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Hariolf Dreher & Eva Dreher-Spindler Entpuppt sich die Kybernetische Methode als hochmoderner Ansatz auch zur Dyskalkulietherapie? Wissenschaftliche Grundlagenforschung über die Wurzel der Dyskalkulie aus London/Salzburg erklärt die Effizienz der Kybernetischen Rechenlehrmethode bei rechenschwachen Kindern.

Entpuppt sich die Kybernetische Methode als …€¦ · Konkrete Entwicklungsschritte bis hin zum Aufbau des Kopfrechnens ... nichts mehr auf dem Tisch liegt, ... geeignetste Lösung

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Hariolf Dreher & Eva Dreher-Spindler

Entpuppt sich die Kybernetische Methode

als hochmoderner Ansatz

auch zur Dyskalkulietherapie?

Wissenschaftliche Grundlagenforschung über die Wurzel der

Dyskalkulie aus London/Salzburg erklärt die Effizienz der

Kybernetischen Rechenlehrmethode bei rechenschwachen

Kindern.

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Inhaltsverzeichnis

1. Neue Grundlagenforschung zur Dyskalkulie

aus London und Salzburg S. 03

2. Die Kernaufgabe einer jeder wissenschaftlich

fundierten Dyskalkulie-Therapie S. 05

3. Wie kann die Simultanerfassung von Mengen

wirksam gefördert werden? - Welche Methoden eignen sich

für rechenschwache Kinder besonders? S. 07

4. Simultanerfassung von Mengen auf taktiler und

kinästhetischer Basis nach der Kybernetischen Methode S. 11

5. Die Erfordernis einer expliziten Bewegungsplanung für das simultane

Erfassen, Fühlen und Bewegen von Finger-Mengen größer als 2. S. 14

6. Das „Abheben“ in die Vorstellung als Problem rechenschwacher

Kinder - oder: Auf welchen Sinneskanälen sollte der Übergang vom

Fingerrechnen zum Kopfrechnen angebahnt werden? S. 16

7. Konkrete Entwicklungsschritte bis hin zum Aufbau des Kopfrechnens

nach der kym®

S. 21

8. Die Erweiterung des Zahlenraums über 10 hinaus als Rollenspiel

mit den Fingern mehrerer Kinder S. 23

9. Zehnerübergänge im Team von vier oder mehr Händen S. 27

10. Fünf Entwicklungsphasen bei der Aneignung der Rechenfertigkeit

im Bereich der Grundrechenarten S. 30

11. Üben ist nicht gleich Üben S. 34

12. Zusammenfassung und Schlussfolgerungen S. 35

Anmerkungen S. 37

Literatur S. 40

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1.

Neue Grundlagenforschung zur Dyskalkulie aus London und

Salzburg

Als letzte Vortragsrednerin beim Symposion Dyskalkulie an der Pädagogischen Akademie

Graz-Eggenfeld im November 2003 präsentierte Frau Dr. Karin Landerl, a.o. Professorin für

Psychologie an der Universität Salzburg, vor dem Auditorium der sprachraumweit gut

angenommenen Großveranstaltung zum Thema Rechenschwäche den womöglich ersten

bedeutenden Durchbruch in der Grundlagenforschung zur Dyskalkulie, d.h. eine erste

Antwort auf die Frage: Was ist der gemeinsame Nenner von Kindern, die eine

Rechenschwäche aufweisen?

Die Antwort aus der experimentellen psychologischen Grundlagenforschung (Karin Landerl,

Anna Bevan and Brian Butterworth, 2003) ist dabei so einleuchtend und in ihren

Auswirkungen so klar nachvollziehbar wie im Falle der Lese- und Rechtschreibstörungen, wo

nach Jahrzehnten äußerst kontroverser Diskussionen inzwischen ein breiter Konsens darüber

erzielt ist, dass es im Kern in erster Linie Defizite in der phonologischen Bewusstheit sind, die

Kinder daran hindern, so leicht wie ihre Altersgenossen das Lesen und Rechtschreiben

erlernen zu können (Klicpera & Gasteiger-Klicpera, 1995, 1998).

Auch im Falle der Lese- und Rechtschreibstörungen war diesem Konsens in der

wissenschaftlichen Forschung eine Phase der komplexesten Ursachenvermutungen

vorausgegangen (1). Ja die Ratlosigkeit der untersuchenden, diskutierenden und forschenden

Akteure gipfelte in Konzepten wie dem doch recht verwaschenen eines multikausalen

Verursachungsgefüges einerseits oder einer Ablehnung jeglicher Akzeptanz des Konzeptes

der Legasthenie als eines unbrauchbaren sozialwissenschaftlichen Konstruktes andererseits.

Das zentrale Phänomen einer Lese-

Rechtschreibschwäche:

Eine gering ausgeprägte, stark eingeschränkte

Phonologische Bewusstheit,

d.h. das Kind kann die Abfolge der Laute in

einem Wort nicht differenziert wahrnehmen.

Das zentrale Phänomen einer Dyskalkulie

oder Rechenschwäche:

Eine gering ausgeprägte, stark eingeschränkte

Fähigkeit zum Simultanerfassen

von Mengen, dem Subitizing,

d.h. das Kind kann nicht anders als Mengen

immer zählend erfassen.

Was ist nun die Antwort aus London und Salzburg zum Kernphänomen für die

Rechenschwäche? - Kinder, die mit dem Beginn ihrer Schullaufbahn eine

Rechenschwäche oder Dyskalkulie ausprägen, können nicht Mengen simultan erfassen.

Diese Fähigkeit, von den AutorInnen der Studie als „subitizing“ bezeichnet, geht ihnen ab.

Wenn die Rechenschwachen herausfinden wollen oder sollen, wie groß der Zahl nach eine

vorliegende Menge ist, verfügen sie nur über eine einzige Strategie: Sie zählen alles ab, sie

gruppieren nicht kleine Mengen, wenn ihnen beispielsweise vorgruppierte Punktmengen

vorgegeben sind, die es nahe legen würden, einige nahe beieinander liegende Punkte jeweils

zusammen, gemeinsam oder eben „subito“ zu erfassen. Das jedoch können ihre nicht-

rechenschwachen Altersgenossen sehr bald. Diese Nicht-Rechenschwachen wechseln somit

schnell vom Zählen zum Addieren kleiner Zahlen und das bedeutet nicht weniger als, dass sie

damit die Strategie zu einer schnelleren und effektiveren hin wechseln.

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Abb. 2.1. Zweiergruppen von Münzen Abb. 2.2 Ein Finger zählt einzelne Münzen.

Auch eine so offensichtlich in Zweierschritten zu zählende Menge von Münzen wie die in Abb.

2.1. würden rechenschwache Kinder abzählen und dabei gewöhnlich mit dem dominanten

Zeigefinger Münze für Münze bewegen (Abb. 2.2.).

Abb. 2.3. Zwei Finger zählen simultanZweiergruppen von Münzen.

Auf eine solche Vorgehensweise würdenrechenschwache Kinder nicht von alleinekommen. Sie würden die Münzen stetseinzeln abzählen. - Dass sie mit den Schritten der Zweierreihe schneller ansZiel kommen, scheint ihnen zu unsicher.Sicher genug ist immer nur das Zählen.

Wenn man den gemeinsamen Nenner der Rechenschwäche – einmal angenommen das wäre

mit dem Obigen Resultat aus London/Salzburg gegeben – gefunden hat, so ist das freilich

noch nicht notwendig „die Ursache“, es kann durchaus eine „Folgesache“ sein. Aber die

Folge wovon? Landerl/Bevan/Butterworth vermuten einen genetisch bedingten, fehlerhaften

„Start-up“-Mechanismus des menschlichen kognitiven Apparates, der eben die Unfähigkeit,

Mengen simultan erfassen zu können, auslöst.

Ganz ähnlich wird im Falle der Lese-Rechtschreibschwäche als eine genetische Ursache ein

mangelhaft funktionstüchtiger „Start-up“-Mechanismus vermutet, der eine verzögerte und in

ihrer Differenzierung schließlich zurückbleibende unscharfe Sprachwahrnehmung

(phonologische Bewusstheit) auslöst. Von dieser defizitären phonologischen Bewusstheit

wird angesichts der bis dato bekannten Therapiemöglichkeiten angenommen, dass sie zwar

verbessert, die Schwäche also reduziert, aber nicht wirklich rückstandslos abgebaut werden

kann (Landerl, K.....Diss. S. 4).

Das Problem bei der Analyse von Schwierigkeiten so hochkomplexer kognitiver Leistungen

wie das Lesen/Rechtschreiben oder das Rechnen auf genetische Faktoren hin liegt vor allem

in der Tatsache, dass genetische und Umweltfaktoren um so schwieriger zu trennen sind, je

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älter das Kind oder der zu untersuchende Organismus ist. Wolf Singer beantwortet die Frage

danach, worauf die aktivitäts- und nach der Geburt auch erfahrungsabhängige Ausreifung von

Hirnstrukturen beruht, wie folgt: „Die Nervenzellen sind zum Zeitpunkt der Geburt im

Wesentlichen angelegt, aber in bestimmten Bereichen des Gehirns, z. B. in der Großhirnrinde,

noch nicht miteinander verbunden. Viele Verbindungen bilden sich erst jetzt aus, ein großer

Teil wird jedoch bald wieder vernichtet. Ein stetiger Umbau von Nervenverbindungen

vollzieht sich, wobei nur etwa ein Drittel der einmal angelegten erhalten bleibt. Welche dies

sind, hängt von der Aktivität ab. Die Ausbildung der funktionellen Architektur der

Großhirnrinde wird somit in erheblichem Umfang von Sinnessignalen und damit von

Erfahrung geprägt. Genetische und epigenetische Faktoren kooperieren in untrennbarem

Wechsel. Eine strenge Unterscheidung zwischen Angeborenem und Erworbenem ist damit

unmöglich“ (Wolf Singer, 2003).

Gleichwohl gibt es aus der Zwillingsforschung (Klicpera/Gasteiger-Klicpera, 1995) doch

überzeugende Hinweise darauf, dass ein genetischer Faktor existieren muss und dass diese

genetische Disposition gerade im Falle schwerer Legasthenie auch ein wesentlicher

Bestimmungsgrund für die Ausprägung der Symptomatik ist und eben nicht ein mangelhaftes

Anregungsprofil während der kindlichen Entwicklung allein. Vergleichsuntersuchungen an

Zwillingen bezüglich der Rechenschwäche sind jedoch unseres Wissens noch ausständig.

2.

Die Kernaufgabe einer jeder wissenschaftlich

fundierten Dyskalkulie-Therapie

Dass rechenschwache Kinder nach Möglichkeit alles, was sie rechnen sollten, lediglich durch

Abzählen zu lösen versuchen, das pfeifen schon die Spatzen von den Dächern. Kein

ernsthafter Teilnehmer an der Diskussion um die Rechenschwäche wird dieses Phänomen

leugnen (2). Dass diese Kinder aber allergrößte Schwierigkeiten haben, simultan selbst kleine

Mengen zu erfassen, führt ein erhebliches Stück weiter, auch in Richtung auf das, was es

diesen Kindern zu vermitteln gilt, nämlich eben dieses Simultanerfassen von Mengen.

Weiter ist es eine allgemein bekannte Tatsache, dass die rechenschwachen Kinder, die alles

Mögliche durch Abzählen zu lösen versuchen, immer dann mit den Fingern zählen, wenn sie

nicht gerade vorliegende, ihnen gegebene Objektmengen zählen sollen. Sobald also diesen

Kindern keine konkrete Wiederspiegelung einer festzustellenden Menge, aber auch eines

arithmetischen Sachverhaltes in Form strukturierten Unterrichtsmaterials gegeben wird, wenn

– salopp gesagt – nichts mehr auf dem Tisch liegt, dann zählen sie mit Hilfe der Körperteile

weiter, die man ihnen nicht wegnehmen kann.

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Abb. 3.1. Zählen von Tassen auf dem Tisch – Die Finger deuten sukzessive auf ein Objekt

nach dem anderen und der Mund spricht: „Eins, zwei, drei, ...“ – Manchen Kindern gelingt

die Zuordnung von Zahlwörtern zu Deutbewegungen dabei nur mangelhaft, u. U. gehen sie

beim Deuten nach Sprechsilben vor und sagen „... vier, fünf, sechs, sie- , -ben“ und haben

dabei bereits acht Objekte “gezählt“.

Abb. 3.2. Zählen von Fingern – Die Finger werden nacheinander ausgestreckt und der

Mund spricht dabei: „Eins, zwei, drei, ...“

Rechenschwache Kinder zählen gewöhnlich stets etwas Konkretes, entweder Objekte wie hier

die Tassen oder ihre Finger. Wenn sie nichts Konkretes zu zählen haben, dann plappern sie

Zahlwörter und dieses „Zählen“ scheint nicht von Größen- oder Mengenvorstellungen

begleitet zu sein.

Wegnehmen kann man den Kindern die Finger zwar nicht, man kann ihnen aber verbieten,

mit den Fingern zu arbeiten. Doch hierzu ist seit der schon 1975 veröffentlichen

Untersuchung von Haberland (1975) bekannt, dass das Verbieten der Finger die

Rechenschwäche verschärft. Jede LehrerIn, die es mit dem Verbieten schon versucht hat und

anschließend sorgfältig beobachtete, was die Kinder dann tun, weiß, dass sie in der

Hosentasche, hinter ihrem Rücken oder unter der Bank weiterhin fortfahren, ihre Finger zu

Hilfe zu nehmen. Die Kinder geraten moralisch in eine verbotene Heimlichkeit, sehen sich zu

Verstößen gegen die geforderte fingerfreie Moral genötigt und das mit all den psychischen

Folgen, die zu beschreiben sich erübrigt.

