Erdbebengerechter Entwurf Von Hochbauten Bachmann 2002

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Erdbebengerechter Entwurf von Hochbauten Grundstze fr Ingenieure, Architekten, Bauherren und BehrdenHugo Bachmann Richtlinien des BWG Directives de lOFEG Direttive dellUFAEG Bern, 2002

Impressum Herausgeber: Bundesamt fr Wasser und Geologie

Zitiervorschlag: Hugo Bachmann: Erdbebengerechter Entwurf von Hochbauten Grundstze fr Ingenieure, Architekten, Bauherren und Behrden, Richtlinien des BWG (Biel 2002, 81S.) Original in deutsch. Diese Publikation ist auch auf franzsisch erhltlich. Die Publikationen ist im PDF-Format auf der BWG-Internetsite verfgbar: www.bwg.admin.ch Auflage: 3500d/1500f

Bestellnummer: 804.802 d Bezugsadresse: BBL, Vertrieb Publikationen, CH-3003 Bern, Internet: www.bbl.admin.ch/bundespublikationen Copyright: BWG, Biel, September 2002

Eidgenssisches Departement fr Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation Dpartement fdral de lenvironnement, des transports, de lnergie et de la communication Dipartimento federale dellambiente, dei trasporti, dellenergia e delle comunicazioni

Erdbebengerechter Entwurf von Hochbauten Grundstze fr Ingenieure, Architekten, Bauherren und BehrdenHugo Bachmann Richtlinien des BWG Directives de lOFEG Direttive dellUFAEG Bern, 2002

Vorwort des VerfassersLange Zeit wurde das Erdbebenrisiko sozusagen als naturgegeben erachtet. Man ging davon aus, dass die Folgen der Bodenbewegungen fr die Bauwerke einfach hingenommen werden mssen. Dementsprechend wurden Massnahmen zur Erdbebenvorsorge vorwiegend auf Vorbereitungen fr die Katastrophenbewltigung beschrnkt. Doch bereits am Anfang des 20. Jahrhunderts wurden auch bauliche Massnahmen vorgeschlagen. Und in den letzten Jahrzehnten lernte man dank intensiver Forschung immer besser, wie die Verletzbarkeit der Bauwerke durch Erdbeben stark reduziert werden kann. Die vorliegende Publikation will moderne Erkenntnisse zum baulichen Erdbebenschutz auf einfache und leicht fassliche Weise darstellen. Dies geschieht anhand von Grundstzen mit zugehrigen Bildern und Beispielen

sowie erluternden Texten. Die Grundstze und die selbst angefertigen oder aus anderen Quellen herangezogenen Bilder wie auch die Texte sind das Ergebnis einer jahrelangen intensiven wissenschaftlichen und praktischen Auseinandersetzung mit der anspruchsvollen und in starker Entwicklung befindlichen Materie der Erdbebensicherung von Bauwerken. Der Verfasser dankt vor allem den zahlreichen am Schluss der Publikation aufgefhrten Bildautoren fr die Grosszgigkeit, Ergebnisse eines stets aufwendigen und oft auch gefahrvollen Bemhens zur Verfgung zu stellen. Und dem Bundesamt fr Wasser und Geologie gebhrt Dank fr die Herausgabe und den sorgfltigen Druck der Broschre. Zrich, August 2002 Prof. Hugo Bachmann

Begleitwort des HerausgebersIm Jahre 1998 erarbeitete die Schweizer Gesellschaft fr Erdbebeningenieurwesen und Baudynamik SGEB eine Dokumentation betreffend den Handlungsbedarf von Behrden, Hochschulen, Industrie und Privaten zur Erdbebensicherung der Bauwerke in der Schweiz. Darin wurde vor allem bezglich des Verhaltens der Bauten und Anlagen, dem Kernbereich der Erdbebenvorsorge, ein enormer Nachholbedarf und ein dringlicher Handlungsbedarf festgestellt. Diese Publikation und andere Interventionen haben dazu gefhrt, dass das Bundesamt fr Wasser und Geologie vom Bundesrat beauftragt wurde, ab dem 1. Januar 2000 im Rahmen der Aufgaben des Bundes den Schutz vor Erdbeben zu bearbeiten. Das Bundesamt hat eine Koordinationsstelle Erdbebenvorsorge geschaffen, die beratende und untersttzende Funktionen fr die ganze Bundesverwaltung wahrnimmt. Am 11. Dezember 2000 genehmigte der Bundesrat ein Programm von sieben Massnahmen zur Erdbebenvorsorge im Zustndigkeitsbereich des Bundes fr den Zeitraum 2001 bis 2004.

Die Erdbebensicherung neu zu errichtender Bauwerke steht an der Spitze des Massnahmenprogramms des Bundes. Professor Hugo Bachmann war lange Jahre in der wissenschaftlichen Forschung zur Erdbebengefhrdung und zum Erdbebenverhalten von Bauwerken ttig. Auf Wunsch des Bundesamtes hat er sich bereit erklrt, wissenschaftliche Erkenntnisse zur Erdbebensicherung von Bauwerken fr die Praxis verfgbar zu machen. Das Bundesamt ist ihm dafr zu Dank verpflichtet. Die vorliegende Anleitung soll dazu beitragen, dass Forschungsergebnisse insknftig von Baufachleuten konsequent in die Praxis umgesetzt, d.h. bei der Planung und Projektierung von Bauwerken bercksichtigt werden. Bei der in unserem Lande vorhandenen vergleichsweise mssigen Seismizitt kann so bei neuen Bauwerken mit keinem oder vernachlssigbar kleinem Mehraufwand eine angemessene Erdbebensicherung erreicht werden. Biel, August 2002 Dr. Christian Furrer Direktor des Bundesamtes fr Wasser und Geologie

Grundstze fr Ingenieure, Architekten, Bauherren und Behrden

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Inhaltsverzeichnis

Zur Zielsetzung Was geschieht bei einem Erdbeben? Die bedeutendste Naturgefahr Das Erdbebenrisiko wird laufend vergrssert Fehlende Massnahmen Dringlicher Handlungsbedarf GS 1 GS 2 GS 3 GS 4 GS 5 GS 6 GS 7 GS 8 GS 9

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Enge Zusammenarbeit von Architekt und Bauingenieur beim Entwurf! 10 Die Erdbebenbestimmungen der Normen einhalten! Keine wesentlichen Mehrkosten dank moderner Verfahren! Weiche Erdgeschosse vermeiden! Weiche Obergeschosse vermeiden! Unsymmetrische Aussteifungen vermeiden! Versetzungen von Aussteifungen vermeiden! Sprnge bei Steifigkeiten und Widerstnden sind problematisch! Zwei schlanke Stahlbetontragwnde pro Hauptrichtung! 11 13 15 19 21 24 25 26 28

GS 10 Mischsysteme mit Sttzen und tragenden Mauerwerkswnden vermeiden! GS 11 Ausfachen von Rahmen durch Mauerwerk vermeiden! GS 12 Mauerwerksbauten durch Stahlbetontragwnde aussteifen! GS 13 Horizontal tragende Mauerwerkswnde bewehren! GS 14 Tragwerk und nichttragende Bauteile aufeinander abstimmen! GS 15 Nichttragende Mauerwerkswnde in Skelettbauten durch Fugen abtrennen! GS 16 Kurze Sttzen vermeiden!

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GS 17 Brstungen in Rahmen vermeiden! GS 18 Fachwerke sorgfltig whlen und bemessen! GS 19 Stahltragwerke duktil gestalten! GS 20 Fugen zwischen benachbarten Gebuden fachgerecht ausbilden! GS 21 Kompakte Grundrisse anstreben! GS 22 Durch die Deckenscheiben den Zusammenhalt sichern und die Krfte verteilen! GS 23 Duktiles Tragwerk dank Kapazittsbemessung! GS 24 Duktilen Bewehrungsstahl mit Rm/Re 1.15 und Agt 6 % verwenden! GS 25 Querbewehrung in Tragwnden und Sttzen mit 135-Haken und Abstnden s 5d ! GS 26 Keine Aussparungen und ffnungen in plastischen Bereichen! GS 27 Bei vorfabrizierten Bauten die Verbindungen sichern! GS 28 Fundation durch Kapazittsbemessung schtzen! GS 29 Standortspezifisches Antwortspektrum entwickeln! GS 30 Mgliche Bodenverflssigung untersuchen! GS 31 Verweichen kann besser sein als Verstrken! GS 32 Fassadenbauteile auch fr horizontale Krfte verankern! GS 33 Brstungen und frei stehende Mauern verankern! GS 34 Unterdecken und Beleuchtungskrper gut befestigen! GS 35 Installationen und Einrichtungen sichern! Bildnachweis Literatur Kontakte Anhang: Gefhrdungskarte

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Grundstze fr Ingenieure, Architekten, Bauherren und Behrden

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Zur Zielsetzung

Die vorliegende Publikation hat zum Ziel, die Erdbebensicherung von Hochbauten auf elementarer Ebene jedoch in grosser Breite zu behandeln. Dazu werden Grundstze fr den erdbebengerechten Entwurf und die erdbebengerechte Gestaltung der Hochbauten prsentiert. Die Grundstze betreffen vor allem den konzeptionellen Entwurf und die konstruktive Durchbildung von Tragwerk und nichttragenden Bauteilen. Beim konzeptionellen Entwurf und bei der konstruktiven Durchbildung von Tragwerk (Wnde, Sttzen, Decken) und nichttragenden Bauteilen (Zwischenwnde, Fassadenbauteile) werden entscheidende Weichen gestellt fr die Erdbebensicherheit (Versagensverhalten) und die Erdbebenverletzbarkeit (Schadensanflligkeit) eines Hochbaus. Denn erdbebenmssige Fehler und Mngel des Entwurfs knnen durch eine auch noch so ausgeklgelte Berechnung und Bemessung durch den Bauingenieur nicht kompensiert werden. Ein erdbebengerechter Entwurf ist zudem erforderlich, um ohne oder ohne wesentliche Mehrkosten ein gutes Erdbebenverhalten der Hochbauten zu erreichen. Die vorliegenden Grundstze sind somit primr auf die Planung von Neubauten ausgerichtet. Es versteht sich jedoch von selbst, dass sie auch bei einer berprfung und allflligen Ertchtigung bestehender Bauten herangezogen werden knnen. Zu einigen Grundstzen werden deshalb auch Anwendungen bei bestehenden Bauten gezeigt. Die Grundstze sind bewusst sehr einfach gehalten. Aspekte der Berechnung und Bemessung werden mehr nur am Rande erwhnt. Vertieftere Betrachtungen sind in der fachwissenschaftlichen Literatur zu finden (z.B. [Ba 02]). Idee und Konzept der Grundstze entstanden im Rahmen zahlreicher in den Jahren 1997 bis 2000 gehaltener Vortrge, deren Inhalte laufend weiterentwickelt und ergnzt wurden. Pro Grundsatz wird zuerst ein leicht erklrbares, schematisch gehaltenes Bild (Grundsatzbild) und ein zugehriger allgemeiner Text prsentiert. Zur weiteren Veranschaulichung des Grundsatzes folgen anschliessend meist Fotobilder von

Schden positiven oder negativen Beispielen (Illustrationsbilder) mit zugehrigen Texten. Die Grundstze (GS) sind nach folgenden Themen gruppiert: Zusammenarbeit, Normen und Kosten (GS 1 bis GS 3) Aussteifungen und Verformungen (GS 4 bis GS 20) Gestaltung im Grundriss (GS 21 und GS 22) Konstruktive Durchbildung des Tragwerks (GS 23 bis GS 27) Fundation und Boden (GS 28 bis GS 31) Nichttragende Bauteile und Einrichtungen (GS 32 bis GS 35) Es versteht sich von selbst, dass allgemein und bei einem bestimmten Objekt nicht smtliche Grundstze von gleicher Bedeutung sind. Je nach Gefhrdung (Erdbebenzone und lokale Bodenverhltnisse) und Merkmalen des Objekts mgen aufgrund einer ingenieurmssigen Beurteilung Kompromisse zulssig sein. Im Vordergrund muss stets das strikte Einhalten der fr die Sicherheit von Personen relevanten Grundstze stehen, insbesondere derjenigen betreffend die Aussteifungen. Hingegen knnen bei Grundstzen, die primr der Schadensverminderung dienen, Konzessionen eher in Frage kommen. Die vorliegende Publikation richtet sich vor allem an Baufachleute wie Bauingenieure und Architekten, aber auch an Bauherren und Behrden. Sie eignet sich sowohl zum Selbststudium als auch als Grundlage fr entsprechende Vortrge an Tagungen und Weiterbildungskursen sowie fr den Unterricht an Schulen. Zu diesem Zweck knnen Bilder in elektronischer Form beim Herausgeber der Publikation bezogen werden. Alle brigen Rechte wie die der Reproduktion der Bilder und Texte usw. sind vorbehalten.

