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H. KIETZ: Bemerkung zur Sch/irfe unsererFrequenzempfindung beimHSren 633 69. H. KIETZ-Bremen : Eine Bemerkung zur Sch~irfe unserer Frequenz- empfindung beim HSren Seit HELMHOLTZ sind wir Menschen uns einig, dab in unserem Innen- ohr rein mechanisch eine Scha]lzerlegung nach Frequenzen sta%findet, so dal3 wir jeder Stelle auf der Basilarmembran einen ganz besHmmten Ton zuordnen kSnnen. HEL~KOLTZ ging sogar so weir, dal3 er in dieser rein meehanischen Schallzerlegung die Erkl/irung suehen wollte ffir die hohe Schi~rfe der Frequenzempfindung, fiber die wit Menschen verfiigen. Man hat aber schon damals darauf hingewiesen, dab diese letztere Annahme nicht zutreffen k6nne. Die Basilarmembran als fleischliches Gebilde in einer Flfissigkeit, also in der Perilymphe, muB eine sehr hohe Ds aufweisen, tqohe D/impfung steht aber bei jedem Sehwingungsgebilde im Gegensatz zu einer hohen Frequenzseh/~rfe. Mechailiseh war also die Sch/~rfe der Frequenzempfindung beim HSren rrieht zu erkl/~ren. Daher, so folgerte man damals durchaus mit Rech~ -- und es war der Physiker, der darauf hinwies, dab man es nicht mechaniseh zu erkl/iren verstand -- muBte die hohe Frequenzseh&rfe die Folge yon einem nerv6sen oder einem zentralen Vorgang oder, kurz zusammen- gefaBt, yon einem physiologisehen Vorgang sein. Bekanntlich habe ich vor einigen Jahren das Bueh verSffentlieht ,,Physik des HSrens" und habe darin in allen Einzelheiten einen rein mechanischen Vorgang geschildert, der durch das Zusammenspiel yon Basilarmembran und Membrana teetoria ~rotz hoher D/~mpfung der Basilarmembran zu einer relativ hohen Frequenzempfindung zu ffihren vermag. Kein Mensch weiB vorl/~ufig, ob dies yon mir gezeichnete Bild falseh oder richtig ist. Aber es entf&llt damit die damals zwingende Folge- rung des Physikers, dab ffir die seharfe Frequenzempfindung keine mechanische Erkl&rung denkbar ist und dab sie deshalb unbedingt einem physiologisehen ProzeB zugeordne~ werden muB. Seit einigen Jahren bemfihe ieh reich um tt6rexperimente, die mir AufsehluB geben sollen fiber den meehanischen Ablauf der Schall- vorg&nge in unserem Innenohr. Auf Grund der neuen Arbeitshypothese yon mir, also auf Grund einer neuen H6rtheorie, habe ich eine ganze Reihe neuartiger I-I6rexperimente gefunden. Ich weiB, dab ich mit diesen Experimenten die Fachkreise beeindrueke, und ieh weiB aueh, dab die Vielzahl dieser neuartigen Experimente, deren Ergebnisse mi~ den vor- her fiberlegten Effekten fibereinstimmten, sehr zugunsten der neuen Arbeitshypothese sprich~. Aber ich betone und weise stets selbst darauf bin, dab ieh nich~ ein einziges Experiment gefunden habe, das mir ein- deuHg und 100~ den Beweis ffir die Riehtigkeit meiner Ansehauung gebraeht hat. Jedes tI6rexperiment stellt die Summenwirkung yon mechanischen und physiologischen Vorg/ingen dar, und es wird nie gelingen, sieh in dem

Eine Bemerkung zur Schärfe unserer Frequenzempfindung beim Hören

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Page 1: Eine Bemerkung zur Schärfe unserer Frequenzempfindung beim Hören

H. KIETZ: Bemerkung zur Sch/irfe unsererFrequenzempfindung beimHSren 633

69. H. KIETZ-Bremen : Eine Bemerkung zur Sch~irfe unserer Frequenz- empfindung beim HSren

Seit HELMHOLTZ sind wir Menschen uns einig, dab in unserem Innen- ohr rein mechanisch eine Scha]lzerlegung nach Frequenzen sta%findet, so dal3 wir jeder Stelle auf der Basilarmembran einen ganz besHmmten Ton zuordnen kSnnen. HEL~KOLTZ ging sogar so weir, dal3 er in dieser rein meehanischen Schallzerlegung die Erkl/irung suehen wollte ffir die hohe Schi~rfe der Frequenzempfindung, fiber die wit Menschen verfiigen. Man hat aber schon damals darauf hingewiesen, dab diese letztere Annahme nicht zutreffen k6nne. Die Basilarmembran als fleischliches Gebilde in einer Flfissigkeit, also in der Perilymphe, muB eine sehr hohe Ds aufweisen, tqohe D/impfung steht aber bei jedem Sehwingungsgebilde im Gegensatz zu einer hohen Frequenzseh/~rfe.

