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er jenseits der Bühne Monika Zin Unter den Wand1nalereien in der Vorhalle der Höhle XVI von Ajanta findet sich eine Szene (Fig. 1) 1 \ die ihres schlechten Erhaltungszustandes wegen in der Standardpublikation von YAZDANI als Nachzeichnung reproduziert ist und wie folgt beschrieben wird:" ... two ladies with a child are seenbathing in the river. ( ... ) The ladies appear to be engaged in conversation, for the gesture of the right hand of the lady on the left indicates that she is inquiring about smne affair frmn her friend. The latter holds a fruit (?) in her right hand, and appears to be preoccupied by smne serious thought. The child is looking up to this lady appealingly, and his hand is stretched out as if to get the fruit from her. " 2 ) Schon vor de1n Erscheinen des dritten Bandes von Y AZDANis Fig. 1 Werk hatte DIKSHIT 3 ) die Szene als eine Darstel- lung aus dem Mahäummaggajätaka interpretiert, in welcher ein überaus kluger, vom König zum Richter bestellter Knabe den Streitzweier Frauen mn das Eigentumsrecht an einem Garnknäuel dadurch entscheidet, daß er beide Frauen befragt, auf was das Knäuel gewildcelt sei, und die recht- mäßige Besitzerin dann durch Aufrollen des Knäuels ermittelt. Eine andere Identifizierung wurde von ScHLINGLOFF 4 ) vorgeschlagen, der in der kleinen männlichen Gestalt nicht den zmn Richter bestellten Knaben sondern den Asketenknaben sah, welchen die mit ihren Begleiterinnen zu der Einsiedelei am Flußufer gekommene Prinzessin mittels süßer Früchte an den Königshof zu locken versucht. 1) Höhle XVI, vorderes Querschiff, linke Seitenwand. Eine von GRJFFITHS' Mitarbeitern angefertigte Kopie der Malerei (16M) wird in der Indian Section des Victoria & Albert Museums unter der Nr.82-1887 aufbewahrt; ein Schwarzweiß-Photo die- ser Kopie befindet sich im India Office (Vol.73, Nr.6060-6062). Die Malerei ist in der Publikation von YAZDANI, G., Ajanta, 1-4, Oxford 1930-55, Vol. 3, Pl. 50 als Linienzeichnung von Sayed Ahmad abgebildet und außerdem nur noch als fast unlesbare Microfiche-Aufnahme publiziert: South Asian Archaeology Photo Collection, (S.A.A.P. C.), Zug, o.J., I-1 081, Nr. 42,31 :25. 2) Y AZDANI, op. cit. (Anm.1 ), Vol. 3, Text, p. 48-49. 3) DIKSHIT, M.G., in: Transactions ofthe Indian Historical Congress, 5th Session, 1941, p. 567ff. und DIKSHIT, M.G., An unidentified Jataka Scene from Ajanta, in: Journal ofthe Bihar and Orissa Research Society, 29, Calcutta 1943, p. 115-19. 4) SCHLINGLOFF, D., Die Einhorn Legende, in: Christiana Albertina, 11, Kiel 1971, p. 51-64 = transl. in: SCHLINGLOFF, D., Studies in the Ajanta Paintings, Delhi 1987, p. 157-66. Indo-Asiatische Zeitschrift 2.1998, pp. 30-41

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er Vidü~aka jenseits der Bühne

Monika Zin

Unter den Wand1nalereien in der Vorhalle der Höhle XVI von Ajanta findet sich eine Szene (Fig. 1)1

\ die ihres schlechten Erhaltungszustandes wegen in der Standardpublikation von YAZDANI als Nachzeichnung reproduziert ist und wie folgt beschrieben wird:" ... two ladies with a child are seenbathing in the river. ( ... ) The ladies appear to be engaged in conversation, for the gesture of the right hand of the lady on the left indicates that she is inquiring about smne affair frmn her friend. The latter holds a fruit (?) in her right hand, and appears to be preoccupied by smne serious thought. The child is looking up to this lady appealingly, and his hand is stretched out as if to get the fruit from her. "2

) Schon vor de1n Erscheinen des dritten Bandes von Y AZDANis

Fig. 1

Werk hatte DIKSHIT3) die Szene als eine Darstel­

lung aus dem Mahäummaggajätaka interpretiert, in welcher ein überaus kluger, vom König zum Richter bestellter Knabe den Streitzweier Frauen mn das Eigentumsrecht an einem Garnknäuel dadurch entscheidet, daß er beide Frauen befragt, auf was das Knäuel gewildcelt sei, und die recht­mäßige Besitzerin dann durch Aufrollen des Knäuels ermittelt. Eine andere Identifizierung wurde von ScHLINGLOFF4

) vorgeschlagen, der in der kleinen männlichen Gestalt nicht den zmn Richter bestellten Knaben Maho~adha, sondern den Asketenknaben R~yas:piga sah, welchen die mit ihren Begleiterinnen zu der Einsiedelei am Flußufer gekommene Prinzessin mittels süßer Früchte an den Königshof zu locken versucht.

1) Höhle XVI, vorderes Querschiff, linke Seitenwand. Eine von GRJFFITHS' Mitarbeitern angefertigte Kopie der Malerei (16M) wird in der Indian Section des Victoria & Albert Museums unter der Nr.82-1887 aufbewahrt; ein Schwarzweiß-Photo die­ser Kopie befindet sich im India Office (Vol.73, Nr.6060-6062). Die Malerei ist in der Publikation von YAZDANI, G., Ajanta, 1-4, Oxford 1930-55, Vol. 3, Pl. 50 als Linienzeichnung von Sayed Ahmad abgebildet und außerdem nur noch als fast unlesbare Microfiche-Aufnahme publiziert: South Asian Archaeology Photo Collection, (S.A.A.P. C.), Zug, o.J., I-1 081, Nr. 42,31 :25.

