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Fahr zur Hölle, Stewart

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G.F. Barner�

Fahr zur Hölle, Ste-wart�

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Larry Stone schob die Hüttentür behutsam noch etwas weiter auf. Sein Pulsschlag erhöhte sich, und er hatte einen Moment Angst vor dem ersten Schritt ins Freie.

Im nächsten Augenblick hörte Stone das Schnauben der Pfer-de im Außencorral der Stewart-Ranch ganz deutlich. Jemand war bei den Pferden! Und Stone war allein hier oben am Hat Mountain.

Der Zureiter der Stewart-Ranch umklammerte sein Gewehr. Dann steckte er die Mündung der Waffe in seinen Hut und schob ihn um das Türfutter.

Larry Stone wartete auf den Knall, der kommen mußte, wenn draußen jemand lauerte und das Öffnen der Tür be-merkt hatte.

Doch alles blieb ruhig. Stone zauderte noch einen Moment. Dann erst wagte er es.

Er glitt aus der Tür und sank sofort zu Boden, obgleich der Zu-reiter jetzt aus dem Schlagschatten des Hüttendaches kroch, rührte sich immer noch nichts.

Zum Teufel, wo sind sie? überlegte Stone. Ich habe doch einen Mann gesehen, der sich am Corral zu schaffen machte. Wo sind die Burschen? Denken sie nicht an die Tür?

Vor der Hüttenecke blieb Stone liegen. Wieder streckte er sei-nen Hut um die Ecke, doch es kam kein Warnschrei – es fiel kein Schuß.

Sie mußten am hohen Corralzaun stecken. Das Gatter des Corrals, in dem achtzehn Pferde grasten, befand sich an der Westseite. Stone hatte es durch die vom Staub blinde Fenster-scheibe der Hütte sehen können. Jetzt war er auf dem Weg zur Nordflanke des Corrals. Er brauchte nur noch an der Giebel-

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wand der Hütte vorbei. Der Mond beschien die Hinterfront mit dem Fenster, und Stone dachte daran, daß Javeline Stewart gestern erst gesagt hatte, daß die das Fenster auch mal putzen könnten.

Larry Stone schluckte. Vor ihm endete der Schatten der Hüt-te. Das Mondlicht überflutete den vierzig Schritt breiten freien Raum zwischen Hütte und Corral.

Die Pferde bewegten sich unruhig. Wieder schnaubten eini-ge, und der Blick des Zureiters huschte über den Corralpfosten zur Westflanke.

In der nächsten Sekunde fuhr Stone zusammen. Am Zaun tauchte ein Pferd auf. Es war ausgerechnet Javeline

Stewarts Grauschimmelstute, ein hochbeiniges, schnelles Tier. Das Pferd wanderte Schritt für Schritt aus dem Corral.

Und dann sah Larry Stone den Mann, der geduckt neben der Stute her ging. Er hatte das Pferd zwischen sich und die Hütte gebracht, so daß Stone einen Augenblick nur die Beine des Pferdediebes sah. Dann aber tauchte über dem Rücken des un-gesattelten Pferdes der Kopf auf.

Alle Teufel, der Kerl ist groß, dachte Stone erschrocken! Der Bursche muß mächtig lang sein, was? Warte, Freund, wo hast du deinen Sattel, he? Du wirst die Stute doch nicht ohne Sattel reiten?

Der Mann band die Stute an. Danach verschwand er. Die an-deren Pferde im Corral beruhigten sich. Ganz leise ertönte das dumpfe Klopfen, mit dem der erste Gatterbalken eingelegt wurde. Wieder sah Stone nur den Hut des Pferdediebes.

Er mußte loskriechen, wenn er den Kerl erwischen wollte. Larry Stone sah den Schatten plötzlich neben dem Pferd er-

scheinen. In dieser Sekunde begriff Stone, daß der Mann nur die eine Gatterstange eingelegt hatte. Der Bursche schien es höllisch eilig mit dem Verschwinden zu haben. Er tauchte ge-

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bückt neben dem Pferd auf und schleppte seinen Sattel mit. Blitzschnell zog Stone die Waffe hoch, stemmte sich auf die

Knie und schlug an. Daß dabei der Gewehrlauf ins Mondlicht geriet, entging Stone.

Aber nicht dem Pferdedieb. Kaum hatte der Zureiter das Gewehr hoch, als der Mann

einen heiseren Fluch ausstieß und herumfuhr. Der Sattel flog zu Boden, der Mann machte einen Satz nach vorn und tauchte unter die Stute.

Stone sah den dunklen Schatten des Pferdediebes unter dem Bauch des Pferdes, schwenkte sein Gewehr und zielte. Im glei-chen Moment brüllte der Revolver des Diebes los.

Larry Stone, Zureiter und bester Broncobuster der Stewarts, sah nur einen Feuerball. Er drückte ab, doch seine Gewehrku-gel ging hoch über das Pferd hinweg.

Die Revolverkugel fuhr Stone in die Burst. Sie stieß den Zu-reiter hintenüber, sein Gewehrlauf ruckte in die Höhe.

Den zweiten Blitz sah Stone schon nicht mehr. Er hörte auch nicht, daß der Pferdedieb einen schrillen Schrei ausstieß, als ihn der zur Seite springende Gaul mit den Hufen erwischte. Obgleich die Hufe den Mann nur streiften, flog er bis an die Corralstangen. Stone fiel auf den Rücken und rollte zur Seite. Der Zureiter nahm seine Waffe mit. Sie entfiel ihm einige Se-kunden später.

Zur selben Zeit schnellte der Pferdedieb wieder hoch. Der Mann zauderte keinen Augenblick. Er stürmte in wilden Sät-zen auf die Hütte zu, erreichte die Ecke und blieb dann mit ge-senktem Revolver stehen.

Larry Stones Augen waren weit geöffnet. Der Zureiter starb langsam an der ersten Kugel, die ihm in die Brust gefahren war, während die zweite Kugel seine Schulter getroffen hatte. Stone blickte zu dem großen, schlanken Mann empor und

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zuckte einmal mit den Lidern, als er ihn erkannte. »Du?« flüsterte Stone. »Du bist das? Warum…?« Stones Hände zuckten einmal. Dann sank sein Kopf zur Sei-

te. »Verdammter Narr!« zischte der Mann bissig. Er bückte sich

und stieß Stone an. »Die Pest, er ist tot. Er erkannte mich noch, was? Mich hast du hier sicher nicht erwartet.«

Der Mann richtete sich auf und lauschte. Das Echo der drei Schüsse war verklungen, der Schall trug aber in den Bergen sehr weit, und es war möglich, daß man die Schüsse auch auf der Stewart-Ranch gehört hatte.

Der Mann dachte einen Augenblick an Javeline Stewart, den ältesten Sohn des alten, mächtigen Mike Stewart. Es gab viele Leute, die Javeline Stewart einen Indianer nannten, obwohl er nur ein Halbblut war, aber das war in den Augen mancher Leute schlimmer, als wenn er ein ganzer Indianer gewesen wäre.

Als Mike Stewart nach Arizona gekommen war, hatte er eine Papago-Chief-Tochter geheiratet. Vielleicht wäre er sonst, wie hundert andere weiße Siedler, nicht am Leben geblieben. Man sagte, der große Mike Stewart hätte damals nur aus kalter Be-rechnung geheiratet. Ob es stimmte, wußte er nur selbst.

Der davonreitende Mörder sah sich immer wieder um. Plötz-lich steckte ihm die Furcht in den Knochen, daß der unheimli-che Javeline Stewart doch etwas gehört haben konnte. Wenn Javeline jemanden jagte, konnte man entweder aufgeben oder sich aufhängen, sagte man. Der Halbindianer fand jede Fährte und jeden Mann.

*

Der alte Löwe Mike Stewart fuhr zusammen. Er war einge-

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nickt bei dem gleichmäßigen Knarren der Räder, dem Schnau-ben der Pferde und ständigen Schaukeln des schlecht gefeder-ten Zweispänners. Als er den Kopf hob, saß Joe Flint, sein Vor-mann, reglos auf dem Bock – der Wagen stand, und vor dem Wagen hielt sein ältester Sohn die rechte Hand hoch.

»Was soll das – warum halten wir?« fragte Mike Stewart brummig. Er bewegte sein lahmes, rechtes Bein, das ihm seit Tagen wieder Schmerzen bereitete. »Joe, was hat er?«

»Ich weiß nicht«, antwortete Flint leise. »Warte ab, Mike.« Sie hörten nichts, beobachteten Javeline und schwiegen. Jave-

line hatte seinen Vater zur Westweide begleitet. Der Alte hatte sich dort den neuen Zaun angesehen. Mißmutig runzelte Mike Stewart die Stirn. Er war müde, sein Bett wartete auf ihn. Er wußte, daß er diese Nacht kaum ein Auge zumachen würde, weil das verdammte Bein schmerzte.

»Javeline, he!« »Schon gut«, sagte Javeline Stewart kurz. Er war so groß wie

sein Vater, hatte breite Schultern, aber nicht dessen schwere Gestalt. An Javeline Stewart wirkte alles zäh, ausdauernd und hart. »Es war wohl nichts. Fahr weiter, Joe.«

»Was war nichts?« fragte der Alte schroff. »Wenn nichts war, warum hast du dann halten lassen?«

»Ich glaubte Schüsse im Nordwesten zu hören«, erwiderte Javeline. Er wartete, bis der Wagen neben ihm war, und ritt dann auf Sitzhöhe neben seinem Vater weiter. »Kann sein, daß ich mich geirrt habe.«

»So?« brummte Mike Stewart. »Wer sollte dort schon schie-ßen?«

Javeline zuckte die Schultern. Er ritt schneller und vor den Wagen.

»Eines Tages hält er noch ganz das Maul«, murrte der Alte finster. »Joe, was mache ich falsch, he? Manchmal redet er eine

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Woche nicht mit mir, läßt sich nicht sehen und kommt erst, wenn alles schläft. Was, zum Teufel, hat er?«

»Arbeit«, murmelte Joe Flint, indem er Stewart sein leder-häutiges Gesicht zuwandte. »Mike, er hatte genug Arbeit mit dem Aussondern der Rinder und Brennen der Jungtiere. Wenn er nicht wäre…«

»Hör auf, ehe du richtig anfängst«, unterbrach ihn der Alte mürrisch. »Ich weiß, was du erzählen willst. Ohne ihn kämst du nicht mehr zurecht, was? Dafür ist er mein Sohn.«

»Sicher – einer deiner Söhne«, antwortete Flint knapp. Mike Stewart runzelte die Stirn, schwieg jedoch. Er wußte,

was Flint damit sagen wollte, denn immerhin besaß er zwei Söhne, wenn sie auch nicht dieselbe Mutter gehabt hatten. Ste-wart dachte an Tony, seinen jüngsten Sohn, während der Wa-gen sich der Ranch näherte. Tony war das Gegenteil von Javeli-ne, immer lustig, verwegen und ein wilder Reiter, der schon manches Pferd verbraucht hatte. Der Junge sah nicht nur blen-dend aus, er hatte auch eine Anzahl von Liebschaften gehabt.

»Das kommt von seinem heißen Blut«, sagte Mike Stewart in Gedanken laut und schrak zusammen, als ihn Flint groß an-sah. »Yeah, er hat spanisches Blut in den Adern, Joe.«

»Das hat er wohl«, meinte Flint und lenkte den Wagen durch das Ranchtor in den großen Hof.

Er hielt vor dem Haus, einem zweistöckigen, mächtigen Bau aus Ziegeln, dessen helle Mauern im Mondlicht leuchteten. Dann stieg er ab und sah Javeline näherkommen. Javeline trat an den Schlag des Zweispänners, öffnete ihn und hob die Hand, um seinem Vater zu helfen.

»Ich kann noch allein aussteigen – so alt bin ich nicht«, knurrte Mike Stewart bissig. »Laß das gefälligst, ich brauche keine Hilfe!«

Mike Stewart erhob sich ächzend, stützte sich schwer auf die

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Wagenkante und stieg aus. Als er das rechte Bein aufsetzte, konnte er das Zucken seiner Gesichtsmuskeln nicht unter-drücken. Der Schmerz fuhr ihm bis in die Lenden.

Javeline reichte ihm schweigend den Stock, und der Alte humpelte auf den Vorbau, als jemand aus der Tür des Kü-chenanbaues trat. Es war José, der mexikanische Diener des Alten.

»Ich brauche niemanden, zum Teufel!« knurrte ihn der Alte an. »Wenn du mir das Essen bringst, vergiß die beiden Wärm-flaschen nicht, verstanden? Ich gehe ins Bett – serviere dort, Jose.«

Joe hatte ihn links stützen wollen, aber als ihn der messer-scharfe, zornige Blick des Alten traf, blieb er stehen. Schwei-gend blickte er ihm nach, bis der Alte im Haus verschwunden und die schwere Eingangstür zugefallen war.

»Schlechte Laune«, murmelte er dann, indem er Javeline an-blickte.

»Junge, er hat das nicht so gemeint.« »Ein Mann muß wissen, ob er allein gehen kann«, erwiderte

Javeline knapp. »Joe, ich reite nachher noch mal los.« Joe Flint hob den Kopf und sah nach Nordwesten. »Hast du

doch etwas gehört?« »Ja!« sagte Javeline kurz. Er ließ Joe Flint stehen und ging zur

Küche. Anscheinend wollte er etwas essen, ehe er aufbrach. Zum Abendessen war er nicht gekommen, weil sein Vater ihn bei der Zaunbesichtigung dabeihaben wollte. Flint folgte Jave-line in die Küche und lehnte sich an die Wand.

»Junge, ich hörte nichts«, brummelte er. »Wer weiß, wer ge-schossen hat – wenn es Schüsse waren.«

»Drei Schüsse«, antwortete Javeline. Er setzte sich an den großen Tisch und ließ sich vom Ranchkoch einen Becher Kaf-fee geben. »Stone könnte gefeuert haben.«

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»Und das willst du gehört haben?« fragte Flint verstört. »Jun-ge, du bist seit vier Uhr früh auf den Beinen. Leg dich hin und schlaf dich aus, morgen ist Sonntag, der einzige Ruhetag für dich.«

»Andere Leute arbeiten auch am Sonntag«, sagte Javeline kurz. »Ich bin in zwei Stunden zurück.«

Er sollte dreieinhalb brauchen, bis er mit dem Toten auf der Ranch eintraf.

*

Elaine Cochrane blieb wie erstarrt stehen, als sie den Reiter er-kannte. Plötzlich überkam sie wieder die Furcht, wie damals, als der Mann, genau wie an diesem Vormittag, erschienen war. Doch diesmal lief niemand an einem Lasso hinter seinem Pferd her.

Javeline Stewart kam allein den Fahrweg zur kleinen Ranch der Cochranes an den Pozo Redondo-Bergen geritten. Sein Schecke lief schnell. Das Lasso hing aufgerollt am Sattel, und die Schlinge lag nicht etwa dem alten John Cochrane um den Hals. Wenn Elaine Cochrane etwas im Leben niemals verges-sen würde, dann den Anblick, den ihr Vater damals geboten hatte. Er war sogar stocknüchtern, aber mit seinen Kräften am Ende gewesen und vor der Tür seines Hauses liegengeblieben, Javeline Stewart hatte eisig auf den Alten herabgeblickt. Da-nach war er davongeritten – und warum er Elaines Vater und Brüder nicht ins Jail gebracht hatte, wußten sie heute noch nicht, die Cochranes. Vielleicht hatte Javeline Stewart an den ältesten Cochrane-Bruder Vince gedacht, der manchmal auf der Stewart-Ranch gearbeitet hatte. Vielleicht an Mrs. Cochra-ne, die alte Frau, die vier Kinder großgezogen und einen ewig trinkenden Mann gehabt hatte.

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Niemand wußte, was Javeline Stewart dachte. Man konnte ihm nie ansehen, ob er etwas aus Freundlichkeit oder Grimm tat, weil er immer gleich kühl und gelassen wirkte.

Javeline Stewart schickte einen kurzen, scharfen Blick zum Corral. Er mußte sehen, daß einige Pferde fehlten. Sein nächs-ter Blick ging über den Hof – er sah die Hufspuren und hielt dann vor Elaine Cochrane. Das Mädchen war an die Haus-wand zurückgewichen und sah wie immer, wenn er herkam, zu Boden. Elaine Cochranes schmales Gesicht war bleich ge-worden, ihre Hände zitterten, und sie hielt die Schürze zwi-schen den verkrampften Fingern.

»Hallo, Miß«, sagte Javeline. Er hielt, stieg ab und schlang die Zügel um den Balken. »Vince zu Hause?«

»Guten Tag, Mister Stewart«, antwortete Elaine gepreßt. Die Furcht vor diesem unheimlichen, schweigsamen und großen Mann verließ sie einfach nicht. »Nein, Vince – Vince hat mit den anderen wieder einige Rinder aus dem Buschland geholt. Sie waren die ganze Woche fort. Gestern kamen sie spät nach Hause. Vince sagte, sie hätten noch zwei Rinder gesehen, die sie heute früh fangen wollten. Ich – ich dachte, es wäre Vince oder Salem – oder Jonny, als ich den Hufschlag hörte.«

»So, dachten Sie, Miß?« murmelte Javeline, das Halbblut. Er ging einige Schritte zum Brunnen, und sie sah, daß er auf-merksam die Spuren betrachtete, obgleich er so tat, als wollte er nur etwas Wasser schöpfen und trinken.

»Mister Stewart, meine Brüder waren bestimmt die ganze Nacht hier«, stammelte sie erschrocken, denn sicher suchte er nicht umsonst nach Spuren. »Ich schwöre Ihnen…«

»Warum haben Sie Angst vor mir?« fragte er plötzlich und sah sich um. »Sie hatten Angst, als ich vor drei Jahren an Ih-nen, Old John und Ihren Brüdern vorbeiritt, die gerade Mave-ricks auf dem Mexikanermarkt verkauften. Sie hatten Angst –

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und ich kannte den Grund. Nun gut. Ihr Vater ist tot, und Ihre Brüder nahmen mein Angebot an. Sie haben zwei Jahre hart gearbeitet und es zu etwas gebracht. Warum haben Sie immer noch Angst? Ich sehe doch, daß Vince, Salem und Jonny hier waren.«

»Ich dachte…« »Ich suchte eine vierte Fährte«, murmelte er. »War jemand

außer Ihren Brüder hier?« »Nein, seit zwei Wochen niemand, Mister Stewart«, flüsterte

Elaine bedrückt. Sie strich sich das hellblonde Haar aus der Stirn und sah ihn furchtsam an. »Was – was ist mit diesem vierten Mann?«

»Er muß durch die Pozo Redondos geritten sein. Der Felsbo-den hat seine Spur auf einige Meilen unsichtbar werden las-sen«, antwortete Javeline kurz. »Er stahl meine Grauschimmel-stute und erschoß Larry Stone.«

»Nein!« entfuhr es ihr entsetzt. »Mein Gott, Mister Stewart, doch nicht Larry Stone! Mister Stewart, glaubten Sie, er wäre hergekommen? Meine Brüder hätten ihm nicht geholfen, be-stimmt nicht, Mister Stewart. Sie würden niemals einem Mör-der helfen!«

Er schwieg, und sie wußte, daß er jetzt an den Sohn Morro-sos, Jaime, dachte. Es hieß, Morroso hätte das wilde Leben des Gesetzlosen fortgesetzt, das einmal sein Vater geführt hatte. Zu den Freunden Morrosos sollten viele jener Burschen gehö-ren, die vom Gesetz in den Staaten gesucht wurden und nach Mexiko geflüchtet waren. Die Cochranes kannten eine Menge jener Flüchtigen, zu denen auch James Pierce, der schlimmste Bandit, gehörte, der jemals den Süden Arizonas unsicher ge-macht hatte. Angeblich hatten die Cochrane-Brüder als Pfadp-finder gedient, wenn Schmuggelware über die Grenze ge-bracht wurde.

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»So?« brummte Javeline kurz. »Miß Cochrane, ich brauche ein zweites Pferd. Kann ich eins bekommen?«

»Ein Pferd?« stammelte Elaine verwirrt. »Sicher, es sind noch vier im Corral, suchen Sie sich eins aus, Mister Stewart. Der Braune ist ganz…«

Sie sah, daß er den Kopf langsam wendete, und blickte eben-falls nach Norden. Dann wußte sie, was er gehört hatte.

Über dem Steilhügel im Norden erschien eine Staubfahne. Rindermuhen wurde laut. Reiter tauchten auf und ritten, zwei Rinder vor sich her treibend, an den Weidezaun. Die Weide war noch vor anderthalb Jahren verfilztes Buschland gewesen. Jetzt stand das Gras kniehoch auf ihr.

Javeline Stewart setzte sich auf den Brunnenrand. Er wartete, bis die beiden Rinder im Corral waren und die Reiter auf den Hof kamen.

Vince Cochrane war ein großer dunkelhaariger Mann in Ste-warts Alter mit hellgrauen Augen und einem scharfgeschnitte-nen Gesicht. Sein Bruder Salem hatte längst nicht seine Größe, konnte jedoch sehr gut mit dem Lasso umgehen. Er war neben Elaine das einzige Familienmitglied, das hellblondes Haar be-saß. Jetzt blickte er rasch zu Elaine, ehe er seinen jüngsten Bru-der Jonny ansah. Jonny Cochrane glich einem Klotz. Er war ungeheuer breit, stämmig und dunkelhaarig.

Jonny schwieg wie Salem, als sie vor Javeline hielten. Vince war der Älteste und führte immer das Wort.

»Hallo, Javeline«, murmelte Vince. »Das sind Rinder aus dem Buschland. Wir dachten, wir sollten sie nicht ganz aus den Augen verlieren, darum holten wir sie her.«

»Du brauchst mir nicht zu sagen, daß es Buschlandrinder sind«, brummte Javeline. »Vince, ich brauche ein Pferd. Je-mand holte sich meine Grauschimmelstute aus dem Hat Mountain Corral und erschoß Larry Stone. Mein Vater hat ge-

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sagt, ich brauchte nicht nach Hause zu kommen, wenn ich den Schurken nicht erwische.«

Er stand jetzt auf, während sich die Cochranes bestürzt an-blickten.

»Nimm den Braunen!« sagte Vince dann bestürzt. »Mein Gott, ausgerechnet Larry? Wer war der Lump, Javeline?«

»Weiß nicht«, erwiderte das Halbblut kurz und ging zum Corral. »Er hat fünf Stunden Vorsprung. Nachts konnte ich nicht viel von seiner Spur sehen. Ich fürchte, er ist über die Grenze entwischt, ehe ich ihn habe.«

Vince Cochrane ritt leise fluchend zum Corral. Er half Javeli-ne den Braunen zu satteln und nahm sich dann einen Falben.

»Ich komme mit, wenn es dir recht ist, Javeline«, sagte er grimmig. »Larry war ein guter Mann.«

»Du brauchst nicht mitzukommen, ich werde schnell reiten müssen«, erwiderte Javeline. »Vince, es kann sein, daß er zu den Freunden von Pierce gehört.«

Vince schüttelte stumm den Kopf. Das war seine Meinung dazu.

»Bist du sicher, daß er nicht zu Pierce gehört?« forschte Ste-wart.

»Yeah«, knurrte Vince Cochrane. »Jemand sagte mir mal, Pierce hätte jedem seiner Leute verboten, an eure Pferde oder Rinder zu gehen. Das war vor anderthalb Jahren, als du ihm die Warnung schicktest.«

Javeline warf ihm einen seltsamen Blick zu. Er wußte, daß Vince von diesem Verbot entweder durch Pierce selbst oder doch von dessen Leuten erfahren hatte. Wenn die Cochranes auch nichts mehr mit den Grenzbanditen zu tun hatten – sie waren manchmal drüben in Mexiko und kannten sie alle. Wahrscheinlich wußte niemand so viel über Pierce und dessen Horde wie die drei Cochranes. Aber sie schwiegen darüber.

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»Nun gut, wenn du so sicher bist, dann komm mit. Die Grenzgegend kennst du sicher besser als ich«, sagte Stewart kurz. »Was ist, Miß Cochrane?«

»Ich habe frischen Kaffee«, meldete sich das Mädchen. »Vin-ce, macht euch die Haschen voll. – Mister Stewart, wenn Sie hungrig sind?«

»Ich habe alles dabei«, murmelte Javeline. »Danke, Miß, ich muß weiter – mein Freund bekommt zuviel Vorsprung.«

Er aß dann doch etwas, bedankte sich und saß wenig später auf. Als er mit Vince Cochrane davonritt, biß sich Salem auf die Lippen.

»Jonny«, sagte er düster, »ich möchte jetzt nicht der Mann sein, hinter dem er her ist.«

*

Vince Cochrane blickte zuerst auf die Spur, ehe er nach dem Lichtschimmer sah, der aus einem Fenster des vor ihnen in der Nacht hegenden Gebäudes fiel. Er wußte nun, wo sie waren und zu wem der Mörder Larry Stones geritten war. Der Pfer-dedieb hatte die Grenze östlich von Lukeville überschritten. Dann mußte ihn der Schlaf übermannt haben, er hatte zwei Stunden neben seinem Pferd geschlafen, ehe er an Sonoyta vorbei weitergeritten war.

Vor Vince und Javeline lag Sierra Cubabi, ein kleines Nest von vier Häusern und einem einzigen größeren Bau mit einem Riesenhof und zwei Schuppen und Ställen. Sierra Cubabi war nur vierzig Reitminuten von Sonoyta entfernt, der nahe der Grenze gelegenen mexikanischen Stadt.

»Na, unruhig?« fragte Javeline träge. Er blickte zu dem er-leuchteten Fenster. »Fatty Georges Hauptlager, was? Vince, es gibt nur einen Mann in Grenznähe, bei dem man alles kaufen

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und verkaufen kann. Unser Mann hat George besucht, wetten?«

»Ja«, sagte Vince gepreßt. »Er dürfte bei ihm gewesen sein. Fatty deckt ihn, aus dem bringst du nichts heraus.«

»So?« meinte Javeline. »Fatty George kann schweigen, sagt man, ich weiß. Dein Vater hat für ihn geschmuggelt, ihr seid für ihn geritten. Schon gut, schon gut, ich kann mir denken, daß du nicht mitkommen willst. Fatty George hat eine Menge Freunde, die du kennst. Man soll nicht glauben, du hättest mich hergeführt. Das wird ohnehin niemand annehmen, Vin-ce. Bleib hier, ich sehe mich allein um. Es ist nicht nötig, daß du dir Ärger machst.«

»Javeline, sieh dich vor! Fatty ist gefährlich wie eine Sandvi-per«, warnte Vince besorgt. »Er ist der einzige Gringo, dem sämtliche Mexikaner vertrauen, weil er alles abnimmt, was sie zusammenstehlen. Du stichst in ein Wespennest, Mann!«

»Dann steche ich«, erwiderte Javeline kurz. »Mal sehen, wie-viel Wespen ich erwischen kann.«

Er brachte sein Pferd hinter die Büsche, band es an und huschte davon.

