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Eine Gefahr für die Raumfahrt : Weltraummüll

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nen heute noch etwa tausend arbeiten. Darüber hinaus fin-den sich 1727 Raketenstufen und 873 „missionsbezogeneObjekte“ im aktuellen Bahnkatalog des Bodenstationsnetz-werks zur Weltraumüberwachung der USA (US SSN). Dieseintakten Objekte repräsentierten jedoch nur 37 % des Ge-samtkatalogs. Den weitaus größten Anteil von 63 % machenrund 10 000 Fragmente aus, die aus etwa 250 Zerlegungs-ereignissen (meist Explosionen) hervorgingen (Abbil-dung 1). All diese Objekte haben einen Durchmesser vonmindestens 10 cm, um von der Erde aus erfasst werden zukönnen.

Rund die Hälfte aller katalogisierten Fragmente gehenallein auf nur zwei Ereignisse zurück. Am 11. Januar 2007wurde zu Testzwecken der chinesische Satellit Feng Yun 1cin etwa 860 km Höhe abgeschossen. Dabei entstanden 2944katalogisierte Fragmente. Am 10. Februar 2009 kollidiertendie Satelliten Iridium 33 und Kosmos 2251 in etwa 780 kmHöhe, woraus sich 1832 katalogisierte Bruchstücke erga-ben. Die Gesamtmasse aller Objekte in Erdbahnen liegt beietwa 6300 Tonnen. Explosions- und Kollisionsfragmentemachen davon nur einen Anteil von rund 3 % aus. All die-se Objekte sind jedoch in der Lage, bei Kollisionen mit ei-ner für erdnahe Umlaufbahnen typischen Relativgeschwin-digkeit von 10 bis 14 km/s (36 000 bis 50 000 km/h) einenSatelliten oder eine Orbitalstufe vollständig zu zerlegen.

Die Bahnen der erfassten und katalogisierten Objektesind vorwiegend kreisnah, wobei die Mehrzahl von ihnenBahnneigungen zum Äquator von mehr als 65° besitzen.Geringere Bahnneigungen haben beispielsweise geosta-tionäre Bahnen (0° bis 15°) und Navigationssatelliten-Kon-stellationen in mittleren Bahnhöhen von etwa 20 000 km(bei etwa 55°) sowie Bahnen bemannter, erdnaher Missio-nen (bei etwa 51°). Den mit 77 % größten Anteil stellt dieerdnahe Bahnregion unterhalb von 2000 km Höhe dar. Wei-tere 6 % der Objekte befinden sich in der geostationären Re-gion (rund 36 000 km Höhe), und 17 % verteilen sich aufdazwischen liegenden Bahnen, sowie auf Bahnen jenseitsder geostationären Region (Tabelle 1 und Abbildung 2).

Unterhalb des heutigen Erfassungsgrenzwerts des SSN-Überwachungssystems, auf das wir gleich zurückkommenwerden, existiert eine Population von Raumfahrtrückstän-den, die sich nur noch durch experimentelle, bodenge-stützte Radar- und optische Hochleistungssensoren nach-weisen lässt. Eine besondere Möglichkeit für Teile speziellim Submillimeterbereich ergibt sich aus der Untersuchungder Einschläge auf Satelliten oder Teilen von ihnen, die

Weltraummüll

Eine Gefahr für die RaumfahrtHEINER KLINKRAD

Zu den Umweltproblemen auf der Erde gesellt sich ein weite-res von Menschenhand geschaffenes Problem weit über unse-ren Köpfen: Weltraummüll. In manchen Höhenbereichen stellter heute eine Gefahr für den Betrieb aktiver Satelliten dar.

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DOI: 10.1002/ piuz.201101285

Weltraummüll umfasst alle von Menschenhand ge-schaffenen, nicht mehr funktionstüchtigen Objekte

sowie Teile und Fragmente von ihnen, in Erdumlaufbahnenoder auf atmosphärischen Wiedereintrittsbahnen.“ DieseDefinition prägte das Inter-Agency Space Debris Coordina-tion Committee (IADC), in dem die zwölf internationalführenden Raumfahrtorganisationen, unter ihnen die Eu-ropäische Weltraumorganisation ESA, ihre Aktivitäten zumThema Weltraummüll koordinieren. Im Nachfolgenden sollden Lesern ein Einblick gegeben werden in die Ursachen,die sich ergebenden Risiken und die langfristigen Konse-quenzen, die aus diesen Rückständen von mehr als 50 Jah-ren Raumfahrtbetrieb hervorgehen. Für eine tiefergehendeAnalyse sei auf [1] verwiesen.

Bis zum Mai 2010 wurden mit weltweit 4780 erfolgrei-chen Raketenstarts 3159 Satelliten ins All befördert, von de-

Online-Ausgabe unter:wileyonlinelibrary.com

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1960 1970 1980 1990 2000 2010

Anz

ahl

Nutzlastmissionsbezogene Nutzlastobjekte

NutzlastfragmenteRaketenstufen

missionsbezogene RaketenteileRaketentrümmer Iridium-33/

Cosmos-2251 #

Feng Yun 1C #

A B B . 1 H I S TO R I S C H E E N T W I C K LU N G

Historische Entwicklung der vom US Space Surveillance Network (SSN) katalogisier-ten Objekte (größer als 10 cm) in Erdumlaufbahnen.