2) Y AZDANI, op. cit. (Anm.1 ), Vol. 3, Text, p. 48-49.

3) DIKSHIT, M.G., in: Transactions ofthe Indian Historical Congress, 5th Session, 1941, p. 567ff. und DIKSHIT, M.G., An unidentified Jataka Scene from Ajanta, in: Journal ofthe Bihar and Orissa Research Society, 29, Calcutta 1943, p. 115-19.

4) SCHLINGLOFF, D., Die Einhorn Legende, in: Christiana Albertina, 11, Kiel 1971, p. 51-64 = transl. in: SCHLINGLOFF, D., Studies in the Ajanta Paintings, Delhi 1987, p. 157-66.

Indo-Asiatische Zeitschrift 2.1998, pp. 30-41

Es ist 1nüßig, über diese beiden Identifizierungsversuche zu reflektieren, denn beide erweisen sich als illusorisch: Bei einer Überprüfung der erhaltenen Malereireste während 1neines Besu­ches in Ajanta konnte ich feststellen, daß es sich bei der Person, die den fraglichen Gegenstand in der Hand hält, umnöglich um eine Frau handeln kann. Alle erkennbaren Merlcn1ale weisen auf einen Mann, und der Zeichner Y AZDANIS hatte diese Person wohl nur deshalb mit einem Busen dargestellt, weil er von seiner Beschreibung und der Interpretation DucsHITs beeinflußt war. Eine noch1nalige Überprüfung der Malerei in ihrer Gesmntheit zeigte dann ün Vergleich 1nit einer analogen Szene in Höhle XVII, daß es sich bei unserem Bild um nichts anderes handelt, als u1n die erste Szene des Mahäkapijätaka, s) in welcher der 1nit seinen Frauen badende König eine vmn Strom herbeigeführte süße F1ucht findet.

Wer aber ist nun die rechts neben de1n König stehende Person, die ihre Hand verlangend aus­streckt, als wolle sie die süße Frucht haben, die der König ün Wasser gefunden hat? Der kleine, etwas dickbäuchige Mann ist hübsch gekleidet und geschmückt. A1n Hinterkopf hat er eine Blu­mengirlande, während sich vorne an seinem kahlen1 Haupt eingenartige Gebilde befinden, die von DucsHIT als Knabenlocken des Maho~adha und von ScHLINGLOFF als Gazellenhorn des R~yasp1ga gedeutet wurden.

Um die Identität des kleinen Gesellen zu klären, ist es erforderlich, diejenigen Darstellungen zu analysieren, die eine ähnliche Figur zeigen. Eine Malerei an der Rückwand von Höhle XVII in Ajanta zeigt ebenfalls einen mit seinen Begleiterinnen badenden König. Das Bild gehört zu einer Szenenfolge des Sutasomajätaka, in welcher der badende König von einein Menschenfresser entführt wird (Fig. 2)6

). Auch in dieser Szene ist der König nicht nur von Frauen umgeben, sondern neben ihm im Wasser steht eine männliche Person, offenbar kahlköpfig, jedoch 1nit eigenartigen Gebilden mn Kopf. Anders als der König hat dieser Begleiter bereits den heran­nahenden Menschenfresser erkannt, denn die Haltung seiner Arme offenbart Furcht und Entsetzen.

Eine vergleichbare männliche Person erscheint in einer Szene der wegen ihrer günstigen Lage und guten Erhaltung oft reprodu­zierten und häufig fotografierten Malerei an der Verandawand von Höhle XVII (Fig. 3 und Abb. 1)7). Diese Person gehört zu einer Figurengruppe, deren Protagonist hier nicht ein König, son­dern eine vornehtne Dame ist, über die ein Schirm gehalten wird.

5) ScHLINGLOFF, D., Ajanta, Handbook ofthe Paintings, Wiesbaden 1999, No. 32, p. 151-55.

Fig. 2

6) Höhle XVII, linke Rückwand, Kopie: ÜRIFFITHS 17J, Photo der Kopie: India Office, Vol. 72, No. 6050, Abb.: YAZDANI, op.cit. (Anm.l), Vol.4, Pl. 30-31, cf. SCHLINGLOFF, 1987, op.cit. (Anm.4), p. 93-112 und SCHLINGLOFF, 1999 (Anm.5), No. 56-57.

7) Höhle XVII, Veranda, linke Rückwand, Kopie GRIFFITHS 17C, Victoria & Albert Museum, Indian Section, Nr. 41-1885, Photo der Kopie: India Office (Vol. 74, Nr. 6128-6131), publ. in: GRIFFITHS, J., The Paintings in the Buddhist Cave Temples of Ajanta, London 1896-97, 1-2, Vol. 1, Pl. 58; Farbreproduktionen der Malerei finden sich u.a. in folgenden Publikationen:; COOMARASWAMY, A.K., Hist01y of Indian and Indonesian Art, Leipzig 1927, Pl. 48, Fig. 179; YAZDANI, op.cit. (Anm. 1), Vol. 3, Pl. 66; GHOSH, A. (ed.), Ajanta Munds, New Delhi 1967, Pl. 57; TAKATA, 0., Ajanta, Tokyo 1971,

Fig. 3 Abb. 1

In dem in Kürze erscheinenden Ajanta-Handbuch wird die Malerei von SCHLINGLOFF8) als eine Darstellung der Geschichte des dunkelhäutigen Udäyin und seiner Geliebten Guptä erklärt. In der von uns betrachteten Szene verläßt Guptä ihren Palast, um in den Nonnenorden einzutreten, nach­deln ihr Geliebter Udäyin Mönch geworden ist. Auch in dieser Szene ist der in Frage stehende Mann kahlköpfig, hat aber offenbar je eine Blüte hinter jedem Ohr befestigt, außerdem eine Blu­mengirlande, die auf den Rücken fällt, und ein wie eine weitere Blume aussehendes Büschel schwarzer Haare über der Stin1. Der Mann steht leicht gebeugt und trägt in seinem linken Arn1 eine offenbar 1nit Speiseklößen gefüllte Schüssel; in seiner linken Hand hält er einen gekriiln1nten Stab. Seine rechte Hand drückt Abwehr aus; ganz offensichtlich 1nißbilligt er den Entschluß der Dame, in die Hauslosigkeit zu ziehen. Seine Kleidung zeigt noch eine verblüffende Eigentümlich­keit: Der Mann trägt eine Brah1nanenschnur und den Rosenkranz eines Asketen.