*

Das Streichholz erlosch, das Pferd schnaubte leise – und Javeli-ne Stewart blieb stehen. Die Grauschimmelstute wendete im Mondlicht, das durch die beiden Stallfenster drang, den Hals und rieb ihre Nüstern an Javelines Schulter.

»Also doch!« sagte Javeline finster. Er ließ das Pferd stehen, glitt zur Stalltür und öffnete sie wieder. Der Hof lag tot und verlassen im Mondlicht. Die beiden Wagen standen an der Fenz, ein dritter im Schuppen.

Spuren liefen aus dem Stall. Ein Pferd war hinausgeführt

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worden. Jemand war fortgeritten. Die Räderspur kam von rechts aus dem Schuppen. Dort hatte der leichte Buggy gestan-den, in dem Fatty George meist fuhr, weil George so dick war, daß ihn kein Pferd weiter als zehn Meilen tragen konnte. Der fette George fuhr lieber in seinem prächtigen Buggy mit den gelben Felgen und Speichen.

Fatty war nicht hier. Javeline wußte es. Fatty George hatte hier sein Hauptlager, abseits der Straße, eine Fahrstunde von Sonoyta entfernt. An diesem Platz gab es selten Neugierige, die etwas über Fattys Geschäfte erfahren wollten. So abseits lag die Lagerstation. Fatty besaß noch einen Store in Sonoyta. Vielleicht war er dort. Vielleicht in einem Saloon, um das Wo-chenende zu feiern.

Hundesohn, dachte Javeline, als er über den Hof schlich und an der Mauer anhielt, weil er jäh einen Kopf auftauchen sah. Es war Vince Cochranes hageres Gesicht, das sich über der Mauer zeigte.

»Verschwinde!« zischte Javeline. »Hau ab, Mann, handle dir keinen Ärger ein, Vince!«

»Fatty ist weg, was?« flüsterte Vince. »Sein Buggy…« »Ich weiß«, zischte Stewart. »Verschwinde, Vince, niemand

braucht dich zu sehen!« Vince war wieder fort – Javeline erreichte die Hauswand und

duckte sich neben der Tür. Sie war offen, und er glitt in den Flur. Es war ein langer Flur, der hinten auf einen Quergang stieß, durch den man in den Schuppenanbau und Fattys Lager kommen konnte.

Javeline Stewart blieb sofort stehen, als er das Pfeifen hörte. Es mußte Vince sein.

Warum pfeift er? dachte Stewart. Was ist los? Gibt er etwa dem Kerl, der hier im Haus sein muß, ein Zeichen?

Es wurde still. Javeline schlich weiter und blickte in den

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Gang. Hinten fiel ein schmaler Lichtstreifen unter einer Tür hindurch.

Javeline Stewart bog nach links in den Gang ein, näherte sich der Zimmertür und sah durch das Schlüsselloch. Er konnte nur einen Tisch und einen Stuhl sehen. Wo war der Mann – lag er auf einem Bett? Hockte er in einer Ecke?

Stewart zauderte einen Moment, dann drückte er die Klinke nach unten, riß die Tür auf und sprang. Er flog mit einem Satz in das Zimmer hinein. In der nächsten Sekunde riß er die Hand mit dem Revolver hoch.

Das Zimmer war leer. Wo ist er? dachte Stewart, und sein Blick flog zum geschlos-

senen Fenster. Wohin ist der Kerl gegangen? War es das, was Vince mit seinem Pfeifen sagen wollte?

Javeline machte kehrt und sprang in den Gang zurück. Im selben Augenblick ließ er sich fallen. Er sah im schwachen Licht der kleinen Flurlampe ganz hinten in diesem Quergang, der zum Lagerschuppen führte, eine Bewegung. Javeline stürzte auf den schäbigen Sisalläufer des Ganges. Über ihm zerschnitt etwas die Luft und knallte in die Tür.

Er wußte sofort, daß der Mann sein Messer nach ihm gewor-fen hatte.

Mattes Mondlicht erhellte die aufstehende Türöffnung zum Lagerschuppen. Der Mann hatte das Licht im Schuppen ge-löscht. Das mußte es gewesen sein, was Vince von draußen ge-sehen hatte – Licht im Schuppen.

Stewarts Hände krallten sich in den Läufer. Er packte zu und warf sich zurück.

Im gleichen Augenblick stieß der Mann vor der Tür einen heiseren Schrei aus. Dann fiel er hintenüber. Der Ruck, mit dem Javeline den Läufer angerissen hatte, hatte den Kerl zu Boden gebracht.

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Javeline fegte los. Er stürmte durch den Gang und sah den Mann hochkommen. Der Bursche wollte zurück, packte die Tür und war dabei, sie zuzuwerfen, als Javeline mit dem gan-zen Gewicht seines Körpers gegen die Tür flog. Es gab einen lauten Krach, denn die Tür traf den Mann und schleuderte ihn in den Lagerschuppen. Blech klapperte, der Schrei des Mannes erstickte im wilden Geklapper. Das Mondlicht zeigte zwei wild strampelnde Beine in schäbigen Leinenhosen. Der Bur-sche trug Sandalen, er trat aus, als sich Javeline auf ihn stürzte. Schüsseln flogen auseinander.

»Habe ich dich?« zischte Javeline, indem er zuschlug. »Mes-ser werfen, was? Zur Hölle mit dir, Hundesohn!«

Stewart blieb sitzen und lauschte, den Colt in der Faust. Es blieb still im Haus. Der Kerl war allein gewesen.

»Komm!« sagte Stewart grimmig. Er schleifte den Mann hin-ter sich her in das erleuchtete Zimmer und sah das Gesicht am Fenster. Der Mann blieb reglos liegen, als Stewart das Fenster öffnete.

»Vince, halte dich heraus!« »Ja«, sagte Vince düster. Er hockte auf der Mauer und blickte

Javeline groß an. »Mein Pfeifen kam zu spät, was? Ich passe draußen auf. Rührt sich etwas, pfeife ich wieder. – Vorsicht, der Kerl wird munter!«

Vince Cochrane glitt von der Mauer und verschwand in der Dunkelheit. Hinter Stewart war eine Bewegung – der Mann keuchte schwer im Klirren des Fensters, das Stewart zuschlug. Dann wollte er hoch, sprang los und auf die Tür zu. Stewart wirbelte herum und erreichte den Mann nach einem Satz. Er erwischte ihn mitten in der Tür, seine Hand schnappte zu und umklammerte blitzschnell das Fußgelenk. In der nächsten Se-kunde schleuderte Javeline den Burschen auf den Rücken und warf sich auf ihn. Mit den Knien preßte er die Arme des Mexi-

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kaners gegen die Dielen, während seine Hand zur Tür hoch-fuhr.

Als er das Messer aus dem Holz riß und die Klinge funkelnd im Laternenschein herumzuckte, verzerrte sich das Gesicht des Mexikaners furchtsam.

»Rede!« zischte Javeline. »Rede – oder du sprichst nie mehr, Bursche! Wie heißt du? Antworte, sonst…«

»No – no«, stöhnte der Greaser und begann vor Angst am ganzen Leib zu schlottern. »Señor Javeline – Señor Stewart, nicht umbringen! Ich rede. Señor Stewart, ich habe damit nichts zu tun, ich schwöre, ich bin nur der Gehilfe hier, ich wußte nichts davon.«

»Wovon?« fauchte Stewart. Er sah die hündische Angst in den flackernden Augen des Mexikaners. Es war jene Furcht, die ein Mann hatte, der genau wußte, daß die Hälfte von Jave-line Stewarts Blut von einer Indianerhäuptlingstochter stamm-te.

»Von Steve Hai und dem Pferd«, lallte der Mexikaner. »Er war bei seinem Bruder, sagte er. Unterwegs verlor er sein Pferd und kam mit der Grauschimmelstute an. Ich sah das Brandzeichen.«

»Und dann wußtest du, wem das Pferd gehörte, wie?« zisch-te Javeline grimmig. »Du hast ihn doch gefragt, wie er zu der Stute gekommen war, oder?«

»Si – ja, ja«, stammelte der Mexikaner. Sein Gesicht war so schmutziggrau wie die Asche eines erloschenen Feuers. »Señor Stewart, ich fragte, aber er – er sagte, er hätte keine andere Wahl gehabt und seine Spuren verwischt. Er wollte nur ein an-deres Pferd und dann weiter.«

»Wohin?« knurrte Javeline scharf. »Los, rede schon! Dein Name?«

»Juan, Señor, Juan. Ich bin nur der Gehilfe hier – und Steve

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Hall hat zwei Revolver, verstehen Sie? Señor Fatty ist nicht hier. Ich sagte zu Señor Hal, er könne sich ein Pferd nehmen. Er ist nach Sonoyta geritten.«

»Zurück?« fragte Stewart mißtrauisch und packte Juan am Hals. »Das ist gelogen! Warum sollte er zurückgeritten sein?«

»Ich lüge nicht!« schrillte Juan und starrte entsetzt auf die Messerklinge. »Ich schwöre, er wollte wieder nach Sonoyta! Er hatte drüben zu tun und sollte auch etwas von Señor Fatty an jemand in Gila Bend ausrichten. Darum kam er her, er wollte Señor Fatty etwas bestellen und ein Pferd. Die Stute sollte Señor Fatty verkaufen, aber Señor Fatty ist in Sonoyta. Darum mußte Hall hinreiten.«

»Steve Hall?« murmelte Javeline und erinnerte sich an einen Steckbrief. Hall wurde wegen Viehdiebstahls und Kutschen-raubes gesucht. »Was wollte er drüben? Er muß doch damit rechnen, erwischt zu werden, du Strolch! Du lügst, Mensch!«

»No, no – seine Mutter ist sehr krank«, wimmerte Juan. »Er sagte, er wäre nur bei Nacht geritten, niemand hätte ihn gese-hen. Ich schwöre, es ist die Wahrheit, Señor Stewart.«

»Was sollte er für Fatty besorgen?« »Ich weiß nicht«, ächzte Juan und ließ kein Auge von der

Messerspitze. »Bestimmt – ich weiß es nicht. Er arbeitet manchmal für Señor Fatty. Ich habe ihn gefragt, ob es keinen Arger geben könnte. No, sagte er, es gäbe keinen. Und jetzt… merda!«

»Merda, ja«, knurrte Javeline finster. »Du hast mich gleich er-kannt, als ich in den Flur sprang?«

»Si«, nickte Juan. »Ich – ich hatte Angst, Señor Stewart. Ein Stewart-Pferd im Stall, verstehen Sie – ich hatte Angst, darum warf ich mein Messer.«

Er hatte Angst, dachte Stewart grimmig. Verdammt, viel-leicht hätte ich an seiner Stelle auch Angst gehabt.

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Er sah auf den Mann hinab und zog ihn am Kragen in die Höhe. »Wo ist Fatty George, Juan?«.

»Im Store in Sonoyta – oder in der Bodega von Señor Cuvera. Bitte, lassen Sie mich laufen, ich bin doch nur der Gehilfe.«

»Laufen?« fragte Stewart spöttisch und stieß Juan gegen die Flurwand. »Damit ich in einer halben Stunde Fattys Freunde auf dem Hals habe, was? Wo ist der Keller?«

»Der Keller?« »Ja, der Keller, Juan.« »Unter der Küche.« »Dann geh voraus!« Juan taumelte mit schlotternden Knien vor ihm her. Er mußte

die Flurlampe mitnehmen und den Weg ausleuchten, bis sie in der Küche waren. Im Boden war eine Klappe. Juan zog sie auf und stieg die Stufen der schmalen Treppe hinab in das fenster-lose, muffige und kühle Loch, wie es die meisten Häuser in Mexiko besaßen. Es gab kein Fenster, nur ein Regal, einige Kis-ten und im Regal Vorräte, die kühl gelagert werden mußten.

Javeline warf die Klappe zu, schob den Schrank darüber und versuchte die Klappe am Ring anzuheben. Es gelang ihm nicht.

Als er das Haus verließ, die Tür verschloß und aus dem Stall die Stute holte, ertönte ein leiser Pfiff. Gleich darauf näherte sich Huf schlag. Es waren zwei Reiter. Sie ritten aber auf dem Weg vorbei.

»Vince?« rief Javeline. Cochranes Schatten tauchte am Hoftor auf. »Wer?« fragte Vince gepreßt. »Teufel, ich dachte schon, die

beiden Burschen würden herkommen. Javeline, wer hat das Pferd geritten?«

»Steve Hall«, sagte Javeline kurz. Er brachte das Pferd ins Freie und führte es zum ausgetrockneten Bacharm hinter die

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Büsche. »Seine Mutter soll angeblich schwer erkrankt sein, darum traute er sich über die Grenze.«

»Der hat sich immer hinübergetraut«, murmelte Vince Cochrane leise. »Sie reiten nur nachts, dann sieht sie niemand. Jemand entwickelte diese Taktik.«

»Pierce?« fragte Javeline. Er bemerkte Cochranes kurzes Ni-cken. »So ist das? Du weißt eine ganze Menge über Pierce und dessen Freunde, was, Vince? Gehört Hall zu den Männern von Pierce?«

»Ja und nein«, gab Vince achselzuckend zurück. »Kann sein, daß er manchmal für ihn arbeitet. Aber er gehört nicht zu der Horde, die Pierce ständig kommandiert. Ich rede schon zuviel, Javeline. Wo ist Hall jetzt?«

»Sonoyta, sagte Juan. Vince, halte dich von nun an heraus und reite nach Hause. Vielleicht glaubt Halt daß er seine Spur unsichtbar machen konnte. Er scheint nicht mit mir gerechnet zu haben. Pierce – würde er Hall helfen?«

Vince Cochrane schüttelte nachdenklich den Kopf. »Ich glau-be nicht«, murmelte er dann gepreßt. »Nicht gegen dich, Jave-line.«

»Warum nicht gegen mich?« bohrte Javeline mißtrauisch. »Vince, ist es wahr, daß mein Bruder Pierce gut kennt? Vince, hörst du, was ich frage?«

Vince sah fort und schwieg. Dann ging er stumm davon und zog sich in den Sattel seines Pferdes.

»Vince, es ist also wahr?« »Ich weiß nicht« sagte Vince, als er anritt. »Was fragst du

mich, wenn du etwas weißt, worauf es keine Antwort geben kann? Nimm einen Rat an, Javeline: Trittst du Pierce auf die Zehen, dann verschwinde so schnell du kannst, sonst kommst du nicht mehr lebend über die Grenze.« Er gab dem Pferd die Hacken und ritt davon.

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»Verdammt«, zischte Stewart. »Also doch! Tony kennt Pierce gut! Was, zum Teufel, hat er mit diesem Banditen zu schaffen?«

Irgendwo in ihm meldete sich die Unruhe. Er wußte nun, daß er längst nicht alles über seinen kleinen Bruder wußte.

Vor sich hin fluchend, ritt Javeline Stewart an. Er mußte Ste-ve Hall erwischen und über die Grenze nach Lukeville schaf-fen. Hoffentlich war Hall noch in Sonoyta.

*

Javeline Stewart fuhr so heftig zurück, als hätte sich vor ihm eine Klapperschlange hochgereckt. Mit einem Schritt wich Ja-veline wieder hinter die Hausecke in den Schatten der schma-len Gasse aus. In der nächsten Sekunde preßte er sich an die Hauswand und holte tief Luft. Er hatte genug gesehen.

Während das Lachen von Männern und Mädchen aus den geöffneten Fenstern der Bodega von Ramon Cuvera drang und der Klavierklimperer auf die Tasten hämmerte, schob sich Ste-wart hastig in den Schatten der Hofmauer.

Hinter dem Torpfeiler blieb er stehen. Er war keinen Moment zu früh verschwunden, denn die Schritte ließen nun den Sand am Ende der Gasse knirschen. Das Laternenlicht warf die Schattenrisse der beiden Männer auf die gegenüberliegende Hofmauer.

»Alle Teufel!« stieß Javeline durch die Zähne. »Valdez und Horrman, zwei Burschen von Pierce, was? Bennet in der Au-ßentür des Saloons, Fatty George und Pierce im Saloon – die halbe Bande ist da!«

Stewart lauschte, zog sich dann blitzschnell am Torpfeiler hoch und stand im nächsten Augenblick auf der Mauerkrone. Von hier aus konnte er durch das schmale, sehr hoch gelegene

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Fenster und dessen schrägstehende Holzrippenblendlade in Cuveras Saloon blicken.

Unter Stewart lag jetzt der große, etwa zwölf Schritte lange und sechs Schritte breite Saloonraum. Er konnte nur den rech-ten Teil überblicken und die Tür sehen. Am Ecktisch rechts sa-ßen drei Männer. In der äußersten Ecke hockte James Pierce.

Der hagere, in drei Staaten gesuchte Bandit, hielt ein dünnes Zigarillo im Mundwinkel. Sein längliches Gesicht mit den tie-fen Mundfalten und grauen Augen wirkte düster.

Pierce hatte die rechte Hand auf dem Knie hegen. Sie konnte so jene fünf Zoll blitzartig überbrücken, die sie vom Kolben seines Fünfundvierzigers trennten. Pierce hielt die fünf Karten in der Linken. Er schien das Blatt zu studieren.

Rechts von ihm saß Fatty George auf einer Bank. Es gab kei-nen Stuhl oder Sessel, der das Gewicht des annähernd drei-hundert Pfund schweren Mannes getragen hätte. Fatty George sollte einmal Berufsspieler gewesen sein, ehe er mit dem Han-del begonnen hatte. Angeblich war die Freßlust Fatty George zum Verhängnis geworden. Ein Spieler mußte ungeheuer schnell und beweglich sein – etwas, was der Dicke nicht mehr war. Er hatte auch jetzt seine Blechdose vor sich stehen. In ihr befand sich original französisches Konfekt, das den langen Weg von New Orleans nach Mexiko nahm, um in Fattys Bauch zu wandern. Man sagte, er fräße am Tag zwei Pfund Konfekt.

Hinter dem fetten Mann, dessen Dreifachkinn gegen das Brustbein drückte, stand Rosita. Die Mexikanerin trug ein tief ausgeschnittenes Kleid. Ihre runden, vollen Brüste schienen bei jedem Atemzug aus dem Ausschnitt hüpfen zu wollen.

Rosita war mittelgroß, rundlich an jeder Körperstelle und schwarzhaarig wie die meisten Frauen in Sonoyta. Fatty liebte nur rundliche Girls mit barocken Formen. Er hielt die schwe-ren Lider halb geschlossen. Anscheinend fühlte er sich pudel-

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wohl, denn Rosita kraulte ihm den Nacken. Der dritte Mann am Tisch war Jaime Morroso. Morroso klei-

dete sich wie ein Caballero. Sein dunkler Granden-Anzug war reich bestickt. Er war schlank, schwarzhaarig und trug sein Haar immer geölt. Von hinten sah er wirklich wie ein Grande aus. Allerdings nur von hinten. Wer ihm ins Gesicht blickte, sah kalte dunkle Augen, einen schmalen, verkniffenen Mund und eine von einem Messerhieb zweigeteilte linke Wange. Morroso, der Sohn jenes Mannes, der Mike Stewart ein lahmes Bein beschert hatte, hatte einen Beinamen. Man nannte ihn »El diablo del Sierra«. Dieser »Teufel der Sierra« sollte einmal zwei seiner Feinde gefangen, mit den Beinen an einen Baum gebun-den und sie dann gesteinigt haben. Ob das stimmte, wußte niemand. Aber eine derartige Teufelei war Morroso zuzutrau-en. Er trug einen Colt in dem Halfter, hatte aber in der Schärpe noch eine silberbeschlagene Pistole und ein Messer stecken.

Der vierte Stuhl war frei – und Stewart war sicher, daß Tim-pie Bennet dort gesessen hatte. Timpie Bennet war der zweite Mann hinter Pierce in dessen Bande, ein schlanker blonder Bursche mit nur einem Gesichtsfehler – er hatte Pferdezähne und schien ständig zu grinsen. Dieses angeborene Grinsen hat-te ein Dutzend Männer an Bennets Freundlichkeit glauben las-sen. Heute fiel niemand mehr auf das Grinsen herein. Bennet war ein eiskalter, schneller Schütze und trug immer zwei Re-volver.

»Die ganze Sippschaft, was?« murmelte Stewart. Sein Blick wanderte nach links zum Tresen. Die gemauerte Mittelsäule, auf der die Decke des Raumes ruhte, versperrte Javeline Ste-wart die Sicht auf Steve Hall. Hall stand an der linken Ecke des Tresens. Er hatte eine Flasche vor sich. Nur seine Hand war zu sehen, die unablässig das Glas drehte.

Stewart hörte Schritte, glitt von der Mauer und duckte sich.

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Er stand nun im Hof, einem Riesenhof, denn Cuveras Saloon war eigentlich nur das Nebengebäude des einzigen Hotels in Sonoyta. Der dreistöckige und damit höchste Bau der Grenz-stadt war durch einen Gang mit dem Saloon verbunden. Ste-wart sah vor dem Stall, in dem Licht brannte und ein Mann vor sich hin pfiff, zwei Buggys stehen. Der eine Wagen gehörte Fatty George, der andere, dessen Räder auch gelbe Speichen, aber schwarze Felgen und einen schwarz-gelb-gestrichenen Kasten hatte, war Stewart auch nicht unbekannt. Er gehörte Ti-mothys Douran, dem südwestlichen Nachbarn der Stewarts. Douran war also in der Stadt.

»Der alte Narr hat mir gerade noch gefehlt!« brummte Javeli-ne finster. »Jetzt müßte noch sein Bruder Arnos hier sein, dann wären alle Schurken dieses Landes versammelt, was?«

Stewart ging leise los. Er sah niemand – der Mann im Stall sang nun –, und dann erreichte Javeline die Hintertür des Salo-ons. Er trat in den erleuchteten Flur, lockerte den Revolver und blieb einen Moment an der ersten Tür rechter Hand stehen. Es war die einzige Tür, durch die man in diesem Flur und dann durch den Gang ins Hotel kommen konnte.

Javeline zog sie auf. Seine Hand hing bereits über dem Kol-ben seines Revolvers, als er mit einem langen Schritt in den Sa-loon trat. Javelins erster Blick flog über einige Mexikaner hin-weg. Er sah den Tresen und fuhr zusammen.

Hall hatte seinen Platz verlassen. Die Flasche stand nicht mehr auf dem Tresen, auch das Glas war verschwunden. Lin-ker Hand saßen drei Musiker auf einem knöchelhohen Podi-um. Während Javelins Blick nach links huschte, hörte er das Klirren der Glasperlenschnüre und drehte sich um.

Der erste Mann, den Stewart an jenem Glasperlenvorhang sah, war Timpie Bennet. Der schlanke blonde Bandit kam gera-de durch die Tür herein und wollte an jemandem vorbeigehen,

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der ihm Platz machte. Es war Steve Hall. Timpie Bennet entdeckte Stewart im gleichen Augenblick,

und der Mann mit den Pferdezähnen reagierte im Bruchteil ei-ner Sekunde. Bennet wirbelte herum. Ob er etwas sagte, war wegen der Musik nicht zu hören. Bennet fegte zur Seite und sprang schnell aus der Tür.

Steve Hall hatte, um Bennet auszuweichen, einen Schritt zur Seite gemacht. Jetzt flog sein Kopf jäh herum.

Verdammt, dachte Javeline verstört, Bennet hat doch etwas zu ihm gesagt!

Zu einem weiteren Gedanken kam Stewart nicht mehr. Hall sah ihn, duckte sich und riß, ehe er an die Wand neben der Tür sprang, den Colt heraus.

»Laß fallen!« schrie Javeline Stewart scharf. Seine Stimme peitschte über das Lärmen der Männer, das Lachen der Mäd-chen an den anderen Tischen und das Getöse der Musik hin-weg. »Hall, weg mit dem Colt!«

Hall handelte im Bruchteil eines Augenblicks. Seine Hand fuhr in die Höhe, während er sich abstieß. Er wollte feuernd aus der Tür.

In die entsetzten Schreie der Musiker hinein, die Halls Colt auf sich gerichtet sahen, ehe Hall ihn weit genug herum hatte, kam das berstende Klirren einer zerplatzenden Flasche. Cuve-ra hatte Halls Flasche wegstellen wollen. Der kleine, wiesel-flinke Hotel- und Bodegabesitzer ließ die Flasche bei Javelines scharfem Ruf erschrocken fallen. Sie knallte auf die Kante des Weinfasses hinter dem Tresen und zerbrach.

Stewart sprang vorwärts, duckte sich tief und riß die Waffe heraus.

Er hatte die Waffe kaum hoch, als ein brüllender Krach jedes andere Geräusch im Saloon übertönte. Hall feuerte im Sprung. Die Kugel ging um Haaresbreite über Javelines linke Schulter

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und schlug dröhnend in die Tür. Als Hall den Colt senkte, ließ Stewart sich fallen. Er schoß, indem er auf die Dielen fiel.

Gleichzeitig brüllte Halls Revolver noch einmal auf. Die zweite Kugel des Mörders knallte in die Decke. Javeline

Stewart schnellte in die Höhe, den rauchenden Colt in der Faust. Er hatte den Daumen auf dem Hammer und blieb ge-duckt stehen, als er Hall nach hinten taumeln sah.

Auf Steve Halls grauem Hemd breitete sich ein Blutfleck aus. Hall ließ den Colt fallen, er prallte gegen den Türbalken. Sein Gesicht war verzerrt, während er vom Türbalken nach vorn stolperte. Nach irgendeinem Halt suchend, griff der Bandit jetzt in die Glasperlenschnüre. Seine Finger schlossen sich, er schwankte hin und her, drehte sich plötzlich und stolperte los. Schon glaubte Javeline, daß Hall aus der Tür torkeln würde, als Halls Knie nachgaben. Der hagere Mann neigte sich nach vorn und fiel dann wie ein gefällter Baum auf die Dielen. Er blieb mitten in der Tür liegen. Sein Kopf war auf dem Vorbau, und seine Beine schlugen noch einen Moment gegen die Die-len des Saloons. Dann lag er still.

Javeline richtete sich langsam zu seiner vollen Größe auf. Sein Revolver zeigte noch auf die Tür. Im Saloon herrschte To-tenstille. Pierce hatte sich zurückgelehnt und die Lider halb geschlossen. Marrosos Kopf war herumgeflogen. Er hatte die rechte Hand gesenkt. Javeline konnte nicht sehen, wohin sie geglitten war, doch er war sicher, daß sie nun den Revolver umklammerte.

