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Feature / Hörspiel / Hintergrund Kultur
Das Feature Im Grenzbereich Eine deutsche Chirurgin im Nothilfeeinsatz im Südsudan Autor: Jörn Klare Regie: Matthias Kapohl Redaktion: Karin Beindorff Produktion: Produktion: DLF/BR 2015 Erstsendung: Dienstag, 13.01.2015, 19.15 Uhr Wiederholung: Dienstag, 04.04.2017, 19.15 Uhr Sprecher: Max Simonischek
Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. © - unkorrigiertes Exemplar -
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Atmo
O-TON Kopilot Okay welcome on board, so we have three destinations in this order: First we go to Lankien after that we are going to Bart and third destination: Chuil.
ERZÄHLER
Am Flughafen von Juba, der Hauptstadt des Südsudan in Ostafrika. Ein großer MI-8
Transporthubschrauber der Vereinten Nationen kurz vor dem Start. Der ukrainische
Kopilot begrüßt 16 Passagiere, die mit ihrem Gepäck vor den Füßen auf den
einfachen Bänken an der Längsseite des Laderaums sitzen.
O-TON Kopilot In some destinations we might not shell down the helicopter. But don’t worry, don’t rush we will help you with your items ... have a nice flight...
ERZÄHLER
Mittendrin Carla Böhme, Chirurgin aus Leonberg, 63 Jahre alt, sehr schlank, lange
grau-blonde Haare, grüne Augen.
Atmo
Ansage
Im Grenzbereich
Eine deutsche Chirurgin im Nothilfeeinsatz im Südsudan
Ein Feature von Jörn Klare
ERZÄHLER
Wieder einmal ist Carla Böhme für Ärzte ohne Grenzen unterwegs.
O-TON Böhme Mein Kindheitstraum. Das habe ich in meinen Träumen als Kind schon gemacht.
ERZÄHLER
Ärzte ohne Grenzen ist mit Sektionen in 19 Staaten auf humanitäre Nothilfe
spezialisiert und entsendet jährlich rund 3000 Freiwillige - Ärzte, Krankenpfleger,
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Hebammen, Psychologen und Logistiker - in mehr als 60 Länder. 1999 bekam die
Nichtregierungsorganisation den Friedensnobelpreis.
O-TON Böhme Wie ist das Setting? Wie werde ich mit den Herausforderungen klar kommen? Was mache ich, wenn jetzt plötzlich zehn Kriegsverletzte gleichzeitig kommen, und ich bin ganz allein? / Wenn ich jetzt irgendeinen schwierigen Fall habe und kann ihm nicht helfen? Und natürlich auch, wie wird das Soziale sein / mit den Locals, Ex-Pats, den Menschen, mit denen ich da zu tun habe?
ERZÄHLER
Die Maschine gewinnt an Höhe. Am Ende der Startbahn stehen gefechtsbereite
Panzer. Entlang des Weißen - jetzt aber schlammbraunen - Nils geht es mit etwa 230
Stundenkilometern Richtung Norden.
2011 wurde der Südsudan nach jahrzehntelangen Kämpfen gegen den muslimisch-
arabisch geprägten Sudan offiziell unabhängig. Doch seit Dezember 2013 hetzen die
um ihre Pfründe besorgten, einst verbündeten Anführer ihre Gefolgsleute gegenseitig
auf. Im ganzen Land, knapp doppelt so groß wie Deutschland, kam es zu ethnischen
Massakern mit zehntausenden Opfern, 1,5 Millionen der etwa zehn Millionen
Südsudanesen verloren ihr Zuhause, vier Millionen droht jetzt der Hungertod. Vor
allem die USA und China rivalisieren um den politischen Einfluss auf die
Ölvorkommen des Landes. Die auf jährlich sechs Milliarden Dollar geschätzten
Einnahmen fließen größtenteils in Waffenkäufe und auf dubiose Auslandskonten.
Atmo
ERZÄHLER
Das Ziel heißt Lankien, ein Dorf inmitten einer Region mit permanenten Stammes-
und Klankämpfen, unweit der Bürgerkriegsfront.
Atmo
ERZÄHLER
In seinem Büro in Juba bereitete gestern noch Jason Mills, der stellvertretende Leiter
der Südsudan-Mission, Carla Böhme auf ihren Einsatz vor.
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O-TON Mills In Lankien town gunshots, somebody was killed in Lankien town, 200 metres from the hospital just two weeks ago. These things happen.
ERZÄHLER
Erst vor zwei Wochen, sagte er, wurde in Lankien jemand in der Nähe der
vergleichsweise großen Klinik erschossen, die bisher aber noch nicht direkt von den
Konflikten betroffen war.
O-TON Mills In Lankien there is a huge hospital that was not touched by the conflict. Msf clinics were burned down … and also in this conflicts a problem is that the clinics often become a target, because they want to deny the other side the access to it.
ERZÄHLER
Im Gegensatz zu andern Einrichtungen der Organisation im Land, die gezielt
niedergebrannt wurden, um dem jeweiligen Kriegsgegner den Zugang zu einer
medizinischen Versorgung zu verwehren.
O-TON Mills So I think it’s goanna be an exiting time. Any questions?
ERZÄHLER
Fragen? Nein, Carla Böhme hat keine Fragen. Dies ist ihr elfter Einsatz in einem
Krisen- oder Kriegsgebiet: in Afrika, Südamerika, im Jemen, in Papua-Neuguinea.
Atmo Landeplatz Lankien
ERZÄHLER
Der Start- und Landeplatz von Lankien ist eine mehr oder minder schlammige Wiese.
Jede Landung ist eine Attraktion für die paar hundert Bewohner der ärmlichen,
verstreut in der Savanne liegenden Hütten.
O-TON Böhme Chirurg: You stay for?
Böhme: Two month…
Kopilot: All the passengers going to Juba...