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Was geschieht bei einem Erdbeben?

Bei einem Erdbeben werden bei ruckartigen Verschiebungen in einer Bruchzone der Erdkruste (aktive Verwerfung) seismische Wellen abgestrahlt. Die Wellen verschiedener Arten und mit unterschiedlichen Wellenwegen und -Geschwindigkeiten erreichen den Standort eines Bauwerks und erzeugen dort vielfltige Bodenbewegungen.

Zeitverlufe der Bodenbewegungsgrssen Walliser ErdbebenE/2

Was geschieht bei einem Erdbeben?E/1

Zeit (s)

Rasche Bodenbewegungen:Wie lange? Wie viel?

Prof. Hugo Bachmann

ibk ETH Zrich

Antwort der Bauwerke: Starke Schwingungen Grosse Beanspruchungen Lokales Versagen Kollaps = EinsturzProf. Hugo Bachmann ibk ETH Zrich

Tragwerks und zu erheblichen Schden mit lokalem Versagen und im Extremfall zum Kollaps d.h. zum Einsturz des Tragwerks. Wesentlich fr die Wirkungen eines Erdbebens auf ein Bauwerk sind die Zeitverlufe der drei Bodenbewegungsgrssen Bodenbeschleunigung (ag), Bodengeschwindigkeit (vg) und Bodenverschiebung (dg) mit ihrem spezifischen Frequenzgehalt. Am Beispiel der eindimensionalen horizontalen Bodenbewegungsgrssen eines knstlich generierten Walliser Erdbebens lsst sich erkennen, dass die wesentlichen Frequenzen der Bodenbeschleunigung erheblich hher liegen als jene der Bodengeschwindigkeit und sehr viel hher als jene der Bodenverschiebung. Die Erdbebengefhrdung ist je nach Region unterschiedlich (siehe Karte im Anhang und [GM 98]). Aber noch wichtiger als die Region kann der konkrete Standort eines Gebudes sein. Denn die Bodenbewegungsgrssen und andere Kennwerte an einem Standort infolge eines Erdbebens bestimmter Strke (Magnitude) knnen sehr verschieden sein und stark streuen. Sie hngen von zahlreichen Parametern ab wie Distanz, Richtung, Tiefe und Mechanismus der Bruchzone (Herd) in der Erdkruste sowie insbesondere von den lokalen Bodenverhltnissen (Schichtstrken, Scherwellengeschwindigkeiten) am Standort. Vor allem bei weicheren Bden knnen im Vergleich zu Felsstandorten erhebliche lokale Aufschaukelungen erfolgen. Und die Antwort der Bauwerke auf die Bodenbewegungen wird ihrerseits von wichtigen Eigenschaften des Bauwerks (Eigenfrequenzen, Tragwerksart, Duktilitten, usw.) beeinflusst. Die Bauwerke mssen daher so gestaltet werden, dass betrchtliche Streuungen und Unsicherheiten abgedeckt sind.

Der Boden bewegt sich rasch horizontal in allen Richtungen hin und her und auch vertikal auf und ab; vertikal meist etwas weniger als horizontal. Wie lange dauert die Bodenbewegung? Zum Beispiel ein mittelstarkes Erdbeben dauert etwa 10 bis 20 Sekunden, also nur eine verhltnismssig kurze Zeit. Wie gross sind die maximalen Ausschlge der Bodenbewegung? Zum Beispiel bei einem typischen Walliser Beben mit etwa Magnitude 6 hnlich wie das Schadenbeben von Visp 1855 liegen die horizontalen Amplituden in der Grssenordnung von etwa 8, 10 oder 12 cm. Oder bei einem Erdbeben mit etwa Magnitude 6.5 oder etwas strker, hnlich wie ein Basler Beben wie es sich 1356 ereignete als Basel und seine Umgebung weitgehend zerstrt wurden: Da liegen die maximalen Bodenverschiebungen in der Grssenordnung von etwa 15 oder 20 cm, vielleicht auch etwas mehr. Und was geschieht mit den Bauwerken? Wenn sich der Boden rasch hin und her bewegt, dann werden die Fundamente der Bauwerke gezwungen, diese Bewegungen mitzumachen. Der obere Teil der Bauwerke aber, der mchte wegen seiner Massentrgheit sozusagen am liebsten dort bleiben, wo er immer gewesen ist. Das bewirkt starke Schwingungen mit resonanzhnlichen Phnomenen zwischen Bauwerk und Boden und somit grosse innere Beanspruchungen. Diese fhren oft zu plastischen Verformungen des

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Die bedeutendste NaturgefahrIn der Schweiz wie anderswo auch wurde lange Zeit das Erdbebenrisiko kaum beachtet und erheblich unterschtzt. Heute ist man sich vermehrt bewusst, dass auch in diesem Land Erdbebenkatastrophen enormen Ausmasses mglich sind. Starke Erdbeben, vergleichbar mit den grossen Schadenbeben von Izmit Trkei 1999, Kobe Japan 1995 und Northridge Kalifornien 1994, veranschaulichen fr schweizerische Verhltnisse etwa ein Maximalbeben. Sie weisen zwar eine relativ geringe jhrliche Wahrscheinlichkeit auf, sind aber nicht unmglich. Das Erdbeben von Basel 1356 gehrt in diese Strkeklasse.

Die Frage nach dem Ausmass von mglichen Erdbebenkatastrophen in der Schweiz wurde in den letzten Jahren aus der Sicht der Versicherer und der Katastrophenvorsorge intensiv untersucht [D0150]. Die Versicherer schtzten in Was-wre-wenn-Studien die Folgen ab, wenn ausgewhlte historische Erdbeben in der Schweiz heute wieder auftreten wrden, was jederzeit mglich und zu erwarten ist. So werden fr das Visper Beben von 1855 heute Gebudeschden in der Grssenordnung von bis zu rund 10 Milliarden Schweizer Franken erwartet. Das Basler Beben von 1356 entspricht einer mittleren statistischen Wiederkehrperiode von etwa 500 bis 1000 Jahren und drfte heute Gebudeschden in der Grssenordnung von bis zu 50 Milliarden Schweizer Franken verursachen. Dabei wurden die Verluste an

Risiken aus den verschiedenen Naturgefahren

Aufwendungen der ffentlichen Hand fr SchutzmassnahmenE/3

Trockenheit Hitze Waldbrand Kltewelle

Erdbeben

Brand, Sturm, Schdlinge usw. im Wald

brige Naturgefahren inkl. Erdbeben

Bodenbewegung Lawinen Hochwasser Sturm Gewitter Lawinen

Hochwasser

Prof. Hugo Bachmann

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Menschenleben nicht explizit abgeschtzt. Es msste aber mit bis zu einigen Hundert oder gar Tausend Toten und bis zu zehn mal mehr Verletzten gerechnet werden. Um die Schden am Inhalt der Gebude an Infrastrukturbauten fr Verkehr, Kommunikation, Versorgung und Entsorgung, Kosten von Produktionsausfllen, Folgekosten von Toten und Verletzten und Umweltschden zu bercksichtigen, mssen die Gebudeschden erfahrungsgemss mit einem Faktor von 2 bis 3 multipliziert werden. Damit ergben sich fr das Basler Beben Gesamtschden, die ein Mehrfaches der jhrlichen Staatsrechnung der Schweizerischen Eidgenossenschaft (2001 ca. 50 Milliarden Schweizer Franken) betragen. hnlich schwerwiegende Folgerungen resultieren aus einer Studie des Bundesamtes fr Zivilschutz, das sich mit der Katastrophenvorsorge befasst (Katanos-Studie 1995). Das Kuchendiagramm links im Bild zeigt die Anteile der einzelnen Naturgefahren am gesamten gewichteten Risiko aus Naturgefahren in der Schweiz (ohne das Risiko aus der sogenannten Ausmassklasse 5, gemss [D0150]). Es gibt die Risiken aus Hochwasser, Gewitter, Sturm, Lawinen usw., und das Risiko aus Erdbeben. Man erkennt, dass das Erdbebenrisiko von hnlicher Grssenordnung oder sogar noch bedeutender ist als die Risiken aus den anderen Naturgefahren.

Fehlende MassnahmenWie steht es mit den Massnahmen gegen Naturgefahren? Die ffentliche Hand wendet pro Jahr rund 600 Millionen Schweizer Franken auf fr Schutzmassnahmen gegen Naturgefahren. Das Kuchendiagramm rechts im Bild zeigt die Verteilung auf die verschiedenen Naturgefahren. Fr Schutzmassnahmen gegen Erdbeben werden vergleichsweise nur verschwindend kleine Mittel eingesetzt. Im Vergleich zum Erdbebenrisiko zeigt sich ein krasses Missverhltnis. Die Defizite bei der Erdbebenvorsorge hngen wohl mit dem allgemeinen Bewusstsein zusammen. Es gibt alle paar Jahre ein Hochwasser mit berschwemmungen, oder einen Lawinenwinter, oder einen grossen Sturm. Deshalb ist man sich dieser Naturgefahren sehr bewusst, und darum werden auch schon lange Schutzmassnahmen ergriffen. Aber nicht jede Generation erlebt ein starkes Erdbeben, und darum sind mgliche Schadenbeben in der Schweiz noch kaum im allgemeinen Bewusstsein. Wenn jedoch ein solches auftritt, ist die Wirkung enorm, und die Personen- und die Sachschden knnen um Grssenordnungen gewaltiger sein als bei berschwemmungen, Lawinen, usw.

Dringlicher HandlungsbedarfDie vorstehenden Ausfhrungen zeigen klar: In der Schweiz gibt es bei der Erdbebenvorsorge durch bauliche Massnahmen grosse Defizite. Es besteht ein enormer Nachholbedarf und ein entsprechend dringlicher Handlungsbedarf [D0150]. Neue Bauwerke mssen auf angemessene Weise erdbebensicher gestaltet werden, damit zu den vielen bestehenden bei Erdbeben gefhrlichen Bauwerken nicht laufend noch weitere gefhrliche Bauwerke hinzukommen. Die vorliegende Publikation soll dazu beitragen, das entsprechende Basiswissen zu verbreiten.

Das Erdbebenrisiko wird laufend vergrssertDas Erdbebenrisiko ist das Produkt aus der Gefhrdung (Bebenstrke/Auftretenswahrscheinlichkeit und lokale Bodenverhltnisse) und dem exponierten Wert und der Verletzbarkeit der Bausubstanz. Zu den vorhandenen Bauwerken kommen stndig neue Bauwerke hinzu, und bei manchen von ihnen ist die Verletzbarkeit durch Erdbeben betrchtlich und damit wesentlich zu gross. Ein Grund hierfr ist vor allem die Tatsache, dass bei neuen Bauwerken wichtige Grundstze des erdbebengerechten Entwurfs und oft auch die Erdbebenbestimmungen der Normen nicht eingehalten werden, sei es aus Unkenntnis, aus Bequemlichkeit oder aus bewusster Ignoranz. Dadurch wird das Erdbebenrisiko auf unntige Weise laufend vergrssert.

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GS 1 Enge Zusammenarbeit von Architekt und Bauingenieur beim Entwurf!

Grundstze fr den erdbebengerechten Entwurf von Hochbauten1

Grundstze fr den erdbebengerechten Entwurf von Hochbauten

Bauherr Architekt Bauingenieur

Falsch: Nacheinander Entwurf

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1. Architekt: Konzept fr Tragwerk 1. Tragwerk fr Schwerelasten 2. Nichttragende Bauteile und nichttragende Bauteile 3. Tragwerk fr Erdbeben 2. Ingenieur: Berechnung... Viel besser und kostengnstiger:

Enge Zusammenarbeit von Architekt und Bauingenieur beim Entwurf!

