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Ein Robot versagt

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Atlan - Der Held vonArkon

Nr. 206

Ein Robot versagt

Magantilliken, der Henker, greift ein - eine Gefühlsbasis wird zur

Gefahrenquelle

von Marianne Sydow

In einer Zeit, die auf Terra dem 9. Jahrtausend v. Chr. entspricht, steht es mit dem Großen Imperium der Arkoniden nicht zum Besten, denn es muß sich sowohl äuße­rer als auch innerer Feinde erwehren. Die äußeren Feinde sind die Maahks, deren Raumflotten den Streitkräften des Imperiums durch überraschende Schläge schwere Verluste zufügen. Die inneren Feinde Arkons sind Habgier und Korruption der Herr­schenden, die – allen voran Imperator Orbanaschol III. – nur auf ihren eigenen Vor­teil bedacht sind und das Gemeinwohl völlig außer acht lassen. Gegen diese inneren Feinde des Imperiums ist der junge Atlan, der rechtmäßige Thronerbe und Kristall­prinz von Arkon, der eine stetig wachsende Schar von verschworenen Helfern um sich sammeln konnte, bereits mehrmals erfolgreich vorgegangen.

Gegenwärtig ist Atlan jedoch nicht in der Lage, den Untergrundkampf gegen den Usurpator und Brudermörder Orbanaschol persönlich weiterzuführen, denn durch die Einwirkung einer Geheimwaffe der Maahks gelangte er erneut in den Mikrokosmos.

Von dort aus versucht er, zusammen mit Crysalgira, einer adeligen Arkonidin, die ebenfalls dem »Zwergenmacher« zum Opfer fiel, den Weg zurück in sein eigenes, makrokosmisches Raum-Zeitkontinuum zu finden. Dabei kreuzt Atlan erneut den Weg Magantillikens, seines alten Widersachers. Der Henker ist in großen Schwierig­keiten, denn EIN ROBOT VERSAGT …

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Die Hautpersonen des Romans:Magantilliken - Der varganische Henker erhält einen neuen Auftrag.Hermon Xonth und Isthmy - Magantillikens Helfer.Jintha - Tochter eines Diktators.Burjos und Gaddos - Zwei erbitterte Gegner.Atlan und Crysalgira - Zwei Arkoniden auf dem Weg nach Yarden.

1.

Das laute Wimmern einer Sirene riß Jint­ha aus dem Schlaf. Sie richtete sich hastig in ihrem Liegestuhl auf und blinzelte verwirrt in die gleißende Helligkeit jenseits der Ve­randa. Die Sonne stand hoch und verwandel­te die sanft dem Tal entgegengeneigte Schneefläche in eine Hölle aus weißem Licht. Das Mädchen tastete geblendet auf dem niedrigen Tisch herum und spürte end­lich die Sonnenbrille zwischen den Fingern. Die Sirene schrillte noch immer. Jintha stand auf und trat an das Holzgeländer, das die Veranda umgab. Von dort aus hatte sie einen guten Blick in das etwa zweihundert Meter tiefer liegende Dorf.

Zwischen den niedrigen, dunklen Holz­häusern wurde es lebendig. Sie sah die ha­stenden Gestalten, entdeckte jedoch nichts, was auf den Grund für diesen unerwarteten Alarm hinwies. Unwillkürlich glitten ihre Blicke weiter nach oben. Genau gegenüber, scheinbar zum Greifen nahe, ragte die ge­waltige, teilweise von Schnee bedeckte Fels­mauer auf, die den letzten Ausläufer des Quamendrin-Massivs bildete.

»Lawinenalarm«, sagte eine dunkle Stim­me neben ihr.

Jintha zuckte zusammen und sah sich um. Sie hatte Burjos nicht kommen hören. Der ehemalige Prospektor, der seit nunmehr zwei Jahren der persönliche Beschützer des Mädchens war, hielt ein Fernglas in der Hand. Er kniff die Augen zusammen, legte den Kopf schräg, als lausche er angestrengt, dann nickte er.

»Es kommt vom Quamendrin«, behaupte­te er. »Sehen Sie das dort?«

Der junge Ckorvone deutete auf einen

dunklen Punkt oberhalb des Dorfes. Jintha mußte das Fernglas zu Hilfe nehmen. Sie er­blickte einen würfelförmigen Bau. Ein paar Dutzend Menschen krabbelten wie kleine Insekten aus dem Schutz des breiten Daches und rannten in wilder Hast dem Dorf entge­gen. Viele stürzten und rollten hilflos in die Schneewehen.

»Das ist die Beobachtungshütte«, erklärte Burjos. »Von dort aus wird der Quamendrin ständig überwacht.«

Jintha war wie erstarrt. Eine Lawine am Quamendrin – der Himmel mochte wissen, was dabei alles geschehen konnte! Dieser unheimliche Berg war ihr seit jeher verhaßt. Als ihr Vater sie drängte, sich für einige Zeit in der Berghütte im Woronongtal zu erho­len, hatte sie sich anfangs mit allen Kräften gesträubt. Aber Teihendru war nicht nur der Diktator des Landes Frinalhan. Er be­herrschte seine Familie restlos, und so muß­te Jintha sich seinen Wünschen fügen. Im­merhin hatte er ihr Burjos mitgegeben, der sich besser als jeder andere in den Bergen auskannte. Ihre Abneigung gegen den zehn­tausend Meter hohen Bergriesen, der mit seinen zahlreichen Nebengipfeln ein Gebir­ge für sich bildete, überging der Diktator mit einer lässigen Handbewegung. »Ich habe Angst«, sagte sie leise. Burjos lächelte leicht und legte ihr die rechte Hand auf die Schul­ter.

»Ich weiß«, nickte er. »Aber hier oben sind wir relativ sicher. Bis jetzt steht auch nicht fest, daß die Lawine überhaupt den Weg in unsere Richtung nimmt. Bis jetzt hat gerade das Woronongtal am wenigsten unter den Launen des Quamendrin gelitten.«

Durch die offene Verandatür drang ein lautes Summen. Burjos lief hinein. Während Jintha immer noch den Berg anstarrte, hörte

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sie den Wächter drinnen sprechen. Kurz dar­auf kehrte ihr Beschützer zurück. Er hielt in der einen Hand Jinthas dicke Pelzjacke, in der anderen eine Schultertasche aus wasser­dichtem Stoff.

»Kommen Sie!« sagte er. »Wir müssen weg!«

Jintha schüttelte verwirrt den Kopf und setzte zu einer Frage an, aber Burjos ließ ihr keine Zeit. Sie zog gehorsam die Jacke an, stellte fest, daß der Ckorvone außer seiner Dienstpistole noch ein langes Messer und einen Knüppel an seinen Gürtel gehängt hat­te und sah ihn fragend an.

»Wollen Sie in den Krieg ziehen?« fragte sie spöttisch.

Burjos zwang sich ein beruhigendes Lä­cheln ab, drehte sich abrupt um und ging voraus. Jintha folgte ihm fast automatisch. In den letzten zwei Jahren hatte sie sich dar­an gewöhnt, Burjos beinahe blind zu ver­trauen. Er hatte ihr mehrmals das Leben ge­rettet, wenn fanatische Gegner ihres Vaters ihre Wut an dessen Familie auszulassen ver­suchten. Im Laufe der Zeit hatte das junge Mädchen für den ehemaligen Prospektor Gefühle entwickelt, von denen Teihendru niemals etwas erfahren durfte. Der Diktator legte großen Wert darauf, daß seine Töchter sich »standesgemäß« verhielten.

Sie rannten durch den Ziergarten hinter der komfortablen Villa. Burjos half dem Mädchen über die niedrige Begrenzungs­mauer hinweg. Jintha berührte mit der Schuhspitze einen dünnen Draht und hörte das scharfe Klicken, aber sie war zu betäubt von den sich so plötzlich überstürzenden Er­eignissen, als daß sie schnell genug reagie­ren konnte. Ein harter Schlag gegen ihre Schulter warf sie in den Schnee. Dicht über ihr krachte ein Schuß. Sie rappelte sich müh­sam auf, wischte sich den Schnee aus dem Gesicht und sah sich nach Burjos um. Der Ckorvone preßte die rechte Hand gegen den linken Unterarm.

»Warum haben Sie nicht die Selbstschuß­anlage ausgeschaltet?« fragte Jintha fas­sungslos. »Ich verstehe nicht …«

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Ihr Beschützer verzog das Gesicht. »Ich erkläre es Ihnen später. Wir müssen

weiter hinauf. Dort gibt es einen Pfad. Nun kommen Sie doch schon!«

»Sie sind verletzt!« protestierte Jintha. »Lassen Sie mich wenigstens mal nachse­hen. Sie könnten verbluten!«

Burjos, der bereits einige Schritte von ihr entfernt war, blieb seufzend stehen.

»Paß auf, Mädchen!« sagte er gedehnt. »Die Beobachtungsstation hat eine schwere Erschütterung im Bereich der Nordwand des Quamandrin angemessen. Das ist keine nor­male Lawine, die da auf uns zukommt! Bis jetzt steht noch nicht genau fest, was dieses Unglück ausgelöst hat, aber eines ist sicher: Das Woronongtal wird in spätestens einer Stunde nicht mehr existieren. Es ist zu be­fürchten, daß auch der Südhang des Dogro unter der Katastrophe leiden wird. Abgese­hen davon haben die Berechnungen unserer Wissenschaftler ergeben, daß der Umfang der Lawine ausreicht, um das Tal an dieser Stelle bis in mindestens dreihundert Meter Höhe restlos auszufüllen. Wenn ich jetzt al­so Zeit verschwende, um diesen lächerlichen Durchschuß zu verbinden, dann werde ich nicht einmal mehr dazu kommen, den Ver­band zu wechseln. Wir gehen jetzt dort hin­auf, und ich rate Ihnen, sich zu beeilen.«

Jintha schwieg. Wenn Burjos in dieser Weise mit ihr redete, war die Situation schon so gut wie hoffnungslos. Der zweite Wächter, ein unangenehmer, schmieriger Kerl, der in Gaddos' Diensten stand und Jint­ha eher bespitzelte als bewachte, hatte Lanja ins Tal begleitet. Die beiden wollten Vorräte einkaufen.

Lanja! Sie hatte Jintha aufgezogen, und das Mädchen hing an dieser Sklavin mehr als an ihrer eigenen Mutter.

»Was ist los?« fragte Burjos unwillig, als Jintha plötzlich stehenblieb.

»Sie ist im Dorf!« erwiderte das Mädchen tonlos.

Der junge Ckorvone begriff sofort. Er preßte die Lippen aufeinander, dann packte er Jintha am Arm und zog sie weiter.

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»Wir können ihnen nicht helfen«, erklärte er brutal. »Weder Lanja noch den vielen an­deren. Es wäre sinnlos. Sie haben keine Chance mehr.«

»Vielleicht bekommen sie einen Wagen«, wehrte sich Jintha verzweifelt gegen den un­vorstellbaren Gedanken, Lanja zu verlieren. »Wenn sie schnell genug fahren, können sie es schaffen!«

»Mag sein«, nickte Burjos tröstend. Er wußte es besser, zog es aber vor, dem Mäd­chen wenigstens diese Hoffnung zu lassen. Über Funk hatte er erfahren, daß die Straße unterhalb des Dorfes sehen durch Erdrutsche verschüttet worden war. Aber das eigentli­che Drama stand noch aus.

Sie erreichten den Wald und tauchten in die Dämmerung zwischen den hohen, gera­den Stämmen.

Burjos warf einen kurzen Blick zurück und sah an der Flanke des Quamendrin die ersten Vorboten der Katastrophe. Schnee stäubte auf und verdeckte die Sicht auf die zerrissenen Felsen.

Unter den Bäumen lag der Schnee nicht so hoch. Sie kamen schneller voran. Über ihnen, in den verfilzten Zweigen, raschelten und flatterten Tiere. Sie schienen die Gefahr zu spüren. Burjos tastete nach seiner Waffe und behielt ihre Umgebung ständig im Au­ge. Aber sie erreichten unangefochten den schmalen Pfad, der sich in engen Windun­gen den Hang hinaufzog, um weiter oben über einen niedrigen Paß in ein Nebental zu führen. Dort wußte Burjos eine militärische Station, in der sie Hilfe finden würden. Aber sie mußten erst einmal dorthin kommen, und der Ckorvone zweifelte daran, daß sie ihr Ziel rechtzeitig erreichen würden.

Einige Minuten später ließen sie den Wald hinter sich. Das ferne Rauschen und Poltern hatte inzwischen ständig zugenom­men. Noch war es am Dogro ruhig. Burjos merkte, daß Jintha kaum noch Luft bekam, und blieb kurz stehen. Er schob den Ärmel seiner Jacke hoch und warf einen Blick auf die Wunde. Sie schmerzte zwar höllisch, blutete jedoch nicht mehr besonders stark

und sah relativ ungefährlich aus. Jintha setz­te sich auf den Boden und legte den Kopf auf die hochgezogenen Knie. Sie fühlte sich grenzenlos müde.

Als sie das seltsame, hohle Brausen hörte, hob sie verwundert den Kopf. Ein schrilles Pfeifen mischte sich darunter. Es klang wie damals, als der Vulkan auf Mucarin ausge­brochen war. Aber der Quamendrin war kein Vulkan!

Burjos stand wie erstarrt neben ihr. Sie folgte seinen Blicken – und sah die Flam­mensäule, die unterhalb des weit entfernten Gipfels in den blauen Himmel schoß.

»Was ist das?« flüsterte sie entsetzt. »Ich weiß es nicht«, murmelte Burjos. Er

half dem Mädchen hoch, und sie gingen weiter. Ab und zu ragten Felsen neben dem Pfad auf, aber die Lichterscheinung ragte so weit in den Himmel, daß sie sie ständig über sich sahen, Burjos warf immer wieder Blicke auf diese seltsame Flamme. Er ent­deckte dunkle Punkte, sah, wie Felsbrocken von der Größe eines Mietshauses den Qua­mendrin hinabkullerten, und kam zu der Überzeugung, daß sie auch in diesem Be­reich des Dogro noch längst nicht in Sicher­heit waren. Aber drüben war jetzt fast der ganze Hang in Bewegung geraten, und ein­zelne Brocken fielen aus der Flammensäule über ihnen herab. Sie schlugen wie Bomben in den unter ihnen liegenden Waldein.

Er trieb Jintha erbarmungslos an. Es war keine gewöhnliche Lawine. Irgend etwas gab es am Quamendrin. Vielleicht hatten die Landbewohner dieser Gegend doch recht, wenn sie den riesigen Berg für den Wohn­sitz rachsüchtiger Dämonen hielten. Aber er hatte seine Aufgabe zu erfüllen. Burjos mußte alles versuchen, um Jintha aus dieser Hölle hinauszulotsen. Falls ihm das nicht gelang, er selbst aber am Leben blieb, so war es besser, wenn er Frinalhan für alle Zeiten den Rücken kehrte. Er würde ein sol­ches »Versagen« teuer bezahlen müssen.

Jintha stapfte wie eine Maschine vor­wärts. Als Burjos sie auf die kleine Höhle hinwies, die er über einem Gebüsch jenseits

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des Pfades entdeckte, hob sie nicht einmal den Kopf. Über ihnen glühte der Himmel, und immer zahlreicher regneten brennende Trümmerstücke auch auf den Dogro hinab. Das Poltern und Rauschen übertönte alles. Ein starker Wind kam auf, der ihnen aufge­wirbelten Schnee und den Gestank brennen-der Tarvobäume entgegentrieb.

Er führte das Mädchen den sanft geneig­ten Hang hinauf, schob sie durch die Büsche und half ihr über die rissigen Felsbrocken. Sein Arm schmerzte fast unerträglich, und das Gewicht der Schultertasche schien von Minute zu Minute zu wachsen.

»Da hinein!« keuchte er und zeigte auf die kleine, dunkle Höhle. Es war nicht viel mehr als eine Nische in den Felsen. Eiszap­fen bedeckten die Rückwand. Darunter rie­selten ein paar Wassertropfen herab, die sich am Boden zu einer mit dünnem Eis bedeck­ten Pfütze sammelten. Jintha wollte sich in­stinktiv in den hintersten Winkel verkrie­chen, aber Burjos hielt sie zurück.

»Wenn das Gestein bricht, sind wir dort hinten verloren«, erklärte er. Sie stand offen­sichtlich unter einer Schockeinwirkung. Ihre Blicke gingen durch ihn hindurch. Sie hock­ten nebeneinander auf dem eiskalten Boden und starrten auf das Chaos, das sich ihren Augen darbot.

Unmengen von Schnee, Eis und lockeren Steinen aller Größenordnungen hatten sich aus der Flanke des Quamendrin gelöst. Bur­jos sah die Lawine, schätzte die Richtung, orientierte sich und verglich das umgebende Gelände mit den ihm bekannten Daten über den geheimnisvollen Berg. Die Lawine selbst bot für sie jetzt keine überragende Ge­fahr mehr, es sei denn, der Hang des Dorgo würde durch die Erschütterungen ebenfalls in Unruhe geraten. Die Massen von Schnee und Eis würden die kleine Höhle jedoch nicht erreichen. Einziger Unsicherheitsfaktor in dieser Rechnung war die Flammensäule.

Burjos griff nach dem Fernglas und späh­te zum Ort des unheimlichen Geschehens hinauf. Noch niemals hatte ein Ckorvone die Spitze des Quamendrin erreicht, und die

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Nordwand mit dem riesigen Überhang, die von den Dorfbewohnern die »Burg der Dä­monen« genannt wurde, bot ein absolut un­überwindliches Hindernis. Dieser Überhang ragte etliche hundert Meter weit aus der Steilwand heraus. Darüber türmte sich eine ungeheure Geröllhalde bis fast zum Gipfel. Aus dem unteren Teil dieser merkwürdigen Formation brach der Feuerstrahl hervor. Er streifte den unteren Rand des Gerölls, das dadurch in Bewegung geriet und die Lawine auslöste.

Noch während er hinsah, erlebte Burjos die Demaskierung dieses Überhangs.

Allmählich löste sich die Kruste, die den geheimnisvollen Gegenstand an der Spitze des Quamendrin so lange verborgen hatte. Eine metallisch glänzende Kugel kam dar­unter zum Vorschein. Aus dieser Entfernung wirkte sie klein und unbedeutend, aber als Burjos einen kurzen Größenvergleich an­stellte, stockte ihm der Atem. Das Ding, aus dessen glänzender Hülle das Feuer der Ver­nichtung brach, mußte unvorstellbare Aus­maße haben.

Plötzlich schien der kahle Hang zu ber­sten. Die Verankerungen, mit der die Kugel sich bis jetzt an ihren Platz geklammert hat­te, brachen und lösten Felsbrocken von der Größe kleiner Berge aus der Wand. Wie ein gigantischer Ball sprang das Gebilde den Hang hinunter. Bei jedem Aufprall nahm das Ausmaß der Zerstörungen zu. Der Kugel selbst geschah nichts.

»Was ist das?« Jinthas Stimme klang schrill und spitz.

Sie zitterte am ganzen Körper. Die Kugel hatte jetzt ungefähr einen Höhenunterschied von zweitausend Metern überwunden. Noch ließ sich nicht sagen, wo sie am Ende auf­schlagen würde. Der Feuerstrahl schlug mit vernichtender Gewalt rundum in die Berge ein. Ein paar Sekunden später traf er den Wald unterhalb der Höhle. Glühende Äste wirbelten am Eingang vorbei. Ein Schauer von Steinen prasselte herab. Jintha wollte sich in das Chaos hinausstürzen, aber Burjos hielt sie fest. Das Mädchen war völlig hyste­

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risch, trat nach ihm und kratzte. Er wußte, daß vernünftige Argumente jetzt nichts mehr nützten. Darum schlug er zu.

Die Hitze wurde fast unerträglich. Er zerr­te den Körper des Mädchens tiefer in die Höhle, hockte sich neben Jintha und starrte hinaus. Geisterhaft fingerte der Feuerstrahl an den Bergwänden entlang. Ein kleiner Berg loderte auf und verschwand in einer Fahne davonwehenden Staubes. Die Kugel kam näher. Als sie etwa einen Kilometer südlich des Dorfes aufschlug, schwankte der Boden der Höhle wie bei einem Erdbeben. Ein paar Steine lösten sich aus der Decke. Für den Bruchteil einer Sekunde sah Burjos das Gebilde ganz deutlich. Es war glatt wie eine Murmel, durchmaß etwa einen Kilome­ter und wies an verschiedenen Stellen Aus­wüchse auf, die durch den Absturz teilweise verbogen oder abgebrochen waren. Der Feu­erstrahl war verschwunden.

Dann raste eine Wand aus mit Geröll ver­mischtem Schnee den Hang hinunter und be­deckte sowohl die Kugel als auch die letzten Überreste des Dorfes. Die Lawine hatte ihr Ziel erreicht.

*

Der Kommandant der Gefühlsbasis Xe­riomph war defekt. Allerdings wußte er das nicht, sonst hätte er den Schaden längst ge­meldet. Der Fehler in seinen Schaltkreisen zeigte sich erst, als es schon zu spät war.

Die Antennen der Station nahmen einen Impuls auf. Die Sendung wurde im Unter­sektor »Empfang« entschlüsselt und an den Kommandanten weitergeleitet. Es handelte sich um einen Befehl aus der Eisigen Sphä­re. Der Kommandant erteilte dem Sektor »Sendung« die Anweisung, die für diesen Fall vorgesehene Bestätigung abzustrahlen. Gleichzeitig informierte er alle anderen Ne­bengehirne und setzte die erforderlichen Schaltungen in Betrieb. Innerhalb von Se­kunden erwachte die Gefühlsbasis zu roboti­schem Leben.

Ein ziemlich untergeordneter Kontrollteil

machte den Kommandanten kurz darauf auf einen Fehler aufmerksam. Die an die Varga­nen gerichtete Bestätigung war nicht abge­strahlt worden. Der Kommandant zog daraus den Schluß, daß die Funkzentrale nicht in Ordnung war und erteilte ihr den Befehl, sich schleunigst zu regenerieren.

Die Funkzentrale befolgte den Befehl. Für die Dauer der Untersuchung schloß sie sich zunächst von dem ihr übergeordneten Sektor ab. Als sie in ihren eigenen Schaltkreisen keinen Fehler fand, öffnete sie ihre internen Kanäle wieder und meldete das Ergebnis an ihre Zentrale weiter. Dort entstand der Ein­druck, die Fehlschaltung müsse innerhalb des zuständigen Kontrollgehirns liegen. Der gesamte Sektor »Sendung« sperrte die Ver­bindung zu den übrigen Anlagen und suchte nach dem Fehler, der laut Befehl des Kom­mandanten beseitigt werden mußte. In die­sem Komplex wurde auch die Funktion der überaus wichtigen Emotiostrahler kontrol­liert und gesteuert. Das Robotsystem der Gefühlsbasis funktionierte sternförmig. Vom Kommandanten gingen direkte Verbindun­gen zu den Sektoren, von dort aus wurden die Nebensektoren informiert, die die Infor­mationen wiederum an zahlreiche kleinere Einheiten weiterleiteten. Es gab Verflech­tungen, die der Überbrückung der Instanzen dienten, aber in Fällen wie diesem war jeder Komplex fähig, absolut autark zu handeln.

Der Kommandant hatte inzwischen die Energieversorgung angekurbelt, die seit dreihundert Jahren darauf beschränkt wor­den war, die wenigen ständig funktionsfähi­gen Teile der Station zu versorgen. Vorran­gig war die Bereitstellung von Energie für die Emotiostrahler. Die Speicher füllten sich schnell. Als eine bestimmte Grenze erreicht war, gab der betreffende Sektor eine Mel­dung ab. Die Abteilung »Sendung« reagierte nicht. Die Kanäle blieben verstopft. Der Sektor »Energie« konnte seine Tätigkeit nur dann selbstständig einstellen, wenn ein Feh­ler im eigenen Bereich vorlag. Solange das nicht der Fall war, blieb der Befehl des Kommandanten bestehen. Nach wenigen Se­

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kunden wurde die Kapazität der Speicher überschritten. Die Energie staute sich. Der Kommandant empfing eine Alarmmeldung und ordnete die sofortige Öffnung der Kanä­le an. Aber auch er drang nicht bis zu dem zuständigen Teilgehirn durch. Er hätte jetzt den Befehl geben müssen, sofort den Ener­giefluß zu den Emotiospeichern zu stoppen, aber gerade da lag seine Schwäche.

Er vermochte einen einmal gegebenen Befehl nicht rückgängig zu machen. Er war­tete auf die Bestätigung, die er gar nicht er­halten konnte.

Als die ersten Überschlagsblitze entstan­den, baute sich automatisch ein Schutz­schirm auf. Er verhinderte zwar, daß be­nachbarte Teile der Gefühlsbasis zerstört wurden, ließ die immer noch herbeiströmen­de Energie jedoch anstandslos passieren. Der Kommandant sendete unbeeindruckt immer noch dieselben Befehle.

Schließlich wurde der kritische Punkt er­reicht, und die Speicher flogen auseinander. Der Schutzschirm leitete die nun völlig frei herbeiströmende Energie über die Notfälle dieser Art vorgesehene Kanäle nach außen ab.

Der Kommandant registrierte diese Vor­fälle. Er stellte auch die schweren kineti­schen Erschütterungen fest, die die Basis durchliefen, hielt sich jedoch auch weiterhin an den Auftrag, die Emotiostrahler mit Ener­gie zu versorgen. Der Sektor »Sendung« öff­nete seine Kanäle nicht, weil er einerseits in seinen Schaltkreisen keinen Fehler fand, an­dererseits infolge der nun zerstörten Spei­cher der naheliegenden Spur zu den Energie­erzeugern nicht folgen konnte. Minutenlang blieb die Situation unentschieden. Dann schlug die nach außen abgeleitete Energie in die Schutzschirme zurück. Der Sektor »Energie« registrierte eine Störung im eige­nen Bereich und reagierte sofort. Die Ener­gieerzeugung wurde eingestellt und auch nach einem dringenden Befehl des Kom­mandanten nicht wieder aufgenommen, weil der Weg zu den Emotiostrahlern blockiert war. Damit war die Gefühlsbasis Xertomph

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vorläufig zur Untätigkeit verurteilt. Die ent­standenen Schäden hätte der Kommandant leicht beheben können, wäre nicht diese Fehlschaltung in seinen maschinellen Einge­weiden gewesen. Er beschränkte sich darauf, die betroffenen Sektoren auch weiterhin mit Befehlen zu bombardieren, die jedoch nie­mals befolgt wurden.

*

»Was Sie da berichten, klingt unglaub­lich!«

Der Leiter der militärischen Bergstation, die Jintha und Burjos nach einer gefahrvol­len Wanderung durch das Lawinengebiet er­reicht hatten, kannte Jinthas Identität, aber er vermochte seine Skepsis nicht ganz zu ver­bergen. Burjos hielt sich im Hintergrund, obwohl gerade er die wichtigsten Beobach­tungen gemacht hatte. Sein ganz persönli­ches Problem beschäftigte ihn ausreichend.

»Es stimmt«, gab Jintha bereitwillig zu. »Aber leider war es nicht nur eine Halluzi­nation, die wir erlebten. Sie haben Kund­schafter über den Paß geschickt und die Be­richte erhalten. Sie wissen also Bescheid!«

Der Ckorvone nickte nachdenklich. Er saß Jintha an einem kleinen Tisch gegenüber und drehte verlegen einen Becher mit hei­ßem Tee zwischen den Händen. Bur jos konnte sich lebhaft vorstellen, wie diesem Mann zumute war. Er selbst hatte sich an Jintha gewöhnt. Sie war manchmal launisch, hatte jedoch weder die Gier nach Macht, noch den Hang zur Brutalität von ihrem Va­ter geerbt. Man konnte vernünftig mit ihr re­den. Aber woher sollte der Fremde das wis­sen?

Burjos verfolgte das Gespräch der beiden mit halbgeschlossenen Augen. Er stand ne­ben der Tür, und auch seine lässige Haltung konnte nicht darüber hinwegtäuschen, daß er sprungbereit und wachsam war. Man hatte seine Verletzung verbunden und ihm ein schmerzstillendes Medikament verabreicht. Jetzt wachte er über Jintha und stellte dabei Überlegungen an, die er selbst Jintha gegen­

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über nicht hätte äußern dürfen. Sie hatten über Funk ihre Beobachtungen

übermittelt und warteten nun auf die Anwei­sungen des Diktators. Natürlich würde Tei­hendru darauf bestehen, daß man die Kugel freilegte und genau untersuchte. Dagegen war im Prinzip nichts einzuwenden. Aber in der Kugel gab es Waffen, das war durch den Feuerstrahl bewiesen. Gerieten sie in die Hände des machthungrigen Diktators, so war Vaanrhan verloren. Das Gleichgewicht zwischen den beiden Staaten war äußerst la­bil. Bisher hatte man einen offenen Krieg vermeiden können. Vaanrhan war waffen­technisch überlegen, vermied jedoch ab­sichtlich eine Auseinandersetzung. In der Heimat des angeblichen Prospektors hoffte man immer noch, sich eines Tages friedlich mit dem Diktator oder seinem Nachfolger einigen zu können.