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ERZÄHLER
Ein paar Kollegen sind gekommen, um die neue Chirurgin in Empfang zu nehmen,
und um Mitarbeiter zu verabschieden, die zurück nach Juba fliegen.
O-TON Böhme: Okay. Are you leaving? Chirurg: Yes I am leaving. We have to talk.
ERZÄHLER
Darunter zu Carla Böhmes Überraschung auch schon der spanische Chirurg, den sie
hier ablösen soll. Sie hatte gehofft, er würde ihr in der kommenden Woche die
Abteilung in Ruhe übergeben können.
O-TON Chirurg: It would have been much better we could work together... Böhme: Ya. I was told in Juba that we would have a handover for almost a week. Chirurg: No, no. ...
ERZÄHLER
Ob nun Fehplanung oder Missverständnis, eine geordnete Übergabe wird es nicht
geben.
O-TON Chirurg You have to start to work immediately. ...
ERZÄHLER
Carla Böhme wird sofort mit der Arbeit beginnen müssen.
Atmo Hubschrauber startet
ERZÄHLER
Und dann ist der Kollege, der sie eigentlich einarbeiten sollte, auch schon weg.
Atmo O-TON Böhme Die Motivation für das Medizinstudium war, nur in der Dritten Welt zu arbeiten. In Deutschland zu arbeiten, in Deutschland Karriere zu machen, hat mich nicht interessiert.
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ERZÄHLER
Auf Carla Böhmes Weg in den Arztberuf gab es ein paar Umwege. Wegen des
Numerus Clausus studierte sie zuerst Pädagogik. Während des anschließenden
Medizinstudiums bekam sie dann zwei Kinder, musste das Studium wieder
unterbrechen und arbeitete später erstmal als Lehrerin.
O-TON Böhme Und hatte dort ein Leben der Idylle pur, schöner konnte es einem beruflich eigentlich gar nicht gehen als mir da mit diesen netten kleinen Kindern. Und ich habe mich aber wirklich gefragt, wie ist das jetzt mit meinem Jugendtraum? Will ich das jetzt noch, oder will ich das nicht mehr?
ERZÄHLER
In den Sommerferien absolvierte sie ein sechswöchiges Praktikum in einem
Krankenhaus in Eritrea. Zurück in Deutschland ging sie direkt in ihre Schule.
O-TON Böhme Und die hatten den Stundenplan für mich gemacht, genau alles nach meinen Wünschen. ... Tut mir leid, Euch das sagen zu müssen, aber ich höre auf, ich verzichte auf meine Sicherheit – ‚Beamtin auf Lebenszeit’, die wäre ein paar Wochen später dran gewesen, auf meine Pension auf alles. Ich mache das jetzt.
ERZÄHLER
1997 war es soweit: Der erste Einsatz im Ausland als ausgebildete Fachärztin.
O-TON Böhme
Das ist genau das, was ich möchte, und Chirurgie ist das, was gebraucht wird.
ERZÄHLER
Ein halbes Jahr Kongo und die Frage, wie vermittelt man so etwas seinen Kindern im
Teenager-Alter, für die der Vater dann allein sorgen würde.
O-TON Böhme Ich habe es denen erzählt ohne Vorwarnung: Also ich gehe jetzt in den Kongo. – ‚Ne. Da gehst du nicht hin. Da ist das und das und das. Da gehst du nicht hin.’ Und der Miriam konnte ich dann von dem Projekt Bilder im Internet zeigen, da hat die gesagt: ‚Ah, ich verstehe, warum du da hin willst.’ Und der Nicola hat geglaubt, die Mama wird dort erschossen. Der war sauer auf mich. Und so nach und nach, hab ich ihm gesagt: ‚Du, ich mache das nicht, um dich zu ärgern, ich mache das, weil das mein
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Leben ist. Mir passiert da nichts, ich verspreche es! Jeden Sonntag’, ich verspreche es, ‚rufe ich dich an.’ Ich habe jeden Sonntag, da hatte ich noch kein Skype, mit dem Telefon angerufen, kurz: ‚Alles okay’ ... Und inzwischen haben die sich daran gewöhnt. Jetzt, wo ich hierher gegangen bin: ‚Ja, ja, tschüss, viel Spaß, und wir sehen uns dann, wenn du wiederkommst.’
O-TON Hosmann
Hosmann: So there is the compound….you will see everything. Böhme: Okay.
ERZÄHLER
Ankunft im Lager von Ärzte ohne Grenzen. Es ist umgeben von einem langen
blickdichten Zaun aus dünnen Ästen. Dahinter weitere Zäune zur Abgrenzung
verschiedener Abteilungen und Arbeitsbereiche. Traditionell strohgedeckte
Lehmhütten, einfach gemauerte Gebäude mit Wellblechdach, Büros in
Stahlcontainern, kleine und große Zelte, Bäume und riesige Pfützen. Eine weitläufige
und unübersichtliche Mischung aus Baustelle, afrikanischem Dorf und Krankenhaus.
Das Wasser kommt aus einem eigenen Bohrloch, der Strom aus ständig
brummenden Generatoren, deren Kraftstoff eingeflogen werden muss.
ERZÄHLER
Die knapp 30 internationalen Mitarbeiter - Ex-Pats genannt - wohnen in einfachen
traditionellen Lehmhäusern oder Zelten in einem vom Lager abgetrennten Bereich.
Direkt am Eingang, gegenüber dem kleinen Küchenhaus steht ein großer schiefer
Tisch mit Dach und meist zu wenig Plastikstühlen und ... vielen Ameisen - der soziale
Treffpunkt.
O-TON Böhme
Böhme: So this is my tent? Frau: Yeah, until Saturday then you will have a Tuku. ... okay?