Miteinander Entwurf Architekt und Ingenieur entwerfen gemeinsam Mehrzweck Tragwerk und nichttragende Bauteileibk ETH Zrich

Prof. Hugo Bachmann

ibk ETH Zrich

Prof. Hugo Bachmann

Bei manchen Bauherren und Architekten besteht immer noch die irrige Meinung, dass es bei der Planung eines Hochbaus genge, den Bauingenieur erst gegen Ende des Entwurfsprozesses beizuziehen mit dem Auftrag, das Tragwerk zu rechnen. Ein solches Vorgehen muss als falsch bezeichnet werden; es kann gravierende Folgen haben und zudem wesentliche Mehrkosten bewirken. Denn erdbebenmssige Fehler und Mngel beim konzeptionellen Entwurf des Tragwerks und bei der Wahl der nichttragenden Bauteile vor allem der Zwischenwnde und Fassadenbauteile knnen durch eine auch noch so ausgeklgelte Berechnung und Bemessung nicht kompensiert werden.

beim Ingenieur den Entwurf und die Gestaltung eines sicheren, effizienten und kostengnstigen Tragwerks. Die Zusammenarbeit von Architekt und Ingenieur muss deshalb bei den ersten Skizzen des Entwurfs beginnen! Falsch und auch ineffizient ist insbesondere ein Nacheinander-Entwurf. Das heisst, es ist ausgesprochen unzweckmssig, wenn zuerst der Architekt ein Konzept fr das Tragwerk entwirft und Art und Material fr die nichttragenden Zwischenwnde und Fassadenbauteile whlt, und erst dann der Ingenieur beigezogen wird, um eine Berechnung und Bemessung des Tragwerks durchzufhren. Falsch ist aber auch, wenn zuerst ein Tragwerk fr die Schwerelasten entworfen und die nichttragenden Zwischenwnde und Fassadenbauteile gewhlt werden, und erst nachher im Hinblick auf die Erdbebeneinwirkung das Tragwerk sozusagen noch ergnzt wird. Denn auch dies fhrt oft nur zu einem teuren und trotzdem nicht befriedigenden Flickwerk. Viel besser und insgesamt oft wesentlich kostengnstiger ist ein Miteinander-Entwurf: Architekt und Ingenieur entwerfen gemeinsam und unter Einbezug der relevanten Aspekte des sthetischen und funktionalen Entwurfs ein sicheres, effizientes und kostengnstiges Mehrzwecktragwerk fr die Schwerelasten und die Erdbebeneinwirkung, und sie whlen gemeinsam die zu diesem Tragwerk verformungsmssig passenden nichttragenden Zwischenwnde und Fassadenbauteile. Mit diesem Vorgehen kann das bestmgliche Ergebnis erzielt werden. Und deshalb muss auch der Bauherr ein grosses Interesse daran haben, dass eine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit von Architekt und Ingenieur stattfindet, und zwar nicht erst fr das Rechnen und bei der Detailplanung sondern bereits dann, wenn die entscheidenden Weichen bezglich Erdbebensicherheit und Schadensanflligkeit gestellt werden, d.h. im frhesten Entwurfsstadium.

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Erdbebenmssige Fehler und Mngel beim konzeptionellen Entwurf des Tragwerks und der nichttragenden Bauteile knnen durch eine auch noch so ausgeklgelte Berechnung und Bemessung nicht kompensiert werden!

Enge Zusammenarbeit von Architekt und Ingenieur bereits im frhesten Entwurfsstadium

Prof. Hugo Bachmann

ibk ETH Zrich

Fr das Ergebnis des Entwurfsprozesses, fr die Sicherheit und die Schadensanflligkeit und auch fr die relevanten Kosten eines Hochbaus ist es von grosser Bedeutung, dass vom frhesten Entwurfsstadium an eine enge Zusammenarbeit zwischen Architekt und Ingenieur erfolgt. Dabei vereinigen beide Partner unterschiedliche jedoch unabdingbare Fachkompetenzen. Beim Architekten betrifft dies vor allem den sthetischen und funktionalen Entwurf,

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GS 2 Die Erdbebenbestimmungen der Normen einhalten!

Grundstze fr den erdbebengerechten Entwurf von Hochbauten2

Bisher: Neu:

SIA 160 (1989) SwisscodesSIA 260 SIA 261 SIA 262 SIA 263 Grundlagen Einwirkungen Betonbau Stahlbau SIA 264 SIA 265 SIA 266 SIA 267 Verbundbau Holzbau Mauerwerk Geotechnik

gezeigt, dass das Einhalten der Normenbestimmungen die Verletzbarkeit der Bauwerke durch Erdbeben ohne oder ohne wesentliche Mehrkosten entscheidend reduziert und insbesondere eine erheblich verbesserte Einsturzsicherheit bewirkt. Durch die Ignoranz der Erdbebenbestimmungen der Baunormen oder auch bei deren teilweiser Nichteinhaltung kann ein (auch rechtlich) minderwertiges Bauwerk resultieren [Sc 00]. Der Minderwert kann u.a. in den Kosten fr eine Nachrstung bestehen, abzglich der Ohnehin-Kosten, die bei einem erdbebengerechten Neu- oder Umbau entstanden wren. Fr die Kosten der Nachrstung knnen die verantwortlichen Planer haften, nebst der Haftpflicht der Planer und der Eigentmer fr gettete und verletzte Mitmenschen sowie fr Sachschden im Erdbebenfall. Eine Nachrstung verursacht im Allgemeinen ein Vielfaches der Kosten einer fachgerechten Erdbebensicherung des Neubaus und kann zudem mit grossen Umtrieben bis hin zur temporren Rumung und Unbenutzbarkeit des betreffenden Bauwerks verbunden sein. Zur Festlegung der Haftungsanteile von Architekt und Ingenieur knnen zudem langwierige und aufwendige Gerichtsverfahren erforderlich sein. Es liegt daher im erklrten Interesse von Bauherr, Architekt, Ingenieur und Behrden, dass bei smtlichen Neubauten die Erdbebenbestimmungen der Normen strikte eingehalten und die entsprechenden Nachweise und die Protokolle von Kontrollen bei den Bauakten aufbewahrt werden.

Die Erdbebenbestimmungen der Normen einhalten!Prof. Hugo Bachmann ibk ETH Zrich

In der Schweiz wurden 1970 in der Norm SIA 160 erstmals Erdbebenbestimmungen erlassen, die jedoch aus heutiger Sicht vllig ungengend waren. Angemessenere Bestimmungen fr Grundlagen und Massnahmen zur Erdbebensicherung der Bauwerke erschienen dann 1989 im Artikel 4.19 der Neufassung dieser Norm [SIA 160]. Die Bestimmungen verlangen konzeptionelle und konstruktive Massnahmen sowie einfache rechnerische Nachweise (vor allem Ersatzkraftverfahren) fr smtliche Neubauten in der Schweiz, abgestuft nach der Gefhrdung (Erdbebenzone und Baugrund) und der Bedeutung des Bauwerks (Bauwerksklasse). Diese und andere Tragwerksnormen werden demnchst abgelst durch die Swisscodes, die eine Weiterentwicklung der bisherigen SIA-Normen darstellen und die Prinzipien der europischen Normen (Eurocodes) realisieren. In den Swisscodes sind die Erdbebenbestimmungen mit Ausnahme der Beschreibung der Einwirkungen in die Vorschriften fr die einzelnen Bauweisen integriert, d.h. sie sind dort aufgefhrt, wo man sie unmittelbar bentigt. Die neuen Bestimmungen werden eine weitere Verschrfung der Anforderungen an die Erdbebensicherung der Bauwerke bringen, insbesondere fr nicht duktile Tragwerke. Leider wurden und werden auch heute noch die Erdbebenbestimmungen der Baunormen oft nicht eingehalten, sei es aus Unkenntnis, Gleichgltigkeit, Bequemlichkeit oder aufgrund schlichter Ignoranz. Zudem fehlen entsprechende behrdliche und baupolizeiliche Auflagen und Kontrollen. Immer noch werden Bauwerke gebaut, die eine grosse Verletzbarkeit und somit schon bei einem relativ schwachen Erdbeben ein betrchtliches Risiko aufweisen. Untersuchungen von bestehenden Bauwerken (z.B. [La 02]) haben jedoch

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2/1 Immer noch werden Bauwerke gebaut, bei denen ein Nachweis einer gengenden Erdbebensicherheit gemss den gltigen Normen weder durchgefhrt wurde noch mglich ist. Bei diesem Gebude aus Mauerwerk scheinen keine entsprechenden Massnahmen (z.B. aussteifende Stahlbetonwnde) ergriffen worden zu sein. Eine ungengende Erdbebensicherheit kann einen erheblichen Minderwert des Bauwerks zur Folge haben und entsprechende Haftpflichtprozesse auslsen (Schweiz 2001).

2/2 Auch Bauten mit fehlenden oder stark exzentrisch angeordneten Aussteifungen gegen horizontale Krfte und Verschiebungen entsprechen im Allgemeinen nicht den Bestimmungen der bestehenden Normen und knnen deshalb bereits bei einem relativ schwachen Erdbeben Schaden nehmen oder einstrzen (Schweiz 2000).

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GS 3 Keine wesentlichen Mehrkosten dank moderner Verfahren!

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Kosten fr die Edbebensicherung abhngig vom Vorgehen bei der Planung Angewandten Verfahren

Keine wesentlichen Mehrkosten dank moderner Verfahren!Prof. Hugo Bachmann ibk ETH Zrich

erheblich verbessert und somit auch die Schadenanflligkeit verringert werden. Von besonderer Bedeutung sind die duktile Bauweise und die entsprechende Methode der Kapazittsbemessung. Damit knnen Elemente wie Stahlbetonwnde, die zur Windsicherung oder aus funktionalen Grnden ohnehin vorgesehen sind, ohne wesentliche Mehrkosten fr die Erdbebensicherung hergerichtet werden (z.B. modifizierte Bewehrung); zustzliche Elemente sind dann nicht oder nur in geringerem Umfang als bei lteren Verfahren erforderlich. Hinweise zur Anwendung moderner Verfahren und deren Vorteile knnen der Publikation [D0171] entnommen werden. Darin wird die Erdbebensicherung eines 7-geschossigen Geschfts- und Wohnhauses dargestellt, und es knnen die resultierenden Bauwerke bei Anwendung der verformungsorientierten Kapazittsbemessung und der konventionellen Bemessung (lteres Verfahren) miteinander verglichen werden. Die Vorteile des modernen Verfahrens bei diesem Beispiel lassen sich wie folgt zusammenfassen (siehe auch Seite 12): Drastische Verringerung der fr den erforderlichen Tragwiderstand massgebenden Erdbebenkrfte Hhere Sicherheit gegen Einsturz Gute Beherrschung der Verformungen Weitgehende Verhinderung von Schden bis zu einer whlbaren Erdbebenstrke (Schadengrenzebeben) Grssere Flexibilitt bei Nutzungsnderungen Praktisch gleiche Kosten Fr den Bauherrn sind vor allem die drei letztgenannten Vorteile bedeutend. Die grssere Flexibilitt bei Nutzungsnderungen resultiert vor allem daraus, dass die allermeisten Wnde problemlos verndert oder ganz entfernt werden knnen.

Immer noch ist unter Baufachleuten die Meinung verbreitet, die Erdbebensicherung neuer Bauwerke in der Schweiz verursache wesentliche Mehrkosten; in einer Umfrage wurden zwischen 3 % und 17 % der Neubaukosten genannt. Diese Meinung trifft nicht zu. Bei der vorhandenen mssigen Seismizitt kann die Erdbebensicherung neuer Gebude oft ohne oder ohne wesentliche Mehrkosten (im Promillebereich) erreicht werden. Der Aufwand fr die Erdbebensicherung kann allerdings vom gewhlten Vorgehen bei der Planung und dem angewendeten Verfahren erheblich beeinflusst werden: Beim Vorgehen bei der Planung ist die frhe Zusammenarbeit zwischen Architekt und Bauingenieur entscheidend (siehe Grundsatz 1). Die Erdbebensicherung muss ganz von Anfang an in den architektonischen Entwurf des Gebudes und in den Entwurf des Tragwerks miteinbezogen werden. Wesentliche Mehrkosten knnen vor allem entstehen, wenn erst in einem fortgeschrittenen Planungsstadium Vernderungen und Ergnzungen des Tragwerks vorgenommen werden mssen, was oft auch Umplanungen des architektonischen Entwurfs erfordert. Das kann sehr aufwendig sein. Bezglich des anzuwendenden Verfahrens ist festzustellen, dass in der letzten Zeit grosse Fortschritte erzielt worden sind. Durch eine intensive Forschung wurde das Erdbebenverhalten der Bauund Tragwerke immer besser verstanden, und es wurden effiziente moderne Verfahren entwickelt. Im Vergleich zu lteren Verfahren kann der bauliche Aufwand fr die Erdbebensicherung reduziert und/oder das Erdbebenverhalten der Bauwerke

Seite 14 3/1 Ergebnisse der Erdbebenbemessung eines 7-geschossigen Wohn- und Geschftshauses nach verschiedenen Verfahren [D0171].