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nach einem Weltraumaufenthalt zur Erde zurückgeholt wer-den (Abbildung 3).

Vergleicht man die Anzahl der sich im Orbit befindli-chen Satelliten mit den insgesamt gestarteten, so zeigt sich,dass etwa 75 % dieser Großobjekte abgestürzt sind. Dies istin erster Linie eine Folge des Luftwiderstands in der Rest-atmosphäre bei erdnahen Satellitenbahnen. Dabei verliertder Körper kinetische Energie, und die Bahnhöhe nimmt ab,bis er letztlich abstürzt. Die beim Wiedereintritt freigesetz-te Energie pro Zeiteinheit kann bei Großobjekten wie derRaumstation Mir der Leistung eines Kernkraftwerks ent-sprechen. Trotz der starken Aufheizung und Abbremsungmit einhergehendem Zerfall kann etwa 20 % bis 40 % derursprünglichen Masse eines größeren Satelliten auch dieErd oberfläche erreichen.

Erfassen und katalogisierenDer derzeit existierende Weltraummüll wird abhängig vonder Bahnregion und der Objektgröße mit unterschiedlichenVerfahren beobachtet. Bodengebundene Radargeräte undTeleskope sind am wichtigsten. Mit Radaren verfolgt manin erster Linie Objekte bis in etwa 2000 km Höhe. Manspricht hier von erdnahen Umlaufbahnen (Low Earth Or-bits, LEO). Teleskope sind von Vorteil zur Beobachtung vonObjekten nahe des geostationären Orbits (GEO) in Bahn-höhen von 35 786 ± 2000 km. Den dazwischen liegende Be-reich (Medium Earth Orbits, MEO) decken beide Instru-menttypen ab.

Radare haben den Vorteil, dass sie unabhängig von Wet-terbedingungen und auch nachts beobachten können. IhrNachteil ist die erforderliche Leistung, um ein Ziel anzu-strahlen und ein ausreichend starkes Echo zu empfangen.Die vom Radar emittierte Leistungsdichte pro Flächenein-heit reduziert sich durch die Ausbreitung auf einer Kugel-schale mit 1/r2 sowohl auf dem Weg zum Zielobjekt hin alsauch auf dem Rückweg zum Empfänger. Die erforderlicheSende- und Empfangsempfindlichkeit zur Erfassung einesObjekts im Abstand r ist also proportional zu r4.

Bei Teleskopbeobachtungen nutzt man dagegen dieFremdbeleuchtung des Objekts durch die Sonne, währendsich das Teleskop im Erdschatten befinden sollte. DieFlächendichte der reflektierten Photonen reduziert sichwiederum mit 1/r2 auf dem Weg zum Teleskop, so dass des-sen Empfindlichkeit im Gegensatz zum Radar nur propor-

tional zu r 2 sein muss, um ein Objekt in der Entfernung rzu detektieren.

Das leistungsfähigste Weltraumüberwachungssystem istdas bereits erwähnte US Space Surveillance Network (USSSN). Es umfasst ein weltweites Netzwerk von bodenge-bundenen Radaren und Teleskopen, die aufeinander abge-stimmt sind, um neue Objekte zu finden und bekannte Ob-jekte erneut zu erfassen und zu verfolgen. Dabei werdenneue Bahnen bestimmt und bekannte Bahnen verbessert.Darüber hinaus wird jedes Objekt auf seinen Ursprungzurückverfolgt. Erst nach dieser Korrelation und nach derZuweisung einer Katalognummer gelangt das Objekt in ei-nen Bahnkatalog. Der US-SSN-Katalog umfasst derzeit 15 655korrelierte und etwa weitere 6000 unkorrelierte Objekte.Korrelierte Objekte sind auf ein Freisetzungsereignis zurück-führbar, und sie haben eine aus Beobachtungen definierteBahn. Unkorrelierte Objekte haben (zunächst) nur eine de-finierte Bahn, lassen sich jedoch (noch) nicht auf einen Ur-sprung zurückführen. Die minimal beobachtbare Objekt-

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Am 21. Januar 2001 fiel in Saudi Arabien ein Teil der dritten Stufe einer Delta-2-Rakete vom Himmel. Die Rakete war 1993 gestartet und hatte die dritte Stufe aufeiner elliptischen Bahn abgestoßen, auf der ihr Abstand zur Erde zwischen 180 kmund 20 000 km schwankte. Durch den Luftwiderstand sank die Stufe immer weiterab, bis sie schließlich abstürzte (Foto: NASA Orbital Debris Program Office).

TA B . 1 BA H N V E R T E I LU N G

LEO 1983 6171 1293 2528 11975MEO 274 43 81 7 405GEO 817 7 182 6 1012andere 356 316 773 818 2263Summe 3430 6537 2329 3359 15655LEO: erdnahe Bahnen, MEO: mittlere Erdbahnen, GEO: geostationäre Bahnen, andere: hoch exzentrische Bahnen und Bahnen jenseits von GEO.

