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Nordwestschweiz | Dienstag, 17. Juni 2014 Brennpunkt Basel 20 Luigi Maggi spricht deutlich. Er ist ein guter Zuhörer, der Fragen präzis beantwortet. Mit beiden Händen un- termalt er seine Erzählungen. Dass dies möglich ist, ist nicht selbstver- ständlich: Vor einem Jahr erlitt der heute 78-Jährige einen Hirnschlag. «Für einen Hirnschlag gibt es nur selten Anzeichen. Er trifft die Men- schen typischerweise aus heiterem Himmel», sagt Neurologe Leo Bonati. Er arbeitet als Oberarzt im Hirn- schlagzentrum – dem sogenannten Stroke Center – des Universitätsspi- tals Basel. Der Hirnschlag überraschte Luigi Maggi im Schlaf. Kurz zuvor war er noch in der jährlichen Routineunter- suchung. Der Hausarzt stellte nichts Aussergewöhnliches fest. Zwei Tage später wachte der Rentner mit einer gelähmten linken Körperhälfte auf; unfähig zu sprechen. «Sprech- und Sprachstörungen sind wie halbseiti- ge Lähmungen klassische Symptome eines Hirnschlages. Auch Sehstörun- gen oder halbseitige Gefühlsstörun- gen können Symptome sein», erklärt Bonati. Im Gegensatz zu einem Herz- infarkt verursacht ein Hirnschlag keine starken Schmerzen. Ein Grund, weshalb Betroffene immer wieder zu spät im Stroke Center eintreffen. Patient wird bereits erwartet Luigi Maggis Frau reagierte umge- hend – sie rief die Ambulanz nach Möhlin. «Bei einem Hirnschlag zählt jede Minute», sagt Bonati. Deshalb schulte das Hirnschlagzentrum die Rettungskräfte und führte den soge- nannten Stroke Alarm ein. Dabei lö- sen die Sanitäter einen Notruf aus, der im Stroke Center in Basel ein Team von jeweils sieben Personen alarmiert. Pro Tag schrillt dieses Signal im Universitätsspital im Schnitt zwei- mal. «Dann wird es ganz schön hek- tisch», sagt Bonati. Notärzte, Neuro- logen und Pflegefachleute schalten die Geräte ein, bereiten den Raum vor. Sobald der Patient eintrifft, star- ten sie mit den Untersuchungen. In diesem speziell eingerichteten Raum, dem sogenannten Schock- Raum, setzt das Erinnerungsvermö- gen von Luigi Maggi wieder ein. An die vorigen Stunden kann er sich nicht erinnern. Zehn Minuten für eine Diagnose Tickende Uhren bestimmen hier das Geschehen: Zehn bis 15 Minuten haben die Ärzte Zeit für eine erste Diagnose. Es gilt, insbesondere Herzinfarkte oder Hirnblutungen auszuschliessen. Während der Un- tersuchung beginnen die ersten Be- handlungsschritte. Der Computertomograf röntgte noch den Kopf von Luigi Maggi, als er bereits eine Thrombolyse erhielt. Diese Infusion soll das Blutgerinnsel auflösen, das den Hirnschlag verur- sachte. «Ab den ersten Symptomen haben wir viereinhalb Stunden Zeit, um die Infusion zu geben. Danach ist es zu spät», erklärt Neurologe Bonati. Mit Katheter in die Hirnarterie Beim Rentner reichten die Medi- kamente nicht. «In diesem Fall ent- fernen wir das Gerinnsel mit einem Katheter», sagt Bonati. An der Leiste führen die Ärzte den Katheter ein und lenken ihn über grössere Arte- rien in die betroffene Hirnarterie. «Der Eingriff ist für den Patienten nicht schmerzhaft. Da er aber ruhig liegen muss, ist manchmal eine Nar- kose notwendig», sagt Bonati. Bei Luigi Maggi konnte dadurch das Blutgefäss wieder geöffnet werden. Der ehemalige Buchbinder hatte grosses Glück. Bereits zwei Tage spä- ter konnte er wieder die Finger sei- ner linken Hand bewegen. Danach ging es schnell bergauf. «Alle haben gestaunt, wie rasch ich wieder fit war», sagt Luigi Maggi. Während an- dere Patienten sich langsam wieder in den Alltag kämpfen, konnte der Rentner ohne Rehabilitation direkt nach Hause. Bei der Nachkontrolle rollen sei- ne Pulsfrequenzen regelmässig über den Monitor, seine Arterien sind ge- sund. Ein Jahr nach dem Schock ge- he er jetzt alles ein bisschen langsa- mer an, sagt Luigi Maggi. Agil schwingt er seine Beine über die Kante des Untersuchungstischs und schreitet zur Tür hinaus. VON ANNIKA BANGERTER (TEXT) UND MARTIN TÖNGI (FOTOS) Eine Abteilung im Wettlauf mit der Zeit Hirnschlag Wie schnell die Ärzte handeln müssen, zeigt ein Beispiel aus dem Hirnschlagzentrum des Universitätsspitals Basel Der Neurologe Leo Bonati untersucht Luigi Maggi im Stroke Center des Universitätsspitals Basel. Der Rentner erlitt vor einem Jahr einen Hirnschlag. Heute geht es ihm wieder gut. «Für einen Hirnschlag gibt es selten Anzeichen. Er trifft die Menschen aus heiterem Himmel.» Leo Bonati, Neurologe am Universitätsspital Basel Bei der Nachkontrolle prüft Leo Bonati mit dem Ultraschall die Arterien seiner Patienten. Damit kann er allfällige Verengungen lokalisieren. Hirnschläge sind in der Schweiz die häufigste Ursache von Behinderun- gen bei Erwachsenen und die dritthäufigste Todes- ursache. Das Hirnschlag- zentrum des Universitäts- spitals Basel (USB) ist seit Ende Mai als sogenanntes Stroke Center zertifiziert. Rund um die Uhr arbei- tet in der hoch speziali- sierten Abteilung ein inter- disziplinäres Team – unter anderem mit Neurologen, Notfallärzten, Intensivme- dizinern, Radiologen, Neu- rochirurgen und Gefäss- chirurgen. Pro Jahr behan- delt das Hirnschlagzent- rum in Basel über 1000 Patienten aus der Nord- westschweiz, dem Kan- ton Jura und dem nahen Ausland. Insgesamt gibt es in der Schweiz acht Stroke Centers. (BZ) HIRNSCHLAG: ACHT SCHWEIZER ZENTREN

