyvermochte den Varganen auch dann nochanzupeilen, wenn man ihm alle Geräte, dieMagantilliken normalerweise mit sich her-umschleppte, abgenommen hatte. Ohne Isth-my hätte der Arkonide sich auf eine zeitrau-bende Suche einlassen müssen – Zeit aberwar es, was ihm am dringendsten fehlte.

»Sieht noch ganz gut aus«, bemerkte Isth-my plötzlich.

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Atlan sah in die angegebene Richtung undentdeckte einen halbverschütteten Wagen.Es handelte sich um ein kleines Lastfahr-zeug. Da weit und breit kein Ckorvone zusehen war, untersuchten sie ihren Fund. Siefanden ein halbes Dutzend Schäden, zweiLeichen im vorderen Teil des Innenraumsund einen fast randvollen Tank mit einer ab-scheulich riechenden Flüssigkeit. Das gabden Ausschlag. Während Atlan die sterbli-chen Überreste der Eingeborenen nach drau-ßen zerrte und ein Stück abseits der Fahr-bahn in den Schnee bettete, fuhr Isthmy eini-ge Handlungsarme aus und machte sich andie Arbeit. Er schien in seinem kugelförmi-gen Leib ein ganzes Werkzeuglager mit sichherumzuschleppen.

Eine Viertelstunde später schob sich derWagen brummend auf die Straße hinauf.Isthmy hatte einen vor Sicht geschütztenPlatz auf der kleinen, verdeckten Ladeflächegefunden.

»Halt!« sagte er einige Kilometer weiter.Atlan trat auf die Bremse. Ohne ein Wort

der Erklärung verließ der Roboter den Wa-gen und verschwand zwischen den knorri-gen Stämmen der fremdartigen Nadelbäume,die sich hier bis dicht an die Straße he-randrängten. Als er zurückkehrte, hingenzwei varganische Schutzanzüge in den Klau-en seiner metallenen Tentakel. Atlan nickteanerkennend.

Gegen Abend erreichten sie das Ende desTales. Vor ihnen breitete sich ein weites,tiefverschneites Hügelland aus. An einigenStellen verrieten Fahrspuren eine Abzwei-gung, und hinter schwarzgrünen Baumgrup-pen stiegen dünne Rauchfäden in die frost-klare Luft. Ein kurzes Stück vor ihnen zeich-neten sich hohe Schornsteine und schmutzi-ge Steinhäuser ab. Die Straße wurde breiter.Atlan hatte sich inzwischen hinreichend mitden Kontrollen des primitiven Wagens ver-traut gemacht. Er brachte das Gefährt aufHöchstgeschwindigkeit, und sie rasten in derzunehmenden Dämmerung ihrem Ziel entge-gen. Als bei Sonnenaufgang die ersten zu-sammenhängenden Gebäudegruppen vor ih-

nen auftauchten, steuerte Atlan das Fahrzeugin ein dichtes Gebüsch, streckte sich todmü-de auf der Sitzbank aus und schlief sofortein.

Als er erwachte, herrschte draußen dichtesSchneetreiben. Er verzehrte lustlos einigeKonzentrate.

»Ich werde mich im Schutz des Deflek-tors in der Stadt umsehen«, erklärte er demRoboter dann. »Sollte jemand den Wagenfinden, dann sieh zu, daß du von hier weg-kommst, ohne daß dich jemand sieht. Undvergiß nicht, die beiden Schutzanzüge mit-zunehmen. Ich bleibe über Funk mit dir inVerbindung.«

Die Metalltür schlug scheppernd hinterihm zu. Er schaltete den kleinen Kasten aufdie Werte, die die Erinnye ihm angegebenhatte.