Fatty George hockte wie ein dicker, aufgeblasener Ochsen-frosch auf seiner Bank. Rosita, seine Freundin, die seinen Store in Sonoyta führte und sein Bett teilte, war an die Wand zu-rückgewichen. Sie hielt beide Hände vor den vollen Mund und sah Javeline aus kugelrunden braunen Augen entsetzt an. Fat-ty hielt den Mund offen, so daß die Fliegen mühelos in seinen

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Magen sausen konnten. »Bennet!« sagte Javeline kühl. Seine Stimme klang so ruhig,

als wäre nichts passiert. »Bennet, komm herein. Du hättest ihn nicht warnen sollen.«

»Yeah«, antwortete Timpie Bennet. Er streckte vorsichtig den Kopf um die Türkante und lugte in den Raum. »Sicher lebte er noch – nur würde es für dich nicht ganz leicht geworden sein, ihn nach drüben zu bringen.« Er grinste jetzt tatsächlich, stieg mit einem langen Schritt über den Toten und schüttelte den Kopf.

Javeline gab ihm keine Antwort. Er begriff, warum Bennet Hall gewarnt hatte. Bennet hatte Hall zur Gegenwehr bringen wollen. Er mußte sicher gewesen sein, daß Javeline Hall töten würde. Somit bestand dann keine Gefahr mehr, daß Hall von Javeline über die Grenze geschafft wurde, denn dort hätte Hall vielleicht geredet und einige Dinge über Pierce und dessen Freunde erzählt.

Jedes Problem für Pierce und dessen Freunde hatte sich mit Halls Tod erledigt.

»Timpie, laß das!« sagte Pierce leise. Er hatte eine hohe, sin-gende Stimme. »Komm her und setz dich hin, verstanden?«

Bennet sah sich um, zuckte die Achseln und ging schleppend los. Javeline folgte ihm, beobachtet von Morroso und Pierce, während Fatty George auf die Tischplatte starrte.

»Ist noch etwas, Stewart?« erkundigte sich Pierce mürrisch. »Wir spielen hier, mein Freund.«

»Das sehe ich«, erwiderte Javeline kühl. »Pierce, ich will Fat-ty nur etwas sagen.«

Pierce nickte. Er warf Fatty einen Blick zu, als hätte er einen Narren vor sich, den er verachtete. Fatty George sah nun hoch.

»Fatty«, sagte Javeline träge. »Du könntest Rositas Bruder nach Sierra Cubabi schicken. In deiner Küche steht der

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Schrank auf der Kellerluke. Auf die Dauer dürfte es für Juan zu kalt im Keller werden, fürchte ich. Das Pferd habe ich mit-genommen – alles in Ordnung?«

Fattys schwere Lider zuckten. Der fette Mann sperrte seinen breiten Mund auf, öffnete die Bleichdose und schob sich ein Stück Konfekt in seinen unersättlichen Hals. Nachdem er einen Augenblick kräftig und laut geschmatzt hatte, nickte er schwerfällig.

»Soso, Juan sitzt im Keller?« fragte er und schüttelte den Kopf, wobei sein Hängekinn schwabbelte. »Was tat er dir, Ste-wart?«

»Oh, er wollte nur sein Messer gut unterbringen«, erwiderte Javeline gleichmütig. »Danach hatte er Angst, skalpiert zu werden. Er sagte mir nichts, was ich nicht auch gefunden hät-te, verstehst du, Fatty?«

»Ja«, sagte Fatty mürrisch. Er wußte, daß sein Mann keine Chance gehabt und geredet hatte. »Sicher hättest du Hall ge-funden, sicher doch. Und das alles wegen eines Pferdes?«

»Nicht ganz«, gab Javeline zurück. Er sah Pierce kurz an. »Hall brachte Larry Stone um, damit er das Pferd bekam. Da-von hat er sicher nichts erzählt.«

»Verfluchte Schweinerei!« keuchte Fatty und wurde blaß. »Das wußte ich nicht, Stewart. Damit habe ich nichts zu tun.«

»Ich weiß, ich weiß«, nickte Javeline. Er wendete sich um und ging zum Tresen. Hinter ihm sagte Pierce etwas, aber er sprach so leise, daß es im einsetzenden Lärm nicht zu verste-hen war.

Javeline trat an den Tresen. Er sah sich nicht nach der Men-schentraube um, die sich nun um den Toten bildete. Was am Kleiderhaken neben der Tür hing, hatte Javeline schon längst gesehen.

»Mister Stewart?« fragte Cuvera vorsichtig. »Einen Drink?

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Ich lasse ihn wegschaffen. Meine Leute besorgen das schon.« Er blickte kurz zu Hall und griff nach einer Flasche. »Keinen Drink«, antwortete Javeline sanft. »Cuvera, am Ha-

ken dort hängt ein Hut. Wo ist der Mann dazu?« Cuvera starrte zu dem Kleiderhaken und schluckte einmal

heftig. »Vielleicht bei Ihrem Transportboß Loan in der Station?« murmelte er zaghaft.

Javeline schwieg. Er sah den kleinen Mann nur durchboh-rend an. Den Stewarts gehörte die Frachtstation in Sonoyta. Sie war ihnen wie eine Menge Land in Mexiko durch Erbschaft zugefallen, als Mike Stewarts zweite Frau starb, deren Vater Mexikaner gewesen war. Ihm hatten eine Frachtlinie und eine Hacienda gehört – und Mike Stewarts zweite Frau, Torrys Mutter, war sein einziges Kind gewesen. Seitdem fuhren sech-zehn Männer von Gila Bend bis nach Puerto Penasco am Golf von Kalifornien. Die meisten Männer waren Mexikaner, nur die Stationsleiter stammten aus den Staaten. Loan leitete die Station in Sonoyta – er hatte den Schecken und die Stute Javeli-nes in den Corral gebracht. Dort stand auch Torrys Pferd. Nur Tony war nicht da – und wo er war, wußte Loan auch nicht.

»Nun?« fragte Javeline noch einmal. »Wo ist der Mann?« »Äh – drüben«, flüsterte Cuvera verstohlen. »Mister Stewart,

er hat das Zimmer bezahlt. Nummer sechs, erster Stock.« Javelines Augenbrauen hoben sich eine Sekunde. Er kannte

das schon. Tony war dreiundzwanzig Jahre alt und konnte tun, was er wollte. Wenn er sich ein Zimmer im Hotel genom-men hatte, gab es nur eine Erklärung – er hatte ein Mädchen.

»So?« murmelte Javeline. »Nun gut. Cuvera, wer?« »Ich – ich weiß nicht, ich habe keine Ahnung«, versicherte

Cuvera. An der Grenze hielt sich alles auf, manchmal Banditen wie hier im Saloon, manchmal Mädchen aus den Staaten, die irgendeinem Burschen nach Mexiko gefolgt waren. Es gab Pro-

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stituierte, im Stich gelassene, gutgläubige Girls und sogar Ehe-frauen, die ihren Männern davongelaufen waren. An der Grenze fragte niemand, woher sie kamen und wohin sie gin-gen.

»Hm!« machte Javeline. Er nickte Cuvera zu, verließ den Sa-loon und stieg eine Minute darauf die Treppe zum ersten Stock des Hotels empor.

*

Torry wich an den Tisch zurück. Er war in die Hose gefahren und machte ein bissiges Gesicht.

»Das ist verdammt keine Art!« schnaufte Torry wütend. Er fuhr sich durch sein zerwühltes Haar. Seine braunen Augen waren voller Zorn. Torry war das Bild eines Mannes, schlank, muskulös und so prächtig aussehend, daß ihm die Girls nachsahen, wenn er durch Gila Bend oder eine andere Stadt ritt. Er hatte eine Menge Chancen – und er nutzte sie, wo er konnte. »Zum Teufel, du hättest die Tür wirklich eingetreten, was?«

»Sicher«, erwiderte Javeline träge. »Wenn ich sage, daß du aufmachen sollst, machst du es, verstanden? Los, zieh dich an, beeil dich! Dad hat gesagt, ich soll sehen, ob ich dich zufällig irgendwo fände. Du sollst dich um die Lieferungen nach Gila Bend kümmern.«

»Waaas – stinkende Fische?« protestierte Torry und verzog den Mund. »Salzfisch aus Puerto Penasco – das fehlt mir noch! Was war das für eine Schießerei?«

»Weiter nichts, ich habe Steve Hall erschossen.« Im Schrank ertönte ein leiser Schrei, dann polterte es – es gab

noch einen Schrei, und die Tür flog auf. Torry fuhr wie von der Tarantel gebissen herum und erstarrte. Aus der Tür fiel je-

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mand auf den Läufer vor dem Schrank. Javeline erinnerte sich an das Bild eines Mädchens, das

nackend auf einem Bärenfell gelegen hatte. Das Mädchen hier raffte den kleinen Läufer mit dem nächsten leisen Schrei zu-sammen. Dann wendete sich die Kleine zwar nicht ab – ver-suchte nur verzweifelt den Kopf so weit wegzudrehen, daß Ja-veline nichts von ihrem Gesicht sehen konnte.

»Oh, mein Gott, oh, mein Gott!« »Raus, raus!« keuchte Torry verstört, indem er vor das Girl

sprang und versuchte, es zu verdecken. »Raus mit dir, Javeli-ne. Du verdammter Narr, dreh dich um!«

Das Girl war blond, vollschlank und konnte mit dem kleinen Läufer weder die große, feste Brust noch alles, was unterhalb der Hüften lag, bedecken. Der Läufer wanderte dauernd hin und her. Das Girl wich zurück, stolperte dann jedoch über achtlos zu Boden geworfene Schnürstiefeletten und fiel mit dem vierten Schrei um.

In der nächsten Sekunde wurde Javeline bleich, denn nun sah er das Gesicht. Es war kein Girl – es war eine Frau.

Sie blieb wie gelähmt liegen, während Torry herumfuhr und erstarrte. Dem sonst redegewandten Tony Stewart schien der Anblick die Sprache zu verschlagen.

»So ist das?« sagte Javeline. »Der Wagen unten im Hof! Und ich Narr dachte, es wäre Timothy. Mrs. Douran, stehen Sie auf!«

Wenn Javeline alles erwartet hatte, das niemals. Obgleich er wußte, daß Timothy Douran ein Nan war, weil er eine um dreißig Jahre jüngere Frau geheiratet hatte – er hatte nie daran gedacht, sie in Torrys Zimmer zu finden. Brenda Douran war nur knapp zwei Jahre verheiratet. Sie stammte aus San Diego in Kalifornien. Tim Douran hatte sie dort kennengelernt, als er eine Reise an den Pazifik machte. Er war schon einmal kinder-

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los verheiratet gewesen und neun Jahre Witwer geblieben. »Du verdammter Idiot!« fauchte Torry voller Grimm. »Hätte

ich doch nicht aufgemacht! Brenda, konntest du nicht stillste-hen?«

»Wenn du noch mal Idiot zu mir sagst, haue ich dir den Ver-stand aus dem Schädel!« zischte Javeline. »Gut, ich habe nichts gesehen, ich will nichts gesehen haben, ich weiß nichts. Aber bring Mrs. Douran hinaus, schnell!«

Er trat zum Fenster, sah auf die Straße und fuhr im nächsten Moment herum.

»Großer Gott, da unten kommt Ihr Mann!« keuchte Javeline entsetzt. »Er hält mit seinem Bruder vor dem Hotel und steigt gerade ab. Hinaus, schnell! Ihre Sachen, Madam, vergessen Sie nichts.«

»Mein… Allmächtiger!« stöhnte Brenda Douran. Sie raffte ihre Wäsche zusammen, schien vergessen zu haben, daß sie nichts am Leib hatte, und lief aus der Tür.

Javeline sah, daß sie im gegenüberliegenden Zimmer ver-schwand. Torry rannte ihr mit ihren Strümpfen nach und kam kreidebleich zurück.

»Mein Gott, Javeline, hilf mir – halte Douran auf!« stöhnte Torry. »Der Kerl muß irgend etwas geahnt haben. Wenn er er-fährt, daß ich hier ein Zimmer hatte ist die Hölle los. Javeline, was machen wir?«

»Wir?« knirschte Javeline wütend. »Ich sollte dich Hunde-sohn deinem Schicksal überlassen. Zieh dich an, Mensch – und dann tue, was ich dir in den Mund lege, sonst holt dich der Teufel!«

Er hatte kaum das Zimmer verlassen, als er unten an der Treppe Cuvera sagen hörte: »Aber – sie schläft wahrscheinlich, Mister Douran. Sie hatte noch am Abend Besuch von der Schneiderin. Sicher schläft sie bereits.«

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»Mann, halten Sie mich nicht auf!« knurrte eine tiefe, rauhe Stimme im Flur. »Gehen Sie mir aus dem Weg. Das sieht ja aus, als wollten Sie mich nicht hinauflassen.«

»Aber, da oben ist – da oben…« Der verdammte Kerl hat es also auch gewußt, dachte Javeline

grimmig. Wie oft mag sich Torry, der Halunke, mit der Frau getroffen haben? Torry ist wohl die Schneiderin, was? Hölle und Pest!

»Hier oben bin ich«, sagte Javeline scharf. Er trat an die Trep-pe und richtete seinen Colt auf die Stufen. »Bleiben Sie unten, Douran. Vorsicht, Leute! Cuvera, in dem Zimmer ist nichts zu finden. Es sieht aus, als wäre jemand vor zwei Minuten hin-ausgerannt und hätte alles in wilder Unordnung zurückgelas-sen. Sind Sie sicher, daß Hall hier mit noch einem Kerl wohnte? Der Bursche hat sich vielleicht in einem der anderen Zimmer versteckt! Bleiben Sie alle unten! Wenn der Bursche uns sieht, schießt er todsicher.«

Cuvera starrte ihn genauso verstört an wie die beiden Dour-ans. Timothy Douran war ein großer grauhaariger Mann mit einem Knebelbart. Sein Bruder Arnos war etwas kleiner. Er trug einen rötlichen Schnurrbart, sein Haupthaar war eisgrau, und er starrte aus verkniffenen Augen zu Javeline empor.

»Cuvera, seit wann lassen Sie Pferdediebe hier wohnen?« fragte Javeline, als der Mexikaner den Mund aufsperrte und nach Luft schnappte. »Wie sah der andere Kerl aus, he? War er bestimmt groß und breit?«

»Groß… und breit«, stotterte Cuvera. »Ja – ja, das war er, be-stimmt. Was denn, er ist nicht mehr da?«

»Nein«, antwortete Javeline bissig. »Verschwunden, als sei er nie dort gewesen. Torry, mach nicht noch mehr Unordnung, hörst du?«

»Dein Bruder ist da oben, he, Stewart?« erkundigte sich Tim

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Douran polternd. »Was macht er dort?« »Was, zum Teufel, soll er machen?« knurrte Javeline. »Er

durchsucht das Zimmer nach irgendwelchen Aufzeichnungen Halls. Vielleicht finden wir etwas, was uns auf die Spur der an-deren Halunken bringt. Irgendwo müssen unsere verschwun-denen Mavericks und Pferde schließlich geblieben sein. Wir sind nicht umsonst zwei Tage hinter den Burschen her. Hall hat uns einen Gaul gestohlen und Larry Stone erschossen – oder wissen Sie das nicht, Douran?«

»Was – Torry ist zwei Tage mit dir unterwegs gewesen?« fragte Douran. »He, soll da noch ein Bandit stecken? Er wird doch nicht im Zimmer meiner Frau sein?«

»Welches Zimmer?« tat Javeline erstaunt. »Ihre Frau, Dou-ran, sie ist hier?«

»Ja, in Nummer sieben, Mensch!« grollte Douran. »Mein Gott, wenn der Kerl sich in die Enge getrieben fühlt, wird er sie vielleicht als Geisel benutzen. Stewart, ich komme hinauf!«

»Bleiben Sie unten!« befahl Javeline schroff. »Sie gehen im-mer mit dem Kopf durch die Wand. Wenn der Kerl sich dort versteckt haben sollte, schießt er vielleicht um sich. Zurück, Mann, ich will den Halunken lebend und nicht tot. – Torry, Mrs. Douran soll in Zimmer sieben sein. Bist du fertig? Dann klopfe an die Tür.«

»Fertig«, meldete Torry im nächsten Moment. »Javeline, das Fenster ist nur angedrückt! Der Halunke ist aus dem Fenster gesprungen, wette ich.«

Er kam in den Gang, klopfte an die Tür gegenüber und be-kam Antwort. Brenda Douran sah aus der Tür und fragte ängstlich, was denn los sei.

»Nichts mehr, hoffe ich, Madam«, entschuldigte sich Torry grinsend. »Ich hoffe, der Lärm hat Sie nicht zu sehr gestört.«

Er machte kehrt, schloß die Tür von seinem Zimmer ab und

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spazierte mit verkniffenem Gesicht die Treppe hinab. Die beiden Dourans blickten ihnen nach, als sie mit Cuvera

den Flur verließen. Cuvera war immer noch blaß, während Torry breit grinste. Er warf ihm den Schlüssel zu.

»Danke, mein Freund«, sagte er. »Jetzt wird der alte Narr be-ruhigt sein, was? – Das hast du prächtig gemacht, Javeline.«

Javeline schwieg, bis sie im Hof waren. Dann holte er blitz-schnell aus. Sein linker Unterarm knallte Torry in den Rücken, sein rechtes Bein fuhr herum. Torry krachte in den Hof und blieb stöhnend liegen.

»Die Schneiderin, was?« zischte Javeline voller Zorn. »In Ordnung, das war das letzte Mal, du Lump! Dad hat noch nie mit den Dourans auskommen können, daran hast du nicht ge-dacht, als du den Spaß anfingst, was? Ich habe dauernd für dich Windhund lügen müssen. Noch mal vertusche ich nichts, keine Weibergeschichte und keine Faulheit, das verspreche ich dir!

Was meinst du, was die Dourans losgelassen hätten, wenn sie dich mit Tims Frau in einem Bett gefunden hätten? Du machst nichts als Ärger, du verdammter Affe. Steh auf, wir rei-ten nach Hause!«

Tony erhob sich stöhnend. »Schlage mich nicht wieder!« knirschte er. »Mich umhauen, verdammt noch mal! Was glaubst du denn, was mit Brenda los war, ehe sie heiratete? Die anständige Mrs. Douran – daß ich nicht lache, Mann! Um die Dourans mach du dir nur keine Sorgen, Bruder. Sie wollte es so haben. Warum hätte ich nein sagen sollen, kannst du mir das verraten? Das ist genau wie mit Mabel Douran, der Toch-ter des alten Amos. Wenn ich sie haben wollte, könnte ich sie morgen bekommen, klar?«

»Mabel Douran, bist du verrückt?« entfuhr es Javeline. »Amos Douran brächte dich eher um, als dir seine Tochter zu

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geben. Ausgerechnet Mabel! Für die ihm kein Mann gut genug ist. Was war Brenda denn früher?«

»Bedienung in einem Hafensaloon von San Diego«, lachte Torry spöttisch. »Bei einer Tante, sagt sie. Ich sage dir, sie hat da ganz andere Dinge gemacht. Meinst du, ich bekäme Mabel nicht? Was wollen wir wetten, die steigt genauso zu mir ins…«

»Jetzt reicht es!« knurrte Javeline scharf. »Los, ab mit dir, Va-ter wartet. Ich hoffe, du hast auch noch mal für die Ranch und die Frachtlinie Interesse und nicht nur für Frauen anderer Männer.«

*

Javeline fühlte, wie die Wut in ihm hochkroch. Er machte aber sein übliches gleichmütiges Gesicht. Die drei Fahrer der Trans-portwagen vor der Midway-Station auf halbem Weg nach Gila Bend standen im Schatten der Wagen und blickten zu ihm hoch.

Salvado, ein mexikanischer Fahrer, der die Kolonne führte, zuckte die Achseln.

»Er ist nicht gekommen, Mister Steward«, sagte er in seinem harten, rollenden Amerikanisch. »Er hat gesagt, wir sollten warten – ja, hat er gesagt. Stimmt es, Sancho?«

Sancho, ein magerer Mann mit einer Riesennase und abste-henden Ohren, nickte heftig. »Er hat gesagt, wir warten«, rade-brechte er und sah nach Norden. »Mister Tony gesagt, er bringt Papiere und Geld.«

»Hat er gesagt?« murmelte Javeline gleichmütig. Er blickte kurz nach Norden, sah aber keinen Reiter. Auch auf dem Ab-zweig nach Aztec, wohin die Wagen fahren sollten, zeigte sich keine Staubfahne. Dabei war Torry seit zwei Stunden überfäl-lig. Er hatte den Fahrern den Lohn und die Ladepapiere für

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Aztec bringen sollen. Nach ihren Worten hatte er sie am Mor-gen überholt und ihnen gesagt, daß sie an der Midway-Station warten sollten.

»Also gut, fahrt die Wagen in den Schatten«, sagte Javeline kurz. »Ich kümmere mich darum.«

Er warf noch einen Blick auf die Fässer mit eingesalzenem Fisch und zog dann sein Pferd herum. Erst als er außer Hör-weite der Männer war, knurrte er grimmig: »Wenn der ver-dammte Lümmel in einem Saloon versackt ist, binde ich ihn liegend auf den Gaul, dann soll er den Whisky beim Reiten ausspucken! Verdammt noch mal, was hat er sich gedacht?«

Es dauerte keine Viertelstunde, dann wußte Javeline, warum Torry nicht zu den Wagen gekommen war. An den Ausläufern der Sauceda-Berge kam ihm Charlie Ripples entgegen. Der junge Stationsgehilfe des Stewart-Frachtlagers in Gila Bend saß auf einem Maulesel.

»Hallo, Charlie«, brummte Javeline, als der Junge sein Maul-tier anhielt. »Schickt mein Bruder dich zu den Wagen?«

Der Junge nickte heftig. Er zog zwei Umschläge aus dem Hemd. »Ja, Sir«, antwortete er und machte ein Gesicht, als hät-te er die wichtigste Aufgabe seines Lebens zu erfüllen. »Ich soll das zu Salvado bringen.«

»Und wo ist mein Bruder, Charlie?« »Ich weiß nicht, Sir«, erwiderte Charlie. »Er sagte, er hätte

eine wichtige Verabredung, kaufte ein grünes Halstuch und ritt in Richtung Okie Well davon.«

»Wann?« »Vor anderthalb Stunden, Mister Stewart.« »So? Ein grünes Halstuch – grün?« »Ja, Sir, grün.« Javeline Stewart sah zur Seite. Wenn Torry in Richtung Okie

Well geritten war und ein grünes Halstuch gekauft hatte, dann

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hatte Torry den Weg zu Amos Dourans Ranch eingeschlagen. Die Hölle, dachte Javeline erschrocken, was stellt Torry jetzt

wieder an? Ein grünes Halstuch? Du großer Geist, Mabel Dou-ran hat rotes Haar. Zu ihrem Haar würde ein grünes Tuch pas-sen. Was hat Torry in den vier Tagen angestellt, die er nun in Gila Bend war?

»Charlie, war jemand von der Douran-Ranch in der Stadt?« Der Junge überlegte einen Moment. »Nein«, sagte er dann.

»Kein Reiter, nur Miß Douran.« »Und wann, Charlie?« »Vorgestern, Mister Stewart.« Also doch, dachte Javeline wütend. Ein grünes Halstuch für

Arnos Dourans rothaarige Tochter. Du Halunke, dir werde ich! »Gut, Charlie. Gib die beiden Umschläge Salvado. Verlier sie

nicht, Junge.« Javeline ritt sofort an. Als er sich nach zweihundert Schritten

umsah, bemühte sich Charlie immer noch, das Maultier in Be-wegung zu bringen.

»Schickt Charlie auf einem Maulesel los«, fluchte Javeline bit-ter. »Kein Wunder, daß der Junge zwei Stunden braucht, wenn das bockende Ungeheuer nicht laufen will. Warte, Bruder! Hoffen wir, daß der alte Amos dich nicht auf seinem Land sieht – dazu noch mit seiner Tochter! Der Alte gießt Feuer über deinen Schädel aus!«

Javeline ritt schnell in Richtung Okie Well. Die Unruhe in ihm steigerte sich.

*

Torry Steward fühlte, wie ihm das Blut zu Kopf stieg, als Ma-bel Douran sich zurücklehnte und sich ihre knapp sitzende Bluse über dem strafffen, spitzen Busen spannte. Mabel Dou-

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ran schüttelte ihr flammend rotes Haar. Ihre grüngrauen Au-gen blitzten verführerisch, während der lange, geteilte Reit-rock auseinanderklaffte und Torry den Blick auf ihre langen, schlanken Beine richten konnte.

Alle Teufel, dachte Tony, während sein Pulsschlag sich ra-send schnell erhöhte – welcher Narr hat denn gesagt, Mabel wäre kalt wie ein Eisblock? Das Girl hat eine Figur, was? Und die Brust – oh, verdammt, hat die da zwei…

Er stand auf, wollte zu ihr und hörte ihr leises, spöttisches Lachen.

»Versuche es nicht wieder, Torry« sagte sie kehlig und warf den Kopf zurück. »Torry, ich mag dich, aber – angefaßt wird nicht. Bleib da, sage ich! Wer mich haben will, muß es ernst meinen.«

»Ich meine es ernst«, beteuerte Torry und starrte auf den obersten Knopf ihrer Bluse. »Mabel, stell dich nicht so an – was ist denn dabei?«

»Eine ganze Menge«, erwiderte Mabel kichernd. »Torry, ich könnte nicht für mich garantieren – und darum will ich es nicht, verstehst du?«

»Nun, wenigstens einen Kuß«, lechzte Torry. »Auch den nicht«, wehrte Mabel Douran lachend ab. »Torry,

du bist ein schlimmer Bursche, sagt man. Aus einem Kuß wird immer mehr. Und dann ist es passiert. Dein Vater würde es nicht zulassen.«

»Warum nicht?« keuchte Torry. »Na, wenn schon – was sollte er gegen dich haben? Sicher, er hatte Ärger mit deinem Vater, aber geht uns das etwas an? Mabel, komm…«

Sie rutschte höher auf den Felsblock und schüttelte den Kopf. »Wenn wir verlobt sind«, lächelte sie. »Torry, mit mir spielst

du nicht.« »Verlobt?« stotterte Torry ernüchtert. »Mabel, damit dürftest

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du deinem Vater nicht kommen.« »Denkst du«, sagte sie lockend. »Ich habe neulich mit ihm

darüber geredet.« »Über uns?« erschrak Torry. »Nicht gerade, aber so allgemein«, murmelte sie. »Er meinte,

ich wäre eigentlich alt genug, um zu heiraten, und ich sagte, es gäbe niemanden, in der Nachbarschaft, der zu mir passen würde. Weißt du, wen er auch unter die Anwärter um die Hand seiner Tochter einreihte? Dich, Torry!«

»Nicht möglich!« stotterte Torry. »Heiraten? Äh, muß das sein?«

»Wenn du mich haben willst, kommst du nicht daran vorbei«, gab sie kühl zurück. »Du wirst alles haben, aber nicht heiraten, wie? Torry Stewart, du bist ein schlimmer Bursche. – Tony, laß das!«

Er sprang auf sie los, bekam sie auch zu packen und riß sie vom Felsblock herab. Einen Moment konnte er sie umschlin-gen. Es gelang ihm, sie zu küssen. Dann aber gab sie ihm einen Stoß. Torry taumelte zurück, rutschte auf den Steinen am Hang aus und stürzte der Länge nach hin. Ehe er sich aufraf-fen konnte, saß sie im Sattel ihres Pferdes.