Eine in ihre1n Aussehen der soeben besprochenen sehr ähnliche Gestalt findet sich an der rechten Wand der Härili-Kapelle in Höhle II (Fig. 4tl. Auch hier hält der Mann einen gekrümnl­ten Stab in seiner linken Hand und steht leicht gebeugt. Sein offenbar kahler Kopf ist 1nit einer

Pl. 25-26; PLAESCHKE, H. +I. ,Indische Felsentempel und Höhlenklöster, Leipzig 1982, Fig. 5; ÜKADA, A. /Nou, J.L., Ajanta, Paris 1991, p. 168; BEHL, B.K., The Ajanta Caves, London 1998, p. 160, 162; S.A.A.P.C. (Anm. 1), 1-1081, No. 45,34:21.

8) SCHLINGLOFF, 1999, op.cit. (Anm. 5), No. 69(4), literarische Belege der Geschichte cf. ibid, Vol. 1, p. 403-05.

9) Höhle li, rechte Seitenkapelle, rechte Wand, Kopie: GRlFFITHS 21; Photo der Kopie: India Office, Vol. 71, No. 5987, Abb.: GRIFFITHS, op.cit. (Anm. 7), Vol. 1, Pl. 32; YAZDANI, op.cit. (Anm. 1), Vol. 2, Pl. 33b.

Fig. 4 Fig. 5 Fig. 6

auf den Rücken herabhängenden Girlande gesch1nückt und 1nit runden Gebilden über der Stirn, den Ohren und dem Scheitel versehen. Seine beiden Hände sind durch einen locker um die Hand­gelenke gewickelten Strick 1niteinander verbunden und seine rechte Hand zeigt eine sprechende Gestik. Der Mann steht inn1itten einer Frauengruppe und schaut zu einer der Damen e1npor.

Einmal erkannt, kann 1nan den Gesellen mit dem gekrümmten Stab und Pompons am Kopf auch sonst antreffen: Ganz ähnliche Figuren finden sich in Ajanta in Genre1nalereien, so in einer schlecht erhaltenen Pfeilerben1alung in Höhle XVII (Fig. 5) 10

) und in der Bemalung der Türumrah­mung der oberen Höhle VI (Fig. 6) 11 ~ Auch in diesen Malereien steht der Mann neben einer Dame.

Ein schönes Beispiel für die Darstellung einer Frau mit einem solchen Begleiter bildet eine kleine Terrakotta-Plakette (Fig. 7) 12

): Die Dame hält den eine komische Grünasse schneidenden

10) Höhle XVII, Pfeiler, heute kaum erkennbar, Kopie: GRIFFITH 17n (nicht veröffentlicht, Numerierung entspricht nicht der Publikation aus dem Jalu· 1896-97 (cf. Anm. 7); Photo der Kopie: India Office, Vol. 74, No. 6121.

11) Obere Höhle VI, Eingang zur rechten Seitenkapelle des vorderen Querschiffes, Bemalung der Türumrahmung, linke Seite, unten.

12) Gefunden im Jamuna-Fluß bei Isfahar; aufbewahrt im Mathura Government Museum, No. 38-39-2795, Abb.: AGRAWALA, V.S., A Palace Scene on a Terra-cotta Panelfrom Mathura, in: Journal ofthe Indian Society ofOriental Art, 10, Calcutta, 1942, p. 69-73; BHAT, G.K., The Vidü~aka, Ahmedabad 1959, Pl. 1; VAN LEHUIZEN-DE LEEUW, J.E., Humour in Indian and Southeast Art, in: Indological Studies in Honour of W.N. Brown, ed. E. BENDER, New Haven, 1962, p. 217-27, Fig. 1; POSTER, A.G., From Indian Earth, 4000 Years of Terracotta Art, Brooklyn 1986, Fig. 105; Y ALDIZ, M. (ed.), Palast der Götter, Berlin 1992, Nr. 107.

Fig. 7 Fig. 8

Mann am Schal. Wieder umfasst die linke Hand des Mannes den gekrümmten Stab und sein Haupt schmücken drei Gebilde.

Durch den Vergleich mit dieser Terrakotta läßt sich eine weitere Ajanta-Malerei inhaltlich bestimmen, nämlich ein Abschnitt der Deckenbemalung in Höhle XX (Fig. 8)13

). Auch hier hält die Dame ihren Begleiter am Schal; den Stab in seiner

Fig. 9

Linken können wir nur vermuten, dagegen sind zwei der runden Pmnpons gut erkennbar. Auch in der Relieflmnst ist die Darstellung dieses Mannes belegt, meist, aber nicht im1ner,

als Begleiter einer Dame, die stets größer ist als er, sodaß er zu ihr aufblickt. Der Mann steht oft mit gekreuzten Beinen und etwas gebeugten Knien (Fig. 9) 14

). Sein Gesicht ist mit grotesken Fal­ten, vielleicht auch 1nit angemalten Strichen gezeichnet (Fig. 10 und Abb. 2) 15

), und oft trägt er eine Schale mit Speiseklößen bei sich (Fig. 11)16

). Die Dame scheint sich mit ihm zu amüsieren, wenn sie ih1n lachend etwas zu essen gibt (Fig. 12)17

\ ihn an der Leine hält (Fig. 13)18) oder sich

spielerisch auf seinen Kopf stützt (Fig. 14)19).