»Nichts zu sehen!« meldete Isthmy sichaus seinem Versteck. Allan stieg ein paarMeter weit auf und orientierte sich kurz. Erentdeckte einen Weg, der direkt in die Stadthineinführte. Düstere, unfreundliche Gassennahmen ihn auf. Zum Glück waren nur we-nige Ckorvonen unterwegs. Der Arkonidewich vorsichtig allen Hindernissen aus undarbeitete sich zielstrebig dem Zentrum vonTeihara entgegen. Dort, im Palast des Dikta-tors, wurde Magantilliken nach Isthmys An-gaben gefangengehalten. Es war für Atlannicht schwer, durch das Tor zu kommen.Ungehindert schritt er über sorgfältigschneefrei gehaltene Wege, belauschte ein.Gespräch zwischen zwei einheimischen Of-fizieren und stand kurz darauf vor einer ho-hen Mauer. Dahinter Jag ein würfelförmigerBau. Überall standen Ckorvonen herum. Siewaren bis an die Zähne bewaffnet, aber dasie nur auf sichtbare Ziele schießen konnten,fühlte Atlan sich völlig sicher. So sicher,daß er mit dem Gedanken spielte, ohne wei-teren Aufenthalt bis zu Magantilliken vorzu-dringen. Das metallene Tor des Gefängnis-ses öffnete sich ziemlich häufig. GefesselteCkorvonen verschwanden dahinter, aber die,die aus diesem düsteren Bau wieder insFreie kamen, brauchten keine Fesseln. Ent-

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weder handelte es sich um Männer in Uni-formen, die ihre Befehle zu den Wachtpo-sten hinaufbellten, oder aber um Leichen,die auf grob gezimmerten Holztragen da-vontransportiert wurden.

Ein Alleingang wäre Unsinn, meldete sichdas Extrahirn. Rufe den Roboter her. Wenner hoch genug fliegt, wird ihn niemand be-merken, und er kann Magantilliken von hieraus genauer anpeilen. Du gewinnst Zeit.

Ein halbzerfallenes Gebäude grenzte di-rekt an die Mauer. Atlan suchte sich einenWeg über Haufen von Unrat und Trümmer-stücken. In einem relativ gut erhaltenenRaum schaltete er den Deflektor aus, gabIsthmy die nötigen Anweisungen und ließsich dann auf einer leeren Kiste nieder. Eswürde eine Weile dauern, bis der Robotereintraf. Er lehnte sich zurück – und erstarrtezu absoluter Bewegungslosigkeit.

Ein kalter, metallener Gegenstand berühr-te seinen Nacken.

»Bleiben Sie ganz still sitzen!« sagte einehelle Stimme. »Bei der geringsten Bewe-gung schieße ich!«

8.

»Sie wollen Magantilliken befreien«,stellte das Mädchen fest. Atlan starrte Jinthaverblüfft an. »Wie kommen Sie darauf?«Die zierliche Ckorvonin, die ihre Waffe im-mer noch auf den Arkoniden gerichtet hatte,lachte bitter. Sie warf den Kopf etwas zu-rück, und unter der Kapuze des perlgrauenPelzumhangs quoll eine Flut von rotblondenLocken hervor.

»Das ist nicht schwer zu erraten. Sie tau-chen einfach aus der Luft auf, geben IsthmyBefehle und sehen nicht so aus, als stamm-ten sie von unserem Planeten. Als Burjosmir die Geschichte erzählte, die er sich überMagantilliken und die Kugel unter demSchnee zusammengereimt hatte, hielt ich esnoch für ein Produkt seiner Phantasie. Aberjetzt denke ich anders darüber. Er hatte in al-lem recht. Er behauptete auch, daß Magan-tilliken Hilfe erhalten würde, sobald er in

Schwierigkeiten gerät.«»Also gut«, gab Atlan gedehnt zu. »Ich

habe den Auftrag, Magantilliken zu befrei-en. Und was nun?«

»Das kommt auf Sie an. Burjos wurdehauptsächlich deshalb verhaftet, weil er nachdem Auftauchen dieser Fremden überflüssigwar. Ohne Magantilliken hätte er noch eineChance gehabt – und ich mit ihm. Mein Va-ter wird ihn töten. Ich selbst durfte zwar dasGefängnis verlassen, aber von nun anschwebe ich ständig in Lebensgefahr. Dasalles haben wir Ihrem Freund zu verdan-ken.«

»Erstens ist Magantilliken keineswegsmein Freund. Zweitens hat Isthmy mir allesberichtet, was im Lager geschehen ist. Bur-jos steht unter dem Verdacht, ein Spion zusein. Das hätte man früher oder später aufjeden Fall herausgefunden.«

»Bis dahin wäre uns genug Zeit geblie-ben«, behauptete Jintha. Atlan stellte fest,daß er dem Mädchen mit logischen Argu-menten kaum beikommen konnte. Sie warhysterisch vor Angst, und er verstand sie so-gar.