»Oh, du hinterlistiger Bursche«, keuchte Mabel, aber ihr Zorn war nur gespielt. »Das machst du nie wieder. Bleib nur sitzen, ich reite allein zurück.«

Sie gab dem Pferd die Sporen, das Tier fegte davon, und Tor-ry blickte ihr voller Verlangen nach. Er hätte ihr folgen kön-nen, hätte dann aber auf das Land ihres Vaters gemußt.

»Heiliger Rauch – verloben, heiraten, was?« ächzte Torry be-drückt.

»Ein verdammt hoher Preis, aber ich muß sie haben. Ah, es sieht aus, als wäre der alte Amos Douran damit einverstanden. Sollte er darum seit Wochen so freundlich zu mir sein? Hat sie

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ihm doch etwas gesagt?« Torry stand auf, ging zu seinem Pferd und stieg auf. Als er

anritt, nahm er den Weg zum Reitpfad, der über die Nordspit-ze der Growler-Berge führte. Oben hielt er an, zog sein Glas und sah ihr nach.

Mabel Douran war im Quertal zur Nordweide der Dourans verschwunden. Dort grasten jetzt keine Rinder, die Weidehütte lag verlassen im Talhang. Einige Minuten später tauchte Mabel im Tal auf. Gleichzeitig aber erschien ein Reiter hinter der Hüt-te, und Torry Steward fuhr zusammen. Der Mann ritt aus dem Schatten der Hütte ins helle Sonnenlicht. Es war Ed Harris, der Vormann Amos Dourans.

»Das sieht ja aus, als hätte der Bursche auf Mabel gewartet«, schnaufte Torry bestürzt. »He, was wird das?«

Harris, ein großer, sehniger Mann von etwa dreißig Jahren, trieb sein Pferd jetzt an. Als er vor Mabel hielt, fiel Torry um ein Haar aus dem Sattel, denn Mabel warf Harris die Arme um den Hals.

»Wa – was?« stotterte Torry. »Die hängt sich an seinen Hals. Der Kerl küßt sie, er streichelt sie und… oh, verflucht, er reitet mit ihr zur Hütte. Jetzt sieht er sich um, sie gehen hinein. Die Hölle, ich soll sie heiraten und mit diesem dahergelaufenen Kuhtreiber…«

Torry Stewart packte eine so wilde Wut, daß er laut losfluch-te. Einen Moment später wußte er, was er zu tun hatte. Ihn hatte noch kein Girl hereingelegt. Bis jetzt hatte Tony immer alles bekommen, was Girls zu vergeben hatten. Die spröde, ab-wehrende Mabel Douran hatte ihn an der Nase herumgeführt! Das sollte sie nicht umsonst getan haben!

*�

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Die wilde Erregung verließ Harris und machte einer dumpfen, gereizten und niedergeschlagenen Stimmung Platz. Während er sich anzog, warf er einen Blick auf Mabel Douran. Mabel saß auf der einen Pritsche und ordnete ihr verwirrtes rotes Haar.

Als sich ihre Blicke trafen, schloß sie langsam die unteren Knöpfe der Bluse, lehnte sich zurück und lächelte. Es war die-ses Lächeln, das er zugleich liebte und haßte, denn er wußte nicht, was sich hinter ihm verbarg. Manchmal hatte Harris das Gefühl, daß sie über ihn lächelte. Wenngleich er es Mabel ver-dankte, daß er Vormann bei Douran geworden war – er ahnte, daß er niemals Dourans Schwiegersohn werden konnte.

»Was hast du, Ed?« »Nichts«, sagte er dumpf. »Du wirst ihn heiraten, ich weiß

es!« Mabel sah ihn rätselhaft an. Sie sank zurück, ihre langen,

nackten Schenkel glänzten wie Samt in den Strahlen der durch das einzige Fenster fallenden Sonne.

»Vielleicht, Ed.« »Ich bringe ihn um!« schrie er los. Vor Haß und Wut begann

er zu zittern. Er zog die Gurtschnalle zu fest an und fluchte wild. »Der verdammte Strolch, wenn du ihn heiraten willst, wird er nicht lange genug leben, um eine Nacht mit dir zu ver-bringen. Ich weiß, was ich sage, verlaß dich darauf. Mit wem hat er es noch nicht getrieben, he? In Gila Bend mit drei ver-heirateten Frauen und einigen Girls – in Lukeville mit der Frau des dicken Storebesitzers – und deine Tante – was hat er mit der gemacht?«

Sie lachte leise und verschränkte die Arme unter dem Nacken. Das Lachen machte ihn noch rasender.

»Du kannst lachen? Hör auf!« brüllte Harris. »Du hast den Teufel im Blut! Ich schwöre dir, ich bringe euch beide um!

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Brenda hat er bestimmt gehabt – und nun will er dich haben. Pfui Teufel!« Er öffnete die Tür, trat hinaus und sah nur noch die Faust. Sie schoß um die Tür und traf mit solcher Wucht sein Gesicht, daß er glaubte, ihm wären die Lippen aufgeschla-gen und die Nase gebrochen.

*

Torrys erster Fausthieb schleuderte Harris bis an die Ecke der Hütte. Während Torry vorwärtssprang und seine sengende Wut wie ein Vulkan ausbrach, warf er noch einen Blick durch die Tür in die Hütte.

Mabel Douran war hochgefahren. Er sah ihre von der Bluse kaum verhüllte Nacktheit, aber in dieser Sekunde hätte sie sich ihm an den Hals werfen können – er hätte sie zurückgestoßen. Knurrend vor Wut warf sich Torry auf den zu Boden gestürz-ten Harris.

Harris hatte zum Colt gegriffen. Die Waffe flog aus dem Halfter, doch Torry trat aus dem Sprung voll zu. Sein Stiefel traf das Handgelenk des Vormannes. Der Colt wirbelte auf die steil abfallende Kante des Hanges neben der Hütte zu und ver-schwand in die Tiefe.

Harries stieß jetzt einen brüllenden, tierhaften Wutschrei aus, in der Hütte schrie Mabel Douran gellend. Torry Stewart brüll-te wie ein Stier. Er landete auf Harris, riß die Faust empor und schmetterte sie herab. Harris nahm den Kopf zur Seite, und Torrys Faust krachte gegen den harten Boden. Der Schmerz brachte Torry beinahe um, doch es gelang ihm, die Finger in die Haare von Harris zu krallen. Im gleichen Moment packte ihn Harris an den Hüften. Der Vormann ließ seinen Kopf nach oben zucken, und seine Stirn prallte auf Torry Stewarts Nase.

Es war ein Kampf, in dem sie ihre Wut, den Haß und die Lei-

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denschaft zweier um eine Frau ringender Männer austrugen. Es war ein bedingungsloses Aufeinanderlosschlagen mit je-dem Mittel und bei jeder Gelegenheit. Sie rollten eng um-schlungen, beide in ihrer Wut wie zwei Tiere brüllend, über den Boden.

Hinter ihnen gellten die Schreie Mabel Dourans durch das bis vor einer Minute friedliche Tal. Mabel stand einen Moment nackt bis auf die Bluse in der Hüttentür. Als sie erkannte, daß keiner der beiden Männer den anderen loslassen wollte, sah sie noch etwas – Torry und Harris rollten auf die steil abfallen-de Kante zu.

»Edward – Torry, halt – halt!« Mabels Schreie verhallten ungehört. Plötzlich spürte Torry,

wie der Boden unter ihm verschwand. In der nächsten Sekun-de fiel er, sich fest an Harris krallend, über die Kante.

Es war Harris, den die Drehung so herumbrachte, daß er mit dem Rücken zuerst aufprallte. Danach kollerten sie keine drei Schritte weit den steilen Hang herab. Torrys rechter Ellbogen knallte gegen irgendeinen Stein. Durch den Arm fuhr ein läh-mender Schmerz. Seine Finger öffneten sich, er mußte Harris loslassen und sauste, indem er sich rasend schnell überschlug, in die Tiefe.

Bei seiner Höllenfahrt abwärts verlor er jede Übersicht. Er bemühte sich, sein Gesicht zu schützen. Einmal glaubte er ein paar Felsblöcke zu sehen. Dann schoß er wie eine Granate durch Büsche. Als er liegenblieb, hörte er Harris' wildes Geflu-che und stemmte sich auf.

Im Herumfahren sah er den Hang und die herausragenden drei oder vier großen Felsbrocken. Harris hatte sich an den Brocken halten können. Er kauerte auf den Knien, eine Hand am Boden, die andere in der Luft – und in der Hand seinen Re-volver.

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Torry Stewart sah entsetzt, daß der Revolver an den Felsbro-cken liegengeblieben sein mußte. Harris hatte die Waffe, er hob die Faust, während Torry sich abstieß und in Deckung hechten wollte. Torry griff nach seinem Halfter. Im Sprung riß er seinen Colt heraus. Links neben ihm lagen dicke Steine, und er hörte, wie Harris vor Haß und Wut brüllte: »Hund, ich brin-ge dich um!«

Irgendwo hoch über ihnen erschien die schreiende Mabel Douran. Sie hatte sich nun wenigstens den Reitrock umgewor-fen, war jedoch barfuß und hatte immer noch die Bluse offen. Torry hatte jetzt keinen Blick für die Brüste, er riß den Colt hoch, als Harris schoß.

Das Brüllen des Schusses hallte durch das Tal. Die Kugel streifte Torrys rechten Oberarm. Der Schmerz war so heftig, daß Torry die Waffe fallen ließ. Sie blieb vor dem ersten Fels-block liegen, die zweite Kugel klatschte an den Stein, hinter dem Torry verschwand.

Entsetzt erkannte er, daß er nicht mehr an den Revolver kommen konnte. Am Hang begann das Geröll zu klickern und abwärtszurauschen. Harris kam – und er würde ihn töten.

Als er verzweifelt weiterrannte, stolperte er und schlug auf den Steinbrocken hin. Ehe er sich aufraffen konnte, erschien Harris am ersten Stein. Der Mann mußte wie ein wilder, blut-gieriger Tiger den Hang hinabgerast sein.

»Fahr zur Hölle, Stewart!« brüllte Harris. Er blieb stehen, zielte und blickte aus eiskalten Augen sein Opfer an.

»Ed, tue es nicht!« Der schrille Aufschrei Mabels ging im Krachen des Schusses

unter.

*

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Torry Stewart hatte die Augen geschlossen. Auf den Knien lie-gend erwartete er den Anprall der tödlichen Kugel. Dann hör-te er den scharfen, kurzen Schrei seines Gegners und riß die Augen auf.

Harris stand nicht mehr breitbeinig vor dem ersten Fels-block. Der Vormann wendete Torry die Seite zu und sah ent-setzt, die Linke um das rechte Handgelenk gekrallt, zum Hang empor.

Dort oben – beschienen von der Sonne Arizonas – hielt ein Reiter.

Das rauchende Gewehr in der Hand, blickte Javeline Stewart zu den beiden Männern herab. Mabel schien zu taumeln, sie wich nun von der Kante des Hanges zurück.

»Genug?« fragte Javeline so kühl, daß Torry zu frieren be-gann: »Reicht es, Harris?«

Harris zitterte heftig. Das Gewehrgeschoß hatte seinen Re-volver an der Trommel erwischt und ihm die Waffe mit ver-heerender Gewalt aus der Hand geprellt. Der Colt lag gut acht Schritte links neben ihm zwischen den Steinen.

»Javeline!« keuchte Torry. Er richtete sich auf und sah nach seinem schmerzenden Arm. In Javelines Augen tauchten beim Anblick des Blutes helle Lichter auf. Sein Gewehr zeigte nun auf die Brust des Vormannes. »Javeline, er wollte mich um-bringen, der Schweinehund!«

»Halt den Mund!« fauchte Javeline. »Los, hochkommen – beide! Hebt die Revolver auf und trabt an, sonst mache ich euch Beine. Was, zum Teufel, hast du auf Dourans Weide ver-loren, Torry?«

»Sie – Sie!« schrie Torry. Seine Wut brach schon wieder durch. Er hob die Hand und zeigte auf Mabel. »Sieh dir das Weib da an! Mit mir hat sie zwei volle Stunden über dies und das geredet, nur nicht über das, was ich wollte. Zu mir war sie

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die Unschuld selbst, verstehst du? Und mit diesem hergelaufe-nen Kuhtreiber steigt sie ins Bett, das Luder. Du Bock, du elen-der Ziegenbock!«

Das letzte galt Harris, der ihn anstarrte, als wollte er sich mit bloßen Händen auf ihn stürzen und ihm den Hals umdrehen.

»Du kleiner, windiger Weibertröster!« schrie Harris zurück. »Wenn ich dich noch mal allein treffe, mache ich dich um ein Pfund Blei schwerer!«

»Ruhig!« fauchte Javeline. »Ihr seid beide still und kommt herauf,! sonst komme ich runter! Und was ihr dann erlebt, da-von träumt ihr noch in hundert Jahren.«

Er paßte haarscharf auf, als sie ihre Revolver einsammelten und hochstiegen. Mabel hatte ihre Bluse zugeknöpft. Sie blick-te den beiden Männern entgegen und stieß plötzlich einen lei-sen Schrei aus. Dann machte sie kehrt und rannte in die Hütte.

In diesem Moment sah Javeline die beiden Reiter ins Tal pre-schen. Neben einem seiner Cowboys trieb der alte Amos Dou-ran sein Pferd gleich darauf den Hang hoch.

Harris wurde kreidebleich. Torry aber machte ein Gesicht wie eine wütende Bulldogge. Javeline schwenkte langsam das Gewehr. Er wußte, jetzt

brach die Hölle los.

*

Amos Douran riß sein Pferd zurück. »Was hat das zu bedeuten?« brüllte er im nächsten Augen-

blick los. »Harris – was machen diese Burschen auf unserem Land, he? Halbblut – nimm dein Gewehr weg, sonst vergesse ich mich!«

Javeline, das Halbblut, schwieg. Nur in seinen Augen erschi-en ein seltsames Flimmern, das aber sofort wieder erlosch.

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»Harris!« Harris war so bleich wie der Tod. »Ich – äh, ich hatte Ärger mit Torry Stewart«, sagte er dann

gepreßt. »Eine persönliche Sache, Mister Douran.« »Yeah, ganz persönlich!« höhnte Torry. Er fühlte sich absolut

sicher. »Wir waren beide hinter dem gleichen Girl her! Los, sage es ihm, Harris!«

Harris preßte die Lippen zusammen. Douran erstarrte und schickte einen Blick zur Hütte. Am anderen Hang über der Hütte sah er Torrys Pferd.

»Was – Was heißt das, Harris?« fauchte Douran. Sein rötli-cher Schnurrbart schien sich zu sträuben, in seinen Augen fun-kelte jähes Mißtrauen. »Harris, was heißt das?«

»Das heißt«, höhnte Torry, als Harris verbissen schwieg, »daß dieser Halunke mit Ihrer sauberen Tochter ein Verhältnis hat. Aber was für eins, Mister! Das könnte Ihnen so passen, was, Douran – ich Ihr Schwiegersohn? Wenn Ihre Tochter auch tun wollte, was Sie ihr befahlen – mich fängt sie nicht mit ihrer an-geblichen Unschuld ein, verstanden? Mich nicht! Behalten Sie sie, Mann. Wenn ich heirate, dann ein Girl, das nicht mit dem Vormann ihres Vaters schläft.«

Javeline schwieg, er beobachtete nur Harris und den Alten. Douran schien der Schlag zu treffen. Der Alte wurde bleich, schwankte im Sattel und stöhnte. Dann flog sein Blick zur Hüt-te.

»Mabel!« Sie trat aus der Hütte und lächelte. Es war das Lächeln einer

Frau, die nun ertappt war und deren Trotz sich meldete. »Was schreist du?« fragte sie kühl. »Es ist so. Es glückt nicht alles, fürchte ich.« »Harris?« flüsterte der Alte. Sein Blick wanderte herum, und

sein Gesicht rötete sich. »Harris, du Dreckskerl, wie – wie lan-

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ge geht das schon? Du bist entlassen, hörst du? Pack deine Sa-chen, verschwinde – verschwinde, du Satan. Mit meiner Toch-ter – mit meinem einzigen Kind. Du Dreckskerl, du hast mein einziges Kind verführt. Verschwinde, ich will dich nicht mehr hier sehen. Laß dich nie wieder auf meinem Land blicken, sonst bringe ich dich um!«

Harris preßte die Lippen zusammen. Er ging wortlos zu sei-nem Pferd. Sein Blick traf Mabel, sie nickte ihm zu und lächel-te nun so, als wollte sie ihm zeigen, daß sie doch zu ihm halten würde.

Der Alte sah den Blick und schrie vor Wut. »Seine einzige, arme, unschuldige Tochter, was?« kicherte

Torry bösartig. »Alter Mann, wenn Harris sie verführen muß-te, fresse ich deinen und meinen Hut freiwillig.«

Douran starrte ihn an und brüllte nun los. Er schrie und tob-te, er beschimpfte Harris, seine Tochter und nannte Javeline dreimal ein schmutziges, widerliches Halbblut. Dann hob er drohend die Faust.

»Torry Stewart, du wirst daran denken!« schwor er. »Ich ver-spreche dir, du vergißt diesen Tag nie. Runter von meinem Land mit euch! Verschwindet!«

Javeline schwieg, er zog sein Pferd herum, trieb es seitlich zu Torry und ließ seinen Bruder aufsitzen. Dann ritt er davon, während Douran immer noch tobte.

»Na, schlimm ist das nicht«, grinste Torry, als sie von der Weide waren und er seinen Arm verband. »In zwei Wochen sieht man nur noch eine kleine Narbe. He, bist du wütend? Ich schwöre dir, ich habe nichts mit dem kleinen Luder gehabt, sie ließ sich nicht mal küssen. Wir trafen uns öfter. Jetzt erst geht mir ein Licht auf. Das durchtriebene Frauenzimmer hat im Auftrag des Alten gehandelt. Begreifst du, warum?«

»Nein«, sagte Javeline finster. »Bist du sicher, daß Amos

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Douran von dir und ihr wußte?« »Ja!« Torry erzählte, was er gehört hatte, als er an der Hütte ge-

kauert und die Gespräche Mabels mit Harris belauscht hatte. Javeline sah ihn einige Male an. Er unterbrach ihn nicht.

»Und das ist wahr?« fragte er schließlich. »Was, zum Teufel, steckt dahinter? Tony, denke nach – etwas wirst du ja noch au-ßer deinen Girls im Kopf haben.«

»Weiß ich, was das zu bedeuten gehabt hat?« knurrte Torry. »Hölle und Pest, hoffentlich erfährt Dad nichts davon. Javeli-ne, wenn du ihm was sagst…«

»Ich sollte es tun«, knurrte Javeline zurück. »Torry, sieh dich vor. Du kennst die Dourans nicht so wie ich. Sie sind hinter-hältige, gemeine Burschen, die nie den Mut hatten, gegen uns loszugehen, aber sie könnten jemanden kaufen. Es laufen ge-nug Killer an der Grenze herum, die nur auf Aufträge warten.«

»Das wagen die Dourans nie, Javeline. Hör zu, ich sollte doch nach Sonoyta und Loan in der Station helfen. Sage Dad, wenn er fragt, ich wäre hingeritten. Von mir aus kannst du ihm er-zählen, mich hätte die Arbeitswut gepackt. Ich bleibe in So-noyta und kuriere meine Verletzung aus. Reite ich jetzt mit dir zur Ranch, würde Dad merken, daß ich verletzt bin.«

Javeline schloß die Augen. Dann nickte er finster. »Gut, aber paß auf, Junge, unterschätze die Rachsucht Dour-

ans nicht! Er wird verhindern können, daß sein Mann etwas über die Sache erzählt, doch frage mich nicht, wie es in Amos Douran aussieht. Nur ein Kind – und das Girl geht ihm mit dem Vormann durch! Das schluckt er nicht. Sicher verschwin-det Harris. Dafür könnte sich Dourans Wut gegen dich richten. Paß auf dich auf.«

Javeline Stewart glaubte die Dourans zu kennen. Offen gin-gen sie nie auf jemanden los, aber Amos Douran konnte sich

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einen Killer für Torry kaufen. Dann behielt er eine saubere Weste.

*

Torry Stewart erwachte mit dem Gefühl, einen Kürbis an Stelle seines Kopfes auf den Schultern zu haben. Während er sich verwirrt umsah, stieß neben ihm jemand einen leisen Seufzer aus. Ein braunhäutiger Arm tauchte vor seinen Augen auf.

Einen Moment starrte Torry verständnislos auf den Arm. Dann ließ er sich fallen und stöhnte nach dem Aufprall. Sein Kopf wollte ihm fast zerspringen.

»Ah, ist dir nicht gut?« sagte die Frau neben ihm gurrend. Sie hatte eine Stimme, deren gurrende Laute Torry Stewart an die Geräusche einer liebestollen Taube erinnerten. »Torry, was fehlt dir?«

Er fuhr in die Höhe und saß aufrecht im Bett. Die Erinnerung setzte voll ein. Er vergaß die Frau, eine Kreolin, die vor zwei Tagen nach Sonoyta gekommen und von Cuvera als Sängerin beschäftigt worden war. Der Abend fiel ihm ein – Esmeralda, so hieß die Frau, hatte gesungen, getanzt. Er hatte am Ecktisch gesessen und gespielt. Karten, ein Würfel…, nur noch Fetzen seiner Erinnerung wurden lebendig. Aus jenem Nebel, der sei-ne Erinnerungen verbarg, tauchte das Gesicht eines Mannes auf – hager, glatt, mit kalten Augen. Berufsspielergesicht, wie? Schlanke Finger, aus denen die Karten flogen und auf den Tisch klatschten.

»Großer Gott!« stöhnte Torry. »Der Mann! Esmeralda, Was-ser, hol mir Wasser, schnell, ich muß munter werden.«

Sie glitt aus dem Bett. Durch die vorgelegten Blendladen drang Licht in Streifen in den Raum über der Frachtstation, in dem einmal sein Großvater, der Spanier, gewohnt hatte. Die

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Frau brachte ihm die Schüssel und rückte den Stuhl ans Bett. Als er den Kopf in das Wasser tauchte, war es ihm, als zöge

sich seine Kopfhaut zusammen. »Es ist spät«, sagte sie. »Bald arbeiten, Torry, bald. Was war

mit dem Mann – was war? Du hast verloren, du weißt?« »Ja«, murmelte er. »Verloren. Wo ist der Kerl?« »Fort.« »Was?« »Weggefahren – mit der Kutsche heute früh«, gurrte sie. »Ich

hab's gesehen, er nahm die Kutsche.« Torry Stewart setzte sich auf. Draußen ritt jemand vorbei – ir-

gendwo gackerten Hühner, bellte einer der mexikanischen Straßenköter.

»Verflucht, er hatte doch versprochen, mir Revanche zu ge-ben, Oder?« keuchte Torry. »Neunhundertsechzig Dollar – richtig, neunhundertsechzig!«

Die Zahl stand wie hingemalt vor seinen Augen. Er wußte plötzlich, daß er einen Schuldschein unterschrieben hatte. Fat-tys Gesicht tauchte vor ihm auf. Fatty rang die Hände, saß in seinem Bett wie ein dicker Frosch und lamentierte: »Allmächti-ger, du mußt wahnsinnig sein, Torry! Das kann ich dir nicht borgen, Junge. Weißt du eigentlich, wieviel du mir schuldest?«

»Fatty, ich brauche das Geld, ich hab's verspielt. Es ist das Geld für die Fischer in Puerto Penasco. Loan fährt in der Frühe los, er muß die Fischer bezahlen. Fatty, ich muß es haben, du bekommst es wieder.«

»Gott, mein Gott, warum kann ich nicht nein sagen?« Fattys jammernde, fette Stimme war fort. Loans Gesicht tauchte auf.

»Ist Loan gefahren?« »Ja, du hast ihm doch das Geld gegeben, Torry.« »Ja?« fragte er und schüttelte sich. »Gab ich es ihm?« Er hatte

keine Erinnerung mehr. »Mach Licht«, knurrte er. »Wie spät ist

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es denn?« »Sieben Uhr – in drei Stunden muß ich singen und tanzen.« Licht fiel breit in das Zimmer und auf das Bild seines spani-

schen Großvaters. Sonnenstrahlen tauchten das breite spani-sche Bettgestell in gleißende Helligkeit. Er schloß die Augen, saß still und schüttelte nur den Kopf.

Ein Kartenhai, dachte Torry Stewart, wann hält ein Kartenhai schon ein Versprechen, wie? Es ist die Grenze, die nicht ge-sund für mich ist. Diese verdammte Grenze, wo sich alles trifft, wo hundert Frauen im Monat auftauchen, bleiben oder fortgehen, wo sich Spieler treffen und Halunken dir die Hand geben, mit dir trinken und Spaß haben. Neunhundertsechzig Dollar, verflucht!

Einen Moment überkam ihn Furcht, dann siegte jene Gleich-gültigkeit, die sein spanisches Erbe war. Morgen sah alles an-ders aus, morgen konnte er wieder Geld haben. Wer wußte schon, was morgen war?

*

»Ja«, sagte Torry, als es klopfte. »Ja, herein.« Er hob kaum den Kopf. Er hatte in das Lieferungsbuch einige

Bestellungen eingetragen und sah erst hoch, als der Mann vor dem Schreibtisch stand. Dann wurden seine Augen schmal. Seine Hand griff nach der Lampe und drehte den Docht höher. Es war kein Mexikaner, der irgendeine Kiste mit Decken oder Stickereien nach den Staaten schaffen lassen wollte. Der Mann stand vor ihm und sah ihn kalt an, sein rötlicher Schnurrbart lag wie eine breite, stachelige Kakteenwurzel über seiner Oberlippe.