ERZÄHLER
Böhmes Zelt, acht Quadratmeter groß und hoch genug, um darin knapp stehen zu
können. Ein Feldbett, ein Ventilator, der allerdings gegen die Hitze, die sich hier
tagsüber staut, keine Chance hat. Das ist alles. In den nächsten Tagen soll sie in
eine der etwas komfortableren, kleinen Lehmhütten umziehen können. Einen
Steinwurf entfernt gibt es eine von zwei vorbildlich gebauten Latrinen und eine von
zwei einfachen Duschen, die sich alle Ex-Pats teilen.
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O-TON Hosmann / Böhme
Böhme: Wo bist du Zuhause, wenn du nicht hier bist? Hosmann: In Berlin. Böhme: In Berlin, was machst Du? Hosmann: Ich bin Arzt, eigentlich Onkologie mache ich. Ich bin hier ja der Medical Team Leader...
ERZÄHLER
Kai Hosmann ist 35 Jahre alt und formal betrachtet Böhmes Vorgesetzter, ein
schmaler, feingliedriger Typ. Zu seinen Aufgaben gehört es, Carla Böhme über das
Lager und die aktuelle Lage zu informieren.
O-TON Hosmann Also es gibt zwei Sachen, die sind das Hauptprobleme. Das eine ist, dass wir hier einfach mitten im Busch sind und weit weg von allem, kaum erreichbar und nur mit Flugzeugen, die auch nur extrem unregelmäßig landen können, weil die Landebahn ständig unter Wasser ist. Und dadurch kann man das so schlecht planen, und wir brauchen immense Mengen an Material, an Lebensmitteln - alles kommt per Flugzeug. Das ist so die logistische Herausforderung, weil wir einfach völlig im Nichts sind.
Und das zweite ist, eine einigermaßen annehmbare Qualität der medizinischen Versorgung hin zu bekommen und dafür braucht man einfach Leute, die das machen können und der Bildungsstand und der Hintergrund ist einfach so niedrig, … wir haben bis zu 1000 ambulante Patienten bis zu 300 stationäre Patienten, da braucht man natürlich viele Leute, die die Patienten täglich sehen, also die Krankenpflege machen, und auf die muss man sich wenigstens so ein bisschen verlassen können, dass die sehen, wenn es Patienten schlecht geht, und davon kann man halt überhaupt nicht ausgehen. Und das ist so die zweite große Herausforderung. Atmo
ERZÄHLER
Ein Rundgang. Überall Patienten, Männer und Frauen, Alt und Jung, viele Kinder.
Ausgezehrte Körper, müde Blicke, hin und wieder ein neugieriges, schüchternes
Lächeln. Nicht alle haben ein Bett, dafür aber zumindest eine Matratze auf dem
Boden. Zwischen all dem die einheimischen Mitarbeiter. 300 insgesamt, angelernte
Krankenpfleger, Reinigungskräfte, Köchinnen, Bauarbeiter und Nachtwächter. Vieles
wirkt mehr oder minder improvisiert. Aber und das ist entscheidend: Die Klinik
funktioniert.
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Weiter durch alle Stationen und Abteilungen ... Tuberkulose, HIV, Malaria,
Mangelernährung... vorbei an der Apotheke, dem kleinen Labor...
O-TON Hosmann
Alles im Moment dreht sich hier um Kala Azar. Das ist das große Thema.
ERZÄHLER
Kala Azar, Fachbegriff Leishmaniose, bekannt auch als „Schwarzes Fieber“ - eine
parasitäre Tropenkrankheit, gegen die es keine Impfung gibt.
O-TON Hosmann
Wir hatten viele Todesfälle … Die letzten Monate waren schlimm, wir hatten letzten Monat waren 26 Fälle, das war schon viel besser. Den Monat davor waren es, glaube ich, 40 Fälle. Also schon fast täglich. Kala Azar ist einfach eine schwere Erkrankung.
ERZÄHLER
Weltweit trifft Kala Azar jedes Jahr ein paar hunderttausend Menschen. Unbehandelt
verläuft die Krankheit in den allermeisten Fällen tödlich.
Sie trifft vor allem Menschen, die etwa aufgrund von Mangelernährung ohnehin
schon geschwächt sind. Von denen gibt es viele im Südsudan und auch in Lankien.
Wer rechtzeitig behandelt wird, hat eine hohe Chance zu überleben.
O-TON Böhme: Also Ex-Pats gibt es gar nicht mit Kala Azar? Hosmann: Bisher noch nicht vorgekommen. Das ist eigentlich eine langsam verlaufende chronische Erkrankung, das heißt man hat Fieber wochenlang und wenn man in den Tropen war, dann denkt hoffentlich irgendjemand daran, dass es … Böhme: In einem normalen Haushalt wahrscheinlich nicht, aber wir und deswegen- Hosmann: Eben.
O-TON Böhme
Ja, Ich sehe eigentlich für jeden einzelnen, wie: der könnte mein Bruder sein, oder mein Sohn oder meine Tochter. Was auch immer.
ERZÄHLER
Für ihren freiwilligen Einsatz erhält Carla Böhme von Ärzte ohne Grenzen eine
Aufwandsentschädigung, die für Mitarbeiter im ersten Einsatz bei monatlich 1400
Euro brutto und bei erfahrenen Kräften etwas höher liegt. Dazu kommen die
Übernahme der Reisekosten zum Einsatzort, Unterkunft und Verpflegung.
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O-TON Böhme Wenn ich heimkomme, muss ich so schnell wie möglich gucken, dass ich wieder irgendwo Geld kriege.
ERZÄHLER
In Deutschland arbeitet die Chirurgin zwischen ihren Einsätzen als Honorarärztin mit
befristeten Zeitverträgen in wechselnden Krankenhäusern.
O-TON Böhme
Ich bin jedes Mal wirklich total beeindruckt, wenn ich in ein deutsches Krankenhaus komme, wie da so alles funktioniert. Und für die ist es total neu, dass jemand kommt und begeistert ist, weil im deutschen Krankenhaus ist man normalerweise immer am Schimpfen: ‚Das geht nicht, und das funktioniert nicht!’ Und dann komme ich und sag: ‚Oh, ist alles toll hier.’
