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ensemble amarcord
Im Dialekt jener schönen italienischen
Region Emilia-Romagna, der der Rest
der Welt echten Parmesan und
Parmaschinken verdankt, heißt
amarcord „Ich erinnere mich“; Fellinis
gleichnamiger Streifen aus dem Jahr
1973 ist eines der liebenswertesten
Werke eines großen Filmmagiers. Mit
ganz neuem sphärischen Wohlklang
erfüllt wurde der Name von ehemaligen
Mitgliedern des Leipziger
Thomanerchores anno 1992 ––
Geburtsjahr des ensemble amarcord,
das heute zu den weltweit besten
Vokalensembles zählt. Doch es kommt jenes geflissentliche „weltweit“ nicht von
ungefähr, sondern ganz aus dem Innern der fünf Sänger: aus ihrem
gemeinsamen Atem, aus ihren Träumen, aus der Phantasie und der Sehnsucht
nach Arkadien. Denn vor jeder Reise stehen Traum und Sehnsucht; auf dem Weg
bedarf es tieferen Sehens und Wissens. Mit alledem, noch dazu mit dem Talent
des Schenkens, sind die fünf Weltreisenden Wolfram Lattke, Robert Pohlers,
Frank Ozimek, Daniel Knauft und Holger Krause großzügig ausgestattet.
Immer unterwegs –– natürlich nicht ausschließlich, um in die Ferne zu schweifen
––, haben sie mittlerweile 50 Länder kennengelernt, sind durch musikalische
Stile, Genres und Zeiten gewandert (oder auch mal gesprungen) und haben die
zahllosen Geheimnisse der menschlichen Stimme erkundet. Selbst in der guten
alten Neuen Welt werden sie alljährlich herzlich empfangen und kennen sich in
einigen Gegenden der Vereinigten Staaten mittlerweile fast so gut aus wie in
ihrer Westentasche. Die ostdeutschen Gesangsakrobaten trotzen Jetlag und
Höhenkoller, sie scheuen nicht Kulturschock noch polyglotte Verwirrnisse, keine
Fata Morgana vermag sie zu foppen…… Sie steigen allerorten auf höchste Gipfel,
tauchen tief hinab und schärfen ihren Blick für kleine wie große Details.
Unterwegs mit Noten- Lupe, -Fernglas und Sonnenbrille, entdecken sie Neues
oder auch Altes, was bisher übersehen wurde, sie untersuchen weiße Flecken auf
feinste Pigmente, wagen sich mutig auf unbekanntes Terrain, leuchten oft auch
den letzten Winkel aus, um im nächsten Moment ihren Blick wieder kühn in weite
Fernen schweifen zu lassen.
Und dann berichten sie davon, auf ihre unnachahmliche Weise, als ob jemand
mit einer Stimme sänge, dabei aber den klanglichen Reichtum eines ganzen
Orchesters zu intonieren vermag. Mit schlichtweg perfekter Abstimmung von
Phrasierung, Aussprache und Dynamik, als seien sie seit jeher füreinander
bestimmt, loten sie die ganze Skala an Ober- und Zwischentönen von knallhart
bis samtweich, von witzig-charmant bis aphrodisierend lasziv aus, um im
nächsten Moment das Auditorium mit einem unglaublich reinen Akkord
widerstandslos verzaubern oder zu Tränen rühren zu können. Seien es
komödiantische Eskapaden, gespickt mit Grimassen und Geräuschen, seien es
tiefernste Ausflüge in die geheimnisvolle, archaische Welt des einstimmigen
Gesangs: Das Publikum reist mit und erlebt die Abenteuer des Ensembles als
seine eigenen. Kann schon mal passieren, dass die einen noch auf Wolken
schweben, während die andern schon längst dahin geraten sind, wo der Pfeffer
wächst. So wird eine Konzert-Reise mit dem ensemble amarcord stets aufs neue
zu einem kleinen Mirakel, ob sie sich nun im Musiksalon oder in der Fabrikhalle
vollzieht, im Kulturhaus, Stadion, Palazzo oder in der Kathedrale.