»Was wollen Sie?« fragte Torry. »Douran, was soll das?« Die Warnung Javelines fiel ihm ein. Douran war ein hinter-

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hältiger Schurke. »Etwas«, erwiderte Douran. In seinen Augen lag die Kälte,

um seinen verkniffenen Mund etwas, das wie ein Grinsen aus-sah. »Wir haben zu reden, mein Freund.«

Er setzte sich einfach und starrte Torry aus schmalen Augen durchbohrend an. Dann griff er in die Brusttasche. Torrys Hand zuckte nach unten und riß die Schublade auf, in der der Revolver lag.

Douran hatte den Hut in der Hand gehalten und ließ ihn jäh fallen. In seiner Hand lag plötzlich der Bullcolt. Die Mündung zielte zwischen Torrys Augen.

»Nicht doch!« sagte Douran eisig. Er war alt, aber gerissen und listig wie ein Fuchs. »Die Schublade schließen, Junge! Kei-ne Narrheiten! Ich will nur mit dir reden.«

Tony drückte die Schublade vorsichtig zu. Douran nickte zu-frieden. Er rückte etwas zurück und hielt den Colt nun nicht mehr in der Hand. Die andere Hand kam aus der Brusttasche und warf etwas auf den Tisch. Torry sah die Zettel und saß ganz still. Die Blässe kroch von der Stirn aus in sein Gesicht. Um seine Brust legte sich jäh ein Stahlreifen.

»Was – was soll das, Douran?« »Deine Schuldscheine«, sagte Douran mit flacher, eiskalter

Stimme. »Du kannst die Summen zusamenzählen, Junge. Elf-tausendsechshundert Dollar genau.«

Irgendwo in Torrys Kopf begann es zu rauschen. Er schloß die Augen, aber wenn er gehofft hatte, daß die Stimme aufhö-ren würde, dauernd von elftausendsechshundert Dollar zu höhnen, hatte er sich geirrt. Die Stimme hockte in seinem Kopf und stieß die Ziffern immer wieder hervor.

»Ich habe sie aufgekauft«, hörte Torry Douran spöttisch sa-gen. Es kam ihm vor, als wäre die Stimme ganz weit entfernt. »Eine ganz prächtige Leistung, Junge. Du hattest doch von dei-

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nem Großvater sechstausend Dollar geerbt, wie? Sie sind ver-braucht – du hast sie in einem Jahr ausgegeben. Wofür? Freun-de freihalten, Mädchen beschenken, Huren auszahlen – was noch? Ach so: gespielt hast du ja auch noch! Ganz schöne Leis-tung, in anderthalb weiteren Jahren fast zwölftausend Dollar hinauszuwerfen, was? Aber du bist ja ein Stewart, du kannst es dir leisten. Die Leute borgen dir alles, schreiben an, bringen dir Champagner – ohne den machst du es nie, wenn du feierst, was? Wo bist du jetzt – am Ende?«

Am Ende, dachte Torry, ich bin am Ende! Es gibt kein Mor-gen mehr für mich. Fatty, der Schweinehund – er hat meine Schuldscheine an Douran verkauft. Oh, das elende Schwein, das verfluchte!

»Wer wird mich bezahlen?« fragte Douran höhnisch. Er klatschte auf die Schuldscheine. »Meine Tochter willst du nicht, oder?«

»Nein«, keuchte Torry. »Zur Hölle mit dieser – dieser…« »Nur aussprechen«, sagte Douran eisig. »Immer sagen, was

du denkst, Junge. Dann wird dein Vater eben bezahlen müs-sen. Was ist danach mit dir, he? Dein Vater jagt dich in die Wüste, denke ich. Du kennst doch seine Ansichten über Geld.«

Ja, dachte Torry, ich kenne sie. Er jagt mich in die Wüste, das ist sicher, wenn er davon erfährt. Wie soll ich fast zwölftau-send Dollar durchgebracht haben? So viel kann ich doch nicht verspielt, vertrunken und bei Girls gelassen haben – so viel doch nicht, oder doch?

»Das würden Sie tun, Sie Dreckskerl, was?« knurrte Torry. Er hätte den Alten mit den eiskalten Augen auf der Stelle töten können. »Ich soll Ihre Tochter heiraten, oder mein Vater erfährt alles, was?«

»Du mußt sie nicht heiraten – ich will es auch nicht mehr, du bist nicht gut genug für sie«, sagte Douran verächtlich. »Dir

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gehört noch etwas, erinnerst du dich, Junge?« Torry erstarrte, er wußte, woran der Alte dachte. Da war das

Gebiet in den Growler Mountains. Es hatte seinem Großvater gehört, es war der Nutzung der Stewarts übertragen worden, aber es gehörte laut Erbschein ihm, Torry Stewart, dem einzi-gen Enkel des spanischen Großvaters.

»Die Bergweide?« flüsterte er. »Da ist nur eine Quelle, sonst viel Steine und wenig Gras. Was wollen Sie mit der Quelle?«

»Das Wasser fließt in unser Becken«, sagte Douran kalt. »Wenn dein Vater will, haben wir morgen keins mehr. Ich will diese Weide haben, verstanden? Du verkaufst sie mir.«

»Das – das kann ich nicht, Douran. Mein Vater läßt das nie zu.«

Die kalten Augen flimmerten. Hohn, nichts als blanker Hohn war in ihnen.

»Vielleicht doch«, murmelte Douran. »Es gäbe einen Weg. Du könntest einen Mann kennenlernen. Du wirst ihn kennen-lernen. Er will eine Pferdezucht in den Bergen anfangen. Für Pferde reicht die Weide und das Wasser, für Pander taugte sie nie etwas. Ihr benutzt sie ja kaum mal. Der Mann nimmt dich zum Partner. Nach einiger Zeit sagst du deinem Vater, daß es sich doch nicht für dich lohnt, dort oben Pferde zu züchten. Zwei Mann ernährt das Gelände und die Zucht nicht. Du sagst ihm, du würdest deinem Partner eine Chance geben wollen. Dein Vater wird nichts dagegen haben – eher ist er damit zu-frieden, weil dann jemand zwischen ihm und uns Dourans wohnt, verstehst du? Du verkaufst an den Mann.«

»Und der Mann an Sie, was?« keuchte Torry. »Dann sehen Sie auf unsere Weide hinab, statt wir auf Ihre. Douran, es geht doch nicht um Wasser – Sie wollen irgendwann auf meinen Vater losgehen. Von den Bergen aus beherrscht man das Osttal und unsere Weide. Mann, Sie planen einen Angriff auf meinen

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Vater!« »Nein«, murmelte Douran. »Du kannst das schriftlich be-

kommen. Kein Angriff, keine böse Absicht, immer Frieden, verstanden? Keine Hintergedanken, Junge, ich schwöre es. Also, wenn du an diesen Mann verkauft hast, bekommst du diese Scheine wieder und… sagen wir – zweitausend Dollar dazu.«

»Drei«, zischte Torry. Der Halunke wollte etwas, dann sollte er auch zahlen. »Drei, falls es jemals dazu kommt, daß ich es tue. Unter dreitausend läuft kein Gaul, verstanden?«

»Zweieinhalb!« »Drei!« »Nun gut, dreitausend Harte«, knurrte Douran und stand

auf. »Keine Narrheiten, Junge. Mein Bruder weiß Bescheid, daß ich bei dir bin und die Scheine habe. Nur keine Narrhei-ten!«

Er ging rückwärts zur Tür, die Scheine in der Tasche, den Hut in der Hand und den Colt wieder zwischen den Fingern.

Als er draußen war, saß Torry still, den Kopf in beide Hände gestützt. Zuerst wich die Lähmung von ihn. Danach dachte er an den Preis, den der Alte geboten hatte. Zuviel, dachte Torry, das ist zuviel für das Stück Bergweide und eine Quelle. Sicher, das Land ist ohne Wasser wertlos. Seine Weide auch, wenn wir die Quelle nach der Ostseite ableiten würden. Aber was hat der alte Schurke wirklich vor, was steckt dahinter?

Er gab das Grübeln auf. Plötzlich fiel ihm Fatty George ein. »Du fettes Schwein!« knirschte Torry. »Du verdammte, fette

Sau, warte!« Als er aufstand, fiel ihm noch etwas ein und ließ ihn erstar-

ren. Der Spieler gestern – das Geld – die Revanche, die ver-sprochen worden war! Ein abgekartetes Spiel zwischen Dou-ran und Fatty!

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»Ja«, keuchte Torry. »Mein Gott, das war bestellt. Der Spieler hat mich hereingelegt, damit ich noch mehr Schulden hatte. Fatty, du Drecksack!«

Er lief nach oben, holte seinen Gurt und sah nach dem Revol-ver. Als er wenig später sein Pferd sattelte und gleich darauf aus dem Hoftor ritt, sah ihm der Stallhelp der Station nach.

Auf der Straße ritt Torry beinahe einen Mann um. »He, Torry, Junge, paß auf! Torry, kommst du nachher in den

Saloon?« Der Mann war Josh Campbell, der Vetter von Pierce, ein so

junger Bursche wie Torry, aber ein Bandit wie Pierce. Campbell hatte unzählige Male mit Torry getrunken, war mit ihm gerit-ten. Sie hatten zusammen manchen Blödsinn angestellt.

»Josh«, keuchte Torry und hielt neben ihm. »Josh, Fatty hat mich hereingelegt!«

»Ja?« sagte Josh Campbell. »Warnte ich dich nicht vor ihm? Fatty macht jedes Geschäft, das hättest du wissen müssen. Wo er Geld wittert, streckt er seine fetten Finger aus. He, hau ihm was auf die Nase, aber bringe ihn nicht um, wir brauchen den fetten Hundesohn noch. Solltest du Hilfe brauchen, weißt du, wo ich zu finden bin, was? Pech, Torry, Pech für dich. Fatty ist ein Gauner, kein ehrlicher Bandit, siehst du es nun ein?«

»Ja«, knirschte Torry und preschte los. Er sah im Store kein Licht. Fatty war nicht da, Rosita auch nicht.

Fatty war sicher in Sierra Cubabi. Er hatte ein Geschäft ge-macht. Er mußte die Schuldscheine mit Gewinn verkauft habe. Mein Gott, was hatte Douran in dieses Geschäft gesteckt? Er hätte sogar seine Tochter verkauft, um die Weide zu bekom-men! Was war an dieser Weide so wichtig, was war es, hinter dem Douran her war?

Ich bekomme es heraus, dachte Torry. Wartet nur, ich erfahre es, Teufel, wollte Javeline nicht kommen? Heute ist Mittwoch,

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Javeline kommt jeden Mittwoch. Ach, zum Henker, soll er war-ten.

*

Pedro stand am Tor von Fattys Hauptlager. Der Mexikaner hielt die Arme auf der Brust verschränkt. Sein längliches Ge-sicht mit dem traurig herabhängenden Schnurrbart blieb völlig ausdruckslos.

»Er ist nicht da«, wiederholte Pedro. Er war erst nach langem Hämmern Torrys am Tor erschienen. »Tut mir leid, Señor Ste-wart. Er ist weggefahren. Der Wagen ist nicht da. Warum glau-ben Sie mir nicht?«

Torry blickte über das Tor zum offenen Schuppen. Der Bug-gy stand weder auf dem Hof noch unter dem Schuppendach.

»Na?« fragte Pedro. Er drückte das Tor etwas weiter auf, da-mit Torry auch in die andere Hofecke blicken konnte. »Was habe ich gesagt, eh? Fatty ist nach Temporales gefahren.«

»Nach Temporales«, murmelte Torry finster. »Wann kommt er zurück?«

Pedro zuckte die Achseln. »Manana – morgen«, sagte er mit einer Handbewegung, die

alles und nichts sagte. »Was ist passiert? Señor Stewart?« »Nichts«, gab Torry grimmig zurück. »Nun gut, sage Fatty,

ich käme ihn besuchen. Er kann sich verkriechen, wo er will, ich besuche ihn, verstanden?«

Er wendete sich um, als wenn er zu seinem Pferd gehen wollte, wirbelte aber blitzschnell zurück. Seine Linke stieß Pe-dro in die Magengrube. Der knallharte Hieb ließ den Mann auf der Stelle einknicken. Pedro hatte die Hand schon am Kolben seines Revolvers, kam aber nicht mehr dazu, die Waffe zu zie-hen.

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»Nicht gut genug gelogen!« zischte Torry Stewart, als er dem Pistolero den Revolver über den Schädel knallte.

»Der Wagen kann genausogut in der Scheune stehen.« Pedro stürzte am Tor zu Boden. Torry bückte sich, nahm ihm

Colt und Messer ab und warf beides im hohen Bogen in die Büsche. Dann erst stieg er auf, drehte das Pferd und jagte da-von. Er wußte, daß Fatty im Haus war. Fatty hatte nicht sehen können, was vor dem Tor passierte. Er sah jetzt den Reiter ver-schwinden und mußte denken, daß sein Pistolero noch immer vor dem Hoftor stand und Torry nachblickte.

Als Torry davonritt, blieb der schwergewichtige Fatty George noch einen Moment am Fenster stehen. Dann wendete er sich um und watschelte seufzend zu jenem spanischen Bett zurück, in dem drei Männer Platz gehabt hätten. Jetzt lag nur Rosita unter der Decke.

»Ist er weg?« fragte sie, als Fatty George den schweren Vor-hang hinter sich wieder zufallen ließ. »Warte, ich mache die Kerze an.«

Fatty stolperte, ehe die Kerze brannte, über seine ausgetrete-nen Pantoffeln. Er fluchte mürrisch, ließ sich dann ächzend auf die Bettkante sinken und stützte den Kopf in die Hände.

»Ja«, antwortete er mißgestimmt. »Vielleicht hätte ich es doch nicht tun sollen.«

»Warum nicht, es war doch ein gutes Geschäft?« fragte Rosi-ta. Sie legte sich auf den Rücken und starrte zur Decke. »Geor-ge, was machst du dir Gedanken? Komm, leg dich hin, das Warten ist doch jetzt vorbei.«

»Vielleicht kommt er wieder«, murmelte Fatty besorgt. »Er wird wütend sein, bestimmt ist er das. Weißt du, was ich mich frage?«

Das Tor fiel krachend zu. Pedro kam also zurück. »Was George?«

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»Warum bot er so viel?« grübelte Fatty. Er sank auf den Rücken, und das eiserne Bettgestell begann zu ächzen, als wollte es sich bis zu den Dielen durchbiegen. »Warum bezahl-te er den Kartenhai, warum mußte ich mit dem Jungen spie-len? Soll das alles nur wegen des bißchen Wassers geschehen sein? Da steckt mehr hinter, sage ich dir. Wo bist du?«

Er griff nach ihr. Es war eine Bewegung, die ihn ablenkte, in der fülligen Rosita aber andere Empfindungen wachrief.

»Warum bot er nur so viel?« fragte Fatty noch einmal. Die Haustür fiel zu. »Warum? Verstehst du das? He, Pedro – Pe-dro?!«

»Si?« »Pedro, komm her!« »Si!« Pedro kam, öffnete die Tür, und Rosita stieß einen schrillen

Laut des Entsetzens aus. Fatty, der zur Decke gestarrt hatte, nahm den Kopf herum. Sein Dreifachkinn sank auf das Kissen.

In der Tür stand Torry Stewart, und in der Hand lag der Re-volver.

»Ddd… du?« stotterte Fatty und erbleichte. Das Kerzenlicht warf den Schatten des näher kommenden Torry Stewart rie-senhaft verzerrt gegen die weißgekalkte Decke des Zimmers. Der Revolverschatten sah wie eine Kanone aus. »Torry, hör zu – Torry, mach keine Dummheiten – Torry!«

Er brüllte zuletzt. Rosita kreischte vor Angst, sie rutschte im-mer höher und klebte zuletzt an den Eisenstäben des Kopfen-des, die Hände abwehrend erhoben.

Torry Stewart trat an das Bett. Er drückte dem nur noch rö-chelnden Fatty George den Coltlauf gegen das Kinn und zwang ihm den Kopf in den Nacken. Dann riß er die Bettdecke mit einem Ruck fort. Im nächsten Augenblick ballte er die Lin-ke und schlug sie auf Fattys hochgewölbten, fetten Bauch. Fat-

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ty stieß ein schreckliches Geröchel aus. »Wenn du lügst, schlage ich weiter«, sagte Torry ungerührt.

»Douran ließ den Kartenhai kommen – er bezahlte ihn, du be-stelltest den Kerl, was? Und wie war es vorher – du spieltes, ich verlor fast immer. Was hat er dir angeboten, Fatty?«

»Tausend – tausend – Dollar«, röchelte Fatty. Er war ganz blau im Gesicht, und Rosita glaubte, daß er ersticken würde. »O – Gott – Gott im Himmel – nicht mehr – schlagen.«

»Was hat der Lump dir für die Scheine bezahlt, Fatty?« Fatty würgte. »Zweitausend mehr«, ächzte er schwer. »Torry,

er bot – er bot doch – immer mehr. Das Geschäft…« »Das Geschäft kostet dich noch mehr!« knirschte Torry.

»Wozu das alles – was will Douran wirklich, Fatty?« »Ich weiß es nicht!« stöhnte Fatty voller Todesangst. »Bei al-

len Heiligen, ich weiß es nicht, Torry. Er hat etwas vor, es muß nichts mit dem Wasser zu tun haben. Ich weiß es nicht – nicht – um aller Heiligen – nicht schlagen. Ich schwöre bei meiner Mutter, bei meinem Vater!«

»Du dreckiger Fettwanst!« zischte Torry. »Ich glaube dir so-gar. Aber das machst du nicht noch mal mit mir!«

Die Faust stieß noch einmal zu. Fatty George quollen die Au-gen aus dem Kopf. Er hatte das Gefühl, daß sich das Zimmer um ihn immer schneller drehte. In seinen Ohren war Rositas Gejammer. Die Schritte hörte er kaum noch. Torry verließ das Haus.

*

Amos Douran ritt schneller. Vor ihm tauchten jetzt die Ausläu-fer der Puerto Blanco-Berge auf. Es war nicht mehr weit bis zu Bates Well. Douran hatte den Weg durch den Growler-Bacheinschnitt genommen. Er hatte keine sechs Meilen mehr

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bis zur Südweide seines Bruders Timothy zu reiten, der in der Weidehütte auf ihn wartete. Weder seinem Bruder noch seiner Tochter oder irgendwem sonst hatte. Douran verraten, wozu er den Streifen Land in den Growler-Bergen haben wollte.

Timothy Douran wußte es erst seit gestern, denn Amos hatte nicht genug Bargeld gehabt, und Timothy, der ewig geizige, sparsame Bruder, hatte genau wissen wollen, wofür er viertau-send Dollar brauchte.

»Sie werden sich noch alle wundern«, grinste Douran breit. Er hatte seit Stunden das Gefühl des Triumphes genossen. »Der Teufel soll die Stewarts holen. Es wird nicht lange dau-ern, Mike, dann rechnen wir endlich ab.«

Die Erinnerung an das, was Mike Stewart ihm angetan hatte, war noch so frisch wie vor sechzehn Jahren.

Damals waren die Dourans in dieses Land gekommen. Sie hatten geglaubt, genug freies Land vorzufinden, aber Mike Stewart hatte ihnen bald gezeigt, daß er jeden Mann von der freien Weide jagte, die er beanspruchte. Den Dourans war das Growler-Valley mit einigen Nebentälern geblieben – nicht ge-nug, um mehr als eine mittelgroße Ranch aufzubauen. Zudem hatten sie jeder eine Familie gehabt und nur für sie gesorgt. Dabei war Timothy immer der geizigere und weniger hilfsbe-reite Bruder gewesen.

»Geld«, brummte Douran. Sein verkniffener Mund preßte sich einen Moment fester zusammen, als er an das Geld Mike Stewarts dachte, mit dem Stewart immer alles geregelt und ge-wonnen hatte. »Geld regiert – und haben wir genug, Mike, nehmen wir uns die Weide mit Gewalt. Eines Tages wirst du ärmer sein als wir. Bekomme ich das Bergland zu diesem Preis, ist es gut. Kann ich es nicht erwerben, werden wir um es kämpfen, Mister. Ich sage dir…«

Douran sprach nicht weiter. Er wollte aus der Mulde hoch,

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als es über ihm pfiff. Ehe er den Kopf herumnehmen konnte klatschte das Lasso über seine Schultern. In der nächsten Se-kunde sprang hinter ihm ein Pferd an.

Amos Douran begriff in den drei Sekunden, bevor er aus dem Sattel gerissen wurde, daß der Mann hinter den Kakteen am Hang gehalten haben mußte. Das Lasso spannte sich und wurde zu einer ihm die Arme an den Leib pressenden Würge-schlinge. Dann kam der wilde Ruck und hob ihn rücklings vom Pferd. Im schrillen Wiehern des Pferdes krachte Amos Douran auf den Hang. Das Lasso schleifte ihn gut zwanzig Schritte weit.

»Liegenbleiben!« fauchte Torry Stewart hinter ihm. Er ritt heran, zog sich am Lasso näher und hielt es so straff. »Na, du alter Schurke, da liegst du gut. Ich hätte dich mitten durch die Kakteen schleifen sollen, verdient hättest du es.«

Im nächsten Moment war das Pferd neben Douran. Torry sprang aus dem Sattel, und sein Fausthieb schmetterte auf Dourans rechten Oberarm nieder, als Douran beim Lockern des Lassos zum Colt greifen wollte. Douran stieß einen heise-ren Schmerzschrei aus. Sein Arm war wie gelähmt.

Torry packte den Colt, klopfte den Alten ab und fischte auch den Bullcolt aus dessen Tasche.

»Jetzt wollen wir mal reden, was?« knirschte Torry. »Ich frage – du antwortest, das Spiel kennst du doch, oder? Douran, du hast es nicht anders haben wollen, du hinterlistiger Gauner. Was immer mein Vater über euch sagte – in einer Sache irrte er sich bestimmt nicht! Ihr seid hinterlistige Ratten. Was willst du nun wirklich mit meinem Streifen Erbland, he?«

»Du – du Satansbursche!« stieß Douran hervor. »Das habe ich dir doch schon gesagt. Ich will das Wa… aaah!«

Torry kannte jetzt das Rezept, einen Mann zum Reden zu bringen. Er schlug genauso zu wie bei Fatty George, und der

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alte Douran stieß ein fürchterliches Gebrüll aus. Mit verzerr-tem Gesicht wälzte er sich hin und her. Seine Hände versuch-ten den Magen zu decken.

»Das ist gut, was?« schrie ihm Tony ins Gesicht. »Du Lump hast Fatty dreitausend Dollar für alles gezahlt. Mir auch drei – und elftausendsechshundert für die Scheinchen, he? Das sind zusammen siebzehntausendsechshundert. So viel ist das ganze Stück Land nicht wert. Noch mal, Douran, was willst du mit dem Land?«

»Fa… fahr zur Hölle, Stewart!« stöhnte der Alte. »Ich will nur das Wasser ha… aaah!«

»Gut, sehr gut, nicht?« höhnte Torry. Er sprang dem Alten nun auf die Beine und klemmte sie fest. Danach packte er ihn an der Brust und riß die Faust empor. »Zum letzten Mal, du al-ter Gauner: Was ist so wichtig an dem Streifen, daß du freiwil-lig den anderthalbfachen Preis bezahlst – ausgerechnet du?«

Amos Douran lallte nur noch, schüttelte aber den Kopf. Im nächsten Moment schlossen sich Torrys Finger um seinen Hals. Torry riß ihn hoch und stieß ihn wieder zurück. Binnen Sekunden verwandelte sich Torry Stewart in einen wilden Ti-ger. Dourans Kopf knallte gegen den Boden.

»Ich bring' dich um!« schrie Torry voller Wut. »Du alter, gei-ziger Strolch – du hast nie etwas anderes im Sinn gehabt, als mit deinem sauberen Bruder unser Land zu stehlen. Du sagst jetzt, was in den Bergen zu finden ist. Sage es – sage es!«

Douran blieb wie tot liegen. Erst nach zwei Minuten kam er wieder zu sich und starrte Torry voller Haß ins Gesicht.

»Ich mache weiter – ich tue es!« drohte Torry. Er wurde fast verrückt vor Wut. Dieser alte, listige, verschlagene Bursche sollte sich verrechnet haben. Torry Stewart war kein Narr, wenn er sich auch manchmal wie einer benahm. »Rede – rede, sage ich!«

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»Aufhören«, wimmerte Amos Douran, »Kupfer!« Nach diesem Wort erstarrte Torry. Er schien keine Luft mehr

zu bekommen, obgleich er den Mund weit geöffnet hatte. »Kupfer – Kupfer?« keuchte Torry nach einer vollen Minute.

»Nichts als Steine, Sand – Kakteen und – Kupfer? Woher weißt du das?«

Douran stöhnte schwer, lallte aber, nachdem er sich etwas er-holt hatte: »Einer meiner Freunde – kam mich besuchen. Wir ritten zur Quelle hoch. Im Südosten, am trockenen Bachbett, dort war es. Mein Freund ist Prospektor. Wir ritten den Hang herunter. Er sah die Steine am Hang und sagte, hier müßte Kupfererz zu finden sein. Die nächsten Nächte gruben wir ein Loch.« Er mußte wieder Atem schöpfen. Sein Mund zitterte, seine Wangen glühten, und in seinen Augen lag Haß.

»Weiter!« forderte Torry. »Rede schon. So, ihr habt auf mei-nem Land gegraben? Was fand der Kerl, he?«

»Drei Yard tief – Kupfererzschicht«, stöhnte Douran. »Ein reiches Lager – wir gruben noch an anderen Stellen. Du ver-fluchter Hund, was tust du?«

»Nichts«, sagte Torry höhnisch. Er griff in Dourans Brustta-sche, nahm dessen Brieftasche heraus und fand die Schuld-scheine. »Nur das hier nehme ich mir, verstanden? Ich werde zu meinem Vater reiten und ihm alles erzählen. Und dann hole ich mir ein paar Minenleute aus Tucson her. Danach kannst du dein Geld wiederbekommen – das hier, genau elftausend-sechshundert Dollar. Du geiziger, hinterhältiger Schurke, ver-suche von Fatty die anderen dreitausend Dollar zu erwischen. Ich wette, du bekommst sie nie. Dreitausend Dollar für eine Gemeinheit bezahlt – das ist deine Strafe, du alter Halunke!«

Er begann schallend zu lachen, als Dourans Gesicht vor Wut und Haß zu einer Fratze wurde.

»Dreitausend verloren!« brüllte Torry. »Oh, mein Gott, ist das

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ein Spaß! Dieser Gauner wollte uns hereinlegen – jetzt hat er dreitausend wunderschöne, harte Dollar verloren. Oh, was bist du für ein Narr, du alter Fuchs. Nun bezahlst du noch mehr. Ich lache mich tot!«

Er nahm die Scheine, steckte sie ein und griff nach Dourans Waffen. Sie flogen zwischen die Kakteen. Danach ging Torry zu Dourans Pferd, nahm auch noch das Gewehr und warf es lachend im weiten Bogen in die Stachelgewächse.