Aber Burjos, der sich vor etwa über zwei Jahren als einziger Agent seines Landes in die direkte Nähe Teihendrus hatte schmug­geln können, wußte genau, daß solche Hoff­nungen verfehlt waren. Teihendru würde die erstbeste Gelegenheit nützen. Es ging ihm nicht um die Reichtümer Vaanrhans, son­dern um mehr Macht. Und darum durfte Tei­hendru die Waffen nicht in die Hände be­kommen, die die Kugel in sich barg. Burjos wußte nicht, wie er die Bergungsarbeiten sa­botieren sollte, aber es stand fest, daß er es tun mußte.

Eine halbe Stunde später betrat ein Bote das Zimmer. Er reichte Jintha einen versie­gelten Umschlag. Das zierliche, rotblonde Mädchen las die Nachricht und reichte das Blatt kommentarlos an Bur jos weiter. Der Ckorvone hatte Mühe, seinen Triumph zu verbergen.

»Nun?« fragte Jintha ungeduldig. »Was sagen Sie dazu?«

»Es ist ein Befehl des Herrschers«, erwi­derte Burjos scheinbar gleichmütig. »Es steht mir nicht zu, eine eigene Meinung zu äußern!«

»Ich hasse diesen Berg!« rief Jintha lei­denschaftlich. »Und ich werde mich wei­

gern, diese Anweisung zu befolgen. Entwe­der nimmt mein Vater den Befehl zurück, daß ausgerechnet Sie in diesem gefährlichen Gebiet die Leitung der Arbeiten überneh­men, oder ich komme mit!«

»So sollten Sie nicht reden«, versuchte Burjos das aufgebrachte Mädchen zu beruhi­gen. »Ihr Vater handelt absolut logisch. Ich habe gesehen, wo die Kugel aufschlug. Ihm ist bekannt, daß ich über die nötigen Kennt­nisse verfüge, um diese Arbeit zu überneh­men. Wenn es ein Unglück gibt und ich da­bei sterbe, dann bin ich selbst schuld, denn dann habe ich versagt. Für Versager gibt es keinen Platz in unserer Gesellschaft!«

Jintha sprang auf und rannte aus dem Zimmer. Als er sie draußen auf dem Gang aufgeregt diskutieren hörte, fing er einen mitleidigen Blick des Uniformierten auf. Er grinste verhalten. Jintha würde bei ihrem Vater seiner Meinung nach überhaupt nichts erreichen.

Er hatte sich geirrt. Eine Stunde später kletterte er hinter dem Mädchen aus dem Wagen, der sie bis an den Rand der Un­glücksstelle gebracht hatte. Er ließ sich seine Gefühle nicht anmerken, aber er hätte am liebsten laut geflucht. Nun mußte er nicht nur die geheimnisvolle Kugel dem Zugriff des Diktators entziehen, sondern auch noch für die Sicherheit des Mädchens sorgen. Als er dann noch erfuhr, daß er erstens mit Gad­dos eng zusammenarbeiten mußte und zwei­tens ein Zimmer direkt neben der Tochter des Diktators bewohnen sollte, sank seine Stimmung auf den Nullpunkt. Ihm standen sehr schwere Tage bevor!

2.

»Gefühlsbasis Xertomph im Manetzasy-Sy­stem meldet sich nicht!« dröhnte eine Stim­me aus dem Lautsprecher des Kontroll­raums. »Funktionsaufnahme ist laut Plan in acht Tagen der Standardzeitrechnung erfor­derlich. Die üblichen Nachforschungen blie­ben ohne jeden Erfolg. Xertomph schweigt!«

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»Ich fliege sofort los!« versicherte Ma­gantilliken seinem unsichtbaren Gesprächs­partner.

»Genau das erwarten wir von dir«, kam die etwas spöttische Antwort. »Schließlich ist es deine Aufgabe, für den reibungslosen Ablauf der Aktion zu sorgen. Damit du mit dem nötigen Eifer an die Arbeit gehst, möchte ich dir noch etwas verraten. Wir ha­ben noch einmal über deinen Fall gespro­chen. Du hast im Makrokosmos versagt, aber wenn du jetzt gute Arbeit leistest, wäre es denkbar, daß wir dir dennoch die Rück­kehr nach Yarden erlauben.«

»Ich werde mir große Mühe geben«, ver­sprach Magantilliken hastig, aber die Ver­bindung war bereits abgebrochen. Der Hen­ker drückte auf eine Taste.

»Isthmy und Xonth, sofort in die Zentra­le!« sagte er leise in ein Mikrophon. Der Ruf hallte vielfach verstärkt durch die Räume und Gänge des Doppelpyramidenschiffs.

Der Kreuzzug nach Yarden hatte begon­nen. Zehntausend voll bemannte Raumschif­fe der Tejonther folgten dem Ruf der ge­heimnisvollen Leerraumkontrolleure. Kein Angehöriger dieser Riesenflotte ahnte auch nur, wo das Ziel lag und was dort geschehen sollte. Für die Tejonther handelte es sich um eine heilige Mission. Die kosmischen Leuchtfeuer der Gefühlsbasen wiesen der Flotte den Weg. Daß diese Stationen nicht nur der Orientierung dienten, sondern noch eine weitaus wichtigere Funktion erfüllten, wußten nur jene, die alle dreihundert Jahre den Pilgerzug ins Nichts planten und organi­sierten. Von der Eisigen Sphäre aus über­wachten sie den Weg der Flotte. Nach einem genau ausgearbeiteten Zeitplan erhielten die Stationen den Befehl, sich zu aktivieren.

Jedesmal, wenn die Flotte der Tejonther sich einer solchen Basis näherte, gelangte sie auch in den Einflußbereich der Emotio­strahler. Die Art, in der die einzelnen Statio­nen die Teilnehmer am Kreuzzug beeinfluß­ten, war genau aufeinander abgestimmt. Stu­fenweise wurden die Tejonther auf ihre Auf­gabe vorbereitet. Fiel eine Basis aus, so

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konnte das zu einem Bruch führen, der sich nicht mehr korrigieren ließ. Und das bedeu­tete, daß der Kreuzzug im schlimmsten Falle abgebrochen wurde. Ein größeres Unglück konnte Magantilliken sich nicht vorstellen. Er hielt sich als einziger Tropoyther außer­halb Yardens auf und trug die Verantwor­tung dafür, daß Pannen dieser Art nicht vor­kamen.

Eine Kugel von einem Meter Durchmes­ser schwebte durch das offene Schott.

»Ich habe die Nachricht gehört«, gab Isth­my bekannt. »Diesmal wirst du eine Menge Ärger bekommen!«

Magantilliken verdrehte die Augen. Der kugelförmige Roboter war eine wertvolle Hilfe bei diesem Unternehmen, aber manch­mal ging er dem Henker ziemlich auf die Nerven. Er schien es zeitweilig geradezu darauf anzulegen, seinen Herrn zu ärgern.

»Du sollst diese energieverschwendende Schweberei hier im Schiff bleibenlassen!« fauchte Magantilliken ungeduldig.

Isthmy kicherte schrill und ließ vier kurze Laufbeine aus seinem glänzenden Metall­körper wachsen. Als die stählernen Klauen den Bodenbelag berührten, entstand ein schrilles Geräusch, bei dem Magantilliken sich die Ohren zuhielt.

»Siehst du?« spottete Isthmy. »Du be­hauptest jedesmal, dieses Geräusch wäre einfach unerträglich. Was soll ich denn nun eigentlich? Fliegen oder laufen?«

»Kümmere dich um den Kurs!« befahl Magantilliken ärgerlich, ohne auf diese Fra­ge einzugehen. Der Roboter schwebte durch die Zentrale und machte sich an die Arbeit. Inzwischen war auch Xonth eingetroffen. Das breitschultrige Echsenwesen mit den stämmigen Laufbeinen und den grün be­schuppten Klauenhänden paßte auf den er­sten Blick überhaupt nicht in diese kalte, technische Umgebung. Aber der Sklave schien sich dessen gar nicht bewußt zu sein. Er wußte genau, was er zu tun hatte. Im Ge­gensatz zu dem geschwätzigen Roboter sprach Xonth so gut wie nie. Schweigend suchte er die Daten über Xertomph heraus

11 Ein Robot versagt

und brachte sie seinem Herrn. Magantilliken warf einen kurzen Blick

auf eine graphische Darstellung. Die Ge­fühlsbasis war an dem Hang eines riesigen Berges verankert. Es würde leicht sein, sie zu finden, und der Henker rechnete mit kei­nen großen Schwierigkeiten. Er blätterte weiter und stellte fest, daß Xertomph be­wohnt war. Die Ckorvonen waren Nach­kommen einer varganischen Kolonisten­gruppe.

Dem letzten Bericht zufolge hatten sie nach einem Rückfall in die Barbarei begon­nen, eine bescheidene Technik zu ent­wickeln.

»Wir brauchen fast einen Tag, um Xer­tomph zu erreichen«, verkündete Isthmy laut.

»Geht es nicht schneller?« wollte Magan­tilliken ärgerlich wissen. »Wir verlieren eine Menge Zeit.«

»Ich kann nichts daran ändern«, gab der Roboter schnippisch zurück. »Ich weiß, daß du an andere Schiffe gewöhnt bist, aber das ist nicht meine Schuld.«

Der Henker erhob sich seufzend. Seine Anwesenheit in der Zentrale war im Augen­blick überflüssig. Bevor er jedoch das Deck aufsuchte, in dem seine Privatkabine lag, fiel ihm Isthmys Bemerkung ein.

»Was meintest du eigentlich damit, daß ich Ärger kriegen würde?« fragte er miß­trauisch.

»Das ist offensichtlich«, behauptete Isth­my seelenruhig. »Umsonst bietet man dir nicht die Rückkehr in die Eisige Sphäre an. In Yarden weiß man offensichtlich, daß eini­ge unangenehme Dinge auf dich warten. Darum hält man dir die Belohnung als Kö­der vor.«

»Roboter wie dich sollte man verschrot­ten!« knurrte Magantilliken ärgerlich und stapfte hinaus. Aber so ganz unsinnig war Isthmys Behauptung nicht. Der Henker kannte seine Artgenossen. Irgend etwas steckte schon dahinter. Seit er auf seiner Jagd nach der schönen Rebellin Ischtar auf diesen Atlan getroffen war, ging einfach al­

les schief. Es war ein Schock für ihn gewe­sen, dem Arkoniden sogar hier, im Mikro­kosmos zu begegnen. Dieser Kerl war ein­fach nicht kleinzukriegen, und wo er auf­tauchte, da gab es Ärger. Magantilliken kannte den Plan, Atlan und das Mädchen, das ihn begleitete, für eine »Blutauffrischung« einzusetzen. Die Tro­poythers waren unsterblich und paradoxer­weise gerade deshalb zum Aussterben verur­teilt, denn sie konnten sich nicht mehr fort­pflanzen. Aber ob es ein besonders guter Einfall war, gerade diesen Arkoniden zur Si­cherung des Nachwuchses einzusetzen, wußte der Henker nicht. Atlan in die Eisige Sphäre zu bringen, das war seiner Meinung nach mehr als leichtsinnig.

Er stieß seufzend die Tür zu seiner Kabi­ne auf. Ein Gang durch einen blühenden Garten – das war es, was ihm jetzt fehlte. Abschalten, sich entspannen. Aber auf die­sem Raumschiff gab es kein Erholungsdeck. Die Doppelpyramide war nur einhundert­achtzig Meter lang und in der Mitte sechzig Meter hoch. Für' Magantilliken ein Grund mehr, Ischtar und ihren heißgeliebten Allan in die tiefste Hölle zu verwunschen. An die­sen beiden waren alle seine ehrgeizigen Plä­ne gescheitert.

Auch die Wasserstrahlen der Dusche konnten diese trüben Gedanken nicht völlig aus dem Gehirn des Henkers vertreiben. Er versuchte, sich auf das bevorstehende Unter­nehmen zu konzentrieren. Die Aussicht, endlich nach Yarden zurückkehren zu dür­fen, war verlockend. Er würde alles daran­setzen, um seine Auftraggeber diesmal zu­friedenzustellen. Aber obwohl er sich sein Ziel in den schimmerndsten Farben ausmal­te, ließen sich gewisse Zweifel nicht aus­schalten. Selbst das Innere der Eisigen Sphä­re, dessen Bild er in seinen Gedanken her­aufbeschwor, besaß nicht mehr den alten Glanz …

Als Isthmy meldete, daß die Umlaufbahn um Xertomph erreicht war, befand Magan­tilliken sich in einer geradezu mörderischen Stimmung. Diese verschlechterte sich noch,

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als der aufdringliche Roboter sich darauf versteifte, seine Meldung so lange zu wie­derholen, bis der Vargane in der Zentrale eingetroffen war.

»Was schreist du hier herum!« fauchte er den Roboter wutentbrannt an. »Anweisungen brauchst du? Ich werde dir gleich welche geben. Scher dich in den Kon­verter, du Mißgeburt von einer Konserven­büchse!«

»Zu Befehl«, schnarrte Isthmy gleichmü­tig und setzte sich in Bewegung.

»Halt!« schrie Magantilliken, und die Ku­gel stoppte ihren Flug so plötzlich ab, als wäre sie gegen eine Wand geprallt. Der Henker atmete ein paarmal tief durch, dann wandte er sich grimmig dem Sichtschirm zu.

»Warum sind wir noch nicht gelandet?« fragte er mühsam beherrscht.

»Ich bin gehalten, auf Ihre Anweisungen zu warten, sobald sich unvorhergesehene Gesichtspunkte ergeben«, entgegnete der Roboter. Seine ungewohnte Höflichkeit zeigte dem Henker, daß dieses verflixte Ding beleidigt war. Isthmy wartete eine Se­kunde, und als der Vargane bis dahin seinen vorhin gegebenen Befehl nicht widerrufen hatte, schwebte er wieder auf das Schott zu.

»Schon gut«, seufzte Magantilliken schwer. »Du brauchst nicht in den Konverter zu kriechen. Benimm dich gefälligst wieder vernünftig. Was ist los? Ich erwarte, daß du dich jetzt im Klartext ausdrückst!«

Pflichteifrig schwirrte Isthmy zu den Kontrollen und nahm einige Veränderungen vor. Auf dem Bildschirm raste die Oberflä­che Xertomphs heran. Binnen Sekunden füllte eine einzige Bergspitze den Schirm aus. Magantilliken betrachtete den kahlen Felshang, sah einige glasiert wirkende Stel­len und unterdrückte einen Fluch.

»Ist das die Stelle, an der die Gefühlsbasis sich befand?« vergewisserte er sich.

»Ja«, erklärte Isthmy erstaunlich knapp. Gleichzeitig änderte sich der Bildausschnitt und zeigte nun ein von steilen Hängen um­rahmtes Tal. »Dort ist sie jetzt.«

Magantilliken starrte düster auf die unver-

Marianne Sydow

kennbaren Spuren einer gewaltigen Lawine. Noch wußte er nicht, was in der Station vor sich gegangen war, aber die Gefühlsbasis selbst schien ihren eigenen Absturz verur­sacht zu haben. Ein Blick auf die Masseta­ster bestätigte seine Befürchtungen. Die Ba­sis lag unter einer fast einhundert Meter dicken Schicht von Schnee, Eis und Geröll begraben. Das hätte dem Henker nicht viel ausgemacht, denn seine technische Ausrü­stung war gut genug, um mit solchen Hin­dernissen fertig zu werden. Aber leider gab es noch ein anderes Problem.

An der Unglücksstelle wimmelte es von Eingeborenen. Mit Hilfe klobig wirkender Fahrzeuge gruben sie sich durch das Lawi­nenfeld, und ihr Ziel war nur zu deutlich zu erkennen. Sie suchten die abgestürzte Basis!

»Die Emotiostrahler müssen ausgefallen sein«, murmelte Magantilliken. »Sonst wür­de die Station jetzt reagieren und die Kerle zurücktreiben. Unglaublich! Wie konnte so etwas geschehen?«

Er erhielt keine Antwort, denn Isthmy verzichtete diesmal auf Spekulationen, und Xonth enthielt sich wie immer der Stimme.

Der Vargane musterte das provisorisch aufgebaute Barackenlager am Rand des La­winenfelds. Er beobachtete auch, daß der ge­waltige Berg nach der Katastrophe noch im­mer nicht ganz zur Ruhe gekommen war. Unwillkürlich fühlte er eine Art Bewunde­rung für die Ckorvonen, die unter so gefähr­lichen Bedingungen ihren Wissensdurst zu stillen versuchten. Er schaltete die Vergrö­ßerung noch höher und sah sich diese er­staunlichen Wesen näher an.

Während der ersten Expansionsphase sei­nes Volkes hatte man viele Planeten des Mi­krouniversums besiedelt. Der Kontakt zu diesen Kolonien riß später, als die Varganen sich mit aller Kraft auf den Makrokosmos konzentrierten, in den meisten Fällen ab. Die Siedler blieben sich selbst überlassen und nahmen an der schnellen Weiterentwicklung des Stammvolkes nicht teil. Viele planetare Kulturen fielen nach kurzer Blüte in die Bar­barei zurück. Es gab Kriege, und oft genug

13 Ein Robot versagt

wurden atomare Waffen eingesetzt. Kaum eines der Siedlervölker sah heute noch den eigentlichen Varganen besonders ähnlich.

Bei den Ckorvonen war das anders. Sie wirkten stämmiger und kleiner als die Tro­poythers aus Yarden, und ihre Haut war dunkler. Aber sonst gab es keinen gravieren­den Unterschied.

»Welche Waffen wirst du einsetzen?« fragte Isthmy plötzlich.

Magantilliken zuckte zusammen, riß sich von dem Anblick der konzentriert arbeiten­den Ckorvonen los und drehte sich ärgerlich um.

»Gar keine!« Auch wenn die glatte Kugel, die bis auf

die beliebig ausfahrbaren Handlungsarme den gesamten Roboter darstellte, zu keiner direkten Gefühläußerung fähig war, wirkte Isthmy auf eine unbestimmbare Weise ver­wundert.

»Du mußt die Fremden beseitigen«, teilte er mit. Seine Stimme schwankte leicht und verriet damit die Verwirrung, unter der er litt. »Anders kannst du nicht zur Basis vor­dringen. Außerdem stellen die Eingeborenen eine Gefahr für die Station dar.«

»Unsinn!« wehrte Magantilliken ab. »Ich mische mich einfach unter sie. Eine Ausrede wird mir schon einfallen. Und selbst wenn sie die Basis erreichen sollten, können sie nicht hinein. Mit ihren primitiven Werkzeu­gen ist das nicht zu schaffen. Mein Ent­schluß steht fest. Es werden keine Waffen zum Einsatz gebracht. Ist das klar?«

»Allmählich begreife ich, warum du im Makrokosmos versagt hast«, bemerkte der Roboter. »Hat man so etwas schon gesehen? Ein Tropoyther entwickelt Gefühle. Noch dazu Skrupel! Ich glaube, du wirst alt, Ma­gantilliken!«

»Du widersprichst dir!« bemerkte der Henker gelassen. »Erstens kannst du gar nichts glauben, denn du bist nur eine Ma­schine. Zweitens vermag ein Unsterblicher nicht zu altern. Bereite die Landung vor. Wir gehen in dem Gebiet der Hochebene nieder, direkt neben diesen merkwürdigen

Ruinen dort. Aber warte noch, bis es in die­sem Gebiet dunkel ist.«

Die Erinnye verließ die Ankunfts-Platt­form des Transmitters und blieb abwartend stehen. Aber die obligatorische Meldung des Kommandanten, mit der man sie sonst beim Betreten einer Gefühlsbasis begrüßte, blieb diesmal aus. Die Erinnye, ein hochgezüchte­ter Roboter mit fast organischen Möglich­keiten des Denkens, öffnete nur zögernd ein Schott, denn solange sie keinen Kontakt mit dem Kommandanten hatte, mußte sie damit rechnen, von der Station als unerwünschter Eindringling eingestuft zu werden.

Ein schwach beleuchteter Gang tat sich auf. Die Erinnye stellte fest, daß keines der Kontrollgeräte auf ihre Anwesenheit reagier­te. Sie wußte nicht, was sie davon zu halten hatte. Ein wichtiger Auftrag hatte sie über das Transmittersystem bis nach Xertomph geführt. Sie sollte hier warten. Ein anderer Roboter hätte diesen Befehl zur Kenntnis genommen und sich um irgendwelche Be­gleitumstände nicht gekümmert. Aber eine Erinnye war kein gewöhnlicher Roboter.

Sie eilte durch die zahlreichen Gänge und Hallen bis in die Zentrale. Das Kommando­gehirn sah völlig normal aus, reagierte je­doch nicht auf die Bitte, die Situation zu er­klären. Die Erinnye bewaffnete sich mit ei­ner Anzahl von Prüfgeräten und testete die Anschlußschaltungen durch. Sie fand keinen Fehler und schloß sich daher ohne Zögern an das positronische Hauptsystem an. Ein kurzer Dialog mit dem Kommandanten ent­spann sich. Im Gegensatz zu dem defekten Kontrollgehirn zog die Erinnye sofort die richtigen Schlüsse, die durch eine Unterhal­tung mit dem Sektor »Sendung« erhärtet wurden.

Die Situation war schwierig. Die eigentli­chen Zerstörungen konnte die Erinnye ohne weiteres beseitigen. Die Emotiostrahler mel­deten volle Funktionsfähigkeit, und auch die Energieerzeugung konnte wieder angekur­belt werden. Das alles half jedoch nichts, so­lange das Sendegehirn sich gegen jeden Be­fehl sperrte. Nur der Kommandant selbst

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oder ein bevollmächtigter Vargane durfte einen solchen Impuls geben. Der Komman­dant weigerte sich, weil seine Fehlschaltung es nicht zuließ. Die Erinnye besaß die nöti­gen Vollmachten nicht. Also mußte ein Tro­poyther her.

Da der Transmitter einwandfrei empfing, wäre das ganz einfach gewesen. Ein Funk­spruch hätte genügt. Aber dieser Funkspruch wurde nicht angegeben. Umgekehrt ließ sich auch der Transmitter selbst nicht umpolen. Die Erinnye saß also in der Gefühlsbasis Xertomph fest, und solange keine Hilfe von außen kam, würde sie die Station auch nicht mehr verlassen können.

Sie wußte, daß der Kreuzzug in Kürze in die Nähe dieses Planeten kommen mußte. Ohne die psychische Beeinflussung durch die Emotiostrahler bestand die Gefahr, daß die Tejonther umkehrten. Man würde in der Eisigen Sphäre den Fehler bereits bemerkt haben und auf dem schnellsten Wege jeman­den herschicken. Um auf die Ankunft dieses Kontrolleurs vorbereitet zu sein, schaltete sich die Erinnye in das Empfangssystem ein. Auf diese Weise erfuhr sie, daß Magantilli­ken bereits unterwegs war. Sie wunderte sich keineswegs darüber, daß der Vargane darauf verzichtete, per Transmitter die de­fekte Station aufzusuchen. Er konnte schließlich nicht wissen, daß der Empfangs­teil in Ordnung war. Da er sich auf norma­lem Wege nähern mußte, machte sich die Erinnye pflichteifrig daran, dem Henker den Weg zu ebnen.

Winzige Sonden verließen die Gefühlsba­sis und bohrten sich durch die Schneemas­sen. Die Erinnye stellte die Anwesenheit von Eingeborenen fest. Sie hätte die ungebe­tenen Gäste ohne Skrupel vernichtet, aber ihr fehlten die technischen Möglichkeiten. Immerhin konnte sie einen Schacht schmel­zen, der bis an die Oberfläche führte, mußte jedoch auch damit warten, bis der Henker das Lawinengebiet erreicht hatte.

Der so erstaunlich zart und feminin wir­kende Roboter traf alle nötigen Vorbereitun­gen, dann lauschte er mit Hilfe der Geräte

Marianne Sydow

wieder nach draußen. Er bemerkte das Ein­treffen des Doppelpyramidenschiffes, ver­folgte das Manöver, mit dem Magantilliken sich dem Planeten näherte, und wurde erst nach einigen Stunden stutzig.

Warum griff der Tropoyther nicht endlich ein und beseitigte die Primitiven, die sich draußen durch den Schnee wühlten?

*

Während der Landung stellte Magantilli­ken fest, daß die Ckorvonen ein für ihn höchst unerfreulich hohes technisches Ni­veau erreicht hatten. Sie verfügten über ein Ortungsnetz, das zwar dem Raumschiff nichts anhaben konnte, die Benutzung eines Gleiters aber von vornherein verbot.

»Du solltest es dir noch einmal überle­gen«, empfahl Isthmy respektlos. »Wir erle­digen die Eingeborenen und landen direkt neben der Basis. In ein paar Stunden ist alles überstanden.«

Der Henker würdigte den Roboter keiner Antwort. Er hatte die feste Absicht, diese Angelegenheit alleine durchzustehen, ohne Hilfe und wenn möglich ohne den Gebrauch von Gewalt. Damit hoffte er einerseits, Plus­punkte bei seinen Vorgesetzten in Yarden zu sammeln, andererseits sein Gewissen zu schonen. Aber das waren Dinge, die Isthmy eben nicht verstand.

Sanft wie eine Feder schwebte das Raum­schiff über die schroffen Felsen des Gebir­ges und senkte sich dann auf eine mit kurz­em Gras bewachsene Hochfläche. Die Ge­gend sah kahl und unwirtlich aus. An eini­gen Stellen glitzerten Schneeflecken. Dro­hend und dunkel hoben sich die Silhouetten eines Ruinenfeldes von dem fahlbraunen Gras ab. Jenseits der Ebene ragten die Berge wie Mauern auf. Nirgends zeigte sich ein Lebewesen.

»Wir verlassen das Schiff und fliegen noch in der Nacht bis in die Nähe des Lawi­nengebietes«, ordnete Magantilliken an. »Morgen früh sind wir am Ziel.«

»Die Ckorvonen werden uns einen einzi­

15 Ein Robot versagt

gen Blick zuwerfen und dann erkennen, daß wir Fremde sind«, stellte Isthmy trocken fest. »Vielleicht kannst du dich als einen Eingeborenen ausgeben, aber Xonth und mich werden sie nicht akzeptieren.«

»Warten wir es ab«, murmelte Magantilli­ken und begab sich zur Hauptschleuse. Der Zagruler wartete bereits. Er hatte die Schleu­se noch nicht geöffnet. Der Henker warf einen Blick auf die Kontrollgeräte und stell­te fest, daß sie sich ohne besondere Schutz­maßnahmen draußen bewegen konnten. Xonth und er waren völlig unbewaffnet. Nur Isthmy konnte ihnen im Notfall helfen. Es war ein riskantes Spiel, aber gerade das reiz­te den Varganen.

»Öffne die Schleuse!« befahl er. Der Sklave gehorchte. Ein kalter Wind

wehte Magantilliken entgegen, als er die Rampe betrat. Trotz des Schutzanzugs schauderte der Henker zusammen. Isthmy schwebte an ihm vorbei und umrundete rasch das Schiff.

»Alles in Ordnung«, meldete er, als er zu­rückkehrte. »Eingeborene sind nicht in der Nähe.«

Der Henker nickte zu den gespenstischen Überresten einer riesigen Tempelanlage hin­über.

»Sie werden diese Gegend meiden«, ver­mutete er. »Ich kann es ihnen nachfühlen.«

Isthmy fand an den Ruinen nichts Beson­deres, aber an der Reaktion des Echsenwe­sens merkte Magantilliken, daß nicht nur er der unheimlichen Ausstrahlung dieser Trüm­mer erlag. Gewaltige Säulen trugen Tierwe­sen von monumentaler Größe. Die Skulptu­ren waren erstaunlich gut erhalten. Die halb­menschlichen Gesichter starrten auf das Raumschiff herab, und es schien, als würden sich die Steinfiguren sprungbereit zusam­menducken. Als Isthmy ein Stück auf die merkwürdigen Figuren zuschwebte, zuckte der Henker zusammen.

»Zurück!« schrie er dem Roboter zu. Isthmy hielt an. Direkt über ihm glühte

plötzlich ein bläuliches Licht auf. Irgendwo in dieser Anlage mußte es noch Energie ge­

ben, anders war der Vorgang nicht zu erklä­ren. Die Augen eines vogelähnlichen Phan­tasiewesens mit überlangem Schnabel und halbausgebreiteten Schwingen hatten zu leuchten begonnen, als der Roboter eine un­sichtbare Grenze überschritt. Magantilliken fluchte verhalten, als Isthmy seinem Befehl nicht nachkam, sondern statt dessen langsam zu dem Gesicht des Vogels hinaufstieg. Der Roboter kam nur wenige Meter weit, dann löste sich aus dem Schnabel der Figur ein gleißender Lichtstrahl. Magantilliken schloß geblendet die Augen. Als er sie wieder öff­nete, schwebte Isthmy dicht vor ihm.