»Was wollen Sie von mir?« fragte er.»Sie sollen Burjos ebenfalls aus dem Ge-

fängnis befreien«, erklärte Jintha. Und fuhrdann hastig fort: »Sie haben die Mittel, umuns zu helfen. Ich aber weiß, wie Sie amschnellsten an ihr Ziel kommen. Ich kann Ih-nen die Zelle zeigen, in der Magantillikenfestgehalten wird. Gleich nebenan wartetBurjos auf seine Hinrichtung. Sie brauchenalso nicht einmal einen Umweg zu machen.«

»Stellen Sie sich das alles nicht zu einfachvor!« warnte Atlan. »Selbst wenn ich diebeiden nach draußen bringe, sind die Proble-me längst nicht gelöst. Wie wollen Sie flie-hen, und wohin? Magantilliken würde Sieund Burjos töten. Niemals dürfte er es wa-gen, Sie mit in die Station zu nehmen. Dortwartet nämlich ein Roboter, der die unange-nehme Angewohnheit hat, erst zu schießenund dann zu fragen.«

»Zerbrechen Sie sich nicht meinenKopf!« empfahl Jintha ärgerlich. »Ich weiß,

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was ich will, Holen Sie Burjos heraus, mehrverlange ich nicht. Sobald er jenseits derMauer ist, brauchen Sie sich um uns nichtmehr zu kümmern.«

Du solltest das Spiel mitmachen! empfahldas Extrahirn. Die Vorteile sind groß.

Jintha war erleichtert über seine Entschei-dung, behielt aber die Waffe auch weiterhinin der Hand. Erst als Isthmy auftauchte, er-klärte sie sich bereit, das gefährliche Dingwenigstens in den Gürtel zu stecken. Ob-wohl Jintha und der Roboter ungeduldig wa-ren und den Arkoniden zu sofortigem Han-deln drängten, bestand Atlan darauf, zu war-ten. Magantilliken hätte er ohne weiteres beiTageslicht herausgeholt, aber mit Burjos unddem Mädchen waren zusätzliche Schwierig-keiten aufgetaucht. Er machte sich trotz Jint-has abwehrender Haltung Gedanken darum,wie er die beiden Ckorvonen wenigstensvorübergehend in Sicherheit bringen konnte,und er glaubte, einen Ausweg gefunden zuhaben. Zwei vollausgerüstete, flugfähigeAnzüge standen ihm zur Verfügung. DamitHeß sich etwas anfangen.

Als es dunkel wurde, zog er sich um. DenDeflektor ließ er zurück. Er brauchte ihnnicht mehr, denn die entsprechenden Ein-richtungen des varganischen Schutzanzugsfunktionierten einwandfrei. Er befahl Isth-my, den kleinen Kasten einzuschalten unddafür zu sorgen, daß Jintha im Schutz desFeldes blieb. Damit war auch die Gefahr ge-bannt, daß jemand zufällig auf den Roboteroder die Ckorvonin stieß.

Lautlos überflog er die Mauer. Nervösblickte er zu den langsam kreisenden Ge-schützen auf, die von den wuchtigen Tür-men herab in den Hof hinunterdrohten.Selbst jetzt herrschte noch ziemlicher Be-trieb. Die Tatsache, daß Teihendru als typi-scher Diktator ständig ein überbelegtes Ge-fängnis zu hüten hatte, war jedoch für Atlanvon Vorteil. Ohne sich durch unliebsameZusammenstöße zu verraten, schob er sichmit einem Gefangenentransport durch dieschwere Metallpforte. Er wandte sich nachrechts und betrat einen breiten, hell erleuch-

teten Gang. Den zweiten Anzug trug er unterdem Arm, und er bewegte sich äußerst vor-sichtig, denn jedes Geräusch konnte einender zahlreichen Wächter aufmerksam ma-chen, die überall umherstanden. Einmalstieß er fast mit einem uniformierten Ckor-vonen zusammen, der unvermittelt aus eineroffenen Zellentür trat. Als er hastig auswich,schlug er mit der lose herabhängenden Gür-telschnalle des leeren Anzugs gegen die Me-talltür. Geistesgegenwärtig aktivierte er denSchalter für den Schwerkraftneutralisatorund stieß sich ab. Der Wächter fuhr herum.Nicht nur das Geräusch, sondern auch derentstandene Luftzug hatten ihn aufmerksamgemacht. Er sah sich mit vorgehaltener Waf-fe um. Als ihm nichts auffiel, wollte er sichabwenden, aber gerade da kam ein Offizierden Gang herunter.