Douran lag still, als Torry zu seinem Pferd schritt. Vom Sattel aus und immer noch lachend, sah Torry auf den Mann herab, der sich nun ächzend aufstemmte und lostaumelte.

»Mein Vater lacht sich gesund«, japste Torry. »Das ist der größte Spaß, den er jemals mit euch geizigen, listigen und landgierigen Schurken erlebt hat, wette ich. Vielleicht wird er toben, wenn er hört, daß ich Schulden gemacht habe – na gut, er hört auch wieder auf. Douran, du bekommst dein Geld, ich bin sicher, mein Vater zahlt es dir. Ich sehe dich schon zu Fatty rennen. Douran, du bist der größte Narr unter der Sonne. Be-halte deine Tochter, koch sie dir ein! Erzähle ihr von deinem Pech und bestelle ihr einen Gruß von mir. Sie soll sich den nächsten Kuhtreiber…«

Er lachte nicht mehr, als er sah, wie die Hand des Alten blitz-schnell in die Satteltasche fuhr. Der Alte stieß einen keuchen-den Laut aus, während er ihn mit furchtbarem Haß anstarrte. »Hund!« schrie Douran dann. »Fahr zur Hölle!«

Die Hand flog hoch – in ihr lag ein Revolver. Die Waffe hatte in der Satteltasche gesteckt. Der schwere Fünfundvierziger blinkte im Mondlicht.

Torry Stewart zog bereits, als die Hand noch nicht ganz aus der Satteltasche war. Er schoß, indem der Alte den Arm in die Höhe riß. Sein Achtunddreißiger peitschte einmal durch die Mulde.

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Torry blickte durch den Feuerball auf den alten, hinterhälti-gen Amos Douran. Die Kugel stieß Douran hintenüber. Der Arm des Ranchers wanderte steil in die Höhe. Aus der Hand schien eine Feuerlanze gegen den Himmel zu lecken.

Dann war er fort – er war nur noch ein kleiner, kümmerlicher Schatten am Boden, von dem das Pferd fortsprang. Er lag da, die Arme schlaff, den Kopf zur Seite gewendet und die Augen gräßlich weit offen. »Der – der Narr!« stammelte Torry. »Der wollte mich erschießen! Der wollte mich tatsächlich über den Haufen schießen!«

Er ritt an, bleich wie der Tod, der noch einmal an ihm vor-übergegangen war. Neben dem Alten hielt er, stieg ab und beugte sich über ihn. Douran mußte tot gewesen sein, ehe er zu Boden gefallen war.

Torry wurde schlecht, er krümmte sich zusammen. Das Wür-gen stieg ihm in die Kehle. Wie lange er so am Boden hockte, wußte er nicht genau. Plötzlich hörte er rasenden Hufschlag. Ein Pferd preschte heran. Torry rannte los, schwang sich in den Sattel und trieb das Pferd an den Saum der Kakteen. Sein Gewehr flog hoch, als der Reiter über den Rand der Mulde preschte. Das Pferd war ein Schecke.

»Torry – Torry!« Torry sagte nichts, als Javeline neben ihm hielt. »Tot«, murmelte Javeline – er war so bleich wie sein kleiner

Bruder. »Mein Gott, du hast zuerst geschossen! Das war dein Achtunddreißiger – der erste Schuß, Junge. Warum mußtest du das tun? Ich war bei Fatty, ich bin dir gefolgt, so schnell mein Schecke laufen konnte, Torry, Fatty erzählte mir alles. Wie konntest du so viel Geld unter die Leute bringen? Torry!«

»Er wollte mich töten!« schrie Torry. Plötzlich packte ihn die nackte Angst. »Hör doch, ich schwöre dir, er wollte mich er-schießen. Sieh dich um – in den Kakteen liegen seine Waffen.

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Ich hatte ihm alle abgenommen – dachte ich. Er hatte noch einen Colt in der Satteltasche. Sein Pferd – sieh nach der Sattel-tasche, Javeline. Ich mußte schießen, ich mußte es tun. Kupfer – auf meinem Erbland liegt Kupfer. Darum wollte er mich her-einlegen. Javeline…«

Javeline schwieg, er ritt an und sah überall nach. Die Nacht war so still wie der Tote in der Mulde. »Das glaubt keiner«, sagte Javeline endlich gepreßt. »Es ist

wahr, aber niemand wird es dir abnehmen. Er hatte deine Schuldscheine – nun ist er tot. Torry, hoffentlich hat niemand die Schüsse gehört. Ich unterschied sie deutlich. Es gibt nur einen Weg für dich – du mußt dich stellen.«

»Nein!« keuchte Torry. »Sie glauben mir nicht, versteh doch! Timothy Douran wird behaupten, daß ich ihn kaltblütig abge-knallt hätte. Die Jury glaubt es auch. Jemand, der so viel Schul-den gemacht hat, der keine Chance hatte, sie zu bezahlen – Ja-veline, jede Jury verurteilt mich.«

»Du siehst zu schwarz, nimm dich zusammen und spiel nicht verrückt«, fauchte Javeline scharf. »Wenn das Kupfer da ist, sieht schon alles anders aus. Du hast ihn geschlagen, aus dem Sattel geholt, wie? Torry, jeder weiß, daß er uns nie leiden konnte. Es war Notwehr, sie werden dich nicht verurteilen.«

Torry hockte zusammengesunken im Sattel und fuhr herum. Hufschlag näherte sich von Nordwesten.

»Javeline!« »Ruhig!« zischte Javeline. Er lauschte und biß die Zähne zu-

sammen, ehe er wieder sprach. »Reiter, ein halbes Dutzend! Torry, weg hier, die kommen von Timothy Dourans Weide. Torry – zurück, schnell! Hinter das Kakteengebiet, Junge.«

Er ritt an. Torry hinter ihm her. Sie hielten kaum hinter den Kakteen, als die Reiter kamen und Schreie durch die Nacht schallten, nachdem die Reiter in der Mulde verschwunden wa-

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ren. »Sie sehen die Spuren nicht deutlich – zu schlechtes Licht

und zu schlechter Boden – zu hart«, flüsterte Javeline. »Reite langsam los – reite im. Schritt hinter die Kakteen und halte dort. Wenn sie kommen, locke ich sie fort, sie haben kein einzi-ges Pferd auf beiden Ranches, das schneller ist als der Schecke. Torry, du reitest zu Vater und sagst ihm alles, verstanden? Dann tust du, was er dir rät.«

»Javeline, sie schießen auf dich, wenn sie dich sehen!« »Hau ab, los!« Er sah ihn an und ritt dann langsam fort. Als er noch nicht

um die Kakteen war, kamen die Reiter aus der Mulde. »Der kann nicht weit sein, der verfluchte Mörder!« schrie Ti-

mothy Douran. »Los, Leute, wir erwischen ihn bestimmt.« Sie kamen, und Javeline preschte los. Der Schecke stürmte

davon. Hinter ihm brüllten sie und rissen die Gewehre heraus. Er jagte vor ihnen über den nächsten Steilkamm. Kugeln pfif-fen ihm nach, aber keine erreichte ihn oder das Pferd. Jenseits des Tales hatte er bereits so viel Vorsprung, daß die Kugeln hinter ihm einschlugen. Danach bildeten sie eine lange Kette und trieben ihn nach Süden in Richtung Grenze.

Sie haben den Schecken erkannt, dachte Javeline, sie werden nun wissen, daß sie mich gejagt haben. Vielleicht halten sie mich jetzt für Amos Dourans Mörder. Auch gut, sollen sie es tun.

Er sah sich um. Weit hinter seinen Verfolgern stand eine ein-zelne, dünne Staubfahne im Mondlicht über den Bergen. Sie zog nach Osten davon, statt nach Norden in Richtung der Ste-wart-Ranch.

»Mein Gott, wohin reitet er?« keuchte Javeline erschrocken. »Wohin will Torry denn?«

Torry verschwand – und Javeline hingen die Verfolger im

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Nacken. Sie schwenkten, als er nach Südwesten umbog und auf die O'Neil-Hills zujagte. Nach einer Stunde steckten sie in den Hügeln, und Javeline machte kehrt. Er wußte, sie würden quer durch die Hügel reiten und glauben, daß er weiter west-wärts über die Grenze nach Mexiko wollte.

*

James Pierce hob die schweren Lider, als sein Vetter Josh Campbell Torry in die große Lehmhütte führte. Pierce schwieg, während Josh Torry die Augenbinde abnahm und Torry in das grelle Licht blinzelte. Die Sonne fiel auf Torrys übermüdetes Gesicht.

Aus dem Nebenraum kam das Mädchen. Natalie Pierce hatte langes schwarzes Haar, ein herbes, kühles Gesicht. Sie war groß, wirkte mager, aber sie war einmal für Torry Stewart die Frau gewesen, von der Torry die Liebe gelernt hatte. Hinter ih-rer kühlen Fassade verbarg sich ein Vulkan.

Pierce blieb auf seinem Bett liegen. »James, sie sind hinter ihm her – er hat Amos Douran er-

schossen und konnte entwischen«, berichtete Josh Campbell. »Hör dir seine Story an, ehe du fluchst.«

Natalie Pierce nahm schweigend den Stuhl. Der Blick ihrer hellgrauen Augen traf Torry.

»Setz dich«, sagte sie kühl, nur in ihren Augen war ein war-mes Licht. Sie hatte ihn immer gemocht.

»Danke«, murmelte Torry. Er fiel auf den Stuhl und sah zu ihr hoch. Sie war einen halben Kopf größer als er. »Danke, Na-talie, ich bin durstig.«

»Er kann bleiben«, sagte Pierce plötzlich. »Josh, es war leicht-sinnig, aber er kann bleiben. Du darfst nie aus dem Tal und niemals auf die Wände steigen, Tony, verstanden? Wenn du

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das versuchst, bist du tot.« »Danke, James, ich versuche es nicht. James – noch etwas:

Kannst du herausbringen, was mit Javeline geworden ist?« »Ja«, sagte Pierce knapp. »Alles, was geschieht, erfahre ich.

Morgen wissen wir mehr, ich schicke jemand los. Natalie küm-mert sich um dich.«

Er stand auf und ging mit den anderen hinaus. »Trink«, murmelte Natalie. Sie goß ihm Kaffee ein und reich-

te ihm die Tasse. »Du mußt schlafen, Torrigan.« Sie hatte ihn nie Tony genannt, immer bei seinem vollen Vor-

namen, wie sein Vater. Er trank und sah sie müde an. Dann lächelte er gequält. »Hast du alles gehört, Natalie?« »Ja, alles, Torrigan. Hast du Hunger?« »Ich bin nur müde, Natalie, nur müde. Du hast dich nicht

verändert, du siehst aus wie damals.« Seine Stimme hakte etwas, er sah jetzt zu Boden. »Nein, Torrigan, ich sehe nicht mehr aus wie damals.« »Für mich schon«, sagte er, und sie wußte, daß er die Wahr-

heit sprach. Er mochte hundert Mädchen und Frauen Kompli-mente gemacht haben – ihr sagte er die Wahrheit.

»Komm, Torrigan, ich bringe dich in mein Zimmer.« Er folgte ihr, sah sich dann in ihrem Zimmer um. Sie schloß die Fenster-läden und blieb an der Wand stehen, als er sich auszog und in ihr Bett legte. Er lag still, die Hände unter dem Nacken, den Blick auf die Lehmdecke gerichtet.

»Ich kann nicht schlafen«, sagte er leise, als sie sich nicht rührte. »Begreifst du das? Ich bin entzwei und habe keinen an-deren Wunsch, als schlafen zu können, doch ich kann es nicht. Ich muß immerzu an Javeline denken. Wenn sie ihn getroffen haben – es wäre zuviel. Sie sagen, er sei nur ein Halbblut, aber ich sage dir, kein Mensch könnte einen besseren Bruder ha-

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ben.« »Ich weiß – er ist ein Mann.« »Ja, ein Mann«, murmelte Torrigan.

*

Fatty George hatte plötzlich das Würgen im Hals. Er blieb ste-hen, die Hand im Schreck abwehrend erhoben, die Augen weit offen.

Der Mann löste sich jetzt aus dem Schatten des Flurwinkels. Er trat ins Licht, winkte kurz und ging sofort zurück.

Er ist ein Indianer, dachte Fatty beklommen. Die Furcht kroch in ihm hoch. Verflucht, er ist doch ein Indianer. Wo ist er solange gewesen, wo kommt er jetzt her? Vier Tage suchen sie ihn schon.

Fatty ging weiter und schob sich ächzend in den kleinen Raum neben seinem Store.

»Kein Licht«, sagte der Mann leise. Er glitt hinter Fatty Geor-ge um die Tür und blieb am Fenster stehen. »Fatty, wo ist mein Bruder?«

Fatty lauschte und hielt den Atem an. Draußen kam jemand, blieb unter dem Fenster stehen und steckte sich eine Pfeife an. Das Licht flackerte über die Fensterscheibe. Der Mann war nicht mehr hinter dem Fenster – er stand nun an der Wand.

»Wer – wer war das?« flüsterte Fatty furchtsam. »Javeline, du mußt verrückt sein. Weißt du nicht, was Tim Douran getan hat?«

»Sicher weiß ich das«, antwortete Javeline Stewart leise. »Fünf Killer hat er angeworben, gar nicht schlecht für den An-fang. Wo sind sie – hier in Sonoyta?«

»Vielleicht – vielleicht nicht, Javeline. Da sind drei Fremde, sie wohnen bei Cuvera, sind aber immer unterwegs. Manch-

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mal nach Lukeville, dann in der Umgegend. Wo warst du denn, Mann?«

»Irgendwo, Fatty. Wo ist Torry?« »Schlage mich tot, ich weiß es nicht«, stöhnte Fatty. »Du

mußt mir glauben, ich weiß es wirklich nicht. Ich dachte, ihr wäret zusammen gewesen.«

»Fatty!« »Javeline, ich schwöre dir, ich – ich habe nur etwas gehört –

mehr bemerkt als gehört.« »Wo ist Pedro, dein Pistolero?« »Auch weg – seit vorgestern. Er sagte, er müßte mal einige

Tage fort. Hör zu, Javeline, es ist nur eine Vermutung von mir, ich bin nicht sicher. Torry könnte bei Pierce sein.«

Javeline rührte sich nicht, er schwieg einige Sekunden. »Wie kommst du darauf?« fragte er dann.

»Es war nie so, wie du glaubst«, wisperte Fatty George. »Ich habe von Pierce Sachen gekauft und für ihn gehandelt, aber ich habe nie erfahren, wo er eigentlich haust. Pedro muß es wissen, auch Hall wußte es. Wenn ich fragte, waren sie taub und stumm. Javeline, ich würde es dir sagen, um nicht noch mehr Ärger zu haben, glaube mir. Was war denn los? Du hast Douran doch nicht erschossen, das war doch der Junge, was?«

»Er erschoß ihn in Notwehr, doch das wird niemand glau-ben, auch Timothy Douran nicht, Fatty. Ich bekam Nachricht von meinem Vater, daß Torry nicht zu Hause ist, also muß er sich irgendwo verkrochen haben. Ich glaube nicht daran, daß er bei Pierce ist. Wie sollte er zu ihm gekommen sein?«

Fatty schluckte schwer. Er wußte, was es hieß, über Pierce und dessen Freunde zu reden. Pierce hatte Zuträger, die alles erfuhren.

»Javeline«, schnaufte der Dicke. Er sah sich um und lauschte wieder. Die Furcht kroch in ihm hoch. »Hör zu – Torry und

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Josh Campbell sind Freunde.« »Waaas?« »Ich habe nichts gesagt«, stöhnte der fette Mann. »Javeline,

ich habe kein Sterbenswort gesagt, verstehst du? Werde nicht wild, es ist die Wahrheit, es – es kommt noch schlimmer, du weißt eine ganze Menge nicht. Campbell und dein Bruder rit-ten manchmal zusammen über die Grenze. Dein Bruder führte die Burschen von Pierce durch die Berge, wenn sie den Dour-ans Pferde stahlen oder Rinder abtrieben. Ich weiß es – es ist wahr.«

Es war für Javeline wie ein Schlag mit einem Hammer. »Warum?« flüsterte er verstört. »Fatty, warum hat er das ge-

macht?« »Ich weiß nicht – aus Verrücktheit, um vor Campbell und

den anderen als Mann zu gelten – um den großen, wilden Bur-schen zu spielen. Er nahm kein Geld, das weiß ich. So machte er es – einfach so. Javeline, tut mir leid, aber – ich habe nichts gesagt, verstehst du?«

Javeline Stewart schwieg. Draußen ritten einige Männer über die Straße und schössen ihre Revolver ab. Irgendwo schrie eine Frau wütend los.

»Ich werde ihn suchen«, murmelte Javeline. Er trat ans Fens-ter und blickte hinaus. »Er muß sich stellen.«

»Douran verdächtigt dich – nur dich«, sagte der dicke Mann gepreßt. »Er hat diese Killer angeworben. Sie warten nur dar-auf, daß du irgendwo auftauchst. Sieh dich vor, Javeline.«

»Und die Belohnung, die Timothy auf meinen Kopf ausge-setzt hat?« fragte Stewart. »Kein Interesse, Fatty?«

»Was sind tausend Dollar, wenn man nachher tot ist?« flüs-terte Fatty.

*

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Er hieß Longbone – und er sah auch so aus, hager wie ein To-tengebein, ausgemergelt, daß man glauben konnte, er wäre aus einem Grab gestiegen. Seine Jacke schlotterte wie der Um-hang eines Totengräbers um seinen knochigen, hageren Leib. Die Jacke war schmierig wie seifiges Leder. Sein Hut hatte eine breite, zernagte Krempe, als hätten Mäuse an ihr ihren Hunger gestillt. Die Stiefelschäfte nahmen seine dürren, stelzenartigen Beine auf wie zwei Butterfässer, in denen der Butterstab steck-te. Seine Augen lagen tief in faltigen Höhlen. Die Wangenkno-chen saßen hoch und spitz in seinem Nußknackergesicht, über das ab und zu ein Zucken lief, wenn der zerschnittene Nerven-strang seines Unterkiefers die Unterlippe nicht mehr halten wollte. So zuckte sie dann zur Seite, und es sah jedesmal aus, als zöge er die Unterlippe zum Kinn.

Er war häßlich – und er wußte es. Aber er war eiskalt und lis-tig.

Sie nannten ihn nur Long, weil Longbone ein zu langer Name war.

Er saß auf dem Sattel, und seine spitzen Knie schienen die Hose durchstechen zu wollen. Er hatte die Beine angezogen, den Kopf in die Hände gestützt und starrte in das kleine, rauchlose Feuer. Der Geruch des Rauchspecks, den der zweite Mann in die Pfanne geworfen und gerade umgewendet hatte, zog durch die Mulde am Bach. Der Bach war so trocken wie immer um diese Jahreszeit.

Als der Hufschlag kam, hob der Mann, den sie Long nannten und der ein Töter war, träge den Kopf. Die drei anderen Män-ner tauchten nun auf. Sie ritten in einer Reihe zum Feuer. Der dicke, kurzbeinige Mister auf dem ersten Pferd – er hatte ein Gesicht wie eine Bulldogge – nickte nur.

»Erledigt«, sagte er. Er hieß Scotty und war Longs Vetter.

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Long blickte zum zweiten Mann und der Antilope, die hinter dem Sattel über dem Pferd lag.

»Noch eine?« fragte er. Seine Stimme klang tief und rauh. »Ja«, sagte Scotty, der kurzbeinige Mann mit dem großen

Hunger und dem wilden Durst. »Zwei sind besser als eine, denke ich.«

Scotty stieg hastig ab. Sein erster Weg führte an die Pfanne. Er nahm sein Messer, spießte eine Scheibe Speck auf und stopfte sie, heiß wie sie war, zwischen seine kurzen Stummel-zähne. Dann schmatzte er wie ein Ferkel.

»Und wenn er nun nicht darauf hereinfällt?« fragte Evans. Er war der Koch dieses Fünferrudels, das sich nur traf, wenn es viel Geld zu verdienen gab. Und tausend harte Dollar waren viel Geld. »Long, wir wissen nichts von ihm. Er braucht ihn nicht zu suchen.«

»Er sucht ihn«, antwortete Long düster. »Er war in Sonoyta.« Longs düsterer Blick aus tiefliegenden Augen traf Murphy,

den vierten Mann. Murphy zog den Kopf ein. Er wußte, daß Long ihn für den Fehler verantwortlich machte, den er in So-noyta begangen hatte. Javeline Stewart war in Sonoyta gewe-sen, jemand hatte ihn gesehen, als er die Stadt heimlich ver-ließ. Er hatte den Schecken geritten, der Mann, den sie suchten – und Murphy hatte gepennt, statt die Augen aufzuhalten. Sonst hätten sie ihn schon vor drei Tagen gahabt.

»Er kann auch bei Pierce sein«, murmelte Jones, der fünfte Mann. »Was ist, wenn sie nun beide bei Pierce sind?«

Long starrte ihn an und schüttelte den Kopf. »Nein« sagte er. »Pierce und Stewart? Feuer und Wasser.

Wenn einer der beiden Stewarts bei Pierce ist, dann dieser Jun-ge, aber niemals das Halbblut. Campbell soll der Freund des Jungen sein – das Halbblut hat keine Freunde unter Banditen.«

»Wir hätten Pierce suchen sollen.«

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Als Evans das sagte, spuckte Long aus – er spie mitten ins Feuer.

»Idiot«, sagte Long verächtlich. »Nichts im Kopf außer Stroh, was? Pierce suchen und sterben – sage es ihm, Scotty!«

Scotty fraß schon wieder, schlang heftig und fuhr sich über die fett-triefende Unterlippe.

»Wir könnten zwanzig Mann sein«, knurrte Scotty. »Pierce ließe keinen am Leben. Sie versuchten es mal mit sechs Mann. Keiner kam zurück. Du bist ein Narr, Evans. Nein, Longs Idee ist richtig. Ich gebe nicht viel auf Gerüchte, doch diese müssen stimmen. Das Halbblut war mit dem Jungen zusammen. Ob er nun Dourans Bruder erschoß oder der Junge – was spielt das für eine Rolle? Für uns ist wichtig, was Douran glaubt – und der glaubt, daß das Halbblut seinen Bruder auf die Nase legte. Die Stewarts waren zusammen, trennten sich, und das Halb-blut trickste seine Verfolger aus – ist doch alles klar, oder?«

Er spießte das nächste Speckstück auf. Evans knurrte, denn er mußte ein paar frische Scheiben in die Pfanne nachwerfen. Scotty fraß schmatzend und zog dann mit der Spitze des Mes-sers eine Linie in den Sand.

»Hierhin ritt der Junge«, sabberte er. »Verstehst du nicht – er ritt nach Osten, aber er könnte auch nach Norden oder Süden abgebogen sein. Das Halbblut kann nicht wissen, ob dem Jun-gen nicht auch einige Reiter folgten. Taten sie das, konnten sie den Jungen vielleicht töten. Nimm mal an, dieser Torry ist nicht bei Pierce – wo ist er dann, he? Er könnte auch tot sein, erschossen von Verfolgern, die das Halbblut nicht sah. Oder der Junge verkroch sich, weil er verwundet war. Wenn er ihn sucht, sucht er ihn in den Bergen.«

»Wenn – wenn!« knirschte Jones. »Gestern haben die Geier die ausgelegte Antilope gefressen, morgen früh werden sie die nächste finden. Und übermorgen die dritte Antilope. Long, du

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kannst dich irren. Er muß nicht denken, daß sein Bruder in den Bergen Versteck spielt und vielleicht tot ist – daß ihn die Geier fressen.«

»Muß er nicht, wird er aber, wenn er sucht«, sagte Long hohl und düster. »Wo Geier kreisen, liegt immer etwas. Ein Mann, der jemanden sucht, sieht dort nach. Der Gesuchte könnte ja gefressen werde, wie? Ich sage dir, mit Speck fängt man Mäu-se – und die kreisenden Geier vielleicht das Halbblut. Wir ha-ben den Köder ausgelegt. Sucht das Halbblut immer noch sei-nen Bruder, kommt er totsicher in den Canyon, um nachzuse-hen, womit sich die Geier beschäftigen. Ah, Mann, du kannst nicht denken.«

Jones senkte den Kopf. Vielleicht kam es wirklich so, wie Long es sich ausgerechnet hatte, aber es gab keine Garantie da-für, daß das Halbblut auftauchte. Keine drei Meilen von die-sem Platz entfernt lag nun eine Antilope unter Steinen. Sobald es dunkel war, würden sie hinreiten und die Antilope in den Canyon bringen. Am Morgen mußten die Geier das tote Wild entdecken. Bis zum Abend hatten sie es dann aufgefressen.

Vielleicht kam das Halbblut, vielleicht nicht. Sie hofften es, aber niemand war sicher.

*

Longs Unterlippe zuckte hin und her. Aus Longs Nase drang ein Fauchen.

Scotty kaute nicht mehr, er hustete bellend, hatte sich ver-schluckt und das Stück Fleisch in der Kehle sitzen.

Sie lagen hinter den Steinen und schwitzten plötzlich alle. »Gleich«, keuchte Long. Seine Stimme klang jetzt hell und

schrill vor Erregung. »Er muß gleich in das Tal einbiegen, ich sehe ihn bald. Ruhig, Scotty, verdammt, sei doch still, Mann,

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spuck es aus!« Scotty würgte das Stück Fleisch herunter. Im nächsten Augenblick stieß er einen leisen Schrei aus, denn

er sah nun das Pferd. Obwohl die Sonne schon tief stand, glaubte Scotty einen Schecken zu erkennen.

In derselben Sekunde keuchte Long: »Der Schecke!« »Er kommt – er kommt«, flüsterte Evans. »Verdammt, ist er

es wirklich? Long, siehst du den Mann?« »Groß, breitschultrig – das ist er!« zischte Long. »Er hat die

Geier gesehen – ich wußte es doch, er hat sie gesehen.« Es war so, Long hatte recht behalten. Der Schecke trottete nun durch das nächste Tal. Das Pferd

ging langsam, es mußte müde sein. Der Mann hatte die Geier gesehen, und sicher wäre er schneller geritten, um herauszu-finden, womit sie sich abgaben, wenn sein Pferd noch zum Ga-lopp fähig gewesen wäre.

Vor dem Pferd lag jetzt der Anstieg zum Canyonschlauch. Keine zehn Minuten mehr, dann mußte es in den Canyon kommen. Long hatte die tote Antilope in das dritte Nebental des Canyons geschafft. Es war ein Platz, an dem sich jemand ein Versteck gesucht haben konnte.