»Verdammtes Ding!« fauchte der Henker. »Warum hast du nicht gehorcht?«

»Ich bin verpflichtet, dich zu schützen«, gab Isthmy gleichmütig zurück. »Jetzt weißt du, daß du den Figuren nicht zu nahe kom­men darfst. Dein Schutzschirm würde nicht ausreichen, um dich gegen einen solchen Energieschuß zu schützen. Soll ich das ko­mische Ding zerstrahlen?«

»Untersteh dich!« knurrte der Vargane. »Einen besseren Wächter für das Schiff kön­nen wir gar nicht finden. Oder glaubst du, die Eingeborenen wagen es, in der Nähe die­ser Figuren herumzulaufen?«

»Trotzdem solltest du das Schiff nicht einfach hier herumstehen lassen«, warnte der Roboter.

»Die Schleuse bleibt geschlossen«, brummte der Vargane unwillig. »Das Schott öffnet sich nur, wenn ich es will. Das reicht in diesem Falle völlig aus. Und jetzt los!«

Isthmy übernahm die Führung. Dicht hin­ter ihm flog Magantilliken, und dem Zagru­ler fiel die Aufgabe zu, darauf zu achten, daß niemand sie etwa von hinten her be­drohte. Die flugfähigen Anzüge brachten sie schnell voran. Nach wenigen Minuten er­reichten sie den Rand der Ebene. Sie über­querten eine Schlucht und schwebten dann entlang der Berge bis zu dem Paß, den sie schon vom Raum aus gesehen hatten, Ma­gantilliken legte Wert darauf, unauffällig in das Lager der Ckorvonen zu gelangen. Als beste Möglichkeit bot sich die Straße an, die

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von der vor dem Gebirge gelegenen Stadt in das Tal hineinführte. Jenseits des Passes lag etwa auf halber Höhe des Abhangs eine ein­same Hütte, die allem Anschein nach nur von einem einzelnen Ckorvonen bewohnt war. Dort gedachte der Henker für sich und den Zagruler ein landesübliches Kleidungs­stück zu besorgen.

Sie erreichten kurz vor dem Morgengrau­en das aus grob bearbeiteten Baumstämmen zusammengefügte Haus. Magantilliken ließ Isthmy und den Sklaven in der Deckung ei­ner Gruppe wintergrüner Gehölze zurück und schlich sich vorsichtig an das Gebäude heran. Drinnen war alles dunkel und still. Der Henker fand eine unverschlossene Tür, die sich lautlos öffnen ließ, und kurz darauf fand er eine Kammer, in der eine Anzahl halblanger Pelzmäntel hing. Er nickte zufrie­den, suchte zwei passende Mäntel heraus und kehrte in den Flur zurück. Noch immer war es absolut ruhig im Haus. Der Besitzer dieser Hütte hatte offensichtlich einen ge­sunden Schlaf. Magantilliken zog leise die Tür hinter sich zu und kehrte in seiner eige­nen Spur zu dem Versteck zurück.

»Das ist für dich«, erklärte er und reichte dem Zagruler einen der Mäntel. »Wir flie­gen noch ein Stück näher an die Straße her­an. Dann suchen wir uns ein gutes Versteck für die Schutzanzüge. Wir können sie leider nicht mitnehmen, sonst durchschauen die Kerle uns sofort.«

»Das würde ich auch sagen!« bemerkte eine tiefe Stimme.

Der Henker wirbelte herum. »Keine Bewegung!« warnte der Mann,

der wie aus dem Boden gewachsen zwischen zwei Büschen aufgetaucht war. »Mein Ge­wehr hat die Eigenschaft, sehr zuverlässig zu funktionieren.«

Magantilliken starrte verblüfft in die Mündung einer altertümlichen Explosions­waffe.

3.

Von Gaddas behauptete man im Palast

Marianne Sydow

des Diktators, er sei der personifizierte Tod. Es gab wohl keinen einzigen Ckorvonen, der diesen Mann mochte. Gaddos war unge­wöhnlich dürr, besaß eine riesige Hakennase und knallrote, abstehende Ohren. Sein hoher Schädel war blank wie ein polierter Stein, der Mund messerscharf und das Kinn spitz. Gaddos lächelte nie, und es hieß, daß seine einzige Leidenschaft das Töten war.

Er war im Palast geboren, als das Kind ei­ner Sklavin, die als Konkubi ne von Teihen­drus Vater galt. Daran mochte etwas Wahres sein. Gaddos genoß eine Ausbildung, die für einen Sklaven ungewöhnlich war. Mit, sech­zehn Jahren avancierte er zum Leibwächter des Diktators. Genau im richtigen Moment schlug er sich auf die Seite Teihendrus, der damals, mit knapp zwanzig Jahren, einen er­folgreichen Umsturz bewerkstelligte. Seit­dem war Gaddos dafür verantwortlich, daß sein Herr nur von absolut zuverlässigen Leu­ten umgeben war. Gaddos war längst kein Sklave mehr, und sein Einfluß ließ sich kaum ermessen. Eine Geste von ihm reichte, um selbst die höchsten Beamten Frinalhans zum Tode zu verurteilen.

Burjos wußte das alles und noch ein biß­chen mehr. Manche Leute behaupteten, Gaddos könne selbst die geheimsten Gedan­ken anderer Ckorvonen erkennen. Der Hage­re schürte solche Gerüchte, denn je ängstli­cher man ihm gegen übertrat, desto eher ver­rieten sich etwaige Verschwörer. Natürlich konnte er keine Gedanken lesen. Sonst wäre Burjos längst in einer der Folterkammern verschwunden.

»Es geht zu langsam voran«, knarrte Gad­dos und wies auf die Raupenschlepper, die sich mühsam einen Weg durch das Lawinen­gebiet schufen.

»Wir haben keine andere Wahl«, gab Bur­jos nervös zurück. »Der Berg ist unruhig. Je­de Erschütterung kann ein neues Unglück auslösen.«

»Das ist gleichgültig«, sagte Gaddos bru­tal. »Sie kennen Ihre Befehle! Teihendru will, daß ohne Rücksicht auf das Leben der Arbeiter möglichst schnell ein Zugang zu

17 Ein Robot versagt

dem verschütteten Objekt geschaffen wird. In Vaanrhan muß man die Erschütterung ge­messen haben. Diese Leute sind nicht dumm. Sie werden ihre Spione losschicken und feststellen, daß wir ihnen bald besser gerüstet entgegentreten können. Was schlie­ßen Sie daraus?«

»Vaanrhan wird nicht warten, bis wir die neuen Waffen in der Hand halten«, erwider­te Burjos ruhig. »Unsere Feinde werden uns angreifen, solange sie sich noch überlegen fühlen.«

»Ich wußte, daß Sie nicht auf den Kopf gefallen sind«, nickte Gaddos zufrieden. »Richten Sie sich nun aber auch nach dieser Erkenntnis!«

»Das tue ich die ganze Zeit hindurch«, lä­chelte Burjos.

Gaddos starrte ihn verblüfft an. Der Agent bemerkte mit Befriedigung, daß dieser eis­kalte Bursche irritiert war.

»Die Situation ist folgendermaßen«, er­klärte Burjos. »Je schneller wir die Kugel er­reichen, desto größer sind unsere Aussich­ten, den bevorstehenden Angriff Vaanrhans abzuwehren, nicht wahr?«

Gaddos nickte. »Wenn ich die Arbeiten schneller voran­

treibe, entsteht die Gefahr, daß die Leute übereilt handeln. Wird dabei eine neue La­wine ausgelöst, dann wird sie nicht nur die Arbeiter unter sich begraben. Wir verlieren eine Menge Fahrzeuge, und außerdem wird die Schicht über der Kugel noch dicker. Das heißt, wir müssen von vorne beginnen. Sind Sie immer noch der Meinung, es ginge zu langsam voran?«

»Sie vergessen eines«, schnarrte Gaddos ärgerlich. »Sollte einer der Arbeiter versa­gen, so werde ich persönlich dafür sorgen, daß er seine Unvorsichtigkeit bitter bereut.«

»Einen toten Mann können Sie nicht be­strafen«, gab Burjos kalt zurück.

Gaddos setzte zum Sprechen an, entschied sich dann aber anders. Minutenlang starrten die beiden ungleichen Männer sich an. Dann wandte Gaddos sich ab. Burjos sah ihm nach, bis die hagere Gestalt in einer Baracke

verschwand. Er wußte, daß Gaddos ihn nicht riechen konnte. Er verzog das Gesicht und stapfte zu einem der Fahrzeuge hinüber. Sein Aufenthalt in Frinalhan würde ohnehin bald zu Ende gehen. Er war schon viel zu lange in diesem Land.

Er schwang sich auf den Fahrersitz des kleinen Schneerutschers. Der Motor brumm­te auf, und Burjos lenkte das Fahrzeug in ei­nem riskanten Manöver den Hang des Dogro hinauf. Erst im Einzugsbereich des Lawi­nenfeldes stoppte er die rasante Fahrt. Vor­sichtig glitt er über ein Schneefeld, bis vor ihm eine Gruppe von Männern auftauchte. Einer von ihnen bemerkte ihn und winkte aufgeregt. Burjos ließ den Schneerutscher stehen und ging zu Fuß weiter.

»Wie weit seid ihr?« Der Anführer des Vermessungstrupps

grinste schief. »Leider noch nicht fertig«, meinte er. »Ich

wäre froh, wenn ich hier wegkäme. Da oben hängt das Zeug meterdick.«

Burjos nickte gleichmütig, nahm dem Mann ein Blatt Papier aus der Hand und überflog die Zahlenkolonnen.

»Wir werden den Quamendrin umtaufen müssen«, bemerkte ein noch sehr junger Ckorvone, der frierend neben dem Theodoli­ten stand. »An diesem Berg stimmt einfach nichts mehr!«

Er wurde von einem Hustenanfall ge­schüttelt. Burjos sah auf.

»Sie kommen mit mir nach unten«, befahl er. »Ich schicke einen Ersatzmann rauf.«

Der Junge wollte protestieren, aber Burjos ließ ihn nicht zu Wort kommen.

»Auch ein Hustenanfall kann ausreichen, um eine Lawine auszulösen«, erklärte er. »Tirkan, wenn Ihre Leute weiter nach oben kommen, darf kein lautes Wort mehr gespro chen werden. Zeigen Sie mal Ihre Schuhe her!«

Der Anführer der Gruppe gehorchte er­staunt. Burjos schnaufte verächtlich.

»Ich werde mir die Leute in der Verwal­tung vornehmen«, versicherte er grimmig. »Diese Idioten! Sie jedenfalls gehen sofort

18

in die Hütte. Ich komme in einer halben Stunde wieder. Dann bringe ich Ihnen den Ersatzmann und anderes Schuhwerk. Noch jemand, der erkältet ist?«

Ein anderer Ckorvone meldete sich zö­gernd. Burjos nickte ihm zu und deutete auf den Schneerutscher. Die beiden gingen vor­sichtig in Richtung auf das Fahrzeug davon.

»Das nächste Lager wird direkt im Gefah­rengebiet liegen«, wandte Burjos sich an Tirkan. »Ich bin beileibe nicht übervorsich­tig. Aber wenn es eine neue Lawine gibt, wird man mich dafür verantwortlich ma­chen. So, und jetzt möchte ich alle Meßun­terlagen, die Sie bis jetzt fertig bekommen haben.«

Er lieferte die beiden Männer im Lager ab und befahl, sie zu einem Arzt zu bringen. Anschließend marschierte er in jene Ba­racke, in der die Kleidung für die Arbeiter ausgegeben wurde. Der Mann, der diese Aufgabe übernommen hatte, sah ziemlich blaß aus, als Burjos endlich schwieg. Er huschte wie eine erschrockene Maus davon und kehrte kurz darauf mit einem großen Karton zurück. Burjos hob die leichten, aus warmen Fellen und einem Isoliermaterial gearbeiteten Stiefel heraus und nickte zufrie­den. Die kaum versteiften Sohlen waren sorgfältig präpariert. Mit ihnen rutschte man selbst auf glatten Eisflächen nicht aus.

Er brachte die Unterlagen in sein Büro und sorgte dafür, daß die Werte während seiner Abwesenheit umgerechnet und auf die Karte übertragen wurden. Als er eine Stunde später zurückkehrte, dämmerte es be­reits. Er trank eine Tasse heißen Tee, wäh­rend ein junges Mädchen ihm einen trockenen Mantel holte. Sein eigener Über­wurf war völlig durchnäßt.

»Sie sollten sich ein wenig ausruhen«, sagte eine Frauenstimme hinter ihm. Er drehte sich um und lächelte Jintha erschöpft an.

»Dazu habe ich später Zeit«, murmelte er, zog den Mantel an und stieß die Tür auf. Er hörte das leise Brummen der Räumungsfahr­zeuge, die sich vorsichtig über das Lawinen-

Marianne Sydow

feld an die Kugel herantasteten. Er beneidete die Fahrer nicht gerade um diesen Job. Das Gelände war eine einzige Falle. Zwischen den riesenhaften Felsbrocken und den Fel­dern aus fest zusammengepreßtem Schnee gab es Spalten, die mit lockerem Material ausgefüllt waren. Wie gefährlich diese Stel­len waren, bewies die Tatsache, daß sie al­lein an diesem ersten Nachmittag sechs Fahrzeuge verloren hatten. Zum Glück gab es bisher nur einen Toten zu beklagen.

Burjos stieß die Tür zu einer anderen Ba­racke auf.

»Wie steht es?« erkundigte er sich. »Bis jetzt gut«, antwortete der Meteorolo­

ge, der drinnen Dienst tat. »Es wird kälter, und der Luftdruck bleibt konstant. Nur eine Meldung aus Teihara macht mir Sorgen. Die Kollegen in der Stadt haben ein Sturmtief angemessen. Bis jetzt steht noch nicht fest, ob es sich in unsere Richtung verlagert.«

»Geben Sie mir sofort Bescheid, wenn sich etwas verändert«, bat Burjos eindring­lich. »Ich bin über Funk immer zu errei­chen.«

»Gaddos war vorhin hier«, sagte der Mann in der Baracke tonlos, als der Agent gerade gehen wollte. »Er verlangt, daß ich ihm zuerst Meldung erstatte.«

»Gaddos ist für politische Dinge zustän­dig«, erklärte Burjos kalt. »Wenn er die technische Leitung übernehmen will, soll er es sagen. Sie unterstehen mir! Ist das klar?«

Der Meteorologe nickte unglücklich. Burjos kletterte verärgert auf den Schnee­

rutscher. Dieser Gaddos machte ihm Sorgen. Einerseits hatte der Agent nichts dagegen einzuwenden, wenn eine neue Lawine aus­gelöst wurde, denn nichts anderes hatte er selbst vor. Aber er wollte dafür sorgen, daß dabei keine Menschenleben riskiert wurden. Der Plan, der allmählich in ihm gereift war, wurde durch die Meldung des Meteorologen unterstützt. Eine Alarmsituation, in der alle Arbeiter abgezogen wurden – genau das wünschte Burjos sich. Dann konnte er zu­schlagen.

Er glitt langsam über die holperige Piste,

19 Ein Robot versagt

die sich über das Lawinenfeld zog. Endlich kamen die Fahrzeuge in Sicht. Er sprach kurz mit den Leuten, überzeugte sich davon, daß seine Vorschriften genau befolgt wur­den und kehrte dann ins Lager zurück. Im Büro saß Gaddos. Der Hagere beugte sich über die Karte und versuchte, aus den Zei­chen schlau zu werden.

»Was soll das dort bedeuten?« wandte er sich an Burjos. Der Agent tat, als hätte er nichts gehört. Er zog seine Stiefel aus und ließ sich einen Becher Tee geben. Erst dann setzte er sich an den Tisch und zog die Karte zu sich herüber.

»Wir werden noch länger brauchen, als zuerst geplant«, stellte er fest.

»Warum?« »Erklären Sie es ihm, Javo. Ich bin zu

müde dazu.« »Wir haben vom Dogro aus die Verände­

rungen am Quamendrin-Massiv vermessen lassen«, sagte der Geologe unsicher. »Wie Sie wissen, ist eine Menge Gestein im Woronongtal niedergegangen. Wir haben berech net, wo sich diese Felsmassen befin­den müßten. Leider liegt der größte Teil da­von zwischen uns und der Kugel. Das Ding ist von Felsen regelrecht eingekeilt. Wir können also nicht, wie ursprünglich vorgese­hen, einen relativ sanft geneigten Schacht graben, sondern müssen fast senkrecht nach unten gehen. Das bedeutet, daß wir über dem Schacht ein Gestänge aufbauen müssen, an dem wir einen Förderkorb nach unten las­sen.«

»Das ist noch nicht alles«, unterbrach Burjos den Wissenschaftler gähnend. »Erstens wird es nicht einfach sein, diesen Schacht zu graben. Zweitens müssen wir ihn absichern, damit er nicht gleich wieder in sich zusammenfällt. Drittens taucht die Fra­ge auf, wie wir das eben erwähnte Gestänge im Schnee verankern sollen.«

»Ich glaube eher, Sie selbst erfinden jede Menge Schwierigkeiten, um die Arbeiten zu verzögern!« bemerkte Gaddos mit gefährlich leiser Stimme.

»Fragen Sie die anderen Experten«, emp­

fahl Burjos gelassen und stand auf. »Ich ge­he jetzt schlafen.«

»Ich werde Teihendru über alles unter­richten, was hier geschieht!« versicherte der Hagere wütend.

Burjos zuckte die Achseln und ging. Im Flur begegnete er Jintha. Das Mädchen war sehr aufgeregt.

»Ich muß mit Ihnen sprechen!« flüsterte sie. »Kommen Sie schnell, Gaddos darf uns nicht zusammen sehen!«

Der Agent führte sie in sein Zimmer und bot ihr den einzigen Stuhl an. Er selbst setz­te sich auf ein Feldbett. Er war entsetzlich müde und wünschte sich nichts weiter, als endlich schlafen zu dürfen. Die Wunde am linken Arm schmerzte immer noch. Unge­duldig wartete er darauf, daß Jintha zu spre­chen begann. Aber das Mädchen ließ sich Zeit. Sie lauschte an der Tür. Draußen ging jemand vorbei.

»Das war Gaddos«, flüsterte sie. »Burjos, dieser Kerl behauptet, Sie wären ein feindli­cher Spion. Er hat den ganzen Tag über mit allen möglichen Leuten gesprochen und vor­hin mit meinem Vater geredet. Ich habe einen Teil dieses Gesprächs mitbekommen. Gaddos meint, Sie wären nur darauf aus, die Arbeiten zu verzögern, und Sie hätten sich durch irgend etwas verraten. Mein Vater läßt alle Unterlagen über Sie nachprüfen. Sie sind in Gefahr!«

»Das alles ist mir bekannt. Aber machen Sie sich keine Sorgen. Meine Vergangenheit ist so sauber wie irischgefallener Schnee. Er wird nichts finden.«

»Wenn er nichts findet, dann denkt er sich einfach etwas aus. Er haßt Sie, und er wird Sie vernichten. Ich habe einen Helikopter bereitstellen lassen. Der Pilot wird alles tun, was Sie ihm sagen. Fliehen Sie, ehe es zu spät ist!«

Der Mann aus Vaanrhan schüttelte lang­sam den Kopf.

»Nein, Jintha. Vor Leuten wie Gaddos laufe ich nicht davon. Außerdem hätte das schlimme Folgen für Sie.«

»Mir wird er kein Haar krümmen«, versi­

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cherte Jintha. »Ich bin Teihendrus Tochter. Nehmen Sie mein Angebot an?«

»Ich werde darüber nachdenken«, ver­sprach Burjos. »Aber wenn ich fliehe …«

»Ja?« »Nichts«, murmelte Burjos. Als Jintha

fort war, grübelte er darüber nach, wie er das Mädchen dazu bewegen sollte, ihn notfalls zu begleiten. Denn er wußte besser als die Tochter des Diktators, daß Gaddos auch ihr überlegen war. Er legte das Funkgerät neben sein Kopfkissen und ließ den Empfangsteil eingeschaltet. Vielleicht bot sich noch in dieser Nacht eine Möglichkeit, seine selbst­gestellte Aufgabe zu lösen. Dann konnte er Jinthas Hubschrauber gut gebrauchen.

*

Magantilliken hob langsam die Hände. Der Fremde beobachtete ihn und Isthmy wachsam. Dann schweiften seine Blicke zu Xonth ab, und das war die Gelegenheit, auf die der Roboter gewartet hatte. Im Bruchteil einer Sekunde bildete sich eine winzige Öff­nung in seinem stählernen Leib; er zischte leise, und der Fremde sackte in sich zusam­men.

Erleichtert atmete der Henker auf. Die erste Begegnung mit einem Ckorvo­

nen zeigte ihm, daß es unangebracht war, diese Wesen zu unterschätzen. Auch wenn das Gewehr nach varganischen Maßstäben primitiv war, hätte der Fremde sowohl Xonth als auch Magantilliken töten können.

»Das war knapp«, stellte Isthmy fest. »Es ist noch nicht zu spät. Schick mich zurück, und ich hole wenigstens ein paar Waffen her.«

Xonth nickte zustimmend, aber Magantil­liken hatte sich bereits zu sehr darauf festge­legt, es auf friedlichem Wege zu versuchen.

»Du bleibst hier!« befahl er. »Los jetzt, verpasse dem Burschen eine Dosis, die ihn für etwa zwei Tage außer Gefecht setzt. Bis dahin haben wir es geschafft.«

Isthmy verzichtete auf einen Kommentar. Der Paralysator zischte noch einmal, dann

Marianne Sydow

brachten sie den Ckorvonen in die Hütte. Magantilliken befahl dem Zagruler, den Fremden in ein Bett zu legen und ihn gut zu­zudecken.

Als die Sonne aufging, waren sie im Tal. Sie verbargen sich in einem kleinen Wald, und Isthmy suchte einen geeigneten Platz. Zwischen einigen Felsbrocken versteckten sie die Schutzanzüge. Dann schlichen sie sich bis an die Straße heran. Es dauerte eine Weile, bis endlich mit lautem Gebrumm ein Fahrzeug näher kam. Magantilliken gab dem Roboter einen Wink, und Isthmy glitt lautlos auf die Fahrbahn hinaus. Zehn Schritte vor ihm stoppte der Wagen. Der Fahrer steckte den Kopf aus dem Fenster.

»He, was soll das!« »Keine Aufregung, mein Freund«, lächel­

te Magantilliken freundlich und kletterte über den Rand der Böschung. »Wir haben nur ein paar Fragen an dich.«

Der Fremde spürte die leichte Berührung an seiner Schulter und wollte sich nach vor­ne werfen, aber es war zu spät. Isthmy zog den Handlungsarm mit der Injektionspistole zurück.

»Auf der Ladefläche, schnell!« befahl der Henker. »Und von jetzt an bewegst du dich nur, wenn ich es dir befehle, verstanden? Xonth, auf den Rücksitz!«

Der Roboter verankerte sich mit zwei Klauen auf dem kastenförmigen hinteren Teil des Wagens. Xonth zwängte sich müh­sam durch die Tür und half Magantilliken, den Fahrer festzuhalten. Das Mittel, das Isthmy dem Ckorvonen injiziert hatte, wirk­te schnell. Der Fremde starrte den Varganen aus glasigen Augen an.

»Wohin fährst du?« fragte der Henker. »Zum Lager.« »In das Lawinengebiet?« »Ja.« »Was sollst du dort?« »Eine Nachricht überbringen.« Das Verhör war mühsam, denn der Ckor­

vone antwortete stets nur auf direkte Fragen. Immerhin wußte Magantilliken nach einer halben Stunde recht gut Bescheid.

21 Ein Robot versagt

Der technische Leiter des Bergungskom­mandos stand unter dem Verdacht, dem Dik­tator des Landes Frinalhan feindlich gesinnt zu sein. Ein Mann namens Gaddos hatte eine genaue Überprüfung aller Unterlagen ange­ordnet. Dabei war man auf eine Information gestoßen, aus der sich diesem Burjos leicht ein Strick drehen ließ. Der Fahrer sollte die­se Botschaft überbringen. Magantilliken sah keinen Grund, ihn daran zu hindern. Im Ge­genteil: Wenn er diesen Teil der Erinnerung aus dem Gehirn des Fahrers löschte, lief er Gefahr, sich selbst zu entlarven. Denn das Lager stand mit der Regierung in der nahen Stadt in Funkverbindung. Der Henker be­schränkte sich also darauf, dem Ckorvonen einige zusätzliche Informationen einzuge­ben. Demnach waren er und Xonth vom Diktator selbst beauftragt worden, bei der Bergung der Feuerkugel zu helfen. Magan­tilliken gab sich als Lawinenspezialist aus dem befreundeten Land Grodh aus. Von dem Ckorvonen selbst erfuhr er, daß es in Grodh so etwas wie Mutanten gab. Damit war das Problem gelöst, wie er Xonth auf unverdächtige Weise ins Lager bringen soll­te. Isthmy konnte als Werkzeug gelten. Die Ckorvonen kannten bereits primitive Robo­ter. In Frinalhan gab es zwar keine solche Maschinen, aber ein Mann aus einem ande­ren Land durfte sich bestimmt einige Beson­derheiten leisten.

Geduldig warteten Magantilliken und sein Sklave, bis der Ckorvone aus der Trance er­wachte. Der Wagen stand auf einer Aus­weichstelle am Rand der schmalen Straße. Der Eingeborene schlug die Augen auf, wischte sich über die Stirn und drehte sich grinsend nach dem Echsenwesen um.

»Ah«, sagte er. »Die Pause hat mir gutge­tan. Ich denke, wir können weiterfahren. Von hier aus ist es nicht mehr weit. Sie wer­den sicher froh sein, wenn Sie im Lager end­lich eine warme Mahlzeit bekommen.«

4.

Gegen Mittag war Burjos allein in dem

kahlen, ungemütlichen Büro. Er brütete über der Karte des Lawinengebiets.

Allmählich wurde er ungeduldig. Er kam seinem Ziel nicht einen Schritt näher. Das Tiefdruckgebiet hatte sich weiter vom Ge­birge entfernt, und die Temperaturen blieben konstant unter dem Gefrierpunkt. Der Ver­messungstrupp meldete über Funk, daß die Verhältnisse im oberen Teil des Dogro bes­ser als erwartet waren – der Schnee hielt und ließ sich durch nichts erschüttern. Auch die Fahrzeuge kamen besser voran, und die Pi­ste wurde breiter und fester. Burjos durfte es nicht wagen, unter diesen Bedingungen die Arbeiten durch immer strengere Sicherheits­maßnahmen zu verzögern. Gaddos lungerte ohnehin überall herum und wartete auf seine Chance.

Wenn es so weiterging, erreichten sie am nächsten Nachmittag den vorherberechneten Punkt über der Kugel. Noch blieb dem Agenten eine reichliche Frist, aber er durfte nicht darauf hoffen, daß sein Problem sich von selbst löste.

Er hörte das Brummen eines Motors, sah zum Fenster hinaus und entdeckte einen Wa­gen, der auf die Baracke zurumpelte. Das Fahrzeug trug auf den Seitenwänden das Emblem des Diktators. Als es anhielt, stie­gen zwei Männer aus. Den einen kannte er. Es war Yern, ein Sklave, der für Gaddos ar­beitete.

Der andere war ungewöhnlich groß und schlank, hatte ein markantes, bronzefarbenes Gesicht und langes, goldblondes Haar, das unter der Kapuze des halblangen Pelzman­tels hervorquoll. Die goldfarbenen Augen waren von fast hypnotischer Ausstrahlungs­kraft. Sie wirkten auf unbestimmbare Weise uralt und paßten nicht recht zu der sonst fast jugendlichen Erscheinung des Fremden. Burjos war ein scharfer Beobachter. Ihm entging weder der hochmütige Blick, mit dem der Unbekannte das Lager bedachte, noch das winzige spöttische Lächeln. Der Fremde war ihm auf den ersten Blick un­sympathisch.

Dann sah er den dritten Insassen des Wa­

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gens, der sich mühsam durch die für ihn viel zu enge Tür nach draußen quetschte, und er schüttelte verwundert den Kopf. Das Wesen war nicht größer als ein durchschnittlicher Ckorvone, aber mindestens doppelt so breit. Die Beine waren zu kurz, dafür aber unge­mein kräftig. Das von der Kapuze umrahmte Gesicht wies fast tierhafte Züge auf. Über einem breiten, lippenlosen Mund lagen zwei in die Maut eingesenkte Nasenlöcher. Dar­über leuchteten zwei große, hellrote Augen mit senkrecht stehenden, schlitzförmigen Pupillen.

Burjos bemerkte noch die metallisch glän­zende Kugel auf der Ladefläche des Wa­gens, dann kamen die drei Besucher auf die Baracke zu, und er zog sich hastig vom Fen­ster zurück.