Eine Abteilung im Wettlauf mit der Zeit

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Hirnschlag Wie schnell die Ärzte handeln müssen, zeigt ein Beispiel aus dem Hirnschlagzentrum des Universitätsspitals Basel

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Nordwestschweiz | Dienstag, 17. Juni 2014Brennpunkt Basel20

Luigi Maggi spricht deutlich. Er istein guter Zuhörer, der Fragen präzisbeantwortet. Mit beiden Händen un-termalt er seine Erzählungen. Dassdies möglich ist, ist nicht selbstver-ständlich: Vor einem Jahr erlitt derheute 78-Jährige einen Hirnschlag.

«Für einen Hirnschlag gibt es nurselten Anzeichen. Er trifft die Men-schen typischerweise aus heiteremHimmel», sagt Neurologe Leo Bonati.Er arbeitet als Oberarzt im Hirn-schlagzentrum – dem sogenanntenStroke Center – des Universitätsspi-tals Basel.

Der Hirnschlag überraschte LuigiMaggi im Schlaf. Kurz zuvor war ernoch in der jährlichen Routineunter-suchung. Der Hausarzt stellte nichtsAussergewöhnliches fest. Zwei Tagespäter wachte der Rentner mit einergelähmten linken Körperhälfte auf;unfähig zu sprechen. «Sprech- undSprachstörungen sind wie halbseiti-ge Lähmungen klassische Symptomeeines Hirnschlages. Auch Sehstörun-gen oder halbseitige Gefühlsstörun-gen können Symptome sein», erklärtBonati. Im Gegensatz zu einem Herz-infarkt verursacht ein Hirnschlagkeine starken Schmerzen. Ein Grund,weshalb Betroffene immer wieder zuspät im Stroke Center eintreffen.

Patient wird bereits erwartetLuigi Maggis Frau reagierte umge-

hend – sie rief die Ambulanz nachMöhlin. «Bei einem Hirnschlag zähltjede Minute», sagt Bonati. Deshalbschulte das Hirnschlagzentrum die

Rettungskräfte und führte den soge-nannten Stroke Alarm ein. Dabei lö-sen die Sanitäter einen Notruf aus,der im Stroke Center in Basel einTeam von jeweils sieben Personenalarmiert.