So haben wir also Kinder, die entweder konkret vorliegende Objektmengen, Elemente

graphischer Präsentationen wie Zahlbilder oder, sobald solche Vorlagen fehlen, eben ihre

Finger zählen. Bei diesen Kindern hebt oft eine noch so häufig gemachte Erfahrung mit

Objekten der Anschauung nicht in die Vorstellung ab, sie lernen weder das Rechnen mit

Objekten und schon gar nicht das Kopfrechnen ohne Objekte. Sie bleiben einfach beim

Zählen.

Zum Rechnen benötigten diese Kinder die Fähigkeit, Mengen simultan zu erfassen. Diese

Fähigkeit müsste ihnen eine Dyskalkulietherapie beibringen, die, will sie als seriös gelten

können, auf der elementarsten Ebene ihrer Schwierigkeiten ansetzt.

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Abb. 4.1. Finger zählen hinter dem Rücken Abb. 4.2. Finger zählen in der Hosentasche

Das Verbieten der Fingerarbeit führt nur zu heimlichem Fingerzählen. Durch Verbote finden

die Kinder nicht zu „effektiveren Strategien“ des Rechnens. Gerhard Haberland (1975) hat

nachgewiesen, dass ein Verbieten der Fingerarbeit die Rechenschwäche verschärft.

3.

Wie kann die Simultanerfassung von Mengen wirksam

gefördert werden? - Welche Methoden eignen sich für

rechenschwache Kinder besonders?

Eine sorgfältig argumentierende neuropsychologische Diskussion der Effizienz verschiedener

methodischer Mittel, um Simultanerfassung von Mengen bei SchülerInnen auszulösen, kann

zur Beantwortung dieser Frage weiterhelfen. Aber eine experimentelle Untersuchung der so

gewonnenen Hypothesen muss folgen, um die vermuteten Antworten empirisch abzusichern.

Es ist eine alte sonderpädagogische Gewissheit, dass taktile und kinästhetische, motorische

bzw. haptische Zugangsweisen, also ein Arbeiten mit Bewegungen und den körperlichen

Nahsinnen immer dann notwendig wird, wenn ein Lernen mit den Hochleistungssinnen Auge

und Ohr den Kindern allein die intendierten Lernprozesse und zu erwerbenden Inhalte nicht

genügend nahe zu bringen erlaubt. Je jünger Kinder sind, desto mehr bedürfen sie der

Erfahrung über Bewegung und Nahsinne (Wehrmann, Ilse 2003, s. Anm. 3)), und das gilt

gerade so in den ersten beiden Schuljahren und im Großen und Ganzen auch für ältere

lernbehinderte Schüler. Selbst in der Gedächtnispsychologie für die ganz normalen

Erwachsenen erreicht die Speicherfähigkeit für Inhalte, die mit Handlungen erworben werden,

die höchsten Prozentsätze.

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Abb. 5

30%

10%

Gehörtes

Gesehenes

Getanes

Gelesenes

90%

Wer lediglich etwas liest, d.h. „sieht“,

allerdings in der verschlüsselten Form der Schrift, behält nur 10%, wer lediglich hört,

bereits 20%. Das Sehen erlaubt ein Behalten von 30%, also Sehen + Hören bewirkt

zusammen nur ein Behalten der Hälfte eines

Lerninhaltes. Wer aber tut, wer Motorik und

unlöslich damit verbunden kinästhetische und

taktile Wahrnehmung mit ins Spiel bringt,

behält rund 90%! – Deshalb ist es so

bedeutsam, wenn Kinder auch das Rechnen

über Bewegungen lernen. Sie behalten die

arithmetisc

liegen gedächtnispsychologisch falsch, wenn

wir meinen, das visuelle Präsentieren in

Büchern mit Grafiken und Zahlbildern sei die

geeignetste Lösung oder gar das

Auswendiglernen des „Ein-plus-eins“ oder des

„Einmaleins“.

Dass für Kinder das motorische sowie taktile und kinästhetische Lernen wichtiger ist als für

Erwachsene, hat damit zu tun, dass die Leistungsfähigkeit der Fernsinne Auge und Ohr auf

dem Tragegerüst der entwicklungsgeschichtlich älteren körperlichen Nahsinne aufbaut.

Abb. 6.1.a und 6.1.b.: Ein Kind ertastet einen rechteckigen Tisch an den Kanten entlang ab,

und erfasst so mit den körperlichen Nahsinnen seine Gestalt. - Bevor das Kind über die

visuelle Wahrnehmung „weiß“, was ein rechteckiger Tisch ist, muss es mittels der taktilen

und kinästhetischen Wahrnehmung Erfahrungen mit dem rechten Winkel gemacht haben.

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Abb. 6.2. und 6.3.: Der Blick auf einen rechteckigen Tisch von oben und von der Seite. -

So lernt das Auge vom Körper und seinen Nahsinnen, wie das Gesehene Objekt wirklich

beschaffen ist. Denn für das Auge sieht zunächst einmal ein rechteckiger Tisch aus den

meisten Positionen wie ein schiefwinkelig verzerrtes Viereck aus. Nur wenn das Auge von

einer Position in der Mitte über dem Tisch auf diesen herabschaut, ist die Abbildung auf der

Netzhaut tatsächlich ein Rechteck.

Was in der phylogenetischen Entwicklung vorgegangen ist, spiegelt sich in der Ontogenese

noch einmal wieder. So durchläuft jedes Kind eine Entwicklung von einer Dominanz der

Nahsinne zu einer Dominanz der Fernsinne für seine Lernprozesse.

0 5 10 15Lebensjahre

Pechstein, Johannes: Frühadoption und soziale Elternschaft in: Biermann, Gerd, Hrsg.: Jahrbuch der Psychohygiene Bd 2 Ernst Reinhardt, München/Basel 1974

Die Leistungsfähigkeit der Fernsinne und

damit ihre wachsende Bedeutung für das Kind

im Parlament der Sinne entwickelt sich ganz

allmählich über die ganze Kindheit und

Adoleszenz hinweg. Je jünger das Kind, umso

mehr bedarf es der konkreten Wirklichkeitserfahrung über die Nahsinne,

damit die Wahrnehmungen der Fernsinne

„Sinn“ machen als ein adäquater und

bedeutsamer Zugang zur Außenwirklichkeit.

Betrachtet man das Simultanerfassen von Mengen als einen Lernprozess, so müsste ganz

folgerichtig dieser im Rahmen einer Förderung wegen Dyskalkulie ebenfalls den Weg von

einer Erfassung über die Nahsinne bis hin zu einer Erfassung über die Fernsinne verlaufen.

Nur so kann eine gezielte Nachbildung oder Intensivstimulierung dessen, was sich bei den

nicht rechenschwachen Kindern ohne Schwierigkeiten von selbst einstellt, recht zuverlässig

erwartet werden.

Damit fallen alle methodischen Mittel, die zuvörderst den visuellen Kanal nutzen wollen, also

graphische Präsentationen oder Trainings mit Mengenbildern, bzw. Zahlbildern aller Art als

nicht basal genug weg. Aus den obigen Argumenten können visuelle Präsentationen niemals

der ideale Ansatzpunkt zur Lösung eines Problems der sinnlichen Verarbeitung bestimmter

Wahrnehmungen sein wie hier der Mengenerfassung.

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Dies verhält sich mit Blick auf die Rechenschwäche wiederum ganz ähnlich wie bei der Lese-

Rechtschreibschwäche. Die Verarbeitung der Lautsprache mit Blick auf die Nachentwicklung

einer schwach ausgebildeten phonologischen Bewusstheit allein oder auch nur vorrangig

über den Fernsinn des Hörens zu stimulieren, macht keinen neuropsychologisch

überzeugenden Sinn. Insbesondere da beobachtet wurde, dass Kinder mit einer schwach

ausgeprägten phonologischen Bewusstheit auch eine reduzierte orale Sensibilität aufweisen,

also nicht differenziert genug spüren können, wie sich die verschiedenen Mundbewegungen

und Artikulationsstellungen zu den jeweiligen Lauten anfühlen, genügt ein rein auditiv

ausgerichtetes Training zur Nachentwicklung der defizitären Funktionen keineswegs.

Aus den genannten Gründen bedient man sich in der Didaktik sehr häufig zumindest zur

Einführung von Mengen und Rechenoperationen strukturierten Materials wie Zahlenketten,

Steckwürfel u.v.a.m. Gleichwohl wird beobachtet, dass es auch dann noch Kinder gibt,

welche sich trotz solcher haptischer und handelnder Angebote weder von diesen Angeboten in

die Vorstellung lösen, noch vom Abzählen wegkommen, sobald ihnen das Material nicht

mehr zu Gebote steht. Nimmt man solchen ausgesprochen rechenschwachen Kindern das

strukturierte Material weg, zählen sie sofort nur noch an den Fingern ab, unterbindet man das

– was im übrigen ohne eine individuelle Überwachung kaum durchführbar ist - , haben sie gar

keine Lösungswege mehr zur Verfügung.

Die neuropsychologische Hypothese wäre nun, dass solchen Kindern strukturiertes Material

außerhalb ihres eigenen Körpers deshalb nicht mit Bezug auf seinen arithmetischen

Aussagegehalt einleuchtend erscheint, weil ihre körperliche Eigenwahrnehmung als

Fundament der Wahrnehmung von Realitäten außerhalb dieses eigenen Körpers selbst noch

unzureichend differenziert ist. Mit anderen Worten kennen diese Kinder ihren eigenen Körper

über die Kanäle der taktilen und kinästhetischen Selbstwahrnehmung immer noch so ungenau,

dass dieser Körper ein unzulängliches Instrument darstellt, um Außenwirklichkeit adäquat

erleben zu können, ihre Gestalt zu interpretieren und ihre Beschaffenheit zu analysieren. Die

Lösung solcher mangelnder Voraussetzungen seitens des Kindes im Bereich der Nahsinne

kann nach Affolter (4) nur Nachentwicklung dieser sinnlichen Wahrnehmungen sein.

Die wichtige Schlussfolgerung aus dem Obigen lautet: Der Anwendungsfall

„Mengenwahrnehmung“, „Mengenerfassung“ oder „Subitizing“ muss also zumindest

zunächst und vorübergehend als Aufgabe in den kindlichen Organismus hineinverlegt

werden. Um aber ein Dezimalsystem, insbesondere jedoch den Zahlenraum 10 innerhalb des

menschlichen Organismus darstellen zu können, eignet sich nichts an diesem Organismus

besser als der Gebrauch der Finger. Die methodische Aufgabe mit Blick auf die

rechenschwachen Kinder lautet also: Wie kann man mit den Fingern möglichst intensiv,

möglichst systematisch und gleichermaßen die Abstraktion fördernd Simultanerfassung von

Mengen gestalten? – Ein Vorschlag zur Beantwortung dieser Frage wurde unseres Wissens in

keinem methodischen Ansatz der Rechendidaktik und auch nirgendwo in der Literatur über

Rechenschwäche so gründlich und umfassend ausgearbeitet wie in der Kybernetischen

Rechenlehrmethode. Wir wollen dies in der im Rahmen dieses Aufsatzes gebotenen Kürze

exemplarisch verdeutlichen.

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4.

Simultanerfassung von Mengen auf taktiler und

kinästhetischer Basis nach der Kybernetischen Methode

Damit taktile und kinästhetische Reize für das Kind an seinen Händen lebhaft wahrnehmbar

werden, muss es einerseits die Finger bewegen – das löst die kinästhetischen Reize aus, denn

es werden dabei Muskeln angespannt und wieder locker gelassen sowie Gelenkstellungen

verändert - , andererseits muss das Kind die Finger, vorzugsweise die Fingerspitzen irgendwo

aufdrücken können, auf einem Arbeitstisch am besten – das löst die taktilen Reize aus.

Abb. 8.1. a – e: Wie simultan die Finger 7 und 8 ausgestreckt und aufgedrückt werden. So

wird die Addition mit den Fingern realisiert.

Simultanes Umkippen von Fingern löst gleichzeitig auftretende kinästhetische Reize aus, weil

simultan Muskelspannungen auftreten und Gelenkstellungen verändert werden.

Abb. 8.1. f – j: Wie simultan die Finger 7 und 8 umgekippt, also subtrahiert werden..

Abb. 8.2. Zwei Finger werden gleichzeitigauf einen Tisch aufgedrückt. Dies bewirkt eine simultane taktile Wahrnehmung in denbeiden Fingern. Die Menge 2 wird gefühlt.

Solches simultanes Erfassen von Finger-mengen wird systematisch geübt. Man kannim Wechsel zwei, drei, vier und fünf Fingeraufdrücken lassen und das simultane Er-fassen wird sich nach und nach leichter und besser einstellen.Die TrainerIn assistiert dabei dem Kind, das seine Finger nicht sieht.

Damit ein Simultanerfassen von Mengen stattfinden kann – das ergibt sich zwingend -,

müssen gleichzeitig mindestens zwei Finger auf einmal bewegt, insbesondere ausgestreckt

oder umgekippt werden. Das Ausstrecken und Umkippen verwenden wir für das Addieren

und das Subtrahieren. Beim Zerlegen oder Ergänzen lassen wir die eine Teilmenge auf den

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Tisch aufdrücken, die andere lassen wir wackeln, d.h. genauer rhythmisch ausstrecken und

einziehen, ausstrecken, einziehen usw. Auch so bleibt diese in vorübergehend anhaltender

Bewegung befindliche Teilmenge kinästhetisch lebhaft wahrnehmbar, während durch das

Ausbleiben eines Aufdrückens der taktile Reiz beim Wackeln fehlt. Eine Teilmenge wird also

lebhaft taktil, die andere lebhaft kinästhetisch wahrgenommen.

Abb. 9 Sechs Finger sind aufgedrückt und zwei Finger wackeln, d.h. die zwei Finger

werden ausgestreckt und umgekippt, ausgestreckt und umgekippt, ...