Der Agent preßte die Lippen aufeinander und suchte verzweifelt nach einem Ausweg. Yerns Ankunft hatte mit Sicherheit nichts Gutes zu bedeuten. Wenn die Fremden zu­erst in das Büro des Hageren gingen, konnte er das Gebäude verlassen und sich zu dem Hubschrauber durchschlagen, dessen Stand­ort Jintha ihm verraten hatte. Er mußte dann eben später heimlich zurückkehren, um sei­ne Mission zu erfüllen.

Aber die Ankömmlinge taten ihm den Ge­fallen nicht, den Flur zu verlassen. Hinter der Tür hörte er die Fistelstimme des Skla­ven, dann näherten sich Schritte.

»Treten Sie ein!« sagte Gaddos höflich und hielt den beiden Fremden die Tür auf.

»Sie bekommen Hilfe«, teilte der Hagere dem Agenten mit. »Darf ich Ihnen Magantil­liken vorstellen? Und das ist Xonth, sein Ge­hilfe. Die beiden kommen aus Grodh. Tei­hendru hat sie zu uns geschickt, weil sie Spezialisten im Umgang mit Lawinen sind.«

Magantilliken hieß der Fremde also. Ein merkwürdiger Name! Noch merkwürdiger, wenn man bedachte, daß die Leute in Grodh meistens einsilbige Namen bevorzugten. Und Xonth? Der Agent hatte Grodh einmal durchquert. Er hatte eine ganze Anzahl von Mutanten gesehen, aber es war keiner darun­ter, der so fremdartig wie dieser eckige Kerl

Marianne Sydow

wirkte, dessen Haut geschuppt war wie die eines Reptils.

»Wir werden sicher gut zusammenarbei­ten«, bemerkte Magantilliken in diesem Mo­ment. Burjos versuchte, den fremdartigen Akzent einzuordnen. Es gelang ihm nicht, und sein Mißtrauen wuchs. Er merkte, daß Magantilliken ihn spöttisch anstarrte. Ner­vös wies er auf den Tisch.

»Wollen Sie sich die Karte ansehen?« Der Fremde warf nur einen kurzen Blick

auf die graphische Darstellung, lächelte und deutete mit dem Zeigefinger auf die Stelle, an der man die Kugel vermutete.

»Wie hoch ist die Schicht über dem Ob­jekt?« fragte er.

»Wir wissen es noch nicht genau. Es lie­gen Berechnungen vor, aber sie enthalten ei­ne Reihe von Unsicherheitsfaktoren. Auch unsere Meßgeräte liefern keine genauen Werte. Offensichtlich sind erzhaltige Ge­steinsbrocken in dem Schnee enthalten.«

Burjos breitete die Unterlagen vor Ma­gantilliken aus und erklärte ihm die Situati­on. Von Zeit zu Zeit glitt der Anflug eines amüsierten Lächelns über das goldbraune Gesicht. Die Arroganz des Fremden irritierte Burjos immer stärker. Die Bewohner von Grodh waren im allgemeinen sehr beschei­den. Ihr Land war arm, und sie bemühten sich, zu allen Staaten gute Beziehungen zu unterhalten. Magantilliken paßte in dieses Bild nicht hinein. Das betraf nicht nur sein Aussehen, seine Sprache und sein Beneh­men, sondern auch die Tatsache, daß er Tei­hendru mit seinen Kenntnissen unterstützen wollte. Das war eine eindeutige Parteinahme für Frinalhan.

»Ich werde mir das alles noch einmal an Ort und Stelle ansehen«, näselte Magantilli­ken, als Burjos mit seinem Vortrag fertig war. »Ich nehme an, daß ich durch Isthmy ein wesentlich genaueres Bild erhalten wer­de.«

»Wer ist Isthmy?« wollte Gaddos wissen. »Die Kugel auf der Ladefläche des Wa­

gens«, erklärte Magantilliken herablassend. »Es handelt sich um eine, sehr vielseitige

23 Ein Robot versagt

Maschine, die in bescheidenem Umfang so­gar denken und selbstständig handeln kann. Ich nenne dieses Maschinenwesen Isthmy.«

»Ein komischer Name«, murmelte Burjos. »Aber bevor ich hinausfahre«, fuhr Ma­

gantilliken ungerührt fort, »möchte ich mich gerne erfrischen und auch etwas essen. Wir haben eine lange und anstrengende Fahrt hinter uns.«

»Ich werde für alles sorgen«, versprach Gaddos diensteifrig und führte die Besucher aus dem Büro. Burjos sah ihnen in Gedan­ken versunken nach. Für den Augenblick hatte er seine eigenen Probleme vergessen. Magantilliken und dessen schweigsamer Be­gleiter mit der Echsenhaut beschäftigten ihn noch immer. Er hörte sie draußen noch eine Weile sprechen, dann wurde es still. Gleich darauf stürzte Jintha in das Büro.

»Yern hat eine Botschaft an Gaddos über­bracht«, stieß sie atemlos hervor. »Es scheint, als hätte man einen dunklen Punkt in deiner Vergangenheit entdeckt. Eben hat Gaddos über Funk mit meinem Vater ge­sprochen und sich diese Angaben bestätigen lassen. Deine Verhaftung ist jetzt fest be­schlossen. Du mußt sofortfliehen!«

»Hat er Teihendru gegenüber auch die beiden Spezialisten aus Grodh erwähnt?« fragte Burjos gespannt.

»Nein. Aber das ist doch völlig unwich­tig.«

»Das finde ich nicht«, murmelte Burjos nachdenklich. »Diese Kerle sind mir nicht geheuer. Wer weiß, woher sie kommen und was sie planen …«

»Was kümmert es dich?« fauchte Jintha. »Die beiden können dir egal sein. Sobald Gaddos die Fremden herumgeführt hat, wird er sich mit dir beschäftigen. Willst du war­ten, bis er zuschlägt?«

»Nein, natürlich nicht«, seufzte Burjos und stand auf. Die Entscheidung war gefal­len. Wenn er sich verhaften ließ, flog alles auf, und Vaanrhan geriet in größte Gefahr. Dennoch gab es einen Punkt, den er noch re­geln mußte.

»Ich nehme dein Angebot an«, sagte er

und legte seine Hände auf Jinthas Schultern. »Aber nur unter einer Bedingung. Du kommst mit! Ich weiß mehr über die Bezie­hungen zwischen Gaddos und deinem Vater. Teihendru wird dich dieser Bestie bedenken­los ausliefern, und du weißt, was dir dann bevorsteht!«

Jintha sah zu ihm auf. Sie wollte wider­sprechen, aber statt dessen schlang sie plötz­lich die Arme um seinen Hals.

»Ich komme mit«, flüsterte sie an seinem Ohr.

Burjos drückte sie für einen Moment an sich, dann zog er sie zur Tür. Jetzt tat es ihm leid, daß er so viel Zeit verloren hatte. Wich­tig war nur Jintha, sonst nichts. Er riß die Tür auf – und stand Gaddos gegenüber.

»Sie haben es eilig?« fragte der Hagere kalt. »Das trifft sich gut, denn der Wagen wartet schon. Sie werden noch heute in die Stadt zurückkehren, und Sie, meine Teuer­ste, werden diesen Verräter begleiten. Es wird Teihendru interessieren, zu welchem Zweck seine heißgeliebte Tochter einen Hubschrauber angefordert und hier in der Nähe versteckt hat!«

*

Magantilliken sah vom Fenster aus zu, wie Burjos und das junge Mädchen abtrans­portiert wurden. Die beiden waren gefesselt. Er dachte flüchtig daran, wie leicht er ihnen hätte helfen können, schüttelte dann aber un­willig den Kopf.

Er wollte die Ckorvonen schonen, aber das hieß noch lange nicht, daß er sich in in­nenpolitische Dinge einmischte. Er hatte ge­nug zu tun, um mit diesem Gaddos fertig zu werden. Zwar behandelte der Hagere ihn sehr zuvorkommend, aber ein Instinkt warn­te den Henker. Dieser Mann war gefährlich.

»Das Fahrzeug steht bereit«, knarrte der Kerl mit seiner unangenehmen Stimme. Ma­gantilliken nickte seinem Sklaven zu, der hastig einen letzten Brocken Fleisch in den Mund schob, dann verließen sie die Baracke. Vor der Ladefläche des Wagens, mit dem sie

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in das Lager gekommen waren, blieb Ma­gantilliken stehen.

»Isthmy, komm mit!« befahl er. Die metallene Kugel löste sich gehorsam

von ihrer fahrbaren Unterlage und schwebte lautlos herab. Einen halben Meter über dem Boden blieb sie regungslos in der Luft hän­gen. Gaddos verfolgte diesen Vorgang mit großem Interesse.

»Das ist wirklich eine bemerkenswerte Maschine«, wandte er sich an Magantilliken. »Woher haben Sie diese Kugel?«

»Ich fand sie in den Bergen«, log Magan­tilliken unbekümmert. »Sie hat mir schon sehr gute Dienste geleistet. Ich weiß nicht, woher sie stammt. Vielleicht aus dem Ver­mächtnis der Ahnen.«

Er sah das gierige Glitzern in den Augen des Hageren und fügte schnell hinzu:

»Ihre einzige schlechte Eigenschaft ist, daß sie nur mir gehorcht. Xonth duldet sie in ihrer Nähe, aber sie läßt sich von ihm keine Befehle geben. Man hat schon oft versucht, sie mir abzunehmen, aber es ist noch nie­mandem gelungen. Isthmy kann sich weh­ren, und er tötet bedenkenlos jeden, der sich mit ihm anlegt.«

Gaddos wich vorsichtshalber einen Schritt zurück. Isthmys rotes Orientierungsauge funkelte den Ckorvonen böse an. Der Hen­ker konnte sich ein Lächeln nicht verknei­fen. Dem geschwätzigen Roboter fiel es si­cher schwer, in dieser Situation auf seine boshaften Bemerkungen zu verzichten.

Der Hagere führte sie zu einem kleinen Fahrzeug, in dem gerade vier Personen Platz fanden. Am Steuer saß ein dick vermummter Ckorvone.

Er streifte den Henker und dessen Sklaven mit einem neugierigen Blick, wandte sich je­doch hastig ab, als Gaddos auftauchte.

»Bleib hinter uns!« befahl Magantilliken dem Roboter.

Zu seinem Erstaunen stieg auch Gaddos ein. Er hatte gehofft, sich einigermaßen un­gestört im Lawinengebiet umsehen zu kön­nen. Der Fahrer war kein Problem, aber mit dem Hageren mußte er vorsichtig sein. Er

Marianne Sydow

hatte längst gemerkt, daß jeder in diesem Lager vor Gaddos zitterte. Dieser Mann schien über eine ungeheure Macht zu verfü­gen.

Der Wagen setzte sich rumpelnd in Bewe­gung und steuerte in den Hohlweg hinein, den die Räumungsmaschinen in den Schnee gefressen hatten. Nach wenigen Minuten ka­men die ersten Arbeitskommandos in Sicht. In Pelze gehüllte Ckorvonen ebneten die Fahrbahn und schaufelten Ausweichstellen in die Schneewälle. In regelmäßigen Abstän­den waren Zelte errichtet worden, in denen die Arbeiter sich ausruhen konnten. Rechts und links türmten sich Felstrümmer und rie­sige Eisbrocken zu wahren Bergen. Erst jetzt bekam Magantilliken einen Eindruck vom wirklichen Ausmaß der Katastrophe, die die­ses Tal betroffen hatte.

»Gab es Überlebende?« fragte er Gaddos, der düster vor sich hinstarrte.

»Wir haben nicht nach ihnen gesucht«, gab der Hagere kaltschnäuzig zurück. »Die beiden einzigen Augenzeugen sind Burjos und das Mädchen, das mit ihm in die Stadt gebracht wurde. Sie sahen diese merkwürdi­ge Kugel. Sie verkrochen sich in einer Höhle dort oben am Hang des Dogro und kamen zufällig mit dem Leben davon.«

Der Wagen hielt schlingernd hinter der breiten Rückfront eines Raupenfahrzeugs. Sie gingen zu Fuß weiter, drückten sich an der brummenden Maschine vorbei, überhol­ten noch zwei andere Fahrzeuge und standen dann am vorläufigen Ende des Weges. Laut Gaddos war es lebensgefährlich, einfach über die Lawinenfläche zu gehen. Magantil­liken dachte etwas anders darüber, verzich­tete jedoch auf eine zu deutliche Demonstra­tion seiner Überlegenheit und schickte statt dessen Isthmy los. Der Roboter erhielt den Auftrag, die genaue Lage der Kugel festzu­stellen und nach dem sichersten Weg dorthin zu suchen. Isthmy schwebte lautlos davon.

»Meinen Sie wirklich, daß die Maschine diese Aufgabe lösen wird?« fragte Gaddos erstaunt. »Ich kann es mir kaum vorstellen. Unsere Ahnen müssen Genies gewesen sein,

25 Ein Robot versagt

wenn es ihnen gelungen ist, ein solches Wunderwerk zu konstruieren!«

»Schon möglich«, lächelte Magantilliken. »Leider wird es eine Weile dauern, bis Isth­my mit den Informationen zurückkehrt. Wir sollten besser in das Zelt da drüben gehen.«

Gaddos sah sich nachdenklich um, warf dann einen Blick auf einen Zeitmesser, den er am Handgelenk trug und zuckte sichtbar zusammen.

»Ich muß Sie leider vorerst allein lassen«, erklärte er eilig. »Die Pflicht ruft! Die Leute, die hier arbeiten, haben die nötigen Anwei­sungen über Funk erhalten, man wird also Ihre Befehle prompt ausführen. Wenn sie Rückfragen an mich oder die technischen Büros im Lager haben, benutzen Sie bitte ei­nes der Funkgeräte in den Zelten.«

Magantilliken blickte ihm nach, als er ha­stig über den Schnee davonlief. Ein ungutes Gefühl beschlich ihn.

»Der Kerl wird Ihnen noch viel Ärger be­reiten«, prophezeite Xonth.

Der Henker zuckte zusammen. Er hatte sich so sehr an die Schweigsamkeit des Za­grulers gewöhnt, daß es ihm beinahe als ein schlechtes Omen erschien, wenn Xonth aus­gerechnet in diesem Moment den Mund auf­machte.

»Wie kommst du darauf?« fragte er scharf.

Der Sklave deutete auf einige Ckorvonen, die sichtlich erschöpft auf das Zelt zutrotte­ten.

»Jeder von ihnen hat ein tragbares Funk­gerät«, stellte er lakonisch fest. »Warum hat Gaddos uns nicht auch eins gegeben?«

Magantilliken nickte nachdenklich. Es war tatsächlich merkwürdig. Gaddos hatte den Männern befohlen, den Varganen als ih­ren Vorgesetzten zu betrachten und seine Anweisungen durchzuführen. Andererseits war Magantilliken denkbar schlecht von dem Ckorvonen ausgerüstet worden. Er be­saß weder ein Funkgerät noch einen eigenen Wagen. Wenn Gaddos es wollte, war der an­gebliche Lawinenspezialist aus Grodh von allen offiziellen Informationen abgeschnit­

ten. Der Henker wurde unruhig, als er an die erstaunlich leistungsfähigen Funkgeräte im Lager dachte. Gaddos brauchte nur in der Hauptstadt nachzufragen, und die ganze Sa­che flog auf. Magantilliken schalt sich einen Narren, weil er nicht früher daran gedacht hatte. Es wäre besser gewesen, zuerst in der Stadt aufzutreten und dann ganz offiziell in das Lager zu kommen.

»Gehen wir hinein«, murmelte er. Im Zelt war die Luft stickig und feucht.

Mehr als ein Dutzend Männer drängten sich auf engem Raum zusammen, tranken heißen Tee aus den Thermobehältern und kauten auf gebratenen Fleischstücken herum. Sie waren schmutzig und verströmten einen scharfen Schweißgeruch. Mit ihren zottigen Pelzmänteln sahen sie wie Wesen aus einer grauen Vorzeit aus. Eine blakende Öllampe verbreitete trübes Licht. Magantilliken blieb am Eingang stehen. Einer der Arbeiter er­zählte gerade einen geistlosen Witz, der sei­nen Kollegen jedoch zu gefallen schien. Das Zelt erbebte unter lautem Gelächter, und der Vargane prallte unwillkürlich zurück. Da be­merkte ihn einer der Ckorvonen. Eine Se­kunde später herrschte Totenstille.

»Sieh mal an!« sagte der Witzbold und löste sich langsam aus der Gruppe. »Das ist wohl der Fremde aus Grodh. Ich hoffe, der Herr wird sich bei uns wohl fühlen!«

Magantilliken sah dem Eingeborenen ent­gegen. Er spürte die Feindseligkeit, die ihm entgegensprang. Regungslos blieb er stehen. Xonth stieß ein leises Schnaufen aus. Damit wollte er seinem Herrn zu verstehen geben, daß er diesen ungehobelten Burschen gerne Manieren beibringen wollte, aber der Hen­ker gab ihm mit einer Bewegung der rechten Hand den Befehl, sich vorerst zurückzuhal­ten.

Der Ckorvone stand jetzt direkt vor Ma­gantilliken. Er war einen Kopf kleiner als der Vargane, dafür aber ungeheuer kräftig.

»Auf gute Zusammenarbeit, Herr!« sagte er laut. »Schlagen Sie ein, das ist bei uns so üblich!«

Magantilliken ergriff die Hand, und für

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den Bruchteil einer Sekunde war er unauf­merksam. Der Ckorvone packte zu. Ehe der Henker es sich versah, flog er im hohen Bo­gen durch die Luft und landete zwischen den anderen Arbeitern, die blitzschnell zurück­gewichen waren. Die Männer wieherten vor Lachen, aber im nächsten Augenblick ver­stummten sie. Mit katzenhafter Geschmei­digkeit sprang der Vargane auf, packte den massigen Ckorvonen mit der linken Hand am Oberarm, riß ihn nach vorne und schlug ihm gleichzeitig die rechte Handkante ins Genick. Der Witzbold brach wie ein gefäll­ter Baum zusammen.

Der Atem des Henkers ging ruhig und gleichmäßig wie zuvor, als er sich langsam umdrehte und die erschrockenen Eingebore­nen der Reihe nach ansah. Er hatte nicht ein­mal mit halber Kraft zugeschlagen, denn schließlich wollte er ohne zwingenden Grund keinen der Arbeiter töten.

Die Ckorvonen hielten dem kühlen Blick des Henkers nicht stand. Magantilliken lä­chelte flüchtig, drehte sich um und verließ das Zelt. Er zog es vor, draußen auf der Rückkehr des Roboters zu warten.

Kurz darauf erschien Isthmy. Magantilli­ken holte eine Landkarte aus dem Zelt und ließ den Roboter alles darauf einzeichnen, was für ihr weiteres Vorgehen wichtig war. Dann informierte er die Räumungskomman­dos und stellte zufrieden fest, daß man seine Anweisungen respektierte. Zwar fing er vie-le feindselige Blicke auf, aber die prallten wirkungslos an ihm ab.

Es gab einen guten, sicheren Weg, auch zu Fuß in die Nähe der Kugel zu gelangen. Und in der Gefühlsbasis hielt sich eine Erin­nye auf, die nur darauf wartete, dem Henker tatkräftig zu helfen. Solange es hell war, durfte Magantilliken es nicht wagen, diese Möglichkeiten auszunutzen. Ungeduldig wartete er darauf, daß es endlich dunkler wurde.

*

Der Wächter, den Gaddos den beiden Ge-

Marianne Sydow

fangenen zugeteilt hatte, nahm seine Aufga­be durchaus ernst. Er sorgte dafür, daß Bur­jos und Jintha sich nicht von ihren Fessen befreien konnten, denn der Hagere hatte ihn darüber informiert, daß nicht nur der Leib­wächter des Mädchens ein gutausgebildeter Kämpfer war. Auch Jintha konnte sich sehr gut ihrer Haut wehren. Aber der Respekt dieses Mannes vor Teihendru war immer noch so groß, daß er seinen Schützlingen ei­ne Unterhaltung nicht zu verbieten wagte. Allerdings hielt er die Ohren offen, und das versuchte Burjos für seine Zwecke aus­zunützen.

»Gaddos wird bald einsehen, daß er einen schlimmen Fehler gemacht hat«, sagte er lei­se zu dem Mädchen.

Jintha schüttelte hoffnungslos den Kopf. »Er mogelt sich schon wieder heraus«, mur­melte sie bitter. »Er findet immer einen Weg. Und wenn er ein paar Leute ermorden läßt, kümmert das meinen Vater wenig. All­mählich begreife ich das ganze Spiel. Du hattest recht. Ob ich Teihendrus Tochter bin oder nicht, das spielt überhaupt keine Rolle. Er wird mich ohne mit der Wimper zu zucken zum Tode verurteilen.«

»Wahrscheinlich«, gab Burjos kaltblütig zurück. »Und mein Schicksal dürfte nicht viel anders aussehen. Aber das ist jetzt nicht so wichtig.«

»Wie bitte?« Er grinste verhalten. »Es ist mir durchaus nicht egal, wie ich

sterbe. Aber wenigstens habe ich die Genug­tuung, daß Gaddos uns bald folgen wird. Diesmal hat der alte Fuchs den Kopf zu tief in die Schlinge gesteckt.«

Jintha sah ihn fragend an. Burjos regi­strierte zufrieden, daß auch der Wächter ge­spannt zuhörte.

»Er wird nicht über uns stolpern«, fuhr er fort. Er sprach leise, damit der Anschein ge­wahrt blieb, als handele es sich um ein Ge­heimnis. »Sondern über die angeblichen La­winenspezialisten aus Grodh. Magantilliken und sein geschuppter Diener kommen nicht aus diesem Land, da bin ich mir ganz sicher.

27 Ein Robot versagt

Ich möchte sogar wetten, daß sie überhaupt nicht auf diesem Planeten geboren sind.«

Das Mädchen schnappte nach Luft. »Du phantasierst!« stellte sie fest. »Die

beiden gebrauchen unsere Sprache, und zu­mindest dieser Magantilliken sieht uns sehr ähnlich. Es gibt ein paar alte Überlieferun­gen, in denen behauptet wird, unsere Vor­fahren wären mit Raumschiffen auf Xer­tomph gelandet, aber das sind Hirngespinste, die wissenschaftlich nicht belegbar sind. Selbst wenn etwas Wahres daran ist, dürfte dieses geheimnisvolle Volk längst ausge­storben sein. Außerdem – wenn wirklich Raumfahrer zu uns kommen sollten, wel­chen Grund hätten sie, das zu verschleiern? Und warum kümmern sie sich dann als er­stes ausgerechnet um diese Bergungsakti­on?«

»Um an die Kugel heranzukommen.« »Aber Magantilliken hilft Gaddos doch«,

wandte Jintha ärgerlich ein. »Er treibt die Arbeiten schneller voran, und wenn unsere Leute das Ziel erreicht haben, hat er allein keine Chance, sich den Fund zu sichern.«

»Er hat bestimmt die Mittel, um genau das zu tun. Paß auf, Jintha, ich habe die gan­ze Zeit über dieses Problem nachgedacht. Vielleicht irre ich mich in einigen Punkten, aber ich glaube, ich habe die Wahrheit ziem­lich genau erraten. Nimm einmal an, diese Kugel gehört unseren Vorfahren. Ein so rie­siges Ding läßt man nicht einfach auf einem Planeten zurück, ohne einen zwingenden Grund dafür zu haben. Die Kugel hat also eine Funktion. Sie muß sogar sehr wichtig sein. Auf keinen Fall war geplant, daß wir sie untersuchen sollten. Deshalb hat man sie an eine unzugängliche Steilwand gebaut, wo wir sie niemals hätten erreichen können. So­lange sie da oben blieb, war alles in Ord­nung, und niemand kümmerte sich um uns. Jetzt, wo sie durch einen Zufall in unsere Reichweite gerückt ist, hat man jemanden geschickt, der die ganze Sache wieder in Ordnung bringen soll.«

»Das glaube ich nicht«, fiel Jintha ihm ins Wort. »Wenn unsere Ahnen nicht ausgestor­

ben sind, warum haben sie dann nicht schon früher Kontakt zu uns aufgenommen?«

»Ich weiß es nicht«, gestand Burjos. »Vielleicht sind wir ihnen absolut gleichgül­tig. Nur die Kugel interessiert sie.«

»Das ist unlogisch!« behauptete Jintha so­fort. »Die Kugel besitzt Waffen, deren Wir­kungskraft unsere Vorstellung übersteigt. Das Ding ist uralt, aber es funktioniert im­mer noch. Nehmen wir an, Magantilliken wäre ein Nachkomme der Leute, die diese Waffen konstruiert hat, und seine einzige Aufgabe wäre es, uns von diesem Objekt zu vertreiben. Was wäre dann einfacher, als das Lager und alle Ckorvonen ringsum zu ver­nichten?«

»Du hast recht«, stimmte Burjos zu. »Aber es gibt einen Hinweis darauf, daß die Fremden sich scheuen, uns zu töten, solange sie es vermeiden können. Teihara ist eine sehr alte Stadt, auch wenn sie inzwischen et­liche Male den Namen gewechselt hat. Der Kern des Palasts wurde vor über eintausend Jahren gebaut. Das Quamendrin-Massiv liegt ganz in der Nähe, und man wußte schon sehr lange, daß es dort reiche Boden­schätze gibt. Trotzdem hat man sie lange Zeit nicht ausgebeutet. Niemand näherte sich dem Berg freiwillig, und Glückssucher, die es trotzdem wagten, bezahlten ihren Übermut meistens mit dem Leben. Und plötzlich, vor knapp hundert Jahren, ström­ten die Ckorvonen in Scharen in das Qua­mendrin-Massiv. Schlagartig hatte der Berg seine Schrecken verloren.«

»Es hat ihn noch niemand bestiegen«, gab Jintha zu bedenken.

»Wozu auch? Bis jetzt ist man hinrei­chend damit, beschäftigt, die Schätze zu ber­gen, die sich in den unteren Regionen befin­den. Alle Kräfte in Frinalhan werden auf die technische Weiterentwicklung konzentriert. Jeder Mann im passenden Alter, der nicht gerade ein Krüppel ist, wird zum Militär­dienst gezwungen. Für sportliche Ambitio­nen bleibt also wenig Raum. Aber ich kenne trotzdem einige Leute, die es sofort wagen würden, wenn man ihnen nur die richtigen

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Mittel zur Verfügung stellen wollte. Von ei­ner echten Angst dem Quamendrin gegen­über ist nichts mehr zu spüren. Noch vor hundert Jahren hätte man jeden, der sich auch nur hundert Schritt in das Woronongtal hineinwagte, als Todgeweihten betrachtet.«

Jintha war nachdenklich geworden. »Es ist merkwürdig«, gab sie zu. »Aber

ich sehe keinen Zusammenhang zwischen diesen Dingen und dem Verhalten Magantil­likens.«

»Ich schon«, betonte Burjos. »Man hat uns bis vor hundert Jahren daran gehindert, dem Quamendrin nahezukommen. Nicht mit Hilfe von Offensivwaffen, sondern auf die stille Art. Daraus schließe ich, daß unsere Vorfahren es nicht darauf anlegen, uns um­zubringen – es sei denn, wir werden ihnen zu lästig.«

»Aber wie sollen die Fremden so etwas machen?« fragte Jintha ärgerlich.

»Mit einer Verbotstafel am Taleingang bestimmt nicht«, nickte Burjos grimmig. »Denk mal an die Niava-Kristalle. Teihen­dru versucht seit Jahren, ihre Macht gezielt zu benutzen, aber er schafft es nicht. Zum Glück, denn das wäre eine WTaffe, der nie­mand auf diesem Planeten etwas entgegen­zusetzen hat. Hypnose! Ein unheimlicher Einfluß auf das Gehirn, dem man sich nicht entziehen kann. Vielleicht aber haben unsere Ahnen einen Weg gefunden, die Wirkung der Kristalle künstlich nachzuahmen. Sobald jemand in den Strahlungsbereich der Kugel kam, befiel ihn die Angst, und er zog sich zurück.«

»Das würde bedeuten, daß die Kugel schon sehr lange nicht mehr in Ordnung ist«, murmelte Jintha. »Warum kümmern sich die Fremden dann aber erst jetzt darum?«

»Ich weiß es nicht. Vielleicht haben sie die Kugel vorher nicht gebraucht.«

»Es klingt alles sehr phantastisch«, ent­gegnete Jintha leise. »Fremde aus dem Welt­raum! Wie sollen sie überhaupt nach Xer­tomph gekommen sein?«

»Mit einem Raumschiff natürlich.« »Das hätte man orten müssen!«

Marianne Sydow

»Mit unseren Geräten?« Burjos lachte lei­se. »O nein! Die Fremden sind uns technisch weit überlegen. Sie sind ohne unser Wissen gelandet. Wahrscheinlich befindet sich das Schiff ganz in der Nähe des Quamendrin. Die Ebene der Tempel zum Beispiel wäre ein hervorragendes Versteck. Kein Ckorvo­ne, der seine fünf Sinne beisammen hat, wagt sich in dieses Gebiet.«

»Wir müssen etwas unternehmen«, stellte Jintha fest. »Selbst wenn sich die Hälfte dei­ner Vermutungen als falsch erweist, ist die Gefahr zu groß. Wir sind vielleicht die einzi­gen, die einen Verdacht geschöpft haben. Man muß Magantilliken gefangennehmen oder ihn wenigstens vertreiben!«

»Das wird er sich kaum gefallen lassen. Man braucht sich diesen Kerl nur anzusei­len, um zu wissen, daß er eiskalt und gewis­senlos seine eigenen Interessen verfolgt. Wahrscheinlich hilft er Gaddos nur, weil er sich die Arbeit sparen will, die Kugel selbst auszugraben. Sobald er sich am Ziel sieht, wird er zuschlagen. Ich hoffe nur, daß Gad­dos lange genug lebt, um Teihendru vorge­führt zu werden. Er soll wenigstens einen Bruchteil der Qualen spüren, die er anderen zugefügt hat, ehe er stirbt!«

Jintha schwieg. Sie hatte sich für die Dau­er der Unterhaltung von ihrem eigenen Schicksal ablenken lassen. Jetzt wurde sie sich ihrer eigenen Situation bewußt. Be­klommen starrte sie nach vorne, wo in der Dunkelheit eine schwach leuchtende Halb­kugel über den Hügeln auftauchte. Dort lag Teihara.