Bahnen Satelliten Raketenstufen Summeintakt fragmentiert intakt fragmentiert

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größe ergibt sich aus der Leistungsfähigkeit der SSN-Senso-ren und aus den abzudeckenden Bahnregionen. Die Grenz-größe für Katalogobjekte liegt etwa bei 10 cm im erdnahenBereich und etwa 1 m im geostationären Orbit.

Neben routinemäßigen, operationellen Weltraumüber-wachungssystemen gibt es zahlreiche eigenständige, expe-rimentelle Radare und Teleskope. Sie erheben nicht denAnspruch einer globalen, zeitnahen Erfassung. Insofern kön-nen sie die Gesichtsfelder ihrer Sensoren einschränken, umeine höhere Empfindlichkeit zu erzielen. Auf diese Weise ar-beitet auch das deutsche TIRA-Radar (Tracking and ImagingRadar) in Wachtberg bei Bonn. Mit seiner 34-m-Parabolan-tenne kann es in 1000 km Entfernung Objekte bis herunterzu 2 cm Durchmesser nachweisen. Unter Zuhilfenahme der100 m großen Empfangsantenne des 21 km entfernten Ra-dioteleskops in Effelsberg erhöht sich die Detektionsfähig-keit auf etwa 1 cm. Die leistungsfähigsten Radare in denUSA können in niedrigen Erdbahnen Objekte bis zu 2 mmGröße detektieren. Auch experimentelle Teleskope sindihren operationell betriebenen Gegenstücken häufig über-legen. So lassen sich mit dem auf Teneriffa befindlichenESA-Teleskop (Spiegeldurchmesser 1 m) im geostationärenOrbit noch Körper bis herunter zu einer Größe von 15 cmnachweisen.

Das MASTER-ModellBei den erwähnten Verfahren zur Bestimmung der Popula-tion unterhalb der Grenzgrößen des SSN-Katalogs profitiertman davon, dass die Anzahl der Objekte in Erdumlaufbah-nen mit abnehmender Teilchengröße nahezu exponentiellzunimmt (Tabelle 2). Die Wahrscheinlichkeit P eines Ein-schlags für eine gegebene Grenzgröße des Weltraummüllsergibt sich daraufhin aus der mittleren Relativgeschwin-digkeit Δv, der Aufenthaltsdauer Δt, dem Kollisionsquer-schnitt A des Zielobjekts sowie der räumlichen Teilchen-dichte D der Raumfahrtrückstände zu

P = Δv ·D ·A ·Δt. (1)

Dabei ist F = Δv ·D der Kollisionsfluss (in m–2 s–1) und Φ = Δv ·D ·Δt die Fluenz (in m–2). Der Ausdruck V =Δv ·A ·Δt entspricht dem im Zeitraum Δt von der Fläche Aüberstrichenen Volumen. Die Wahrscheinlichkeit P hat dar-aufhin die Dimension 1. Bei der Herleitung dieser Gleichungwurden Prinzipien der allgemeinen Gastheorie zugrundegelegt. Tabelle 3 zeigt Kollisionswahrscheinlichkeiten fürrepräsentative Erdumlaufbahnen als mittlere Zeit intervallezwischen zwei Aufschlägen für vorgegebene Teilchen-größen.

Mit der kontinuierlichen SSN-Kataloghistorie und einerVielzahl von räumlich und zeitlich begrenzten experimen-tellen Messungen von kleinen Teilen steht mittlerweile einumfangreiches Mosaik von Daten zur Verfügung. Damit lässtsich ein mathematisch-physikalisches Modell entwickeln,das dieses Mosaik zu einem Gesamtbild der zeitlichen undräumlichen Verteilung der Raumfahrtrückstände über allerelevanten Größenbereiche vervollständigt. Zu diesemZweck wurde unter Federführung der TU Braunschweigdas MASTER-Modell der ESA entwickelt (Meteoroid and Spa-ce Debris Terrestrial Environment [5]). Es reproduziert aufder Basis von bekannten Starts, Freisetzungsereignissen undFragmentationen, beginnend bei Sputnik-1, eine kompletteHistorie der dreidimensionalen, zeitlich veränderlichen Ver-

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Abb. 2 Momentaufnahme im Jahr 2008 der vom US Space Surveillance Network(SSN) katalogisierten Objekte (größer als 10 cm) in Erdumlaufbahnen (Computerdar-stellung: ESA).

Abb. 3 Einschlagskrater auf einem der Solarpanels desWeltraumteleskops Hubble (Foto: ESA)

TA B . 2 U R SAC H E N

LMRO (intakt) 31120 5827 5814 4173Explosionen 1,53 · 107 433466 14719 432Kollisionen 4,46 · 106 92677 2927 63MLI 22241 15790 5750 773Na/K Tropfen 30162 18410 – –Al2O3 Schlacke 1,39 · 108 177914 – –Auswurfmaterial 8,00 · 106 – – –Summe 1,66 · 108 744084 29210 5441LMRO: missionsbedingte Objekte (Adapter etc.), MLI: Multilayer-Isolierung.