Damit ihre Erzählungen sich nicht irgendwo im virtuosen Miteinander verlieren,
verwenden die fünf Männer einen Großteil ihrer Bemühungen auf die
Abstimmung der Reiseziele, auf eine ebenso vielseitige wie spannungsreiche
Programmgestaltung mit klarem Fokus auf veränderliche Kontraste, auf
wandelbare reizvolle Landschaften rings um einen Kerngedanken des
Ankommens, aber auch auf gewagtere Expeditionen, für die sie Sprecher,
Instrumentalvirtuosen, Jazzmusiker, Schauspieler und Tänzer mit ins Boot
nehmen. Beherzte Griffe in die Raritätenkiste, exquisite Neuentdeckungen,
effektvolle Paradestückchen und schmissige Arrangements aus Rock, Pop, Soul
und Jazz gehören ebenso auf amarcords Landkarte wie feinsinniges
dramaturgisches Nachspüren musikalischer Herzgedanken vom Mittelalter bis zur
Romantik, von der Renaissance bis zum Jetzt. Dass sie dabei mit Vorliebe auch
auf zeitgenössischen Pfaden wandeln, wurde ihnen mit Widmungswerken u.a.
von Bernd Franke, Steffen Schleiermacher, Ivan Moody, James MacMillan, Sidney
M. Boquiren, Siegfried Thiele und Dimitri Terzakis als der rechte Weg bestätigt.
Bei allen beeindruckenden Reisebildern, die das Ensemble unmittelbar ins
Hörbare zu wandeln weiß: Immer ist eine ausgewogene Portion natürlichen
Humors dabei. Wie die Natur allenthalben viel Fröhliches, Lustiges bietet,
entdecken die amarcord-Sänger bei ihren Unternehmungen letztlich immer
wieder auch das „„Land des Lächelns““ –– wohl nicht zuletzt, weil Humor ohnehin
das beste Gastgeschenk ist, was man mit auf die Reise nehmen kann.
Reiseträume und -phantasien des Ensembles aber werden erst wirklich lebendig
durch die mannigfache Entfaltung und Nuancierung der stimmlichen Eigenarten
seiner fünf Charaktere, von denen jeder so eigen und einzigartig ist wie der des
anderen Individuums (–– womit nur lapidar angemerkt sein soll, dass für fünf
fraglos sehr lesenswerte Lebensbeschreibungen an anderer Stelle Platz sein
wird).
Was die Fünf jedenfalls gemein haben: Sie müssen und wollen immer wieder zu
ihrem guten heimischen Leipziger Wurzelwerk zurückkehren. Daraus entstehen
dann wahlweise ein paar rare Ruhetage, ein besonders herzerwärmender
Konzertauftritt, eine sehnlich erwartete neue Jahresauflage ihres 1997
gegründeten wunderbaren Internationalen Festivals für Vokalmusik „a cappella“
oder eine kostbare CD wie die „„Rastlose Liebe –– ein Spaziergang durch das
romantische Leipzig““ von 2009, für die sie neben etlichen anderen Preisen auch
einen ECHO Klassik bekamen. Nebenbei: Die Liste der CDs und der dafür
eingeheimsten Preise ist inzwischen ziemlich lang.
amarcords Erfolge kommen nicht von ungefähr, und sie haben das niemals aus
ihrem Weitblick verloren. So wie die Sänger einst als Knabenstimmen ihre erste
wichtige Orientierung erhielten, so wie ihnen für ihre Ausflüge später wertvolle
Empfehlungen bei spezialisierten musikalischen Top-Reisebüros wie den King’’s
Singers oder dem Hilliard Ensemble zuteil wurden, geben sie ihre Erfahrungen
nun an andere reiselustige Ensembles weiter und haben dafür u.a. sogar einen
eigenen Wettbewerb ins Leben gerufen. Die Souvenirs ihrer eigenen Weltreise ––
ein großer Fundus an internationalen Volksliedern –– sammeln sich als wertvolle
Bereicherung ihres Repertoires und erreichen auf diese Weise wieder Zuhörer an
ganz anderen Orten des „Ich erinnere mich“. So verändern Wolfram Lattke,
Robert Pohlers, Frank Ozimek, Daniel Knauft und Holger Krause auf ihren
gemeinsamen kleinen wie interkontinentalen Reisen die Welt auch ein klein
wenig. Um nicht zu sagen ganz schön merklich. Martin Jehnichen