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Konventionelle BemessungFassade WestC H

Schnitt C

Schnitt H

4. Obergeschoss 3. Obergeschoss 2. Obergeschoss 1. Obergeschoss Zwischengeschoss Erdgeschoss 1. Untergeschoss 2. Untergeschoss C H

Erdbebengerechter Entwurf und KapazittsbemessungFassade WestC K

Schnitt C

Schnitt K

4. Obergeschoss 3. Obergeschoss 2. Obergeschoss 1. Obergeschoss Zwischengeschoss Erdgeschoss 1. Untergeschoss 2. Untergeschoss C K

Wnde, Decken, Unterzge und Sttzen aus Stahlbeton fr Schwerelasten Stahlbetontragwnde und Stahlbetonrahmen fr Erdeben Tragendes Mauerwerk

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GS 4 Weiche Erdgeschosse vermeiden!

Grundstze fr den erdbebengerechten Entwurf von Hochbauten4

Weiche Erdgeschosse vermeiden!Prof. Hugo Bachmann ibk ETH Zrich

Viele Einstrze von Gebuden unter Erdbeben sind darauf zurckzufhren, dass Aussteifungselemente, z.B. Wnde, die in den Obergeschossen vorhanden sind, im Erdgeschoss weggelassen und dafr nur Sttzen angeordnet werden. Dadurch entsteht ein in horizontaler Richtung weiches Erdgeschoss (Soft storey). Die Sttzen sind dann oft nicht in der Lage, die Relativverschiebungen zwischen dem sich hin und her bewegenden Boden und dem oberen Teil des Gebudes schadlos mitzumachen. Die plastischen Verformungen (plastische Gelenke) am oberen und unteren Ende der Sttzen fhren zum gefrchteten sogenannten Sttzenmechanismus (Stockwerksmechanismus) mit grosser Konzentration der plastischen Verformungen an den Sttzenenden. Ein Einsturz ist oft unvermeidlich.

4/2 Ein Sttzenmechanismus ist bei weichen Erdgeschossen oft unvermeidlich (Izmit Trkei 1999).

4/3 Hier stehen die vorderen Sttzen in ihrer schwcheren Richtung schief, die hinteren haben ganz versagt (Izmit Trkei 1999).

4/1 Dieser Sttzenmechanismus im Erdgeschoss eines im Bau befindlichen Gebudes fhrte nur ganz knapp nicht zum Einsturz (Friaul Italien 1976). Seite 16 4/4 Dieses Wohngebude ist infolge Sttzenversagen umgekippt (Taiwan1999).

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4/5 Dieses oben gut ausgesteifte Gebude ist um das Erdgeschoss abgesackt

4/7 Dieses vielstckige Gebude ist haarscharf am Einsturz vorbeigegangen

4/6 und das sind die berreste der Erdgeschosssttze an der linken vorderen Ecke des Gebudes (Kobe Japan 1995).

4/8 dank massiven Sttzen mit konstruktiv gut durchgebildeter Stabilisierungs- und Umschnrungsbewehrung (Taiwan 1999).

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4/9 Bei solchen bestehenden Gebuden ist zu vermuten, dass sie schon bei einem relativ schwachen Erdbeben einstrzen (Schweiz 2000).

4/10 Und auch bei diesem bestehenden Gebude sind die innerhalb der Verkleidung sehr dnnen Sttzen vermutlich zu schwach. Wenige horizontal kurze Stahlbetontragwnde knnten entscheidend helfen (Schweiz 1998).

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GS 5 Weiche Obergeschosse vermeiden!

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Weiche Obergeschosse vermeiden!Prof. Hugo Bachmann ibk ETH Zrich

Auch ein Obergeschoss kann im Verhltnis zu den brigen Geschossen weich sein, sofern dort Aussteifungen gegen horizontale Krfte und Relativverschiebungen geschwcht sind oder ganz weggelassen werden. Oder der horizontale Tragwiderstand ist ab einer bestimmten Hhe im ganzen darber liegenden Teil eines Gebudes stark reduziert. Die Folge kann wiederum ein gefhrlicher Sttzenmechanismus (Stockwerksmechanismus) sein.

5/2 Auch in diesem Brogebude hat ein Obergeschoss versagt. Der darber liegende Teil des Gebudes ist abgesackt, und er hat sich dabei etwas verdreht und nach vorne geneigt.

5/1 In diesem Geschftshaus ist das dritte Obergeschoss verschwunden. Der darber liegende Teil ist um ein Stockwerk abgesackt (Kobe Japan 1995).

5/3 Diese Nahaufnahme zeigt das zerquetschte Obergeschoss des Brogebudes (Kobe Japan 1995).

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5/4 Hier waren smtliche Obergeschosse zu weich (Izmit Trkei 1999).

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GS 6 Unsymmetrische Aussteifungen vermeiden!

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W, S S M W M

Unsymmetrische Aussteifungen vermeiden!Prof. Hugo Bachmann ibk ETH Zrich

Unsymmetrische Aussteifung ist eine hufige Ursache von Einstrzen von Gebuden bei Erdbeben. In den beiden schematisierten Grundrissen sind nur Aussteifungselemente wie Wnde oder Fachwerke gegen horizontale Krfte und entsprechende Verschiebungen dargestellt. Nicht gezeichnet sind die meist in einem Raster angeordneten Sttzen, die mit ihrer Rahmenwirkung nicht wesentlich zum Widerstand gegen horizontale Krfte und Verschiebungen beitragen. Die Sttzen mssen nur die Schwerelasten abtragen, sollen aber in der Lage sein, die horizontalen Verschiebungen des Gesamtsystems mitzumachen ohne ihren Tragwiderstand einzubssen. Jedes Gebude hat im Grundriss ein Massenzentrum M (Schwerpunkt aller Massen), in dem die wirkenden Trgheitskrfte angenommen werden, ein Widerstandszentrum W fr horizontale Krfte (Schwerpunkt der Biege- bzw. Rahmenwiderstnde aller vertikalen Tragelemente in Richtung der beiden Hauptaxen) und ein entsprechendes Steifigkeitszentrum S (Schubmittelpunkt). Wenn das Widerstandszentrum nicht im Massenzentrum und somit exzentrisch liegt, entsteht Torsion, und das Gebude verdreht sich im Grundriss um das Steifigkeitszentrum. Die Verdrehung bewirkt vor allem bei den am weitesten vom Steifigkeitszentrum entfernten Sttzen grosse Relativverschiebungen zwischen deren Fuss und Kopf, die oft bald zum Versagen fhren. Daher muss das Widerstandszentrum im oder nahe beim Massenzentrum liegen, und es muss ein gengender Torsionswiderstand vorhanden sein. Beides wird erreicht durch eine weitgehend symmetrische Anordnung der Aussteifungen mglichst entlang der Gebudernder (oder jedenfalls mit betrchtlichen Abstnden zum Massenzentrum).

6/1 Dieser neue Skelettbau mit Flachdecken und dnnen Schwerelaststtzen weist als einzige Aussteifung gegen horizontale Krfte und Verschiebungen einen in der Gebudeecke platzierten und somit stark unsymmetrisch gelegenen Lift- und Treppenhauskern aus Stahlbeton auf. Es besteht eine grosse Exzentrizitt zwischen Massenzentrum und Widerstands- bzw. Steifigkeitszentrum. Verdrehungen im Grundriss fhren zu grossen Relativverschiebungen der vom Kern entferntesten Sttzen und zu entsprechender Durchstanzgefahr. Eine entscheidende Verbesserung brchte z.B. die Anordnung von je einer horizontal kurzen und ber die ganze Gebudehhe laufenden Stahlbetonwand in den vom Kern entferntesten Fassaden. Vom Kern mssten dann z.B. nur zwei Wnde betoniert werden, und die anderen Wnde knnten in Mauerwerk ausgefhrt werden (Schweiz 1994).

Seite 22 6/2 Dieses Brogebude hatte auf der rechten hinteren Seite eine durchgehende Brandmauer und im hinteren Bereich weitere exzentrische Aussteifungen. Das Gebude hat sich stark verdreht, dadurch haben die vorderen Sttzen versagt (Kobe Japan 1995).

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6/5 Bei diesem bestehenden Hrsaalgebude der ETH Zrich im Campus Hnggerberg befand sich im ursprnglichen Zustand aus den 70er Jahren die einzige Aussteifung gegen horizontale Krfte und Verschiebungen in Form von torsionsweichen Stahlbetonwnden am hinteren Gebudeende. Wegen der betrchtlichen Exzentrizitt zum Zentrum der grossen Gebudemasse htte sich auch fr das relativ schwache Bemessungsbeben (Zone 1 nach SIA 160) das Gebude im Grundriss verdreht. Die wenigen und hoch belasteten Stahlbetonsttzen im Erdgeschoss htten vor allem im vorderen Gebudebereich erhebliche Verschiebungen erfahren. Fr die erforderliche Duktilitt der Sttzen war jedoch deren konstruktive Durchbildung nicht gengend. Daher wurden auf drei Seiten des Gebudes aussen liegende Stahlsttzen in Form eines Fachwerks angeordnet, dessen horizontale Scheibenkrfte infolge Erdbeben die bestehende Fundation problemlos bernehmen kann. Mit dieser Ertchtigungsmassnahme konnte gleichzeitig auch die erforderliche Sanierung der Auskragungen fr Schwerelasten vollzogen werden.

6/3 6/4 Dieses Wohnhaus war hinten an ein hnliches angebaut mit gemeinsamer relativ fester und steifer Brandmauer. Die Fassade vorne ist wesentlich weicher, sodass Widerstands- und Steifigkeitszentrum im hinteren Bereich lagen. Das Haus hat sich im Grundriss erheblich verdreht, ist jedoch knapp nicht eingestrzt (Umbrien Italien 1997).

6/6 Die neuen Fachwerksttzen aus Stahlrohren fgen sich sthetisch befriedigend in das bestehende Gebude ein.

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GS 7 Versetzungen von Aussteifungen vermeiden!

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Versetzungen von Aussteifungen vermeiden!

Prof. Hugo Bachmann

ibk ETH Zrich

Horizontale Versetzungen von Aussteifungen in ihrer Ebene (vorne im Grundriss) oder gar aus ihrer Ebene heraus (hinten im Grundriss) entstehen durch eine unterschiedliche Lage der Aussteifungen im Aufriss und/oder Grundriss ber die Hhe des Gebudes. Bei den Versetzungen knnen vor allem die Biegemomente und die Querkrfte der Aussteifungen meist nicht einwandfei bertragen werden, dies trotz wesentlichem Mehraufwand. Die Versetzungen stren den direkten Kraftfluss, schwchen den Tragwiderstand und verringern die Duktilitt (plastisches Verformungsvermgen) der Aussteifungen. Darber hinaus bewirken sie grosse zustzliche Beanspruchungen und Verformungen auch in anderen Tragelementen (z.B. Decken, Sttzen). Im Vergleich zu kontinuierlich ber die ganze Gebudehhe laufenden und fachgerecht ausgebildeten Aussteifungen fhren Versetzungen zu einer grsseren Verletzbarkeit (Schadenanflligkeit) und meist auch zu einer wesentlichen Reduktion der Erdbebensicherheit. Versetzungen von Aussteifungen sind deshalb unbedingt zu vermeiden.

7/1 Die horizontalen Versetzungen der aussteifenden Stahlbetonwand in der Fassadenebene bewirken bei Erdbeben grosse Zusatzbeanspruchungen und entsprechende Verformungen im Tragwerk. Es sind dies z.B. hohe lokale vertikale Krfte (aus Kippmoment), grosse zustzliche Schubkrfte in den Decken auf der Hhe der Versetzungen, Umlagerungen der Fundationskrfte, usw. (Schweiz 2001).

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GS 8 Sprnge bei Steifigkeiten und Widerstnden sind problematisch!

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Sprnge bei Steifigkeiten und Widerstnden sind problematisch!

Prof. Hugo Bachmann

ibk ETH Zrich

Vernderungen des Querschnitts von Aussteifungen ber die Hhe eines Gebudes bewirken Diskontinuitten und fhren zu Sprngen im Verlauf der Steifigkeiten und Widerstnde. Dadurch knnen Unregelmssigkeiten beim dynamischen Verhalten und entsprechende Zusatzbeanspruchungen sowie Probleme bei lokalen Kraftbertragungen entstehen. Eine Vergrsserung von Steifigkeiten und Widerstnden von unten nach oben (links im Aufriss) ist im Allgemeinen ungnstiger als umgekehrt (rechts im Aufriss). Auf jeden Fall muss die Berechnung der Schnittkrfte und die Bemessung des Gesamtsystems wie auch die konstruktive Durchbildung der bergnge mit grosser Sorgfalt durchgefhrt werden.

8/2 Bei Erdbebeneinwirkung bewirkt die (auskragende!) Stahlbetonwand (hinter dem Vorhang) hohe Zusatzbeansprungen in der ohnehin stark belasteten Sttze des Erdgeschosses (Schweiz 2001).

8/1 Der bergang der Stahlbetontragwand in den Rahmen entspricht grossen Sprngen bei Steifigkeiten und Widerstnden (Schweiz 2001).