»Was gibt es?« fragte er barsch.Der Wächter berichtete stockend. Der Of-

fizier hörte mit einem spöttischen Lächelnzu und empfahl dem ' Mann, sich demnächsteine reichliche Portion Schlaf zu gönnen.Aufatmend schwebte Atlan unter der Deckeweiter.

Magantillikens Zelle lag in einem beson-ders gesicherten Trakt. Kein Ckorvone wäreunbemerkt durch die zahlreichen Fallen ge-kommen. Für Atlan entstand nur eine gerin-ge Gefahr durch die hier überwiegend tech-nischen Sicherheitsanlagen.

Wächter tauchten kaum noch auf – Tei-hendru verließ sich auf die Technik eher, alsauf möglicherweise bestechliche Menschen.

Das Schloß an der dicken Stahltür sahkompliziert aus, widerstand den kleinenWerkzeugen, die der Arkonide sich bei Isth-my ausgeliehen hatte, jedoch nur für wenigeSekunden. Dennoch wußte er, daß es vonjetzt an schnell gehen mußte. Er stieß dieTür auf und schaltete für Sekunden den De-flektor ab. Magantilliken, der auf einer nied-rigen Pritsche saß, sprang entgeistert auf.

»Anziehen!« befahl Atlan kurz und warfdem Henker den Schutzanzug zu. Nochwährend der Vargane in das glänzende Klei-dungsstück kletterte, hastete Atlan zur nach-

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ten Tür. Er hatte sie kaum geöffnet, als überseinem Schädel ein dunkler Gegenstand auf-tauchte. Instinktiv bückte er sich, und imselben Augenblick zischte der Paralysatorauf. Burjos, der sich mit dem Mut der Ver-zweiflung auf seinen vermeintlichen Henkerwerfen wollte, brach im Sprung zusammen.Der Arkonide warf sich den schlaffen Kör-per über die Schulter. Hinter ihm trat Ma-gantilliken durch die Tür.

»Schalten Sie den Deflektor ein!« fauchteAtlan den verdutzten Varganen an unddrückte ihm gleichzeitig den kleinen Impuls-strahler in die Hand. »Los jetzt, Isthmy war-tet draußen!«

Irgendwo in den Tiefen des riesigen Ge-bäudes wimmerte eine Sirene. Als sie dasMetallgitter hinter sich gelassen hatten, dasden Seitenflügel vom Hauptgebäude trennte,tauchten die ersten Gruppen von Wächternauf. Atlan überzeugte sich davon, daß auchBurjos sich vollständig im Schutze des Fel-des befand und schwebte langsam unter derDecke vorwärts. Er konnte Magantillikennicht sehen, hoffte jedoch, daß auch derHenker begriffen hatte, worauf es hier an-kam.

Er hatte nicht.Etwa zwanzig Meter trennten sie noch

von der Halle, durch die sie in den Hof ge-langen konnten, als Magantilliken die Ner-ven verlor. Wie eine Mauer umstanden zahl-reiche Ckorvonen den einzigen Ausgang ausdiesem Fuchsbau. Als der Energiestrahldurch die Luft zischte, starben fast die Hälf-te der Männer, ehe sie auch nur ihre Waffenheben konnten. Die anderen jedoch reagier-ten schnell. Obwohl sie es sicher noch nie-mals mit unsichtbaren Gegnern zu tun ge-habt hatten, schalteten sie auf Anhieb rich-tig. Atlan sah die Finger, die sich um dieWaffen krallten. Er unterdrückte einen Fluchund löste erneut den Paralysator aus. Bis aufeinen Ckorvonen wurden die Wächter vondem breit auseinanderfächernden Strahl er-faßt. Der letzte aus dieser Gruppe schoßwild um sich und verging dann plötzlich ineiner Glutwolke.

Aus den Gängen drang Geschrei. SchwereStiefel trampelten über den Steinboden, undscharfe Befehle klangen auf. In fliegenderHast schlug Atlan die schweren Riegel desTores zur Seite.

»Magantilliken, hierher!« rief er halblaut,aber statt einer Antwort stand unvermittelterneut ein gleißend heller Hitzestrahl in derLuft. Der Schuß fauchte in den Gang hinein,in dem die ersten Gegner auftauchten. Ckor-vonen wälzten sich brennend am Boden. Einentsetzlicher Gestank erfüllte die Luft, unddann klangen auch von draußen die erstenSchüsse auf.