Die Handlung lässt sich deuten als ein Ergänzen von 6 bis 8. Die Kinder sagen u. U.

zunächst: „Von 6 bis 8 sind es 2, die wackeln.“ - oder:“ 6 plus wie viel ergibt 8?“ –

schließlich sollten wir dahin kommen, dass sie sagen: “6 plus 2 gleich 8.“

Anmerkung: „Mathematical correctness“ in der Formulierung muss stets das Ziel sein, ein Verständnis für den

arithmetischen Gehalt der Aussage soll jedoch am Anfang stehen. Deshalb verwendet man zum Einstieg nach Bedarf immer

wieder solche Formulierungen, die aus dem alltäglichen Gebrauch der Lautsprache erwachsen, bevor die Kunstsprache, die

sich von der mathematischen Schreibweise ableitet, angeboten wird.

Die sechs aufgedrückten Finger werden vornehmlich taktil, die wackelnden kinästhetisch

wahrgenommen. Alle Finger werden in fortgeschrittener Übungsphase dabei auch gesehen.

Die Wahrnehmungen der beteiligten Nahsinne werden indes nur dann nachentwickelt, wenn

die Übung auch unter Ausschaltung des Sehsinnes z.B. unter einem Brett durchgeführt wird.

Im Folgenden werden ohne Anspruch auf Vollständigkeit der Systematik einige Übungen

beschrieben, die nur z. T. schon in den Veröffentlichungen über die Kybernetische

Rechenlehrmethode enthalten sind, in Seminaren für Lehrer, Eltern und Therapeuten jedoch

schon seit etwa drei Jahren vermittelt werden.

So kann man beispielsweise die Zweiermenge mit den Nahsinnen erlebbar machen, indem

man eine Reihe von 5 Zweierschritten mit den beiden Händen addiert, ausgehend von 0 bis

10. Das Kind spricht zu dem, was es tut. So wird Handlung und Sprache deutlich aufeinander

bezogen erlebt. Die Sprache ist exakte Widerspiegelung des arithmetischen Gehalts der

Operation mit den Händen.

Das Kind sagt: „Null plus zwei gleich zwei“, wenn sein Verständnis der Syntax und Semantik

von Aussagen, die an der mathematischen Schreibweise ausgerichtet sind, bereits entwickelt

ist. Andernfalls wird vorübergehend erst einmal ganz einfach lautsprachlich ausgerichtet wie

folgt gesprochen: „Null und zwei ist zwei“ (siehe auch Abb. 8).

Entscheidend dabei ist, dass es dem Kind gelingt, das Dazutun der Zweiermenge simultan zu

leisten, also nicht einen Finger nach dem anderen auszustrecken, sondern beide möglichst

ohne einen vorauseilenden und einen entsprechend nachhinkenden in der Tat simultan zu

bewegen. – Gelingt dies nicht so ganz gleichzeitig, wird ein mehrmaliges Ausstrecken gefolgt

von einem Umkippen empfohlen, möglichst langsam und begleitet von sorgfältiger

Beobachtung. Dies übt man so lange, bis die jeweiligen beiden Finger wirklich simultan

bewegt werden können. – Manche Kinder beherrschen das auf Anhieb. Für sie ist es ohne

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weiteren Nutzen hier viel zu üben. Andere Kinder brauchen Zeit und Geduld, um diese

Geschicklichkeitsübung vollziehen zu können.

Damit das Handeln und Sprechen zugleich eine Koordinationsübung für Aktivitäten der sich

bewegenden Hand und des sprechenden Mundes bedeutet, wird zu dem Gesprochenen ein

genau definierter Handlungsablauf vollzogen. Das soll an dem Beispiel der dritten Rechnung

dieser Art dargestellt werden, bei „4 plus 2 gleich 6.“

Das Kind sagt „4“ und drückt dabei die ersten 4 Finger, d.h. den linken kleinen Finger, den

linken Ringfinger, den linken Mittelfinger und den linken Zeigefinger simultan auf den

Arbeitstisch. – Hierbei wird taktil die Vierermenge der beteiligten Finger intensiv gespürt.

Wir achten darauf, dass die Finger nicht lasch, sondern kraftvoll aufgedrückt werden, um den

taktilen Reiz entsprechend intensiv werden zu lassen.

Abb. 10

„Vier...“ „... plus...“ „... zwei....“ „... gleich...“ „...sechs.“

Dann sagt das Kind „...plus...“ und streckt dabei den fünften und den sechsten Finger, also die

beiden Daumen aus, wobei immer noch die ersten vier Finger fest auf dem Tisch aufgedrückt

bleiben. Die Finger sieben bis zehn bleiben umgekippt.

Anschließend sagt das Kind „...zwei...“ und drückt nun die beiden Daumen ebenfalls auf den

Tisch auf, so dass nun 6 Finger aufgedrückt und nur noch die verbleibenden 4 umgekippt

sind.

Wenn nun das Kind in seinem Additionssätzchen bei „...gleich...“ angekommen ist, hebt es

beide Hände noch einmal simultan an, wobei sich an den Fingerstellungen nichts ändert, d.h.

6 Finger sind ausgestreckt und 4 immer noch umgekippt. Die ganze „Rechenmaschine“ ist

angehoben.

Schließlich sagt das Kind das Sätzchen abschließend „...sechs.“ Dabei werden die 6 Finger

nun zum ersten Male alle zusammen gleichzeitig auf dem Tisch aufgesetzt und alle zusammen

fest aufgedrückt.

Das Kind lernt auf diese Weise die geradzahligen Zweierschritte bis 10 kennen, also 2, 4, 6, 8

und 10; beginnt man hingegen ausgehend von einem bereits ausgestreckten ersten Finger, so

gelangt es durch die ungeradzahlige Reihe 1, 3, 5, 7 bis 9. Auf insgesamt 9 verschiedene

Fingerkonstellationen für die Menge 2 kommt allein dieses Verfahren. Die Menge 2 bedeutet

für das Kind somit nicht mehr einfach die ersten beiden Finger nach der Zählweise der

Kybernetischen Methode also der linke kleine Finger und der linke Ringfinger. Vielmehr

entsteht das Konzept der Zweiheit bereits aus einer Generalisation von 9 verschiedenen

Fingerkonstellationen.

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Abb. 11 Die Zweiermenge wird aus 9 Konstellationen nebeneinander liegender Finger

abstrahiert – motorisch, kinästhetisch, taktil, visuell und begrifflich.

Lässt man solcherart trainierte Kinder anschließend einmal eine größere Menge Münzen

zählen, die man vor sie hin auf einem Tisch ausschüttet, so sind sie dann auch schnell dabei,

immer zwei und zwei usw. zu addieren, wobei sie gewöhnlich den Zeigefinger und den

Mittelfinger ihrer dominanten Hand benutzen. Vor der beschriebenen Übung würden

dieselben Kinder mit nur einem einzigen Finger, ihrem dominanten Zeigefinger eine Münze

nach der anderen abzählen. So zeigt sich ein erster Transfer des Mengenerfassens innerhalb

des eigenen Körpers auf das Mengenerfassen bei Objekten außerhalb des eigenen Körpers, in

diesem Fall der Münzen. (Als Abb. 12 vgl. hierzu Abb. 2).

Dies lässt sich dann unschwer fortsetzen mit dann lediglich visuell präsentierten

Zweiermengen, welche schließlich alleine mit den Augen abgetastet werden. Das Motorische

am Abtasten mit den Augen besteht in den ruckartigen Bewegungen der Augenmuskeln, den

Sakkaden. Die Fixierung des Blicks auf eine bestimmte Zweiermenge und der ruckartige

Wechsel bis zur nächsten Fixierung des Blickes bestimmen okulo- bzw. Augen-motorisch die

Ordnung im Ablauf der Zweierschritte, die erfasst werden sollen.

Beim simultanen Erfassen und Bewegen von zwei Fingern erscheint eine Bewegungsplanung

für gewöhnlich nicht ausdrücklich vonnöten zu sein. Anders wird das, sobald drei Finger auf

einmal ausgestreckt oder umgekippt werden sollen. Dieser Vorgang soll in seiner

tatsächlichen Komplexität im folgenden Unterkapitel untersucht werden.

5.

Die Erfordernis einer expliziten Bewegungsplanung

für das simultane Erfassen, Fühlen und Bewegen von

Finger-Mengen größer als 2.

Spätestens ab drei gleichzeitig auszustreckenden Fingern wird bei Kindern, die sich schwer

tun mit dem Simultanerfassen von kleinen Mengen, die Neigung zum Abzählen überdeutlich

sichtbar. Die leicht simultan erfassenden Kinder, aber auch die meisten Erwachsenen dagegen

überblicken gewissermaßen auf einmal die jeweils nächste Dreiermenge und strecken dann

ohne Schwierigkeiten diese jeweils anschließenden drei Finger auf einmal aus, bzw. kippen

sie um, wenn es um das Subtrahieren geht.

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15

Was ist zu tun, um die Kinder mit einer Schwäche im „subitizing“ ebenfalls dorthin zu

bringen, wo sie das tun können? – Wir erlauben ihnen einfach, die Bewegung der jeweils

nächsten drei Finger ganz gemütlich zu planen. Sie dürfen sich Zeit nehmen, um das

festzustellen, wozu die anderen ersichtlich so gut wie keine Zeit benötigen. Diese Kinder

dürfen sogar mit winzigen Bewegungen der drei folgenden Finger diese anschließenden drei

Finger abzählen. Lediglich das tatsächliche Ausstrecken dieser drei nächsten Finger soll dann

simultan erfolgen.

Abb. 13 Vorbereitende Bewegungsplanung und simultanes Ausstrecken von Fingermengen

Die nächsten drei Finger werden „geplant“. Mit kleinen Bewegungen werden sie aufgefunden

und abgezählt, bis alle drei in der Wahrnehmung des Kindes zu der demnächst

auszustreckenden Einheit verschmolzen sind.

Nun können die behutsam in die Simultan-Erfassung gerückten Finger tatsächlich gleichzeitig

ausgestreckt werden.

Nun könnte man einwenden, hier werde eine Art Rosstäuscherei betrieben. Dem ist jedoch

durchaus nicht so. Denn das rudimentäre Bewegen samt dem damit verbundenen Abzählen

dauert mit zunehmender Übung immer weniger lang. Die Bewegungsplanung verkürzt sich

zusehends. Gefolgt wird es dabei stets von der Zielhandlung des simultanen Ausstreckens.

Aus dieser Zielhandlung bezieht das Gehirn des Kindes im wiederholenden Üben eine

kinästhetische Rückmeldung von eben diesem simultanen Ausstrecken oder Umkippen. Diese

kinästhetische Rückmeldung gehört zu dem komplexen motorischen Bewegungsbefehl,

der vom Gehirn die Pyramidenbahn heruntereilt bis in die Hände wie die zweite Seite einer

Münze. Beide Erfahrungen verschmelzen zu einer synaptisch immer fester und leichter

abrufbaren Einheit und schließlich sieht man bei einem so trainierten Kind dasselbe

Überblicken der jeweils nächsten Dreiermenge wie gleich von Anfang an bei einem Kind, das

mit dem Simultanerfassen so wenig Schwierigkeiten hat, wie mit dem simultanen Bewegen.

Wichtig ist lediglich, dass das simultane Ausstrecken tatsächlich bei jedem Üben am

Ende der Vorbereitungen des Kindes steht. Nach Leontjew (8) verkürzt sich die

Vorbereitung oder Bewegungsplanung, wenn immer die Zielhandlung nicht aus den Augen

verloren, sondern tatsächlich für sich als eine Einheit vollzogen wird.

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16

Aber wir bräuchten nicht den Neuropsychologen Leontjew bemühen, um hier Gewissheit zu

erlangen. Es genügt eine Fahrt in die Obersteiermark, um eine alte Lehrerin zu treffen, die

schon über 25 Dienstjahre in einer Volksschule dort tätig war. Nach einem im dortigen Bezirk

ausgerichteten Einführungsnachmittag in die Kybernetische Methode, in dessen Verlauf eben

der obige Gedanke vorgetragen worden war, kam sie zum Referenten und meinte: „Sehen Sie,

das ist aber schön, dass das jetzt endlich auch wissenschaftlich begründet wird, was ich schon

so lange genauso gemacht habe. Alle Kinder lernen bei mir das Rechnen, alle, scho imma.

Und genau dos ist der Punkt, wia sie sagen: Gleichzeitig müssn´s die Finger ausstreckn, sonst

wead´s net, donn zähln´s alleweil ab. Aber wenn´s des Gleichzeitige leanen, dann leanen´s a

olle as Rechnen. I hob mi von deara Eafohrung nia obgwandt, koane Modn hob i mitgmocht,

was es ois gebn hot. Imma bin i guat gfohren damit. Oba schön, dass des jetzt auch

wissenschoftlich gwoan is, wos i scho so long so moch. Vielen Dank!“

6.

Das „Abheben“ in die Vorstellung als Problem rechenschwacher

Kinder - oder: Auf welchen Sinneskanälen sollte der Übergang

vom Fingerrechnen zum Kopfrechnen angebahnt werden?

Es wurde oben gezeigt, dass motorische Muster wie das Ausstrecken oder Umkippen von

mehreren Fingern, im besten Wortsinne Mengen-Erfassen auslösen. Die sensorische Seite

solcher motorischer Akte ist primär und unausweichlich die innerkörperliche Rückmeldung,

von der eine jede Bewegung begleitet ist, nämlich die kinästhetische Messung der Bewegung

über Rezeptoren in den Gelenken und Muskeln, welche an der Bewegung beteiligt waren.