13) Ajanta, Höhle XX, Decke, linke Seite, hinten, unpubliziert; freihändige Zeichnung der Verfasserin. Alle anderen Zeichnungen stammen ebenfalls von der V erfasserin.

14) Höhle V, Relief, Türumralunung, Abb.: PLAESCHKE, op.cit. (Anm. 7), Fig. 43; S.A.A.P.C. (Anm. 1), 1-1081, No. 26, 15:1.

15) Höhle I, Relief, Haupteingang, linke Seite, Abb.: TAKATA, op.cit. (Anm. 7), Pl. 62; S.A.A.P.C. (Anm. 1), 1-1081, No. 13,2:26.

16) Höhle XXVI, Relief, linker Pfeiler des Vorderschiffes, Abb.: TAKATA, op.cit. (Anm. 7), Pl. 165; S.A.A.P.C. (Anm. 1), I-1081, No. 65,54:42-43.

17) Höhle IV, Relief, Eingang, rechte Seite, Abb.: FERGUSSON, J. I BURGESS, J., The Cave Temples of Jndia, London 1880, Pl. 47 (drawing); TAKATA, op.cit. (Anm. 7), Pl. 128; S.A.A.P.C. (Anm. 1.), 1-1081, No. 23,12:38-39,43-44.

18) Höhle IV, ibid., Abb.: siehe Anm. 17.- An einer Leine ist der kleine Geselle auch woanders gehalten, z.B. im Relief auf der linken Seite der Türumrahmung am Eingang in die Höhle V (Abb.: TAKATA, op.cit. (Anm. 7), Pl. 10; PLAESCHKE, op.cit. (Anm. 7), Fig. 42; S.A.A.P.C. (Anm. 1), 1081-1, No. 25,14:44,46); ebenso Höhle XVI, im Relief an der Eingangstür (Abb.: S.A.A.P.C., I-1081, No. 39, 28:46-48).

19) Höhle XXVII, Relief an der Verandatür, Abb.: YAZDANI, op.cit. (Anm. 1), Vol. 4, Pl. 82; S.A.A.P.C. (Anm. 1), 1-1081, No. 67,56:47.

Fig. 10 Abb. 2 Fig. 11

Die Reliefdarstellungen dieses ungleichen Paares befinden sich in den oberen Partien der Türumrah1nungen, und die Dame ist die Flußgöttin Gailgä, wie man aus den oft zu ihren Füßen gezeigten Makaras schließen kann. Der Mann kommt aber nicht nur in Verbindung mit Gailgä vor, sondern auch mit einer anderen Göttin, nämlich mit Tärä. Die schönste dieser Darstellungen befindet sich in Aurangabad: Die große Skulptur (Abb. 3?0

) zeigt eine lotustragende Tärä, deren rechte Begleiterin sich auf den uns inzwischen wohlbekanntenTräger des gelaümmten Stabes stützt (Fig. 15?1

).

20) Höhle VII, links vom Cella-Eingang, Abb.: BERKSON, C., The Caves of Aurangabad, New York 1986, p. 134; S.A.A.P.C. (Anm. 1), I-1129, No. 12:34.

21) J. HUNTINGTON, Cave Six in Aurangabad; A Tantrayäna Monument?, in: WILLIAMS, J. (ed.), Kalädar8ana, American Studies in the Art of India, New Delhi 1981) unterstellt dieser Gestalt eine esoterische Signifikanz zur Bestätigung seiner Tantrayäna-Hypothese, p. 51: " ... the small male figure ( ... ) has his hair arranged in the pänca}afä (five knots) convention, indicating the mm:ujala of the mantras of the five Jinabuddhas. This is a very rare mTangement on surviving Indian images, although it is weil known as the arrangement for Arapacana-Mafijusri (A RA PA CA NA being an esoteric mantra of the five Buddhas with each syllable specifically manifest in one ofthe knots). This convention is strictly limited to esoteric Buddhism and provides another firm indication supporting our interpretation."- BERKSON (op.cit. (Anm. 20), p. 136) identifiziert die Figur als Yak1?a MäQibhadra, jedoch ohne dies zu begründen.

Fig. 12 Fig. 13 Fig. 14

In den buddhistischen Höhlen sind noch mehrere dieser Darstellungen des Gesellen mit dem gekrümmten Stab und Pompons am Kopf erhalten22

); ihr Auftreten ist jedoch nicht auf buddhstische Bauten beschränkt. Auch in hinduistischen Tempeln des 5.-7. Jh. wurden solche Gestalten dargestellt, und zwar an den entsprechenden Stellen sowohl bei den die Tür umstehen­den Göttinnen23

), als auch bei den männlichen Türhütern, wie in einer der Elephanta-Skulpturen (Fig. 16)24

).

Selbst wenn nach so umfangreichem Bildmaterial die Identität des geduckten Stockträgers immer noch unklar ist, muß als bewiesen erscheinen, daß bei vielen Darstellungen, vor allem denjenigen, die den kleinen Gesellen bei einer Frau zeigen, sein komischer Charakter zur Gel­tung kommt. In der indischen Literatur ist m.W. keine Beschreibung eines lustigen Spielgefähr­ten einer Dame vorhanden.