Teilchenursprung Teilchengröße> 1 mm > 1 cm > 10 cm > 1 m

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teilung von Raumfahrtrückständen größer als 1 µm in Bahn-höhen bis hin zum geostationären Ring. Dabei werden Frei-setzungen, Explosionen und Kollisionen durch mathemati-sche Ansätze modelliert, die zum einen auf physikalischenPrinzipien beruhen und zum anderen durch Experimenteverifiziert wurden. Jedes dieser modellierten Ereignisse trägtzur Gesamtheit der Population bei. Durch den Abgleich mitverfügbaren Beobachtungsdaten können einzelne Beiträgewährend der Modellentwicklung kalibriert werden.

Das MASTER-Modell beruht auf quasideterministischenPrinzipien. Jedem generierten Objekt werden eine Markie-rung sowie Eigenschaften wie Masse, Querschnittsflächeund eine Anfangsbahn zugeordnet. Jede dieser Bahnen wirdmit allen relevanten Störungen wie Erdabplattung, Luftwi-derstand, solarer Lichtdruck und gravitativer Einfluss vonSonne und Mond bis zu einer Referenzepoche oder bis zumAbsturz berechnet. Die einzelnen Beiträge der Objekte zurräumlichen Dichte- und Geschwindigkeitsverteilung überden modellierten Zeitraum können später wieder abgeru-fen werden. Somit lässt sich beispielsweise der Kollisions-fluss für eine vorgegebene Zielbahn ermitteln und mit ei-nem hohen Informationsgehalt darstellen (Tabelle 3). Je-den einzelnen Beitrag zu diesem Kollisionsfluss kann manauf einzelne Objekte zurückverfolgen.

Neben etwa 250 Zerlegungsereignissen, meist Explo-sionen (Abbildung 4), berücksichtigt das MASTER-Modellnoch weitere Ursachen von Freisetzungen im Orbit. Dazugehören rund 1100 Zündungen von Feststoffmotoren zumEinschuss von Satelliten sowie 600 weitere Feststoffmotor-zündungen zum kontrollierten Wiedereintritt von Fotoauf-klärungssatelliten und deren Filmkapseln. Diese Motorenverwendeten zur Schuberhöhung Aluminiumpulver alsTreibstoffzusatz. Es erzeugt während des Abbrands Al2O3-Staubteilchen von weniger als 0,1 mm Größe. Zum Ende desBrennvorgangs bilden jedoch viele FeststoffmotorenSchlacke aus zusammengefügten Al2O3-Partikeln, vermengtmit Auskleidungsmaterial des Motors. Diese Schlacketeilekönnen bis zu einige Zentimeter groß werden.

Eine weitere Quelle von Raumfahrtrückständen bildenTropfen aus einer Natrium-Kalium-Legierung, die russischenRORSATs (Radar Ocean Reconnaissance Satellites) als Kühl-mittel für ihre Kernreaktoren diente. Von 31 RORSAT-Mis-sionen zwischen 1977 und 1988 haben 16 ihren Reaktorkernabgestoßen, nachdem sie auf etwa 950 km hohe Deponie-

bahnen verbracht wurden. Bei dieser Kernabstoßung wur-de das NaK-Kühlmittel des Primärkühlkreislaufs freigesetzt,wobei sich metallische Kugeln von bis zu 5 cm Durchmes-ser bildeten. Weitere Beiträge zu Raumfahrtrückständenstammen von abgelösten Farbpartikeln und ther mischen Iso-lationsfolien von Oberflächen sowie von Materialauswurfbei Einschlägen, meist von Submillimeterpartikeln. Die An-teile verschiedener Quellen an der Höhenverteilung der räum lichen Dichte von Raumfahrtrückständen für verschie-dene Grenzgrößen zeigt Abbildung 5.

Risiken verringern – Zuwachsraten eindämmenDurch die im Weltraum befindlichen Raumfahrt rückständeergeben sich schwerwiegende Risiken für den Betrieb ope-

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TA B . 3 E I N S C H L AG S WA H R S C H E I N L I C H K E I T

ISS 360 km, 51,6° 9,0 T 636 J 41102 J 942507 JERS 780 km, 98,5° 0,7 T 42,5 J 1252 J 43783 JGlobalstar 1400 km, 52,0° 1,7 T 102 J 9208 J 126550 JGPS 20000 km, 55,0° 244,8 T 10794 J 1,1 · 107 J 7,2 · 108 JGEO 35786 km, 0,1° 676,3 T 18674 J 6,5 · 106 J 1,4 · 108 JMittlere Zeitspanne zwischen zwei Einschlägen von Raumfahrtrückständen verschiedener Größenklassen auf eine Kugel von 1 m2 Querschnitt, in Abhängigkeit der Bahn des Zielobjekts (T: Tage, J: Jahre).

Satellit Bahnhöhe und TeilchengrößeBahnneigung > 0,1 mm > 1 mm > 1 cm > 10 cm

Abb. 4 a) Ausbreitung einer Trümmerwolke unmittelbar nach einer Explosion imOrbit; b) nach einem Tag (Gleichverteilung entlang der Bahn), c) nach einigenMonaten (Beginn der Verteilung senkrecht zur Bahn), d) nach einigen Jahren(gleichförmige Verteilung der Bahnebenen).

a) b)

c) d)

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rationeller Satelliten. Müllobjekte größer als etwa 10 cmsind bei typischen Relativgeschwindigkeiten auf erdnahenBahnen von 10 bis 14 km/s in der Lage, einen Satellitenoder eine orbitale Raketenstufe vollständig zu zerlegen. Da-bei werden Hunderte bis Tausende von Objekten generiert,die ihrerseits wiederum katastrophale Zerlegungen verur-sachen können.