Gegen Mitternacht hielt der Wagen vor dem prunkvollen Haupttor des Palastbezirks. Ein Wächter sah kurz in den Wagen, las die schriftliche Bescheinigung, die der Wacht­posten im Wagen ihm reichte, im Schein ei­ner Lampe und winkte dann lässig seinem Kollegen im hellerleuchteten Postenhaus zu. Das Tor öffnete sich lautlos. Sie fuhren über die Wege, die Jintha seit ihrer Kindheit kannte. Es ging durch einen kleinen Park, dann über die breite Auffahrt, an dessen En­de die Freitreppe lag. Aber diesmal hielt der

29 Ein Robot versagt

Wagen nicht an der gewohnten Stelle, son­dern bog nach links ab. Die vielfarbige Fas­sade des Herrscherhauses huschte vorbei. Sie tauchten in das Dunkel der zahllosen Nebengebäude, wo von dem weiter vorne zur Schau gestellten Reichtum nichts mehr zu sehen war. Eine dicke Mauer, deren ein­ziges Tor von bewaffneten Soldaten be­wacht wurde, grenzte das Wohngebiet der niederen Sklaven gegen den Gefängnistrakt ab. Sie durften passieren und standen wenig später vor einem fast fensterlosen Gebäude­klotz aus rotbrauner: Steinblöcken. Schein­werfer tauchten das Haus und den Innenhof in grellweißes Licht. Auf den klobigen Wachttürmen der Mauer sah Jintha zahlrei­che Soldaten.

»Ich bin Teihendrus Tochter«, sagte sie zu dem Kerkermeister, der die neuen Gefan­genen in Empfang nahm. »Ich muß unbe­dingt meinen Vater sprechen. Es ist lebens­wichtig!«

»Das kann ich mir denken«, nickte der grobschlächtige Mann und gab dem Mäd­chen einen Tritt. »Vorwärts! Und merk dir eines: Wer hierher kommt, wird nach seiner Abstammung nicht gefragt!«

5.

Als die Dämmerung hereinbrach, kamen ausgeruhte Männer aus dem Lager, um ihre erschöpften Kollegen abzulösen. Magantilli­ken verglich die einlaufenden Meldungen mit der nun um einiges vervollständigten Karte und stellte zufrieden fest, daß die Ar­beit rasch voranging. Gaddos würde zufrie­den sein. Und nicht nur er, sondern auch die ungeduldig wartende Erinnye in der ver­schütteten Gefühlsbasis.

Die einzige wirklich gefährliche Stelle hatten die Fahrzeuge überwunden. Eine tückische Spalte wurde von einer primitiven, aber haltbaren Brücke aus Holz überspannt. Die entsprechenden Daten hatte Isthmy ge­liefert, ohne dessen Hilfe dieses Hindernis die Ckorvonen vor gewaltige Schwierigkei­ten gestellt hätte. Zugleich hatte der Henker

sich damit jedoch seinen eigenen Weg geeb­net. Sobald es dunkel war, wollte er sich heimlich davonschleichen. War die Gefühls­basis erst wieder funktionsbereit, so würden die Ckorvonen sich innerhalb weniger Stun­den zurückziehen und kaum noch wissen, was sie in diesem Tal eigentlich getan hat­ten.

Der Vargane überschlug die Zeitspanne, die ihm bis zum Eintreffen der tejonthischen Flotte noch blieb. Es waren – auf planetari­sche Verhältnisse umgerechnet – noch vier­einhalb Tage. Isthmy hatte also mit seinen düsteren Prognosen danebengezielt. Noch lange vor Ablauf der Frist würde der Auf­trag erledigt sein. Magantilliken lächelte zu­frieden und verließ das Zelt, um draußen nach dem Rechten zu sehen. Es war schon fast dunkel. Die Scheinwerfer der Fahrzeuge schufen vergleichsweise winzige Lichthöfe auf der Oberfläche des Lawinenfelds. Als Magantilliken den Kopf in den Nacken leg­te, sah er scheinbar direkt über sich den Gip­fel des gewaltigen Berges, der von den letz­ten Strahlen der untergehenden Sonne in feuriges Rot getaucht wurde.

Schließlich wandte er sich ab und stapfte zu einem Punkt jenseits des Ausweichplat­zes hinüber. Die Kugel löste sich aus dem Gewirr der Schneebrocken und schwebte lautlos näher, »Willst du es jetzt schon wa­gen?« fragte Xonth leise. Er folgte seinem Herrn wie ein Schatten, immer bereit, ihn notfalls bis zum letzten Atemzug zu vertei­digen.

Magantilliken würdigte ihn keiner Ant­wort.

»Ist alles klar?« fragte er den Roboter. »Nein«, antwortete Isthmy prompt. Der Henker wollte ärgerlich auffahren,

aber in diesem Augenblick wimmerte weit entfernt eine Sirene. Er zuckte zusammen und fuhr herum. Aus dem Hohlweg, der auf die Station zuführte, hasteten Männer. Klei­ne, leichte Fahrzeuge brummten von der ent­gegengesetzten Seite heran.

»Alarm«, stellte der Roboter scharfsinnig fest. »Der Luftdruck fällt mit beängstigender

30

Geschwindigkeit. Eine bildschöne Schlecht­wetterfront kommt auf uns zu.«

Magantilliken fand keine Zeit, sich über die Ausdrucksweise seines Begleiters aufzu­regen, denn die Wagen, die man aus dem Lager geschickt hatte, hielten neben dem dunklen Zelt. Schnee stäubte unter den brei­ten Rädern auf. Fluchend zwängten sich die Ckorvonen auf die unbequemen Sitze. Auf den Varganen achtete niemand. In wilder Flucht wandte sich alles dem relativ sicheren Gebiet jenseits des Lawinenfeldes zu.

Im ersten Moment war der Henker wü­tend auf die Eingeborenen. Im Nu waren die Wagen besetzt. Die Plätze reichten gerade für die Arbeiter. Dem Varganen schenkte niemand auch nur einen Funken Aufmerk­samkeit. Dann erkannte er seine Chance. Hastig wandte er sich zu Isthmy um.

»Los!« befahl er. »Das ist die beste Gele­genheit, um unauffällig zu verschwinden. Gib der Erinnye den Befehl, sofort einen Schacht zur Oberfläche zu schmelzen. Du bringst Xonth und mich hin. Sobald wir in der Gefühlsbasis sind, werden wir eine neue Lawine auslösen, die den Zugang zum hinte­ren Talende versperrt. Damit sind wir die Eingeborenen für eine Weile los. Das gibt mir Zeit genug, um die Schäden in der Stati­on zu beseitigen.«

»Dein Plan ist gut«, erwiderte der Roboter bedächtig. »Aber leider hast du dir für deine Erklärungen zu viel Zeit genommen. Der Fahrer wartet auf dich.«

Magantilliken fuhr herum. Etwa fünf Meter entfernt stand ein

Schneerutscher. Der Fahrer hatte die Türen bereits geöffnet.

»Soll ich schießen?« fragte Isthmy leise. Das Gesicht des Ckorvonen war völlig

ausdruckslos. Es ließ sich nicht feststellen, ob er die vorhergehende Unterhaltung mit­bekommen hatte. Wenn ja, dann wußte er zumindest, daß Magantilliken eigene Pläne verfolgte. Sobald Gaddos das erfuhr, war die Mission des Henkers gescheitert.

War sie es wirklich? Magantilliken unterdrückte ein höhni-

Marianne Sydow

sches Lachen. Noch hielt er einige gute Kar­ten in der Hand. Die Ckorvonen würden sich wundern! Warum sollte er nicht mitfahren? Auch Gaddos war nicht fähig, einen Tropoy­ther länger als ein paar Sekunden in ernst­hafte Verlegenheit zu bringen. Außerdem bestand immer noch die Möglichkeit, daß der Fahrer keinen Verdacht geschöpft hatte. Ließ Magantilliken es jetzt auf einen Kampf ankommen, so brachte er sich nur selbst in Schwierigkeiten, denn ungeachtet der dro­henden Gefahren durch den Wetterum­schwung würde Gaddos ihm umgehend eine ganze Meute schießwütiger Eingeborener auf den Hals hetzen und ihm damit den Weg zur Gefühlsbasis erschweren.

»Wir fahren!« entschied der Henker grim­mig.

Isthmy schwebte schweigend hinter dem Fahrzeug zum Lager zurück.

*

Seit dem ersten Kontakt mit Isthmy stand die Erinnye in ständiger Verbindung zu dem Kugelroboter. Sie empfing den Befehl, den Schacht zu schaffen und sorgte umgehend dafür, daß die entsprechenden Geräte ihre Arbeit aufnahmen. Dabei lauschte sie den weiteren Nachrichten. Sie erfuhr, daß Ma­gantilliken sich freiwillig in die Gewalt der Eingeborenen begab und somit einen weite­ren Zeitverlust in Kauf nahm. Sie verstand das nicht. Das Verhalten des Tropoythers ließ jenes Maß an eiskalter Logik vermissen, dem das Volk in der Eisigen Sphäre seine uneingeschränkte Herrschaft über den Mi­krokosmos verdankte. Aber die Erinnye war im Augenblick gebunden. Sie durfte nicht persönlich in den Ablauf der Geschehnisse eingreifen. Erstens wartete sie noch immer auf die beiden Fremdwesen, um derentwil­len man sie nach Xertomph geschickt hatte. Zweitens war ihre Anwesenheit in der Stati­on unter den gegebenen Umständen unge­heuer wichtig. Notfalls mußte sie die Eisige Sphäre direkt benachrichtigen. Das bedeute­te Selbstzerstörung, aber der Kreuzzug nach

31 Ein Robot versagt

Yarden war wichtig genug, um selbst einen so komplizierten Roboter zu opfern.

Die Erinnye hoffte, zu einem solchen Schritt nicht gezwungen zu sein, Ihr Selbst­erhaltungstrieb war sehr hoch, denn Wesen wie sie konnten selbst die Tropoythers nicht am laufenden Band herstellen. Das Warten machte den Roboter unruhig. Der Schacht war schnell geschaffen. Er führte nicht ganz bis zur Oberfläche. Das letzte Stück durfte erst dann durchbrochen werden, wenn die Ankunft des Henkers unmittelbar bevor­stand. Davon aber war vorläufig noch gar keine Rede. Magantilliken führte unnütze Diskussionen mit den Eingeborenen. Isthmy, der alles mitanhörte und in die Station über­trug, platzte fast vor Ungeduld. Der Erinnye ging es nicht anders.

*

Gwarn starrte verbissen auf den Becher mit Tee, der vor ihm auf dem Tisch stand. Ein paar Schritte weiter unterhielt Gaddos sich mit dem Fremden. Magantilliken gab offensichtlich wenig auf die Meinung der Meteorologen.

»Wir wären noch in dieser Nacht in die Nähe des Ziels gekommen«, behauptete er. »Der Sturm läßt noch ein paar Stunden auf sich warten. Sie hätten die Arbeiter noch ei­ne ganze Weile draußen lassen können. Wir verlieren Zeit.«

»Es war nicht meine Idee«, gab Gaddos gleichgültig zurück. »Dieser Burjos mit sei­ner Vorsicht hat eine Menge verdorben. Die Leute sind ohnehin beunruhigt wegen der Verhaftung. Sie bei diesem Wetter zum Weiterarbeiten zu zwingen, könnte zur offe­nen Rebellion führen. Mir ist es egal, wenn ein paar von den Kerlen draufgehen, aber unser Zeitplan könnte darunter leiden.«

»Das tut er auch so«, bemerkte Magantil­liken ungeduldig.

»Keineswegs«, wehrte der Hagere ab. »Ich bin ein vorsichtiger Mann, Magantilli­ken, und ich glaube, Sie verstehen mich sehr gut. Burjos stellte einen Plan auf, der ziem­

lich weitläufig war. Die einzelnen Schritte wurden an Teihendru übermittelt und gebil­ligt. Mit Ihrer Hilfe werden wir trotz dieser Pause schneller vorankommen, aber das braucht Teihendru erst zu wissen, wenn ich Ergebnisse vorweisen kann. Falsche Ver­sprechungen nimmt er nämlich sehr übel. Für ihn gilt der alte Plan, den wir selbst un­ter ungünstigen Umständen einhalten kön­nen.«

»So ist das«, nickte Magantilliken verste­hend. »Geht es schneller, so ernten Sie die Lorbeeren, geht es langsamer, ist Burjos dar­an schuld.«

Gaddos nickte kühl. Wenig später zog Magantilliken sich mit seinem schweigsa­men Begleiter zurück. Die seltsame Kugel war in einem angrenzenden Lagerraum un­tergebracht. Jetzt wäre es Zeit gewesen, den Mund aufzumachen, und Gwarns Unsicher­heit wuchs. Sollte er dem Hageren den In­halt des Gesprächs mitteilen, daß er draußen mitangehört hatte?

Gwarn war Sklave, und er gehörte mit Haut und Haaren Gaddos. Der Hagere war kein angenehmer Herr. Diener, die sich et­was zuschulden kommen ließen, waren so gut wie tot. Es war nicht so, daß Gaddos sol­che Leute umbrachte – dazu war er ein viel zu guter Geschäftsmann. Er verkaufte unfä­hige Sklaven weiter. Seine bevorzugten Kunden waren einige Ärzte in, Teihara. Es gab noch unzählige medizinische Rätsel zu lösen. Was von den Körpern der Opfer üb­rigblieb, rechtfertigte meistens nicht einmal mehr ein Begräbnis. Deshalb hatte Gwarn es sich angewohnt, gewissermaßen zweigleisig zu arbeiten. Er war Gaddos gegenüber loyal und berichtete alles, was ihm zu Ohren kam. Dabei sortierte er jedoch sorgfältig alle In­formationen aus, die ihn gerade durch eine Weitergabe an den Hageren in Lebensgefahr gebracht hätten.

Magantillikens aufschlußreiche Erklärung ließ nur einen Schluß zu: Dieser Fremde kannte sich im Innern der Kugel aus. Ge­fühlsbasis – diese Bezeichnung war für Gwarn nichtssagend. Immerhin wußte der

32

Sklave sehr genau, daß die Kugel mit Feuer­strahlen um sich geschossen hatte. Er zog es vor, mit derlei Gefahren möglichst nicht in Berührung zu kommen. Wenn aber eine Verbindung zwischen Magantilliken und der Kugel bestand, dann schleppte der Fremde vermutlich auch einige Waffen mit sich her­um. Gaddos war ein ungeduldiger Mann. Er würde Magantilliken sofort zur Rede stellen, und da Gwarn seinen Herrn auf Schritt und Tritt zu begleiten hatte, war das eine unan­genehme Aussicht.

Und dann war da noch etwas. Auch ein Sklave konnte sich auf dunklen

Wegen Informationen über die politische Lage verschaffen. In Teihara wußte man gut über Vaanrhan Bescheid. Dort gab es keine Sklaverei. Für Leute wie Gwarn war Vaanr­han die einzige Hoffnung, irgendwann ein­mal frei leben zu können. Wenn Teihendru die Waffen aus der Kugel in die Hände be­kam, war Vaanrhan verloren. Der Fremde dagegen schien sich um das Schicksal der Ckorvonen nicht zu kümmern. Er verfolgte eigene Ziele, die weder mit Frinalhan, noch mit dessen Gegner etwas zu tun hatten. Schlußfolgerung: Die sicherste Möglichkeit, Teihendru an weiteren Nachforschungen zu hindern, bestand darin, Magantilliken ge­währen zu lassen.

»Was träumst du da herum!« Gwarn fuhr herum. Gaddos winkte ihm

herrisch zu und schritt zur Tür. Der Sklave trank einen letzten Schluck Tee, dann folgte er seinem Herrn. Er hatte seinen Entschluß gefaßt.

In dieser Nacht schlief er wie üblich auf einer Matte vor der Tür des Hageren. Es war noch dunkel, als jemand ihn heftig an der Schulter schüttelte. Er schlug die Augen auf und erblickte einen der Meteorologen.

»Ich habe eine dringende Nachricht für Gaddos!« erklärte der Ckorvone, als Gwarn sich aufrichtete. »Weck ihn auf!«

Der Sklave gehorchte nur ungern, Gaddos haßte es, wenn man ihn im Schlaf störte. Aber er hatte Glück, denn die Nachricht war so gut, daß Gaddos in eine für seine sonstige

Marianne Sydow

Mentalität erstaunlich gute Laune geriet. Das Tief hatte sich erneut verlagert. Wäh­rend der Nacht waren zwar die Temperatu­ren gestiegen, aber nach Meinung des Me­teorologen konnte man die Arbeiten unge­fährdet fortsetzen, solange man die üblichen Vorsichtsmaßnahmen beachtete.

Der Hagere eilte sofort in das Hauptbüro. Lautsprecher dröhnten auf, und innerhalb von Sekunden wurde es im Lager lebendig. Erschöpfte Männer bestiegen die Fahrzeuge und eilten auf das Lawinenfeld zurück. Un­ter den ersten, die sich nach draußen bega­ben, waren Magantilliken und Xonth, sowie die Kugel namens Isthmy, deren Leistungen überall im Lager teils Bewunderung, teils abergläubische Angst geweckt hatten.

Gwarn registrierte mit Erleichterung, daß niemand ihm gegenüber einen Verdacht ge­schöpft hatte.

In diesem Augenblick kam ein dringender Funkspruch für Gaddos herein. Gwarn folgte ihm wie gewöhnlich, um sofort zur Stelle zu sein, falls der Hagere ihm einen Auftrag ge­ben wollte. Zu seiner Verwunderung wurde er jedoch aus dem Funkraum gewiesen, nachdem Gaddos nur zwei Worte mit sei­nem bisher nicht identifizierten Gesprächs­partner gewechselt hatte. Auch die Männer, die im Funkraum Dienst taten, wurden von dem Hageren höchst persönlich hinausge­jagt.

»Was mag das nun wieder bedeuten?« murmelte einer der Ckorvonen unsicher, als sie sich vor der nun geschlossenen Tür ver­sammelten. Gwarn hätte die richtige Ant­wort geben können, aber er zog es vor, den Mund zu halten.

Seine Gedanken überstürzten sich. Die völlig unvernünftige Angst, Gaddos könne ihm doch auf die Schliche gekommen sein, versetzte ihn fast in Panik. Andererseits hät­te der Hagere deswegen wohl kaum mit Tei­hendru selbst gesprochen. Nein, es mußte einen anderen Grund geben.

Als Gaddos mit einem heftigen Ruck die Tür aufstieß, zuckte Gwarn deutlich sichtbar zusammen. Aber sein Herr zollte ihm wenig

33 Ein Robot versagt

Aufmerksamkeit. »An die Arbeit!« herrschte er die ratlosen

Funker an. »Du kommst mit!« Die Tür zu dem Zimmer, welches man

Magantilliken und seinem echsenhäutigen Helfer zugewiesen hatte, flog krachend ge­gen die Wand. Gaddos warf einen Blick auf die leeren Feldbetten, dann wirbelte er her­um.

»Sie sind mit der ersten Gruppe hinausge­fahren«, warf Gwarn scheu ein.

Gaddos starrte ihn einen Augenblick lang fast ausdruckslos an. Der Sklave kannte die­sen Blick. Die Wut des Hageren mußte un­vorstellbar sein. Er duckte sich, als die Hand des hochgewachsenen Ckorvonen sich ab­rupt hob, aber der Schlag, den er erwartete, kam nicht. Statt dessen drehte Gaddos sich um und rannte auf den Ausgang zu. Gwarn folgte ihm verwirrt und unsicher. Er war völlig benommen von den sich widerspre­chenden Gefühlen, die auf ihn eindrangen. Er hatte Angst. Er fürchtete den Moment, an dem man Magantilliken angriff, denn er wollte noch eine Weile leben. Er zitterte gleichzeitig davor, daß es gelang, den un­heimlichen Fremden zu überwältigen. Ma­gantilliken mußte gemerkt haben, daß Gwarn das Gespräch mitgehört hatte. Die Verhörmethoden in Teihara waren dazu ge­eignet, den Opfern alles, was sie jemals er­fahren hatten, zu entreißen. Eine entspre­chende Bemerkung des Fremden war für Gwarn das Ende. Und Vaanrhan?

Das Wissen Magantillikens würde Tei­hendru zum mächtigsten Herrscher auf Xer­tomph machen …

»Wo bleibt der Wagen?« Gwarn stolperte vor Schreck und hastete

davon. Als er den Schneerutscher vor der Tür der Baracke anhalten ließ, waren auch die anderen sechs Mitglieder der Gruppe, die Gaddos in das Woronongtal begleitet hatte, eingetroffen. Ein zweites Fahrzeug stoppte direkt hinter Gwarn. Gaddos warf sich auf den Nebensitz.

»Los!« befahl er seinem Sklaven. Der Motor heulte auf, und das leichte Fahrzeug

schoß mit einem heftigen Ruck vorwärts. Gwarn sah aus den Augenwinkeln heraus, daß der zweite Wagen ihnen folgte, dann hatte er für eine Weile genug damit zu tun, den Schneerutscher auf der glatten Bahn zu halten. Mit halsbrecherischer Geschwindig­keit steuerte er den Wagen durch den Hohl­weg. Erst kurz vor dem zur Zeit letzten Stützpunkt auf dem Lawinenfeld befahl Gaddos ihm, die Geschwindigkeit zu verrin­gern. Fast lautlos kam das Fahrzeug direkt vor dem schwarzen Zelt zum Stehen.

Gaddos warf einen Blick nach hinten, dann nickte er seinem Sklaven zu. Die bei­den Ckorvonen sprangen auf den Schnee hinaus. Die anderen Männer aus dem zwei­ten Wagen verteilten sich blitzschnell um das Zelt. Der Hagere zog zwei Waffen aus seinem Gürtel. Eine behielt er in der rechten Hand, die andere reichte er Gwarn.

»Ich will Magantilliken und seinen Freund lebend!« erklärte er leise. »Du darfst also nur im äußersten Notfall schießen. Und wehe dir, wenn du einen der beiden dabei tötest!«

Gwarn nickte, aber sein Herr war schon am Zelteingang und schlug die Plane zu­rück. Magantilliken war nicht da. Nur vier Sklaven in schmutzigen, nassen Pelzjacken starrten ihnen erschrocken entgegen.

»Wo ist er?« Die Stimme des Hageren durchschnitt wie

ein Peitschenhieb die Stille im Zelt. Die Sklaven duckten sich und wichen

furchtsam ein Stück zurück. Gwarn biß sich auf die Lippen. Es gab keine Minute in sei­nem Leben, in der er Gaddos nicht gehaßt hatte, aber in Augenblicken wie diesem drohte dieser Haß übermächtig zu werden. Die vier Männer hatten nicht die leiseste Ahnung, was dieser Kerl eigentlich von ih­nen wollte. Sie konnten gar nicht antworten.

Gaddos zog einen der Männer in die Höhe und schlug ihm mit dem Handrücken ins Gesicht. Der Sklave stöhnte auf. Blut floß aus seiner Nase, und seine dunklen Augen flackerten vor Angst.

»Wo ist Magantilliken?« schrie Gaddos

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mit überschnappender Stimme. »Er ging hinaus, Herr!« stotterte der Skla­

ve und deutete mit seiner zitternden Hand auf den Zelteingang. »Er wollte einen Rund­gang machen und die Arbeiten weiter vorne kontrollieren.«

Gaddos stieß den Sklaven von sich. Der Mann prallte schwer auf den Boden. Als Gwarn, der wie immer hinter seinem Herrn den Raum verließ, sich noch einmal kurz umsah, schrak er zurück. Die Augen der vier Sklaven waren so voller Haß, daß er diese Blicke fast körperlich spürte. Sie wußten nicht, daß Gwarn sich in derselben scheußli­chen Lage befand, sondern hielten ihn für einen Spießgesellen des Hageren.

Draußen erwarteten sie die übrigen Män­ner. Zwei von ihnen hielten einen gut geklei­deten Ckorvonen mit ihren Waffen in Schach.

»Er kam eben hier an«, erklärte einer der Bewaffneten lakonisch. »Er ist der Leiter der Gruppe.«

»Wo ist Magantilliken?« fragte Gaddos erneut.

»Er macht eine Inspektion«, erwiderte der andere verwirrt. »Das tut er doch ständig. In ein paar Minuten wird er wieder hier sein.«

»Wir warten«, entschied Gaddos rasch. »Zwei von euch gehen hinter das Zelt. Paßt auf, daß er euch nicht entwischt, aber bringt ihn mir lebend zurück, falls er es versuchen sollte. Alle anderen kommen mit in das Zelt.«

Die Zeit verstrich unendlich langsam. Im­mer wieder warf Gwarn einen verstohlenen Blick auf die Uhr. Das Warten machte ihn fast rasend. Hinzu kam die bedrückende Stille im Zelt. Die vier Sklaven hatten sich beeilt, an ihre Arbeit zurückzukehren. Der Gruppenleiter in seinem graublauen Pelz starrte schweigend vor sich hin. Ab und zu warf er Gaddos einen Blick zu, aber er wag­te es nicht, eine Frage zu stellen.

»Wo bleibt der Kerl?« wandte Gaddos sich nach einer Weile wütend an den vor­nehmen Ckorvonen.

»Ich weiß es nicht. Vielleicht ist er aufge-

Marianne Sydow

halten worden. Soll ich über Funk nach ihm suchen lassen?«

Gaddos zögerte, dann schüttelte er den Kopf.

»Noch nicht«, murmelte er. »Ich will ihn nicht warnen. Der Bursche ist gerissen. Wir warten noch ein bißchen.«

Aber Magantilliken kam nicht. Endlich rang Gaddos sich doch zu dem Entschluß durch, bei den Fahrern der Raupenschlepper nachzufragen. Das Ergebnis war für Gwarn fast eine Erlösung. Magantilliken befand sich offensichtlich auf dem Weg zur Kugel. Er hatte sich in Begleitung seines Helfers und der seltsamen Maschine von dem Pio­niertrupp entfernt und war auf das noch nicht erschlossene Lawinenfeld hinausge­gangen. Angeblich suchte er nach dem kür­zesten Weg, um die Arbeiten noch schneller voranzutreiben. Der Sklave beherrschte sich eisern, um seinen Triumph nicht zu zeigen. Diesmal würde Gaddos zu spät kommen!

Der Hagere allerdings gab so schnell nicht auf. Die Tatsache, daß er dem Fremden nachfahren wollte, sagte Gwarn genug. Es gab außer ihm mindestens noch einen Ckor­vonen, der von der Verbindung zwischen Magantilliken und der Kugel wußte. Gaddos hatte begriffen, daß dem angeblichen Lawi­nenspezialisten aus Grodh nichts ferner lag, als die Ckorvonen zu ihrem Ziel zu führen.

Sie kamen schnell voran, solange sie noch den provisorisch geschaffenen Weg benut­zen konnten. Dann blieb das letzte Fahrzeug hinter ihnen zurück, und vor ihnen türmten sich Schnee, Eis und Felsbrocken zu fast un­überwindlichen Hindernissen auf. Gwarn hatte die Karte gesehen, auf der Magantilli­ken selbst den besten Weg über dieses ge­fährliche Gebiet eingezeichnet hatte. Dort war die Verbindung zur Kugel fast geradli­nig. Die Wirklichkeit jedoch sah anders aus. Sie wanden sich zwischen den Hindernissen hindurch und verloren nur deshalb die Ori­entierung nicht, weil sie sich immer wieder nach den Konturen des Quamendrin richten konnten. Gwarn steuerte den kleinen Wagen verbissen vorwärts. Neben ihm saß Gaddos.