Die Bedeutung des Sehens beim Ausführen einer jeden Bewegung ist die eines weiteren

Sinneskanals, welcher dem ersten, dem kinästhetischen intermodal zugeordnet wird. Das Kind

lernt das Gefühlte in der Widerspiegelung über das Auge auch noch als ein Gesehenes

kennen. Das Sehen trägt im Allgemeinen natürlich enorm zum Verständnis der

Außenwirklichkeit bei, weil es viel weiter reicht als jemals ein körperlicher Nahsinn das

vermöchte. Aber Ersetzen kann das Sehen die Messungen von Gelenkstellungen und

Muskelspannungen nicht, es erweitert die Einsicht in die Welt und ergänzt sie um die

bildhafte Dimension der sinnlichen Wahrnehmung.

Deshalb ist es nach Affolter (1976, siehe auch in Simon 1981) unabdingbar, kinästhetische

und taktile Wahrnehmungen, wenn immer sie schwach ausgeprägt sind, nach zu entwickeln.

Das geschieht heute gewöhnlich mit Erfolg im Rahmen einer Therapie der sensorischen

Integration. Der Gleichgewichtssinn, der Tastsinn und der kinästhetische Sinn werden neu

geschärft und in ein Zusammenspiel gebracht, dem dann auch das Sehen und Hören

zugeordnet wird.

Nun, da wir einen Einstieg in ein sensomotorisch fundiertes Simultanerfassen von Mengen

skizziert haben und in ersten Schritten zeigen konnten, dass das Kind mit den simultan

bewegten, als kleine Mengen erfassten Gruppen von Fingern sogar vom Abzählen zum

Rechnen gelangen kann, erhebt sich die Frage, wie am zuverlässigsten Vorstellungen von

arithmetischen Operationen zustande kommen. Denn wir wollen ja keine notorischen

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17

Fingerrechner als Endergebnis unserer rechendidaktischen oder gar

rechenschwächetherapeutischen Bemühungen sehen. Kinder, die mit den Fingern rechnen

können, bedeuteten zwar einen Fortschritt gegenüber Kindern, welche lediglich mit den

Fingern zählen können. Aber solange noch immer eine äußere Handlung für das Rechnen als

notwendig übrig bleibt und das Rechnen nicht in die Vorstellung abhebt, können wir mit dem

Ergebnis unserer Didaktik nicht zufrieden sein.

Wilhelm Schipper, der Leiter der Beratungsstelle für Rechenschwäche an der Universität

Bielefeld verfolgt ganz wie wir das Ziel, ein Rechnen mit Hilfe von Vorstellungen

aufzubauen: „Diese Kinder will man so weit bringen, daß sie mentale Vorstellungen

aufbauen, mit deren Hilfe sie rechnen. Daher sitzen sie manchmal mit verbundenen Augen

vor einem Rechenrahmen, weil sie lernen sollen, sich den Rahmen vorzustellen, während sie

rechnen. Die meisten Kinder ohne Rechenstörungen lernen das sehr schnell. Für Kinder mit

Rechenstörungen ist es ein weiter Weg dorthin“ (FAZ, 6.4.2003, von Katrin Hummel). Der

Rechenrahmen, mit dessen Hilfe sich diese Kinder in Bielefeld die Rechenoperationen

vorstellen sollen, besteht aus einem Brettchen, auf dem zwei senkrechte Hölzer befestigt sind.

Diese wiederum sind mit zehn waagerechten dünnen, gewöhnlich runden Stäbchen

verbunden, auf denen wiederum jeweils 10 Kugeln aufgefädelt sind, meist fünf davon in einer

Farbe und weitere fünf in einer anderen Farbe, etwa rot und blau.

Abb. 14 Rechenrahmen mit je fünf und fünf farbigen

Kugeln auf einer Stange, zehn solche Stangen

untereinander ergeben den Zahlenraum 100.

Solche Rechenrahmen waren über einige Jahrzehnte aus

dem rechendidaktischen Repertoire nahezu

verschwunden, sind in jüngster Zeit als konkrete Hilfen

zur Veranschaulichung von Rechenoperationen wieder

beliebter geworden. – Für Kinder mit ausgeprägter

Rechenschwäche und Körperschemastörungen ist diese

Hilfe erst der zweite Schritt, die Arbeit mit den Fingern

sollte als innerhalb des kindlichen Körpers und damit

kinästhetisch wahrnehmbar vorgezogen werden.

Das tatsächliche Hantieren auf dem Rechenrahmen ist ausgehend vom Sehen des

Rechenrahmens damit verbunden, dass simultan mit den Fingern des Kindes kleine Mengen

von Kügelchen auf den Stäbchen hin- und hergeschoben werden. Diese äußere und

tatsächliche Handlung kann, wenn sie einige Zeit in der Realität ausgeführt wurde, dann auch

versuchsweise in der Vorstellung ausgeführt werden.

Ein Beispiel soll das verdeutlichen: Angenommen, es soll die Aufgabe 10 – 3 gelöst werden,

so müssen zunächst alle zehn Kugeln auf dem obersten der zehn runden Querstäbchen ganz

nach links gerückt sein. Das Kind, wenn es nicht eins ums andere weg-„zählt“, muss auf

einmal, also simultan, drei Kugeln mit Hilfe seiner Hand nach rechts rücken. Für diesen

Zweck ist es sinnvoll, das Kind berührt die dritte Kugel von rechts, welche zugleich die achte

Kugel auf dem Querstab ist, und schiebt mit deren Hilfe die Kugeln neun und zehn, also alle

drei auf einmal nach rechts bis zum Anschlag. Übrig bleiben mit Anschlag links sieben

Kugeln, das Ergebnis von 10 – 3 ist 7.

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Abb. 15 Um „10 – 3 = 7“ auf dem Rechenrahmen zu rechnen, werden mit einem einzigen

Finger, dem Zeigefinger, drei Kügelchen auf einmal nach rechts geschoben.

Da wir mit den ForscherInnen aus London und Salzburg das Subitizing, das Simultanerfassen

von Mengen, als Kernaufgabe der Rechenschwächetherapie erkannt haben, gilt es nun zu

untersuchen, welche sensorischen Möglichkeiten hierbei das Subitizing zu befördern

vermögen. Das Kind sieht den Rechenrahmen, sieht alle Kugeln darauf. Aber wie kommt es

dazu, mit seiner Hand die dritte Kugel von rechts als die richtige Kugel, die es berühren gilt,

und mit deren Hilfe man die letzten beiden Kugeln nach rechts schieben sollte, zu erkennen?

Drei Möglichkeiten scheinen neuropsychologisch denkbar: Entweder das Kind kann bereits

mit dem Sehsinn eine Menge von drei Kugeln simultan erfassen, ist also bereits jenseits der

Schwäche des visuellen Simultanerfassen angelangt. Dieses Kind gehört allerdings eher zu

denen, die nicht eine Therapie der Rechenschwäche aufzusuchen brauchen. - Oder das Kind

muss die gesuchte Dreiermenge abzählen, z. . unter Zuhilfenahme der Augen. Es wird dabei

laut oder leise oder aber auch nur innerlich mitsprechen, während seine Augen von ganz

rechts her beginnend mit zwei gezielt ausgeführten Sakkaden vom 10ten zum 9ten und von da

zum 8ten Kügelchen springen. Dazu spricht das Kind innerlich: „Eins, zwei, drei!“. – Das

Kind muss nun mit gut und stabil auf der achten Kugel fixiertem Auge diese Kugel visuell

festhalten bis seine Hand an eben dieser Kugel angelangt ist und mit eben dieser Kugel die

anderen beiden rechts davon liegenden bis zum rechten Anschlag des Rechenrahmens

schieben.

Jede sonderpädagogisch erfahrene UnterrichtspraktikerIn weiß natürlich, dass die eben

beschriebene Leistung nicht am Anfang der Entwicklung von Kindern steht, die mit dem

Entwickeln von Vorstellungen ihre liebe Not haben und schon gar nicht bei notorischen

Abzählern. Vielmehr würden solche Kinder – das wäre somit die dritte Möglichkeit - in einem

visuo-motorischen Vollzug zuerst die ganz rechts gelegene Kugel mit ihrem Finger antippen,

dann die neunte daneben und schließlich die achte Kugel, dabei würden sie leise oder laut

zählen: „Eins, zwei, drei!“ – Erst daraufhin anschließend würden sie diese dritte Kugel von

rechts samt den anderen beiden Kugeln mit dem Zeigefinger zum rechten Rand des Stäbchens

schieben. – Dass das Kind so verfährt, ist durchaus legitim, denn: Wie soll einer, der die

Dreiermenge nicht simultan erfassen kann, diese anders herausfinden als durch Abzählen?

Auch wir haben oben ja zugelassen, dass die Kinder in der Vorbereitung des simultanen

Ausstreckens von Fingern diese mit kleinen vorbereitenden Bewegungen vorab abzählten, um

sie erst dann simultan auszustrecken.

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Abb. 16: Subtraktion und Simultanerfassen bei

der Arbeit mit dem Rechenrahmen:

Um 10 – 4 auf dem Rechenrahmen lösen zu

können, muss das Kind aus den 10 Kugeln von

rechts her kommend eine Menge von 4

ausgliedern. Kann das Kind eine Menge von 4

nicht bereits überblicken, muss es diese vier

Kugeln durch zählen auffinden. Es beginnt

also von rechts her mit seinem Zeigefinger eine

erste Kugel ein klein wenig von den anderen

weg zu bewegen. Darauf folgt eine zweite, eine

dritte und schließlich eine vierte.

Abschließend werden dann alle vier Kügelchen

auf einmal mit dem Zeigefinger ganz bis zum

rechten Anschlag des Rahmens geschoben.

Wie man leicht sieht, wird das simultane

Erfassen der Mengen bei der Arbeit mit dem

Rechenrahmen stets nur mit dem visuellen

Wahrnehmungskanal möglich sein. - Eine

motorisch und kinästhetisch fundierte Weise

des Simultanerfassens kleiner Mengen lässt

dieses Veranschaulichungsmittel elementarer

arithmetischer Operationen nicht zu. Die

motorischen Akte der eigentlichen Subtraktion

von 3, 4 oder 5 Kugeln unterscheiden sich

kaum. Es wird einfach mit dem Zeigefinger eine Menge Kugeln geschoben. Ob sich

demzufolge dieses Medium dennoch für im engeren Sinne rechenschwache Kinder gleich im

Einstieg und zur Aufarbeitung ihrer Defizite im Subitizing von Mengen eignet, bleibt unklar.

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Dennoch gibt es einen entscheidenden Unterschied in den beiden Verfahren, entscheidend vor

allem für den Aufbau des Simultanerfassen selbst, des Subitizing kleiner Mengen. Am

Rechenrahmen zählt das Kind die Dreiermenge entweder mit dem Finger „tipp, tipp, tipp“

oder mit den Augen „ruck, ruck, ruck“ und spricht in beiden Fällen begleitend „eins, zwei,

drei“ und erfasst so die drei gewünschten Kugeln. Das simultane Bewegen der jeweiligen

Kugelmenge aber ist als Handlung nahezu immer dieselbe. Mit dem Zeigefinger wird

eine einzige Kugel fest berührt und mit deren Hilfe die weiteren nach rechts geschoben.

Das eigentliche Subtrahieren, seien es zwei, drei, vier oder fünf Kugeln ist als Handlung

motorisch gesehen so gut wie immer dieselbe. Es ist stets nur der eine Zeigefinger

beteiligt, dieser schiebt eine wechselnde Anzahl von Kugeln nach rechts. – Wo bleibt auf

körperlicher Ebene das Subitizing? - Im Grunde bleibt es auf der Strecke. Das

Simultanerfassen war dem Kind lediglich als visuelles Ergebnis seines Abzählaktes

sichtbar. Im Akt des Subtrahierens, wenn es die drei letzten Kugeln nach links schiebt,

verdeckt sogar noch gewöhnlich die Hand des Kindes den Anblick der drei simultan bewegten

Kugeln zumindest teilweise. Ist dann die Subtraktion vollzogen und die Hand wieder

weggenommen, sieht das Kind die drei Kugeln rechts und - durch die Farbgebung zerlegt in 5

und 2 - die sieben Kugeln auf der linken Seite des Querstäbchens.

Ganz anders beim Subtrahieren mit den Fingern. Alle arithmetischen Aspekte des

Vorganges werden nicht nur visuell, sondern auch motorisch und kinästhetisch völlig

deutlich wahrnehmbar gemacht und umfassend widergespiegelt. Beim eigentlichen

Subtrahieren werden wirklich genau so viele Finger gleichzeitig bewegt, wie subtrahiert

werden sollen, und nicht immer nur ein Zeigfinger, egal wie viele Kugeln weggeschoben

werden sollen.

Freilich kann das Kind auch den ganzen Vorgang sehen, so dass eine intermodale

Wahrnehmung, sowohl kinästhetisch als auch visuell stattfindet, aber unsere praktische

Erfahrung hat gezeigt, dass die kinästhetische Wahrnehmung für sich alleine leistungsfähig

sein muss, bevor die intermodale sinnliche Wahrnehmung für den Lernprozess sinnvoll ist.

Kommt die visuelle Wahrnehmung vor der Nachentwicklung der kinästhetischen

Wahrnehmung, so wirkt sie wie eine Kompensation des nicht deutlich Fühlbaren und

verhindert den Vorstellungsaufbau beim Kind.

Lässt man beispielsweise Kinder beim Fingerrechnen nach der Kybernetischen Methode nicht

eine Phase durchlaufen, bei der sie sich die Finger ohne visuelle Unterstützung vorstellen und

die geforderten Bewegungen erfühlen müssen, so klappt später das Abheben in die

Vorstellung und damit das Kopfrechnen in vielen Fällen nicht oder nicht so gut.

Diese Beobachtung passt gut zu der Trefferquote in der Förderung, von der Wilhelm Schipper

berichtet, der mit dem oben beschriebenen Rechenrahmen arbeitet, von dem wir gezeigt

haben, dass im Kern der Sache lediglich ein visuelles Erfassen der Menge möglich ist: „Die

meisten Kinder kommen in der zweiten Hälfte des zweiten Schuljahres oder in der ersten

Hälfte des dritten Schuljahres zu uns“, sagt Schipper. Die Stelle kann jedem dritten Kind

insofern helfen, als es nach vier Monaten zumindest beim Addieren und Subtrahieren den

Anschluss an das Klassenniveau erreicht hat“ (ebd.)