ERZÄHLER
Die rein handwerkliche medizinische Arbeit ist im Grunde die gleiche, nur die
Bedingungen sind grundverschieden. Und die Patienten sind es auch.
O-TON Böhme
Hier wissen die Leute viel mehr das Zwischenmenschliche zu schätzen, bei uns vereinsamen die Leute. Da hatte ich ein Gespräch mit den wirklich ganz armen Frauen da in dem Slum, wo wir so gesagt haben: ‚Ja in Deutschland gibt es Leute, die bringen sich um.’ – ‚Die bringen sich selber um?’ Bei denen hat man morgens immer geguckt, wer in der Nacht umgebracht worden ist. ‚Wie kann man so blöd sein? Das Leben ist doch schön.’
ERZÄHLER
Im großen OP-Zelt, eine Tragluftkonstruktion, mit verschiedenen durch
Reißverschlüsse abgetrennten Räumen. Es gibt ein Waschbecken, eine kleine
Klimaanlage und den eigentlichen Operationsraum. Darin eine Liege, eine Lampe,
einfache chirurgische Instrumente, Verbandsmaterial – die Ausstattung, erinnert in
ihren Grundzügen an eine Ambulanz in Deutschland und entspricht dem Standard
aller Projekte von Ärzte ohne Grenzen.
O-TON Böhme/Bernhard Be: So, jetzt ziehen wir uns mal um. Bö: Hemden waren da ... und gibt es irgendwelche Mützen oder so was? Be: Mützen müssen wir basteln.
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ERZÄHLER
Der Anästhesist mit dem Carla Böhme hier arbeiten wird, stammt ebenfalls aus
Deutschland. Ein Zufall. Steffen Bernhard ist 36 Jahre alt und hat sich für diesen
Einsatz sechs Monate von seiner Klinik in Schweinfurt beurlauben lassen.
O-TON Böhme/Bernhard Bö: Ein Tuch umbinden oder so ... Be: Oder wir haben diese Verbandsschläuche... Bö: Oder Verbandsschläuche, ist egal. Be: Dann sieht man zwar aus wie der Weihnachtsmann... Bö: Hauptsache, die Haare sind weg. Be: Ja. Bö: Und irgendetwas Mundschutzartiges? Be: Gibt es da drin. Bö: Gut.
ERZÄHLER
Carla Böhme mittlerweile in grüner OP-Kleidung, auf dem Kopf ein interessant
gewickeltes Tuch.
O-TON Böhme/Bernard Be: Es gibt so etwas wie eine Akte, das ist aber sehr abenteuerliches Werk. Bö: Ich will nur wissen, wann war der Eingriff, und gibt es irgendwas Besonderes. Be: Wie gesagt, es ist ein abenteuerliches Werk aber meistens kann man es nachvollziehen. ERZÄHLER
Mit Steffen Bernhard studiert sie ein paar vollgekritzelte Blätter.
O-TON Come in. / Wimmerndes Kind. Stimmen
ERZÄHLER
Ein einheimischer Mitarbeiter führt eine sehr dünne Frau in den Behandlungsraum.
Sie trägt ein einfaches zerschlissenes Kleid, in ihren Armen ihr kleiner, vielleicht
vierjähriger Sohn mit einer stark geschwollenen Hand.
O-TON Böhme Kind jammert / Schlangenbiss offensichtlich.
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ERZÄHLER
Die Ärztin begutachtet die Wunde.
O-TON Böhme Das Problem mit Schlangenbissen ist, dass Gewebe kaputt geht und dadurch entstehen Nekrosen also abgestorbenes Gewebe und die entzünden sich und das kann so schlimm sein, dass man eine Extremität amputieren muss.
ERZÄHLER
Es gibt keinen wirklichen Überblick über die einzelnen Arten, die ungefähre Zahl und
jeweilige Gefährlichkeit der Giftschlangen in und um Lankien. Gegengifte sind von
daher keine Behandlungsoption, zumal die Bisswunden oft schon einige Tage alt
sind. Entweder weil die Patienten die Gefahr unterschätzt haben oder weil sie
stunden- oder auch tagelang laufen oder getragen werden mussten, um überhaupt
hierher zu kommen.
Carla Böhme und Steffen Bernard machen sich an die Arbeit, schneiden totes
Fleisch aus der Wunde, entnehmen gesunde Haut am Oberschenkel, transplantieren
sie auf die verletzte Hand. Zwei Stunden dauert die Operation. In zwei, drei Wochen
wird man wissen, ob die Haut tatsächlich angewachsen ist. Und erst in ein paar
Monaten lässt sich sagen, ob die Hand tatsächlich gerettet werden konnte.
Atmo
ERZÄHLER
Im engen Bürocontainer der Projektkoordinatorin Cathy O’Connor: Böhmes letzter
Termin an ihrem ersten langen Tag in Lankien. O’Connor ist eine kleine resolute US-
Amerikanerin in Sandalen, mit kurzen grauen Haaren. Ein Ventilator sorgt für die
gerechte Verteilung der nach wie vor sehr warmen Luft.
O-TON O’Connor Curfew is seven to seven.
ERZÄHLER
Die Sicherheitseinweisung beginnt mit dem Hinweis auf die Sperrstunde. Zwischen
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sieben Uhr abends und sieben Uhr morgens, was hier in der Nähe des Äquators in
etwa der dunklen Hälfte des Tages entspricht, darf niemand das Lager verlassen -
nicht mal um den kleinen Dorfmarkt zu besuchen.
O-TON O’Connor If you want to go to the market or something - It is fine to go during the day, just check with me first.
ERZÄHLER
Und wer tagsüber gehen will, muss sich bei O’Connor, die über die jeweils aktuelle
Sicherheitslage informiert ist, ab- und wieder zurückmelden und immer eines der
kleinen Funkgeräte mitnehmen.