Pro Tag schrillt dieses Signal imUniversitätsspital im Schnitt zwei-mal. «Dann wird es ganz schön hek-tisch», sagt Bonati. Notärzte, Neuro-logen und Pflegefachleute schaltendie Geräte ein, bereiten den Raumvor. Sobald der Patient eintrifft, star-ten sie mit den Untersuchungen.

In diesem speziell eingerichtetenRaum, dem sogenannten Schock-Raum, setzt das Erinnerungsvermö-gen von Luigi Maggi wieder ein. Andie vorigen Stunden kann er sichnicht erinnern.

Zehn Minuten für eine DiagnoseTickende Uhren bestimmen hier

das Geschehen: Zehn bis 15 Minutenhaben die Ärzte Zeit für eine ersteDiagnose. Es gilt, insbesondereHerzinfarkte oder Hirnblutungenauszuschliessen. Während der Un-tersuchung beginnen die ersten Be-handlungsschritte.

Der Computertomograf röntgtenoch den Kopf von Luigi Maggi, als

er bereits eine Thrombolyse erhielt.Diese Infusion soll das Blutgerinnselauflösen, das den Hirnschlag verur-sachte. «Ab den ersten Symptomenhaben wir viereinhalb Stunden Zeit,um die Infusion zu geben. Danachist es zu spät», erklärt NeurologeBonati.

Mit Katheter in die HirnarterieBeim Rentner reichten die Medi-

kamente nicht. «In diesem Fall ent-fernen wir das Gerinnsel mit einemKatheter», sagt Bonati. An der Leisteführen die Ärzte den Katheter einund lenken ihn über grössere Arte-rien in die betroffene Hirnarterie.«Der Eingriff ist für den Patientennicht schmerzhaft. Da er aber ruhigliegen muss, ist manchmal eine Nar-kose notwendig», sagt Bonati. BeiLuigi Maggi konnte dadurch dasBlutgefäss wieder geöffnet werden.

Der ehemalige Buchbinder hattegrosses Glück. Bereits zwei Tage spä-ter konnte er wieder die Finger sei-ner linken Hand bewegen. Danachging es schnell bergauf. «Alle habengestaunt, wie rasch ich wieder fitwar», sagt Luigi Maggi. Während an-dere Patienten sich langsam wiederin den Alltag kämpfen, konnte derRentner ohne Rehabilitation direktnach Hause.

Bei der Nachkontrolle rollen sei-ne Pulsfrequenzen regelmässig überden Monitor, seine Arterien sind ge-sund. Ein Jahr nach dem Schock ge-he er jetzt alles ein bisschen langsa-mer an, sagt Luigi Maggi. Agilschwingt er seine Beine über dieKante des Untersuchungstischs undschreitet zur Tür hinaus.

VON ANNIKA BANGERTER (TEXT)UND MARTIN TÖNGI (FOTOS)

Eine Abteilung im Wettlauf mit der ZeitHirnschlag Wie schnell die Ärzte handeln müssen, zeigt ein Beispiel aus dem Hirnschlagzentrum des Universitätsspitals Basel

Der Neurologe Leo Bonati untersucht Luigi Maggi im Stroke Center des Universitätsspitals Basel. Der Rentner erlitt vor einem Jahr einen Hirnschlag. Heute geht es ihm wieder gut.

«Für einen Hirnschlaggibt es selten Anzeichen.Er trifft die Menschenaus heiterem Himmel.»Leo Bonati, Neurologe amUniversitätsspital Basel

Bei der Nachkontrolle prüft Leo Bonati mit dem Ultraschall die Arterienseiner Patienten. Damit kann er allfällige Verengungen lokalisieren.

Hirnschläge sind in derSchweiz die häufigste

Ursache von Behinderun-gen bei Erwachsenen unddie dritthäufigste Todes-ursache. Das Hirnschlag-zentrum des Universitäts-spitals Basel (USB) ist seitEnde Mai als sogenanntes

Stroke Center zertifiziert.Rund um die Uhr arbei-tet in der hoch speziali-sierten Abteilung ein inter-disziplinäres Team – unteranderem mit Neurologen,Notfallärzten, Intensivme-dizinern, Radiologen, Neu-rochirurgen und Gefäss-

chirurgen. Pro Jahr behan-delt das Hirnschlagzent-rum in Basel über 1000

Patienten aus der Nord-westschweiz, dem Kan-ton Jura und dem nahenAusland. Insgesamt gibtes in der Schweiz achtStroke Centers. (BZ)

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