Derzeit geht man von 29 000 solch hoch riskanten Objekten aus. Reduziert man die Grenzgröße der Objekteauf 1 cm, so nimmt deren Anzahl auf etwa 744 000 zu (Ta-belle 2). Der Einschlag eines solchen Objekts größer als1 cm in LEO-Bahnen kann das Missionsende eines opera-tionellen Satelliten herbeiführen. Die sich dabei entfalten-de kinetische Energie entspricht dem Aufprall eines Mittel-klasseautos bei 50 km/h auf eine Betonwand. Reduziertman die Größe der berücksichtigten Raumfahrtrückständeauf 1 mm, so wächst deren Anzahl auf etwa 170 Millionen.Derartige Objekte können wichtige Satelliten-Subsysteme

wie Bahn-Lage-Kontrolle, Energieversorgung oder Kommu-nikation nachhaltig schädigen. Deshalb können auch so klei-ne Teile eine Satellitenmission stark beeinträchtigen odergar beenden.

Um das Risiko durch Raumfahrtrückstände gering zuhalten, bietet sich ein mehrstufiger Ansatz an: 1) aktive und passive Schutzmaßnahmen für operationel-

le Satelliten, 2) Reduktion des Zuwachses von Raumfahrtrückständen

und 3) Entfernung von Weltraummüll aus Bahnregionen mit

kritischen Konzentrationen.Unter aktiven Schutzmaßnahmen versteht man in erster Li-nie das Vermeiden von Kollisionen zwischen aktiven,manövrierbaren Satelliten und bekannten, katalogisiertenObjekten. Dafür muss man ständig Starttrajektorien und Sa-tellitenbahnen auf riskante Annäherungen von Katalogob-jekten prüfen. Die Bahnen operationeller Satelliten werdenim Allgemeinen über Zeiträume von bis zu sieben Tagenauf nahe Vorbeifüge von Katalogobjekten untersucht. Diesgeschieht für alle 15 655 bekannten Objekte mit Hilfe ver-schiedener Filteralgorithmen. Das Kollisionsrisiko für einegegebene Annäherung ergibt sich aus der Vorbeifluggeo-metrie (wobei der radiale Abstand besonders kritisch ist) so-wie aus den Bestimmungsgenauigkeiten beider Bahnen. Un-terschreitet die Vorbeiflugdistanz einen vorgegebenenSchwellenwert, oder überschreitet die Kollisionswahr-scheinlichkeit einen gegebenen Grenzwert, so kann dies zueinem Ausweichmanöver führen. Diese Grenzwerte sindmissionsabhängig. Die Internationale Raumstation (ISS)musste bislang 14 Ausweichmanöver fliegen, der Fern -erkundungssatellit ENVISAT der ESA zehn. Ähnliche Stati-stiken gibt es für die Satellitenflotten der NASA und natio-naler europäischer Raumfahrtagenturen.

Das Risiko für Teilchen unterhalb der Erfassungsgrenz-größe des SSN kann nur durch passive Schutzmaßnahmeneingegrenzt werden. Die derzeit effizientesten Vorkehrun-gen dieser Art sind sogenannte Whipple-Schilde. Sie schüt-zen die bemannten Module der ISS vor den Folgen von Ein-schlägen durch Objekte von bis zu 1,4 cm Durchmesser. DerWhipple-Schild besteht im Wesentlichen aus zwei Alumini-umblechen in etwa 11 cm Abstand, wobei das äußere2,5 mm und das innere 4,8 mm dick ist. Bei einem Trefferauf den äußeren Schild zerplatzt das einschlagende Objekt,so dass der zweite Schild die entstehende Partikelwolke we-gen ihrer lateralen Zerstäubung und ihrer zeitlich gestaffel-ten Einschlagzeit aufhalten kann. Durch das Einbringen ei-ner „kugelsicheren Weste“ in Form von 4 mm Nextel- und6 mm Kevlar-Folien zwischen den Aluminiumblechen re-duziert sich zudem die Geschwindigkeit der Partikelwolke,was die Schutzwirkung verstärkt.

Es genügt jedoch nicht, das Risiko in der existierendenUmgebung des Weltraummülls zu reduzieren, sondern wirmüssen auch den Ursachen des Problems auf den Grund ge-hen. Der erste Schritt in diese Richtung ist eine Reduzierungder Zuwachsraten, indem man die wichtigsten Quellen ein-

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1000 10000

räum

l. D

icht

e/k

m–3

Höhe / km

Expl FragCol Frag

LMROMLI

Total

A B B . 5 R Ä U M L I C H E D I C H T E

Räumliche Dichte der Objekte größer als 10 cm nach demESA-Modell MASTER-2009 als Funktion der Bahnhöhe, für allebeitragenden Objektquellen (LMRO: intakte Objekte, Frag.:Explosions- und Kollisionsfragmente, MLI: abgelöste thermi-sche Isolationsfolien).