Abgesehen davon sollte jeder unbedingt darauf achten, seine Malariaprophylaxe
einzunehmen und jeden Morgen seine Schuhe auf Schlangen und Skorpione zu
untersuchen.
O-TON O’Connor Once the dry season comes there is a great anticipation that there will be more fighting and troop movement.
ERZÄHLER
Durch die Regenzeit ist der Boden aufgeweicht, das verhindert noch größere
Truppenbewegungen der Bürgerkriegsparteien. Doch wie eigentlich alle hier geht
O’Connor davon aus, dass die Kämpfe mit dem nahen Beginn der Trockenzeit
wieder aufflammen werden.
O-TON O’Connor If there is a lot of shooting, you stay more to the ground whatever.
ERZÄHLER
Wenn geschossen wird, sollte sich jeder möglichst flach hinlegen.
Und jeder sollte jederzeit auf eine mögliche Evakuierung der Klinik vorbereit sein -
O-TON O’Connor O’Connor: … as we get closer to the dry season I goanna make sure that people have this – Böhme: Everybody should have it in its own back? – O’Connor: Yes. Yes. Yes.
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ERZÄHLER
- indem er ständig einen Fluchtrucksack mit zumindest einer Notration Lebensmittel
und einer Überlebensdecke gepackt und griffbereit hat.
Auch wenn Lankien hoffentlich ein verschlafenes kleines Städtchen bleibt, gilt: sich
auf das Schlimmste vorbereiten und auf das Beste hoffen.
O-TON O’Connor Telefon Hello, it is Cathy. / Yes. // Say that again the last part. Okay. .. gun shot one … So …
ERZÄHLER
Ein Anruf von einem mehrere Tagesmärsche entfernten Außenlager. Die beiden dort
eingesetzten Ex-Pats berichten von Kämpfen in ihrer direkten Umgebung.
O-TON O’Connor Are you being okay? Are you doing okay? … Okay, so. No, we are not landable. We got so much rain.
ERZÄHLER
O’Connor versucht zu beruhigen, muss aber klar stellen, dass eine Evakuierung per
Flugzeug wegen der verschlammten Start- und Landepiste zurzeit nicht möglich ist.
O-TON O’Connor Okay, let us talk in the morning, if it still feels unsafe then, then I will … okay? Okay. Okay. All right. By. Auflegen
ERZÄHLER
Sie verspricht zu tun, was sie tun kann, und verabredet ein Telefonat für den
nächsten Morgen.
O-TON O’Connor There is some clan fighting in Chuei right now, they are in the bunker. There has been exchanging fire between these two clans … a child got a stray bullet and that child has died. They expect revenge.
ERZÄHLER
Die Ursache der Schießerei ist diesmal nicht der Bürgerkrieg, sondern eine
Auseinandersetzung zwischen zwei Klans des gleichen Stammes.
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Ein unbeteiligtes Kind wurde von einer verirrten Kugel getötet. Nun gehen alle davon
aus, dass die betroffene Familie auf Rache sinnt.
Atmo
ERZÄHLER
Am späten Abend, irgendwo weit weg im Dorf wird gesungen. Niemand aus dem
Lager darf dorthin gehen.
O-TON Böhme Wenn ich Angst hätte, könnte ich es nicht machen.
ERZÄHLER
Carla Böhme hat immer wieder erlebt, dass in ihrer Nähe geschossen wurde.
Sie sieht sich nicht als Abenteurerin.
O-TON Böhme Es ist nicht meine Motivation. Leben retten im Kugelhagel - das ist nicht das, was ich suche. Ich suche eine Arbeit, die sinnvoll ist, wo ich mich nicht mit ‚ob ich weiße Brötchen oder Vollkornbrötchen hatte‘ oder ‚ob die Narbe jetzt so aussieht oder so‘ beschäftigen muss, sondern mit wirklichen Dingen, die wichtig sind im Leben. ERZÄHLER
Carla Böhme und ihre Kollegen arbeiten in einem Bereich, der viele Grenzen
mindestens berührt. Dazu gehört neben den potentiellen Gefahren immer wieder
auch die eigene Belastbarkeit.
O-TON Böhme Jeder kommt in seinem Leben irgendwo an seine Grenzen. Für mich war leistungsmäßig, war das der letzte Einsatz, wo ich wirklich an meine Grenzen kam, dessen, was ich akzeptieren konnte, weil ich einen gewissen Qualitätsanspruch habe und gemerkt habe, dem werde ich jetzt nicht mehr gerecht.
ERZÄHLER
Ein Einsatz in der Zentralafrikanischen Republik, bei dem die Zahl der schwer
verwundeten Patienten völlig unerwartet rasant anstieg.
O-TON Böhme Und dann ging das plötzlich los und wir wussten nicht, wo uns der Kopf stand. Und
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ich hatte kein Personal. Ich hatte keine OP-Pfleger. Ich musste ... Ich erinnere mich, ich musste einem Jungen einen Finger amputieren, weil der total abgestorben war. Ich hatte niemanden, der mir die Weichteile zurückhält, ich habe die zurück genäht, damit ich den Knochen abkürzen konnte, und dann wieder zusammen, weil ich hatte niemanden, der mir da irgendwie hilft. Und man wird sehr erfinderisch mit einer Hand alles zu machen, was man sonst mit zwei Händen machen würde. Atmo
ERZÄHLER
Am nächsten Tag. Eric Hochheimer, ein kleiner, schlanker 66-jähriger Arzt aus den
Niederlanden hat nach einem Nachtdienst einen freien Vormittag und die Erlaubnis
für einen kleinen Sparziergang zum Dorfmarkt.