»Verdammt!« schrie der Arkonide unbe-herrscht. »Kommen Sie endlich!«

Er spürte an seiner Seite einen schwachenLufthauch.

»Da haben wir die Bescherung!« schimpf-te er. Die Wächter auf den Türmen hattensich auf das Tor konzentriert und deckten esmit Schüssen ein. Die Projektile heultendurch die Halle und schwirrten als Quer-schläger von den Mauern weg. MehrereCkorvonen, die aus einem Gang hervorquol-len, wurden verletzt. Dann entdeckte Atlaneine halbwegs sichere Stelle, schob sich nä-her an die Öffnung heran und richtete denParalysator auf einen der Türme. Die dortstehenden Eingeborenen waren kaum be-täubt, da zerbarst ein anderer Turm in einemwahren Feuerwerk. Der Lärm war ohrenbe-täubend, und obwohl Atlan dem Henker zu-brüllte, er solle endlich mit der Schießereiaufhören, feuerte Magantilliken unbeirrtweiter. Er stellte den Beschuß erst ein, alsdie Mauer auf einer Breite von etwa vierzigMetern zusammenbrach.

»Jetzt haben wir freie Bahn«, hörte Atlandie arrogante Stimme des Henkers nebensich.

»Sie sind ein Idiot!« keuchte Atlan undschlug auf den Schalter, der ihn vorwärtsschießen ließ. Ehe der Henker etwas erwi-dern konnte, gab es jenseits der teilweisenoch glühenden Trümmer eine Explosion.Eine riesige Stichflamme schoß in den Him-mel. Metallteile und brennende Holzstücke

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wirbelten hoch. Eine Druckwelle schleuder-te sie zur Seite. Atlan sah einen noch festenTeil der Mauer auf sich zukommen undwich im letzten Augenblick zur Seite. Erselbst entkam dem Hindernis, aber Burjos,der immer noch betäubt war, blieb an einerKante mit dem Fuß hängen. Der Arkonidewar nicht schnell genug. Als er merkte, daßder junge Ckorvone aus dem Deflektorfeldherausgerissen wurde, war es schon zu spät.Schüsse krachten, und er wich hastig nachoben aus. Der schlaffe Körper, der unter ihmzurückblieb, wurde von den Geschossen fastzerfetzt.

»Wo stecken Sie?« fragte MagantillikensStimme ärgerlich. Der Vargane mußte sehrnahe sein, denn sonst hätte Atlan ihn bei die-sem Lärm nicht hören können.

»Fliegen Sie über die Mauer«, befahl At-lan. »Wenn niemand Sie sehen kann, schal-ten Sie kurz das Feld ab.«

Die Ckorvonen schossen immer noch. Siejagten Unmengen von Munition in den nunleeren Hof. Atlan sah die vielen Toten unddie Flammen, die aus einem Haus direkt ander Mauer schlugen, biß die Zähne zusam-men und ließ sich weitertreiben. Er hättedieses Inferno gerne vermieden. Jetzt war eszu spät. Magantilliken war frei, und damitauch Crysalgira. Aber der Preis war hochgenug.

Er fand den Henker im Schatten einerbröckelnden Mauer.

»Wo ist Isthmy?« fragte der Vargane.»Es gibt ihn nicht mehr«, erwiderte Atlan

bitter. »Er wartete mit der Freundin des jun-gen Ckorvonen in dem Haus, das durch IhreSchießwütigkeit zerstört wurde.«

Wenn der Henker den Vorwurf, der indieser Antwort lag, bemerkte, so zeigte erdas nicht. Er griff statt dessen nach AtlansArm, schaltete den Deflektor wieder ein undzog den Arkoniden vorwärts.

»Es ist besser, wir beeilen uns jetzt«, be-merkte er dabei gelassen. »Die Erinnyekönnte sonst ungeduldig werden.«

*

Kurz vor Sonnenaufgang trafen sie aufden Schacht. Niemand hatte sie verfolgt, undda sie die ganze Strecke fliegend zurückge-legt hatten, standen ihnen auch keine weite-ren Überraschungen bevor. Die Ckorvonenhatten das Spiel um die Station verloren.