TA B . 4 E N T F E R N U N G VO N W E LT R AU M M Ü L L

Solarsegel LEO, MEO, GEO > 1 mmagnetisches Segel LEO, MEO, GEO > 1 mAntriebsmodule zur Bahnänderung LEO, MEO, GEO > 1 mAbschleppsatelliten LEO, MEO, GEO > 1 mModule zur Luftwiderstandserhöhung LEO > 10 cmImpulsübertragung durch Seile LEO, GEO > 10 cmLeitende, elektrodynamische Seile LEO > 10 cmFlugzeug-gestützte Laser LEO < 10 cmSatelliten-gestützte Laser LEO, MEO, GEO < 10 cmBoden-gestützte Laser LEO < 10 cm(Quelle: NASA/JSC).

Beseitigungsprinzip Höhenbereich Teilchengröße

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dämmt. Die folgenden Maßnahmen haben sich, bestätigtdurch Simulationen der Müllumgebung, als effizient erwiesen:• Reduzierung missionsbezogener Objekte (LMRO). Das

sind zusätzlich freigesetzte Bauteile einer Mission, außerdem Satelliten selbst und der orbitalen Einschussstufe.Dazu zählen Adapter, Abdeckkappen, Spannbändernusw. Sie machen 5,5 % des SSN-Katalogs aus.

• Begrenzung der Verweilzeit von Satelliten und Ein-schussstufen nach Missionsende (Ursache von 24,5 %des SSN-Katalogs). Dafür bringt man einen Satelliten mitdem Resttreibstoff von einer erdnahen Bahn in eineniedrigere Bahn mit einer Restlebensdauer von weni-ger als 25 Jahren. Satelliten im geostationären Orbit wer-den auf 300 km höhere Friedhofsbahnen befördert.

• Vermeidung von Explosionen im Orbit (Ursache von52 % des SSN-Katalogs). Dies erreicht man, indem manlatente Energiespeicher nach Ende einer Mission ent-fernt. Dazu zählt das Ablassen von Treibstofftanks undDruckgasbehältern, das Entladen von Batterien, Dreh-zahlreduktion von Drallrädern und anderes.

• Vermeidung von Kollisionen im Orbit (Ursache von12 % des SSN-Katalogs). Hierfür gleicht man die Bahnenoperationeller Satelliten gegen Bahnen von SSN-Kata-logobjekten ab und führt gegebenenfalls Ausweich-manöver durch.

Die verbleibenden 6 % des SSN-Katalogs umfassen die etwatausend operationellen Satelliten, von denen die Mehrzahlmanövrierfähig ist

Ein solcher Maßnahmenkatalog wurde von den techni-schen Experten des IADC ausgearbeitet und von einer Ar-beitsgruppe in rechtlich nicht bindende UN-Richtlinienübertragen [2, 3]. Ähnliche, oft auch weitergehende Maß-nahmen haben viele nationale und internationale Raum-fahrtagenturen in interne Richtlinien, verbindliche Anwei-sungen oder auch nationale Raumfahrtgesetze umgesetzt.Heute besteht weitgehende Übereinstimmung unter Raum-fahrt treibenden Nationen, dass das Vermeiden von Raum-fahrtrückständen eine notwendige Maßnahme darstellt.

ZukunftsszenarienDa Satelliten, Weltraumteleskope und die ISS schon heuteunter dem Weltraummüll leiden, ist es durchaus sinnvoll, dielangfristige Entwicklung abzuschätzen. Hierfür legt man diederzeitige Objektpopulation zugrunde und macht innerhalbeines bestimmten Rahmens Annahmen über Start-, Freiset-zungs- und Explosionsereignisse. Bei solchen langfristigenPrognosen über Zeiträume von 100 bis 200 Jahren werdenzusätzlich atmosphärische Wiedereintritte berücksichtigtsowie Kollisionen generiert, deren statistische Häufigkeitmit der zeitlich anwachsenden Objektdichte in verschie-denen Höhenschalen eng verknüpft ist (Gleichung 1).

Derartige Vorhersagen erlauben eine Analyse der „Sy-stemantwort“ der Müllumgebung auf steuerbare Einfluss -größen. Eine solche Einflussgröße ist die Müllvermeidungim Weltraum, deren extremste Form darin bestände, alleRaumfahrtaktivitäten komplett einzustellen. Selbst unter

diesen Umständen zeigt es sich (Abbildung 6), dass in man-chen Bahnhöhen die bereits vorhandene Objektdichte unddas dazu gehörige Massereservoir ausreichen, um eine Ket-tenreaktion auszulösen: Kollisionen generieren Fragmente,die ihrerseits eine ausreichende Masse haben, um weiterekatastrophale Zerlegungen von großen, intakten Objektenzu verursachen. Die Rate der Kollisionen nimmt dabei mitfortschreitender Vorhersagezeitspanne zu, bis schließlichauch kleine, bereits aus Zusammenstößen hervorgegange-ne Objekte untereinander kollidieren.