O-TON Hochheimer Here we go. I got an ‘okay’ to go. -
ERZÄHLER
Viel Sonne, ein paar Bäume, keine Autos oder sonstige motorisierte Fahrzeuge. Am
Rand der meist schlammigen Wege stehen Lehmhütten, hin und wieder auch
Zeltplanen einer Hilfsorganisation. Es gibt weder fließendes Wasser noch Strom,
dafür aber ein paar batteriebetriebene Ghettoblaster.
O-TON Hochheimer This is the market and there is not much that you can buy …
ERZÄHLER
Die wenigen Dinge, die es auf dem Markt zu kaufen gibt, sind auf klapprigen Tischen
oder auch gleich auf dem Boden ausgebreitet. Ein wenig Gemüse, Zigaretten, Salz
und Speiseöl in kleinen selbstabgepackten Plastikbeutelchen, hin und wieder auch
eingeschweißte Portionen einer nähstoffreichen Paste zur Bekämpfung von
Mangelernährung.
O-TON Hochheimer Probably it comes from us.
ERZÄHLER
Sie stammen, meint Eric Hochheimer, mit hoher Wahrscheinlichkeit aus der Klinik.
Im Hintergrund spielen ein paar Kinder mit einem zum Ballon aufgeblasenen Gummi-
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Handschuh aus dem Operationszelt.
O-TON Hochheimer This is from the Kalaschnikows.
ERZÄHLER
Auf einem Tisch wird der hölzerne Knauf einer Kalaschnikow angeboten.
O-TON Hochheimer Is this where you live? - Thank you, good morning. …
ERZÄHLER
Hochheimer spricht einen schätzungsweise fünfzigjährigen Mann an, der hinter
seinem Zaun aus Ästen steht. Auf der Stirn trägt er wie fast alle Männer vom Stamm
der hier lebenden Nuer, sieben lange Schmucknarben. Eine Tradition, die von den
britischen Kolonialherren eingeführt wurde, um die verschiedenen Volksstämme im
Sudan unterscheiden zu können. Hinter ihm hockt sein Sohn an einem Baum, an
dem auch eine Kalaschnikow lehnt.
O-TON Hochheimer Are you not afraid leaving the gun so open, that the kids are going to play with it? - This is my little boy, he has a gun. - Oh, it is already his gun, not your gun. - It is not mine. It is my sons. - How old is he? - Fifteen years. Because there a lot of warriors that is why many people are carrying their gun.
ERZÄHLER
Dem Vater macht das offenbar keine Sorgen. Im Gegenteil. Der Fünfzehnjährige ist
der Besitzer des alten, aber gut gepflegten Sturmgewehrs. In diesen Zeiten sei es
einfach besser bewaffnet zu sein.
O-TON Autor/Hochheimer How much is a gun? - Maybe 2000 … something like that. Or three cows, two cows. EH: It is cheaper than a wife. Wife is 30 cows …
ERZÄHLER
Eine Kalaschnikow kostet zurzeit umgerechnet knapp 300 Euro oder drei Rinder.
Das ist etwa ein Zehntel des Preises, den ein junger Mann für eine Braut aufbringen
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muss. Obwohl auch dieser Preis im Bürgerkrieg massiv gestiegen ist.
Traditionell aber werden, so erzählt Eric Hochheimer später, besonders die Rinder,
die für eine Braut zu zahlen sind, von anderen Stämmen geraubt. Dabei gibt es
immer wieder Todesopfer, die - so verlange es die Tradition- gerächt werden
müssen.
ATMO Rice wine. How did you make it? …
ERZÄHLER
An einer Ecke verkaufen ein paar Frauen selbst angesetzten Reiswein. Hochheimer
soll probieren, er tut es vorsichtig, verzieht das Gesicht. Die Leute haben ihren Spaß.
O-TON Hochheimer Main reason why I am here - because I like Africa. Being around here beats watching television at home.
ERZÄHLER
Er mag Afrika. Hier sei es besser, als zuhause vor dem Fernseher zu sitzen.
Atmo O-TON Böhme Ich habe jetzt einige Einsätze in Folge gehabt und weiß jetzt nicht mehr, was wo war. In Zentralafrika ...
ERZÄHLER
Carla Böhme bei der Arbeit im Operationszelt. Ein etwa sechsjähriger Junge, der von
einer verirrten Kugel am Hals getroffen wurde.
O-TON Böhme Und du hast die Wunde von diesem angeschossenen Kind gesehen? Was brauchen wir da? ... Be: Das war ein Pistolenschuss mit einem ganz kleinen Schusskanal. Bö: Hat er irgendwelche Ausfälle? Be: Er bewegt die Hände ganz wenig, links so gut wie gar nicht. Er hat wahnsinnige Schmerzen im Genick gehabt natürlich
ERZÄHLER
Die Mutter beobachtet die Ärzte. Sie wirkt erschöpft.
O-TON Böhme/Bernhard Bö: Wir bräuchten ein MR...
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Be: Man weiß nicht einmal ob ein Knochenschaden entstanden ist. Man weiß auch nicht, ob noch was dran ist, ist ein sauberer Schusskanal. Bö: Das heißt, ist nur ein Verbandswechsel...
ERZÄHLER
Auf dem großen Dorfplatz vor dem Eingang der Klinik. Drei Dutzend Männer und
Jugendliche spielen Volleyball. Ehrgeizig aber nicht verbissen, sie haben Spaß.
Einige tragen Trikots europäischer Fußballvereine.
O-TON David The young boys you are seeing, they are just youth from the community,
ERZÄHLER
Zwischen den Spielern auch ein paar internationale Mitarbeiter von Ärzte ohne
Grenzen. David aus Kenia leitet seit einigen Monaten die Apotheke der Klinik.
O-TON David Who initially move up and down especially when they suspect an enemy attack from the government soldiers.
ERZÄHLER
All die Jugendlichen, bzw. jungen Männer, die hier so ausgelassen spielen, sind
Kämpfer, die das Dorf gegen einen möglichen Überfall der Regierungssoldaten
schützen, sagt er. Ihre Waffen sind nicht weit.