35 Ein Robot versagt

Er blickte fast uninteressiert nach draußen. Die Waffe steckte locker in seinem Gürtel. Für einen Moment dachte der Sklave daran, daß er ebenfalls bewaffnet war, und die flüchtige Idee zuckte in ihm auf, Gaddos umzubringen. Er verwarf den Gedanken. Hinter ihm ratterte das zweite Fahrzeug mit sechs schwerbewaffneten Männern über den unebenen Boden. Sechs Ckorvonen, die Gaddos treu ergeben waren.

»Halt!« Der Befehl kam so plötzlich, daß Gwarn

fast gegen einen Felsbrocken gefahren wäre. Gaddos stieg aus und ging zu dem zwei­

ten Fahrzeug zurück. Einer der Männer ver­ließ den Schneerutscher und begann, sich an der rissigen Wand des Felsbrockens hochzu­hangeln. Oben richtete er sich vorsichtig auf und sah sich um. Gaddos starrte ungeduldig nach oben. Der Ckorvone auf dem Fels­brocken duckte sich plötzlich, dann ließ er sich hastig nach unten gleiten. Die letzten zwei Meter überwand er, indem er in den hier recht weichen Schnee sprang. Gwarn bemerkte, wie durch die Erschütterung von dem Schneeberg auf der linken Seite des Wagens einige Brocken gelöst wurden und vor ihm auf dem Weg kullerten. Er fühlte sich äußerst unbehaglich.

»Wir haben sie gleich«, keuchte der Ckor­vone, als er vor Gaddos stand. »Sie sind nur noch durch diese Eisbrocken da vorne von uns getrennt. Es sieht aus, als hätten sie Schwierigkeiten. Die kleine Kugelmaschine schwebt zwischen den Brocken herum. Ma­gantilliken und Xonth sitzen auf einem Fel­sen und warten anscheinend auf etwas. Wir könnten sie leicht überraschen, wenn wir uns trennen und sie von zwei Seiten angrei­fen.«

»Gut«, nickte Gaddos. »Erkläre Gwarn genau den Weg.«

Der Sklave merkte sich die Angaben des Bewaffneten und sah sich dann nach Gaddos um. Der Hagere erteilte den Männern im zweiten Wagen genaue Anweisungen.

»Wir steigen aus«, erklärte er, als er zu Gwarn zurückkehrte. »Die Motoren sind zu

laut.« Gwarn kletterte schweigend aus dem

Schneerutscher. Er war froh, jetzt nicht mehr mit verhältnismäßig hohem Tempo über die­se gefährliche Fläche rattern zu müssen.

Die Männer der zweiten Gruppe ver­schwanden auf der anderen Seite des Fels­brockens. Gaddos überließ seinem Sklaven die Führung, sobald sie an die ersten Eis­brocken kamen. Er verzichtete sogar darauf, Gwarn zur Eile anzutreiben, denn auch er begriff, daß jeder falsche Schritt tödlich sein konnte. Sie wanden sich durch riesige Blöcke aus trübem Gletschereis. Spalten la­gen dazwischen, die sie nicht überspringen konnten. Aber der Ckorvone, der dem Skla­ven den Weg erklärt hatte, hatte diese Hin­dernisse mit einkalkuliert. Unaufhaltsam nä­herten sie sich der Stelle, an der Magantilli­ken ahnungslos wartete.

Gwarn blieb stehen, als sie den Markie­rungspunkt erreichten, den man ihm genannt hatte. Mitten in dem Feld aus Gletschereis ragte ein Felsen auf, eine schrägliegende Platte von etwa fünfzig Metern Dicke. Sie stieg auf dieser Seite sanft an. An der Bruch­kante am entgegengesetzten Ende sollten Magantilliken und sein Helfer sich aufhal­ten.

Gaddos warf einen Blick auf die Uhr, dann nickte er Gwarn zu.

»Geh hinauf!« flüsterte er scharf. »An der Kante richtest du dich kurz auf, dann kommst du zurück.«

Der Sklave betrat vorsichtig den von einer dünnen Eisschicht überzogenen Felsen. Während er sich nach oben tastete, merkte er, wie ihm heiß wurde. Ärgerlich schob er die Kapuze zurück. Die Steigung wurde stärker, er mußte sich voll darauf konzen­trieren, nicht den Halt zu verlieren. Dicht unterhalb der Kante blieb er für ein paar Se­kunden stehen, um wieder zu Atem zu kom­men, und erst da merkte er, daß er nicht nur durch die Anstrengung ins Schwitzen gera­ten war.

Die Temperatur stieg! Er warf einen Blick nach oben und er­

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schrak. Deutlich sah er jetzt am Himmel die dünnen, spiralförmigen Wolkentürme, die sich über die Flanke des Quamendrin scho­ben und weiter oben zerfaserten. Ein lauwar­mer Windstoß fuhr durch die Luft. Die Män­ner in der Wetterstation hatten sich geirrt. Es würde Sturm geben. Den typischen, heißen Sturm der Berge.

Rechts ragte der nackte, glatte Felshang auf. Von dort drohte keine Gefahr. Die La­wine hatte alles mit sich gerissen, was locker war. Aber ein Stück weiter hinten hingen noch dicke Schneefelder über dem Tal. Dort befand sich jetzt der Bergungstrupp. Gwarn dachte an das, was Magantilliken zu der Ku­gelmaschine gesagt hatte. Er tastete nach der Waffe an seinem Gürtel. Gaddos konnte ihn von hier aus nicht sehen. Wenn er jetzt schoß, war der Fremde gewarnt. Gaddos und seine Leute hatten keine Chance. Und Hilfe kam ganz sicher nicht …

Der Sklave biß die Zähne aufeinander. »Für Vaanrhan!« flüsterte er. Er hob die Waffe, zielte auf eine Schnee­

wächte in fast dreihundert Meter Entfernung und schoß. Der Knall brach sich an den Felswänden und kehrte als vielfaches Echo zurück. Gwarn feuerte, bis das Magazin leer war. Er lachte schallend, als er die ersten Schneebrocken fallen sah, schleuderte die leere Waffe von sich und rutschte über die glatte Fläche nach unten. Er sah das entsetz­te Gesicht des Hageren vor sich, als er auf ihn zuraste, bemerkte auch die Waffe, die auf ihn gerichtet war und warf sich zur Sei­te. Ein neuer Schuß zerriß die Stille. Schreie kamen von jenseits der Felsplatte. Gwarn nutzte den ungeheuren Schwung, mit dem er über das letzte Stück des Felsbodens getra­gen wurde. Er landete nur einen Meter von Gaddos entfernt, der zu überrascht war, um schnell genug reagieren zu können. Die Faust des Sklaven traf den Hageren in der Magengegend. Gaddos klappte zusammen. Die Waffe entfiel seinen Händen. Gwarn bückte sich blitzschnell, und als Gaddos sich aufrichtete, drückte der Sklave ab.

Er sah das Loch in der Stirn seines Peini-

Marianne Sydow

gers und wußte, daß Gaddos tot war. Er hielt den Atem an, als ihm die Bedeutung dieses Augenblicks zu Bewußtsein kam. Er hatte Gaddos getötet. Sekundenlang war er wie gelähmt, dann schnellte er herum und rannte an dem Felsen entlang. Jetzt gab es kein Zu­rück mehr.

Vor ihm waren Schreie und wilde Flüche. Er duckte sich an das kalte, rissige Gestein und schob sich behutsam weiter* »Nicht schießen, Isthmy!« gellte Magantillikens Stimme auf.

Gwarn lächelte zufrieden. Der Fremde lebte noch, und das war die Hauptsache. Aber er hatte sechs Männer gegen sich, Sie wollten Magantilliken lebend, aber das hieß nicht, daß sie von ihren Waffen keinen Ge­brauch machen durften. Ihr Befehl lautete, den Fremden kampfunfähig zu machen. Gwarn kannte die Schergen seines Herrn gut genug. Er mußte Magantilliken helfen, sonst kam der Fremde trotz allem nicht ans Ziel.

Er spähte um die Felskante herum. Die Kugel namens Isthmy schwebte in einiger Entfernung über den Eisbrocken in der Luft. Sie rührte sich nicht. Magantilliken und sein Helfer hatten sich nur wenige Meter weiter rechts hinter einem Felsbuckel verschanzt. Die Deckung war ungenügend. Zu Gwarns Verwunderung waren die beiden Fremden tatsächlich unbewaffnet. Jedenfalls machten sie keine Anstalten, die Ckorvonen zu ver­nichten.

Durch eine halbdurchsichtige Eisplatte hindurch sah Gwarn einen dunklen Schatten, der sich langsam vorwärtsbewegte. Das Ziel des Angreifers war klar erkennbar. Er wollte die spärliche Deckung der beiden Fremden umgehen, um sie von rechts her in Schach zu halten. Gwarn grinste böse, hob die Waf­fe und zielte sorgfältig, Magantilliken und Xonth blickten in die falsche Richtung und würden den herbeischleichenden Ckorvonen zu spät bemerken. Gwarn wartete, bis der andere an eine Stelle kam, die er nur mit ei­nem schnellen Sprung überwinden konnte. Er schoß, sah seinen Gegner zusammenbre­chen und robbte hastig näher an Magantilli­

37 Ein Robot versagt

ken heran. Hinter einem Eisblock blieb er liegen. Er hielt nach seinem nächsten Opfer Ausschau.

Ein Schuß krachte, und dicht neben dem rechten Ohr des Sklaven spritzten einige scharfe Eissplitter ab. Gwarn zog den Kopf ein und rollte sich zur Seite. Er entdeckte den Schützen, der gerade erneut auf ihn an­legte. Gwarn war der Schnellere, und nun gab es nur noch vier Gegner. Er versuchte, sie zwischen den Eisbrocken zu erkennen, aber die Schergen Gaddos' waren inzwi­schen vorsichtiger geworden. Sie hatten be­griffen, daß es einer der Ihren war, der sich unerwartet auf die Seite des Henkers stellte. Nachdem auch sie gemerkt haben mußten, daß Magantilliken erstaunlicherweise kaum Widerstand leistete, war das ein schlimmer Schock.

Gwarn verlor allmählich die Geduld. Von weit her hörte er unheilverkündende Ge­räusche. Ein dumpfes Rumoren lag in der Luft. Das Eis unter ihm vibrierte von Zeit zu Zeit. Der Wind wurde stärker und jagte klei­ne Schneebröckchen über die Spitzen der Eisblöcke. Sie mußten diesen Ort verlassen, ehe es zu spät war.

Er sah sich nach Magantilliken um und stellte erschrocken fest, daß Xonth inzwi­schen davongeschlichen war. Der Fremde selbst saß ungerührt auf seinem Platz. Um den schmalen Mund spielte ein spöttisches Lächeln.

Links polterte ein Eisbrocken über den Boden. Der Sklave fuhr herum und sah einen Schatten auf sich zufliegen. In einem Reflex hob er die Waffe und drückte ab. Erst als der schwere Körper auf den Boden prall­te, erkannte er seinen Fehler. Er hatte Xonth getötet. Ehe er seine Fassung wiedergewin­nen konnte, schlangen sich von hinten zwei Arme um ihn und drückten ihn hart zu Bo­den.

»So, Freundchen«, wisperte eine scharfe Stimme an seinem Ohr. »Jetzt reicht es lang­sam!«

Gwarn verrenkte sich fast den hals, um das Gesicht seines Gegners erkennen zu

können. Es war Magantilliken! Wieder bellte ein Schuß. Der Fremde lä­

chelte böse und schlug Gwarns Handgelenk gegen eine Eiskante. Die Waffe fiel in einen Schneeflecken. Magantilliken ergriff sie, oh­ne den Sklaven dabei aus dem Griff zu las­sen.

»Aufstehen!« befahl der Fremde leise. »Los jetzt, oder soll ich dir Beine machen? Sag deinen Freunden, sie sollen sich umge­hend hier einfinden und ihre Waffen ablie­fern. Und sie sollen sich beeilen, denn ich habe keine Lust, dieses Spiel noch länger mitzumachen. Kommen sie nicht, so stirbst du.«

»Das hilft Ihnen nicht weiter«, keuchte Gwarn verzweifelt. Er verstand nicht, wie dieser Fremde so begriffsstutzig sein konnte. Er mußte doch gemerkt haben, daß Gwarn ihm nur helfen wollte. Warum stellte er sich nicht auf seine Seite?

»Das solltest du mir überlassen«, lächelte der Fremde kalt. »Steh endlich auf!«

Gwarn glaubte, einen Film zu sehen, der ungeheuer schnell vor seinen Augen ablief. Ihm war schwindelig. Mühsam raffte er sei­ne Kräfte zusammen und kam taumelnd auf die Füße. Er öffnete den Mund im selben Moment, in dem der Schuß krachte, merkte, daß er fiel, und wunderte sich darüber, daß er keinen Schmerz spürte. Erst als er das Knirschen unter seinen Füßen hörte, erkann­te er die Wahrheit.

Magantilliken huschte wie ein Schatten über den bebenden, gleitenden Boden. Gwarn hörte ihn nach seiner Wundermaschi­ne rufen und lächelte versonnen. Es war sinnlos, jetzt noch zu fliehen. Das Lawinen­feld war in Bewegung geraten. Niemand konnte das kommende Unglück überleben. Plötzlich fühlte er die grenzenlose Erschöp­fung. Er ließ sich zurücksinken und schloß die Augen. Er dachte an Gaddos, der weiter hinten im Schnee lag, mit einem dunklen Loch in der Stirn. Für einen Augenblick wurde ihm schwarz vor Augen. Ein urwelt­haftes Krachen riß ihn aus der Ohnmacht.

38

Die Felsplatte, an deren Fuß er lag, senkte sich herab, zuerst langsam, dann immer schneller.

Tiefe Risse durchzogen das ganze Gebiet, Eis und Schnee stürzten in die Spalten, Fels­brocken setzten sich in Bewegung, als seien sie rachsüchtige Monstren, die alles zerstö­ren wollten, was nach der ersten Katastrophe noch übriggeblieben war. Aber davon merk­te Gwarn nichts mehr. Es dauerte einen hal­ben Tag, ehe wieder Ruhe eintrat. Ein hefti­ger Schneesturm kam auf und verwischte die letzten Spuren. Als gegen Mitternacht auch das vorüber war, regte sich im Woronongtal nichts mehr. Der Quamendrin hatte diese ungleiche Schlacht für sich entschieden.

6.

»Das kommt davon«, meinte Isthmy scha­denfroh, »wenn man unbedingt Rücksicht auf ein paar unterentwickelte Wilde nehmen will.«

Magantilliken rieb sich die schmerzende Stirn und holte ein flaches Päckchen aus der Jackentasche. Nachdenklich musterte er das reichhaltige Angebot an farbigen Gelatine­kapseln und stellte sich dann eine kleine Mahlzeit zusammen. Konzentrierte Nah­rung, Wasser, ein schmerzstillendes Mittel und eine milde Droge, die Ordnung in seine Gedanken bringen sollte. Daß er eine Reihe von Fehlern begangen hatte, wußte er, aber noch störte es ihn nicht besonders. Er hatte Zeit verloren, hielt die ihm gesetzte Frist je­doch für ausreichend.

»Wie weit ist es bis zur Oberfläche?« fragte er, ohne auf die Bemerkungen des Kugelroboters einzugehen.

»Zehn Meter«, knarrte Isthmy. »Und die Gefühlsbasis?« »Ist inzwischen ziemlich weit von uns

entfernt. Wir sind mit dem Lawinenstrom talwärts geglitten, während die Station an Ort und Stelle geblieben ist. Der Schacht wurde verschüttet. Die Erinnye ist gerade dabei, einen neuen Zugang anzulegen.«

»Dann stimme die Zeiten mit ihr ab und

Marianne Sydow

sorge dafür, daß wir im richtigen Moment am Treffpunkt sind. Diesmal möchte ich den Schacht offen vorfinden, damit keine neuen Wartezeiten entstehen.«

Isthmy schwieg einige Sekunden. »Alles in Ordnung«, meldete er dann. »In

ein paar Minuten kann ich anfangen.« Sie befanden sich in einem Hohlraum in­

nerhalb des Lawinenfeldes. Von allen Seiten her waren sie von Eisbrocken eingeschlos­sen. Ab und zu lösten sich noch kleine Stücke aus der Decke der Kaverne, aber Isthmy hatte den Varganen in seinem Schutzschirm mit eingeschlossen, so daß Magantilliken vor unliebsamen Überra­schungen sicher war.

»Es war ausgesprochen dumm von dir, dich mitten in der Lawine zu verkriechen, statt die Flucht nach oben anzutreten«, be­merkte der Henker. »Wir hätten uns viel Ar­beit erspart.«

»Allerdings. Vor allen Dingen könntest du dir keine Sorgen mehr machen und auch nicht mehr an mir herumkritisieren. Die La­wine und der anschließende Schneesturm wären nämlich für ein organisches Wesen wie dich tödlich gewesen. Ja, wenn du den Schutzanzug nicht zurückgelassen hättest …«

»Dann wäre ich keine zehn Schritt weit in das Lager der Ckorvonen gekommen!«

»Man hat dich auch so entlarvt«, stellte Isthmy trocken fest.

»Weil selbst die Ckorvonen sich nicht vorstellen können, daß es eine so idiotische Maschine wie dich auf ihrem Planeten geben soll«, gab Magantilliken giftig zurück.

»Ich nehme an, mit der idiotischen Ma­schine meinst du mich. Nun, immerhin habe ich dir das Leben gerettet.«

»Was lediglich eine Erfüllung deiner ein­fachsten Pflichten war.«

»Das stimmt«, gab Isthmy zu. »Aber ohne deinen Leichtsinn wärst du in eine solche Gefahr gar nicht gekommen. Du hast mir nicht einmal erlaubt, auf die Ckorvonen zu schießen, als sie dich angriffen.«

»Ein Energieschuß hätte sofort eine Lawi­

39 Ein Robot versagt

ne ausgelöst!« »Ich habe nicht geschossen, und trotzdem

sind wir verschüttet. Außerdem hätte ich die Fremden ja auch paralysieren können.«

»Du vergißt, daß Xonth und ich dabei ebenfalls handlungsunfähig geworden wä­ren«, zischte Magantilliken wütend. »Wir saßen mitten im Zentrum …«

»Mit Schutzanzug wäre das kein Problem gewesen«, unterbrach Isthmy seinen Herrn. »Wenn du ihn nicht zurückgelassen hättest, dann …«

»Schluß!« brüllte Magantilliken wild. Die Schallschwingungen reichten aus, um wie­der einen Schauer kleiner Eisbrocken aus der Decke zu lösen. »Halt endlich den Mund, du verdammter Blechkasten. Mach dich an die Arbeit, oder ich zerbeule deine Außenhülle!«

»Womit denn?« kicherte der Roboter schrill. »Mit deinen Fäusten? Du würdest dir höchstens die Handgelenke verstauchen.«

Der Henker zwang sich, keine Antwort mehr zu geben. Es war völlig unsinnig, sich auf Diskussionen mit Isthmy einzulassen. Doppelt unsinnig, sich über dessen Behaup­tungen zu ärgern. Magantilliken atmete auf, als Isthmy endlich begann, einen Ausgang aus dieser kleinen Eishöhle zu schaffen. Selbst wenn man nicht unter Platzangst litt, konnte man sich an einem solchen Ort un­möglich wohl fühlen.

Er tastete nach dem Armbandgerät, das bis auf einige nützliche Kleinigkeiten in sei­nen Taschen zur Zeit seine gesamte Ausrü­stung darstellte. Es war paradox, daß diese hochwertigen Erzeugnisse der varganischen Technik auf diesem primitiven Planeten fast völlig ihre Bedeutung einbüßten. Er ver­mochte es, ein Schirmfeld um sich zu errich­ten, das ihn vor energetischen Waffen aller Art schützte – aber die Ckorvonen verwen­deten altertümliche Gewehre, gegen deren Projektile Magantilliken machtlos war. Er konnte sich auch in ein Antischwerkraftfeld hüllen, aber aus irgendeinem Grund funktio­nierte der Deflektor nicht mehr. Magantilli­ken mochte an den Schalter herumhantieren,

soviel er wollte, er war und blieb sichtbar. Ein fliegender Mann aber war etwas, was diese schießwütigen Ckorvonen zweifellos sofort als lohnendes Ziel identifizierten. Das winzige Gerät beeinflußte außerdem jedes feindliche Robotgehirn, schützte seinen Trä­ger vor der Erfassung durch energetische Si­cherheitssysteme und öffnete selbst die kompliziertesten positronischen Schlösser – aber das alles waren Dinge, die man auf Xertomph erst noch erfinden mußte. Kurz: Der Henker, sonst seinen Gegnern stets weit überlegen, war darauf angewiesen, sich auf seine eigenen Fähigkeiten zu verlassen. Was er auch tat. Trotzdem kam er allmählich zu der Erkenntnis, daß er die Ckorvonen unter­schätzt hatte.

Nun, dachte er, das macht nicht viel aus. Bald sind wir oben, und dann ist die Aktion so gut wie erledigt. Die Eingeborenen wer­den sich hüten, es noch einmal mit diesem verdammten Berg aufzunehmen.

»Kopf weg!« schrie der Roboter. Magantilliken warf sich hastig zur Seite,

aber er konnte es nicht verhindern, daß eine riesige Ladung Schnee ihn fast unter sich begrub. Wütend wühlte er sich aus dem kal­ten Zeug. Isthmy kam langsam herabge­schwebt. Seine Sehwellen glitzerten, und Magantilliken hegte den üblen Verdacht, daß diese Maschine ihn zum Narren halten wollte.

»Der Schacht ist fertig«, verkündete die Kugel ungerührt.

»Wie sieht es oben aus?« »Die Gegend hat sich ziemlich verändert.

Außerdem sind wir weiter abgetrieben wor­den, als ich dachte.«

»Du denkst?« fragte der Topoyther höh­nisch. Isthmy überging die Bemerkung groß­zügig.

»Wir befinden uns fast am Ende des La­winenfeldes«, fuhr er seelenruhig fort. »Draußen liegt der Schnee meterhoch.«

»Das habe ich gemerkt. Warum hast du deinen Strahler nicht eingesetzt?«

»Mein Waffensystem wurde bei einem Anprall beschädigt und ist zur Zeit nicht ein­

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satzfähig«, erwiderte Isthmy. Magantilliken zuckte zusammen. Bis zu

diesem Augenblick hatte er es für selbstver­ständlich gehalten, daß Isthmy völlig unver­sehrt geblieben war.

»Du hattest genug Zeit, um dich zu rege­nerieren«, stellte er mißtrauisch fest.

»Die Schäden sind zu schwerwiegend. Ich kann sie mit meinen Mitteln nicht beseiti­gen.«

Jetzt war der Vargane alarmiert. Isthmy legte grundsätzlich ein Verhalten an den Tag, das für einen Roboter zumindest unge­wöhnlich war. Das hätte ihn aber nicht daran hindern dürfen, seinen Herrn eingehend zu informieren. Magantilliken setzte zu der Fra­ge an, welche Teile der Kugel sonst noch außer Betrieb waren, hielt dann aber den Mund. Er wußte zu genau, daß er sich auf' Isthmy von nun an nicht mehr voll verlassen durfte. Das war fatal.

»Gehen wir«, murmelte der Tropoyther nachdenklich.

Isthmy schwebte voran. Sie verließen den Schacht. Magantilliken war jetzt vorsichti­ger denn je. Er rechnete mit allerlei Überra­schungen, und er hatte sich nicht getäuscht. Über den Rand des Loches hinweg erkannte er in geringer Entfernung mehrere runde Schneehügel, die verdächtig gleichmäßig angeordnet waren. Isthmy schwebte re­gungslos ein Stück über ihm.

»Ortung?« fragte Magantilliken unruhig. Der Roboter schwieg. Der Tropoyther überlegte fieberhaft, aber

er fand keinen Ausweg. Er mußte zu der Ge­fühlsbasis vordringen, und die seltsamen Schneehaufen versperrten ihm den Weg. Langsam schob er sich weiter aus dem Loch heraus. Er hatte den Schacht fast verlassen, als Isthmy ihn durch eine ungeschickte Be­wegung ins Trudeln brachte. Das rettete dem Henker das Leben.

Plötzlich waren die Schneehaufen ver­schwunden. An ihrer Stelle standen Ckorvo­nen in weißen Pelzen, die klobige Waffen in den Händen hielten. Es ratterte und knallte. Rings um den Henker spritzte der Schnee

Marianne Sydow

hoch. Magantilliken regulierte hastig die Einstellung des Antigravgerätes in seinem Armband. Irgendwie gelang es ihm, unver­sehrt in den Schacht zurückzuweichen. Er blickte nach oben und sah Isthmy, der noch immer die Stellung hielt, obwohl Dutzende von Projektilen gegen seine Außenhülle prallten. Die Geschosse konnten das hoch­wertige Material nicht durchdringen, aber auch der Roboter vermochte es kaum, den Ckorvonen etwas anzuhaben. Er hätte sie höchstens mit seinen Handlungsarmen un­schädlich machen können, aber es gab zu viele Angreifer.

»Isthmy!« schrie der Vargane hinauf. Er hoffte, daß der Roboter trotz des Lärms sei­ne Stimme identifizierte und verstand. »Setz dich mit der Erinnye in Verbindung und er­kläre ihr die Situation. Anschließend kehrst du zum Schiff zurück und strahlst eine Mel­dung nach Yarden, ab. Sie sollen über Transmitter jemanden in die Gefühlsbasis schicken. Anschließend läßt du dich an Bord reparieren. Erst dann nimmst du wieder Ver­bindung mit mir auf. Schwirr ab!«

Der Roboter gab keine Antwort. Magan­tilliken sah ihn in unsicherem Flug davon­taumeln, immer wieder von den Geschossen der Eingeborenen aus der Bahn geworfen, und ein unangenehmes Gefühl in der Ma­gengegend befiel ihn. Nun stand er ganz al­lein gegen eine Meute von wütenden Ckor­vonen.

Kaum war Isthmy verschwunden, da wur­de der Beschuß eingestellt. Vorsichtig späh­te der Vargane über den Rand des Schach­tes. Die Ckorvonen hatten das Loch um­stellt.

»Kommen Sie heraus!« befahl eine bis zur Unkenntlichkeit vermummte Gestalt. »Aber mit erhobenen Händen, wenn ich bit­ten darf.«

Magantilliken befolgte den Befehl. Noch immer hatte er die geringe Hoffnung, sich aus eigener Kraft befreien zu können. So­bald die Eingeborenen meinten, ihren Ge­fangenen nun sicher zu haben, wollte er sei­ne Kenntnisse in der Kunst des Nahkampfs

41 Ein Robot versagt

anbringen. Aber auch diese Hoffnung erwies sich als trügerisch, denn ehe er noch in die Reichweite der Ckorvonen kam, sauste ein langes Seil durch die Luft. Ein zweites folg­te, und Sekunden später war der Henker der Varganen so fest verschnürt, daß er keinen Finger mehr zu rühren vermochte. Man ver­staute ihn auf einem leichten, schlittenähnli­chen Gefährt und transportierte ihn ab.

Am Ende des Lawinenfelds wartete ein klobiges Fahrzeug mit einem kastenförmi­gen, metallenen Aufbau. Aber Magantilliken wurde wider Erwarten nicht sofort einge­sperrt, sondern erst zu einem Mann ge­bracht, der offensichtlich Gaddos' Stelle ein­genommen hatte. Der Kerl hatte wohl die Absicht, ein kleines Psychospiel zu veran­stalten. Er stand regungslos da, starrte den Varganen an und sagte lange Zeit kein Wort. Magantilliken gab die Blicke des Eingebore­nen kalt und scheinbar gleichgültig zurück.

»Ihr Spiel ist aus«, sagte der andere end­lich. »Sie werden keine Gelegenheit mehr erhalten, weiteres Unheil anzurichten. Ich möchte nicht in Ihrer Haut stecken. Die Ver­brechen, derer man Sie beschuldigt, werden Ihnen einen äußerst unangenehmen Tod ein­bringen. Sie haben Sabotage an einem staat­lichen Projekt verübt, den Tod von einigen tausend Bürgern des Landes Frinalhan ver­schuldet und Gaddos ermordet. Der Materi­alschaden läßt sich noch nicht abschätzen.«

Der Vargane schwieg. Er hielt es für unter seiner Würde, auf diese unsinnige Anklage zu antworten. Die Ckorvonen waren an ih­rem Mißgeschick selbst schuld. Die Dro­hung, man würde ihn töten, ließ den Henker vorerst ungerührt. Noch hatte er wenigstens das Armbandgerät, und es war bisher noch niemandem gelungen, ihn für längere Zeit in einem Gefängnis festzuhalten. Die Ckorvo­nen würden ihn nicht einen Kopf kürzer ma­chen, ehe sie ihm nicht einige seiner Ge­heimnisse entlockt hatten. Es blieb ihm also eine Galgenfrist. Bis dahin war gewiß auch Isthmy wieder zur Stelle. Die Anlagen an Bord des Doppelpyramidenschiffs konnten die entstandenen Schäden innerhalb kürze­

ster Zeit beheben. »Es wird übrigens gleich einen ziemli­

chen Knall geben«, fuhr der Ckorvone gleichmütig fort. »Teihendru hat sich er­laubt, ihr herrliches Schiff suchen zu lassen. Das Versteck war nicht besonders originell. Natürlich gehen wir nicht das Risiko ein, uns diesem Flugkörper persönlich zu nähern. Eine ferngesteuerte Rakete mit einer Atom­bombe an Bord wird uns die Arbeit abneh­men.«

Magantilliken preßte die Lippen aufeinan­der und bemühte sich verzweifelt, in diesem Augenblick die, Beherrschung nicht zu ver­lieren. Das war tatsächlich ein harter Schlag für ihn.