* * * Physische Defonnationen, wie kurze Beine oder Buckel, wurden im alten Indien als kmnisch empfunden. Die Stellen aus der Literatur bezeugen, wie schnell ein Ktüppel in die Frauen-

22) Z.B. in der Ajanta-Höhle II, an der linken Seite des Veranda-Eingangs (Abb.: S.A.A.P.C. (Anm. 1), I-1089, No. 18,7:14) oder in Aurangabad IX, bei anderen Tärä-Skulpturen (er scheint jeweils an der Leine gehalten zu sein); Abb.: BERKSON, op.cit. (Anm. 20), p. 210; S.A.A.P.C., I-1129, No. 13:37-39,42).

23) Z.B. in Sirpur, Relief am Eingang in den Lak~maJfa-Tempel (Abb.: WILLIAMS, J., The Art ofGupta India, Princeton 1982, Pl. 247) oder in Ellora VIIc (Rame8vara-Höhle, Abb.: CooMARASWAMY, op.cit. (Anm. 7), Pl. 53, Fig. 190).

24) Elephanta, der linke Wärter beim "Sadashiva", gute Abbildung in: Elephanta, The Cave of Shiva, Photographs by C. BERKSON, Essays by W. DONIGER O'FLAHERTY (u.a.), Princeton 1983, Pl. 23.

Fig. 15 Abb. 3 Fig. 16

ge1nächer eingeladen wurde- und hineingehen durfte! -weil man sich Spaß an seiner Gesell­schaft versprach. 25

) Die Person in unseren Darstellungen ist aber weder verkrüppelt noch zwer­genhaft. Ihre Körperhaltung mit leicht kaue1nden Beinen deutet vieln1ehr an, daß sie einen Krüp­pel spielt. Dieser Mimesis-Effekt wie auch die dargestellten Attribute weisen darauf hin, daß dieser Mann in der indischen Literatur eine sehr be1üh1nte Entsprechung hat.

Der gespielte K1üppel der altindischen Welt ist der Nan Vidü~aka. Die von uns zusmnmen­gestellten Malereien, Reliefs und Skulpturen lassen erkennen, daß die untersuchte Gestalt die meisten derjenigen Merkmale zeigt, die in der Literatur, vornehmlich iln Bereich des Theaters, den1 Vidü~aka zugeschrieben werden.

25) Yaugandharäyat;ta verschafft sich dadurch Zugang zu den inneren Gemächern des königlichen Palastes in Ujjayin1, daß er augenblicklich sein Aussehen in das eines buckligen Alten, kahlköpfig und mit der Kleidung eines Irrsinnigen ver­wandelt (Kathäsaritsägara Il,4,50-51, ed. Pandid DURGAPRASAD I PARAB, K.P., Bombay 1889, p. 41; transl. TAWNEY, C.H., London 1924, Vol. 1, p. 136-3 7): tenopadi~{ayä yuktyä tato Yaugandharäya~wbl sa cakärätmanab sadyo rüpasya pari­vartanam/1 babhüva tena vikrtab kubjo vrddhas ca tat k~anät/ li!Jmctftave~ab khalvä{o häsyasmJ?fanana[1 param/1- Auf ähnli­che Weise verändert sich auch Vasantaka, mit dem Erfolg, daß auch ihn die Prinzessin einlädt (v.52, ibid.): tayaiva yuktyä sa tadä siränaddhaprtln7daram/ cakre Vasantakasyäpi rüpmJ1 danturadurmukham/1

Fig. 17

Das Natyasiistra beschreibt zuerst drei Arten von Bewegungen hinkender, lahmender und zwergenhafter Personen, die Lachen hervorrufen,26

) uin gleich danach festzustellen, daß die Bewegungen des Vidu~aka diesen gleich sein sollten. 27

) Danach werden die theoretischen Grundlagen seines Bühnenerfolges klassifiziert: Das Lachen, das der Vidü~aka erregen sollte, sollte auf drei­facher Ursache beruhen: auf seinein Körperbau, seiner Rede und seiner Aufmachung. Sein Körper soll dem­nach dem eines Krüppels gleichen, mit großen Zähnen, kahlein Kopf, lauinm, mit hinkenden Beinen und ver­zerrtenl Gesicht. 28

) Sein Kostüm soll aus Lun1pen oder Leder bestehen, und seine Haut soll mit Schwärze (ma~l) und Rötel (gairika) beschmiert sein_29

) Seine Haltung soll ihn als verwachsen erscheinen lassen, und zwar dadurch, daß er den Kopf zur Seite und seine Arme wie im Tanz zu halten hat. 30

) Das wichtigste Requisit des Vidü~aka ist das kutila, "das Gekrümmte",

das er in seiner linken Hand zu halten hat. 31) An einer andem Stelle des Niityasastra wird dieses

Requisit als ein dreifach gebogener Holzstab beschrieben. 32) Kutila ist das Zeichen für den Stand

des Vidü~aka; denn Init einem solchen dreifach gekrihninten Stab werden in Darstellungen gelegentlich Brahmanen gezeigt (Fig. 1 7)33

), und in allen literarischen Belegen wird zum Aus­druck gebracht, daß der Vidu~aka- obwohl er meist Prakrit spricht- seiner Herkunft nach ein Brahmane ist. 34

)

Wie wichtig "das Gekrüminte" als Attribut des Vidü~aka war, bezeugt das erste Buch des Niityasiistra, wo gesagt wird, daß kutila von Brahmä, dem Brahmanen par excellence, dein

26) Nä{yasästra XIII,131-36 (ed. GHOSH, M., Calcutta 1967, 1-2, Vol. 2, p. 20; transl. ibid., p. 230): trividhä tu gatib käT)Jä khaiijapmigukavämanaibl vikaliiligaprayoge~w kuhakäbhinayartt pratill ekab khaiijagatau nityartt stabdho vai cara~10 bhavetl tathä dvitzyab ...

27) V.137, ibid.