O-TON David After spending like three, four days, one week they are crying for go back to the frontline to continue defending. Actually the talk during that time was: They better die at the frontline than waiting to be killed within the hospital.
ERZÄHLER
Nach ein paar Tagen Aufenthalt in der Klinik betteln die Verletzten darum, zur
Verteidigung wieder an die Front gehen zu können, sagt David. Sie wollen lieber dort
sterben als hier getötet werden. Wenn es ihnen nicht gelingt, den Feind von ihrem
Land fernzuhalten, würden sie hier in der Klinik massakriert.
O-TON Hochheimer That is not a question that is easy to be answered.
20
ERZÄHLER
Die Frage, wie es ist, Kämpfer zu behandeln, die nach ihrer Genesung
möglicherweise wieder andere Menschen verletzen oder töten werden, findet der
Arzt Eric Hochheimer schwierig.
O-TON Hochheimer It is a difficult question and it should be asked. Is it frustrating? - No it is just … when you start thinking about things being frustrating here …
ERZÄHLER
Wenn man sich hier mit dem Sinn seiner Arbeit auseinandersetzt, sagt er,
beispielsweise auch mit dem Problem der rasant wachsenden Bevölkerung, die nicht
ausreichend ernährt werden kann, dann könne man schon zu der Frage kommen:
Was mache ich hier eigentlich? Jeder, der für Ärzte ohne Grenzen arbeitet, kommt
irgendwann an diesen Punkt, sagt Eric Hochheimer.
Man lernt, sagt er, mit der Frustration umzugehen, sonst könne man hier nicht
überleben.
O-TON Hochheimer You really learn to deal with your frustration. Otherwise you can’t survive.
Atmo
O-TON Böhme Wir machen jetzt Visite und versuchen die Leute zu sehen, die wir vor dem Wochenende noch nicht sehen konnten, weil es einfach zu viele waren.
ERZÄHLER
Ein paar Tage später. Carla Böhme und Steffen Bernard unterwegs in einem der
großen Patientenzelte ihrer chirurgischen Abteilung.
O-TON Böhme Bö: Open fracture, I assume. Be: Gunshot wound.
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Eng beieinander stehen alte Metallbetten. Darin, davor und daneben meist junge
Männer mit fehlenden Gliedmaßen oder speziell verschraubten Stahlkonstruktionen,
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deren Enden in das Fleisch von Beinen, Hüften und Armen reichen, wo sie
zerschossene Knochen wieder zusammenfügen sollen.
O-TON Böhme Bö: Amputation after gunshot wounds, and he doesn’t have any other injuries. Autor: How old is he. Mann: 14. Bö: So the wound is okay and he also waits for handicapped international? – Ya. – And he also can move his knee?
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Ein Vierzehnjähriger, dem nach einer Schussverletzung ein Unterschenkel amputiert
wurde. Die Wunde ist gut verheilt. Der Patient kann entlassen werden. Weil vielleicht
demnächst ein Mitarbeiter der Nichtregierungsorganisation Handicaped International
Prothesen und Krücken nach Lankien bringt, soll der Junge in der Nähe bleiben.
Carla Böhme will Platz schaffen für mögliche neue Patienten. Die nächsten Kämpfe
könnten die kleine Abteilung schnell an die Belastungsgrenze treiben.
O-TON Böhme Hier haben die Pfleger nicht die Aufgabe, die Leute zu waschen, die Betten zu machen, mit Essen zu versorgen. Das machen die Caretaker, das ist ein Familienmitglied.
O-TON Böhme What does he have? ... Gunshot wound and open fracture as well. ...
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Immer wieder Schusswunden. Böhme macht bei ihren Patienten keinen Unterschied
ob die Verletzungen von einem Unfall oder aus Kämpfen stammen.
O-TON Böhme Ich denke da nicht darüber nach, weil ich mir sage, es ist nicht meine Aufgabe, darüber zu urteilen, wer was macht. Die sind letztlich alle Opfer. Die verteidigen ihre Familien, die verteidigen ihre Lebensumstände, die sind alle Opfer.
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Nach dem hippokratischen Eid gehört die vorurteilsfreie Gleichbehandlung aller
Notleidenden zum Selbstverständnis von Ärzte ohne Grenzen.
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O-TON Böhme Ich habe nicht das Recht, zu beurteilen, wer es braucht oder wer es nicht braucht, oder wer es verdient - das ist nicht meine Aufgabe. Ich weiß nicht, was ich machen würde, wenn ich in deren Situation wäre.
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Dennoch überlässt die Organisation die gezielte Suche nach verletzten Kämpfern
und deren Transport und Versorgung nach Möglichkeit lieber dem Internationalen
Roten Kreuz - auch in Lankien.
Atmo
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Am nächsten Morgen die obligatorische Teambesprechung. Aus jeder Abteilung
informiert ein Verantwortlicher in ein paar Sätzen über aktuelle Veränderungen im
jeweiligen Bereich. Besondere Aufmerksamkeit gilt dabei dem Sicherheitsbericht des
zwei Meter großen Peter Gatwech. Er stammt aus Lankien.
O-TON Gatwech For today what I have from local authority here, the youth, which is white army they start moving / to reinforce the opposition force.
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Die ersten Jugendlichen sind gestern zur Verstärkung an die Front gerufen worden.
Heute werden noch weitere aufbrechen.
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Gatwech hat noch einen Moment Zeit, während die anderen zu ihrer Arbeit eilen.
O-TON Gatwech The harvest this year is really very low. ERZÄHLER
Die kommende Ernte wird sehr schlecht ausfallen, sagt er. Wegen der Kämpfe
konnten die Felder nicht rechtzeitig bestellt werden. Bald schon wird es nicht genug
Essen für alle geben.
Atmo
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Später am Abend – wieder einmal Schüsse irgendwo im Dorf. Keiner schenkt dem
eine besondere Bedeutung.