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GS 9 Zwei schlanke Stahlbetontragwnde pro Hauptrichtung!

Grundstze fr den erdbebengerechten Entwurf von Hochbauten9

Zwei schlanke Stahlbetontragwnde pro Hauptrichtung!Prof. Hugo Bachmann ibk ETH Zrich

Zur fachgerechten Aussteifung von Skelettbauten fr Erdbebeneinwirkung sind Stahlbetontragwnde mit Rechteckquerschnitt bestens geeignet. Die Wnde knnen in horizontaler Richtung relativ kurz sein z.B. 3 bis 6 m bzw. etwa 1/3 bis 1/5 der Gebudehhe , sie mssen aber ber die ganze Gebudehhe laufen. Im Falle mssiger Seismizitt mit entsprechend moderaten Bemessungsbeben wie in der Schweiz gengen pro Hauptrichtung meist zwei schlanke und durch Kapazittsbemessung duktil gestaltete Wnde. Bei der Wahl der Abmessungen (Steifigkeit) kann auch die Art der nichttragenden Elemente (Zwischenwnde und Fassadenbauteile) eine Rolle spielen (vergleiche Grundsatz 14). Um Torsionseffekten zu begegnen sollten im Gebudegrundriss die Wnde mit ihrer Lngsrichtung symmetrisch zum Massenzentrum und mglichst gegen die Gebudernder hin angeordnet werden (vergleiche Grundsatz 6). Im Hinblick auf die Abtragung der Erdbebenkrfte in den Baugrund (Fundation) sind Wnde an einer Gebudeecke eher zu vermeiden. Bei Wnden mit L-Querschnitt (Winkelwnde) und solchen mit U-Querschnitt knnen wegen der fehlenden Symmetrie Schwierigkeiten bei der duktilen Gestaltung entstehen. Hingegen lassen sich Stahlbetonwnde mit Rechteckquerschnitt (Standardbreite 30 cm) mit geringem Aufwand duktil gestalten, wodurch eine hohe Erdbebensicherheit erreicht wird [D0171].

9/1 Solche Stahlbetontragwnde nehmen nur geringe Teile des Grundrisses und der Fassade in Anspruch (Schweiz 1994).

9/2 Die Bewehrung von Stahlbetontragwnden ist verhltnismssig einfach, muss aber sehr sorgfltig gestaltet und verlegt werden. Das Bild zeigt eine kapazittsbemessene duktile Tragwand mit Rechteckquerschnitt, die in ein bestehendes Gebude eingefgt wurde (Schweiz 1999).

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9/3 Dieser Skelettbau mit Flachdecken hat an zwei Gebudeecken Stahlbetontragwnde in Querrichtung.

9/4 Die Tragwnde wurden als markantes Element in die architektonische Gestaltung miteinbezogen (Schweiz 1994).

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GS 10 Mischsysteme mit Sttzen und tragenden Mauerwerkswnden vermeiden!

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Stahlbetonrahmen

Tragende Mauerwerkswand

Mischsysteme mit Sttzen und tragenden Mauerwerkswnden vermeiden!Prof. Hugo Bachmann ibk ETH Zrich

Tragwerks als Skelettbau, d.h. nur mit Sttzen und ohne tragende Mauerwerkswnde jedoch mit einigen wenigen horizontal kurzen und ber die ganze Gebudehhe laufenden Stahlbetontragwnden, liegt somit auch im lngerfristigen Interesse des Bauherrn. Smtliche Wnde knnen dann als nichttragend und deshalb mit guter Flexibilitt bei Nutzungsnderungen ausgebildet werden. Umstndliche nderungen am Tragwerk sind dann nicht erforderlich.

Gemischte Tragsysteme mit Sttzen und tragenden Mauerwerkswnden verhalten sich bei Erdbeben sehr ungnstig. Die Sttzen bilden zusammen mit den Decken und evtl. Unterzgen Rahmen, die fr horizontale Krfte und Verschiebungen eine wesentlich geringere Steifigkeit als die Mauerwerkswnde haben. Daher werden die Erdbebenkrfte weitgehend durch die Mauerwerkswnde aufgenommen. Auf die Wnde wirken dann ausser den Massentrgheitskrften der eigenen Einzugsgebiete fr die Schwerelasten auch die Massentrgheitskrfte der Gebudebereiche mit den Rahmen (links im Bild); die Verhltnisse sind somit noch wesentlich ungnstiger als bei reinen Mauerwerksbauten. Wenn die Mauerwerkswnde infolge der Erdbebenkrfte bzw. -Verschiebungen versagen, knnen sie auch die Schwerelasten nicht mehr abtragen, was meist zu einem Totaleinsturz des Gebudes fhrt. Mischsysteme mit Sttzen und tragenden Mauerwerkswnden mssen deshalb unbedingt vermieden werden. Solche Mischsysteme erweisen sich aber auch als ungnstig weil unflexibel bei Nutzungsnderungen mit neuen Raumaufteilungen, die whrend der Lebensdauer eines Bauwerks immer hufiger vorkommen. Die Mauerwerkswnde mssen dann durch aufwendige Abfangkonstruktionen ersetzt werden, was zu massiven betrieblichen Beeintrchtigungen und zu Kosten von mehreren Prozenten der Bausumme fhren kann [D 0171]. Eine konsequente Ausbildung des

10/1 Diese tragende Treppenhauswand wird bereits bei einem relativ schwachen Erdbeben zerstrt werden. Ein Totaleinsturz des Gebudes drfte die Folge sein (Schweiz 2001).

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GS 11 Ausfachen von Rahmen durch Mauerwerk vermeiden!

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Ausfachen von Rahmen durch Mauerwerk vermeiden!Prof. Hugo Bachmann ibk ETH Zrich

Die Meinung ist immer noch weit verbreitet, dass Rahmen (aus Sttzen und Decken, evtl. Unterzgen) durch das Einmauern von Mauerwerkswnden fr horizontale Einwirkungen und daher auch fr Erdbebenkrfte in der Rahmenebene ausgefacht und somit ausgesteift werden knnen. Dies ist aber nur fr kleine Krfte mglich, bei denen das Mauerwerk noch nicht wesentlich reisst. Fr Erdbebeneinwirkung handelt es sich um eine ungnstige Kombination von zwei sehr verschiedenen Bauweisen, die schlecht zusammenpassen: Rahmen sind relativ weich jedoch mehr oder weniger duktil, Mauerwerk hingegen ist sehr steif aber zugleich sprde, es explodiert manchmal bereits bei kleinen Verformungen. Am Anfang eines Erdbebens nimmt das Mauerwerk fast die ganzen Erdbebenkrfte auf, aber dann versagt es auf schiefen Druck oder durch Gleiten, da die Reibung infolge meist mangelnder Auflast (Riegel) gering ist. Typisch ist auch das Auftreten von Kreuzrissen. Grundstzlich knnen zwei Flle unterschieden werden: Entweder sind die Rahmensttzen strker als das Mauerwerk, oder umgekehrt. Bei strkeren Sttzen wird das Mauerwerk gnzlich zerstrt und fllt heraus. Bei schwcheren Sttzen hingegen kann das Mauerwerk die Sttzen beschdigen und vor allem abscheren, was oft zum Einsturz fhrt (vergleiche auch Grundstze 16 und 17).

11/1 Hier waren die Sttzen eindeutig strker: Das Mauerwerk ist weitgehend herausgefallen, der Rahmen ist jedoch stehen geblieben (Erzincan Trkei 1992).

Seite 30 11/2 In diesem Fall war das Mauerwerk strker: Die Sttzen wurden erheblich beschdigt und teilweise ganz abgeschert; trotzdem ist der Rahmen knapp stehen geblieben (Mexico 1985).

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11/3 Auch hier war das Mauerwerk strker; es hat die relativ massiven Sttzen abgeschert (Adana-Ceyhan Trkei 1998).

11/4 Das sind typische Kreuzrisse in Mauerwerkswnden, die in massive Stahlbetonrahmen eingefgt wurden (Izmit Trkei 1999).

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GS 12 Mauerwerksbauten durch Stahlbetontragwnde aussteifen!

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Mauerwerk

Stahlbetontragwand Mauerwerk

Mauerwerksbauten durch Stahlbetontragwnde aussteifen!Prof. Hugo Bachmann ibk ETH Zrich

Traditionsgemss werden in der Schweiz vor allem Wohnhuser und auch kleinere Gewerbebauten oft mit unbewehrten tragenden Mauerwerkswnden aus Backsteinen, Kalksandsteinen oder Zementsteinen ausgefhrt. Es gibt solche Bauten mit bis zu 16 Stockwerken (!). Mauerwerk ist ein in bauphysikalischer Hinsicht (Wrmedmmung und speicherung, Behaglichkeit) und zur Aufnahme von Schwerelasten gut geeigneter Baustoff. Fr Erdbebeneinwirkung hingegen sind Mauerwerksbauten wenig geeignet. Einerseits sind sie relativ steif, sie haben meist eine hohe Eigenfrequenz im Plateaubereich des Bemessungsantwortspektrums der Beschleunigung und erfahren entsprechend grosse Erdbebenkrfte. Anderseits sind unbewehrte Mauerwerkswnde ziemlich sprde und zeigen eine verhltnismssig geringe Energiedissipation. Da bei solchen Mauerwerksbauten auch fr moderate Erdbebeneinwirkung (z.B. Zone 1 nach SIA 160) im Allgemeinen kein normgemsser Nachweis einer gengenden Erdbebensicherheit mglich ist, sind zustzliche Massnahmen erforderlich. Eine Mglichkeit besteht darin, unbewehrte Mauerwerksbauten durch kragarmfrmige Stahlbetontragwnde auszusteifen. Hiermit knnen vor allem die horizontalen Verformungen des Mauerwerks begrenzt und dadurch der Tragwiderstand fr vertikale Lasten erhalten werden. Die Stahlbetontragwnde mssen gengend steif gestaltet werden; massgebend sind die (horizontale) Wandlnge und der Vertikalbewehrungsgehalt. Die Wnde mssen ihren Anteil an der Erdbebeneinwirkung im Allgemeinen elastisch, d.h. ohne wesentliches Fliessen der Bewehrung, aufnehmen und in die Fundation ableiten knnen. Die horizontalen Verschiebungen der Stahlbetontragwnde unter dem Bemessungsbeben drfen die Bruchverschiebungen der steifsten, d.h. lngsten Mauerwerkswnde nicht berschreiten.

12/1 Solche und auch niedrigere! neue Mauerwerksbauten sind ohne aussteifende Stahlbetontragwnde durch Erdbeben extrem verletzbar (Schweiz 2001).

12/2 Dieses neue 3-stckige Einfamilienhaus mit tragenden unbewehrten Mauerwerkswnden wird in Lngsrichtung durch je eine Stahlbetontragwand in den Fassaden und in Querrichtung durch eine Stahlbetontragwand im Gebudeinnern ausgesteift (Schweiz 2001).

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12/3 Dieser schliesslich 4-stckige neue Mauerwerksbau wird in beiden Hauptrichtungen durch je eine Stahlbetontragwand ausgesteift. Zudem wird je eine lange Mauerwerkswand mit Lagerfugenbewehrung versehen und diese in den Stahlbetontragwnden verankert (Schweiz 2001).

12/4 Tragende Mauerwerkswnde, Stahlbetontragwnde und Decken mssen druck- und schubfest sowie mglichst auch zugfest zusammenwirken (Schweiz 2001.

12/5 Deshalb sollen tragende Mauerwerkswnde und Stahlbetontragwnde mit sattgefllten Mrtelfugen gestossen werden (Schweiz 2001).

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GS 13 Horizontal tragende Mauerwerkswnde bewehren!

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Horizontal tragende Mauerwerkswnde bewehren!Minimalbewehrung Randbewehrung

Prof. Hugo Bachmann

ibk ETH Zrich

Eine zu Grundsatz 12 alternative Mglichkeit, Mauerwerksbauten fr Erdbebeneinwirkung wesentlich geeigneter zu machen, ist das Bewehren von einigen in Lngsrichtung steifen d.h. (horizontal) langen Mauerwerkswnden. In diesen mssen beispielsweise eine vertikale und horizontale Minimalbewehrung und eine verstrkte vertikale Randbewehrung angeordnet werden [Ba 02]. Dadurch kann Gleiten in den Lagerfugen verhindert und eine gewisse Verschiebeduktilitt = bis ~ 2 erreicht werden. Die bewehrten Wnde knnen deshalb als Horizontal tragende Mauerwerkswnde bezeichnet werden. Die horizontalen Verschiebungen der bewehrten Mauerwerkswnde in ihrer Ebene unter dem Bemessungsbeben drfen die Bruchverschiebungen der steifsten d.h. lngsten unbewehrten Mauerwerkswnde nicht berschreiten, sodass deren Tragwiderstand fr vertikale Lasten erhalten bleibt.