In sehr ferner Zukunft werden dann die verbleibendenFragmente auf solch kleine Größen zermahlen, bis sie eineunterkritische Masse erreichen und kein Risiko mehr dar-stellen. Bei dem fortschreitenden Zermahlen der Bruch-stücke wächst das Verhältnis von Querschnitt zu Masse um-gekehrt proportional zum Durchmesser. Deshalb sind dieFragmente dann verstärkt den Kräften von Luftwiderstandund Solardruck ausgesetzt, die gemeinsam die Bahnlebens-dauer auf erdnahen Orbits verringern. Ein solcher Selbst-reinigungsprozess des erdnahen Weltraums würde sich je-doch über Hunderte oder gar Tausende von Jahren hinzie-hen. Insofern stellt er keine praktikable Option dar, um dielangfristige Nutzung des Weltraums zu sichern.

„Müllabfuhr“ im AllDie Möglichkeit des unkontrollierbaren, zahlenmäßigen Zu-wachses des Weltraummülls, selbst bei Unterdrückung allerexternen Masseeinträge, postulierte bereits vor 20 Jahrender NASA-Wissenschaftler Don Kessler. Das Phänomen derKollisionskettenreaktion ist daher auch unter dem NamenKessler-Syndrom bekannt. Es zeigt sich, erneut aufgrundvon langfristigen Vorhersagen, dass die einzig verlässlicheMethode zur Stabilisierung der Weltraummüllumgebungdarin besteht, orbitale Masse zu entfernen. Es ist dieses Mas-

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Kollisionsfragmente

Explosionsfragmente

Totalintakte+missionsbezogene Qbjekte Increased baseline

of~2500 objects

16000

14000

12000

10000

8000

6000

4000

2000

01950 1990 2030 2070 2110 2150 2190

Jahr

Que

lle: N

ASA

LEO

-Obj

ekte

>10

cm

A B B . 6 PRO G N OS E

Langfristige Prognose der erdnahen Objekte größer als 10 cm, unterschieden nachihrem Ursprung, unter der Annahme keiner weiteren Starts nach 2009 (gestrichelteLinien berücksichtigen den chinesischen Antisatelliten-Test im Jahr 2007).

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sereservoir, besonders in erdnahen Bahnen zwischen800 km und 1000 km Höhe, das die Kollisionskettenreakti-on entfacht und aufrecht erhält.

Wir müssen also einerseits Müll vermeiden (Space De-bris Mitigation). Das betrifft alle aktive Satelliten und derenStartsysteme (etwa 6 % des SSN-Katalogs). Andererseits müs-sen wir uns bei der die Müllentfernung (Space Debris En-vironment Remediation) in erster Linie auf intakte, jedochnicht mehr funktionstüchtige Satelliten und orbitale Ein-schussstufen konzentrieren (20,5 % des SSN-Katalogs). Diese machen etwa 75 % der orbitalen Gesamtmasse von6300 Tonnen aus.

Bei der aktiven Müllentfernung aus erdnahen Bahnengeht es darum, große, schwere Objekte direkt zu entfernen,oder deren Bahnlebensdauer auf irgendeine Art zu redu-zieren, so dass sie möglichst frühzeitig in die Erdatmosphä-re eintreten. Die meisten der sich anbietenden Verfahren er-fordern die Annäherung an ein größeres Müllobjekt durcheinen Servicesatelliten. Zur Entfernung bieten sich dannverschiedene physikalische Prinzipien an (Tabelle 4): • Querschnittsvergrößerung durch das Anbringen von

entfaltbaren Strukturen („Segeln“), um den Luftwider-stand und/oder den solaren Lichtdruck zu vergrößern.

• Anbringen von Feststoffmotoren, um das Objekt abzu-bremsen und die Bahnhöhe zu verringern (mit einher-gehender Luftwiderstandserhöhung).

• Anbringen eines leitenden Seils. Da der Körper sichdurch das Erdmagnetfeld bewegt, würde eine der Bahn-bewegung entgegengesetzte Lorentz-Kraft entstehenund ihn abbremsen. Damit ließe sich die Bahnlebens-dauer in 1000 km Höhe von mehr als 1000 Jahren aufeinige Monate reduzieren.

• Herstellung einer Seilverbindung zwischen dem Servi-cesatelliten und dem Müllobjekt. Wenn sich beide Kör-per in unterschiedlichen Höhen mit unterschiedlichenBahngeschwindigkeiten bewegen, führt dies zu einemImpulsaustausch. Trennt man die Seilverbindung zumrichtigen Zeitpunkt, so wird dadurch die Bahn des Müll -objekts abgesenkt und dessen Lebensdauer reduziert.

• Bei einer Seilverbindung könnte der Servicesatellit dasMüllobjekt auch auf eine Deponiebahn abschleppen(beispielsweise für geostationäre Satelliten). Ein solcherServicesatellit ließe sich nach dem Abtrennen des Seilsauch mehrfach einsetzen (Abbildung 7).

Bei der Anwendung dieser Verfahren gilt es darauf zu ach-ten, dass trotz der Entsendung spezieller Servicesatelliten ei-ne Nettoabnahme der Gesamtmasse erzielt wird. Insofernsind Serviceplattformen vorzuziehen, die eine Mehrfach-nutzung erlauben.