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Eine kenianische Hebamme und ein slowakischer Logistiker, der für die Infrastruktur
des Lagers verantwortlich ist, am großen Tisch. Sie unterhalten sich über
Erfahrungen in anderen Projekten: Raketenbeschuss im Yemen,
Selbstmordattentäter in Afghanistan. Währenddessen schleppen ein paar Dutzend
Ameisen einen Käfer vom Tisch – vermutlich nicht um ihn zu retten.
O-TON Hosmann Wir sind hier ja auch schon in einer ziemlichen Blase, wir haben ja selber nicht ziemlich viel Kontakt zur Außenwelt, wir sind ja hier in unserem Compound eingezäunt.
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Kai Hosmann, der Arzt aus Berlin.
O-TON Hosmann Ab und zu geht man mal raus. Aber so richtig vorstellen, dass ich hier im Südsudan bin, wo um einen rum gekämpft wird und wo man Kriegsversehrte dann hier empfängt, das ist für mich schwer vorstellbar immer noch.
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Seit viereinhalb Monaten ist er hier. Sein vierter Einsatz für Ärzte ohne Grenzen.
Zuvor war er in Pakistan, Haiti und der Zentralafrikanischen Republik.
O-TON Hosmann Das ist wie eine andere Welt. Wenn man Zuhause ist, dann hört sich das viel dramatischer an. Und hier jetzt denke ich: Okay, irgendwo wird halt gekämpft. Aber man selbst hat damit eigentlich nichts zu tun.
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Wenn, dann macht er sich höchstens Sorgen um Giftschlangen. Erst am Nachmittag
wurde ein paar Meter weiter eine entdeckt und auf der Stelle erschlagen. Hosmann
gähnt. Sein Arbeitstag ist lang – 12 Stunden, 14 Stunden oder auch mehr.
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ATMO Partyvorbereitung mit Musik „Happy“
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Im Hintergrund bereiten einige vom Team eine kleine Party vor.
O-TON Hosmann Ja, ich bin hier auf jeden Fall an meine Grenzen gekommen.
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Projekte, in denen wenig los ist, sind bei den freiwilligen Mitarbeitern von Ärzte ohne
Grenzen nicht sonderlich beliebt. Allerdings sind Projekte in denen wenig los ist, in
der Organisation auch eher die Ausnahme.
O-TON Hosmann Wir haben einfach so viele Patienten, dass wir einfach auch viele Tote haben. Wir hatten vorletzten Monat vierzig, davon waren, glaube ich, 35 Kala Azar Tote hier im Krankenhaus. Das ist natürlich auch heftig. Man sieht einfach viele Menschen sterben, die verschlechtern sich ganz plötzlich und rasant und sterben. Wir können da eigentlich nur zugucken. Wenn man sich dann aber sagt: Immerhin 95% würden sonst auch wahrscheinlich sterben und die können ohne weiteres geheilt werden, dann ist das ganz gut.
Atmo
ERZÄHLER
Die kleine Party beginnt. Ein pakistanischer Logistiker feiert seinen 33. Geburtstag.
Er hat für seine Kollegen eine geschlachtete Ziege gekauft, sie nach einem Rezept
seiner Heimat mariniert und stundenlang in einem extra gegrabenen Erdloch gegart.
Atmo ERZÄHLER
Gut zwei Dutzend Frauen und Männer, die jüngste 27 Jahre alt, der älteste 66.
Hebammen, Ärzte, Logistiker, Krankenpfleger, Pharmazeuten. Sie sind für vier
Wochen oder zwölf Monate gekommen und stammen aus Afghanistan, Pakistan,
Italien, Norwegen, Schottland, Slowakei, USA, Kanada, Nigeria, Kenia, Simbabwe,
Japan, den Niederlanden und Deutschland.
Diese kleine Feier, die Stimmung im Team, das meist herzliche zumindest aber
respektvolle Miteinander zwischen den Nationalitäten – all das ist schön und auch
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ein Statement in einem Alltag, der so oft von Elend und Gewalt überschattet ist.
Atmo O-TON Böhme Rente spielt für mich überhaupt keine Rolle. Ich werde so lange arbeiten, wie ich auf meinen Füßen stehen kann.
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Carla Böhme ist mit 63 Jahren die zweitälteste Mitarbeiterin im Projekt. Ihre
Erfahrung wird geschätzt.
Bei Ärzte ohne Grenzen gibt es keine Altersgrenze für Mitarbeiter. Fit muss man
sein, das zählt.
O-TON Böhme Und wenn meine Hände mal zittern, eines Tages dann kann ich ja immer noch daneben stehen und den Leuten sagen, so und so müsst ihr das machen. Ich mache mir da keine Gedanken.
O-TON O’Connor Funk im Hintergrund - It is Cathy. - … ERZÄHLER
Etwas später, Carla Böhme im Büro der Projektkoordinatorin. Ein Funkruf von
Gatwech, dem Sicherheitsberater.
Atmo
ABSAGE
Im Grenzbereich
Eine deutsche Chirurgin im Nothilfeeinsatz im Südsudan
O-TON O’Connor So apparently there is some shooting in town. There is some shooting –
ERZÄHLER
Irgendwo im Dorf wird wieder geschossen.
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ABSAGE
Ein Feature von Jörn Klare.
ERZÄHLER
Carla Böhme weiß, dass ihr Arbeitstag noch nicht zu Ende ist.
O-TON O’Connor/Böhme Böhme: For me it might mean, that I got … O’C: Yes, yeah, you might have some work.
ABSAGE
Sie hörten eine Co-Produktion des Deutschlandfunks mit dem Bayerischen Rundfunk
2015.
Es sprach: Max Simonischek
Ton und Technik: Daniel Dietmann und Katrin Fidorra
Regie: Matthias Kapohl
Redaktion: Karin Beindorff
Atmo