13/1 13/2 Bewehrtes Mauerwerk erfordert besondere Mauersteine vor allem fr das Einbringen und Vermrteln der vertikalen Bewehrungsstbe. Weltweit sind Entwicklungen fr Bewehrungssysteme und entsprechende Mauersteine im Gange. Die beiden Bilder zeigen Neuentwicklungen der Ziegelindustrie (Schweiz 1998).

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13/3 Bei dieser Bewehrungsart reichen die vertikalen Schlaufen oben und unten in zwei Steinschichten hinein. Wichtig sind immer auch die Anschlusseisen zur Einspannung der Wnde in den Decken bzw. in den unteren Wnden (Schweiz 1998).

13/4 13/5 Auch eine vertikale Vorspannung kann durch die eingebrachte Normalkraft das Erdbebenverhalten von Mauerwerkswnden wesentlich verbessern (Schweiz 1996).

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13/6 Festigkeit und Duktiltt von Mauerwerkswnden bestehender Bauten knnen durch Lamellen aus Kohlefasern oder aus Stahl verbessert werden.

13/7 Die Lamellen mssen sorgfltig aufgeklebt und in den Geschossdecken verankert werden (Schweiz 1997).

Seite 37 13/8 Bei Giebelwnden (Kragarme) und bei anderen in horizontaler Richtung kaum gehaltenen Mauerwerkswnden sowie fr strkere Erdbeben eventuell auch bei Wnden mit aufliegenden Decken mssen die Beanspruchungen quer zur Wandebene ebenfalls betrachtet werden. Hier versagten die Wnde im oberen Stockwerk mit geringer Normalkraft durch die Aus-der-Ebene-Beanspruchung (Loma Prieta 1989). Eine Bewehrung, eine vertikale Vorspannung oder aufgeklebte Lamellen knnen auch solches verhindern.

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GS 14 Tragwerk und nichttragende Bauteile aufeinander abstimmen!

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Massgebende Grsse: Stockwerksschiefstellung

Tragwerk und nichttragende Bauteile aufeinander abstimmen!Prof. Hugo Bachmann ibk ETH Zrich

Werden verformungsempfindliche nichttragende Zwischenwnde und Fassadenbauteile (z.B. aus Mauerwerk) in ein horizontal weiches Tragwerk (z.B. Rahmen) fugenlos eingebaut, so knnen bereits bei relativ schwachen Erdbeben erhebliche Schden entstehen. Erfahrungen haben gezeigt, dass in solchen Fllen ein Gebude unter Umstnden abgebrochen werden muss, obwohl das Tragwerk keine oder keine wesentlichen Schden erlitten hat. Eine moderne Erdbebensicherung wird deshalb die Steifigkeit des Tragwerks und die Verformungsempfindlichkeit der nichttragenden Zwischenwnde und Fassadenbauteile aufeinander abstimmen. Entscheidend sind die Stockwerksschiefstellung des Tragwerks, d.h. das Verhltnis der Stockwerksverschiebung d zur Stockwerkshhe h, und die Schadenanflligkeit der nichttragenden Bauteile in Abhngigkeit von der Stockwerkschiefstellung. Bei geschickter Wahl bzw. Kombination von Tragwerk und nichttragenden Bauteilen knnen Schden bis zu relativ starken Erdbeben verhindert werden.

14/1 Hier wurden die nichttragenden Zwischenwnde zerstrt, obschon sich das Rahmentragwerk nur wenig verformt hat und kaum Schden aufweist, und obwohl sogar die Fenster intakt geblieben sind (Armenien 1988).

14/2 Und hier wird eine zerstrte Zwischenwand einfach wieder aufgemauert bis zum nchsten Erdbeben (Adana-Ceyhan Trkei 1998).

Seite 39 14/3 Die Glasfassade des neuen Hochhauses hat ein starkes Erdbeben nahezu schadlos berstanden, dank speziellen nachgiebigen Befestigungselementen fr die Fassadenbauteile (Kobe Japan 1995).

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GS 15 Nichttragende Mauerwerkswnde in Skelettbauten durch Fugen abtrennen!

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Gummischrot 1040 mm

Nichttragende Mauerwerkswnde in Skelettbauten durch Fugen abtrennen!

Prof. Hugo Bachmann

ibk ETH Zrich

In nicht sehr steifen Skelettbauten kann es zweckmssig sein, nichttragende Zwischenwnde insbesondere in ihrer Ebene steife und sprde Mauerwerkswnde durch weiche Fugen vom Tragwerk abzutrennen. Damit kann vermieden werden, dass schon bei relativ schwachen Erdbeben Schden entstehen. Die Fugen sind entlang von Sttzen, Tragwnden und Decken anzuordnen, und sie mssen durch einen sehr nachgiebigen, jedoch zugleich mglichst schallhemmenden Stoff gefllt werden, z.B. durch Platten aus Gummischrot; Hartschaumstoffe, Kork, usw. sind im Allgemeinen zu steif. Die erforderliche Fugendicke von typischerweise 20 bis 40 mm hngt von der Steifigkeit des Tragwerks und der Verformungsempfindlichkeit der Zwischenwnde sowie vom gewhlten Schutzniveau (Schadengrenzebeben < Bemessungsbeben) ab [D0171]. Im Allgemeinen mssen die Zwischenwnde auch gegen Querbeschleunigungen (Plattenwirkung) gesichert werden, z.B. durch Haltewinkel.

15/1 Hier wurde zwischen der Mauerwerkswand und der Stahlbetonsttze eine wohl wesentlich zu dnne vertikale Fuge angeordnet (Schweiz 1994).

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15/2 Die Dicke der Fugen hier eine horizontale Fuge zwischen der Mauerwerkswand und der Decke und die Dimensionen der Befestigungen von Haltewinkeln (Schrauben) mssen auf die Verformungen des Tragwerks und die Beanspruchungen beim gewhlten Schutzniveau (Strke des Schadengrenzebebens) abgestimmt werden (Schweiz 1994).

15/3 Diese Fuge zwischen der Mauerwerkswand und einer Stahlbetontragwand wurde durch Hartschaumplatten gefllt. Hartschaumstoff ist fr Erdbebenverschiebungen jedoch zu steif; ein besser geeignetes Material ist z.B. Gummischrot (Schweiz 1994).

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GS 16 Kurze Sttzen vermeiden!

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MpllEnormer Momentengradient

Mpl

Schubbruch!

Kurze Sttzen vermeiden!Prof. Hugo Bachmann ibk ETH Zrich

Das Schubversagen von sogenannten kurzen Sttzen bildet eine hufige Einsturzursache von Gebuden bei Erdbeben. Es handelt sich um gedrungene d.h. im Verhltnis zu ihrer Hhe dicke Sttzen, die oft in starken Riegeln eingespannt sind oder durch die nachtrgliche Anordnung von Brstungen entstehen (unplanmssig verkrzte Sttzen). Sttzen in Rahmen knnen an den Enden maximal bis zu ihrem plastischen Moment (Fliess bzw. Bruchmoment) beansprucht werden. Bei kurzen Sttzen mit betrchtlicher Biegekapazitt ergibt sich ein enormer Momentengradient und somit eine grosse Querkraft, die oft schon vor dem Erreichen des plastischen Moments zu einem Schubbruch fhrt. Kurze Sttzen sollten deshalb vermieden werden. Eine Alternative dazu ist eine Gestaltung der Sttzen gemss den Regeln der Kapazittsbemessung, wobei die Querkraft entsprechend der berfestigkeit der Vertikalbewehrung vergrssert werden muss [Ba 02] [PP 92].

16/1 Die Kreuzrisse und Schubbrche in den kurzen Sttzen eines Parkhauses haben beinahe einen Einsturz bewirkt (Northridge Kalifornien 1994).

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16/2 Hier wirkten die Mauerwerkspfeiler im Erdgeschoss eines Restaurants als kurze gedrungene Sttzen. Sie wurden durch Schrgrisse stark beschdigt (Umbrien Italien 1997).

16/3 Auch dieser Schubbruch in der kurzen Ecksttze im Erdgeschoss eines Geschftshauses hat nur knapp nicht zum Einsturz gefhrt (Erzican Trkei 1992).

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GS 17 Brstungen in Rahmen vermeiden!

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Brstungen in Rahmen vermeiden!Prof. Hugo Bachmann ibk ETH Zrich

Das fugenlose Einfgen von Brstungen in ein Rahmentragwerk kann das Phnomen der kurzen Sttzen bewirken (siehe vorstehender Grundsatz). Es entsteht ein Schubbruch oder bei gengender Schubfestigkeit ein Sttzenmechanismus mit unter Umstnden betrchlichen Effekten 2. Ordnung (N--Effekt).

17/2 Links neben der zerstrten Sttze befand sich eine analoge Fensterffnung wie links aussen im Bild. Der bereits abgebrochene Mauerwerksteil unter den Fensterffnungen wirkte wie eine eingefgte Brstung. Diese bewegte sich nach rechts, stiess gegen die Sttze und scherte sie ab.

17/1 Hier fhrte das Einfgen von Brstungen in einen Rahmen zum Phnomen der kurzen Sttzen. Dank der guten Verbgelung entstand jedoch kein eigentlicher Schubbruch sondern ein ebenso gefhrlicher Sttzenmechanismus (Friaul Italien 1976).

17/3 Vermutlich htte eine bessere Querbewehrung der Sttze (Bgel und Verbindungsstbe in engen Abstnden) den Schubbruch verhindert. Das Grundbel war jedoch das durch die Brstung bewirkte Phnomen der kurzen Sttzen (Izmit Trkei 1999).

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17/4 Auch hier bewirkte das Einfgen von Mauerwerkswnden mit Fensterbndern hohe Zusatzbeanspruchungen und den Bruch von Rahmensttzen. Die massive Ausbildung und das relativ gute Verhalten der Sttze rechts im Bild hat dazu beigetragen, dass das Bauwerk knapp nicht eingestrzt ist.

17/6 Eine Mglichkeit, die ungnstige Wirkung von Brstungen in Rahmen zu vermeiden oder stark zu reduzieren, ist die Anordnung von Fugen zwischen Brstung und Sttzen. Die Fuge hier ist grundstzlich zweckmssig ausgebildet, da sie durch eine weiche und daher stark zusammendrckbare Steinwolleplatte gefllt ist. Die Fugenbreite erlaubt jedoch nur eine zwngungsfreie Sttzenschiefstellung von ~ 1 % (Schweiz 2001).

17/5 Die Sttzen wiesen eine mangelhafte konstruktive Durchbildung auf (Bgel mit 90- anstatt 135-Haken und mit entsprechendem Verankerungsbruch, vergleiche Grundsatz 25). Ohne die ungnstige Wirkung der eingefgten Wnde htte sich diese Sttze aber viel besser verhalten (Izmit Trkei 1999).

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GS 18 Fachwerke sorgfltig whlen und bemessen!

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Fachwerke sorgfltig whlen und bemessen!

Prof. Hugo Bachmann

ibk ETH Zrich

Zur Aussteifung von Hochbauten vor allem Industriebauten knnen auch Stahlfachwerke angeordnet werden. Solche mssen jedoch sehr sorgfltig gewhlt und bemessen werden. Denn bliche Fachwerke mit zentrischen Anschlssen in den Knoten und mit schlanken Diagonalstben knnen bei zyklischer Beanspruchung ein sehr ungnstiges Verhalten zeigen: Die Diagonalstbe fliessen unter Zug und werden immer lnger, und sie knicken unter Druck. Bei der Hin- und Herbewegung ist daher beim Nulldurchgang die Steifigkeit nur noch klein, und dynamische Effekte knnen zu einem baldigen Versagen beitragen. Solche Fachwerke sollen deshalb nur fr elastisches Verhalten oder allenfalls sehr niedrige Duktilitt bemessen werden. Zustzlich ist die Kompatibilitt der Verformungen der Fachwerke mit denjenigen anderer tragender und nichttragender Bauteile zu berprfen, was zur Anordnung steiferer Fachwerke oder andersartiger Aussteifungen (Wnde) fhren kann. Wesentlich besser als Fachwerke mit zentrischen Anschlssen und schlanken Stben verhalten sich Fachwerke mit exzentrischen Anschlssen und gedrungenen Stben [Ba 02].

18/1 Diagonalstbe mit Breitflanschquerschnitt sind um ihre schwache Axe geknickt

18/2 und gebrochen (Kobe Japan 1995).

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18/3 Auch diese fachwerkartige Tragkonstruktion zeigte Stabilittsversagen von Stben und zahlreiche lokale Schden (Kobe Japan 1995).