Der Eingeborene zückte umständlich einen Zeitmesser. Langsam hob er die Hand. Es wurde totenstill. Selbst Magantilliken hielt unwillkürlich den Atem an, als die Hand des Ckorvonen plötzlich nach unten fuhr. Zuerst geschah nichts. Dann zuckte ein greller Blitz über den Himmel. Jenseits der Berge quoll eine dunkle Wolke auf, die schnell eine nur allzu vertraute Form an­nahm. Erst viel später folgte der Donner der Explosion. Magantilliken zwang sein Ner­vensystem gewaltsam zur Ruhe.

»Sie sehen hoffentlich ein, daß wir nicht mit uns spielen lassen«, bemerkte der Ckor­vone mit einem strahlenden Lächeln. »Vielleicht sind wir in Ihren Augen tatsäch­lich nichts als dumme Halbwilde, aber das ändert nichts an der Tatsache, daß Sie sich nunmehr in unserer Gewalt befinden. Sie werden uns noch sehr viel zu erzählen ha­ben.«

Er nickte einem anderen Eingeborenen zu. Magantilliken sah ein blitzendes Instrument in dessen Hand. Er konnte der dünnen Nadel nicht ausweichen. Wie ein Feuerstrom durchraste ein Medikament seine Adern, dann schienen sich die Ckorvonen in rasen­dem Tempo von ihm zu entfernen, bis sie nur noch die Größe winziger Insekten besa­ßen. Ein dumpfes Dröhnen riß den Varganen in einen Strudel aus Licht und Farben, bis er in die absolute Finsternis der Bewußtlosig­

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keit geschleudert wurde.

*

»Wachen Sie auf!« Er lag auf einer harten Pritsche. Ihm war

kalt. Auf der nackten Haut spürte er das un­angenehme Kratzen einer rauhen Decke. Die Wände, die ihn umgaben, waren aus massi­vem Stein gehauen. Hinter einem metallenen Gitter mit feinen Maschen hingen eine Lam­pe, ein Lautsprecher und ein Mikrophon. Es gab keine Möbel, nicht einmal einen Tisch. Am Fußende seines Lagers entdeckte Ma­gantilliken ein paar graue Kleidungsstücke. Auf dem Steinboden standen Schuhe, die hart und unbequem aussahen.

Im ersten Moment wußte er nicht, wie er hierhergekommen war und welche Bedeu­tung der Raum hatte. Als ihm endlich die Wahrheit dämmerte, richtete er sich er­schrocken auf.

Seine Kleidung war verschwunden, das Armbandgerät hatte man ihm abgenommen. Damit waren seine letzten Hilfsmittel verlo­ren. Er fluchte unterdrückt, aber ein gehässi­ges Lachen aus dem Lautsprecher brachte ihn rasch zum Schweigen.

»Das hätten Sie sich nicht träumen lassen, wie?« klang eine kalte Stimme auf. »Sie sit­zen fest, Magantilliken. Ich weiß, daß Sie ein großartiger Kämpfer sind, aber gegen diese Wände läßt sich mit Muskelkraft nichts ausrichten. Die Dinge, die wir in Ih­ren Taschen fanden, werden im Augenblick sehr intensiv untersucht. Ich weiß, daß Sie aus dem Weltraum zu uns kamen. Sie verfü­gen über Kenntnisse, die ich haben will.«

»Warum?« »Das ist eine dumme Frage. Um der Herr­

scher über diesen Planeten zu werden, was sonst?«

»Dann sind Sie also dieser machtgierige Diktator Teihendru, über den ich so viele Ih­rer Leute habe schimpfen hören.«

»Sie sollten nicht versuchen, mich zu rei­zen, Magantilliken«, sagte Teihendru leise. »Vergessen Sie nicht, daß ich Ihr Leben von

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nun an gestalten kann, wie es mir Spaß macht. Man sagt von mir, ich hätte einen Hang zur Grausamkeit. Solche Gerüchte sind mir nur willkommen. Mein Volk zittert vor mir, und gerade deshalb leistet es auch sehr viel. Aber wechseln wir das Thema. In­teressiert es Sie nicht, warum wir Sie so schnell durchschaut haben?«

»Ich kann es mitdenken«, murmelte der Vargane unwillig.

»Meine Tochter gab mir die ersten Hin­weise. Ich hätte ihr vermutlich kein Wort von ihrer phantastischen Geschichte ge­glaubt, aber kurz darauf meldete sich ein Fallensteller, der Sie beim Diebstahl über­rascht hatte. Nun, ich schickte ein paar Flug­zeuge los, die mir hervorragende Aufnah­men von der Ebene der Tempel mitbrachten. Es war alles ganz einfach.«

»Es war ein Fehler, das Raumschiff zu zerstören«, bemerkte Magantilliken.

»O nein«, wehrte Teihendru ab. »Dieses Fahrzeug war mir entschieden zu gefährlich. Solange es sich auf unserem Planeten be­fand, hatten Sie immer einen Rückhalt. Er­stens hätten Sie Xertomph jederzeit verlas­sen können, und zweitens war das Schiff ein deutlicher Wegweiser für alle, die etwa nach Ihnen suchen sollten.«

Magantilliken lachte leise vor sich hin. Der ganze Irrsinn der Situation kam ihm zu Bewußtsein. Dieser kleine Diktator bildete sich tatsächlich ein, einen hervorragenden Fang gemacht zu haben. Er wußte nichts von der tejonthischen Flotte, die in wenigen Ta­gen in das System eindringen würde. Wenn die Gefühlsbasis bis dahin nicht repariert war, würde Teihendru vermutlich mehr Raumschiffe zu sehen bekommen, als ihm lieb war. Und nicht nur Schiffe, sondern auch Waffen. Abgesehen davon, daß es gleichgültig war, ob die verwirrten Tejon­ther sich auf Xertomph austobten oder nicht. Ohne den Kreuzzug nach Yarden war auch Teihendrus Herrschaft beendet.

»Was wollen Sie von mir?« fragte der Henker abweisend.

»Das sagte ich bereits. Technische Infor­

43 Ein Robot versagt

mationen. Besonders interessieren mich Waffen aller Art.«

»Sie werden Ihnen nichts mehr nützen, wenn Sie mich nicht sofort freilassen.«

»So?« Magantilliken hörte den spöttischen Un­

terton heraus. Es war sinnlos. Teihendru hat­te sich in seiner Idee festgerannt und würde ihm nicht einmal zuhören. Außerdem wußte er viel zu wenig über die kosmischen Zu­sammenhänge, als daß er die Folgen seines Vorgehens verstehen konnte. Dennoch muß­te der Vargane es versuchen. Die Existenz einer ganzen Welt hing davon ab.

»Ich muß in die Station eindringen!« er­klärte Magantilliken eindringlich. »Die Ku­gel unter dem Schnee ist ungeheuer wichtig. Sie muß innerhalb der nächsten vier Tage ihre Arbeit aufnehmen. Teihendru, ich war­ne Sie! Es geht nicht um Sie oder um mich, sondern um das Leben unzähliger Wesen. Ich werde dafür sorgen, daß mein Volk sich um Sie kümmert. Sie sollen Waffen haben, soviel Sie wollen. Aber lassen Sie mich mei­ne Arbeit tun. Xertomph und viele andere Planeten werden sonst aufhören zu existie­ren!«

»Ach nein«, sagte Teihendru freundlich. »Was Sie nicht sagen! Mir scheint, ich habe versehentlich einen der legendären Götter eingesperrt. Mich wundert nur eines: Wenn Ihre Macht tatsächlich so ungeheuer groß ist, warum haben Sie sich dann so leicht übertölpeln lassen?«

Magantilliken schwieg. Jedes weitere Wort wäre Zeitverschwendung gewesen.

»Nun«, begann Teihendru beschwingt. »Ich schlage vor, wir überlassen das Aus­spinnen von Märchen den alten Weibern und wenden uns wieder dem Kern dieses Ge­sprächs zu. Sind Sie bereit, für mich zu ar­beiten?«

Der Vargane antwortete auch jetzt nicht. »Sehr entgegenkommend sind Sie nicht«,

stellte Teihendru unbeeindruckt fest. »Aber das macht nichts. Noch haben Sie Zeit, es sich zu überlegen. Wenn Sie vernünftig sind, können Sie sich Ihre Zukunft sogar recht an­

genehm gestalten. Wenn nicht – aber das dürfen Sie sich selbst ansehen, denn sonst glauben Sie mir am Ende nicht. Ich will Ih­nen nur soviel verraten: Wir verfügen über ein Mittel, das jeden zum Sprechen bringt. Das Traurige daran ist nur, daß jemand, der dem Einfluß der Niava-Kristalle einmal aus­gesetzt wurde, für den Rest seines Lebens eine Hülle ohne Geist ist. Ein lallender Idiot, der nicht einmal fähig ist, die einfachsten Dinge zu tun. Das wäre doch ein sehr un­würdiges Ende für einen Mann von den Sternen, in dessen Händen das Schicksal so vieler Planeten ruht, nicht wahr?«

Teihendru kicherte höhnisch, dann riß das Geräusch abrupt ab.

Magantilliken stützte den Kopf in die Hände und starrte blicklos zu Boden. Ver­zweifelt suchte er nach einem Ausweg. Die Lage war hoffnungslos. Zwar bestand die Möglichkeit, daß die Gefühlsbasis doch noch rechtzeitig in Betrieb gesetzt wurde, aber an seinem persönlichen Schicksal än­derte sich dadurch wenig. Selbst wenn man ihn aus den Klauen dieses machtgierigen Diktators befreite, würde er durch eine sol­che Rettung nur vom Regen in die Traufe geraten. Er hatte seine Chance, in die Eisige Sphäre zurückkehren zu dürfen, verspielt. Alle seine Bemühungen waren erfolglos ge­blieben.

»Teihendru!« Im Lautsprecher knackte es. »Sie wünschen mich zu sprechen, edler

Herr?« fragte der Diktator höhnisch. »Ich nehme Ihr Angebot an. Lassen Sie

mich heraus, damit ich mit der Arbeit begin­nen kann.«

Das Gelächter des Ckorvonen sprengte fast den Lautsprecher aus seiner Fassung.

»Köstlich!« keuchte Teihendru, als er wieder zu Atem gekommen war. »Ich lasse Sie heraus, Sie beginnen mit der Arbeit, und deren erster Teil besteht darin, daß Sie sich einen schnellen Fluchtweg suchen. Halten Sie mich wirklich für so dumm? Ich lasse Ihnen Schreib- und Zeichenmaterial in die Zelle bringen, und wenn Sie brav sind, er­

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laube ich Ihnen in ein paar Wochen den er­sten Spaziergang.«

Die Erinnye wanderte ruhelos durch die stillen Räume der Station. Der Kontakt zu Magantilliken war abgerissen. Isthmy hielt sich oben versteckt. Er berichtete vom Ab­zug der Eingeborenen, die nun, da sich der Vargane in ihrer Gewalt befand, anschei­nend das Interesse an der geheimnisvollen Kugel unter dem Schnee verloren hatten. Der Schacht war fast fertiggestellt, aber es gab niemanden, der ihn benutzen konnte. Höchstens die Erinnye selbst würde sich durch ihn an die Oberfläche begeben, um je­nen verzweifelten Impuls nach Yarden abzu­strahlen, der die Tropoythers über die Situa­tion auf Xertomph aufklärte und gleichzeitig den komplizierten Robotkörper in eine Glut­wolke verwandelte.

Es blieben noch drei Tage bis zum Ein­treffen der Tejonther, und die Zeit verging schnell.

Ein leiser Gongschlag rief die Erinnye in die Zentrale. Ein Bildschirm hatte sich akti­viert und zeigte das Innere der Transmitter­kammer. Die beiden Fremden waren endlich eingetroffen. Blitzschnell entwickelte der ätherisch wirkende Roboter einen Plan, durch den alle Schwierigkeiten gelöst wer­den konnten.

7.

Ein Sog, der sie unwiderstehlich davon­wirbelte, Dunkelheit, dann ein glühender Wirbel, in dessen Mittelpunkt sie geschleu­dert wurden, unerträgliche Schmerzen und schließlich die erlösende Stille einer tiefen Ohnmacht – das waren ihre letzten Ein­drücke. Als sie wieder zu sich kamen, befan­den sie sich in einem lichtdurchfluteten Raum. Die fremdartigen Kontrollelemente an den Wänden schienen sie mit ihren bun­ten Lichtern höhnisch anzublinzeln.

»Wo sind wir?« fragte Crysalgira benom­men.

»In einer varganischen Station«, vermute­te Atlan. Er wollte sich den Schweiß von der

Marianne Sydow

Stirn wischen, stieß jedoch mit dem Handrücken gegen den Helm des tejonthi­schen Raumanzugs, den er immer noch trug. Ein rascher Blick auf die Kontrollsysteme vermittelte ihm zweierlei Erkenntnisse. Er­stens war der Raum um sie herum mit einer atembaren Atmosphäre gefüllt. Zweitens war fast gar keine Zeit vergangen, seitdem sie die Gefühlsbasis im Mithuradonk-Sy­stem betreten und dort Bekanntschaft mit ei­ner neuen teuflischen Falle der Varganen ge­macht hatten.

»Die tejonthische Flotte …«, begann Cry­salgira, die sich überdeutlich an die kritische Situation auf dem luftleeren Trabanten erin­nerte.

»Die Tejonther sind wir erst einmal los«, unterbrach Atlan das Mädchen und klappte den Helm zurück. In tiefen Zügen sog er die frische Luft ein. »Das Mithuradonk-System dürfte ebenfalls weit entfernt sein. Man hat uns durch einen Transmitter geschickt.«

Die arkonidische Prinzessin wußte, daß man im Großen Imperium fieberhaft an der Entwicklung eines solchen Geräts arbeitete. Bisher waren alle Bemühungen erfolglos ge­blieben.

»Diese Varganen werden mir immer un­heimlicher«, gestand sie leise. »Sie müssen uns technisch unvorstellbar weit überlegen sein!«

»Das sind sie auch«, versicherte Atlan grimmig. »Das Traurige daran ist nur, daß sie ihre hervorragenden Kenntnisse nicht für vernünftige Ziele einsetzen. Aber lassen wir das. Suchen wir lieber nach einem Aus­gang.«

Es wurde ihnen sehr schnell klar, daß sie ohne fremde Hilfe diesen Raum nicht verlas­sen konnten. Atlan kannte sich mit der var­ganischen Technik inzwischen ganz gut aus, und die Betätigung eines Türkontakts bedeu­tete kein Problem für ihn. Das Schott jedoch reagierte auf seine Bemühungen überhaupt nicht.

»Vielleicht ist die Station längst verlas­sen«, überlegte Crysalgira ängstlich. »Wer weiß, in welcher Ecke dieses Universums

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wir gelandet sind. Wie groß ist eigentlich die Reichweite solcher Transmitter?«

»Ich weiß es nicht.« Atlan dachte unwillkürlich an den Plane­

ten der Vulkanbäume, die Robotstation und das dort aufgestellte Gerät, das ihn mitten in den Palast des Kyriliane-Sehers befördert hatte. Er glaubte, das Gesicht dieses vargani­schen Mutanten vor sich zu sehen, die riesi­gen Kristalle, die dem vom Wahnsinn zer­fressenen Unsterblichen die verlorengegan­genen Augen ersetzten, und er schüttelte sich.

»Die einzige Bekanntschaft mit einem Transmitter«, fuhr er hastig fort, »bei der ich hätte Vergleiche anstellen können, liegt er­stens sehr lange zurück und läßt sich zwei­tens mit der bestehenden Situation nicht ver­gleichen, denn es waren keine technischen Geräte daran beteiligt. Fartuloon besaß ein­mal einen großen, sehr ungewöhnlichen Kri­stall. Er nannte ihn Omirgos. Mit Hilfe die­ses Kristalls ließen sich ähnliche Effekte er­reichen, wie wir sie eben erlebt haben.«

Atlan kam nicht dazu, Einzelheiten über dieses Erlebnis preiszugeben, denn völlig unerwartet öffnete sich das Schott.

»Ihre Geschichte ist sehr interessant«, be­merkte das von durchsichtigen Schleiern umwehte, mädchenhaft zarte Geschöpf, das halb schwebend, halb tänzelnd in der Tür­öffnung erschien. »Ich würde sie mir gerne in Ruhe anhören, aber leider drängt die Zeit.«

Crysalgira krallte die Finger der rechten Hand in Atlans Arm, und auch der Arkonide wich unwillkürlich einen Schritt zurück. Die Erinnye blieb einige Schritte vor ihnen ste­hen und vollführte scheinbar sinnlose Bewe­gungen mit den Armen. Atlan vermochte die Augen nicht von ihr zu wenden. Die dünnen Schleier schimmerten und änderten bei jeder Bewegung ihre Strukturen. Er glaubte, eine ferne Musik zu hören. Die Bewegungen des erstaunlichen Roboters bekamen einen Sinn. Sie wurden zu einem eigenartigen Tanz, der Atlan völlig in seinen Bann schlug.

Komm zu dir, du Narr! befahl sein Extra­

hirn mit schmerzhafter Intensität. Der Arkonide blinzelte verwirrt. Schlag­

artig war die Musik verschwunden. Die Er­innye wedelte immer noch mit den Armen, aber der Tanz hatte seine Wirkung verloren.

»Genug!«. Die Stimme des Arkoniden durchdrang

wie ein Schrei die absolute Stille. Die Erin­nye erstarrte mitten in der Bewegung. Crys­algira stand wie gebannt an ihrem Platz, und der leere Blick in ihren Augen bewies, daß sie dem Einfluß des Roboters erlegen war. Atlan packte das Mädchen bei den Schultern und zog es zur Seite. Die Arkonidin zuckte zusammen und stöhnte unterdrückt auf.

»Dieses Biest …«, stieß sie hervor, aber in derselben Sekunde hatte auch die Erinnye sich wieder gefangen.

»Es ist sehr bedauerlich«, stellte sie fest. »Sie hätten sich nicht dagegen auflehnen sollen, denn dann wäre alles leichter gewe­sen.«

Ein von hauchzartem Gespinst umwehter Arm hob sich gebieterisch. Etwas Kaltes streifte das Gesicht des Arkoniden. Crysalgi­ra stieß einen leisen Seufzer aus und sank in sich zusammen. Atlan versuchte, den schlaf­fen Körper aufzufangen, aber plötzlich hielt ihn etwas fest und gestattete ihm nicht die geringste Bewegung. Eisige Kälte füllte ihn aus. Er hatte das Gefühl, in einem Eisblock zu stehen. Seltsamerweise wurde er nicht bewußtlos. Hilflos mußte er zusehen, als die Erinnye sich bückte und Crysalgira mit einer Hand flüchtig an der Stirn berührte. Ein kindliches Lachen ertönte, bei dem der Ar­konide deutlich spürte, wie sich die kleinen Haare in seinem Nacken kribbelnd aufrich­teten.

»Sieh an«, sagte der Roboter mit seiner glockenhellen Stimme. »Dieses Mädchen ist davon überzeugt, daß Sie ein großartiger Kämpfer sind und ein sehr ritterlicher junger Mann dazu. Das ist interessant. Unter diesen Umständen werden Sie sicher bereit sein, al­les zu tun, um dieser bezaubernden Frau ein unerfreuliches Ende zu ersparen.«

Atlan starrte den Roboter haßerfüllt an.

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Die Erinnye lachte amüsiert und wandte sich ab. Crysalgira schwebte neben dem künstli­chen Wesen her. Die beiden verschwanden durch das offenbleibende Schott im Innern der Station. Wütend bemühte sich der Arko­nide, dem unsichtbaren Gefängnis zu ent­kommen. Es gelang ihm nicht.

Du verschwendest deine Kräfte! warnte das Extrahirn. Spare sie dir lieber für später auf. Du bekommst noch genug zu tun. Etwas stimmt nicht in dieser Station!

Das habe ich auch schon gemerkt, dachte Atlan ärgerlich. Aber was hat die Erinnye mit uns vor?

Sie wird es dir mit Sicherheit in kürzester Zeit mitteilen. Eines steht bereits fest: In Yarden bist du nicht gelandet. Es scheint fast so, als gäbe es im Augenblick keine Möglichkeit, dich und Crysalgira dorthin zu bringen.

Die Rückkehr der Erinnye unterbrach die lautlose Unterhaltung. Atlan wurde von un­sichtbaren Kräften durch das Schott gezogen und in einen großen Raum transportiert. Er sah mehrere Bildschirme, von denen jedoch nur einer in Betrieb war. Auf der milchigen Fläche zeichneten sich schroffe, teilweise von Schnee bedeckte Berge ab. In der Mitte der kuppelförmigen Halle erhob sich ein mit seltsamen, metallisch glitzernden Auswüch­sen bedeckter Buckel. Daneben lag Crysal­gira regungslos auf dem harten Boden.

»Sie ist bei Bewußtsein«, bemerkte die Erinnye beiläufig. »Sie wird also unsere Un­terhaltung genau verfolgen können.«

»Was willst du?« Atlan war überrascht über die Tatsache,

daß seine scheinbar völlig steifgefrorenen Lippen verständliche Laute zu formen ver­mochten.

»Du wirst Magantilliken befreien und hierher bringen«, erklärte die Erinnye gelas­sen. »Du hast genau drei Tage Zeit. Nach Ablauf der Frist stirbt Crysalgira.«

Der Arkonide war dem Roboter beinahe dankbar dafür, daß eine kurze Pause ent­stand. Das gab ihm Gelegenheit, die Infor­mation zu verdauen, daß ausgerechnet der

Marianne Sydow

Henker der Varganen wieder einmal seinen Weg kreuzen sollte.

»Ich gebe dir jetzt alle Informationen, die du brauchst, um deinen Auftrag zu erfüllen«, fuhr die Erinnye fort. Atlan stellte grimmig fest, daß der Roboter jetzt jede Höflichkeit vermissen ließ. »Ich gebe dir den Rat, auf­merksam zuzuhören.«

*

Dir bleibt gar keine Wahl! kommentierte das Extrahirn, als der Roboter seinen Vor­trag beendet hatte. Es geht nicht nur um Crysalgira, und es ist auch nicht der richtige Augenblick, um etwa vorhandene Rachege­lüste dem Henker gegenüber abzureagieren. Ohne Magantillikens Hilfe kannst du diesen Planeten nicht verlassen.

Die Erinnye verlor keine Zeit. Sie fragte den Arkoniden nicht einmal, ob er bereit wä­re, den Auftrag zu übernehmen. Für den Ro­boter war es selbstverständlich, daß Atlan gehorchte.

Es dauerte nur wenige Minuten, bis die Erinnye ihren Gefangenen samt dem noch immer bestehenden Fesselfeld in einen an­deren Raum brachte. Diesmal handelte es sich eindeutig um eine Schleuse. Das Au­ßenschott war geöffnet. Atlan sah die glit­zernde Wand eines nach oben führenden Schachtes, dann fielen die eisigen Fesseln von ihm ab. Der Wechsel kam so plötzlich, daß der Arkonide fast das Gleichgewicht verlor. Mühsam hielt er sich auf den Beinen.

»Das ist alles, was ich dir mitgeben kann«, sagte die Erinnye ungerührt und wies auf einige kleine Gegenstände, die neben dem Ausgang auf dem Boden lagen. »Ein Paralysator und ein leider nicht besonders leistungsfähiger Hitzestrahler. Das Wichtig­ste ist dieser kleine Kasten. Du kannst damit ein Anti-Schwerkraftfeld erzeugen und dich gegebenenfalls unsichtbar machen.«

Sie erklärte ihm die entsprechenden Schaltungen. Atlan konzentrierte sich auf diese Erklärungen, aber seine Gedanken irr­ten immer wieder ab. Die Versuchung, eine

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der Waffen an diesem Roboter auszuprobie­ren, war groß. Nur die Überzeugung, daß die Erinnye gegen derartige Angriffe ausrei­chend geschützt war und sich außerdem an Crysalgira rächen würde, hielt ihn zurück.

»Wie sieht es mit Kleidung aus?« fragte er. »In diesem Raumanzug wird man mich sofort als einen Fremden erkennen und mich ebenfallseinsperren.«

»Das ist dein Problem«, erwiderte die Er­innye. »Du solltest dich jetzt auf den Weg machen. Crysalgira hat nicht mehr viel Zeit!«

Reiß dich zusammen! Die Ermahnung des Extrahirns kam gera­

de noch rechtzeitig. Wortlos wandte Atlan sich ab. Er benutzte das varganische Gerät, um durch den senkrecht nach oben führen­den Schacht schwerelos zur Oberfläche auf­zusteigen. Am Schachtausgang wartete eine metallische Kugel von etwa einem Meter Durchmesser auf ihn. Die Erinnye hatte ih­ren Gefangenen über Isthmy informiert, und so war Atlan nicht überrascht, als der Robo­ter ihn sofort ansprach.

»Wir sollten uns beeilen«, meinte das Ku­gelwesen mit knarriger Stimme. »Magantilliken steckt in großen Schwierig­keiten.«

Atlan seufzte. »Du solltest deine Stimmbänder ölen«,

empfahl er bissig. »Ich brauchte Kleidung.« »Weiter vorne wirst du alles finden, was

du dir wünschst«, versprach Isthmy und flog voran.

Sie überquerten mehrere Wälle aus Stei­nen und Eisbrocken. Es war bitter kalt, und Atlan schloß den Helm des Raumanzugs, weil die Luft wie mit Messern in seine Lun­gen schnitt. Die Spuren der gewaltigen Ka­tastrophe waren nicht zu übersehen. Ab und zu ragten dunkle Gegenstände aus den vom Sturm zusammengetriebenen Schneewehen. Reste von Fahrzeugen, zersplitterte Metall­streben, einzelne Räder und zerfetzte Zelt­planen. Nach einem fast zehn Minuten lan­gen Flug erreichten sie das, was vom Lager der Ckorvonen übriggeblieben war. Die

wanderende Schicht, die das Tal mehrere hundert Meter hoch ausfüllte, hatte die leichten Barackenbauten zum Teil vor sich hergeschoben. Zwischen Leichtmetallwän­den, die von der Wucht des Aufpralls wie Papier zerknittert worden waren, lagen Teile von Instrumenten, Ausrüstungsgegenstände aller Art, Waffen und Papierfetzen herum. Atlan erblickte einige entsetzlich zugerichte­te Leichen.

»Bediene dich!« forderte Isthmy lako­nisch und blieb über einem der Toten in der Luft hängen.

Der Arkonide biß die Zähne zusammen. Er ließ sich nach unten sinken und musterte den Eingeborenen kurz. Trotz der entstellen­den Verletzungen ließ sich deutlich erken­nen, wie sehr diese Wesen den Arkoniden – und den Varganen natürlich auch – ähnelten.

»Du verlierst nur Zeit!« warnte Isthmy. Wortlos ging Atlan weiter und durchsuch­

te einen wahren Berg von Trümmerstücken. Er hatte Glück. Er fand ein paar weiche Fell­stiefel, die ihm sogar paßten, einen unförmi­gen Pelzmantel mit Kapuze, ein festes Mes­ser und einen Streifen Munition. Einige Me­ter weiter lag ein Gewehr mit kurzem Lauf, das sogar noch funktionierte. Seinen klobi­gen Raumanzug ließ er zwischen zwei auf­fälligen Gebäuderesten zurück.

»Schalte deinen Deflektor ein!« befahl er dem Roboter.

»Das geht nicht«, erwiderte Isthmy. »An mir sind etliche Teile nicht in Ordnung.«

Atlan fluchte leise vor sich hin, während sie sich in der Deckung der zerrissenen Berghänge weiter talwärts arbeiteten. Am liebsten hätte er den Roboter zurückgelas­sen, aber das war nicht ratsam, denn Isthmy vermochte den Varganen auch dann noch anzupeilen, wenn man ihm alle Geräte, die Magantilliken normalerweise mit sich her­umschleppte, abgenommen hatte. Ohne Isth­my hätte der Arkonide sich auf eine zeitrau­bende Suche einlassen müssen – Zeit aber war es, was ihm am dringendsten fehlte.

»Sieht noch ganz gut aus«, bemerkte Isth­my plötzlich.