Mechailiseh war also die Sch/~rfe der Frequenzempfindung beim HSren rrieht zu erkl/~ren. Daher, so folgerte man damals durchaus mit Rech~ -- und es war der Physiker, der darauf hinwies, dab man es nicht mechaniseh zu erkl/iren verstand -- muBte die hohe Frequenzseh&rfe die Folge yon einem nerv6sen oder einem zentralen Vorgang oder, kurz zusammen- gefaBt, yon einem physiologisehen Vorgang sein.

Bekanntlich habe ich vor einigen Jahren das Bueh verSffentlieht ,,Physik des HSrens" und habe darin in allen Einzelheiten einen rein mechanischen Vorgang geschildert, der durch das Zusammenspiel yon Basilarmembran und Membrana teetoria ~rotz hoher D/~mpfung der Basilarmembran zu einer relativ hohen Frequenzempfindung zu ffihren vermag. Kein Mensch weiB vorl/~ufig, ob dies yon mir gezeichnete Bild falseh oder richtig ist. Aber es entf&llt damit die damals zwingende Folge- rung des Physikers, dab ffir die seharfe Frequenzempfindung keine mechanische Erkl&rung denkbar ist und dab sie deshalb unbedingt einem physiologisehen ProzeB zugeordne~ werden muB.

Seit einigen Jahren bemfihe ieh reich um tt6rexperimente, die mir AufsehluB geben sollen fiber den meehanischen Ablauf der Schall- vorg&nge in unserem Innenohr. Auf Grund der neuen Arbeitshypothese yon mir, also auf Grund einer neuen H6rtheorie, habe ich eine ganze Reihe neuartiger I-I6rexperimente gefunden. Ich weiB, dab ich mit diesen Experimenten die Fachkreise beeindrueke, und ieh weiB aueh, dab die Vielzahl dieser neuartigen Experimente, deren Ergebnisse mi~ den vor- her fiberlegten Effekten fibereinstimmten, sehr zugunsten der neuen Arbeitshypothese sprich~. Aber ich betone und weise stets selbst darauf bin, dab ieh nich~ ein einziges Experiment gefunden habe, das mir ein- deuHg und 100~ den Beweis ffir die Riehtigkeit meiner Ansehauung gebraeht hat.

Jedes tI6rexperiment stellt die Summenwirkung yon mechanischen und physiologischen Vorg/ingen dar, und es wird nie gelingen, sieh in dem

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634 H. KIETZ : Bemerkung zur Scharfe unserer Frequenzempfindung beim HSren

physikalisehen HSrexperiment yon physiologisehen Vorgangen frei zu machen. Jeder der dabei erzielten Effekte, die ieh rein mechanisch erklart sehen mSehte, kann auch das Produkt eines physiologisehen Vorganges sein. Umgekehrt aber: wer sieh auf die physiologisehen Vorgange konzen- trieren will, wird sich nieht yon den mechanisehen Vorgangen frei maehen kSnnen. Es ist schwer ffir reich, die Riehtigkeit meiner Anschau- ung zu beweisen; es ist aber genauso schwer, den Beweis zu erbringen, dab ieh unmSglieh reeh~ haben kann.

Und damit komme ich zu dem Hauptzweek meines heutigen Vor- trages. Ieh fordere immer wieder zu einer scharfen Kri t ik meiner An- sehauungen heraus, denn ich mSchte ]ieber heute als morgan darauf hin- gewiesen werden, falls das, was ieh bier vertrete, falseh ist. Dasselbe gilt natfirlieh aueh ffir j eden yon uns. Eine Kri t ik an der yon mir vertretenen, neuen Auffassnng des HSrvorganges bedingt selbstverstandlich, dab man aueh mit gleieher Objektivit~t die bereits bestehende HSrtheorie kritiseh betraehtet .

Lassen Sie reich auf zwei einfaehe Beispiele zurfiekgreifen. Wenn man eine normale Blattfeder mechanisch fest einspannt, so hat diese Blatt- feder gewisse Sehwingungseigenschaften. Wird diese Feder fiber Gebfihr stark beansprueht, also zu stark gebogen, so k o m m t es zu einer bteibenden Verbiegung, und die Blattfeder zeigt naeh dieser Uberbeanspruehung andere Schwingungseigensehaften als vorher. Das wundert uns nieht, das empfinden wir als selbstverstandlieh.