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GS 19 Stahltragwerke duktil gestalten!

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Stahltragwerke duktil gestalten!Entscheidende Bereiche

Prof. Hugo Bachmann

ibk ETH Zrich

Der Baustoff Stahl an und fr sich weist im Allgemeinen ein gutes plastisches Verformungsvermgen (Dehnungsduktilitt) auf. Trotzdem knnen Bauteile und ganze Tragwerke aus Stahl bei zyklischer Beanspruchung ein wenig duktiles oder sogar sprdes Verhalten zeigen, vor allem infolge von lokalen Instabilitten und Brchen. Beispielsweise knnen breite Flanschen von Sttzen und Trgern in plastischen Bereichen beulen oder in und bei Schweissnhten versagen. Daher mssen beim konzeptionellen Entwurf, bei der Wahl der Stabquerschnitte (Querschnittsklassen) und bei massgebenden Details bestimmte Anforderungen erfllt, Regeln eingehalten und eventuell weitere Massnahmen ergriffen werden [Ba 02] [EC 8].

19/1 Dieser Stahlrahmen erlitt grosse verbleibende Verformungen. Vermutlich waren keine weiteren Aussteifungen vorhanden, und die Ausbildung der Knoten fr zyklische Beanspruchung war mangelhaft (Kobe Japan 1995).

19/2 Hier versagten die Schrauben in der Verbindung des Trgers zur Sttze (Kobe Japan 1995).

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19/3 Dieses Bild zeigt einen Bruch in einem typischen Rahmenknoten; es versagte die geschweisste Verbindung zwischen der Sttze und dem Trger durch einen breiten Riss (Kobe Japan 1995).

19/5 19/6 Am Fuss der Sttze eines Hauptrahmens in einem Hochhaus aus Stahl bildete sich ein breiter Riss (rechts im oberen Bild). Als Ursache wurden hohe zyklische Normalkrfte, Auswirkungen der Dehngeschwindigkeit, Materialfehler, Schweissfehler und Temperaturwirkungen in Betracht gezogen (Kobe Japan 1995).

19/4 Am Fuss der Sttze eines 3-stckigen Rahmens erfolgte ein lokales Ausbeulen des Kastenquerschnitts; dabei wurde die weisse Farbe abgesprengt (Kobe Japan 1995).

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GS 20 Fugen zwischen benachbarten Gebuden fachgerecht ausbilden!

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Fugen zwischen benachbarten Gebuden fachgerecht ausbilden!Prof. Hugo Bachmann ibk ETH Zrich

Durch den Zusammenprall (pounding) und das Gegeneinanderhmmern (hammering) benachbarter Gebude knnen erhebliche Schden und oft auch Einstrze bewirkt werden. Einsturzgefahr besteht vor allem dann, wenn Geschossdecken der benachbarten Gebude auf unterschiedlicher Hhe liegen und gegen Sttzen prallen knnen. In solchen Fllen mssen die Fugen fachgerecht ausgebildet werden, das heisst: 1) Die Fugen mssen eine gewisse Mindestbreite haben (Angaben in Normen) 2) Die Fugen mssen leer sein und drfen keine Kontaktbrcken aufweisen Um das freie Schwingen benachbarter Gebude zu ermglichen und den Anprall zu vermeiden, ist oft eine erhebliche Fugenbreite erforderlich. Sofern die Tragelemente beim Anprall ihren Tragwiderstand nicht verlieren, sind auch andere Lsungen mglich [EC 8].

20/1 Bei dieser Fuge zwischen zwei hnlichen Gebuden mit Geschossdecken auf gleicher Hhe bewirkte der Zusammenprall Schden in den Fassaden sowie Abplatzungen usw. am Tragwerk (Mexico 1985).

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20/2 An diesen beiden sehr unterschiedlichen Gebuden entstanden durch den Zusammenprall erhebliche Schden (Mexico 1985).

20/3 Das moderne Stahlbetongebude links wurde durch den Zusammenprall mit dem lteren sehr steifen Gebude rechts zum Einsturz gebracht (Mexico 1985).

20/4 Das eingestrzte Gebude war eine Erweiterung des lteren Gebudes links, aber ohne gengende Fugenbreite oder alternativ eine feste Verbindung zu diesem. Beim Erdbeben prallte das ltere Gebude gegen das neue und brachte es zum Einsturz (Kobe Japan 1995).

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GS 21 Kompakte Grundrisse anstreben!

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ungnstig

besser

Kompakte Grundrisse anstreben!Prof. Hugo Bachmann ibk ETH Zrich

Bei der Gestaltung von Gebudegrundrissen sollte man sich das dynamische Verhalten der Baukrper mglichst konkret vorstellen. Im L-frmigen und somit stark aufgelsten Grundriss des dargestellten Beispiels sind die Steifigkeiten des linken und des rechten Gebudeflgels fr eine horizontale Erdbebeneinwirkung in einer Hauptrichtung sehr verschieden. Die beiden Flgel mchten daher stark verschieden schwingen, doch behindern sie sich gegenseitig. Dies fhrt vor allem im Eckbereich in den Deckenscheiben und an den Flgelenden im ganzen Tragwerk zu grossen Zusatzbeanspruchungen und entsprechenden, oft sehr aufwendigen Massnahmen. Dies kann verhindert werden bei Auftrennung der beiden Gebudeflgel durch eine fachgerecht ausgebildete Fuge. Es entstehen dann zwei rechteckige und somit je fr sich sehr kompakte Grundrisse bzw. Baukrper, die beide ein ungehindertes dynamisches Eigenleben fhren knnen.

21/1 Solche rechtwinklig zueinander stehende Gebudeflgel sollten durch eine gengend breite und sehr weiche, flexible Fuge getrennt werden, damit sie unabhngig voneinander schwingen knnen (Schweiz 2001).

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GS 22 Durch die Deckenscheiben den Zusammenhalt sichern und die Krfte verteilen!

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ungnstig

besser

Durch die Deckenscheiben den Zusammenhalt sichern und die Krfte verteilen!Prof. Hugo Bachmann ibk ETH Zrich

In mehrstckigen Gebuden mssen die Geschossdecken als praktisch starre Scheiben wirken knnen. Und sie mssen mit smtlichen vertikalen Tragelementen schubfest verbunden sein, um den Querschnitt des Kragarmstabes zu erhalten (Diaphragmawirkung). Die Decken haben somit den Zusammenhalt in horizontaler Richtung zu sichern und die Erdbebenkrfte und verschiebungen auf die vertikalen Tragelemente entsprechend deren Steifigkeiten zu verteilen. Ungengend sind z.B. Decken aus vorfabrizierten Elementen ohne gut haftenden und bewehrten berbeton. Viel besser sind monolithische Decken aus Stahlbeton, in denen wenn ntig verstrkte Randbewehrungen angeordnet sind.

22/1 Bei diesem Gebude ist ein Eckbereich eingestrzt. Die Decken bestanden nur aus vorfabrizierten Elementen ohne bewehrten berbeton und ohne bewehrte Verbindungen zu den vertikalen Tragelementen (Armenien 1988).

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22/2 22/3 Auch bei diesen Wohnhusern bestanden die Decken nur aus vorfabrizierten Platten, die unter sich und mit den Wnden ungengend verbunden waren (Armenien 1988).

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GS 23 Duktiles Tragwerk dank Kapazittsbemessung!

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Sprdes Tragwerk

Duktiles Tragwerk

Versagen

Duktiles Tragwerk dank Kapazittsbemessung!Prof. Hugo Bachmann ibk ETH Zrich

Duktile, d.h. im plastischen Beanspruchungsbereich stark verformungsfhige Tragwerke bieten gegenber analogen sprden Tragwerken meist wesentliche Vorteile. Vor allem kann der erforderliche Tragwiderstand reduziert werden, was erhebliche Einsparungen bringt, und die Sicherheit gegen Einsturz wird meist wesentlich erhht. Deshalb soll das Tragwerk eines Hochbaus wenn immer mglich duktil gestaltet werden. Dies ist auch zweckmssig im Extremfall, wo der Tragwiderstand aus anderen Grnden so gross ist, dass das Bemessungsbeben elastisch berstanden werden kann; denn tatschliche Erdbeben haben die Normen nicht gelesen (nach T. Paulay) und knnen auch wesentlich strker als das Bemessungsbeben sein. Fr eine duktile Gestaltung des Tragwerks bietet die Methode der Kapazittsbemessung ein einfaches und effizientes Verfahren: Man sagt dem Tragwerk ganz genau, wo es plastifizieren darf und soll und muss, und wo nicht. Damit wird ein gnstiger plastischer Mechanismus bewirkt. Durch eine fachgerechte Kapazittsbemessung kann ein hoher und gut bekannter Schutzgrad gegen Einsturz erreicht werden [PP 92] [Ba 02].

23/1 Statisch-zyklische Versuche am unteren Teil von 6-stckigen Stahlbetontragwnden im Massstab 1:2 haben die Wirksamkeit einer duktilen Gestaltung auf eindrckliche Weise demonstriert [Da 99]. Mit kapazittsbemessenen Wnden wurde im Vergleich zu konventionell d.h. nach der SIA-Norm 162 bemessenen Wnden ohne nennenswerten Mehraufwand eine rund 3 bis 4 mal grssere Erdbebensicherheit erreicht.

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GS 24 Duktilen Bewehrungsstahl mit Rm/Re 1.15 und Agt 6 % verwenden!

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Hysteretic Behaviour of Static-Cyclic Test Walls24/1

Verfestigungsverhltnis Gesamtdehnung bei Hchstzugkraft

Rm/Re 1.15 und Agt 6 % verwenden!Dehnung [%]

Prof. Hugo Bachmann

ibk ETH Zrich

In Stahlbetontragwerken muss der Bewehrungsstahl so beschaffen sein, dass sich gengend grosse und verformungsfhige plastische Bereiche entwickeln knnen. Im Hinblick darauf gibt es beim Bewehrungsstahl zwei entscheidende Parameter (Duktilittseigenschaften): Verfestigungsverhltnis Rm/Re, d.h. das Verhltnis der Zugfestigkeit Rm zur Fliessgrenze Re Gesamtdehnung bei Hchstzugkraft Agt Das Verfestigungsverhltnis ist auch von grosser Bedeutung fr das Ausknicken gedrckter Bewehrungsstbe. Je kleiner Rm/Re, desto frher knicken die Stbe aus [TD 01]. In Europa hat ein grosser Teil des auf dem Markt erhltlichen Bewehrungsstahls vor allem bei kleineren Stabdurchmessern bis 16 mm ungengende Duktilittseigenschaften [BW 98]. Um eine mittlere Duktilitt der Tragwerke erreichen zu knnen muss nebst anderen Massnahmen der Bewehrungsstahl mindestens die folgenden Anforderungen erfllen (Fraktilwerte): Rm/Re 1.15 Agt 6 % Bezeichnungen wie Bewehrungsstahl gemss Norm SIA 162 oder Erfllt die Normanforderungen oder duktil bzw. hochduktil usw. gengen nicht und sind irrefhrend, weil die relevanten Normbestimmungen selbst ungengend sind. Es ist deshalb dringend zu empfehlen, bei Bauausschreibungen klare Anforderungen festzulegen und vor Beschaffung bzw. Einbau des Bewehrungsstahls entsprechende Prfungen durchzufhren.

Horizontal top deflection (mm)

Horizontal top deflection (mm)Prof. Hugo Bachmann ibk ETH Zrich

24/1 Diese Hysteresekurven des plastischen Bereichs von 2 verschiedenen 6-stckigen Stahlbetontragwnden ohne (WSH1) und mit (WSH3) duktilem Bewehrungsstahl zeigen auf eindrckliche Weise den Unterschied des Verhaltens: Die wenig duktile Wand erreichte ~ knapp eine Verschiebeduktilitt von nur = 2, die sehr duktile Wand ~ hingegen = 6. Die duktile Wand kann damit ein etwa 4 mal strkeres Erdbeben berstehen!

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Bending moment (kNm)

Actuator force (kN)

Bending moment (kNm)

Spannung [MPa]

Actuator force (kN)

Duktilen Bewehrungsstahl mit

24/2 Bei dieser Versuchswand mit Bewehrungsstben mit zu kleinem Verfestigungsverhltnis Rm/Re konzentrierten sich die plastischen Verformungen weitgehend auf nur einen einzigen Riss (Ein-RissGelenk gemss [BW 98]). Bald wurden Bewehrungsstbe im Wandinnern (x) zerrissen. Dadurch war der betreffende Wandquerschnitt geschwcht, und die weiteren plastischen Verformungen konzentrierten sich voll auf diesen Querschnitt, sodass auch Bewehrungsstbe am Wandrand zerrissen wurden. Die Wand konnte ~ knapp (nur 2 Zyklen) eine Verschiebeduktilitt = 2 erreichen [DW 99].