28) Nätyasästra XIII,138-39 (ed. Vol. 2, p. 20-21; transl. p. 230-31): danturab khalatib kub)ab khaiijas ca vikrtä­nanabll ya zdrsab prave8ab syäd migahäsym71 tu tad bhavetl

29) Nätyasästra XIII,141-42 (ed. Vol. 2, p. 21; transl. p. 231): cfracarmama~zm asmagairikädyais tu ma~Hjitabll yas tädrso 'bhaved viprä häsyo nepathyajas tu sabl tasmät tu prakrti1Jt)Fiätvä bhävab kä1)1as tu tat tvatabll

30) Nätyasästra XIII, 144-45 (ibid. ): pärivam ekartt siras caiva hasto 'tha cara~ws tathäll pm)1äyatab sannameta layatälavasänugabl Der Vers ist nicht ganz klar, beschreibt aber eindeutig die krumme Haltung des Narren.

31) NätyaSästra XIII, 143-44 (ibid. ): svabhävajäyärt1 vinyasya kütila1J1 vämake kareil

32) Nätyasästra XXIII,179-80 (ed. Vol. 2, p. 164; transl. p. 430-31): kapitthabilvmJt sebhyo da~Hjakä~thmJt bhavet sadäll vakrm71 caiva hi tat kä7)1aJJ1 tribhäge lak~a~tänvitaml

33) Reliefdarstellung der Visvantara-Geschichte aus Goli, Madras Government Museum, Abb.: RAo,P.R. Ramachandra, Andhra Sculpture, Hyderabad 1984, Fig. 425.

34) Zusammenfassung der Vidü~?aka-Theorien in: KurPER, F.B.J., Varu~w und Vidü~aka, The Origin ofthe Sanskrit Dra­ma, Amsterdam 1979, Fußnoten auf der Seite 110 und folgenden; zur Namen-Diskussion, Anm. 355, p. 204.

Theater geschenkt wurde und zu den wichtigsten Gegenständen im Theater gehört. 35) Das in der

Theorie beschriebene Requisit des Nanen entspricht vollkommen der Theaterpraxis, wie etwa die Äußerungen des Vidü~aka im Mrcchakatika zeigen, der n1it seinein gekrün1mten Stab dem Vita Angst einjagt. 36

) In dem buddhistischen Drama Lokänanda vergleicht der Vidü~aka seinen Stab mit einer Schlange, 37

) und in Kälidäsas Malävikägnimitra verwechselt er selbst ihn, schlaf­tlunken, mit einer Schlange. 38

)

Die Zugehörigkeit des Vidü~aka zum Brahinanenstand, die sich in seinem Attribut zeigt, weist auf die Art des Huinors hin, die von seiner Gestalt ausgeht. Diese basiert auf der karikie­renden Darstellung des Brahmanenstandes und äußert sich in ewigem Hunger und in einer falschen Gelehrsamkeit, die sich durch das Verdrehen der aus den Wissenschaften bekannten Begriffe und ihrer Bedeutungen entlarvt. Dieses Verständnis des Vidü~aka war wohl auch außer­halb des Theaters verbreitet, auch im Kämasütra ist der komische Geselle, der das Vertrauen (des Nägarika, bzw. der Kurtisane) besitzt, als einer, der "das Teilwissen" besitzt, beschrieben.39

)

Der Bühnennan war äußerlich nicht nur an seinem gebogenen Stab und an seinen Bewegun­gen zu erkennen, sondern auch an seinein Kopf. Laut Nätyasästra sollen Kinder und Diener drei Spitzen (sikhas), wahrscheinlich Haarbüschel, auf dem (kahlen) Kopf tragen.40

) Unmittelbar danach erklärt das Nätyasästra, daß der Vidü~aka kahlgeschoren sein soll, oder mit einein "Krähenfuß" (käkapada) versehen. 41

) Auch diese Anweisung des Nätyasästra hatte in der Praxis ihr Äquivalent, denn im Mrcchakatika wird der Vidü~aka als "krähenfußköpfig" (käkapada­fir~a) beschrieben.42

) käkapada wird gelegentlich ün Sinne von Kratz- oder Vogelfuß-Muster gebraucht.43

) Es scheint jedoch verfehlt, in diesem Sinne an eine Bemalung des Gesichts zu den-

35) Nätyasästra I,59-61 (ed. (Anm. 26) Vol. 1, p. 6; transl. p. 9-10): pritas tu prathamm71 Sakro dattavän svadhva}mJ1 subhmn/1 Brahmä kutilakwJ1 caiva bhrT1gärmJ1 Vantuas tathä/ Sü1)1as chatrmJ1 Sivab siddhi171 Väyur vyajanam eva ca/1 Vi~IJU~1 Si1J1häsana1J1 caiva Kuvero mukufa1J1 tathäl srävyafVCllJ1 prek~a~1'iyasya dadau dev'i Sarasvati/1

36) Mrcchakatika I (ed. + transl. KALE, M.R., Poona 1924, p. 48): Vidü~almb sala·odlza!J1 da~ujakä~tham udyamyal mä däva/ bho sake gehe kukkuro vi däva ca~1(!o bhodi ld!J1 u~w ahm71 bamha~w/ tä edi~1ä ahmärisajauabhäadheakucjile~w da~1cjakaththqw duthfhassa via sukkhä~wvqnwssa matthawJ1 de pahärehiiJ1 kuftaissaml

37) Lokänandanätaka des Candragomin, V (Tib. ed. +übers. HAHN, M., Wiesbaden 1974 =Asiatische Forschingen, Bd. 39, p. 165): Vidü~aka (seinen Knüppel hochhaltend): "Holla, ihr Sklavensöhne, ihr bösartigen Sabaras: mit diesem krummen Knüppel, einem Knüppel, der einer zornigen Schlange gleicht, werde [ich] eure Köpfe zerschlagen!"