*

Javeline Stewart blinzelte nicht mehr gegen die Sonne. Er ritt im Schatten der Felswand über feines Geröll dem nächsten Tor des Seitentales entgegen. Die Sonne beschien nur noch den oberen östlichen Rand des Tores. Das Tal war schon voller Schatten.

Geier, dachte Javeline, wieder Geier – und wieder wird es vergeblich gewesen sein. Ich suche und finde nur verendete Tiere, aber nie eine Spur von Torry. Ich hätte doch nach Pierce

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suchen sollen. Im nächsten Augenblick zuckte Javeline Stewart zusammen.

Er war dicht vor dem Eingang zum Seitental, als die Geröllflä-che endete und der Sandstreifen begann. Javelines Lider öffne-ten sich eine Sekunde ganz weit, dann schlossen sie sich zu schmalen Schlitzen. Die Müdigkeit fiel jäh von ihm ab, als er die seltsamen Spuren im Sand entdeckte. Es waren keine Ein-drücke, es waren nur schwache Krätzer, als hätte jemand mit einer Felldecke oder Lederhaut den Sand geglättet.

Plötzlich wurde Javeline Stewart kalt zwischen den Schulter-blättern. Er hatte das Gefühl, daß ihm jemand in den Nacken sah.

Zwanzig Schritte noch bis in das Seitental, jetzt nur noch sechzehn. Der Schecke trottete weiter – der Mann saß zusam-mengekauert im Sattel. Durch das leise Klappen der Hufe kam das Krächzen der Geier. Und in Stewarts Rücken wurde jenes Kältegefühl immer stärker.

Jemand war hier geritten, Javeline wußte es nun. Er brauchte nicht anzuhalten, um nach der Spur zu sehen. Es gab keine Hufspur mehr, nur jene seltsamen Wischer auf dem Sand.

Wer war hier, dachte Stewart, warum hat er die Spuren ver-wischt? Er muß gestern hier gewesen sein. Vielleicht in der Nacht.

In diesem Moment wußte er, daß er jene leichten Wischspu-ren nie gesehen hätte, wenn er schnell geritten wäre. Dann wä-ren ihm diese Kratzer todsicher entgangen.

Javeline sah sich nicht um. Das Gefühl war da – und es trog ihn nicht. Jemand war hinter ihm. Vielleicht lag er auf der Nordwand des Canyons und starrte ihm in den Rücken.

Der Schecke ging weiter, Javeline holte tief Luft. Noch zehn Schritte, dann steckte er im Tal zwischen den engen Wänden. Dann war es zu spät zur Umkehr.

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Als der Schecke hart vor jenem Tor war, trat Stewart blitz-schnell zu. Der linke Stiefelhacken traf den Schecken mit aller Gewalt. Gleichzeitig kippte Stewart nach vorn. Mit der Linken riß er die Zügel herum. Die Rechte schnappte das Gewehr.

In dieser Sekunde sah Javeline die Bewegung über der Nord-wand des Hauptcanyons. Drüben kam ein Hut hoch. Die tief-stehende Sonne ließ den Gewehrlauf blinken.

Der Schecke stob herum, als ahnte er die Gefahr. Das Tier raste los.

Javelines Gewehr flog hoch. Drüben blitzte es auf, der Feuer-ball stand über den Büschen am Rand des Canyons. Dann kam das harte Fauchen und strich über Javeline Stewarts Rücken hinweg. Der Mann war achtzig Schritte entfernt, er lud jetzt durch. Der Gewehrlauf wackelte und stand dann grade.

Im selben Moment drückte Javeline ab. Im Brüllen des Schus-ses, das sich im engen Schlauch des Tales zum Donnern ver-stärkte, stand der Mann auf. Jetzt sah Javeline den Felsblock hinter dem Busch, auf den der Bursche sein Gewehr aufgelegt hatte. Dann stürzte der Mann in den Busch und blieb auf dem Felsblock liegen.

Links war noch Sonne im Tal – eine helle, tödlich gefährliche breite Bahn. Rechts gähnte der Schatten der Südwand des Ca-nyons. Javeline trieb den Schecken herum, er jagte ihn auf die Schatten zu. Steine lagen dort, Felsblöcke, die von der Wand herabgestürzt waren. Als er sich umsah, hörte er den Schrei und sah den zweiten Mann.

In dieser Sekunde wußte Stewart, daß er nicht mehr entkam. Sie waren da – sie, das waren drei oder vier, vielleicht auch fünf. Es war die Ahnung des Todes, der so nahe war, daß er seinen kalten Atem zu spüren glaubte, die ihn den Schecken auf die Felsblöcke und kargen Büsche zutreiben ließ.

Stewart sah den Mann und das Gewehr. Es senkte sich – der

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Mann stand über der linken Wand des Seitentales, das Gewehr nun im Anschlag. Es gab keine Chance mehr für Stewart, nach hinten zu feuern. Er mußte vorwärts und so nahe an die De-ckung, wie es nur ging. Stewart warf sich nach links. Er stieß das Gewehr in den Scabbard.

Im gleichen Moment brüllte der Schuß hinter ihm los. Ste-wart fiel an die Flanke des Pferdes, das Klatschen in den Oh-ren, mit dem die Kugel den Sattel traf und dann in den Rücken des Pferdes einschlug. Der Schecke tat einen Satz. Grell wie-hernd sprang er steil hoch und neigte sich wieder.

Runter, dachte Javeline, runter! Versuchen, ihn noch auf die linke Seite zu reißen!

Im Weghechten hielt er den Zügel fest. Dann schlug sein Schecke auf die linke Flanke, und Javeline landete im Sand. Er kam wie eine Katze auf. Ehe er hochsprang, nahm er genau Maß. Aus den Augenwinkeln sah er den Mann auf der Kuppe über dem Seitental. Er sprang vorwärts und sah den Feuerball. Die Kugel kam mit einem grellen Pfeifen. Neben seinem rech-ten Bein stob Sand in die Höhe. Doch Javeline rannte jetzt. Drei Sprünge, ehe er sich zu Boden warf, die Hände ausstreck-te, über den toten Schecken hinwegschoß und doch noch den Kolben des Gewehrs zu packen bekam. Wieder prallte er auf den Sand, stieß den linken Stiefel gegen den Boden, warf sich auf den Rücken und riß das Gewehr an die Schulter.

Aus der Rückenlage sah er die Rauchwolke. In seinen Ohren war das Rollen des Nachhalles des dritten Schusses, den der Bursche dort oben abgefeuert hatte. Stewart feuerte und wußte es, ehe der Mann zusammenknickte – er hatte getroffen.

Ein Schrei gellte durch das Grollen im Canyon. Der Mann oben drehte sich, knickte zusammen und fiel. Stewart war hoch, als der dritte Mann auftauchte.

»Long – Long, schnell, hierher, er hat Evans erwischt. Scotty,

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paß auf, lauf doch!« Stewart lief auch. Er stürmte auf die Felsen zu, duckte sich

und schickte einen Blick zu dem dritten Halunken. Fünf, dachte Stewart, alle fünf. Douran, das sind deine Killer!

Wenn ich hier jemals herauskomme, du Hundesohn, bezahlst du dafür.

Sie waren da, sie hatten ihm eine Falle gestellt. Er begriff, was sie geplant hatten, um ihn in diese Falle zu locken, ehe er den Krach hörte und die Kugel hinter ihm in das Geröll knall-te. Mit einem verzweifelten Hechtsprung warf sich Stewart zwischen zwei Felsblöcke. Er schlug sich das Knie beim Sturz auf, doch er entging der nächsten Kugel. Heulend prallte sie an einem der Blöcke ab, und Stewart kroch weiter, bis er die Wand erreichte und eine Deckung fand.

»Wo ist er, Jones, wo denn?« Hoch über ihm war ein Klappern und dann die heisere Stim-

me eines Mannes. »Scotty, unter dir – er muß genau hinter dir sein, ich sehe ihn nicht.«

»Long«, schrie jener Scotty. »Long, siehst du ihn?« »No, einer muß nach drüben, verstanden? Scotty, hau ab,

nimm dir ein Pferd, reite zur anderen Seite!« Ruhig, dachte Stewart, nur nicht rühren. Wo läuft der Kerl

hin? Er hörte ihn nicht, aber dann wieherte ein Pferd. Das Wie-

hern kam von links. Die Pferde mußten irgendwo über dem Seitental stehen.

Noch hatten sie ihn nicht – ihre Rechnung war nicht aufge-gangen. Und bald würde es dunkel werden. Die Nacht kam, in der alles verschwamm und dunkle Schatten kein Ziel gaben.

»Noch nicht«, sagte Stewart verbissen. »Noch lange nicht, ihr Halunken!«

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*

Javelines Atem ging keuchend, während er sich über die Kante der Schlucht zog. Er war geklettert, nachdem er zuerst etwa sechzig Schritte zwischen den Felsblöcken unterhalb der Wand davongeglitten war. Sie hatten ihn nicht gesehen, denn es war zu dunkel unterhalb der Wand für sie gewesen.

Jeden Moment konnten sie merken, daß er nicht mehr hinter den Felsblöcken war, auf die sie gefeuert hatten, bis die Dun-kelheit ihnen die Sicht genommen hatte. Stewart lag nun über den Canyon, kroch vorwärts und dachte an den dritten Mann. Er wußte, die anderen beiden Kopfgeldjäger steckten noch un-ten im Canyon, aber der dritte Mann lag hier irgendwo über der Canyonwand auf der Lauer.

Sie hatten keine andere Chance gehabt, auch sie hatten die Dunkelheit ausgenutzt, um in den Canyon herabzusteigen und dann von den Seiten anzuschleichen.

Stewart nahm das Gewehr vorsichtig hoch, als er hinter ei-nem flachbuckligen Stein und einigen Büschen in Deckung lag. Er wickelte es aus seiner Jacke und legte es sacht ab. Da-nach zog er die Stiefel an. Er war mit nackten Füßen die Wand heraufgeklettert, um jeden kleinen, lose liegenden Stein sofort zu spüren. Nun glitt er weiter.

Tief unter ihm ertönte plötzlich ein schriller Schrei: »Vor-sicht, Jones, Vorsicht! Er ist nicht mehr hier, paß auf, Mann!«

Um Stewards Mund huschte ein grimmiges Lächeln, als er sie rennen hörte. Sie schrien, bis der Mann mit der hohlen Stimme fluchte: »Hör auf zu brüllen, der hört uns doch. Jones, paß auf!«

Stewart packte einen Stein, holte aus und warf. Der Stein kam rechts von ihm auf. Er mußte etwa an dem Punkt aufge-schlagen sein, wo der dritte Mann Jones lag. Javeline Stewart

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blickte flach über die Geländefalte. Und dann sah er den Schatten – ein Feuerball zerriß die Nacht. Jones stieß einen ent-setzten Schrei aus. Er schoß sofort und dachte sicher, daß Ste-wart hinter ihm war.

Der zweite Stein flog los – und Jones schoß wieder. Im Feuer-strahl zeichnete sich der Busch ab, hinter dem er kauerte. Zwi-schen den Zweigen hockte der dunkle Schatten des Mannes, und Stewart feuerte, zwei-, dreimal.

Der Mann schrie, der Busch rauschte – Zweige brachen. Ste-wart rannte davon, er lief geduckt nach links, wo die Pferde sein mußten. Jones schoß nicht mehr, dafür aber wurde Huf-schlag laut.

Vor Stewart tauchten plötzlich die Schatten der anderen vier Pferde auf, aber der Hufschlag raste nun heran. Plötzlich blitz-te es rechts hinter ihm auf. Eine Kugel fauchte hoch über ihn hinweg, während Jones gellend schrie: »Die Pferde, Long, die Pferde! Der Hund nimmt die Pferde!«

Stewart hatte sie fast erreicht, als er herumfuhr und sich hin-warf. Gegen den helleren Himmel sah er die Männer auf dem einen Gaul heranrasen. Er zielte kurz und drückte ab. Im nächsten Moment war die Hölle los. Sie hatten nur darauf ge-wartet, daß er schoß. Nun hatten sie ein Ziel. Das Pferd rannte noch zehn Schritte. Die beiden Burschen schossen, bis der Gaul zusammenkrachte. Javeline war längst wieder auf den Beinen. Als er die Pferde erreichte, hörte er die Schritte der Kopfgeldjäger über Felsboden trappeln. Sie rannten ihm nach.

»Schieß doch, du Narr!« brüllte jemand. »Schieß!« Kugeln pfiffen so hart an ihm vorbei, daß er sich duckte und

im Bogen um die Pferde rannte. Im nächsten Moment stieg das erste Pferd steil in die Höhe. Die anderen tobten, stiegen und keilten schrill wiehernd aus.

Mein Gott, dachte Javeline, sie schießen ihre eigenen Pferde

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zusammen! Sie wollen verhindern, daß ich ein Pferd erwische! Unmittelbar neben ihm ging das zweite Pferd zu Boden. Er

packte die Zügel des nächsten Pferdes und warf sich blitz-schnell in den Sattel. Geschickt brachte er das andere Pferd an die Flanke, hatte die Zügel und ließ sie dann entsetzt fahren. Zwei, drei Kugeln trafen das Pferd, es brach zusammen. Er drückte dem erbeuteten Gaul die Hacken ein, duckte sich und raste davon. Es ging über sein Begriffsvermögen, daß diese Halunken eiskalt genug waren, ihre Pferde zu erschießen. Fau-chend strich eine Kugel über ihn hinweg, die nächste zerrte an seiner Jacke. Dann kam der Hieb und riß ihm die Seite ent-zwei. Er ließ sich nach vorn fallen und lag kaum auf dem Hals des Pferdes, als das Tier zusammenzuckte und sprang.

Aus, dachte Stewart, aus! Irgendwie kam er aus dem Sattel, während das Pferd davon-

stürmte. Es jagte nach rechts und preschte wiehernd durch die Büsche. Sie schossen immer noch, bis das Pferd zusammen-brach.

Stewart war schon nach links davongekrochen. Vor ihm gähnte eine Mulde, und er hef los. In seiner Hüfte nagte und biß es wie Feuer.

*

Er konnte nicht mehr. Es gelang ihm noch, an die Tür zu klop-fen. Dann rutschte er ab und blieb liegen.

Irgendwo im Haus polterte etwas. Schritte näherten sich der Tür, ein Riegel klirrte. »Wer ist draußen?«

»Ich – ich, Vince«, sagte Javeline mit letzter Kraft. »Mach auf, Vince.«

Licht blendete ihn, Stimmen schwollen an und wurden dann leiser.

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»Mein Gott, Vince, seine Hüfte – er blutet.« »Sei ruhig, Elaine. Faß an, Salem, nimm seine Beine, Jonny!« Irgendwann lag er und sah ihre Gesichter über sich. Das

Mädchen beugte sich über ihn und flöste ihm Brandy ein. Er mußte husten und keuchte abgerissen.

»Vince«, flüsterte Javeline. »Vince, hör zu – hörst du mich?« »Ja, Javeline.« »Sie sind hinter mir her, verwischt alle Spuren auf den letz-

ten drei Meilen. Ich bin am Rand des Buschlandes entlangge-torkelt. Keine Nachricht an meinen Vater, sonst… , sonst ist die Hölle los. Er würde mich nicht dem Sheriff ausliefern.«

»Du hast Amos nicht erschossen, was?« »Nein«, sagte er matt. Es fiel ihm schwer zu sprechen. »Mein

Vater weiß alles – er ließ es nie zu, daß der Sheriff mich holte. Habt ihr etwas von Torry gehört?«

Vince schüttelte den Kopf und sah zur Seite. »Nichts.« »Gut – er sollte sich stellen, er – er hat wohl nicht den Mut

dazu. Vince, versteckt mich. Diese fünf Killer stellten mir eine Falle. Zwei sind tot, einer verwundet. Ein Mann namens Long führt sie an.«

»Long – Longbone? Ein hagerer Mann, der wie ein wandeln-des Totengerippe aussieht?« fragte Vince entsetzt. Er sah Jave-lines Nicken und biß sich auf die Lippe. »Das ist ein Satan, eis-kalt und tödlich gefährlich. Gut, wir verstecken dich. Können sie deine Spur finden?«

»Nein – sie läuft in Richtung Reservation, Vince. Löscht die Spur am Buschgelände. Bis dahin gibt es keine. Vince – ich muß schlafen, ich kann nicht mehr viel reden. Weißt du – weißt du, wo Torry ist?«

»Vielleicht bei Pierce, aber Pierce kann nicht in seinem Ver-steck sein. Vorgestern sind Tim Douran zwanzig Pferde ge-stohlen worden, während der Narr seine Mannschaft in die Si-

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erra Pinta jagte, weil jemand dich dort gesehen haben will. Ich wette, es war ein Trick von Pierce. Douran jagte alles los, was er an Männern frei hatte. Auch alle Leute von der Ranch seines Bruders. Pierce steckt dahinter – todsicher.«

»Vince«, flüsterte Javeline. »Jemand sagte mir – Torry hat mit Pierce und Campbell manchmal Pferde und Rinder gestohlen. Ist das wahr?«

»Vielleicht.« Die Antwort klang düster – also war es wahr. Fatty hatte

nicht gelogen. »Vince, wo haust Pierce – du weißt es doch.« Vince Chochrane sah zu Boden. Er schwieg. Ich Narr, dachte Javeline, das hätte ich mir doch schon längst

sagen müssen – er weiß, wo Pierce sein Adlernest hat. Mein Gott, warum bin ich nicht darauf gekommen, warum denn nicht?

*

Sie kamen auf den Hof, und Elaine sah sie durch das Fenster. »Ganz ruhig!« keuchte Salem. Er sah sie beschwörend an

und versuchte ein Lächeln. »Runter mit der Bluse, schnell doch. Sie merken es nicht, sage ich dir. Setz dich auf die Bett-kante, tu's doch endlich!«

Die Cochranes waren auf diesen Besuch vorbereitet. Elaines Bett eignete sich für das, was sie sich überlegt hatten, am bes-ten.

Draußen fluchte Vince scharf los. »Was soll das, Douran – was wollen Sie hier, he?« »Cochrane, werde nicht frech!« knurrte Douran. Er saß ab,

während seine Leute, insgesamt sechzehn Mann, sich blitzar-tig überall verteilten. Drei sausten zur Scheune, vier zum Stall,

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zwei zum Schuppen. »Momen – Moment!« sagte Vince Cochrane. »Douran, in un-

ser Haus kommt niemand.« Jonny stand in der Tür, das Gewehr in der Faust. Nun tauch-

te auch Salem auf – er stieß das Wohnzimmerfenster auf und hielt seinen Colt in der Hand.

»Eine Armee, was?« sagte Salem frech und sah den Totengrä-ber Long giftig an. »Hallo, Longbone, du alter Kopfgeldein-sammler, sucht ihr jemand?«

»Ah, so sieht man sich wieder, was?« knarrte Long hohl, während Scotty an einem Streifen Fleisch nagte. »Wenn ihr den Kerl versteckt habt, dann rückt ihn besser gleich heraus, sonst gibt es mächtigen Ärger.«

»Meinst du Stewart?« Salem grinste und wog den Colt in der Hand. Jonny stand

wie ein Klotz in der Tür, Vince breitbeinig im Hof. »Wir suchen hier alles ab, auch im Haus!« sagte Timothy

Douran. »Weigert ihr euch, tun wir es gewaltsam. Na, wie wollt ihr es haben?«

Sie stritten drei Minuten. Dann gab Vince fluchend auf. Dourans Männer suchten überall, schließlich nahmen sie sich das Haus vor. Als sie vor der Tür zu Elaines Zimmer standen, stand Jonny ihnen im Weg.

»Da geht es nicht rein, klar? Meine Schwester liegt im Bett. Sie hat – was geht es euch an, was sie hat, he? Was soll ein Mädchen schon haben?«

»Ich will hineinblicken!« forderte Douran eisig. »Das wird ihr ja wohl nicht schaden, was? Also?«

»Verdammt noch mal, wo sind wir hier?« knirschte Salem und spie aus dem Fenster. »Bande, verdammte? Vince, das ist zuviel.«

»Sei freidlich«, mahnte Vince. Er öffnete die Tür. Douran sah

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hinein und Elaine mit bis an die Nasenspitze hochgezogener Decke im Bett hegen. Sie war kreidebleich und sah wirklich ernsthaft krank aus.

»Entschuldigung, Miß!« brummte Douran unwirsch. Er knallte die Tür zu, aber da war Long, das Totengerippe, neben ihm.

»Moment, Mister Douran, ich will das genau sehen.« »Was?« schrie Salem und packte seinen Arm. »Du Schwein,

das gibt es nicht.« Scotty hielt das Stück Fleisch zwischen den Zähnen wie ein

Hund ein geklautes Steak und in der Hand den Colt. »Mach mal Platz, Salem, sonst hast du ein Loch im Fell!«

Die drei fluchten, traten aber zur Seite. Scotty, Long und Jo-nes traten mit Douran in das Zimmer. Zuerst machten sie den Schrank auf, dann die Truhe, Long glotzte unter das Bett.

»Aufstehen, Miß« sagte er dann. »Nun los, stehen Sie auf.« »Waaaas?« brüllte Vince. »Was denkst du Lustmolch, was sie

am Leib hat, he? Mensch, treffen wir uns mal allein, dann er-lebst du was!«

»Es haben schon mal zwei in einem Bett gelegen«, höhnte Scotty und steckte ihm den Colt in die Nierengegend.

Salem fluchte bissig, nahm die Überdecke und hielt sie vor das Bett.

»Steh auf! Dreht euch um, ihr Ferkel!« knirschte er. »Das ist doch das letzte Dreckvolk.«

Elaine stand auf. Salem legte ihr die Decke um und schlug dann das Bett auf.

»Na, wo liegt er?« schrie er voller Grimm. »Ihr verdammten Strolche, – raus jetzt, – raus!«

»Los, verschwindet!« knurrte Douran gereizt. »Das war wohl nicht nötig, Longbone, was?«

Sie trampelten ins Freie, die letzten beiden Männer stiegen

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verlegen vom Boden herab. Es waren Cowboys, die keinen Spaß an der Sache hatten.

»Tut uns leid, Vince«, sagte einer von ihnen leise. »Wir ma-chen das schon den dritten Tag und überall. Der Boß will Ste-wart unbedingt haben, der Bursche muß verschwunden sein. Nichts für ungut, Vince.«

»Schert euch raus!« Als sie fort waren, rannten die drei Cochranes in Elaines

Zimmer. Elaine saß auf dem Stuhl und weinte, sie zitterte am ganzen Leib, während ihre Brüder das Laken herunterrissen. Danach nahmen sie eine zusammengelegte Decke hoch und kamen endlich an die Bretter. Die Bettseiten waren so hoch, daß die Cochranes einen Doppelboden hatten bauen können. Auf der unteren Lage Bretter lag der Mann, den Douran ge-sucht hatte. Der Mann hatte hohes Fieber, er lag da wie tot.

»Mein Gott!« ächzte Vince. »Salem, du mußt zur Stadt reiten und Medizin holen – du mußt zum Doc, Bruder, da hilft nichts. Wenn er fragen sollte, sagst du ihm, ich hätte mich an einem Weidezaun verletzt.«

»Das glaubt der doch nicht«, schnaubte Salem. »Der Doc ver-rät niemand, das weißt du doch. Ich sage ihm die Wahrheit, fertig! Was soll ich ihm sonst erzählen?«

Vince und Jonny wechselten einen Blick. »Nun gut, mach es so«, bestimmte Vince. »Und vergiß nicht,

dich umzusehen und nach Pierce zu fragen. Ist er mit den Pferden über die Grenze entwischt, hat er einen Grund zu ei-ner mächtigen Feier. Ich will es wissen.«

*

Salem Cochrane blickte gleichmütig in den schweren Revolver Longbones. Hinter ihm näherte sich jetzt das Pferd, und Salem

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wußte, daß es Jones war. Der Kopfgeldjäger mußte hinter den Kakteen gehalten haben, während Scotty und Long vor den Kakteen auf ihn gewartet haben.

»Na?« fragte Long jetzt. Seine tiefliegenden Augen spiegelten den Hohn wider, mit dem er Salem Cochrane betrachtete. »Wo warst du denn, mein lieber Freund?«

»In der Stadt«, antwortete Salem träge. »Was soll das, Long-bone, warum reitet ihr mir in den Weg?«

»Oh, weißt du«, quetschte Scotty hervor und spuckte ein Stück harter Schinkenkante auf den Weg, während er das safti-ge Schinkenfleisch weiter durchkaute. »Wir geben niemals et-was auf. Douran hat die Nase voll gehabt, der will nun nicht mehr suchen. Wir wollen ja auch nicht, aber – weißt du, Mister – da waren wir nun in der Stadt, yeah, waren wir, verstehst du? Und dann kommst du.«

Er schlang das durchgekaute Fleisch herunter und hatte end-lich den Mund leer.

»Na und, ich habe was für meine kranke Schwester geholt«, knurrte Salem finster. »Ist das vielleicht verboten?«

»Die arme, kranke Schwester, tss – tss!« machte Scotty kopf-schüttelnd.

»Ja, weißt du, Mister, Fieber hatte sie ja nicht, glaube ich, wie? Man muß an alles denken, Mister, immer schön an alles denken, auch an Kleinigkeiten, verstehst du? Sieh mal, der Sheriff ist mit einem Aufgebot unterwegs – und sein Deputy mit einem anderen. Sie suchen alle den guten, alten James Pierce. Der ist nämlich nicht in Sonoyta aufgetaucht, der ist immer noch verschwunden. Komisch, was? Nun ja, und dann ist also nun kein Sheriff und kein Deputy in der Stadt gewe-sen. Also haben wir mal den Doc besucht. Weißt du, so ein Doc, der hat da so ein Geheimnis, der darf ja nicht über alles reden – du verstehst doch, Mister?«

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Salem wurde ganz langsam schlecht. »Bist du auch krank?« fragte Scotty besorgt. »Du siehst so

elend aus, Mister, wirklich elend. Yeah, kann einem ja auch manchmal schnell werden. Dem Doc wurde auch ganz schlecht, glaube mir, Mister, furchtbar krank wurde er. Du willst doch nicht, daß du auch krank wirst, oder?«

»Ihr seid verrückt!« keuchte Salem. »Was soll der Unsinn? Ich habe Medizin für meine Schwester geholt und sonst nichts.«

»Er lügt«, sagte Scotty und schüttelte den Kopf. »Nein, warum muß er denn lügen? Das ist aber nicht gut für dich, Mister. Gar nicht gut ist das!«

Salem hörte noch das Sausen. Danach explodierte sein Kopf. Jones hatte ihm den Colt über den Hinterkopf geschlagen.