Die Erinnye nahm sie in Empfang. EheAtlan den bedeutsamen Blick des Henkers inseine Richtung noch verarbeiten konnte, leg-te sich bereits ein Netz der Dunkelheit überihn, und als er wieder zu sich kam, lag er ne-ben Crysalgira auf einem weichen, offen-sichtlich provisorisch hergerichteten Lager.Er stellte fest, daß der varganische Schutz-anzug verschwunden war. Auch die Geräte,die die Erinnye ihm für seinen Auftrag zurVerfügung gestellt hatte, waren verschwun-den. Neben ihm lag der tejonthische Raum-anzug.

Er beugte sich über die Arkonidin undstrich ihr sanft über die Stirn. Crysalgiraschrak zusammen, schlug die Augen auf undlächelte dann verzerrt.

»War es schlimm?«»Ich kann mich nur an wenige Einzelhei-

ten erinnern«, sagte sie leise. »Ich bin froh,daß du wieder da bist.«

»Immerhin leben wir noch«, stellte Crys-algira beruhigend fest. »Das bringt mich aufdie Idee, daß es Zeit für ein Frühstück wäre.Ich habe entsetzlichen Hunger.«

Der Arkonide lächelte amüsiert. Er warfroh, daß das Mädchen so gelassen auf dieGeschehnisse reagierte, und solange es nocheine Möglichkeit gab, würden sie gemein-sam weiter darum kämpfen, den Weg in ihreeigene Welt zu finden. Die Varganen warennicht halb so göttlich, wie sie selbst sich dar-zustellen versuchten. Gerade ihre Arroganzmachte sie verwundbar – zumindest das hat-te Atlan aus dem kurzen Gastspiel auf Xer-tomph gelernt.

Eine Erkenntnis, die du dir gut einprägensolltest! meinte das Extrahirn.

Als sie die kargen Notrationen aus denRaumanzügen verzehrt hatten, öffnete sichdie Tür zu ihrem Gefängnis.

»Ich hoffe, Sie beide haben sich gut er-

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holt«, sagte Magantilliken spöttisch. »Esliegt noch eine weite Reise vor Ihnen.«

»Nach Yarden?« fragte Atlan.»Wohin sonst? Kommen Sie, der Trans-

mitter wartet schon.«»Sie haben es also noch geschafft«, be-

merkte der Arkonide, als sie neben Magan-tilliken durch die heller leuchteten Gängeschritten. »Die Gefühlsbasis funktioniertwieder?«

»Natürlich tut sie das«, erklärte der Hen-ker kalt. »Die Schäden sind beseitigt, unddie Emotiostrahler sind in Betrieb. DieCkorvonen dürften bereits vergessen haben,was eigentlich in diesem Tal geschehen ist.Von nun an werden sie ihr primitives Lebenweiterführen und sich kaum noch daran erin-nern, daß sie Besuch aus dem Weltraum er-halten haben.«

»Irgendwo in der Stadt beschäftigen sichckorvonische Wissenschaftler mit den Gerä-ten, die man Ihnen abgenommen hat«, erin-nerte Atlan den Henker.

»Sie werden nichts herausfinden. Die Ge-räte sind inzwischen unbrauchbar geworden.Einige haben sich selbst zerstört und bei die-ser Gelegenheit dafür gesorgt, daß Teihen-dru in Zukunft vorsichtiger ist, wenn es umdas Erbe der sogenannten Ahnen geht.«

»Warum hilft Ihr Volk den Ckorvonennicht?« fragte Crysalgira ärgerlich.

»Wir haben andere Probleme«, gab Ma-gantilliken gelassen zurück. »Den Kreuzzugzum Beispiel. Zum Glück konnte ich dieseGefühlsbasis rechtzeitig wieder in Ordnungbringen. Wäre sie ausgefallen, so hatte dasverheerende Folgen gehabt.«

»Warum?«Magantilliken lachte leise.»Sie versuchen seit langem, den Sinn der

Kreuzzüge herauszubekommen«, sagte er zudem Arkoniden. »Aber es ist Ihnen bishernicht gelungen, und ich bin nur froh, daß ichIhnen nicht voreilig Informationen gegebenhabe. Sie hätten unsere braven Tejonthersonst vielleicht wirklich aufhetzen können.Nun jedoch werden Sie keine Gelegenheitmehr haben, die Schwarzen aufzuklären.