Das bedeutet, dass zwei Dritteln der Kinder auf einem solchen Wege nicht in überzeugender

Weise geholfen werden kann, sicher ein respektables, aber keineswegs noch befriedigendes

Ergebnis. Die Erklärung für die fehlenden zwei Drittel der Erfolgsquote liegt indes auf der

Hand: Der Rechenrahmen ist neuropsychologisch insofern ein unzureichendes

didaktisches Instrument, als er die Simultanerfassung kleiner Mengen auf

kinästhetischem Wege ausschließt und sich ausschließlich auf den Sinneskanal des

Sehen stützen muss. Die motorischen Akte, die das Kind beim Subtrahieren zu vollziehen

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vermag, sind entweder abzählender Natur oder – für den eigentlichen Akt des Addierens oder

Subtrahierens – stereotyp immer nur mit einem einzigen Finger ausführbar.

Die obigen Überlegungen ergeben Stoff für zumindest zwei interessante empirische Untersuchungen. Zum einen

könnte man rechenschwache Kinder im Vergleich mit beiden Verfahren trainieren und die Resultate

vergleichen. Man könnte aber auch rechenschwachen Kindern zunächst das Arbeiten mit den Fingern nach der

Kybernetischen Methode angedeihen lassen und sie anschließend mit Vorstellungen vom Rechenrahmen

trainieren und herausfinden, ob diese Variante der Präsentation arithmetischer Sachverhalte im Zahlenraum bis

10 ihre Vorstellungskräfte weiter fördert und ihre Rechenleistungen noch einmal verbessert.

7.

Konkrete Entwicklungsschritte bis hin zum Aufbau des

Kopfrechnens nach der kym®

Haben Kinder erst einmal die Fähigkeit und Fertigkeit erworben, mit den Fingern zu rechnen,

insbesondere zu Addieren, Subtrahieren, Zerlegen und Ergänzen im Zahlenraum 10, und

haben sie weiter dabei gelernt, alle operativen Akte mit ihren Händen sprachlich zu begleiten,

können wir den Übergang zum Verlassen des Rechnens mit den Fingern wie folgt einleiten.

Die Kinder strecken mit verschränkten Armen die Hände unter ihre Achseln und werden

aufgefordert, sich gleichzeitig dort, wo sonst ihre Hände bei den Übungen lagen und bewegt

wurden, Hände vorzustellen. Die wirklichen Hände der Kinder sind also seitenverkehrt unter

den Achseln versteckt, die linke Hand unter der rechten Achsel und umgekehrt. Die

vorgestellten Hände liegen hingegen auf dem Tisch. Damit diese Vorstellung intensiviert

wird, sagt die LehrerIn den Kindern, sie sollen mit den Augen genau dorthin schauen, wo sie

sich die Hände vorstellen.

Abb. 17 Die TrainerIn zeigt, wie die

Kinder mit verschränkten Armen auf

den Tisch schauen sollen, um sich dort

Hände, Finger und deren Bewegungen

vorzustellen.

Die wirklichen Händen der Kinder sind

also unter die Achseln gesteckt. Auf

dem Tisch, auf dem sie zuvor immer mit

den Fingern gerechnet hatten, sollen

sich die Kinder nun ihre Finger und

Hände lediglich nurmehr vorstellen.

Die Finger werden nun allein in der

Vorstellung ausgestreckt und

umgekippt, Mengen und Operationen

werden verbal von der Trainerin

erfragt. – Bemerkenswert dabei ist,

dass die Kinder während dieser

Vorstellungsarbeit ihre tatsächlichen Finger nicht bewegen. Sie bewegen „Phantomglieder“.

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Wenn man dergestalt verfährt, kann man beobachten, dass die Kinder in weiterer Folge keine

Fingerbewegungen mit den tatsächlichen Händen ausführen, auch sind keinerlei

Muskelzuckungen beobachtbar. In der Tat produzieren die Kinder eine Art Phantomglieder,

also nicht vorhandene vorgestellte Hände mit Fingern, welche sie auch lediglich in der

Vorstellung bewegen.

Nun beginnt die LehrerIn, den Kindern verbale Anweisungen zu geben und Fragen zu stellen.

Sie sagt beispielsweise: „Eure vorgestellten Finger auf dem Tisch zeigen die Zahl 5. Welche

Finger der rechten Hand sind ausgestreckt?“

Kinder: „Keiner! Alle sind umgekippt.“

Lehrerin: „Jetzt geben wir zwei Finger dazu. – Welche Finger habt ihr nun dazu

ausgestreckt?“

Kinder: „Den rechten Daumen und den rechten Zeigefinger.“

Lehrerin: „Welche Finger an der rechten Hand sind nun immer noch nicht ausgestreckt?“ –

Kinder: „Der rechte Mittelfinger, der rechte Ringfinger und der rechte kleine Finger.“

Lehrerin: „Und wie viele Finger sind es nun insgesamt?“

Kinder: „Sieben.“

Lehrerin: „Nehmt nun drei Finger weg. – Wie viele könnt ihr an der rechten Hand

wegnehmen?“

Kinder: „Nur zwei.“

Lehrerin: „Und wie viele müsst ihr dann noch von der linken Hand wegnehmen?“

Kinder: „Einen müssen wir noch wegnehmen.“

Lehrerin: „Welcher Finger ist das?“

Kinder: „Der Daumen.“

Lehrerin: „Welcher Daumen?“

Kinder: „Der linke Daumen, den rechten haben wir ja schon umgekippt.“

Lehrerin: „Wie viele Finger sind es nun insgesamt, die immer noch ausgestreckt sind?“

Kinder: „Vier.“

Lehrerin: „Welche Minus-Aufgabe haben wir eben gelöst?“

Kinder: „7 minus 3, das ergibt 4.“

Lehrerin: Und wie sagen wir das richtig?“

Kinder: „Sieben minus drei gleich vier.“

Lehrerin: „Nun gebt sechs Finger dazu. Wie viele Finger könnt ihr an der linken Hand noch

dazugeben?...

Die Kinder erfahren so, dass sie nicht mehr die wirklichen Finger bewegen müssen, um

zu einer Lösung zu kommen. Sie erkennen: Es genügt, Vorstellungen zu bewegen. Diese

sind im ersten Moment noch sehr konkret als Fingervorstellungen konzipiert. Die

praktische Erfahrung zeigt, dass solche konkreten Vorstellungen nach einiger Übung

rasch schemenhafter werden und die Kinder schließlich den Eindruck machen, das

geforderte Ergebnis einfach zu wissen.

Wie im vorigen Kapitel schon angedeutet, wäre es interessant, derart trainierte Kinder mit

Vorstellungen vom Rechenrahmen weiter zu trainieren, um zu sehen, wie sich eine

modifizierte Vorstellungsaufgabe dieser Art in weiterer Folge auf den Kompetenzerwerb

auswirkt.

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8.

Die Erweiterung des Zahlenraums über 10 hinaus als Rollenspiel

mit den Fingern mehrerer Kinder

Zehn Finger reichen nur für den Zahlenraum bis 10. Setzen wir indes zwei Kinder

nebeneinander, so kann das jeweils links sitzende Kind den ersten Zehner übernehmen, das

rechts sitzende Kind den zweiten Zehner, denn sie verfügen ja gemeinsam über 4 Hände mit

je 5 Fingern.

Abb. 18 Zwei Kinder haben zusammen vier Hände mit zwanzig Fingern. Je nachdem, welche

Rolle ein Kind gerade einnimmt, „ist“ es der erste oder der zweite Zehner.

Entscheidend für die Verständnisentwicklung des Zehnersystems ist der Rollenspielcharakter

im Team: „Einmal bin ich der erste Zehner und du der zweite, dann bist du der erste Zehner

und ich der zweite.“ – Für die verschiedenen Rollen müssen sich die Kinder freilich

umsetzen. Die Kinder „sind“ also entweder der erste oder der zweite Zehner. Dabei löst sich

die Rolle der Finger auch bereits von einer blinden Identifikation beispielsweise des linken

kleinen Fingers mit „1“. Habe ich nämlich die Rolle des zweiten Zehners, so ist mein linker

kleiner Finger der elfte Finger. Setzen wir gar drei Kinder zusammen, so ist der linke kleine

Finger des dritten Kindes der einundzwanzigste Finger eines solchen Trios mit sechs Händen.

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Abb. 19 Zu dritt zeigen wir so die Zahl 1! Der zweite und der dritte Zehner haben nichts zu

tun, d.h. sie müssen keinen einzigen Finger ausstrecken. Die Fäuste bleiben geschlossen.

Und das ist die Zahl 11! Jetzt hat nur der dritte Zehner noch keine Finger auszustrecken.

Das ist die Zahl 21. – So können wir zu Dritt die Zahlen 1, 11 oder 21 zeigen, wobei jeder

einmal den einen Einer hat.

Lassen wir das Team aus zwei, drei oder mehr Kindern, welche die „Zehner sind“, zählen, so

gilt die Spielregel, dass immer alle Kinder mitzählen, nicht etwa nur das eine Kind, das

gerade auch seine Finger bewegt. – Das ist wichtig, um die eigene Rolle für jedes Kind

wirklich sehr bewusst zu machen. Die Kinder sind ja vom Zählen im Zahlenraum 10 her

gewohnt, wenn sie „1“ sagen, den linken kleinen Finger dazu auszustrecken. Nun müssen sie

aufpassen, wann ihr linker kleiner Finger wirklich dran ist. - Mit anderen Worten: Wenn ein

Kind eben gerade der zweite oder ein weiterer Zehner ist, muss es beim Aussprechen von

„eins“ die gewohnte assoziative Verbindung zwischen dem Sprechen von „eins“ und dem

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Ausstrecken des linken kleinen Fingers hemmen. Dieses motorische Hemmen geht so lange

weiter, bis es an der Reihe ist. Gleichzeitig schaut es den Bewegungen des jeweils motorisch

aktiven Kindes zu, während es die Abfolge der Zahlen im Team mit-artikuliert.

In dieser Art des Zählens liegt bereits ein erster Schritt zur Abstraktion im Gebrauch der

Finger. Und im Rollenverständnis ein bestimmter Zehner zu sein, heute der morgen ein

anderer, wird ein lebendiger Bezug zum Zehnersystem aufgebaut.

Zur Sprechweise ist noch anzumerken, dass im Idealfall einer präzisen Koordination genau zu

dem jeweiligen Teil des Zahlwortes auch dorthin geblickt und genickt wird, wo mit den

Händen eben dieser Teil des Zahlwortes dargestellt wird. Sagt man etwa „drei-und-zwanzig“,

so wird beim Aussprechen des Teilwortes „drei...“ auf die drei einzelnen Finger des dritten

Kindes geschaut und genickt, bei „...und-zwanzig“ dagegen auf die zwanzig Finger der beiden

anderen Kinder im Team, welche die ersten beiden Zehner „sind“.

Dieser lebendige Bezug wird beim unmittelbaren Mengenerfassen, also beim Subitzing, und

beim Darstellen von Ordnungszahlen noch deutlicher. Drei Kinder bilden den Zahlenraum bis

30. Sie erhalten die folgenden Anweisungen:

„Zeigt mir 3 Finger!“ – Das erste Kind streckt auf einmal seine ersten drei Finger aus. Die

anderen beiden Kinder haben nichts auszustrecken. Sie sprechen lediglich das Zahlwort „drei“

aus.

„Zeigt mir 13 Finger!“ – Das erste Kind streckt alle 10 Finger auf einmal aus und das zweite

Kind drei Finger. Das dritte Kind schaut den anderen beiden lediglich zu und sagt nur mit

ihnen gleichzeitig das Zahlwort „dreizehn“.

„Zeigt mir 23 Finger!“ – Nun sind handelnd und sprechend alle drei Kinder involviert. Die

ersten beiden zeigen ihre zehn ausgestreckten Finger und das dritte Kind streckt seine ersten

drei Finger aus. Alle drei Kinder aber sagen „dreiundzwanzig“.

Nun kommen wir zu den Ordnungszahlen und in weiterer Folge stellen wir dann kunterbunt

Ordnungszahlen und Kardinalzahlen einander gegenüber, bis die Mengen von den

Rangplätzen klar und sicher unterschieden werden können.

„Zeigt mir den dritten Finger!“ – Das erste Kind streckt seinen dritten Finger aus, seinen

linken Mittelfinger, alle anderen Finger bleiben umgekippt, auch die der anderen beiden

Kinder.

Dann: „Zeigt mir den dreizehnten Finger!“ – Nun müssen das erste und das dritte Kind keinen

Finger bewegen, das zweite Kind aber seinen dritten Finger ausstrecken.. Alle drei Kinder

sagen: „Das ist der dreizehnte Finger.“ Alle drei schauen dabei auf eben diesen Finger des

mittleren Kindes.

Entsprechend fordern wir dann auch noch: „Zeigt mir den dreiundzwanzigsten Finger!“ – Die

Kinder blicken auf den dritten Finger des dritten, ganz rechts sitzenden Kindes, der

ausgestreckt wird und sie sagen gemeinsam: „Das ist der dreiundzwanzigste Finger.“

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Abb. 20 Die Menge von dreiundzwanzig Fingern – so ist also mit den Händen von drei

Personen die Kardinalzahl 23 dargestellt. Das Kind sollte genauso einmal den ersten Zehner

und einmal den dritten Zehner spielen. Beim Aussprechen des Zahlwortes wird zuerst auf die

„drei-„ hin mit dem Kopf genickt, dann auf die „...-und-zwanzig“.