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Atlan sah in die angegebene Richtung und entdeckte einen halbverschütteten Wagen. Es handelte sich um ein kleines Lastfahr­zeug. Da weit und breit kein Ckorvone zu sehen war, untersuchten sie ihren Fund. Sie fanden ein halbes Dutzend Schäden, zwei Leichen im vorderen Teil des Innenraums und einen fast randvollen Tank mit einer ab­scheulich riechenden Flüssigkeit. Das gab den Ausschlag. Während Atlan die sterbli­chen Überreste der Eingeborenen nach drau­ßen zerrte und ein Stück abseits der Fahr­bahn in den Schnee bettete, fuhr Isthmy eini­ge Handlungsarme aus und machte sich an die Arbeit. Er schien in seinem kugelförmi­gen Leib ein ganzes Werkzeuglager mit sich herumzuschleppen.

Eine Viertelstunde später schob sich der Wagen brummend auf die Straße hinauf. Isthmy hatte einen vor Sicht geschützten Platz auf der kleinen, verdeckten Ladefläche gefunden.

»Halt!« sagte er einige Kilometer weiter. Atlan trat auf die Bremse. Ohne ein Wort

der Erklärung verließ der Roboter den Wa­gen und verschwand zwischen den knorri­gen Stämmen der fremdartigen Nadelbäume, die sich hier bis dicht an die Straße he­randrängten. Als er zurückkehrte, hingen zwei varganische Schutzanzüge in den Klau­en seiner metallenen Tentakel. Atlan nickte anerkennend.

Gegen Abend erreichten sie das Ende des Tales. Vor ihnen breitete sich ein weites, tiefverschneites Hügelland aus. An einigen Stellen verrieten Fahrspuren eine Abzwei­gung, und hinter schwarzgrünen Baumgrup­pen stiegen dünne Rauchfäden in die frost­klare Luft. Ein kurzes Stück vor ihnen zeich­neten sich hohe Schornsteine und schmutzi­ge Steinhäuser ab. Die Straße wurde breiter. Atlan hatte sich inzwischen hinreichend mit den Kontrollen des primitiven Wagens ver­traut gemacht. Er brachte das Gefährt auf Höchstgeschwindigkeit, und sie rasten in der zunehmenden Dämmerung ihrem Ziel entge­gen. Als bei Sonnenaufgang die ersten zu­sammenhängenden Gebäudegruppen vor ih-

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nen auftauchten, steuerte Atlan das Fahrzeug in ein dichtes Gebüsch, streckte sich todmü­de auf der Sitzbank aus und schlief sofort ein.

Als er erwachte, herrschte draußen dichtes Schneetreiben. Er verzehrte lustlos einige Konzentrate.

»Ich werde mich im Schutz des Deflek­tors in der Stadt umsehen«, erklärte er dem Roboter dann. »Sollte jemand den Wagen finden, dann sieh zu, daß du von hier weg­kommst, ohne daß dich jemand sieht. Und vergiß nicht, die beiden Schutzanzüge mit­zunehmen. Ich bleibe über Funk mit dir in Verbindung.«

Die Metalltür schlug scheppernd hinter ihm zu. Er schaltete den kleinen Kasten auf die Werte, die die Erinnye ihm angegeben hatte.

»Nichts zu sehen!« meldete Isthmy sich aus seinem Versteck. Allan stieg ein paar Meter weit auf und orientierte sich kurz. Er entdeckte einen Weg, der direkt in die Stadt hineinführte. Düstere, unfreundliche Gassen nahmen ihn auf. Zum Glück waren nur we­nige Ckorvonen unterwegs. Der Arkonide wich vorsichtig allen Hindernissen aus und arbeitete sich zielstrebig dem Zentrum von Teihara entgegen. Dort, im Palast des Dikta­tors, wurde Magantilliken nach Isthmys An­gaben gefangengehalten. Es war für Atlan nicht schwer, durch das Tor zu kommen. Ungehindert schritt er über sorgfältig schneefrei gehaltene Wege, belauschte ein. Gespräch zwischen zwei einheimischen Of­fizieren und stand kurz darauf vor einer ho­hen Mauer. Dahinter Jag ein würfelförmiger Bau. Überall standen Ckorvonen herum. Sie waren bis an die Zähne bewaffnet, aber da sie nur auf sichtbare Ziele schießen konnten, fühlte Atlan sich völlig sicher. So sicher, daß er mit dem Gedanken spielte, ohne wei­teren Aufenthalt bis zu Magantilliken vorzu­dringen. Das metallene Tor des Gefängnis­ses öffnete sich ziemlich häufig. Gefesselte Ckorvonen verschwanden dahinter, aber die, die aus diesem düsteren Bau wieder ins Freie kamen, brauchten keine Fesseln. Ent­

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weder handelte es sich um Männer in Uni­formen, die ihre Befehle zu den Wachtpo­sten hinaufbellten, oder aber um Leichen, die auf grob gezimmerten Holztragen da­vontransportiert wurden.

Ein Alleingang wäre Unsinn, meldete sich das Extrahirn. Rufe den Roboter her. Wenn er hoch genug fliegt, wird ihn niemand be­merken, und er kann Magantilliken von hier aus genauer anpeilen. Du gewinnst Zeit.

Ein halbzerfallenes Gebäude grenzte di­rekt an die Mauer. Atlan suchte sich einen Weg über Haufen von Unrat und Trümmer­stücken. In einem relativ gut erhaltenen Raum schaltete er den Deflektor aus, gab Isthmy die nötigen Anweisungen und ließ sich dann auf einer leeren Kiste nieder. Es würde eine Weile dauern, bis der Roboter eintraf. Er lehnte sich zurück – und erstarrte zu absoluter Bewegungslosigkeit.

Ein kalter, metallener Gegenstand berühr­te seinen Nacken.

»Bleiben Sie ganz still sitzen!« sagte eine helle Stimme. »Bei der geringsten Bewe­gung schieße ich!«

8.

»Sie wollen Magantilliken befreien«, stellte das Mädchen fest. Atlan starrte Jintha verblüfft an. »Wie kommen Sie darauf?« Die zierliche Ckorvonin, die ihre Waffe im­mer noch auf den Arkoniden gerichtet hatte, lachte bitter. Sie warf den Kopf etwas zu­rück, und unter der Kapuze des perlgrauen Pelzumhangs quoll eine Flut von rotblonden Locken hervor.

»Das ist nicht schwer zu erraten. Sie tau­chen einfach aus der Luft auf, geben Isthmy Befehle und sehen nicht so aus, als stamm­ten sie von unserem Planeten. Als Burjos mir die Geschichte erzählte, die er sich über Magantilliken und die Kugel unter dem Schnee zusammengereimt hatte, hielt ich es noch für ein Produkt seiner Phantasie. Aber jetzt denke ich anders darüber. Er hatte in al­lem recht. Er behauptete auch, daß Magan­tilliken Hilfe erhalten würde, sobald er in

Schwierigkeiten gerät.« »Also gut«, gab Atlan gedehnt zu. »Ich

habe den Auftrag, Magantilliken zu befrei­en. Und was nun?«

»Das kommt auf Sie an. Burjos wurde hauptsächlich deshalb verhaftet, weil er nach dem Auftauchen dieser Fremden überflüssig war. Ohne Magantilliken hätte er noch eine Chance gehabt – und ich mit ihm. Mein Va­ter wird ihn töten. Ich selbst durfte zwar das Gefängnis verlassen, aber von nun an schwebe ich ständig in Lebensgefahr. Das alles haben wir Ihrem Freund zu verdan­ken.«

»Erstens ist Magantilliken keineswegs mein Freund. Zweitens hat Isthmy mir alles berichtet, was im Lager geschehen ist. Bur­jos steht unter dem Verdacht, ein Spion zu sein. Das hätte man früher oder später auf jeden Fall herausgefunden.«

»Bis dahin wäre uns genug Zeit geblie­ben«, behauptete Jintha. Atlan stellte fest, daß er dem Mädchen mit logischen Argu­menten kaum beikommen konnte. Sie war hysterisch vor Angst, und er verstand sie so­gar.

»Was wollen Sie von mir?« fragte er. »Sie sollen Burjos ebenfalls aus dem Ge­

fängnis befreien«, erklärte Jintha. Und fuhr dann hastig fort: »Sie haben die Mittel, um uns zu helfen. Ich aber weiß, wie Sie am schnellsten an ihr Ziel kommen. Ich kann Ih­nen die Zelle zeigen, in der Magantilliken festgehalten wird. Gleich nebenan wartet Burjos auf seine Hinrichtung. Sie brauchen also nicht einmal einen Umweg zu machen.«

»Stellen Sie sich das alles nicht zu einfach vor!« warnte Atlan. »Selbst wenn ich die beiden nach draußen bringe, sind die Proble­me längst nicht gelöst. Wie wollen Sie flie­hen, und wohin? Magantilliken würde Sie und Burjos töten. Niemals dürfte er es wa­gen, Sie mit in die Station zu nehmen. Dort wartet nämlich ein Roboter, der die unange­nehme Angewohnheit hat, erst zu schießen und dann zu fragen.«

»Zerbrechen Sie sich nicht meinen Kopf!« empfahl Jintha ärgerlich. »Ich weiß,

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was ich will, Holen Sie Burjos heraus, mehr verlange ich nicht. Sobald er jenseits der Mauer ist, brauchen Sie sich um uns nicht mehr zu kümmern.«

Du solltest das Spiel mitmachen! empfahl das Extrahirn. Die Vorteile sind groß.

Jintha war erleichtert über seine Entschei­dung, behielt aber die Waffe auch weiterhin in der Hand. Erst als Isthmy auftauchte, er­klärte sie sich bereit, das gefährliche Ding wenigstens in den Gürtel zu stecken. Ob­wohl Jintha und der Roboter ungeduldig wa­ren und den Arkoniden zu sofortigem Han­deln drängten, bestand Atlan darauf, zu war­ten. Magantilliken hätte er ohne weiteres bei Tageslicht herausgeholt, aber mit Burjos und dem Mädchen waren zusätzliche Schwierig­keiten aufgetaucht. Er machte sich trotz Jint­has abwehrender Haltung Gedanken darum, wie er die beiden Ckorvonen wenigstens vorübergehend in Sicherheit bringen konnte, und er glaubte, einen Ausweg gefunden zu haben. Zwei vollausgerüstete, flugfähige Anzüge standen ihm zur Verfügung. Damit Heß sich etwas anfangen.

Als es dunkel wurde, zog er sich um. Den Deflektor ließ er zurück. Er brauchte ihn nicht mehr, denn die entsprechenden Ein­richtungen des varganischen Schutzanzugs funktionierten einwandfrei. Er befahl Isth­my, den kleinen Kasten einzuschalten und dafür zu sorgen, daß Jintha im Schutz des Feldes blieb. Damit war auch die Gefahr ge­bannt, daß jemand zufällig auf den Roboter oder die Ckorvonin stieß.

Lautlos überflog er die Mauer. Nervös blickte er zu den langsam kreisenden Ge­schützen auf, die von den wuchtigen Tür­men herab in den Hof hinunterdrohten. Selbst jetzt herrschte noch ziemlicher Be­trieb. Die Tatsache, daß Teihendru als typi­scher Diktator ständig ein überbelegtes Ge­fängnis zu hüten hatte, war jedoch für Atlan von Vorteil. Ohne sich durch unliebsame Zusammenstöße zu verraten, schob er sich mit einem Gefangenentransport durch die schwere Metallpforte. Er wandte sich nach rechts und betrat einen breiten, hell erleuch-

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teten Gang. Den zweiten Anzug trug er unter dem Arm, und er bewegte sich äußerst vor­sichtig, denn jedes Geräusch konnte einen der zahlreichen Wächter aufmerksam ma­chen, die überall umherstanden. Einmal stieß er fast mit einem uniformierten Ckor­vonen zusammen, der unvermittelt aus einer offenen Zellentür trat. Als er hastig auswich, schlug er mit der lose herabhängenden Gür­telschnalle des leeren Anzugs gegen die Me­talltür. Geistesgegenwärtig aktivierte er den Schalter für den Schwerkraftneutralisator und stieß sich ab. Der Wächter fuhr herum. Nicht nur das Geräusch, sondern auch der entstandene Luftzug hatten ihn aufmerksam gemacht. Er sah sich mit vorgehaltener Waf­fe um. Als ihm nichts auffiel, wollte er sich abwenden, aber gerade da kam ein Offizier den Gang herunter.

»Was gibt es?« fragte er barsch. Der Wächter berichtete stockend. Der Of­

fizier hörte mit einem spöttischen Lächeln zu und empfahl dem ' Mann, sich demnächst eine reichliche Portion Schlaf zu gönnen. Aufatmend schwebte Atlan unter der Decke weiter.

Magantillikens Zelle lag in einem beson­ders gesicherten Trakt. Kein Ckorvone wäre unbemerkt durch die zahlreichen Fallen ge­kommen. Für Atlan entstand nur eine gerin­ge Gefahr durch die hier überwiegend tech­nischen Sicherheitsanlagen.

Wächter tauchten kaum noch auf – Tei­hendru verließ sich auf die Technik eher, als auf möglicherweise bestechliche Menschen.

Das Schloß an der dicken Stahltür sah kompliziert aus, widerstand den kleinen Werkzeugen, die der Arkonide sich bei Isth­my ausgeliehen hatte, jedoch nur für wenige Sekunden. Dennoch wußte er, daß es von jetzt an schnell gehen mußte. Er stieß die Tür auf und schaltete für Sekunden den De­flektor ab. Magantilliken, der auf einer nied­rigen Pritsche saß, sprang entgeistert auf.

»Anziehen!« befahl Atlan kurz und warf dem Henker den Schutzanzug zu. Noch während der Vargane in das glänzende Klei­dungsstück kletterte, hastete Atlan zur nach­

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ten Tür. Er hatte sie kaum geöffnet, als über seinem Schädel ein dunkler Gegenstand auf­tauchte. Instinktiv bückte er sich, und im selben Augenblick zischte der Paralysator auf. Burjos, der sich mit dem Mut der Ver­zweiflung auf seinen vermeintlichen Henker werfen wollte, brach im Sprung zusammen. Der Arkonide warf sich den schlaffen Kör­per über die Schulter. Hinter ihm trat Ma­gantilliken durch die Tür.

»Schalten Sie den Deflektor ein!« fauchte Atlan den verdutzten Varganen an und drückte ihm gleichzeitig den kleinen Impuls­strahler in die Hand. »Los jetzt, Isthmy war­tet draußen!«

Irgendwo in den Tiefen des riesigen Ge­bäudes wimmerte eine Sirene. Als sie das Metallgitter hinter sich gelassen hatten, das den Seitenflügel vom Hauptgebäude trennte, tauchten die ersten Gruppen von Wächtern auf. Atlan überzeugte sich davon, daß auch Burjos sich vollständig im Schutze des Fel­des befand und schwebte langsam unter der Decke vorwärts. Er konnte Magantilliken nicht sehen, hoffte jedoch, daß auch der Henker begriffen hatte, worauf es hier an­kam.

Er hatte nicht. Etwa zwanzig Meter trennten sie noch

von der Halle, durch die sie in den Hof ge­langen konnten, als Magantilliken die Ner­ven verlor. Wie eine Mauer umstanden zahl­reiche Ckorvonen den einzigen Ausgang aus diesem Fuchsbau. Als der Energiestrahl durch die Luft zischte, starben fast die Hälf­te der Männer, ehe sie auch nur ihre Waffen heben konnten. Die anderen jedoch reagier­ten schnell. Obwohl sie es sicher noch nie­mals mit unsichtbaren Gegnern zu tun ge­habt hatten, schalteten sie auf Anhieb rich­tig. Atlan sah die Finger, die sich um die Waffen krallten. Er unterdrückte einen Fluch und löste erneut den Paralysator aus. Bis auf einen Ckorvonen wurden die Wächter von dem breit auseinanderfächernden Strahl er­faßt. Der letzte aus dieser Gruppe schoß wild um sich und verging dann plötzlich in einer Glutwolke.

Aus den Gängen drang Geschrei. Schwere Stiefel trampelten über den Steinboden, und scharfe Befehle klangen auf. In fliegender Hast schlug Atlan die schweren Riegel des Tores zur Seite.

»Magantilliken, hierher!« rief er halblaut, aber statt einer Antwort stand unvermittelt erneut ein gleißend heller Hitzestrahl in der Luft. Der Schuß fauchte in den Gang hinein, in dem die ersten Gegner auftauchten. Ckor­vonen wälzten sich brennend am Boden. Ein entsetzlicher Gestank erfüllte die Luft, und dann klangen auch von draußen die ersten Schüsse auf.

»Verdammt!« schrie der Arkonide unbe­herrscht. »Kommen Sie endlich!«

Er spürte an seiner Seite einen schwachen Lufthauch.

»Da haben wir die Bescherung!« schimpf­te er. Die Wächter auf den Türmen hatten sich auf das Tor konzentriert und deckten es mit Schüssen ein. Die Projektile heulten durch die Halle und schwirrten als Quer­schläger von den Mauern weg. Mehrere Ckorvonen, die aus einem Gang hervorquol­len, wurden verletzt. Dann entdeckte Atlan eine halbwegs sichere Stelle, schob sich nä­her an die Öffnung heran und richtete den Paralysator auf einen der Türme. Die dort stehenden Eingeborenen waren kaum be­täubt, da zerbarst ein anderer Turm in einem wahren Feuerwerk. Der Lärm war ohrenbe­täubend, und obwohl Atlan dem Henker zu­brüllte, er solle endlich mit der Schießerei aufhören, feuerte Magantilliken unbeirrt weiter. Er stellte den Beschuß erst ein, als die Mauer auf einer Breite von etwa vierzig Metern zusammenbrach.

»Jetzt haben wir freie Bahn«, hörte Atlan die arrogante Stimme des Henkers neben sich.

»Sie sind ein Idiot!« keuchte Atlan und schlug auf den Schalter, der ihn vorwärts schießen ließ. Ehe der Henker etwas erwi­dern konnte, gab es jenseits der teilweise noch glühenden Trümmer eine Explosion. Eine riesige Stichflamme schoß in den Him­mel. Metallteile und brennende Holzstücke

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wirbelten hoch. Eine Druckwelle schleuder­te sie zur Seite. Atlan sah einen noch festen Teil der Mauer auf sich zukommen und wich im letzten Augenblick zur Seite. Er selbst entkam dem Hindernis, aber Burjos, der immer noch betäubt war, blieb an einer Kante mit dem Fuß hängen. Der Arkonide war nicht schnell genug. Als er merkte, daß der junge Ckorvone aus dem Deflektorfeld herausgerissen wurde, war es schon zu spät. Schüsse krachten, und er wich hastig nach oben aus. Der schlaffe Körper, der unter ihm zurückblieb, wurde von den Geschossen fast zerfetzt.

»Wo stecken Sie?« fragte Magantillikens Stimme ärgerlich. Der Vargane mußte sehr nahe sein, denn sonst hätte Atlan ihn bei die­sem Lärm nicht hören können.

»Fliegen Sie über die Mauer«, befahl At­lan. »Wenn niemand Sie sehen kann, schal­ten Sie kurz das Feld ab.«

Die Ckorvonen schossen immer noch. Sie jagten Unmengen von Munition in den nun leeren Hof. Atlan sah die vielen Toten und die Flammen, die aus einem Haus direkt an der Mauer schlugen, biß die Zähne zusam­men und ließ sich weitertreiben. Er hätte dieses Inferno gerne vermieden. Jetzt war es zu spät. Magantilliken war frei, und damit auch Crysalgira. Aber der Preis war hoch genug.

Er fand den Henker im Schatten einer bröckelnden Mauer.

»Wo ist Isthmy?« fragte der Vargane. »Es gibt ihn nicht mehr«, erwiderte Atlan

bitter. »Er wartete mit der Freundin des jun­gen Ckorvonen in dem Haus, das durch Ihre Schießwütigkeit zerstört wurde.«

Wenn der Henker den Vorwurf, der in dieser Antwort lag, bemerkte, so zeigte er das nicht. Er griff statt dessen nach Atlans Arm, schaltete den Deflektor wieder ein und zog den Arkoniden vorwärts.

»Es ist besser, wir beeilen uns jetzt«, be­merkte er dabei gelassen. »Die Erinnye könnte sonst ungeduldig werden.«

*

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Kurz vor Sonnenaufgang trafen sie auf den Schacht. Niemand hatte sie verfolgt, und da sie die ganze Strecke fliegend zurückge­legt hatten, standen ihnen auch keine weite­ren Überraschungen bevor. Die Ckorvonen hatten das Spiel um die Station verloren.

Die Erinnye nahm sie in Empfang. Ehe Atlan den bedeutsamen Blick des Henkers in seine Richtung noch verarbeiten konnte, leg­te sich bereits ein Netz der Dunkelheit über ihn, und als er wieder zu sich kam, lag er ne­ben Crysalgira auf einem weichen, offen­sichtlich provisorisch hergerichteten Lager. Er stellte fest, daß der varganische Schutz­anzug verschwunden war. Auch die Geräte, die die Erinnye ihm für seinen Auftrag zur Verfügung gestellt hatte, waren verschwun­den. Neben ihm lag der tejonthische Raum­anzug.

Er beugte sich über die Arkonidin und strich ihr sanft über die Stirn. Crysalgira schrak zusammen, schlug die Augen auf und lächelte dann verzerrt.

»War es schlimm?« »Ich kann mich nur an wenige Einzelhei­

ten erinnern«, sagte sie leise. »Ich bin froh, daß du wieder da bist.«

»Immerhin leben wir noch«, stellte Crys­algira beruhigend fest. »Das bringt mich auf die Idee, daß es Zeit für ein Frühstück wäre. Ich habe entsetzlichen Hunger.«

Der Arkonide lächelte amüsiert. Er war froh, daß das Mädchen so gelassen auf die Geschehnisse reagierte, und solange es noch eine Möglichkeit gab, würden sie gemein­sam weiter darum kämpfen, den Weg in ihre eigene Welt zu finden. Die Varganen waren nicht halb so göttlich, wie sie selbst sich dar­zustellen versuchten. Gerade ihre Arroganz machte sie verwundbar – zumindest das hat­te Atlan aus dem kurzen Gastspiel auf Xer­tomph gelernt.

Eine Erkenntnis, die du dir gut einprägen solltest! meinte das Extrahirn.

Als sie die kargen Notrationen aus den Raumanzügen verzehrt hatten, öffnete sich die Tür zu ihrem Gefängnis.

»Ich hoffe, Sie beide haben sich gut er­

53 Ein Robot versagt

holt«, sagte Magantilliken spöttisch. »Es liegt noch eine weite Reise vor Ihnen.«

»Nach Yarden?« fragte Atlan. »Wohin sonst? Kommen Sie, der Trans­

mitter wartet schon.« »Sie haben es also noch geschafft«, be­

merkte der Arkonide, als sie neben Magan­tilliken durch die heller leuchteten Gänge schritten. »Die Gefühlsbasis funktioniert wieder?«

»Natürlich tut sie das«, erklärte der Hen­ker kalt. »Die Schäden sind beseitigt, und die Emotiostrahler sind in Betrieb. Die Ckorvonen dürften bereits vergessen haben, was eigentlich in diesem Tal geschehen ist. Von nun an werden sie ihr primitives Leben weiterführen und sich kaum noch daran erin­nern, daß sie Besuch aus dem Weltraum er­halten haben.«

»Irgendwo in der Stadt beschäftigen sich ckorvonische Wissenschaftler mit den Gerä­ten, die man Ihnen abgenommen hat«, erin­nerte Atlan den Henker.

»Sie werden nichts herausfinden. Die Ge­räte sind inzwischen unbrauchbar geworden. Einige haben sich selbst zerstört und bei die­ser Gelegenheit dafür gesorgt, daß Teihen­dru in Zukunft vorsichtiger ist, wenn es um das Erbe der sogenannten Ahnen geht.«

»Warum hilft Ihr Volk den Ckorvonen nicht?« fragte Crysalgira ärgerlich.

»Wir haben andere Probleme«, gab Ma­gantilliken gelassen zurück. »Den Kreuzzug zum Beispiel. Zum Glück konnte ich diese Gefühlsbasis rechtzeitig wieder in Ordnung bringen. Wäre sie ausgefallen, so hatte das verheerende Folgen gehabt.«

»Warum?« Magantilliken lachte leise. »Sie versuchen seit langem, den Sinn der

Kreuzzüge herauszubekommen«, sagte er zu dem Arkoniden. »Aber es ist Ihnen bisher nicht gelungen, und ich bin nur froh, daß ich Ihnen nicht voreilig Informationen gegeben habe. Sie hätten unsere braven Tejonther sonst vielleicht wirklich aufhetzen können. Nun jedoch werden Sie keine Gelegenheit mehr haben, die Schwarzen aufzuklären.

Von hier aus führt der Weg geradlinig nach Yarden, und wo immer Sie auftauchen, wer­den alle Wege zur Flucht verstellt bleiben. Also kann ich Ihnen ruhig die Wahrheit sa­gen.«

Ein Schott wich vor ihnen zurück, und sie sahen den Transmitterraum, in dem sie zu­erst mit der Erinnye zusammengetroffen wa­ren. Der Roboter hatte sich noch nicht sehen lassen.

»Die Gefühlsbasen dienen dazu, die Te­jonther in einen Rausch zu versetzten«, er­klärte der Henker, während sie langsam auf die hell beleuchtete Plattform zugingen. »Schritt für Schritt wird in den Schwarzen die Bereitschaft zur Erfüllung ihrer Aufgabe erhöht. Die Emotiostrahler nehmen ihnen die Fähigkeit zum kritischen Denken. Dar­um war es so wichtig, daß hier auf Xer­tomph keine Störungen auftraten. Ein Bruch in dieser Beeinflussung könnte bedeuten, daß die Tejonther einfach umkehren.«

»Was wäre daran so schlimm?« wollte Atlan ungeduldig wissen. »Was geschieht mit den zehntausend Raumschiffen und de­ren Besatzungen?«

»Sie sind notwendig, um das Gleichge­wicht dieser Welt zu erhalten«, erklärte der Henker. »Sie opfern sich und retten dadurch meine Heimat, die Eisige Sphäre. Sie müs­sen zugeben, daß das eine wichtige Mission ist. Was sollte wohl aus den Tejonthern und den anderen Völkern dieses Universums werden, wenn Yarden mit seinen Bewoh­nern zerstört würde?«

»Sie wären endlich frei«, sagte Atlan ge­dehnt. »Aber das ist meine persönliche Mei­nung, die Sie natürlich nicht interessiert. Die Tejonther sterben also? Warum? Und wo­für? Was geschieht mit den Schiffen?«

»Zu viele Fragen«, seufzte Magantilliken kopfschüttelnd. »Wir haben nicht mehr viel Zeit. Ich will versuchen, es Ihnen zu erklä­ren, obwohl es vermutlich sinnlos ist. Durch unsere Experimente mit der Absoluten Be­wegung wurde in der Nähe von Yarden die Grenze zwischen Makro- und Mikrokosmos ihrer Stabilität beraubt. Das Gleichgewicht

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läßt sich nicht mehr dauerhaft herstellen, sondern nur jeweils für kurze Zeit. Ein end­gültiges Zusammenbrechen der Grenze wür­de die Zerstörung in diesem Teil unseres Universums bedeuten. Um das zu verhin­dern, führen wir alle dreihundert Jahre einen Massenausgleich herbei.«

Er kontrollierte die Angaben einiger Kon­trollgeräte und fuhr dann gleichmütig fort:

»Die Schiffe der Tejonther dienen einzig und allein diesem Zweck.«

»Zehntausend Raumschiffe«, sagte der Arkonide fassungslos. »Eine riesige Flotte, die den Tejonthern gehört. Und Sie benutzen Sie, um einen Rechenfehler in Ihren Plänen und Experimenten auszubügeln. Was ge­schieht mit den Besatzungen?«

»Sie haben einen sehr starken Glauben an ein Leben nach dem Tod«, erwiderte Ma­gantilliken hart.

»Sie werden gemeinsam mit ihren Schif­fen an der Grenze entstofflicht. Wer weiß, wo sie hingehen? Auch wir Varganen haben nicht alle Rätselgelöst.«

Marianne Sydow

»Das ist nichts als Geschwätz!« knurrte Atlan wutentbrannt. »Sie schicken diese Wesen in den Tod. Sie zwingen sie, nur für diesen wahnsinnigen Kreuzzug zu leben und zu arbeiten. Dazu haben Sie kein Recht!«

»Wirklich nicht?« Der Henker lächelte kalt und schaltete an

den Kontrollgeräten des Tansmitters. »Gehen Sie dorthin!« befahl er, und ob­

wohl Magantilliken allem Anschein nach nicht bewaffnet war, gehorchten Crysalgira und der Kristallprinz von Arkon. Das Trans­mitterfeld erfaßte sie und zog sie mit sich. Der letzte Eindruck, den Atlan aus Xer­tomph mitnahm, war dieses kalte, beherrsch­te, zeitlose Gesicht, das Gesicht des Hen­kers, der seinen Auftrag erfolgreich beendet hatte. Sie waren wieder auf dem Weg nach Yarden.

ENDE

E N D E