38) Mälavikägnimitra IV (ed. SCHAPRE, A., Kälidäsa-Lexicon, Vol. 1.2, Brugge 1956, p. 46): Irävatl/ arihadi kidavo sappadmJ1Sa~1alJ11 Nipu~1ikä Vidü~akasyopari da~1cjakä~thm?1 pätayati/ Vidü~aka~1/ sahasä prabudhya/ avihä avihä davvikaro me uvari paripacjido/

39) Kämasütra I,4,46 (ed. DURGAPRASAD, P., Mumbai 1891, p. 59): ekadesavidyas tu la·icjanako visväsyas ca Vidü~akab vaihäsiko vä/1

40) Nätyasästra XXIII,149-150 (ed. (Anm. 26), Vol. 2, p. 161; transl. p. 433): bälänäm api kartavym71 trisikha~?cja­

viblul~ifmJ1// ( ... ) cetänäm api kartavym71 trisikhm71 mu~1cjam eva vä/1

41) Nätyasästra XXIII,151 (ibid.): Vidü~akasya khalatib syät käkapadam eva vä

42) Mrcchakatika I (ed. + transl. (Anm. 36), p. 54): Sakärab Vidü~akm71 uddisya/ ale käkapadasisamastaka duS(abacjukä uvavisa uvavisa/

43) Visuddhimagga VI (ed. RHYS DAVIDS, C.A.F., PTS, London 1920, p. 179; transl. PE MAUNG TIN, The Path of Purity, PTS, London 1923, p. 206), die Beschreibung betrifft das Zerstückeln einer Leiche, das hier genannte Ornament soll daher nur das Zerschneiden bedeuten: hataii ca fmJ1 purimanayen' eva vikkhittakai1 cä ti hatavikkhittakmJ11 käkapädäkärena anga­paccangesu satthena hanitvä vuttanayena vikkhittassa chavasarlrass' etam adhivacana!J11

ken, da der Vidü~aka nicht als käkapadamukha sondern -szr~a, und sogar als szr~amastaka, d.h. mit käkapada an der Kopfspitze bezeichnet wird. Auch die Plazierung der Nätyasästra­Anweisung direkt nach der Beschreibung der sikhas der Diener deutet darauf hin, daß es sich auch hier uin stehende Gebilde am Kopf handelt - vielleicht drei (wie am Vogelfuß die Zehen) in drei Richtungen stehende HaarbüscheL BHAT44

) nünmt nach dein Kominentator Abhinava­gupta an, daß käkapada ein A-Zeichen für das Auslassen einer Textstelle war, und daß dement­sprechend der Vidü~aka mit zwei Haarstähnen vorzustellen sei.

Wie viele Büschel auch geineint sein sollten, jedenfalls scheint es, daß der kahle Kopf mit Haarinseln im alten Indien als lächerlich empfunden wurde. Im Mahäbhärata wird von einer demütigenden Strafe für einen König erzählt, dem die Haare bis auf fünf Büschel geschoren wurden; bei seinein Anblick lachte Yudhi~thira.45 ) Nicht besser ergeht es den bösen Königsbera­tern im Mahäbodhijätaka. Der König nimmt ihnen ihr Eigentuin weg und erniedrigt sie, indem er sie bis auf die fünf Büschel scheren, in Ketten legen, mit Dung bespritzen und aus dem Land verbannen läßt. 46

)

Eine witzige Erzählung aus dem Kathäsaritsägara zeigt, daß die Haarbüschel nicht nur erniedrigend, sondern vor allem lächerlich waren: Ein als Vi~J)U verkleideter Mann verspricht, seine Schwiegermutter in den Hilnmel zu schleusen. Auf sein Geheiß wird diese auf eine Säule am Tempeleingang gestellt, wo sie mit bis auf fünf Büschel rasiertein Kopf, nackt, aber Init Schädelkette versehen, eine Körperseite mit Ruß (kcqjala) und die andere Init Mennige (sindiira) beschiniert, zur Belustigung der Menge auf ihren Einlaß in den Himmel wartet.47)

Die Person in der bildenden Kunst entspricht also in vielen Details den Beschreibungen des Vidü~aka im Nätyasästra. Die in der Kunst dargestellte Person trägt meist einen gebogenen Stab, und in einer der Darstellungen (Fig. 3 und Abb. 1) erscheinen noch weitere Hinweise auf ihren Brahmanenstand, nämlich Brahmanenschnur und Rosenkranz am Gürtel. Außer diesen Requisiten zeigt die Person freilich nichts, was auf ihren hohen gesellschaftlichen Rang weist; ün Gegenteil, die Wirkung als Spaßmacher beruht gerade darauf, daß das Gehabe und Aussehen allem widerspricht, was die Würde eines Brahmanen ausmacht. Neben der Unkenntnis des Sans­krit, die natürlich in den Darstellungen nicht zum Ausdruck gebracht werden kann, erregt vor allem die brahinanischer Würde und Weisheit widersprechende Gier nach wohlschmeckenden Speisen den Spott des Publikums. In den Darstellungen wird diese Eßlust gelegentlich dadurch

44) BHAT, 1959 (op.cit., Anm. 12) p. 49.