Hier haben wir „den dreiundzwanzigsten Finger“ in dieser Darstellung des Zahlenraumes

bis dreißig mit 6 Händen und drei Personen. Zu zählen begonnen wird stets am linken kleinen

Finger der am meisten links sitzenden Person.

Die Kardinalzahl „dreiundzwanzig Finger“ wird so der Ordnungszahl „der

dreiundzwanzigste Finger“ gegenübergestellt. Die Kinder lernen mit dieser Art der Handlung

im Team die beiden Arten von Zahlen sehr klar und deutlich auch lautsprachlich zu

unterscheiden.

Hinweis: M. Gaidoschik (2003) hat Schwierigkeiten rechenschwacher Kinder beim

Unterscheiden von Ordnungs- und Kardinalzahlen beobachtet und hält diese für eine Art

Kernproblematik der Rechenschwäche. Diese Annahme kann angesichts der Leichtigkeit, mit

der Kinder diese Hürde mit Hilfe der gezeigten Darstellungsübungen nehmen, nicht bestätigt

werden.

Eine der Kindergärtnerinnen in unserem Projekt „Kybernetische Methode im Kindergarten

zur Prävention von Lernstörungen in der Volksschule“ in Klagenfurt Welzenegg hat mit einer

Gruppe von sieben Kindern, die kurz vor der Einschulung standen, dieses Spiel kurzerhand

voller Begeisterung bis 70 durchgezogen. – Wir meinen nicht, dass eine solche Ausdehnung

des Zahlenraums als Aufgabe des Kindergartens gesehen werden sollte, es zeigt indes, wie

leicht es Kindern schon vor der Einschulung fällt, handelnd und sprechend im Zusammenspiel

mit einem so hautnahen Medium wie den Fingern, einen soliden Zahlbegriff zu entwickeln. –

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Nach der kym® werden dann diese vielen Finger bei Schulkindern auch noch auf einen

Zahlenstrahl mit einer 2 cm Teilung aufgelegt und so das körperliche mit dem grafischen

Medium verknüpft. Die Übungsformen hierzu findet man im Praxispaket „Rechnen lernen mit

der Kybernetischen Methode“ im darin enthaltenen Praxishandbuch und dem zugeordneten

Lehrfilm.

Abb. 21 Die Kardinalzahl „sieben Finger“ wird der Ordnungszahl „der siebte Finger“ auf

dem Zahlenstrahl gegenübergestellt. – Wir gehen überdies freilich hinaus auf die Straße und

zeigen als weiteres Beispiel für Ordnungszahlen den Kindern Hausnummern. Das Haus mit

der Hausnummer „7“ ist etwas ganz anderes als die Menge der sieben Häuser mit den

Hausnummern „1“ bis „7“. – Auf diese Art verstehen Kinder den Zahlenstrahl oft besser. Sie

glauben nicht mehr einfach, dass der Strich an der Stelle, wo die Zahl 10 steht, „Die Zehn“

sei. Es ist dies der zehnte Strich, aber die Menge 10 entspricht der ganzen Strecke vom

Anfang des Zahlenstrahles bis hin zum 10-ten Strich, also der Raum, in den alle zehn Finger

passen.

Eine derartige Vernetzung des nach der kym®

ersten Darstellungsmediums der Finger mit

dem bereits abstrakteren Medium des Zahlenstrahls trägt so nachhaltig zum Verständnis des

Zahlenstrahles bei.

9.

Zehnerübergänge im Team von vier oder mehr Händen

Auf das Mengenerfassen im Rahmen des Zählens und auf die Darstellung der Ordinalzahlen

folgt das Addieren und Subtrahieren. Hierbei stehen wir, wie schon oben deutlich geworden

ist, erneut vor Aufgaben des Simultanerfassens, nämlich dem Erfassen des zweiten Addenden

bei der Addition, bzw. des Subtrahenden bei der Subtraktion.

Beim Zählen oder Zahldarstellen ging das Simultanerfassen immer von 1 an bis zu eben der

Zahl, die gewünscht wurde. Bei der Darstellung von 25 müssen beim linken Kind beginnend

zuerst die beiden Zehner und dann die 5 Einer ausgestreckt werden. Soll aber 15 + 3

gerechnet werden, so ist ein Simultanerfassen einer Dreiermenge vonnöten, die dort beginnt,

wo die Ausgangszahl endet. Die damit verbundenen Probleme der Bewegungsplanung haben

wir oben schon besprochen. Was aber, wenn die Aufgabe nicht von einem einzigen Kind

alleine bewältigt werden kann, sondern zwei Kinder ins Spiel kommen wie bei 8 + 3 mit

anderen Worten, beim Zehnerübergang?

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Abb. 22 Die Aufgabe lautet 8 + 3. Das erste Kind zeigt acht und spricht: „Acht...“

streckt seine verbleibenden zwei Finger noch aus und sagt: „...und zwei ist zehn...“ – Nun

muss überlegt werden, wie viel von der Aufgabe 8 + 3 schon erledigt ist und was noch fehlt.

Also zwei habe ich schon dazu getan, drei sollen wir insgesamt dazutun.

Also brauchen wir von deinen Fingern noch einen einzigen: „...und zehn und eins ist elf...“.

Freilich müssen wir auch hier die Rollen tauschen, einmal bin ich der erste Zehner und dann

bist du der erste Zehner.

Wenn der Vorgang erst einmal richtig verstanden ist, sollte man freilich den Kindern

beibringen, mathematisch ganz korrekt zu sagen: „Acht plus zwei gleich zehn, zehn plus eins

gleich elf. Somit acht plus drei gleich elf.“ Denn diese Weise des Sprechens passt eins zu

eins zu dem, was in der mathematischen Symbolik hingeschrieben wird: „8 + 2 =10, 10 + 1 =

11. Somit 8 + 3 = 11.“

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Drei sollen dazugegeben werden, das erste Kind hat aber nur noch zwei Finger zum

Ausstrecken. Die Kinder überlegen, wie viele Finger vom zweiten Kind noch dazugegeben

werden müssen, damit die Additionsmenge von 3 voll wird, und sie erkennen, dass noch einer

fehlt. – Entscheidend dabei ist, dass jedes Kind beide Rollen erlebt. Wenn es die Rolle des

ersten Zehners spielt, also „der erste Zehner ist“, dann hat es noch zwei Finger zum

Ausstrecken. Wenn es ein andermal „der zweite Zehner ist“, schaut es zu, wie sein

Vorgänger-Zehner seine letzten beiden Finger rausrückt und gibt selber noch einen dazu.*

Nur dann, wenn das Kind nach Maßgabe seiner individuellen Bedürfnisse beide Rollen

intensiv und oft genug gespielt hat, kann es sich den Partner durch eine im Zuge dieser

Übungen gewonnene Vorstellung ersetzen. Es kann dann auch ganz alleine dasitzen mit acht

ausgestreckten Fingern und sagen: „Acht und zwei ist zehn. Also da habe ich schon mal zwei

dazugegeben, für drei brauche ich noch einen, dann ist das 11.“

Eine kleine Zwischenstütze wurde uns hierfür als Übergang von einer Lehrerin geschildert,

die den Kindern, als sie anfingen alleine zu arbeiten, ein paar aus Papier ausgeschnittene

Hände anbot, welche neben die Hände des Kindes gelegt wurden. Dabei waren freilich immer

alle papierenen Finger ausgestreckt, aber es lag noch etwas neben den eigenen Händen, was

die Vorstellungskräfte des Kindes zu bündeln und zu aktivieren half. Die Kinder entwickelten

dann ganz aus sich heraus folgende witzige Sprechweise. Die Aufgabe lautete 9 + 3. Das

Kind sagte: „Einen von mir und zwei Papier, macht 12.“ - Der Spaß dabei war, dass sich

bei allen Beispielen das Wörtchen „mir“ auf das Wort „Papier“ reimt.

Abb. 23 Wieder soll die Aufgabe 8 + 3 gelöst werden. Das Kind hat beide Rollen, die des

ersten Zehners und die des zweiten Zehners bereits gut gespielt, d.h. es kann nun aus dem

Blickwinkel des ersten Zehners sich das vorstellen, was der zweite Zehner noch zu tun hat.

Das Kind sagt: „Die Aufgabe lautet: Acht plus drei. Da nehm´ich zwei von mir...

... und eins Papier - gleich elf.“

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.

Die beiden Hände aus Papier, die rechts neben den eigenen liegen, sind eine reine

Vorstellungsstütze. Es ist deshalb auch nicht nötig, etwa die nicht-benötigten Finger aus

Papier umzuklappen, damit sie nicht dazuzählen. Eine solche vage Stütze für die

Vorstellungskraft kann es dem Kind indes erheblich erleichtern, erste Schritte im

vorstellenden Rechnen erfolgreich zu tun.

Die häufigste Rückmeldung von Lehrkräften, die diese methodischen Mittel einsetzen, lautet:

So wenig Schwierigkeiten mit dem Zehnerübergang hatte ich noch nie! Alle Kinder haben es

gelernt, es ging eigentlich ganz leicht.

*Für ausgeprägt rechenschwache Kinder, die als Korrektur eines verfahrenen Lernprozesses in der zweiten oder

einer noch höheren Schulstufe einer Einzelförderung bedürfen, gibt es in der kym® weitere Übungsformen zum

Zehnerübergang, die zu beschreiben den Rahmen dieser Ausführungen sprengen würde.

10.

Fünf Entwicklungsphasen bei der Aneignung der

Rechenfertigkeit im Bereich der Grundrechenarten

Wenn wir ganz im Sinne L. S. Wygotskis Entwicklungsgedanken in „Denken und Sprechen“

das arithmetische Denken in für das Kind nachvollziehbaren Schritten entwickeln helfen, so

haben wir einen sicheren Weg zum Aufbau von Zahlbeziehungen. Er beginnt bei der äußeren

Handlung und endet beim unmittelbar erscheinenden Wissen. Wie sich ein solches

schrittweises Vorgehen nach der Kybernetischen Methode darstellt, wollen wir in den

folgenden fünf Phasen darstellen:

Vorphase des schweigenden Nachahmens

I. Handeln und Sprechen, dann

II. Vorstellen und Sprechen, anschließend

III. Vorstellen und innerliches Sprechen

IV. vorstellendes Denken, schließlich

V. unmittelbar (erscheinendes) Wissen

Diese fünf Punkte oder Entwicklungsschritte sind so explizit bei den meisten Schulkindern

alleine schon deshalb nicht beobachtbar, weil diese Kinder Aspekte davon bereits schon in der

Vorschulzeit hinter sich gebracht haben. Diese Kinder erscheinen recht schnell schon zu

Anfang der Grundschule so, als ob sie von vorneherein auf Phase IV oder V angekommen

seien, ja gewissermaßen von diesem auszugehen scheinen. Das, was bereits in der

Vorschulzeit erworben wurde, macht für ein solches Kind im Unterricht überflüssig, was für

andere notwendig ist, damit eine Verinnerlichung arithmetischer Operationen überhaupt

stattfindet.

Das schulorganisatorische Problem dabei ist: Wie kann eine Lehrerin bei so unterschiedlich

entwickelten Kindern mit so weit auseinanderliegenden Voraussetzungen einen auch nur

einigermaßen einheitlichen Unterrichtsgang anbieten? Wie kann sie weiter diejenigen Kinder

zum für sie notwendigen handelnden Rechnen bei der Stange halten, wenn die anderen schon

„richtig“ rechnen, d.h. im Heft arithmetische Ziffern und Operationsszeichen aufschreiben? –

Schon M. Atzesberger (11) hat bezweifelt, dass die großen Unterschiede in den

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Lernvoraussetzungen einfach durch einen binnendifferenzierenden Unterricht allein lösbar

seien und hat präventive Übergangshilfe für die 5- und 6-jährigen eingefordert. In diesem

Sinne sähen wir das handelnde und sprechende Zählen und auch das erste handelnde und

sprechende Rechnen gerne schon spielerisch in die Kindergartenzeit vorverlegt, allerdings

definitiv auf der obigen Stufe I., nicht bereits mit Ziffern, Zahlen und Operationsszeichen.

Zur Vorphase des schweigenden Nachahmens

Leontjew würde dem Gefüge aus Handeln und Sprechen noch das rein nachahmende Handeln

vorausgehen lassen. Das hat gewiss in besonderen Fällen im sonderpädagogischen Bereich

seine Berechtigung, wo immer bereits das Nachahmen ein Problem darstellt, aber auch im

Bereich der Entwicklung des Fingergeschicks selbst. Dort ist schweigendes Nachahmen auch

ein Teil der Kybernetischen Methode.

Abb. 24

Ausgangsstellung Für die Nachahmung sitzen LehrerIn und SchülerIn

einander vis a vis an einem Tisch, beide haben ihre

Hände auf dem Tisch. Die Hände liegen spiegelbildlich

zueinander.

Das Kind erwartet nun ein Vormachen seitens der

LehrerIn, und dieses Vormachen wird es durch eine

spiegelbildliche Nachahmung beantworten.

Vormachen

Die großen Hände der LehrerIn strecken nun 7 Finger

aus. Die Lehrerin beginnt dabei nicht wie sonst mit dem

linken, sondern nun für das Kind spiegelbildlich mit

ihrem rechten kleinen Finger als der „1“.

Das Kind beginnt seine nachahmende Bewegung zu

planen: „An der linken Hand alle 5 Finger und an der

rechten Hand den Daumen und den Zeigerfinger

ausstrecken!“

Nachahmen

Das Kind streckt spiegelbildlich ebenfalls 7 Finger aus. -

Anfangs wird es gewöhnlich eine Hand nach der

anderen bedienen, zuerst einmal hier die linke Hand, bei

der alle Finger auf einmal ausgestreckt werden, dann die

rechte Hand, bei der zwei Finger ausgestreckt werden

müssen, während die anderen drei Finger umgekippt

bleiben sollen.