24/3 24/4 Hier knickten die Bewehrungsstbe mit relativ kleinem Rm/Re aus (links) und wurden bei der anschliessenden Zugbeanspruchung dort zerrissen (rechts), wo die grsste Knickkrmmung gewesen war [DW 99].

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GS 25 Querbewehrung in Tragwnden und Sttzen mit 135-Haken und Abstnden s 5d !

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Querbewehrung in Tragwnden und Sttzen mit 135Haken und Abstnden s 5d!

Prof. Hugo Bachmann

ibk ETH Zrich

In zyklisch beanspruchten plastischen Bereichen von Stahlbetontragwnden und sttzen wird nach dem berschreiten der Fliessgrenze der Vertikalbewehrung die Betonberdeckung abgesprengt. Daher mssen dort die vertikalen Bewehrungsstbe gegen Ausknicken stabilisiert und allenfalls auch der Beton umschnrt werden, damit grssere Druckstauchungen mglich sind. Die Querbewehrung Stabilisierungs- und Umschnrungsbewehrung aus Bgeln und Verbindungsstben muss mit 135Haken verankert werden; 90-Haken gengen nicht, was sich bei Schadenbeben stets wieder neu zeigt. Und die Querbewehrung muss in relativ kleinen vertikalen Abstnden von s 5d (d = Stabdurchmesser des stabilisierten Stabes) angeordnet werden; dies ist eine Folge der relativ schlechten Duktilittseigenschaften (kleines Verfestigungsverhltnis Rm/Re) der europischen Bewehrungssthle, die zu einem ungnstigen Knickverhalten fhren [TD 01]. In plastischen Bereichen von Rahmenriegeln sind hnliche Regeln zu beachten [Ba 02]. In den gemss Kapazittsbemessung elastisch bleibenden Bereichen gengen die Regeln der konventionellen Bemessung gemss SIA162.

25/1 Bei der Sttze einer Halle aus vorfabrizierten Stahlbetonelementen waren die Bgel mit 90-Haken ungengend verankert. Deshalb ffneten sich die Bgel und die Vertikalstbe knickten aus (Adapazari Trkei 1999).

25/2 Auch am Fuss dieser Rahmensttze erfolgte ein Verankerungsbruch der Bgel, weil diese nur mit 90-Haken versehen waren (Izmit Trkei 1999)

Seite 59 25/3 Diese Querbewehrung Bgel und Verbindungsstbe im Endbereich einer Stahlbetontragwand ist mustergltig bezglich der Verankerung mit 135-Haken und der Verlegegenauigkeit. Der vertikale Abstand der Querbewehrung ist jedoch zu gross, nmlich s = 7.5 d anstatt s 5d, wie er fr Bewehrungsstahl mit einem relativ kleinen Verfestigungsverhltnis (Rm/Re = 1.15) erforderlich ist [DW 99][TD 01].

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GS 26 Keine Aussparungen und ffnungen in plastischen Bereichen!

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Keine Aussparungen und ffnungen in plastischen Bereichen!verboten!

Prof. Hugo Bachmann

ibk ETH Zrich

Auf manchen Baustellen besteht die Tendenz, Aussparungen fr Leitungen, Lftungskanle usw. oder gar grssere ffnungen fr verschiedenste Zwecke ohne Planung und Absprache mit dem Bauingenieur irgendwo im Tragwerk anzuordnen. Oft werden solche in die Schalung von hochbeanspruchten Stahlbetonbauteilen eingelegt oder gar nachtrglich herausgespitzt. Dies wirkt sich in plastischen Bereichen besonders ungnstig und schdigend aus und ist unbedingt zu vermeiden. Denn es kann zum vorzeitigen Versagen von zuvor sorgfltig geplanten berlebenswichtigen Tragelementen und somit zu gravierenden Sicherheitsproblemen fhren. In elastisch bleibenden Bereichen des Tragwerks hingegen sind gut geplante und gnstig platzierte Aussparungen und eventuell auch grssere ffnungen im Allgemeinen mglich und zulssig. Sie sind z.B. mit einer krftigen Zusatzbewehrung einzufassen oder allenfalls aufgrund einer Rahmenberechnung zu gestalten [D0171].

26/1 Diese zuvor gut geplante Erdbebenwand wurde durch in die Schalung eingelegte Aussparungskrper, grosse herausgespitzte Lcher und teilweise brutale Durchtrennung der Bewehrungseisen gnzlich ruiniert.

26/2 Mit aufwendigen Reparaturarbeiten durch sorgfltiges Ausbetonieren der ffnungen mit Quellbeton sowie Aufkleben und Verankern von fachwerkartig angeordneten Stahllamellen konnte bei der ruinierten Wand der Tragwiderstand wieder hergestellt werden; das mit der ursprnglichen Bewehrung mgliche duktile Verhalten wird jedoch kaum mehr erreicht werden knnen (Schweiz 2001).

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26/3 Hier wurde ein viel zu grosses Loch gespitzt und die Bewehrungseisen wurden durchgetrennt. Eine mit dem Ingenieur geplante, viel kleinere ffnung ohne Verletzung der Bewehrung und mit konzentrierten und rechtwinklig zur Wand gefhrten Leitungen wre vielleicht zulssig gewesen.

26/5 Auch solche ungeplant verlegte Leitungsstrnge knnen das Erdbebenverhalten einer Stahlbetontragwand beeintrchtigen (Schweiz 2001).

26/4 Immerhin konnte die Verletzung einigermassen behoben und anders als im vorherigen Fall die ursprngliche Wirkungsweise etwa wieder hergestellt werden (Schweiz 2001).

26/6 In elastisch bleibenden Bereichen des erdbebenrelevanten Tragwerks (hier eine kurze Stahlbetontragwand) sind je nach Umstnden ffnungen erlaubt. Eine sorgfltige Absprache mit dem Ingenieur ist jedoch unerlsslich (Schweiz 2001).

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GS 27 Bei vorfabrizierten Bauten die Verbindungen sichern!

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Schubdorn Bewegliches Lager zustzlich: Kippsicherung! Festes Lager

Bei vorfabrizierten Bauten die Verbindungen sichern!Prof. Hugo Bachmann ibk ETH Zrich

Die Verbindungen von vorfabrizierten Bauten werden oft nur auf die bei der Montage wirkenden Schwerelasten ausgelegt. Solche Bauten knnen deshalb durch Erdbeben sehr verletzbar sein: Kurze Auflagerlngen, zu schwache oder ganz fehlende Schubdorne und mangelhafte Kippsicherungen von Trgern sind hufige Einsturzursachen. Deshalb mssen bei beweglichen Lagern eine minimale Auflagerlnge (bmin) gemss Erdbebenormen und bei festen Lagern Schubdorne angeordnet werden, die auf die Schnittkrfte entsprechend der berfestigkeit in den plastischen Bereichen bemessen sind (Methode der Kapazittsbemessung). Zustzlich mssen die Trger meist bei den Lagern gegen Kippen gesichert werden. Um eine Scheibenwirkung sicherzustellen, mssen Decken aus vorfabrizierten Platten mit einem bewehrten und in gutem Verbund wirkenden berbeton versehen werden (vergleiche Grundsatz 22).

27/1 Auf den Sttzenkonsolen einer vorfabrizierten Fabrikhalle waren zwar Schubdorne jedoch keine gengenden Kippsicherungen vorhanden. Der Auflagerbereich hat versagt, die Haupttrger sind seitlich d.h. in Hallenlngsrichtung ausgekippt ...

27/2 und die gesamte Dachkonstruktion ist abgestrzt (AdanaCeyhan Trkei 1998).

Seite 63 27/3 Folgen von schlechtem Entwurf und ungengender Bemessung und konstruktiver Durchbildung eines vorfabrizierten Industriebaus (Adapazari Trkei 1999).

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GS 28 Fundation durch Kapazittsbemessung schtzen!

Grundstze fr den erdbebengerechten Entwurf von Hochbauten28

Fundation durch Kapazittsbemessung schtzen! Schnittkrfte beiberfestigkeit

Die Krfte aus der Erdbebeneinwirkung mssen somit ber die ganze Fundationsstruktur bis hin zur sicheren Abtragung durch den Baugrund verfolgt werden. Dabei knnen die zulssigen dynamischen Beanspruchungen des Bodens hher angesetzt werden als analoge statische Beanspruchungen, doch sind auch im Boden plastische Verformungen unter allen Umstnden zu vermeiden [SK 97].

Prof. Hugo Bachmann

ibk ETH Zrich

Wichtig fr die Erdbebensicherung von Hochbauten ist die fachgerechte Ausbildung der Fundation zur Abtragung der Erdbebenkrfte. Meist sind kragarmfrmige Wnde und auch Rahmensttzen in einer Fundationsstruktur bestehend aus einem oder mehreren Untergeschossen (steifer Kasten) oder in einer massiven Fundamentplatte eingespannt. Da sich an den Einspannstellen plastische Bereiche entwickeln, mssen deren berfestigkeits-Schnittkrfte gemss den Prinzipien der Kapazittsbemessung durch die Fundation bernommen und ohne Fliessen auf den Baugrund bertragen werden knnen [PB 90]. Fundationen sollten immer elastisch bleiben, da plastische Verformungen im Allgemeinen zu einem unbersichtlichen Verhalten und zustzlichen Verschiebungen und Beanspruchungen im Oberbau fhren; zudem sind Reparaturen in der Fundation meist erheblich schwieriger auszufhren als im Oberbau. Deshalb muss die Bewehrung unmittelbar unterhalb der plastischen Bereiche deutlich verstrkt und entsprechend konstruktiv durchgebildet werden [D0171]. Sofern die Fundationsstruktur als steifer Kasten aus Stahlbetonwnden und -Decken ausgebildet ist, muss die Weiterleitung der Schub-, Zug- und Druckkrfte aus Biegung und Querkraft der plastischen Bereiche von Stahlbetontragwnden ber die Decken zu den Umfassungswnden und zur Bodenplatte gewhrleistet sein. Dabei mssen eine allfllig erforderliche Verstrkung dieser Tragelemente ( unter Bercksichtigung von eventuell vorhandenen Aussparungen und ffnungen), eine lokale Vergrsserung der Bodenpressungen im Bereich der Wnde einschliesslich Verstrkung der Bodenplatte sowie allfllige weitere Massnahmen in Betracht gezogen werden.

28/1 Hier mussten Bodenanker angeordnet werden, um das Abheben der Fundation von noch zu betonierenden duktilen Stahlbetontragwnden vom Baugrund verhindern zu knnen (Schweiz 1999).

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GS 29 Standortspezifisches Antwortspektrum entwickeln!

Grundstze fr den erdbebengerechten Entwurf von Hochbauten29

Standortspezifisches seismisches Antwortspektrum29/1

Spektralbeschleunigung (m/s2)

Standort Ltzelhof EC 8, Bodenklasse B EC 8, Bodenklasse A EC 8, reduziert fr Fels

Standortspezifisches Antwortspektrum entwickeln!

Periode (s)Prof. Hugo Bachmann ibk ETH ZrichProf. Hugo Bachmann ibk ETH Zrich

Besondere lokale Bodenverhltnisse knnen im Vergleich zu den Bemessungsantwortspektren der Normen erhebliche Modifikationen bei den zu erwartenden Bodenbewegungsgrssen und damit auch bei der Bauwerksantwort bewirken. Dies kann der Fall sein bei weichen Bden mit Scherwellengeschwindigkeiten unter etwa 200 m/s oder/und bei grossen Schichtstrken bei bestimmten Tlern mit alluvialen oder glazialen Auffllungen (Verhltnis Tiefe zu Breite grsser als ~ 0.2) allgemein bei Verdacht auf Resonanz zwischen Boden und Bauwerk In solchen Fllen kann der Boden auch bei schwcheren Erdbeben zu ausgeprgten Eigenschwingungen und entsprechenden Amplifikationen der Bewegungen an der Erdoberflche neigen. Deshalb sind vor allem bei wichtigeren Gebuden spezielle Untersuchungen erforderlich. Sofern noch keine Mikrozonierung mit zugehrigen Spektralwerten (boden- und schichtstrkenspezifische Antwortspektren) vorliegt, mssen die vorherrschende Eigenfrequenz des Bodens ermittelt und ein standortspezifisches Bemessungsantwortspektrum (Beschleunigungs- und Verschiebungsspektrum) entwickelt werden.

29/1 Am Standort eines Gebudes mit geplanter Base isolation (schwimmende Lagerung auf speziellen Erdbebenlagern) betrgt die in nahen