Wenn man eine normale Blattfeder ]ahrzehntelang schwingen laBt, so ermfidet sie. Auch bei einem Auto wissen wir, dab naeh 5--10 Jahren gewisse Teile ausgewechselt werden mfissen, weft Ermfidungs-, weft Alterserscheinungen dabei auftreten. Es ware verwunderlieh, wenn man beweisen kSnnte, dab unser Innenohr eine Gerausehbelastung yon 100 oder sogar yon 120 dB aushalt, ohne meehaniseh Sehaden zu nehmen, oder, um ein anderes Beispiel zu geben, es ware verwunderlieh, wenn ein Innenohr, das 60 Jahre alt ist, noeh genauso elastiseh ist wie 40 Jahre vorher.

Wenn man also yon Larmschaden oder von einer AlterssehwerhSrig- keit bei uns Mensehen sprieht, so muB man primar an eine rein mechani- sche Veranderung in unserem Innenohr denken. Dennoeh ware man in Faehkreisen recht ungehalten, wollte ich die Behauptung aufstellen, dab die AlterssehwerhSrigkeit darin besteht, dab die elastischen Rfiekstell- krafte unserer Membrana teetoria im Alter naehlassen. Dieser Effekt kann auftre~en, ja, er wird sogar mit groBer Wahrscheinliehkeit auftreten. Aber zugleich werden sieh auch nervSse oder zentrale HSrvorgange ver- andert haben, und es ist durehaus denkbar, dab z. B. der EinfluB der zentralen Ver~nderung au fden HSrvorgang so groB ist, dab die mechani- sche Veranderung unseres Innenohres dagegen in ihrem EinfluB auf das

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O. V. ARENTSSCttILD: Sprachau4iometrie bei hohen Schallpegeln 635

H5ren praktiseh versehwindet. Wenn es sich jemand zur Aufgabe macht, durch Uberlegungen oder durch Experimente zu beweisen, dab z, B. die AlterssehwerhSrigkeit auf einem zentralen Vorgang beruht, so ist dieses Bestreben nur begrfiBenswert. Wenn man aber bei dem heutigen Stand der Forschung die Aussage macht: ,,Bekanntlich ist die Altersschwer- h6rigkeit auf einen zentralen Vorgang zuriickzuffihren", so ist diese Aus- sage anfechtbar. Mit dem Wort ,,bekanntlich" tauscht man sich selbst eine Sicherheit vor, die in Wahrheit nicht gerechtfertigt ist.

Die Experimente, die ich an dem Atlas-Stand vorzufiihren bereit bin, ffihren zu Effekten, die sieh als ein Produkt yon rein mechanischen Vor- g/~ngen in unserem Innenohr leicht erkls lassen. Man sollte daher den mechanischen Vorg/~ngen in unserem Innenohr weitaus mehr Beachtung schenken als es bisher fiblieh ist. Selbst die Wanderwellentheorie, die v. Bs bekanntlich anfgestellt hat, diirfte bei weitem nieht ausrei- chend sein, um den ganzen meehanisehen Ablauf des Schalivorganges in unserem Innenohr befriedigend und ersch6pfend zu erkl/iren.

Zusammen/assung Eine Vielzah] neuer HSrexperimente, die in den Ausstellungsr/iumen

vorbereitet sind, sprechen sehr ffir die neue und stark mechanisehe Auf- fassung des HSrvorganges, die yon mir bekanntlich in dem Buch, ,Physik des I~Srens" vertreten wird. Auch Li~rmseh~den und AltersschwerhSrig- keit kSnnen durehaus eine rein mechanisehe Ursache haben. Da aber in jedem HSrexperiment der sich ergebende Effekt eine Summenwirkung yon meehanischen und von physiologisehen Vorg~ngen darstellt, ist es sehwer zu erkennen, weleher yon diesen beiden Vorgangsgruppen das Hauptgewicht zukommt. Auch die Schi~rfe der Tonempfindung mud teil- weise einem meehanischen und teilweise einem physiologisehen Vorgang zugeordnet werden. Mein Bestreben geht dahin, die Aufmerksamkeit in Fachkreisen starker als bisher fiblich den mechanischen Vorg~ngen in unserem Innenohr zuzulenken.

70. 0. V. ARENTSSCHIH)-Berlin: Sprachaudiometrie bei hohen Schall- pegeln (Mit 3 Textabbfldungen)

Bei der Sprachaudiometrie wird die Abhiingigkeit des Sprach- versti~ndnisses yore Schallpegel in einem Koordinatensystem dargestellt. Hierbei kommen als Parameter in Frage :

a) verschieden schwierige Tests, b) Sprecher in verschiedenen Stimmlagen, c) verschiedene Schallzufiihrungsarten (L~utsprecher, KopfhSrer,

Knochenh6rer, H6rgers fiber Mikrophon oder Induktionssloule),