*

Salem Cochrane stöhnte. Es war gut, daß er keinen Spiegel hat-te, um sein Gesicht zu betrachten. Sie hatten ihn erst ins Ge-sicht geschlagen. Danach war er über einen Stein gelegt wor-den, und sie hatten Kakteenstacheln abgebrochen, um sie ihm an einige Stellen zu pflanzen. Es gab Dinge, die hielt kein Mensch aus. So einfach war das, wenn man etwas erfahren wollte.

»Du großer Gott!« lallte Salem. Er hielt sich an einem Stein fest. Das Würgen begann wieder. Er hatte die Schläge in den Bauch nicht gut vertragen. Manchmal war ihm, als müßte er sich übergeben. »Allmächtiger, sie sind zwei Stunden vor Mit-ternacht auf unserer Ranch und kassieren Javeline. Diese Ha-lunken, diese Teufel! Ich muß weiter und in die Berge. Zu spät, um umzudrehen, zur Stadt käme ich nicht mehr. Dort ist auch keiner, der helfen könnte. Wenn Pierce nicht in Sonoyta ist,

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dann kann er nur in den Puerto Blanco-Bergen sein. Dort hat er immer gesessen, wenn er aus irgendeinem Grund nicht mehr mit gestohlenen Pferden oder Rindern über die Grenze kam. Er muß dort oben sein…«

Salem Cochrane kannte den Platz hoch oben in den Bergen. Er war viermal dort oben gewesen – mit Pierce, aber es war Jahre her, und er hatte nur auf jene Ersatzpferde geachtet, die Pierce immer dort stehen hatte, wenn er etwas unternahm. Pierce dachte an alles, an Aufgebote, die ihn suchen konnten, an Verpflegung für mehrere Tage, falls er sich verkriechen mußte.

*

Einen Moment dachte Salem an seinen Vater, der den großen Durst gehabt hatte. Nun trank er wie sein Alter, und der Whis-ky – oder war es Tequila? – brannte wie Feuer in seinem armen Bauch. Salem schmeckte nicht mehr, was er trank. Er spürte nur, daß es ihm half.

»Seine Füße«, sagte jemand düster. »Seht mal, was sie mit seinen Füßen getan haben.«

»Salem!« Sie nahmen ihm die Flasche weg, das einzige Mittel, was ihn

munter gemacht hatte, nachdem er schon halbtot das Versteck erreicht hatte.

»Ja?« sagte Salem. »In Ordnung, James, ich bin wieder bei-sammen. Tut mir leid, James. Bring mich um, aber ich mußte es ihnen sagen. Sie fragten mich, warum ich mich in Lukeville nach dir erkundigt hätte – sie wußten irgendwoher, daß wir dir mal geholfen haben. Da preßten sie mich aus. Ich konnte es nicht ertragen – die Behandlung war zu freundlich, James.«

»Schon gut«, murmelte Pierce düster. Er saß auf einem Stein,

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den Kopf in die Hände gestützt, das Gesicht finster wie nie zu-vor. »Bist du sicher, daß Javeline nicht transportiert werden kann?«

»Absolut«, gab Salem zurück. »Ich sage dir, sie versuchen es auch gar nicht. Einer der Halunken wird losreiten und es Ti-mothy Douran melden. Und was der mit Javeline macht, brau-che ich dir nicht zu sagen. Was sie danach mit Vince anstellen, damit er sie zu deinem Versteck führt, kannst du dir auch aus-rechnen, denke ich.«

James Pierce hob den Kopf. Er blickte seine Männer an. Der längste Blick traf Torry Stewart und Natalie, seine Schwester. Torry hatte es nicht lassen können und sie begleiten müssen. Und Natalie war mitgekommen, wie schon so oft, wenn sie unterwegs gewesen waren, um jemand zu erleichtern.

»James«, keuchte Torry. »James, ich reite los. Und wenn ich es allein tun muß – ich reite. Ich lasse nicht zu, daß der Narr Douran meinen Bruder aufhängt.«

»Sei ruhig«, knurrte Pierce. »Salem, du meinst, Longbone holt sich noch ein paar Kopfgeldjäger, nimmt deine Brüder und dich, wenn er dich aufgesammelt hat, zu meinem Versteck mit und erwartet mich dort? Das könnte hinkommen, fürchte ich. Wer nicht weiß, wie zäh du bist, hätte dich auch liegenlas-sen, wie Longbone es tat. Satteln!« Das letzte Wort stieß er eis-kalt heraus.

*

Es knackte plötzlich irgendwo über ihren Köpfen im Gebälk des Hauses.

Longbone fuhr wie von der Natter gebissen herum. Scotty löffelte Hirsebrei mit Backpflaumen. Der Löffel fiel ihm aus der Hand und klatschte in den Teller, daß der Brei nach allen

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Seiten spritzte. Seine Hand zuckte zum Colt, sein Blick sauste zum Fenster.

Vince hockte in der Ecke der Küche am Boden. Sie hatten es sich einfach gemacht und ihm die Hände an den Ring der Kel-lerfalltür gebunden. Vince sah zu Jonny. Der Klotz von Mann saß auch auf den Dielen, die Hände auf dem Rücken gebun-den und danach mit noch einem Strick um die schwere Wand-bank festgelegt.

Die Bank war an die Wand genagelt. Jonny saß dort gut und grinste jetzt. Dabei spannte sich die Haut über der bläulich schimmernden, strangförmigen Beule an seiner Stirn.

»Nervös?« fragte Vince spöttisch. »Was habt ihr denn? Das war nur ein Dachbalken.«

Jonny lachte jetzt leise. »Lachst du?« fragte Scotty ölig und stand langsam auf. »La-

chen ist gesund, was?« Er blieb vor Elaine Cochrane stehen. Sie saß gebunden auf

dem einzigen Küchenstuhl. Ihr Gesicht war blaß. Dann ging er weiter zum Herd.

Sie hatten nicht gedacht, daß er sich Hirsebrei kochen würde. Er hatte anfänglich nur in der Speisekammer und im Keller herumgesucht, ein Stück Wurst probiert, ein Einmachglas mit Birnen leergeschlürft, aber die Früchte nicht gegessen, nur den Saft getrunken. Danach war ihm die Idee mit dem Hirsebrei gekommen. Die erste Ladung war ihm jedoch angebrannt, und er hatte fluchend die Hirse in einen tiefen Teller geschüttet.

»Du lachst?« fragte Scotty, als er den Teller nahm und zu-rückkam. Er sah Jonny an und lachte auch. Dann holte er aus. Er klatschte Jonny Cochrane den verbrannten Brei ins Gesicht und drehte den Teller wie einen Schleifstein auf Jonnys Nase hin und her.

Jonny saß ganz still. Der Brei begann sich zu bewegen. Jonny

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spuckte das, was ihm vor dem Mund saß, aus. Dann klapperte er so lange mit den Lidern, bis er wieder sehen konnte.

»Idiot!« sagte Longbone hohl. Er erhob sich und ging zur Tür. »Mach ihm das aus dem Gesicht, verstanden?

Ich horche mal, ob sie noch nicht kommen.« »Aus dem Gesicht machen?« fragte Scotty. Er lachte plötzlich

wiehernd wie ein Pferd und stellte sich mit dem Rücken zu Elaine Cochrane auf. Sein Lachen wollte kein Ende nehmen – er lachte Tränen und nestelte an den Knöpfen seiner Hose. »Ich mach' dich sauber, hihihi – ganz sauber.«

Jonny saß am Boden und dachte, er würde wahnsinnig. Dann fiel draußen etwas um. Es hörte sich an, als wäre ein

Mehlsack in den Hof geplumpst. Scotty stand ganz still, seine Augen weiteten sich. Dann

drehte er sich langsam um. Er lachte nicht mehr. »Long?« rief Scotty leise. »Long?« »Ja«, sagte die hohle Stimme im Hof. »Long, was war das?« fragte Scotty und ging zur Tür. »Long,

was fiel da um?« Er stand in der Tür und starrte in die Nacht. Zehn Schritte

vor der Tür lag etwas am Boden – es war lang und klapper-dürr. Es war sein Vetter Longbone.

Scotty schrie entsetzt. Seine Hand fuhr zum Colt, seine kurz-en Beine stießen gegen die Dielen. Er wollte zurück und sah einen blinkenden Punkt auftauchen.

Als der Punkt ins Licht schwirrte, sah Scotty, daß es eine Messerklinge war. Er sah auch den Schatten noch. An den bei-den Pferden am Balken links schnellte der Schatten vorwärts. Es war Pedro, Fatty Georges Pistolero, der sein Messer zum zweiten Mal geworfen hatte.

Scotty wurde plötzlich die Hand so schwer wie Blei. Dann sah er an sich herunter, weil das Messer ihn anstieß. Er starrte

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auf die Klinge. Sie war nur noch so lang wie sein kleiner Fin-ger. Die anderen sieben Zoll waren verschwunden.

Plötzlich gaben Scottys Knie nach. Er fiel zu Boden und hockte auf den Knien. Seine Hand zog Zoll für Zoll den Colt aus dem Halfter.

Dann knackte es splitternd hinter ihm. Jonny, der Klotz, hatte blitzschnell die Beine angezogen und den Rücken gegen die Wandbank gestemmt. Die Bank wurde aus den Nägeln geris-sen. Jonny schnellte in die Höhe. Er hatte die Sitzbank quer auf dem Rücken und drehte sich. Dabei neigte er die rechte Schul-ter. Das Ende der Bank zischte an Elaine und dem Stuhl vor-bei. Dann traf es Scottys Hinterkopf mit fürchterlicher Gewalt und schleuderte Scotty nach vorn. Der Kopfgeldjäger fiel mit dem Gesicht voran auf den Boden. Sein Revolver polterte auf die Dielen.

Jonny Cochrane konnte den Schwung der Bank nicht mehr abbremsen. Er prallte mit ihr gegen die Wand und stürzte hin.

Er hörte, wie jemand zur Tür hereinsprang. Hände zerrten an seinen Fesseln. Man schnitt ihn los, während die tiefe Stim-me von Pierce laut wurde.

Als Jonny endlich genug sah, wurde er bleich. Sie waren alle da – die ganzen neun Mann von Pierce. Vince stand an der Wand – er war so bleich wie Jonny, denn

Salem humpelte nun herein. Aus Elaines Zimmer drang Torrys Stimme:

»Javeline – Javeline, hörst du mich? Bruder, hörst du mich?« »Es hat keinen Zweck«, sagte Vince gepreßt. »Torry, er hört

dich doch nicht. Diese Halunken gaben ihm die Medizin ein. Dabei sagte Scotty, er hoffe, sie würde ihn gesund genug ma-chen, damit er zusehen könnte, wie sie ihn aufhängten. Gestie-gen ist sein Fieber nicht. Mein Gott, James, was wird das?«

James Pierce stand breitbeinig in der Tür. Er sah kalt auf

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Scotty herab. Es war das erste Mal, daß Elaine ihn sah, und sie glaubte in seinen Augen nichts als gnadenlosen Haß zu erken-nen.

»Ihr müßt eine Trage machen«, sagte Pierce kalt. »Das ist die einzige Chance für Javeline. Reitet zur Stewart-Ranch. Das müßte er aushalten können. Torry will sich stellen.«

»Er hält es nicht aus«, stammelte Elaine entsetzt. »Mister Pierce, das ist unmöglich, er stirbt, ehe wir dort sind. Er hat zuviel Blut verloren.«

Pierce biß sich auf die Lippe. »Was glauben Sie, was hier in wenigen Minuten passieren wird?« fragte er dann eisig. »Jones ist doch zu Douran geritten, wie? Er dürfte bald mit Dourans Leuten herkommen. Wir erwarten die Narren hier.«

»Nein!« keuchte Vince. »James, das kannst du nicht tun – nicht hier.«

»So ist das?« murmelte Pierce. »Anständig bleiben, wie? Du bist ein Narr, Vince. Hast du vergessen, warum ich die Dour-ans immer wieder besuchte und ihnen Vieh und Pferde ab-trieb?«

»Du weißt nicht mit letzter Sicherheit, ob sie es damals wa-ren, die deinen Vater und Bruder erschossen, James.«

»Sie waren dabei«, sagte Pierce kalt. »Ich hätte sie schon vor Jahren töten sollen, dann wäre das hier nicht geschehen. Timp-sie, was ist?«

»Taylor kommt, James!« »Verflucht!« entfuhr es Pierce. Er hatte Taylor in Richtung

Douran-Ranch geschickt. Wenn Taylor jetzt schon kam, konnte das nur bedeuten, daß sich Reiter näherten. »Alles raus hier, nehmt den Kerl da mit! Natalie – kommst du?«

»Ich bleibe hier«, sagte sie und stand in der Tür des Wohn-zimmers. »Was willst du tun, Bruder?«

»Sie müssen durch den Hohlweg«, erwiderte Pierce düster.

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»Ich erwarte sie dort. Nun gut, dann bleibe hier. Mach, was du willst, du weißt, was du zu tun hast!«

Er ging zuletzt hinaus und warf die Tür zu. Pferde schnaub-ten, leise Rufe drangen durch die Nacht. Dann setzte der Huf-schlag ein. Sie ritten fort.

Salem Cochrane lief an ihr vorbei, um sich sein Gewehr aus dem Schrank zu holen. Jonny fluchte und warf den hinteren Blendladen zu.

»Vince, versteh doch!« bat Natalie. »Er muß es tun, er muß verhindern, daß man ihm folgt. Torrigan, erkläre Vince, daß Ja-mes nicht anders kann. Torrigan?«

Er antwortete nicht. Da stürzte sie los und sah das offenste-hende Fenster von Elaines Zimmer.

»Torrigan!« schrie sie entsetzt. »Torrigan!« Der Hufschlag verlor sich bereits. Torrigan hatte sie verlas-

sen, um mit James Pierce an den Hohlweg zu reiten, durch den Timothy Douran kommen mußte.

»Ein Pferd!« keuchte sie und stürmte zur Haustür. »Vince, gib mir ein Pferd, ich muß Torrigan zurückholen. Vince, laß mich hinaus!«

Die Tür war verschlossen. Vince schüttelte den Kopf. Da warf sie sich herum und kletterte aus dem Fenster. Als sie am Stall war, einen Sattel fand und ihn zum Corral trug, blieb sie stehen. Durch die Nacht kam das anschwellende Dröhnen vie-ler Pferdehufe.

»O mein Gott, Torrigan!« wimmerte Natalie Pierce. Sie wuß-te, daß es viele Reiter sein mußten, die nun auf den Hohlweg zujagten. »Das sind zu viele, Torrigan. Mein Gott, das sind dreißig Pferde, wenn nicht mehr. So viel Leute hat Douran gar nicht. Wo kommen die Reiter her?«

Natalie Pierce blieb zitternd am Corral stehen und lauschte. Hinter ihr schlug das Fenster zu.

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Jetzt, dachte sie und hielt entsetzt den Atem an, jetzt sind sie am Hohlweg, jetzt!

Im selben Augenblick krachte dröhnend der erste Schuß.

*

Nein, dachte Torrigan Stewart, nein, das darf nicht wahr sein! Das sind nicht nur Dourans Leute – das sind ja Männer aus der Stadt!

In diesem Augenblick sah er den Mann mit dem Stern an der Weste und wußte, daß der Sheriff mit dem Aufgebot bei Dou-ran gewesen war. Wahrscheinlich hatten sich die Männer nach der ergebnislosen Suche bei Douran ausruhen wollen. Sie hat-ten todsicher die Suche abgebrochen gehabt, als Jones zur Ranch gekommen war.

Und dann, ehe der Staub die nachfolgenden Reiter schluckte, durchfuhr es Torrigan Stewart wie ein Blitz. Er sah plötzlich zwei, drei bekannte Gesichter unter sich. Mitten unter ihnen ritt jemand. Es war Joe Flint, der Vormann seines Vaters. An-scheinend hatte der Sheriff einen seiner Männer zur Südwest-weide der Stewarts geschickt, um die dort in der Weidehütte schlafenden Männer seines Vaters zu benachrichtigen. Joe Flint war auf der Weide gewesen und nun auch dabei.

»Joe!« schrie Torry gellend los. Er schrie, ohne nachzuden-ken, er schrie weil er schreien mußte. »Joe, Vorsicht, eine Falle! Joe, Vorsicht!«

Er sah noch, daß Joe Flints Kopf herumfuhr. Danach sah er Feuer, und hinter dem Feuerstrahl im Bruchteil einer Sekunde das Gesicht von Pedro.

Es war Pedro, der auf ihn schoß, Pedro, der wie ein Wolf rea-gierte und feuerte. Vielleicht hatte er das Tor von Fattys Hauptlager nicht vergessen – sicher nicht. Er hatte Torrys Re-

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volverlauf auf den Kopf bekommen und ihm später nichts tun dürfen, weil James Pierce es verboten hatte.

Jetzt schoß er, denn der Mann, der neben ihm schrie, war ein Verräter für ihn.

Die Kugel traf Torry in die Brust. Er fiel in das Gras neben dem Busch über der Kante des Hohlweges. Es war seltsam, daß er kaum Schmerz spürte und alles sah, was sich abspielte.

Torry sah, wie Pedros Revolver weiter Feuer spuckte, bis aus der Staubfahne, die ihm die Sicht auf den Hohlweg nahm, zwei, drei andere Blitze durch die Nacht zuckten. Er sah, daß die Kugeln Pedro, den Pistolero, hin und her warfen, ihn schüttelten, bis er zusammenbrach und sich nicht mehr be-wegte.

Links von Torry schrie Bennet und schoß in den Staub hin-ein. Drüben mußte Pierce liegen. Von der anderen Seite des Hohlweges peitschten die Schüsse wie Reihenfeuer. Pferde wieherten und schrien entsetzlich, wenn sie starben.

Fort, dachte Torry, fort hier. Sie sterben alle. Ich will nicht sterben, ich muß fortkriechen!

Er kroch langsam, aber er kam davon und zog sich an einem Busch mühsam hoch. Dann taumelte er zwischen anderen Bü-schen weiter, bis Schatten vor ihm auftauchten. Er hatte die Pferde erreicht und blieb stöhnend an irgendeinem Sattel ste-hen. Hinter ihm gellten Schreie durch die Nacht. Seine Arme zitterten, als er sich in den Sattel zog und nach vorn fiel.

Schlafen, dachte er, ich bin so müde, ich will schlafen, nur schlafen. Sie – sie muß mir das Bett machen, ich kann nur in ihrem Arm einschlafen. Wo – wo ist sie? Ich bin ja aus dem Fenster gestiegen – bin ich, ja, so eine Narrheit, ich hätte bei ihr bleiben sollen.

»Natalie«, stöhnte Torrigan Stewart. »Natalie!« Das Pferd ging an. Torry rutschte am Hals ab, krallte die Fin-

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ger in die Mähnenhaare und hielt sich eisern fest. Das Pferd trottete und kam irgendwann an einen Zaun. Tor-

rigan Stewart sah den Zaun und die dunklen Umrisse eines Gebäudes.

»Natalie… Natalie…« »Torrigan!« »Natalie«, lallte er und rutschte in ihre Arme. »Natalie, ich

bin müde, ich muß schlafen. Natalie, bleib bei mir.« »Ja, Torrigan, ja, ich bleibe bei dir. Sie werden dir nichts tun.

Halte ganz still, Torrigan.« Er lag in ihrem Schoß, die Augen offen. Ihr Gesicht war über

ihm. »Du bist da?« fragte er. »Dann ist alles gut, Natalie. Sie schie-

ßen?« »Ja, Torrigan, – es – es hört auf, sie schießen nicht mehr. Rei-

ter kommen, Torrigan. Du mußt keine Angst haben, sie tun dir nichts.«

»Ich habe keine Angst, Natalie.« »Wer sitzt da am Boden, he?« brüllte jemand. Warum schreit der Mann so? dachte Torry. Er soll nicht so

schreien, ich will schlafen. »Ich – Natalie Pierce, Sheriff. Torrigan Stewart ist hier.« Pferde schnaubten, ein Mann beugte sich über ihn. »Torry? Bringt Licht her, verdammt, macht doch. Torry, hörst

du mich?« »Sicher, Joe, sicher, ich höre dich. Ich will mich stellen. Sie

sollen Javeline nicht mehr jagen – ich war es doch, ich habe den Lumpenkerl erschossen. Es war Notwehr, er konnte es nicht schlucken, daß ich ihm die Schuldscheine abgenommen hatte, der Narr, der geldgierige Schurke. Er wollte das Kupfer haben, der Lump. Es war mein Fehler – ich hatte seinen Colt in der Satteltasche übersehen.«

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»Torrigan, nicht so viel reden!« »Ich muß reden, Natalie, ich muß. Sie sollen meinen Bruder

nicht wie einen Hasen jagen. Er war immer gut – er hat mir immer geholfen und Timothys Männer von mir abgelenkt. Ich war feige – ich war zu feige, mich zu stellen. Jetzt tue ich es. Ich habe keine Angst mehr – habe ich nicht, nein!«

»Torrigan – Torrigan, du brauchst keine Angst zu haben.« »Ich habe keine – nein! Ich bin nicht feige – nein! Joe… Joe,

hörst du mich? Die Schuldscheine – hier, in meiner Jacke – die Schuldscheine. Dad soll sie – er soll sie diesem geizigen, gieri-gen, widerlichen Timothy Douran in den Hals stopfen.«

»Er ist tot. Pierce hat ihn erschossen, Torry.« »Oh, schade – schade. Dad hätte sie ihm in den Hals stopfen

müssen. Ich kann kaum reden, ich bin so müde, Joe.« »Dann schlaf, Junge, schlaf. Soll ich deinem Vater etwas be-

stellen?« »Ja – ja, tut mir leid, war wohl ein wenig leichtsinnig. Er soll

nicht böse sein, ich bin so… Das macht mein Blut, glaube ich. Wenn das Kupfer aus der Erde kommt, dann – dann feiern wir in Sonoyta. Hörst du, Joe?«

»Ich höre, Junge, ich höre.« »Das ist gut. Ich bin müde, ich will schlafen. Natalie, schick

sie weg, ich will schlafen. Natalie, mir ist so kalt, ich friere. Na-talie, ich friere so, es wird schlimmer, immer schlimmer. Es wird so kalt.«

Sie nahm ihn in die Arme und versuchte ihn zu wärmen, aber er fror und starb. Dann war sie mit ihm allein.

Sie blieb sitzen und hielt ihn immer noch fest.

*

Javeline Stewart schlug hastig die Decke um seine nackten Bei-

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ne. Er saß auf der Bettkante, als Elaine hereinkam und erschro-cken stehenblieb, weil er saß und schon das Hemd angezogen hatte, das ihm sein Vater mit anderen Sachen vor einigen Ta-gen gebracht hatte.

»Oh«, sagte sie. »Javeline, soll ich Vince rufen? Er kann Ihnen helfen. Der Wagen kommt doch noch nicht. Erst in zwei Stun-den, hat Joe Flint gesagt. Warum stehen Sie jetzt schon auf?«

»Ich kann nicht mehr liegen«, murmelte er. »Ich wollte noch mit euch allein reden. Mein Vater hat ja schon viel gesagt, aber ich nicht – ich rede nie viel, Elaine.«

»Das ist kein Fehler, Javeline, bei Ihnen nicht.« »Doch, ich fürchte doch««, antwortete er. »Ich wollte, ich

könnte so reden wie Torry. Aber ich bin wohl ein Mensch vol-ler Fehler.«

»Javeline, niemand, den ich kenne, hat so wenig Fehler wie Sie – Sie haben keinen einzigen.«

»Doch – ich bin ein Halbblut.« »O Gott! Javeline, das dürfen Sie nicht sagen. Das ist doch

kein Fehler.« »Es ist der schlimmste Fehler, mit dem ein Mensch zur Welt

kommen kann, Elaine. Nun ja, vielleicht hat er einige Freunde, vielleicht fürchtet man ihn auch, aber lieben wird ihn keiner.«

»Das ist nicht wahr, Javeline. Meine Brüder lieben Sie – Ihr Vater liebt Sie – alle Männer der Ranch, oder waren sie nicht alle hier, haben sie nicht gesammelt und Ihnen einen neuen Sattel gekauft?«

»Das kann andere Gründe haben, Elaine. Ich werde eines Ta-ges der Boß sein. Sie mögen mich vielleicht, aber sonst? Ein Halbblut ist kein vollwertiger Mensch.«

»Javeline, wenn Sie das noch einmal sagen, gehe ich hinaus und komme nie wieder. Mein Gott, ich kann es nicht mehr hö-ren!«

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Sie hatte Tränen in den Augen und wendete sich ab. »Sie hatten einmal Angst vor mir, ich weiß, aber das ist wohl

vorbei, hoffe ich. Elaine, ich bin kein Halbwilder, wie die Leute immer sagen. Ich will niemandem etwas tun, aber ich muß mich doch wehren dürfen, wenn mich jemand töten will – oder nicht? Soll ich mich totschlagen lassen, nur weil ich ein Halbblut bin? Herrgott, ich kann nichts dafür, daß ich es bin. Was wollen denn diese Menschen nur von mir, warum sehen sie mich an und prüfen mit ihren Blicken, ob ich nicht etwas dünkelhäutiger bin als sie – warum? Wenn ich nicht Stewart hieße, hätten sie mich vielleicht schon mit Steinen geworfen und mich getötet.«

»Javeline – sind Sie fertig?« flüsterte sie, als er schwieg. »Sie können reden – und sicher reden Sie besser als Torry, viel klü-ger und viel vernünftiger. Nur etwas kannst du nicht, Javeline Stewart – du kannst dir nicht vorstellen, daß ein Mädchen dich lieben könnte. Ein weißes Mädchen. Ich liebe dich, Javeline Stewart – ich liebe dich, solange ich denken kann, und ich hat-te Angst, daß du es merken könntest. Ich bin eine Cochrane, und die haben alle keinen guten Ruf in diesem Land. Ich habe Angst gehabt, daß du mich nicht lieben könntest, weil es nicht gut sein kann, wenn ein Stewart ausgerechnet eine Cochrane liebt. Siehst du, das war meine Angst. Daran, daß du eine In-dianerin zur Mutter hast, dachte ich nie.«

Sie – sie liebt mich, dachte er, mein Gott, sie liebt mich. Ich habe ihr das sagen wollen – ich. Nun sagt sie es mir! Ich habe sie schon immer geliebt – und sie mich.

Er stand auf – mit nackten Beinen. Dann ging er auf sie zu und legte ihr die Hände auf die Schultern.

»Dreh dich um«, sagte er. »Dreh dich um und sieh mich an. Ich muß dir auch etwas sagen, Elaine.«

ENDE