45) Mahäbhärata lll,256 (ed. SUKTHANKAR, V.S. (u.a.) Poona 1942, p. 893-95; transl. VAN BUITENEN, J.A.B., Chicago 1975, p. 722-23, v.9): evmJt uktvä sa{äs tasya panca cakre Vrkodaraf:z/ ardhacandre~ta bä~tena khttcid abruvatas tadä/1 (v.15): dariayämäsa Bhlmas tu tad avastha1J1 Jayadratham/ talJt räjä prähasad dr:;tvä mucyatäm iti cäbravit/1 (v.18): Drau­padi cäbravid Bhimam abhiprek:;ya Yudhi:;thiraiJtl däso' ya1Jt nntcyatäTJt räjf1as tvayä pancasatab krtaf:z/1

46) Mahäbodhijätaka (No. 528, ed. FAUSBÖLL, M.V., Vol. 5, Oxford 1891, p. 246; transl. FRANCIS, H.T., ed. CüWELL, E.B., Oxford 1905, p. 125-26): räjä sädhu bhante ti sampaticchitvä te sabbahara~te katvä paFicacüläkara~agaddüla­bandhanagomayasiPicanehi avamänetvä ra{{hä pabbäjesi/

47) Kathäsaritsägara II.4.168-70 (ed. (Anm. 25), p. 45; transl. Vol. 1, p. 147): tan madhye krta tad ve:;ä tvan mätäsau pravesyate/ fad asyäft paFicacür;/a1J1 tVa1J1 k:;urakfapfa1J1 sira!J kuru// ka~{ha1J1 karm1kamä/är;/hymJ1 pärSVaJJ1 cafka!J1 sakaj­ja/a1Jt/ anyat sindüraliptmtt ca kurvasyä vitaväsasabll

zum Ausdruck gebracht, daß der Spaßmacher eine Schüssel mit Speisen trägt. 48) Noch entschei­

dender für die Identität dieser Person ist jedoch, daß sich die Künstler bemühen, die komische, Lachen erregende Wirkung des Bühnen-Vidü~aka auch in ihren Darstellungen zu1n Ausdruck zu bringen. Nach der Theorie des Theaters soll er einen verwachsenen, hinkenden Krüppel mimen, und so ist er auch in unseren Darstellungen zu sehen. Das wichtigste lachenerregende Attribut des Vidü~aka, das der Theorie entsprechend auch in allen Darstellungen zum Ausdruck gebracht wird, ist sein kahler Kopf mit Haarbüscheln. Nach dem Nätyasästra soll der Körper des Vidü~aka mit Rötel bestrichen sein, und dementsprechend sind auch l'nehrere der Reliefdarstel­lungen der Narren orange-rot bemalt.49

)

So erscheint der Vidü~aka in der bildenden Kunst mit seinen wesentlichen Merkmalen so, wie er im Nä.tyasästra beschrieben wird. Auch in der Kunst ist der Nan der Begleiter und der kmnische Widerpart des Protagonisten, der in den Erzähldarstellungen durch Gestik und Gesichtsausd1uck zeigt, daß er an den Ereignissen lebhaften Anteil nimmt.

Auffällig und in der erhaltenen Literatur nicht verifizierbar ist allerdings, daß der Spaßma­cher in den Genrebildern und ikonographischen Darstellungen häufig als der Begleiter der weib­lichen Hauptperson erscheint. Man könnte darauf hinweisen, daß auch in der dra1natischen Lite­ratur die Affinität des Vidü~aka zu dem weiblichen Geschlecht eine gewisse Rolle spielt. Er liefert sich häufig Redeschlachten mit der Zofe der Heidin und hat überhaupt aufgrund seiner gespielten oder tatsächlichen - körperlichen Deformierungen leichten Zugang zu1n Frauenhof Vielleicht aber ist der in vielen Darstellungen zum Ausdruck kommende Wesenszug des Vidü~aka als Pendant und kon1ischer Widerpart einer weiblichen Hauptfigur ein Motiv, das älter ist als die drmnatische Literatur und auf die Ursprünge dieser Gestalt weist. Schon KEITH50

) hatte zur Erklä1ung der Herkunft des Vidü~aka auf die Mahävrata-Zeremonie verwiesen, in der sich ein Brahmacärin und eine Düne gegenseitig mit Scheltworten überhäufen. Vielleicht wurde aus diesem Ritual eine profane Belustigung und hat dadurch die künstlerische Darstellungsform der weiblichen Kultfigur mit dem kmnischen Pendant angeregt. Im Drama dagegen wurden die Akzente anders gesetzt: Der Vidü~aka, nach den Vorschriften des Nätyasästra ein lächerlicher Krüppel, wurde hier zu1n Gesprächspartner und vertrauten Freund ( vayasya) des Helden. Aber auch die Drmnendichter konnten und wollten auf die komischen und lächerlichen Züge seiner Gestalt nicht verzichten, und so ist das Bild, das uns die bildende Kunst von dem Vidü~aka ver­mittelt, wohl nicht wesentlich verschieden von dem Anblick, den der Vidü~aka-Schauspieler im altindischen Drmna seinen Zuschauein darbot.

48) G.K. BHAT (The Vidü$aka's Cap and an Ajanta Fresco, in: Mirashi Felicitation Volume, ed. DESHPANDE, G.T. (u.a.), Nagpur 1965, p. 336-43) wollte anhand dieser einen Eigenschaft den Vidü$aka in einer Ajantamalerei (Höhle I, hinteres Querschiff, rechte Rückwand, cf. ScHLINGLOFF, 1999 (op.cit., Anm. 5), No. 60(6)) erkennen. Der Mann, der in dieser Malerei in eine von einer Dienerin gehaltene Fruchtschale zu greifen scheint, trägt aber eine runde Mütze und hat damit keine Ähn­lichkeit mit der Beschreibung des Vidü$aka im Nätyasästra.

49) Rot angemalt sind z.B. die Figuren am Portal des rechten Eingangs in der Ajanta-Höhle I, am Eingang in die Vorcel­la derselben Höhle, am Eingang in die Vorcella der Höhle II, am Eingang in die Vorcella der Höhle XX und am Eingang in die Höhle XIX, an der rechten Seite.

50) A.B. KEITH (The Sanskrit Drama, Oxford 1924, p. 24ff) brachte die Mahävrata-Zeremonie in die Diskussion, der dort beteiligte Brahmacärin gilt seither für viele Forscher als Vorgänger des Vidü$aka.