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Zu I. Handeln und Sprechen

Im Großen und Ganzen beginnt indes der eigentlich arithmetische Lernprozess in der

Vernetzung von „Handeln und Sprechen“. Das Kind zählt oder addiert und subtrahiert, zerlegt

oder ergänzt, indem es auf zwei Ebenen in äußerlich wahrnehmbarer Weise agiert. Es handelt

mit den Händen oder weiteren Objekten und es spricht exakt geordnet zu diesen Handlungen.

Eine zusehende TrainerIn kann alle beteiligten Aktionen als offensichtliche motorische bzw.

sprechmotorische Akte wahrnehmen.

Zu II. Vorstellen und Sprechen

Im zweiten Schritt wird die äußere Handlung mit Händen oder Objekten weggelassen, das

Sprechen aber bleibt laut und deutlich hörbar. In dieser Phase wird das Kind vorher in der Tat

ausgeführte Operationen in der Vorstellung ausführen. Die Lautsprache ist dabei das Leitseil

im Aufbau der Abfolge dieser vorgestellten Operationen. Sie steuert die Imaginationen und

„evoziert“ sie in der inneren Wahrnehmung des Kindes, d.h. ruft sie im Gehirn als

Erinnerungen an ehedem tatsächlich ausgeführte Folgen von Handlungen auf.

Wilhelm Schipper würde dem Kind das tatsächliche Objekt, mit dessen Hilfe es zuvor

gehandelt hat, noch in seiner Nähe belassen. Der Rechenrahmen steht vor dem Kind, aber

seine Augen sind vorübergehend verbunden. Nach der Kybernetischen Methode würde das

Kind die Hände zwar wegstecken, aber die Vorstellungen sollen auf die vertraute Tischfläche

hinprojiziert werden, auf der zuvor die tatsächlichen Handlungen ausgeführt worden waren.

Zu III. Vorstellen und innerliches Sprechen

Nun soll nicht nur die äußere Handlung, sondern auch das äußere handlungsbegleitende

Sprechen weggelassen werden. Alle Aspekte der Operation sollen verinnerlicht ablaufen, d.h.

als innercerebrale Prozesse, d. h. als Leistungen des Gehirns ohne äußeres Leitseil und ohne

Stütze im tatsächlich sinnlich Wahrnehmbaren. Äußerlich gesehen kneifen die Kinder ihre

Augen zu, legen den Kopf oft ein wenig schräg und schauen an die Decke, verdrehen dabei

sogar manchmal die Augen, tun also alles, um die sinnlichen Wahrnehmungen außen vor zu

halten, damit sie sich ihren inneren Bildern besser zuwenden können, und sagen dann

irgendwann das Ergebnis.

Diese äußere Erscheinung des kopfrechnenden Kindes wird von Kindern, welche die ersten

beiden Phasen nicht durchlaufen haben und demzufolge über die Fähigkeit, innerlich

arithmetisch zu operieren nicht verfügen, oft falsch gedeutet. Diese Kinder ahmen rein

äußerlich die guten Kopfrechner nach, indem sie sich hinstellen, nach oben schauen, dann

aber lediglich warten, dass ihnen etwas einfällt. Dass sich dies in der Tat so verhält, war

übrigens oft die Auskunft rechenschwacher Kinder, wenn man ihnen Kopfrechenaufgaben

stellte. Sie stellten sich hin und schauten nach oben. Nichts kam, nichts fiel ihnen ein. Zeit

verging. Fragte man sie: „Hey, was machst du eigentlich gerade?“, so antworteten sie: „Ich

warte, dass es mir einfällt.“ Andere sagten aber auch, sie wüssten nicht, was sie tun sollten,

sie könnten das nicht rechnen. – Wenn solche Kinder lernen, aus äußeren Handlungen

Vorstellungen aufzubauen, diese zu manipulieren usw., ist solche Ratlosigkeit stets

überwunden.

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Ganz offensichtlich ist es so, dass einem Scheitern eines solchen inneren Prozesses nur

dadurch begegnet werden sollte, dass man ihn neuerlich exteriorisiert, nach außen verlagert.

Denn nur so, im erneut lauten Sprechen oder gar erneutem äußeren Handeln kann das

Fundament für die interiorisierten Prozesse, für das Denken und Vorstellen, geschärft und

verfeinert werden, bis das innerliche Vorstellen schließlich genauso trittsicher abläuft wie das

äußere Tun.

Zu IV. Vorstellendes Denken

Die Phase III. kann von der Lehrperson freilich keineswegs kontrollierend wahrgenommen

werden. Was sich das Kind vorstellt und was es dabei innerlich spricht, soll einfach per

Aufforderung dem entsprechen, was vordem die äußeren Handlungen waren. Bald wird sich

ohne jede Aufforderung dieser Vorgang verkürzen und das innerliche Sprechen wird im Sinne

Wygotskis zu einem vorstellenden Denken hin mutieren.

Zu V. Unmittelbar (erscheinendes) Wissen

Wenn zwei Kinder sagen können: „Drei plus drei gleich sechs.“, so bedeutet das noch lange

nicht für beide Kinder das gleiche Wissen. Erwachsene können – mit anderen Worten – an

dem alleine, was Kinder an arithmetischen Aussagen verbal beherrschen, nicht erkennen, ob

hier ein Wissen oder ein Nachplappern auswendig gelernter Zahlbeziehungen vorliegt.

Das eine Kind aber kann dem Erwachsenen zeigen, was mit „drei plus drei gleich sechs“

gemeint ist, indem es mit realen äußeren Objekten oder mit innerkörperlichen Objekten wie

den Fingern demonstriert, was das Gemeinte bedeutet. Das andere Kind – das ist bei

rechenschwachen Kindern häufig der Fall – wird das Gemeinte nicht demonstrieren können.

Gibt man einem solchen Kind eine Menge Stäbchen in die Hand, mit deren Hilfe es „3 + 3 =

6“ darstellen soll, so legt es drei Stäbchen hin für die erste Ziffer drei, zwei gekreuzte

Stäbchen, die das Plus-Zeichen zeigen sollen, wiederum drei Stäbchen für die zweite Ziffer

drei, eventuell zwei parallele Stäbchen für das Gleichheitszeichen und schließlich sechs

Stäbchen für die Ziffer sechs. Fordert man das Kind auf, zu zeigen, was man bei drei plus drei

tun soll, zu zeigen, was für eine Handlung mit dem Pluszeichen gemeint ist, reagiert es

verständnislos. Seine Welt ist, was es arithmetisch hinzuschreiben gilt, und diese

Kompensation mangelnden Verständnisses, diese Fixierung auf die mathematische Welt der

Symbole endet freilich damit, dass keine Sachaufgaben verstanden werden. – Also

unmittelbar erscheinendes Wissen ist nicht dasselbe wie arithmetische Zungenfertigkeit.

Damit ein Kind über unmittelbares Wissen verfügt, muss das Schriftliche und das Mündliche

im Wirklichen fußen. Sehen kann man diese Verwurzelung in Wirklichkeitsbezügen nicht,

wenn man nur verbal oder schriftlich abfragt. Die Sicherheit des Kindes in den Aussagen, die

es auswendig gelernt hat, können über seinen Stand der Einsicht völlig hinwegtäuschen.

Mit unmittelbarem Wissen ist gemeint, dass das Kind aus genügender Handlungserfahrung,

die gründlich genug sprachlich interpretiert worden ist, eine Fähigkeit zur Interiorisierung

erworben hat. Das Äußere konnte in aller Ruhe ein Inneres werden, Teil einer beweglichen

Vorstellungswelt, die das Kind mental manipulieren und verändern kann. – Eine häufige

Übung solcher inneren Vorstellungen lässt die Konkretheit dieser Vorstellungen nach und

nach verblassen, d.h. es müssen nicht mehr die Finger sein, die ich mir vorstelle, auch nicht

die Steckwürfel oder was auch immer. Die Vorstellungen werden immer schemenhafter und

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verschwinden als bewusstseinspflichtige Übung schließlich anscheinend vollständig. Das

Kind bekommt eine arithmetische Frage gestellt, und es weiß sofort darauf die richtige

Antwort. Allerdings, fragt man dieses Kind danach, ob es das Gewusste auch zeigen kann, so

geht das Zeigen ganz fix. Das Kind nimmt drei Stäbchen in die eine Hand und drei in die

andere Hand und legt sie zusammen auf ein einziges Häufchen. Dabei schaut es den

Erwachsenen ein wenig verwundert an, so als wollte es sagen: „Wie kannst du mich so etwas

fragen? Das weiß doch jedes Kind?“ Dem Kind ist die Anschauung zum Begrifflichen so

restlos selbstverständlich, dass es nicht glauben kann, dass man danach noch fragen könnte.

11.

Üben ist nicht gleich Üben

Ähnlich erfolglos wie bei der Lese-Rechtschreibschwäche das „Üben, Üben, Üben“ von

Diktattexten, kann das „Üben, Üben, Üben“ von Rechenaufgaben, Rechensätzchen oder

Einmaleinsreihen bei Kindern sein, deren arithmetischer Entwicklungsstand gemäß den fünf

Phasen im vorigen Kapitel nicht zum „Üben, Üben, Üben“ passt.

Ein Kind, das zu keinem Simultanerfassen von Mengen, zu keinem „subitzing“, fähig ist, sitzt

vor einer Seite voller schriftlich vorgegebener Rechenaufgaben im Zahlenraum bis 10 und

vermag entweder nur zu raten oder abzuzählen, nötigenfalls an den Fingern. „Übt“ es diese

nicht seinem Entwicklungsstand angepassten Aufgaben, lernt es nichts wirklich Nützliches

dazu, denn es verfestigt lediglich seine Zählstrategie und wenn es nicht richtig rückwärts zu

zählen vermag, verfestigt es noch den Fehler um 1. Das wiederum treibt das Kind immer

tiefer in die Überzeugung hinein, es sei zum Rechnen zu dumm, mache immer und immer

wieder viel mehr Fehler als die anderen Kinder. Das wiederum reduziert seine Lust und

Bereitschaft, sich bei diesem „Üben“ anzustrengen und bringt für dieses Kind schließlich

sogar den Wert der Übung schlechthin in Verruf. Üben ist Qual, Üben ist nutzlos, Üben ist

nur dazu da, um mir noch deutlicher zu zeigen, dass bei mir Hopfen und Malz verloren ist.

Ein solches Kind sollte eben gerade nicht mit schriftlichen Aufgaben üben, es sollte u.U. nicht

einmal mit äußeren Objekten, dem gängigen strukturierten Material des mathematischen

Erstunterrichts arbeiten. Vielmehr sollte es handelnd und sprechend mit seinen Fingern die

Fähigkeit und Fertigkeit des Simultanerfassens entfalten, indem es lernt, simultan

Fingermengen auszustrecken und umzukippen. Ein solches „Üben, Üben, Üben“ würde

diesem Kind helfen, geeignete Vorstellungsgrundlagen für arithmetische Operationen

aufzubauen und einige Zeit später wäre auch dieses Kind in der Lage, einen Satz schriftlich

vorgegebener Hausübungen für sich übend zu nutzen.

Ein anderes Kind, das Handlungen und Sprache im Kontext einfacher arithmetischer

Operationen schon lange erfolgreich verinnerlicht hat, würden angesichts solcher Übungen

mit Fingern und begleitendem Sprechen geringschätzig die Lippen schürzen und das

Ansinnen dankend ablehnen - übrigens ganz zu Recht.

Die Auswahl der richtigen Weise des Übens setzt eine sorgfältige förderdiagnostische

Untersuchung des Kompetenzstandes und der arithmetischen Entwicklung des Kindes voraus.

Das richtige Üben ist das Üben auf der Ebene, die für das bestimmte Kind gerade die richtige

ist, weil es die darunter liegenden Stufen erworben hat.

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12.

Zusammenfassung und Schlussfolgerungen

Gehen wir davon aus, dass in der Tat, wie die Forschungsergebnisse aus London und

Salzburg nahe legen, der Kernpunkt einer Dyskalkulie die Unfähigkeit ist, simultan Mengen

zu erfassen, so folgt daraus, dass jedwede Art heilpädagogischer Abhilfe einer

Rechenschwäche in diesem Punkt des „subitizing“ dem rechenschwachen Kind

Möglichkeiten eröffnen muss. Bekannt ist die Tatsache, dass rechenschwache Kinder alles

abzählen und den Weg zu rechnerischen Lösungen nicht finden. Dass diese Kinder jedoch

primär die an den Rechenoperationen beteiligten Mengen nicht zu erfassen vermögen, und

nicht etwa vorrangig ein kognitives Problem mit der Verständnis der Rechenoperationen

aufweisen, ist für die Konstruktion therapeutischer Bemühungen wesentlich.

Soll demzufolge das Kind mit Schwierigkeiten im Rechnen in erster Linie einmal dahin

geführt werden, dass es eben doch Mengen simultan zu erfassen vermag, geht es um ein

Wahrnehmungsproblem mit Blick auf ein „Wie viele sind es?“ - Der Number Sense, das

Gefühl für Zahlen, kann seine Wurzeln nur in einem entsprechend entwickelten

Wahrnehmungsvermögen haben und deshalb müssen Erkenntnisse der

Wahrnehmungspsychologie, der Entwicklungspsychologie und der Neuropsychologie bei der

Konstruktion einer Lösung des Problems zur Anwendung kommen. Zieht man aber

Erkenntnisse aus diesen Disziplinen in Betracht, so ist gleich offensichtlich, dass primär oder

gar ausschließlich visuelle Lösungsverfahren zu hoch ansetzen und mit taktil-kinästhetischen

Lösungswegen unterbaut werden müssen. Nur so, unter Einbeziehung der Körpersinne, kann

ein sicheres Fundament für das Mengenerfassen mit allen Sinnen gelegt werden und die

Chance bestehen, eine genetische oder auf frühkindliche Deprivation irgendwelcher Art

beruhende Schwäche möglichst umfassend zu reduzieren.