Von hier aus führt der Weg geradlinig nachYarden, und wo immer Sie auftauchen, wer-den alle Wege zur Flucht verstellt bleiben.Also kann ich Ihnen ruhig die Wahrheit sa-gen.«

Ein Schott wich vor ihnen zurück, und siesahen den Transmitterraum, in dem sie zu-erst mit der Erinnye zusammengetroffen wa-ren. Der Roboter hatte sich noch nicht sehenlassen.

»Die Gefühlsbasen dienen dazu, die Te-jonther in einen Rausch zu versetzten«, er-klärte der Henker, während sie langsam aufdie hell beleuchtete Plattform zugingen.»Schritt für Schritt wird in den Schwarzendie Bereitschaft zur Erfüllung ihrer Aufgabeerhöht. Die Emotiostrahler nehmen ihnendie Fähigkeit zum kritischen Denken. Dar-um war es so wichtig, daß hier auf Xer-tomph keine Störungen auftraten. Ein Bruchin dieser Beeinflussung könnte bedeuten,daß die Tejonther einfach umkehren.«

»Was wäre daran so schlimm?« wollteAtlan ungeduldig wissen. »Was geschiehtmit den zehntausend Raumschiffen und de-ren Besatzungen?«

»Sie sind notwendig, um das Gleichge-wicht dieser Welt zu erhalten«, erklärte derHenker. »Sie opfern sich und retten dadurchmeine Heimat, die Eisige Sphäre. Sie müs-sen zugeben, daß das eine wichtige Missionist. Was sollte wohl aus den Tejonthern undden anderen Völkern dieses Universumswerden, wenn Yarden mit seinen Bewoh-nern zerstört würde?«

»Sie wären endlich frei«, sagte Atlan ge-dehnt. »Aber das ist meine persönliche Mei-nung, die Sie natürlich nicht interessiert. DieTejonther sterben also? Warum? Und wo-für? Was geschieht mit den Schiffen?«

»Zu viele Fragen«, seufzte Magantillikenkopfschüttelnd. »Wir haben nicht mehr vielZeit. Ich will versuchen, es Ihnen zu erklä-ren, obwohl es vermutlich sinnlos ist. Durchunsere Experimente mit der Absoluten Be-wegung wurde in der Nähe von Yarden dieGrenze zwischen Makro- und Mikrokosmosihrer Stabilität beraubt. Das Gleichgewicht

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läßt sich nicht mehr dauerhaft herstellen,sondern nur jeweils für kurze Zeit. Ein end-gültiges Zusammenbrechen der Grenze wür-de die Zerstörung in diesem Teil unseresUniversums bedeuten. Um das zu verhin-dern, führen wir alle dreihundert Jahre einenMassenausgleich herbei.«

Er kontrollierte die Angaben einiger Kon-trollgeräte und fuhr dann gleichmütig fort:

»Die Schiffe der Tejonther dienen einzigund allein diesem Zweck.«

»Zehntausend Raumschiffe«, sagte derArkonide fassungslos. »Eine riesige Flotte,die den Tejonthern gehört. Und Sie benutzenSie, um einen Rechenfehler in Ihren Plänenund Experimenten auszubügeln. Was ge-schieht mit den Besatzungen?«

»Sie haben einen sehr starken Glauben anein Leben nach dem Tod«, erwiderte Ma-gantilliken hart.

»Sie werden gemeinsam mit ihren Schif-fen an der Grenze entstofflicht. Wer weiß,wo sie hingehen? Auch wir Varganen habennicht alle Rätselgelöst.«

»Das ist nichts als Geschwätz!« knurrteAtlan wutentbrannt. »Sie schicken dieseWesen in den Tod. Sie zwingen sie, nur fürdiesen wahnsinnigen Kreuzzug zu leben undzu arbeiten. Dazu haben Sie kein Recht!«

»Wirklich nicht?«Der Henker lächelte kalt und schaltete an

den Kontrollgeräten des Tansmitters.»Gehen Sie dorthin!« befahl er, und ob-

wohl Magantilliken allem Anschein nachnicht bewaffnet war, gehorchten Crysalgiraund der Kristallprinz von Arkon. Das Trans-mitterfeld erfaßte sie und zog sie mit sich.Der letzte Eindruck, den Atlan aus Xer-tomph mitnahm, war dieses kalte, beherrsch-te, zeitlose Gesicht, das Gesicht des Hen-kers, der seinen Auftrag erfolgreich beendethatte. Sie waren wieder auf dem Weg nachYarden.

ENDE

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