Geeignete Zielgebiete für die Entsendung von Müllent-fernungssatelliten lassen sich eingrenzen durch Metrikenzur Beschreibung des Kessler-Syndroms. So ist diejenigeLEO-Bahnregion besonders geeignet, die für alle darin be-findlichen Müllobjekte die Summe über das Produkt ausdem Kollisionsfluss aller Teilchen größer als 10 cm, demKollisionsquerschnitt, der Kollisionsmasse und der mittlerenBahnlebensdauer maximal werden lässt. Eine solche Bahn-region liegt in einer Höhenschale von 825 ± 25 km bei ei-ner Bahnneigung zum Äquator von 71 ± 1°. Hier findensich unter anderem 16 zweite Stufen von russischen Ze-nith-2-Raketen mit jeweils 8900 kg Trockenmasse und 33 m2

Querschnittsfläche sowie 15 russische Kosmos-Satellitenmit jeweils 3200 kg Trockenmasse und 6 m2 Querschnitts-fläche. Die Bahnlebensdauern liegen hier bei etwa 700 Jah-ren.

Eine Analyse mit den langfristigen Vorhersageprogram-men führt zu dem Ergebnis, dass fünf bis zehn nicht mehrfunktionstüchtige Satelliten oder Oberstufen pro Jahr ent-fernt werden müssen, um die Umgebung des Weltraummüllszu stabilisieren – vorausgesetzt, die dazugehörigen Maß-nahmen beginnen in näherer Zukunft.

Alle Lösungsvorschläge zur Entfernung von Weltraum-müll bedürfen jedoch noch eingehender Machbarkeitsstu-dien und weitergehender technischer Entwicklungen. Dar-über hinaus gilt es noch rechtliche Fragestellungen zuklären, die der nationenübergreifenden Entfernung vonRaumfahrtmüllobjekten entgegenstehen. Abschließend ste-hen einer globalen Lösung des Problems auch ökonomi-sche Aspekte im Wege. All diese Hürden gilt es innerhalbeiner überschaubaren Zeitspanne zu überwinden, um denBeginn einer irreversiblen Kollisions-Kettenreaktion in erd-nahen Bahnen in einer frühen Phase zu unterbinden.

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I N T E R N E T |Radaranlage TIRAwww.fhr.fraunhofer.de/fhr/fhr_c589_de.html

NASA Orbital Debris Program Officeorbitaldebris.jsc.nasa.gov

Separation

Separation

TransportEinfang

UntersuchungnächstesZiel

GTO

GEO

Abb. 7 Entfernung von Raumfahrtrückständen aus dem geostationären Bahn -bereich durch Abschleppsatelliten mit seilgebundenen Fangnetzen (Quelle: EADSAstrium).

Page 8: Eine Gefahr für die Raumfahrt : Weltraummüll

W E LT R A U M M Ü L L R A U M F A H R T

ZusammenfassungMehr als 50 Jahre Raumfahrt haben in einigen erdnahenBahnregionen zu kritischen Konzentrationen sowohl in derAnzahl als auch in der Masse von Raumfahrtrückständen ge-führt. Im Februar 2009 kam es zu einer ersten Kollision zwi-schen zwei Satelliten (Iridium 33 und Kosmos 2251). DiesesEreignis lag im Erwartungsbereich von vorherigen Prognosen,die eine zunehmende Anzahl von Kollisionen zwischen mas-sereichen Objekten als Vorboten einer Kollisions-Kettenreak-tion im erdnahen Weltraum interpretieren. Um einer solchenEntwicklung entgegen zu wirken bedarf es der aktiven Ent-fernung von nicht mehr funktionstüchtigen Satelliten und Ra-ketenoberstufen, die etwa 75 % der im Orbit befindlichen Mas-se ausmachen.

StichworteRaumfahrtrückstände, Weltraummüll, Kollisionsvermeidung,Abschirmung, atmosphärischer Wiedereintritt, Vermeidungund Rückführung von Raumfahrtrückständen.

Literatur[1] H. Klinkrad, Space debris – models and risk analysis. Springer-Verlag,

Heidelberg 2006.[2] Anonymous, UNCOPUOS space debris mitigation guidelines.

A/RES/62/217, UNCOPUOS Scientific & Technical Sub-Committee,2009; www.oosa.unvienna.org/pdf/limited/c1/AC105_C1_L284E.pdf.

[3] Anonymous, IADC space debris mitigation guidelines. IADC-02-01,rev.1, 2002; www.iadc-online.org/index.cgi?item=docs_pub.

[4] J. C. Liou, N. L. Johnson, Acta Astronautica 2008, 64, 236.[5] S. Flegel, Update of the ESA MASTER Model. Endbericht, ESA Studie

21705/08/D/HK, April 2011.

Der AutorHeiner Klinkrad ist Leiter der Abteilung Raumfahrt -rückstände der Europäischen RaumfahrtagenturESA am Zentrum für den Satellitenbetrieb (ESOC) inDarmstadt und Honorarprofessor an der TUBraunschweig.

AnschriftProf. Dr.-Ing Heiner Klinkrad, Space Debris Office,ESA/ESOC, Robert-Bosch-Straße 5, 64293 Darmstadt. [email protected]

Webseitewww.esa.int/esaMI/Space_Debris

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