Die Kybernetische Rechenlehrmethode, die das simultane Bewegen und Erfühlen von

Fingermengen als eine Fertigkeit bei Kindern systematisch entwickelt, leistet genau eine

Erfüllung der o.g. Forderungen so vollständig, wie dies bei keiner anderen Therapie der

Rechenschwäche bis dato geschieht. Sobald die Therapieformen das Handeln mit außerhalb

des menschlichen Körpers befindlichen strukturierten Anschauungsmitteln betreiben, geht die

Chance eines sorgfältig entwickelten Subitizing mit Hilfe des kinästhetischen

Wahrnehmungskanals verloren.

Somit ergeben sich die folgenden sechs Schlussfolgerungen:

1. Eine Therapie der Rechenschwäche, die das Simultanerfassen von Mengen als

grundlegendstes Phänomen der Störung angehen will, kommt – wie bereits von

Atzesberger vermutet - ohne eine zielgerichtete Arbeit mit den Fingern der Kinder

nicht aus. Nur so kann es gelingen, alle Sinneskanäle auf das „subitizing“ zu

fokussieren.

2. Die Arbeit mit den Fingern muss, um kinästhetische Reize auszulösen, einen

Hauptaugenmerk auf die Fertigkeit des simultanen Bewegens von Fingermengen

richten. In diesem Sinne entpuppt sich die Kybernetische Methode als hochmodernes

Verfahren zur Bekämpfung des grundlegendsten Phänomens der Rechenschwäche.

3. Die Arbeit mit dem Rechenrahmen kann aus den genannten Gründen nicht am Anfang

eines Aufbaues der Rechenkompetenz bei rechenschwachen Kindern stehen.

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4. Dem „mentalen visuellen Operieren“, wie es beispielsweise von Jens Holger Lorenz

auch unter Einsatz einer statischen Verwendung der Finger vorgeschlagen wird, fehlt

aus neuropsychologischer Sicht ein vergleichbar zielgerichteter Einsatz taktiler und

kinästhetischer Wahrnehmung beim Aufbau des Mengenerfassens (5).

5. Jeder Einsatz von Zahlbildern (Kühnel u. a.) muss als der körperorientierten

Basisarbeit nachrangig eingestuft werden. Dann allerdings kann man mit solchen

Mitteln einer inzwischen entwickelten visuellen Dimension des Mengenerfassens

erfolgreich weitergehen.

6. Auch ein „vergleichendes Rechnen“ nach Michael Gaidoschik bietet zum

Simultanerfassen keine Lösung an sondern baut auf auswendig gewussten

Rechensätzchen auf, um mit weiteren Schritten des Abzählens eine Fiktion von

Rechnen zu suggerieren (6).

Somit erweist sich in der wissenschaftlichen Zusammenschau der beteiligten Disziplinen die

Kybernetische Rechenlehrmethode als die derzeit womöglich modernste Form der Förderung

bei Rechenschwäche. Der hohe Prozentsatz erfolgreicher Förderungen selbst durch

TrainerInnen wie Eltern, LehrerInnen und Therapeuten, die nur eine kurze Ausbildung von

wenigen Tagen genossen haben, wird dadurch verständlich.

Dieses Ergebnis der Sachverhaltsanalyse lädt zum Schmunzeln ein. Nicht die Professoren

noch die erklärten Experten für Rechenschwäche haben eine wissenschaftlich umfassend

überzeugende Lösung für den ihnen kompliziert erscheinenden Sachverhalt gefunden,

sondern zeitgleich mit der Entwicklung der Kybernetischen Methode schon vor fast dreißig

Jahren eine Volksschullehrerin (vgl. S. 16) in der Obersteiermark.

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Anmerkungen

(1) Klicpera und Gasteiger-Klicpera (1995, 1998) haben in ihrer Arbeit über die

„Psychologie der Lese- und Schreibschwierigkeiten“ aufgezeigt, wie sich das Konzept der

phonologischen Bewusstheit als Kernmoment zur Ausprägung einer Lese-

Rechtschreibschwäche herauskristallisiert hat. Weitere von diesem Autorenteam zitierte

Untersuchungen zeigen auf, das bewusste Artikulation einen engeren Zusammenhang zur

Schreibung aufweist als etwa die Qualität von Hörlauten. Weiter erwähnen sie die

Beobachtung, dass die orale Sensibilität legasthener Kinder reduziert ist, was wiederum die

kinästhetische Wahrnehmung der Artikulation beeinträchtigt.

(2) Jens Holger Lorenz (Anschauung und Veranschaulichungsmittel im

Mathematikunterricht,1992) schreibt auf der Umschlagseite: „Im arithmetischen

Anfangsunterricht der Grundschule fallen jene Schüler auf, die trotz Bereitstellung einer

Vielzahl didaktisch-methodischer Hilfen alle Aufgaben durch Abzählen zu lösen versuchen.

Der Anteil solcherart „zählenden“ Schüler scheint trotz aller Bemühungen seitens der Lehrer

und Schulbuchautoren um noch „bessere“ Veranschaulichungsmittel keineswegs

zurückzugehen, sondern noch zu wachsen.“ – Wir sehen, dass allein ein inbrünstig

gesungenes Credo der Vielfalt von Veranschaulichung in der Didaktik und der damit

verbundenen Vielzahl der Veranschaulichungshilfen die Nöte dieser Kinder nicht zu beheben

vermag. So scheint die Frage nach Antworten aus der Neuropsychologie und dort nach den

Wegen, die Kinder beim Aufbau innerer Repräsentationen am leichtesten und erfolgreichsten

zu gehen vermögen, am ehesten zielführend. Die Neuropsychologie führt uns aber direkt in

die Erfordernis der inneren Repräsentation des Aufbaus des eigenen Körpers, bevor innere

Repräsentationen äußerer Objekte für diese Kinder aussagekräftig sein können. Somit sind

alle Hilfen, wie sie in der Therapie der Rechenschwäche von wem auch immer empfohlen

werden, stets als Hilfen einzustufen, deren Gebrauch eine Klärung wesentlicher Aspekte des

Körperschemas vorauszugehen hat.

(3) „Immer mehr wird deutlich, dass die kognitiven und sprachlichen Kompetenzen mit

Basiskompetenzen zur Bewältigung des täglichen Lebens, wie z. B. Kooperationsbereitschaft,

Verantwortungsbewusstsein, Eigeninitiative, Flexibilität, Fähigkeit zur Problemlösung,

kritische Haltung, Kreativität und soziale Empathie in einem engen Zusammenhang gesehen

werden müssen (Fthenakis, 2002).

Sowohl Basiskompetenzen als auch kognitive und sprachliche Kompetenzen entwickeln

Kinder im Vorschulalter zum großen Teil durch Bewegung und auf der Grundlage von

Bewegung (Dieser grundlegende Zugangsweg der Kinder zum Lernen durch Bewegung

ändert sich freilich nicht abrupt mit dem Übergang in die Schule und das schulische Lernen,

Anm. d.Verf.). Durch Bewegungshandlungen lernen die Kinder, sich selbst, ihre Umwelt und

ihre Bezugspersonen kennen. Durch Bewegung lernen sie, etwas zu bewirken und erhalten

Rückmeldungen über das, was sie können, über Erfolg und Misserfolg. Im Handeln und

Bewegen lernen sie, zu lernen“ (Wehrmann, Ilse, 2003 in: Fthenakis, Wassilios E. (2003)

Elementarpädagogik nach PISA, S. 300, fett d. Verf.).

(4) Felicie Affolter hat aufgezeigt, dass im Bereich der taktil-kinästhetischen Wahrnehmung

Nachentwicklung notwendig ist und Kompensation über die Fernsinne Auge und Ohr nicht

erfolgreich eingesetzt werden kann. Siehe hierzu auch auf dieser Homepage unter

Erfahrungen/Rechenschwäche in dem Aufsatz „Rechenschwäche vorbeugen in Kindergarten

und Grundschule“, Kap. 4: Das Affolter-Modell, die Entwicklung der Sprache und deren

Vorprozesse, modifiziert durch W. Simon

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(5) Jens Holger Lorenz (in: Anschauung und Veranschaulichungsmittel im

Mathematikunterricht) empfiehlt eine statische Verwendung der Finger zu einer Art

„Fingerbilder“, weil er vermutet, dass so die geeigneteren visuellen Eindrücke für die Kinder

aus den Übungen erwachsen, die beteiligten Bewegungen stuft der Autor eher als Störfaktoren

für die Visualisierung ein, weil er sie sich nur abzählend vorzustellen vermag. Das aus unserer

Sicht so wesentliche simultane Bewegen von Fingern als geeignete Operation fehlt bei dieser

didaktischen Betrachtung völlig. Kindern dieses beizubringen scheint der Autor nicht in

Betracht gezogen zu haben. Vgl. hierzu auch unsere Stellungnahme in Band 1 Rechnenlernen,

der auf der Homepage www.kybernetische-methode.de zum Download frei steht.

(6) Siehe hierzu auch unter www.kybernetische-methode.de /Erfahrungen/Kritiken und

Entgegnungen/ Gaidoschik-Rezension Entgegnung/ Kap. 3.6. Das vergleichende Rechnen, ....

- Auch die gewiss anschauliche Abbildung (siehe unten)* in der 2ten aktualisierten Auflage

von Gaidoschiks Rechenschwäche – Dyskalkulie, 2003, vermag samt den dazu gegebenen

Anweisungen an die Lehrperson nicht aufzuzeigen, wie Kinder von einem notorischen

Ordnungszahlbegriff zum „subitzing“, also einem Kardinalzahlbegriff und zu Operationen mit

diesen Mengen hinübergelangen sollen. Die eigene Darstellung M. Gaidoschiks zum sog.

„vergleichenden Rechnen“ findet man in Michael Gaidoschik: Rechenschwäche –

Dyskalkulie, 2003, S. 75 ff)

Bildzitat aus Michael Gaidoschik: Rechenschwäche – Dyskalkulie, 2003, S. 76

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*Gaidoschik lässt seine SchülerInnen unter zwei Schüsseln einmal je 3 Würfel legen, dann

unter die eine Schüssel 3, unter die andere aber 4 Würfel. Ausgangspunkt ist überdies, dass

das Kind 3 + 3 = 6 auswendig weiß. Nun wird abgefragt, ob unter einer Schüssel mehr

Würfel sind als unter der anderen. Das Kind, das zuerst unter die eine Schüssel drei Würfel

gelegt hatte, unter die andere aber 4 Würfel, kann die Tatsache des Unterschieds durch

Abzählen lösen. Nach Gaidoschik gelingt dem Kind auch nach einiger Übung eine

„Erinnerung an das eigene Handeln“. Allerdings müssen wir davon ausgehen, dass das Kind

als Handlung ein Anordnen von einem Würfel nach dem anderen praktiziert hat und nicht

simultan einmal 3 und einmal 4 Würfel hinlegte. Also ist die Erinnerung an die eigene

Handlung eine Erinnerung an einen Akt des Zählens.

Weiter konnte Gaidoschik nicht darstellen, dass das Kind 3 + 3 = 6 anders als auswendig weiß

und er zeigt nicht, wie das Kind zum Erfassen der Mengen, zum subitizing, methodisch

angeleitet werden soll**. Auf der Basis des auswendig gewussten 3 + 3 = 6 wird der eine,

unter der einen Schüssel mehr hingezählte Würfel dazu verwendet, um vom Ergebnis des

auswendig gewussten „3 + 3 = 6“ auf das Ergebnis „3 + 4 = 7“ durch einen Zählakt „ebenfalls

um eins weiter“ zu gelangen. Was ein vergleichendes Rechnen sein soll, erweist sich als ein

vergleichendes Abzählen, wobei die Vergleichsgrundlage auswendig gewusst wurde.

**Einen gewissen Ansatz zur zielführenden Nutzung der Finger zeigt Gaidoschik auf den

Folgeseiten 78f beim Einsatz eines Handbildes. Wäre dieser Ansatz bis hin zur

kinästhetischen Simultanerfassung von Fingermengen ausgeführt, wie man das in

Rechnenlernen Bd. 2 Praxis der Kybernetischen Methode, S. 109 bis 115 findet, wäre eine

Wahrnehmungsgrundlage geschaffen, auf der die Arbeit mit den äußeren strukturierten

Materialien frei von der Gefahr assoziativen Auswendiglernens fruchten könnte. Doch

Gaidoschik geht davon aus, dass „das innere Fingerbild“ sich vor allem für 7 als 5 + 2 oder

für 6 als 5 + 1 eignet, um Zerlegung zu begreifen, also genau nur dann, wenn die eine

Teilmenge die eine ganze Hand ist, die andere Teilmenge einer oder mehrere ausgestreckte

Finger der anderen Hand. Eine Überschreitung beider Hände bei der Erfassung der

Teilmengen wie im Falle 7 ist 4 + 3 glaubt er besser bei der Kugelkette aufgehoben.

Begrüßenswert ist hierbei sein Vorschlag, zumindest für die Zerlegungen einer jeden Zahl

eine eigene entsprechend lange Kette zu benutzen. Wie aber die Kinder die einzelnen

Teilmengen dieser Kette anders als abzählend erfassen sollen, wie die Simultanität der

Wahrnehmung der Zerlegungsbausteine mit der Zahlenkette gelingen soll, diese Auskunft

bleibt Gaidoschik seinen Lesern schuldig. Seine Formel für das Missing Link ist, dass das

Kind die Zahl in die gewünschten Teilmengen zerlegt „denken“ soll, dass es sich um diese

„Einsicht“ handelt. Ein-sicht wird aber von rechenschwachen Kindern im ersten Schritt eher

er-fühlt, als er-sehen. Wir müssen mit anderen Worten bei diesen Kindern methodisch danach

trachten, dass die elementaren arithmetischen Erkenntnisse in Fleisch und Blut übergehen.

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